Teil III: Die Durchführung der Hungerblockade bis zum Herbst 1915 (Forts.) D. Die Anfänge des Rationierungssystems Es ist klar, daß die März-Order allein durch die strengen Maßnahmen des Banngutausschusses zur Zurückhaltung neutraler Schiffe und durch deren Lockerung zugunsten von Unternehmungen, die zufriedenstellende Verpflichtungen übernahmen, nicht erfolgreich durchgeführt werden konnte. Das war nur möglich, "durch Errichtung eines universalen Systems zur Unterscheidung zwischen feindlichem und neutralem Handel, und der am besten durchführbare Plan für eine solche Unterscheidung war so einfach und natürlich, daß niemand das Verdienst in Anspruch nehmen kann, ihn zuerst erdacht zu haben. Er bestand darin, den an Deutschland angrenzenden Neutralen die normalen Einfuhren an Nahrungsmittel, Futtermitteln, Textilien und Treibstoffen zu erlauben und alle Überschüsse über das Normale anzuhalten. Dieser einfache Plan, die Rationierung, war so sehr ein Korollar der März-Order, daß die Geschichte der Order die Geschichte des Rationierungssystems ist".99
Den entscheidenden Anstoß zur Einführung dieses Systems gaben nicht, wie man hätte denken können, die außergewöhnlich hohen überseeischen Einfuhren der Neutralen im Sommer 1915, sondern ein Vorschlag der französischen Regierung, die Regelung der Ausfuhrkontrolle in England und Frankreich besser aufeinander abzustimmen. Die Franzosen erklärten, daß die englischen Kontrollmaßnahmen nicht scharf genug seien. Sie hielten nach der Schweiz bestimmte englische Waren an und weigerten sich, die für sie ausgestellten britischen Ausfuhrerlaubnisse anzuerkennen. Infolge des Widerstandes des Handelsamtes, das sich scharf gegen jede Einmischung ausländischer Mächte in die britische Handelspolitik wandte, verstrichen mehrere Monate, bis man sich über die Zusammenberufung einer Sachverständigenkonferenz im Juni 1915 in Paris einigen konnte. Es wurde beschlossen, daß die Konferenz nicht nur die Frage der Ausfuhrerlaubnisse, sondern die Wirtschaftskriegführung als Ganzes behandeln solle. Das Ergebnis der im Juni 1915 abgehaltenen Konferenz war ungefähr folgendes: Die Berichte unserer sachverständigen Beobachter vom März, April und Mai zeigten, daß die deutschen und österreichischen Wirtschafts- [249] systeme sich den bestehenden Bedingungen angepaßt hatten. Die Textilindustrie hatte zwar einige Schwierigkeiten, aber nichts deutete darauf hin, daß sie nicht überwunden werden konnten. "Bezüglich der Nahrungsmittel war es völlig sicher, daß sie bis zur nächsten Ernte ausreichten. Nichtsdestoweniger waren zwei gefährliche Verknappungen offenkundig. Eine Verknappung an Fleisch und Fetten und eine Verknappung an Ölen und Schmiermitteln. Das war der unmittelbare und greifbare Erfolg des Feldzuges, ein Erfolg, der außerdem ein ständiger, uns vom Feind nicht leicht zu entreißender, Gewinn zu sein schien." "Was ferner die Einfuhren der Randneutralen anging, so wurden die sehr sorgfältig und genau geführten Einfuhrzahlen zu ergänzenden Beweisen für die Verknappungen und deren Ausmaß, denn gerade so wie unsere sachverständigen Beobachter in deutschen Fragen über Verknappungen von Fleisch, Fetten und Ölen berichteten, bemerkten unsere statistischen Sachverständigen starke Einfuhren dieser Waren nach den Randneutralen. Es wird lehrreich sein, die Einfuhren jedes dieser Länder der Reihe nach zu überblicken. Die Magnaten des Niederländischen Trusts und das Handelsministerium hatten ihre Versprechungen getreulich erfüllt, denn die Einfuhren von Kopra und Getreide und der hauptsächlichen Banngutmetalle lagen unter dem Normalen. Die Zahlen waren:
Es war jedoch ein scharfer Anstieg in den Einfuhren anderer Stoffe zu verzeichnen, die in der einen oder anderen Weise den Mangel an Fetten in Deutschland ausgleichen konnten. Die Einfuhren von pflanzlichen Ölen betrugen das Doppelte des Normalen: 118 382 tons gegenüber dem Normalstand von 69 125 tons. Ölhaltige Nüsse und Saaten lagen 50% über dem Normalen. Es ist unwahrscheinlich, daß diese Stoffe in demselben Zustand wieder ausgeführt wurden. Sie wurden wahrscheinlich raffiniert und in Fette verarbeitet und dann als rein holländisches Erzeugnis nach Deutschland verkauft. Das war kein Vorwand, denn die Doktrin des abgeleiteten Banngutes war niemals genau definiert und, wenn sie aufgestellt war, nur auf Metalle angewandt worden. Kein Vorwurf irgendwelcher Art konnte wegen dieser Zahlen, die nur die Knappheit an Fetten in Deutschland bewiesen, gegen den Trust erhoben werden. Dänemark: Die dänischen Zahlen entsprachen in weitem Umfang den holländischen, denn die Abweichungen vom Normalen betrafen ähnliche Waren. Die Einfuhren von Speck übertrafen ungefähr achtmal die üblichen, 10 969 tons gegen 1218, die Einfuhren ölhaltiger Nüsse hatten sich verdoppelt, die von Reis vervierfacht100. Die anderen dänischen Einfuhren [250] waren normal oder beinahe normal, da die eingeführten Metalle oder pflanzlichen Öle sich nicht auffallend erhöht hatten. Die Einfuhren von Korn, Getreide, Futtermitteln und Fleisch hatten sich sicherlich über das Übliche erhöht, aber die Erhöhungen waren nicht bemerkenswert oder auffallend. Die Einfuhren an Mineralöl waren etwas höher als normal. Schweden schien ein wiederausführendes Land für gewisse Metalle zu sein, ferner für Speck, Reis und ölhaltige Nüsse. Die Steigerungen bei Korn und Futtermitteln zeigten ungefähr dasselbe Verhältnis wie in Dänemark."101 Trotzdem die norwegischen Reeder und großen Geschäftsleute sich so bereit gezeigt hatten, unseren Wünschen entgegenzukommen, war auch hier noch viel zu ändern, denn die Einfuhrzahlen zeigten klar, daß Norwegen Fette und Metalle in erheblichen Mengen wieder ausführte. So betrugen die Einfuhren für die Zeit vom Januar bis Juli 1915 im Vergleich zu den Normaleinfuhren an Aluminium 965 (4) tons, an Zinn 1151 (186) tons, an Speck 4376 (450) tons, an tierischen Fetten 27 084 (1341) tons, an pflanzlichen Ölen 17 307 (6804) tons, an ölhaltigen Nüssen 14 138 (7746) tons, an Rohgummi 867 (450) tons. Wären diese Zahlen der neutralen Einfuhren die einzigen Statistiken gewesen, die die zusammenberufenen Sachverständigen zu prüfen hatten, dann hätte sich ihre Aufgabe auf einige Vorschläge zur Verschärfung der alliierten Kontrolle der neutralen Einfuhren an Ölen und Fetten beschränkt. Das hätte keine allzu großen Schwierigkeiten in bezug auf den Handel zwischen den Neutralen gemacht, da hier die französischen Dekrete mit den britischen Orders in Council übereinstimmten. Die Aufgabe der Sachverständigen war jedoch sehr viel schwieriger. Sie sollten den Wirtschaftskrieg nach einem gemeinsamen Plan organisieren, was nur durch Ausgleich der tiefgehenden Unterschiede der Handelspolitik beider Staaten erreicht werden konnte. "Der französische Lizenzausschuß - die commission des dérogations aux prohibitions de sortie - hatte durchaus angenommen, daß jede anormale Einfuhr von einem Neutralen nach einem Neutralem eine Vermutung der Absicht der Wiederausfuhr nach dem Feind schaffe. Von dieser Annahme ausgehend hatte er alle französischen Ausfuhren nach den Randneutralen mit mathematischer Schärfe und Genauigkeit auf den normalen Zahlen gehalten. Unser eigenes System, wenn man es ein System nennen kann, war sehr verschieden. Das Handelsamt erkannte sicherlich an, daß das Lizenzsystem erdacht war, um die Zufuhr von Banngut nach dem Feind anzuhalten. Aber es war auch, um seine eigenen Worte zu gebrauchen, der Überzeugung, daß die Aufrechterhaltung der britischen Ausfuhr für eine erfolgreiche Fortführung des Krieges wesentlich sei und es war entschlossen, das Lizenzsystem niemals dazu zu benutzen, britische Kaufleute von Märkten auszuschließen, die amerikanischen und anderen fremden Kaufleuten offenstanden. Diese Zielsetzungen, die für sich genommen ausgezeichnet waren, waren jedoch so entgegengesetzt, daß sie nicht in ein einziges logisches System zusammengefaßt werden konnten. Da die trei- [251] bende Kraft der ganzen Politik die Eifersucht auf Amerika war, so war die Folge, daß man Lizenzen zum Versand von Waren nach Märkten, wo amerikanische Waren in großen Mengen verkauft wurden, bereitwillig erteilte. Da nun die amerikanischen Ausfuhren nach Europa im allgemeinen und den skandinavischen Staaten insbesondere von Monat zu Monat stiegen, fühlte sich das Handelsamt nach seinem Gewissen verpflichtet, einige der Gewinne dieser Marktausweitung den britischen Kaufleuten zu sichern. Infolgedessen waren die britischen Ausfuhren und Wiederausfuhren nach den Randneutralen in überraschendem Umfang gestiegen, während die Ausfuhren nach jedem anderen Land gefallen waren. Rundheraus gesagt waren unsere einzigen Gewinne Gewinne in einem verdächtigen Handel."102 Wenn die Vermutungen bei anormalen Erhöhungen der Einfuhren eines Neutralen zutreffend und gerechtfertigt waren, dann ergibt sich die allgemeine Vermutung, daß britische Waren in Feindesland strömten, aus folgender Statistik:
"Es ist nicht möglich, diese Wertstatistik in eine genaue Statistik der entsprechenden Waren umzuwandeln. Die allgemeine Natur des anormalen Handels ist jedoch leicht festzustellen. Er betraf Fleisch, Öle, ölhaltige Nüsse und fetthaltige Stoffe,103 in der Tat alle Waren, die die Mangellage in Deutschland nach den wiederausführenden Staaten zog. Kakaoausfuhren hatten sich verdreifacht, Ausfuhren an kolonialem Fleisch verdrei- bis versechsfacht. Die Ausfuhren an Baumwollsaat, Leinsaat, Schmierölen und ölhaltigen Nüssen waren phantastisch gestiegen."104 Folgende Zahlen über die britischen Ausfuhren von Januar bis Juni 1913 und 1915 seien genannt:105
[252] Dieses Anwachsen unserer Ausfuhren mußte in Frankreich um so größeres Erstaunen erregen, als die meisten dieser Waren auf unseren Listen der Ausfuhrverbote standen, die gerade ölhaltige Stoffe sehr ausführlich aufzählten und deshalb jede Ausfuhr nach Deutschland leicht hätten verhindern können. Noch berechtigteres Befremden der Franzosen mußte es jedoch erregen, daß das Handelsamt sogar eine außergewöhnliche Steigerung der Ausfuhr der kriegswichtigsten Metalle nach den Randneutralen zugelassen hatte. So hatte die Aluminiumausfuhr nach Norwegen in der ersten Hälfte des Jahres 113 tons, das 25fache der üblichen Menge, die Einfuhr von Zinn nach dem gleichen Lande zwischen Januar und Juni 1151 statt 186 tons der üblichen Halbjahrseinfuhr betragen. Obwohl das vorliegende Zahlenmaterial die größten Befürchtungen der Franzosen hervorrufen mußte, so vermieden sie auf der Wirtschaftskriegskonferenz bewußt jede Schärfe und jeden Vorwurf. Sie verlangten nur, daß die drei westlichen Alliierten eine gemeinsame Politik verfolgen sollten. In der Tat war es für den Erfolg der Konferenz entscheidend, ob es gelingen würde, durch eine Einigung in der Lizenzfrage die Grundlagen für die Durchführung des Rationierungssystems zu schaffen. "Glücklicherweise verstanden und würdigten die drei britischen Vertreter Mr. Hurst, Admiral Slade und Captain Longden zwar die Politik, die den Strom der britischen Ausfuhren nach den Randneutralen zugelassen hatte, aber sie waren nicht bereit, sie nachdrücklich zu verteidigen. Mr. Hurst legte den Standpunkt des Handelsamts dar, daß es nutzlos sei, die alliierten Ausfuhren nach den Neutralen einzuschränken, wenn die einzige Folge ein Ansporn für den amerikanischen Handel in Märkten, die von den Alliierten aufgegeben würden, sei, und der französische Vorsitzende war so artig und entgegenkommend, ihn als eine richtige und vernünftige Auffassung zu bezeichnen. Die britischen Vertreter fühlten jedoch, daß sie unmöglich auf dieser Behauptung bestehen konnten, wenn die Antwort darauf offensichtlich folgende war: daß keine systematische Regelung der amerikanischen Lieferungen an die Randneutralen versucht werden konnte, falls und bevor nicht die Alliierten ihre eigenen Ausfuhren nach denselben Märkten systematisch kontrolliert hätten. Mr. Hurst selbst sagte: Der Grundsatz war in der Theorie so gesund, daß Admiral Slade und ich beide fühlten, daß es Grenzen gab, über die hinaus ein Widerstand dagegen nicht klug erschien. Als die britischen Vertreter dem Grundsatz zugestimmt hatten, gab es kein weiteres Hindernis, denn die italienischen Delegierten waren ebenso eifrig bestrebt, ihn angenommen zu sehen wie die Franzosen. Die Beschlüsse, die die Anfänge des Rationierungssystems genannt werden können, lauteten folgendermaßen:
"Man sieht, daß diese Beschlüsse die Verpflichtung auferlegten, als Vorbereitung eines allgemeinen Systems zur Anhaltung anormaler Ausfuhren von einem Neutralen nach einem Neutralen, die alliierten Ausfuhren zu rationieren. Hinsichtlich der zweiten Aufgabe hatte die Konferenz lediglich festgestellt, daß ihre Durchführung sehr erwünscht sei. Ein Plan dazu war nicht erwogen worden, denn der Rechtssachverständige, M. Fromageot, erklärte nur, daß Zurückhaltung und Einziehung von Ladungen auf Grund des statistischen Beweises begreiflicherweise mit der Doktrin der fortgesetzten Reise gerechtfertigt werden könnten."109 Das Handelsamt setzte dem Drängen Sir Eyre Crowes und der Beamten der Banngutabteilung nach einer Rationierung der britischen Ausfuhren zunächst die Forderung entgegen, erst die neutralen Zufuhren der Randneutralen zu rationieren, was praktisch auf eine Sabotierung der Beschlüsse der Konferenz hinauslief, da eine so beispiellose Maßnahme wie die Rationierung der neutralen Zufuhren aus neutralen Ländern nicht so gleich in die Tat umgesetzt werden konnte. Es scheint aber nicht auf seinen Einwendungen bestanden zu haben, denn im Laufe des Juli wurden eine Anzahl vorbereitender Verwaltungsmaßnahmen getroffen und Mitte August berief das Außenamt eine andere alliierte Konferenz zur Erörterung von Einzelheiten ein. Auf dieser Konferenz einigte man sich darauf, die neutralen Einfuhren aller wichtigeren Banngutwaren nach Rechtsgrundsätzen auf den normalen Umfang zu beschränken. [254] "Erst eingehendere Prüfungen zeigten, wie außerordentlich schwierig es sein würde, diesem Beschluß Wirksamkeit zu verleihen. Wie großzügig auch immer die Doktrin der fortgesetzten Reise ausgelegt wurde, es blieb doch ein bestimmter Rechtsgrundsatz, daß die Doktrin nur gegen einzelne Ladungen angewendet werden konnte. Andererseits stand fest, daß sie nur dann in wirksamer Weise durchgesetzt werden würde, wenn der statistische Beweis allein die Einziehung rechtfertigte. Angenommen, die statistische Behörde berichtete zu einem gewissen Zeitpunkt, daß ein Randneutraler110 seine normale vierteljährliche Ration eines einzelnen Artikels eingeführt habe. Welche Vermutung würde gegen die erste, ja sogar gegen die zweite, dritte oder vierte neutrale Ladung, die über diese Ration hinausgingen, bestehen? Offensichtlich nur eine sehr schwache, denn der statistische Beweis würde erst entscheidend sein, nachdem die neutralen Einfuhren den Normalumfang erheblich überschritten hatten. Mit anderen Worten, ein auf Rechtsgrundsätzen aufgebautes Rationierungssystem, wie es die letzte Konferenz empfohlen hatte, würde überhaupt kein Hindernis für anormale Einfuhren bilden und würde nur für eine kurze Zeit wirksam sein, nach dem großen Mengen Banngut der Durchgang gestattet worden war, um Beweise gegen spätere Ladungen zu sammeln. Weiter, angenommen, ein einzelner Fabrikant führte für sich mehr von einer bestimmten Bannware ein, als dem ganzen Land für das laufende Vierteljahr zustand, bewiese aber, daß er sehr wenig im vergangenen Jahre gekauft habe und das nun Gekaufte für sein Geschäft benötige. In diesem Fall würde die dem Gericht vorgelegte Frage nicht das Verhalten des gesamten Handelsstandes seines Landes, sondern nur sein persönliches Verhalten betreffen, und es würde deshalb kein Grund bestehen, gerade seine Ladung einzuziehen. Zufälligerweise war in den vorangehenden Monaten die Frage, was und was nicht aus dem statistischen Beweis gefolgert werden könne, von den Kronjuristen geprüft worden, denn der soeben verhandelte Kimfall hatte sich gerade um diesen Punkt gedreht. Die zurückgehaltenen und eingezogenen Ladungen der Schiffe Kim, Alfred Nobel, Fridland und Björnsterne Björnsen waren von den Chikagoer Fleischpackern nach Kopenhagen adressierte Fleischwaren gewesen. Die Zurückhaltungen waren angeordnet worden, weil die Schiffe von der Ganslinie, einem sehr zweifelhaften Konzern, gechartert worden waren, weil die Speckverschiffungen in diesen Schiffen allein das Dreizehnfache der normalen Jahreseinfuhren von Dänemark betrugen und weil unser Generalkonsul in Kopenhagen berichtete, daß deutsche Agenten in Dänemark diese Verschiffungen organisierten. Der statistische Beweis schuf so eine starke Vermutung für die Absicht, die Ladungen an den Feind weiterzuverschiffen. Die Schiffe wurden in den letzten Monaten des Jahres 1914 zurückgehalten. Die Verhandlung des Falles fand im Juli des folgenden Jahres statt. Der Fall wurde in den dazwischenliegenden Monaten von der Krone vorbereitet. Als die bekannten Tatsachen zum ersten Male dem Anwalt des Procurator General vorgelegt wurden, berichtete der Anwalt, auf Grund dieser Tatsachen allein könne man keine Verurteilung erzielen, aber er sei [255] überzeugt, daß durch Untersuchungen über jede in den Urkunden erwähnte Person zusätzliche Beweise erlangt werden könnten. Sir Cecil Spring-Rice und unsere Gesandten in Skandinavien erhielten deshalb die Weisung, diese Untersuchungen vorzunehmen. Das Ergebnis war die Sammlung von Nachrichten, die bewiesen, daß die Chikagoer Packer ursprünglich ihre Waren nach Hamburg gesandt, aber nach Kriegsausbruch ihre Vertretungen nach Rotterdam und Kopenhagen verlegt hatten, mit der Anweisung, von dort aus ihre alten deutschen Verbindungen wieder aufzunehmen. Ferner wurde uns der Briefwechsel zwischen dem Hamburger Agenten und der Cudahy Compagnie in Chikago mitgeteilt, der keinen Zweifel daran ließ, daß die Fleischpacker Kopenhagen lediglich als Verteilungsstelle benutzten. Der größere Teil der Ladungen wurde infolgedessen eingezogen. Die Einziehung wurde jedoch nur durch die Vorlage der über die Packer und ihre Geschäfte gesammelten Nachrichten erreicht. Der statistische Beweis wurde als ein Wegweiser oder ein Indiz, aber nicht als mehr erachtet. Nichtsdestoweniger konnte es aber als verhältnismäßig sicher gelten, daß, wenn die Statistik die Einfuhr einer bestimmten Ware als anormal hoch auswies, nähere Prüfung ähnliche Tatsachen wie im Kimfall zutage bringen würde, denn große und ungewöhnliche Verschiffungen einer Ware werden gewöhnlich von kaufmännischen Cliquen verabredet, die ihre Maßregeln nicht völlig verbergen können. Mehr als das, wenn umfangreiche Zurückhaltungen angeordnet werden, so sind Ablader und Empfänger stets zum Austausch von Briefen und Telegrammen gezwungen, die unvermeidlich dem Zensor in die Hände fallen und zum Beweise für ihre Absichten dienen. Es war deshalb nicht glücklicher Zufall, der uns so viele einschlägige Beweise in die Hände spielte. Wenn ein Woll- oder Fleischtrust in Südamerika die Geschäfte der Fleischpacker nachgeahmt hätte,111 so würden ähnliche Beweise fast sicher zu erlangen gewesen sein. Es bestand also guter Grund zu der Annahme, daß, falls statistische Beweise als Ausgangspunkt für weitere Nachforschungen angesehen wurden, solche Untersuchungen ergiebig sein würden. Es war jedoch ein großer Unterschied zwischen Einziehungen, die man auf diese Weise erreichen konnte, und der automatischen Einziehung aller über die Normaleinfuhr hinausgehenden Ladungen, die bei einem von den Gerichtshöfen allein durchzuführenden allgemeinen Rationierungssystem notwendig gewesen wären."112
"Abgesehen von diesen Schwierigkeiten gab es andere rein verwaltungsmäßige. Angenommen, wir konnten Zurückhaltungen im Großen durch den statistischen Beweis rechtfertigen, sollten diese Zurückhaltungen begin- [256] nen, nachdem der Neutrale seine normale Jahres-, Vierteljahres- oder Monatsration verbraucht hatte? Jede Alternative erschien gefährlich. Vorausgesetzt, die Jahresration würde zum Maßstab genommen und die Importeure in einem neutralen Land nähmen die Jahresration innerhalb von vier Monaten herein, so würden unsere Behörden verpflichtet gewesen sein, jeden Verkehr in dieser Ware für die verbleibenden acht Monate anzuhalten, ein höchst gefährliches Verfahren. Ebenso starke Einwendungen bestanden gegen eine Zurückhaltung nach Verbrauch der normalen Vierteljahresration in einem neutralen Land. Die unehrlichen Kaufleute würden sich ihre Ware zu Beginn des Vierteljahrs sichern und es unseren Behörden überlassen, sich so gut wie möglich mit den über den Normalumfang hinausgehenden Ladungen auseinanderzusetzen, die an Firmen von gutem Ruf adressiert waren, welche die Bestimmung ihrer Sendung für den eigenen Verbrauch nachweisen konnten. Es nimmt deshalb kaum wunder, daß das System noch drei Monate nach der Vertagung der Pariser Konferenz kaum mehr als ein bloßes Projekt war. Nach Mr. Hursts Worten hatten wir monatelang darüber gesprochen und danach verlangt. Da das allgemeine System lediglich ein im Stadium der Erörterung befindliches Projekt war, und das Handelsamt von Anfang an erklärt hatte, es nicht für weise zu halten, britische Ausfuhren nach den Randneutralen vor Vollendung des Gesamtprojekts einzuschränken, so erachtete es sich nicht für verpflichtet, den in Paris angenommenen Beschlüssen Wirksamkeit zu verleihen. Im Juli, August und September wurde deshalb britischen Ausfuhren in großem Umfang der Eingang nach Holland, Dänemark, Schweden und Norwegen gestattet."113
"Nichtsdestoweniger stand ein großer Fortschritt bevor. Im Lauf des August und September bereiteten die statistischen Sachverständigen genaustens ausgearbeitete Tabellen über alle zu rationierenden Waren vor. Jede Ware wurde Gegenstand einer statistischen Monographie, die die Zahlen über die jährlich von jedem einzelnen Land eingeführten Mengen sowie die von jedem Alliierten und die von den Neutralen erhaltenen Mengen enthielt. Die Tabellen für Baumwolle, die wichtigsten Körnerfrüchte und Metalle wurden im September vollendet. Als diese Zahlen zur Verfügung standen, übernahm die Banngut-Abteilung des Außenamts die Verantwortung für die Durchführung eines solchen Systems. Diese Angelegenheit wurde ihr anscheinend nicht durch [257] irgendeine besondere Verfügung oder Weisung übertragen. Die Übertragung fand statt, weil die Abteilung eine günstige Gelegenheit erkannte und ergriff. Sie stand damals in Verhandlungen mit dem Industrieraadet von Dänemark, mit dem Niederländischen Überseetrust und mit gewissen Textilgesellschaften in Skandinavien. Maßgebliche Statistiken über die Normaleinfuhren wurden vor dem Abschluß verfügbar und das Außenamt entschloß sich, diese Statistiken in den laufenden Verhandlungen zu verwerten. Das System wurde so stückweise aufgebaut, da die langen einleitenden Untersuchungen gezeigt hatten, daß der erste einfache Plan eines allumfassenden Systems unpraktisch war.
Der wirkliche Aufbau und die Handhabung des Systems waren in der Tat
äußerst mühevoll. Zunächst wurde das Prinzip als
solches, das als notwendiges Korollar für die Handhabung der
März-Order angesehen wurde, in alle im Jahre 1915 abgeschlossenen
großen Banngutabkommen aufgenommen, die man deshalb
Stützbalken oder Säulen des Systems nennen kann. Zweitens
wurden, nachdem das Prinzip zugestanden und seine Zulassung in den
Banngutabkommen niedergelegt war, eine Anzahl anderer Abkommen über
die Regelung des Handels in einzelnen Waren zustande gebracht. Drittens wurde
der Baumwollhandel zwischen Amerika und Europa unter Kontrolle gestellt. Die
Geschichte des Systems war somit die Geschichte dieser drei Fortschritte des
wirtschaftlichen Feldzuges: der Banngutabkommen des Jahres 1914, der sie
ergänzenden Abmachungen und der Baumwollregelung. Verhandlungen
über diese Punkte waren so vielen politischen, militärischen und
wirtschaftlichen Einflüssen unterworfen, daß das
Rationierungssystem nur ein kleiner Posten in dem großen Komplex der
streitigen Fragen war. Nichtsdestoweniger hätten die Neutralen des
nördlichen Europa nicht rationiert werden können, wenn nicht die
Verhandlungen über die Handhabung der
März-Order erfolgreich zum Abschluß gebracht worden wären
und wenn man nicht die Regierung der Vereinigten Staaten dazu überredet
hätte, einer Erklärung der Baumwolle zum Banngut
zuzustimmen."114
99S. 265. ...zurück... 100S. 266. ...zurück... 101S. 267. ...zurück... 102S. 268. ...zurück... 103S. 268. ...zurück... 104S. 269. ...zurück... 105S. 269. ...zurück... 106Anmerkung des Werkes: Diese Klausel wurde von uns eingefügt und sollte die Tür für einen guten neutralen Markt halb offen halten. ...zurück... 107S. 271. ...zurück... 108S. 272. ...zurück... 109S. 272. ...zurück... 110S. 272. ...zurück... 111S. 273. ...zurück... 112S. 274: Das Werk macht hierzu folgende Anmerkung: "Das Prisengericht wurde niemals aufgefordert, allein auf Grund des statistischen Beweises eine Ladung einzuziehen, so daß das Recht in diesem Punkt nicht feststeht. Die Beachtlichkeit des statistischen Beweises als Beweis für die spätere Feindbestimmung wurde im Kimfall erörtert. British and Colonial Prize Cases. Vol. I S. 405 ff." ...zurück... 113S. 274. ...zurück... 114S. 275. ...zurück...
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