Teil III: Die Durchführung der Hungerblockade bis zum Herbst 1915 (Forts.) C. Die ersten Auswirkungen der März-Order a) Die Zurückhaltung neutraler Schiffe als Druckmittel Wenn auch die März-Order als kriegsrechtliche Norm sehr bedeutsam war, so enthielt sie verfahrensgemäß keine Neuerungen. Sie verschaffte den für ihre Durchsetzung verantwortlichen Beamten des Banngutausschusses und des Außenamts keine zusätzlichen Beweismittel zur Feststellung der feindlichen Bestimmung der in Kirkwall und den Downs angehaltenen Warenpartien. Diese Beamten wandten deshalb bei der Unterscheidung zwischen durchzulassenden und zurückzuhaltenden Waren genau die gleichen Prüfungen an wie vor dem Erlaß der Order. Das änderte sich erst mit dem Inkrafttreten der ausführenden Flottenanweisungen. "Diese Instruktionen wurden am 10. März vom Kabinett gebilligt und liefen tatsächlich darauf hinaus, die Order in Council als Druckmittel zur Sicherung besserer Garantien gegen die Wiederausfuhr zweifelhafter Ladungen zu benutzen.
Das zu erreichende Ziel - so lauteten die allgemeinen Anweisungen - solle sein, Schiffe zu veranlassen, keine Waren für Deutschland zu befördern. Schiffe sollten deshalb lange genug zurückgehalten werden, um sie die Unbequemlichkeiten der Beförderung solcher Güter und die Vorteile der Nichtbeförderung fühlen zu lassen. Wenn der Fall nicht klar liege, solle im Zweifel zu ihren Gunsten verfahren werden. Der Banngutausschuß und die Flotte wurden jedoch besonders beauftragt, auf Verdacht zu handeln, denn durch Art. 6 dieser Anweisungen wurden sie ermächtigt, Lebensmittel-, Baumwoll- und Nitratladungen auf- [238] zuhalten, wenn sie eine feindliche Bestimmung auch nur vermuteten. Sie sollten ferner diese Ladungen bis zum Beweis des Gegenteils zurückhalten und frei darüber entscheiden, wann der Beweis erbracht sei. Güter auf den Verbotslisten der skandinavischen Länder sollten durchgelassen werden, falls das Außenamt nicht berichtete, die Verbote würden nicht durchgeführt oder die Einfuhren einer bestimmten Ware seien abnorm hoch. Die niederländische Verbotsliste konnte jedoch außer acht gelassen werden, da das Abkommen mit dem N.O.T. als genügende Garantie angesehen wurde. Schließlich sollte den nach Italien bestimmten Ladungen eine besonders milde Behandlung zuteil werden, weil der Durchfuhrhandel durch Italien damals eigentlich eingestellt war. Gerade heraus gesagt, die neuen Anweisungen waren eine Erlaubnis zu schärferem Vorgehen und zu besonders strenger Behandlung der Ladungen mit schwedischer Bestimmung, denn das Außenamt war überzeugt, daß die schwedische Regierung ihre Ausfuhrverordnungen nicht durchführte. Die milde Behandlung der italienischen Ladungen wurde vermutlich angeordnet, weil der italienische Botschafter eine Woche vor der Veröffentlichung der Order ein Bündnisangebot vorgelegt hatte. Das System der Diskriminierung, das seit Kriegsbeginn angewendet worden war, wurde tatsächlich unverändert gelassen. Aber insoweit die neue Order die Regierungsstellen zur Anhaltung und Requirierung von Gütern feindlichen Ursprungs ermächtigte, wurde es für notwendig erachtet, diese Überwachung des feindlichen Ausfuhrhandels einer neuen, besonders errichteten Regierungsstelle anzuvertrauen: dem Ausschuß für die Feindausfuhr. Die Anweisungen an diesen neuen Ausschuß waren im wesentlichen dieselben wie diejenigen an den Banngutausschuß; denn er war ermächtigt, alle verdächtigen Ladungen so lange aufzuhalten, bis neutrale Ursprungszeugnisse beigebracht worden wären. Das Verfahren war nach dem des Banngutausschusses geformt.79 Die Manifeste der nach auswärts bestimmten Schiffe wurden ihm täglich mitgeteilt, und der Ausschuß forderte, falls notwendig, neutrale Ursprungszeugnisse durch das Außenamt an. Die von ihm zu erledigende Arbeit war jedoch viel weniger beschwerlich als die tägliche Arbeit des Banngutausschusses. Zwischen fünf und sechs Fälle wurden täglich vom Ausfuhrausschuß behandelt, der Banngutausschuß dagegen prüfte täglich zwischen zwanzig und dreißig Manifeste, von denen manche über fünfhundert Sorten enthielten."80 Eine Tabelle der vor und nach der Order vorgenommenen Schiffszurückhaltungen zeigt am eindrucksvollsten ihre Wirksamkeit. "Im ganzen genommen waren diese Zurückhaltungen das Mittel, um einen Druck auszuüben; denn dadurch, daß wir bei der Zurückhaltung von Schiffen mit Strenge verfuhren, erlangten wir von den Neutralen Garantien gegen die Wiederausfuhr nach Deutschland, und es wurde in den allgemeinen Anweisungen erklärt, daß wir darauf vertrauten, daß die Gesamtheit dieser Zwangsmaßnahmen die Neutralen veranlassen würde, unseren Wünschen zu entsprechen."81
Das wirkliche Ausmaß dieses Zwanges ergibt sich aus einem Vergleich der Zurückhaltungen mit dem Handel der einzelnen Randneutralen.
[240] "Die Folgen des neuen Zwangssystems waren also, daß fast die Hälfte der zwischen Amerika und Nordeuropa fahrenden neutralen Schiffe für einen Zeitraum, der zwischen einer Woche und einem Monat wechselte, zurückgehalten wurde, daß aber ein gewisser Teil des holländischen Handels besondere Vorrechte genoß. Es ist natürlich unmöglich, die Auswirkungen des so geübten Zwanges mengenmäßig abzuschätzen. Man kann sich jedoch einen Begriff des Gesamtverlustes, der die Summe der folgenden Ziffern sein würde, machen:
(Eine Summe, die oft die Kosten einer erstklassigen Hotelverpflegung für Hunderte von Fahrgästen einschloß.) Der Gesamtbetrag würde sicherlich viele Hundert Millionen Pfund Sterling betragen."82 "Es war gewiß ein rücksichtsloses Verfahren, daß ein Ausschuß, der keine Verantwortung für die Folgen trug, solche Schranken und Hindernisse dem neutralen Handel in den Weg legen, so viele Millionen Tonnen Güter von ihrer Bestimmung ableiten, so entschiedene Befehle über die Zurückhaltung des Eigentums vieler mächtiger Gesellschaften nach freiem Ermessen erlassen, und so ungeheure Bußen den Schiffahrtsmagnaten fremder Länder auferlegen durfte. Das Verfahren erscheint um so schärfer, wenn man sich daran erinnert,83 daß der Ausschuß große skandinavische Gesellschaften mit Geldstrafen belegte, weil dritte Personen, die den Direktoren und Aktionären unbekannt waren, in Verdacht standen. Wäre unser Recht, diese Lasten aufzuerlegen, jemals bestritten worden, so ist schwer zu sagen, wie die Frage entschieden worden wäre. Aber die große Rechtfertigung dieses Druckes und Zwanges liegt darin, daß die Reeder die Angelegenheit genau so betrachteten wie wir. Sie protestierten dagegen, daß sie für Täuschungen bestraft würden, an denen sie nicht teilgehabt hätten. Sie brachten dringende Bitten in misericordiam vor. Aber sie bestritten niemals unser nacktes Recht, Güter am Erreichen des Feindes zu verhindern. In allen mit ihnen gepflogenen Unterhandlungen kann ich keine Silbe über die Rechtmäßigkeit unseres Vorgehens finden. Die Reeder verhandelten, um Sicherheiten gegen diese Zurückhaltungen, wir, um zufriedenstellende Garantien zu erhalten."84
"Fast alle Weisungen und Zurückhaltungen, die im Sommer 1915 ergingen, konnten in folgende drei Gruppen eingeteilt werden: Zurückhaltung wegen eines allgemeinen Verdachts oder eines auf Statistiken gestützten Verdachts und Zurückhaltung auf Grund eines Verdachts gegen bestimmte Personen. Die Verhandlungen mit den Schiffahrtsgesellschaften sollten sie in Stand setzen, sich schnell von diesen Verdachtsgründen zu reinigen. [241] Es war klar, daß es kein Universalheilmittel gab... Es war eine Erfahrungstatsache, daß einleuchtende Erklärungen sogleich geboten wurden, aber da sogar die von britischen Kaufleuten vorgelegten Bestimmungszeugnisse allgemein für wertlos gehalten wurden, konnte nicht erwartet werden, daß man Erklärungen eines unbekannten neutralen Kaufmanns für zuverlässiger hielt. In solchen Fällen konnten neutrale Reeder nur durch das lange und mühsame Verfahren, sich selbst vertrauenswürdig zu erweisen, den Verdacht von sich abwenden. Das war aber nur durch eine engere und freundschaftlichere Gestaltung ihrer Beziehungen zu dem Banngutausschuß und anderen Regierungsstellen möglich. Es gab jedoch für diese freundschaftlichen Beziehungen immer eine Schranke. Der Ausschuß durfte nicht den ganzen Fall auseinandersetzen, denn dadurch hätte er manchen unehrlichen Kaufmann gewarnt und manche Nachrichtenquelle zum Versiegen gebracht. Der Ausschuß hätte auch in manchen Fällen kundgetan, auf Grund welcher vagen Verdachtsgründe er handelte. Kleine Reeder und Kaufleute befanden sich daher oft in der nachteiligen Lage derer, die mit Schatten kämpfen. Nichtsdestoweniger war ein wesentlicher Fortschritt in Richtung auf einen Ausgleich erzielt worden. Auf Anregung von Sir Cecil Spring-Rice und seiner Ratgeber waren viele amerikanische Ablader und skandinavische Reeder überredet worden, ihre Ladungen unter konsularischer Beaufsichtigung zu laden und die konsularische Bestätigung der Deklaration zu erlangen. Das Verfahren garantierte nur, daß die Ladung richtig deklariert worden war und zerstreute nicht den Verdacht des Banngutausschusses, daß der Empfänger zur Umgehung des Verbots bereit und fähig war. Aber das neue Verfahren versorgte den Banngutausschuß wenigstens mit besseren Angaben über die Ladungen und ihre Bestimmung."85 Die üblichen Angaben in den Deklarationen waren auf die Bedürfnisse des Handelsverkehrs zugeschnitten und reichten für die sorgfältigen Prüfungen der Banngutkontrolle in keiner Weise aus. Der durch die ungenaue Bezeichnung der Güter erregte Verdacht wurde häufig noch durch Unstimmigkeiten in der Angabe von Warenzeichen vergrößert. Das neue Verfahren der Ladung unter konsularischer Überwachung vermied nicht nur zahlreiche Zurückhaltungen von Schiffen, die auf Grund der von den Zollbehörden in den Downs und Kirkwall berichteten Mängel dieser Art vom Banngutausschuß angeordnet worden waren, sondern führte infolge der Gewöhnung der Handelskreise an sorgfältigere und genauere Unterlagen für Verschiffungen und Handelsgeschäfte zu einer allgemeinen Erleichterung des Kontrollverfahrens. "Ein großer dänischer Reeder, Kapitän Cold, war der erste skandinavische Magnat, mit dem ein Abkommen zustande kam. Die ursprüngliche Vereinbarung wurde nach Beratung mit Sir Eyre Crowe und mit der britischen Botschaft in New York abgeschlossen. Es war eine formlose Vereinbarung, die den Direktoren und Agenten Kapitän Colds die Sicherheit gab, die Oktober-Order in Council einzuhalten. Ihre Hauptbestimmungen betrafen deshalb Banngutladungen. Kapitän Cold übernahm es, Untersuchungen über alle dänischen Empfänger von Banngut anzustellen und sei- [242] nen Agenten in Amerika die Annahme jeder Ware zu verbieten, wenn sie nicht von ihm darüber unterrichtet worden seien, daß gegen die Käufer kein Verdacht bestehe. Als eine zusätzliche Sicherheit sollten Kapitän Colds Agenten in New York dem britischen Generalkonsul mitteilen, daß eine Untersuchung stattgefunden hätte und daß die Güter an einem bestimmten Tage mit einem bestimmten Dampfer verschifft würden. Die Vereinbarung wurde im März aufgehoben, als alle deutschen Güter für beschlagnahmbar erklärt wurden. Aber sie stellte den Fortschritt dar, ohne den kein anderer möglich war. Ein neutraler Reeder war in freundschaftlichen Verkehr mit den den Zwang ausübenden Regierungsstellen in Großbritannien getreten, hatte sie von seiner Redlichkeit überzeugt und war zu einer Vereinbarung gelangt, an deren Wirksamwerden beide zusammenarbeiteten."86 Dieses Abkommen wurde jedoch zunächst nicht als eine vorbildliche Modellvereinbarung angesehen, weil man noch hoffte, auch in anderen Ländern dem Niederländischen Überseetrust ähnliche Organisationen errichten zu können. "Als die Order veröffentlicht und in Wirksamkeit gesetzt wurde, bildeten die nach den Niederlanden bestimmten Schiffe fast einen privilegierten Handelsverkehr, denn sie allein wurden nach einem regelmäßigen System freigegeben oder zurückgehalten. Waren ihre Ladungen an den Trust adressiert, so wurden sie durchgelassen, anderenfalls zurückgehalten. Zweifellos waren die Zurückhaltungen zahlreich, aber die Schiffe, die weiterfahren konnten, stellten einen regelmäßigen und geordneten Schiffsverkehr dar, deren Reeder ihre Verpflichtungen erfüllten und ihre Fahrpläne einhielten. Diese Regelmäßigkeit war es, nach der die Reeder und Kaufleute verlangten, und nur die niederländischen Magnaten und in einem geringeren Grad Kapitän Cold genossen sie. Mehr noch, es war sogleich offenkundig, daß auf Grund der Order in Council notwendig werdende zusätzliche Beschränkungen durch eine Vereinbarung mit dem Trust auferlegt werden konnten. Die bestehende Vereinbarung sorgte nur für die Zurückhaltung von Banngut und mußte deshalb erweitert oder durch ein neues Abkommen ersetzt werden, das uns die Zurückhaltung aller Güter deutschen Ursprungs und deutscher Bestimmung ermöglichte. Der holländische Handel und die holländische Industrie sind so eng mit dem deutschen Industriesystem verbunden, daß viele Einzelpunkte erwogen werden mußten, bevor zufriedenstellende Prüfungsmethoden für das, was eine holländische und das, was eine deutsche Ware bildete, ersonnen werden konnten. Aber es war von Anbeginn klar, daß ein befriedigendes Abkommen geschlossen und vom Trust loyal durchgeführt werden würde. Das einleitende Abkommen über den holländischen Ausfuhrhandel kam schnell und reibungslos zustande. Im Laufe des April machte Herr van Vollenhoven einen Besuch im Außenamt und entwarf in Zusammenarbeit mit dessen Beamten die Hauptbestimmungen eines neuen Abkommens. Es dauerte zwar noch einige Wochen, bis das Abkommen vollendet und in Wirksamkeit gesetzt wurde, aber an seinem zufriedenstellenden Abschluß bestand kein Zweifel. Da sie sahen, daß der Trust eine Einrichtung war, die in einer uns be- [243] friedigenden Weise zwischen feindlichem und neutralem Handel unterschied und diese Unterscheidung zu einer rein geschäftlichen Angelegenheit machte, drängten die Beamten des Außenamts naturgemäß die nördlichen Neutralen dazu, in ihren Ländern ähnliche Gesellschaften zu errichten. Dies geschah gelegentlich der Mitteilung, daß die bestehenden Banngutabkommen den Bestimmungen der neuen Order in Council angeglichen und umfassender gestaltet werden müßten. Der Vorschlag wurde im März und April in den drei nördlichen Hauptstädten erörtert und unsere Gesandten berichteten von ernsten Einwendungen und Schwierigkeiten. Der Trust war in der Tat eine den Besonderheiten des holländischen Handels angepaßte Gesellschaft und keine Einrichtung, die allgemein nachgeahmt werden konnte. Der persönliche Freund des dänischen Königs, Herr Andersen, und Kapitän Cold zeigten beide, wie schwierig es sein würde, den dänischen Handel nach holländischem Vorbild zu regeln. Dänemark war ein verteilendes Land für ganz Skandinavien und die dänischen Einfuhren waren zum großen Teil tatsächlich norwegische und schwedische Einfuhren. Der Freihafen von Kopenhagen war ein riesiges skandinavisches Lagerhaus, in dem Güter vor ihrer endgültigen Verteilung aufbewahrt wurden. Wenn ein dänischer Trust ein wirksames Kontrollorgan hätte werden sollen, so hätte er von den norwegischen und schwedischen Adressaten ebenso wie von den dänischen, Garantien gegen die Wiederausfuhr verlangen müssen, und das wäre nur möglich gewesen, wenn er zu einem allgemeinen skandinavischen Trust gemacht worden wäre. Die norwegischen Magnaten konnten allenfalls zur Mitarbeit überredet werden, aber es bestand wenig oder gar keine Hoffnung, daß die Schweden es tun würden. Sogar die norwegische Mitwirkung hätte nur nach langen Unterhandlungen gesichert werden können, da die dänischen und norwegischen Kaufleute bittere und argwöhnische Rivalen waren. Herr Prior, ein hoher Beamter des dänischem Handelsministeriums, und Herr Andersen meinten, daß eine von Großbritannien, Frankreich und Rußland finanzierte internationale Kompagnie zweckdienlich sein könnte, wenn die Kaufmannsgilden und Handelsbanken mit ihr zusammenarbeiteten. Das war jedoch ein Plan, der eine lange und sorgfältige Vorbereitung erforderte."87 Der Vertreter der norwegischen Magnaten hob den Unterschied hervor zwischen dem in Rotterdam und deshalb von einer Zentralstelle aus leicht kontrollierbaren holländischen Handel und dem norwegischen Handel, der sich auf zahlreiche, mit der Hauptstadt Christiania durch ungenügende Verkehrsmittel verbundene Häfen verteilt. Er verwies auch auf den großen Durchfuhrhandel nach Schweden. Jeder Versuch Norwegens, den Transit durch die Forderung nach schwedischen Garantien zu kontrollieren, müßte zu Reibereien mit Schweden führen, wo sich infolge der deutschen Siege eine starke Kriegsstimmung gegen Rußland bemerkbar mache. "Die norwegische und die dänische Regierung erwogen deshalb unseren Vorschlag sorgfältig und gaben uns sehr gute Gründe an, warum sie [244] ihn nicht annehmen könnten. Die schwedischen Behörden weigerten sich entschieden, ihn überhaupt nur zu erörtern. Sie erklärten statt dessen, daß die März-Order in Council als rechtswidrige Doktrin das Dezemberabkommen nicht aufhebe und daß alle auf Grund der neuen Order erfolgten Zurückhaltungen Verletzungen des Abkommens seien. Sie gaben diesen Haarspaltereien eine gefährliche und drohende Note durch scharfe Beschränkungen des Durchfuhrverkehrs nach Rußland. Mr. Howard berichtete, es sei aussichtslos, auf Annahme des Vorschlags zu drängen."88 Da hiernach wenig Hoffnung auf eine Übernahme des holländischen Systems durch die skandinavischen Mächte bestand, blieb dem Außenamt nichts anderes übrig, als Reedereien und Industriezweige zum Abschluß von Einzelabkommen zu ermutigen. Im Laufe des Frühjahrs 1915, d. h. in den ersten drei Monaten der Wirksamkeit der Order, wurden drei Abkommen geschlossen: 1. ein neues Abkommen zwischen Kapitän Cold und dem Banngutausschuß; 2. ein Abkommen zwischen der Regierung und der norwegischen Amerikalinie; 3. ein Abkommen zwischen der Regierung und der dänischen Ostasiengesellschaft. "Es ist schon auseinandergesetzt worden, daß der Banngutausschuß bereit war, neutrale Schiffe frei durchfahren zu lassen, wenn Abmachungen über die Nichtauslieferung verdächtiger Ladungspartien getroffen würden. Das wurde in den drei Abkommen auf verschiedene Weise erreicht. Kapitän Cold übernahm es, die Aushändigung aller auf der dänischen Verbotsliste stehenden Güter zu verweigern, wenn unsere Behörden Zweifel äußerten und die verdächtigen Partien in seinen Lagerhäusern einzulagern,89 bis er sowohl wie der britische Gesandte zufriedengestellt seien. Bezüglich der nicht auf der Verbotsliste stehenden Güter versprach Kapitän Cold, er würde die Aushändigung jeder Partie verweigern, wenn der britische Gesandte ihm mitteilte, sie sei verdächtig, und würde sie so lange zurückhalten, bis der Adressat eine ihn und den britischen Gesandten zufriedenstellende Garantie gegeben habe. Das Versprechen wurde bezüglich aller Adressaten der von Kapitän Colds Dampfern beförderten Güter, Dänen, Schweden und Norweger gegeben. Dieses Abkommen bestand zwischen Kapitän Cold und dem Banngutausschuß, mit dem Kapitän Cold vorzugsweise verhandelte, weil er eine starke Vorliebe für das Marinemitglied des Ausschusses, Kapitän Longden, hatte. Die wirkliche Garantie lag in Kapitän Colds erwiesener Ehrenhaftigkeit und seinen freundlichen Beziehungen zu dem Ausschuß. Die beiden anderen Abkommen wurden im Außenamt vorbereitet und dienten als Modell für die später abgeschlossenen. Am 18. April hatte Herr Andersen eine lange Unterredung mit Sir Eyre Crowe und teilte ihm mit, er sei bereit,
jeder Bedingung zuzustimmen, die Seiner Majestät Regierung bezüglich der Beförderung deutscher Güter stellen werde, wenn dafür seinen Schiffen gestattet würde, ohne Störung durch unsere Kreuzer ihre Fahrt fortzusetzen. [245] Diese Worte zeigen schlagend, wie wenig sich die Reeder aus Rechtstheorien machten, und wie sehr sie wünschten, daß ihr Handel bekannten Regeln unterworfen werde. In einer weiteren Sitzung bereiteten Herrn Andersens Direktor und Mr. Parker von der Banngutabteilung die Hauptbestimmungen des Abkommens vor. Das größte Hindernis, das überwunden werden mußte, bestand darin, daß nach dem Recht aller skandinavischen Staaten die Gerichtshöfe eine Verfügung auf Herausgabe der Güter erlassen würden, wenn die Adressaten deren Bezahlung nachweisen konnten. Die Rechtsberater der Gesandtschaft teilten jedoch mit, daß dieses allgemeine Recht dann nicht gegen die Schiffahrtsgesellschaften geltend gemacht werden könnte, wenn sie ihre Konnossemente neufaßten. Herr Mygdal versprach deshalb, drei besondere Bedingungen in alle von der Gesellschaft ausgestellten Konnossemente aufzunehmen:
Der Rest des Abkommens traf Vorsorge für die Zusammenarbeit zwischen der Gesellschaft und den britischen Regierungsstellen. Die Gesellschaft verpflichtete sich, die Verladung von Gütern zu verweigern, wenn nicht der Adressat seitens der Hauptniederlassung in Kopenhagen gebilligt worden war. Wenn eine neu errichtete oder zweifelhafte Firma um Ladungsannahme auf den Schiffen der Gesellschaft bat, so versprachen die Direktoren, die Annahme nur gegen Hinterlegung von Geld oder gegen eine Bankgarantie und gegen das weitere Versprechen zu gewähren, dem Außenamt im frühestmöglichen Zeitpunkt genaue Einzelheiten über diese Adressaten zu geben. Außerdem versprach Herr Mygdal, daß die Schiffe der Gesellschaft kein Kupfer, Nickel, Gummi, Petroleum, Schmieröl oder Häute für Norwegen oder Schweden befördern würden, ohne Rücksicht auf die Vertrauenswürdigkeit des Adressaten. Als Gegenleistung versprach das Außenamt: jede Angelegenheit, die in Zukunft ihren Verdacht erregen könnte, freimütig zu erörtern. Eine Abschrift dieses Abkommens wurde sogleich nach Christiania gesandt und dort mit wenigen unbedeutenden Änderungen von einem Direktor der norwegischen Amerikalinie unterzeichnet. Der erste Erfolg der Politik, die das Außenamt als einen Schritt zu einem allgemeineren System verfolgen mußte, war also, daß die für den indirekten Handel Deutschlands zur Verfügung stehende Tonnage wesentlich verringert wurde, insofern, als drei große Gesellschaften ihm dem Wesen nach ihre Schiffe vorent- [246] hielten. Ob dies automatisch die Menge der von dem amerikanischen Kontinent nach Deutschland fließenden Zufuhren verminderte, mag bezweifelt werden, denn, da diese Zufuhren sich verringert hatten, wurden weniger Transportmittel zu ihrer Beförderung benötigt. Es kann jedoch nicht bezweifelt werden,90 daß die Abkommen letztlich Deutschlands Zufuhren verkürzten, denn diese provisorische Politik, die atlantischen Verfrachter von der Beförderung deutscher Güter abzuhalten, wurde im Laufe des Jahres folgerichtig fortgesetzt. Mr. Findlay überredete die Direktoren fast aller großen norwegischen Linien, Abkommen nach dem durch Mr. Parker im April vorbereiteten Modell zu unterzeichnen."91 Am Ende des Jahres standen außer den drei genannton noch Abkommen mit der norwegischen Garonne Line, der Norway Mexico Gulf Line, der Norwegian Africa and Australia Line, The Thor Thoresen Line und der Nordensfjeldske Dampskip skelskab in Wirksamkeit.
"Ein anderes Abkommen, gleichfalls die Folge dieser Druckmaßnahmen, wurde ungefähr um die gleiche Zeit geschlossen. Es war von einiger Wichtigkeit, denn es entzog dem deutschen Markt eine große Menge Öl und Fett und betonte so jene Knappheit an Fetten, die der erste bemerkenswerte Erfolg des Wirtschaftsfeldzuges war."92 Da starke Vorkommen der zur Aufbereitung von Ölen dienenden Kieselguhr in Norwegen vorhanden sind und die Norweger Fischöle und Walöle aus dem von ihnen betriebenen Wal- und Fischfang gewinnen, so hat sich in Norwegen eine bedeutende Industrie zur Verarbeitung von Fetten zu Industrieprodukten und Nahrungsmitteln entwickelt, die nicht nur durch die Norweger selbst gewonnene Öle, sondern auch eingeführte Öle und Fette verwendet. "Die Norweger waren jedoch nicht vollständig frei, denn sie jagen den Wal in der Antarktis unter Konzessionen der britischen Regierung, und man schätzte zu Beginn des Jahres 1915, daß 80 - 100 000 Tonnen Öl, die im Laufe des Jahres in norwegischen Fabriken raffiniert, verseift und hydrogeniert werden würden, aus den mit britischer Lizenz gejagten Walen gewonnen seien. Ungeachtet dessen behauptete die norwegische Regierung, daß Walöl ein einheimisches Produkt sei und zögerte, seine Ausfuhr zu verbieten. Unsere Behörden forderten, daß Walöl und Waltran, die mittels einer britischen Konzession gewonnen würden, nur mit Erlaubnis ausgeführt werden könnten. Zu Beginn des Jahres wurde deshalb eine Anzahl norwegischer Walfänger mit Beschlag belegt und zurückgehalten. Das schließlich abgeschlossene Abkommen war jedoch kein Abkommen zwischen der britischen Regierung und den norwegischen Ölfabriken. Der Cornhillausschuß93 entdeckte, nach Prüfung der Angelegenheit, daß die größte aller norwegischen Ölgesellschaften, die Norske Fabriker, mit Sir William Levers Seifenfabriken durch eine Art Handelsbündnis verbun- [247] den war. Der norwegische Konzern war von dem Sunlightunternehmen unabhängig und Sir William Lever hatte keine Kontrolle über ihn. Aber er war mächtig genug, ihm Schaden zuzufügen, denn die norwegische Fabrik brauchte Pflanzenöle ebensosehr wie Fischöle und kaufte sie gewöhnlich von ihm. Als Sir William Lever Leinsaat und Baumwolle zurückhielt und der Banngutausschuß Walfänger beschlagnahmte und festhielt, war das eine Kombination, der die norwegischen Magnaten keinen Widerstand zu leisten wagten. Ende April konnte das Außenamt ein Abkommen gutheißen, in dem die norwegische Gesellschaft sich verpflichtete, 30 000 Tonnen Öl von Mrssrs. Lever Bros. zu kaufen und ihnen alle in ihrer Fabrik gewonnenen Öle und alle von ihnen gehärteten Fette zu verkaufen."94
"Wenn die einzigen Folgen der Order in Council die oben genannten
Abkommen gewesen wären, würde sich daraus ergeben, daß
der unmittelbare Rückschlag größer als der unmittelbare
Gewinn gewesen ist. Auf der Guthabenseite würden stehen: drei
Abkommen mit skandinavischen Schiffahrtsdirektoren und ein zusätzliches
Abkommen mit einer Trangesellschaft. Auf der Lastenseite würden stehen:
eine ungeheuere Verwirrung des transatlantischen Handels mit allen daraus
folgenden Reibungen, ein Vorschlag zur besseren Regelung des Handels, der
geprüft und unbrauchbar befunden worden war, und eine
Verschärfung der schwedischen Streitigkeit. Das Gesamtergebnis
würde also gleichbedeutend mit einer starken Unterbilanz auf der
Gewinn- und Verlustrechnung unserer Taten sein. Ein anderes Ergebnis, das weit
schwieriger abzuschätzen ist, weil es in keinem einzelnen Dokument oder
Bündel von Dokumenten beurkundet ist, ist dennoch weit bezeichnender
als alles bisher Erwähnte, insofern es die freiwillige Unterwerfung nicht nur
eines, sondern vieler Tausender von Handelsmagnaten unter die Vorschriften der
neuen Order in Council darstellt. Einige Wochen vorher hatte
Sir Cecil Spring-Rice von einer Tendenz berichtet, Banngut auf eine
geschäftliche Basis zu bringen. Er sowohl wie seine Ratgeber hatten
unermüdlich daran gearbeitet, sie zu ermutigen. Die Ergebnisse dieser
Bemühungen sind in vielen Tausenden von Berichten über das
tägliche Geschäft mit jenen
Handels- und Schiffahrtsmagnaten enthalten, die legale Rechte und
Spitzfindigkeiten beiseite ließen, politische Streitigkeiten ignorierten und
durch Unterhandlungen mit der britischen Botschaft in Washington und den
Behörden in Whitehall ihr Geschäft dieser neuen Regelung
anpaßten. Insgesamt stellten diese Vorfälle der täglichen
Geschäfte ein Eingeständnis dar, daß der Handel zwischen
Amerika und Europa sich der neuen Kriegsregel anpaßte."95 Es war "eine
de facto-Anerkennung der Order in Council, die keine
Rechtsstreitigkeit jemals hemmte".96 Diese vom Staatsdepartement
übersandten Gesuche der Geschäftsleute bezogen sich alle auf die
Order in Council, "denn die vom Staatsdepartement gegebenen
Einzelheiten wurden meistens dargelegt, um zu beweisen, daß die Ladungen
nicht auf Grund der Order
zu- [248] rückgehalten
werden könnten oder daß sie innerhalb des Bereichs des
Baumwollabkommens seien oder daß sie auf Grund der in Art. 3 und
4 genannten Bedingungen verkauft werden müßten. Mehr noch, das
Staatsdepartement schloß sich einem großen Teil dieser Forderungen
nach günstiger Behandlung an. Vermutlich wurden gerade auf seine
Veranlassung die Einzelheiten97 über die Käufe und
Versicherungspolicen so freimütig angegeben."98
79S. 249. ...zurück... 80S. 250. ...zurück... 81S. 250. ...zurück... 82S. 251. ...zurück... 83S. 253. ...zurück... 84S. 254. ...zurück... 85S. 254. ...zurück... 86S. 255. ...zurück... 87S. 256. ...zurück... 88S. 257. ...zurück... 89S. 257. ...zurück... 90S. 258. ...zurück... 91S. 259. ...zurück... 92S. 259. ...zurück... 93Ein Ausschuß von Cityleuten unter dem Vorsitz Sir Austen Chamberlains, der ihn in Finanzfragen beriet. ...zurück... 94S. 260. ...zurück... 95S. 260. ...zurück... 96S. 261. ...zurück... 97S. 262. ...zurück... 98S. 263. ...zurück...
|