Erlebnisberichte von den Verschlepptenzügen, Teil 2
85. Der Mord an Freiherrn von Gersdorff Unter Eid bekundete der Zeuge Fritz Kretschmer, Arbeiter in Alt-Boyen, folgendes: ... Den Tod des Herrn von Gersdorff habe ich selbst mitangesehen. Herr von Gersdorff war zurückgeblieben. Er phantasierte schon vor Erschöpfung. Als Soldaten auf ihn einstachen, um ihn zu schnellerem Gehen zu veranlassen, griff er nach dem Bajonett dieses Soldaten, um den Stich abzuwehren. Er wurde in den Graben gestoßen, und dann fiel ein Schuß. Herr von Gersdorff sank dann tot zusammen. Dieser Vorfall ereignete sich, als der alte Mann während einer ganz kurzen Rast Wasser aus einem alten Brunnen trinken wollte.
... Wenn ich gefragt werde, ob es sich bei diesem Dorf um Tarnowo handelt, so kann ich diese Frage nicht bejahen. Ich weiß nur, daß das Dorf im Kreise Turek und auf der Chaussee nach Kutno in der Gegend von K[r]osniewice liegt. Wir trafen hier mit einigen unserer Kameraden aus
Alt-Boyen zusammen. Auf der weiteren Wegstrecke machten mein Dienstherr Gernoth, der Herr aus Kuschen und ein weiterer mir unbekannter Mann schlapp. Sie blieben zurück, und wir hörten drei Schüsse fallen. Ich habe die drei Kameraden nicht mehr gesehen und nehme an, daß sie erschossen worden sind. Auch ich erhielt einen Schuß in das Knie, als ich aus dem Gliede heraustaumelte (linkes Knie). Mit dieser Verwundung lief ich noch vier Tage und kam bis K[r]osniewice, wo ich einen Tag liegenblieb. Am nächsten Tage gelang es mir, zu entweichen. Quelle: WR II
Unter Eid bekundete der Zeuge Kuhnert, Landwirt in Alt-Boyen, folgendes: ... In Peisern, wohin wir inzwischen gekommen waren, wurden wir des Nachts zu je sechs Mann gefesselt. Der Anlaß war ein nichtiger, denn im Schlafe hatte einer angsterfüllt aufgeschrien: "Halt, sie kommen!" Darauf entstand ein ziemlicher Aufstand. Es wurde auf uns eingeschlagen, und wir wurden gefesselt. Zwei Mann, die draußen zum Austreten waren, kehrten nicht wieder. Ich habe sie nicht wieder gesehen, und sie werden wohl getötet worden sein. Die Namen der Betreffenden kann [145] ich nicht angeben. So kamen wir schließlich in die Nähe von Turek auf ein Dorf, dessen Namen ich nicht angeben kann. In der Reihe vor mir ging der alte Baron von Gersdorff, der durch die erlittenen Strapazen schon zu phantasieren anfing. Er wurde von einem mir unbekannten Manne und dem Landwirt Alfred Schulz aus Alt-Boyen geführt. Herr von Gersdorff blieb zurück; die Leute, die ihn abgeführt haben, mußten weg, und wenig später hörte ich einen Schuß knallen. Es standen Zivilpersonen herum. Wir durften aber nicht hingehen. Der Tierarzt Bambauer aus Schmiegel hat den Vorfall mit angesehen und die Einzelheiten berichtet.
Aus einer Lache am Wege durften wir das schmutzige und stinkige Wasser trinken. Wir waren aber so ausgedürstet, daß wir uns gierig daraufstürzten. Auf dem Marktplatz dieses mir unbekannten Dorfes überließ uns die Polizei für eine Stunde der Zivilbevölkerung, die die Gelegenheit nun wahrnahm, um auf uns einzuschlagen und uns mit Steinen zu bewerfen. Ich war selbst Augenzeuge, wie ein Kamerad von uns von einem schweren Stein getroffen tot zusammensank. Quelle: WR II
86. Zahlreiche Leichen verschleppter Volksdeutscher auf dem Wege nach Lowitsch Unter Eid bekundete der Zeuge Max Hofmann aus Schokken, Kr. Wongrowitz, folgendes:
... Ich sah z. B. selbst, wie eine Frau aus der Bromberger Gruppe, die nicht mehr weiterkonnte und bereits geistesgestört war, von einem Wachmann mit dem Kolben totgeschlagen wurde. Auch den etwa 70 Jahre alten Kriegsinvaliden Ernst Kiok aus Jaroschau bei Wongrowitz, der bereits seit längerer Zeit nicht mehr laufen konnte und auf einem Wagen lag, zogen die Begleitmannschaften vom Wagen herunter, warfen ihn in einen Straßengraben und schlugen ihn dort mit dem Kolben tot. Auf unserem Wege nach Lowitsch lagen zahlreiche Leichen von internierten Volksdeutschen links und rechts der Straße und auch auf der Straße selbst, so daß wir fast über diese stolperten. Es war ein unglaublicher Leidensweg, der sich in Richtung Lowitsch bewegte. Auch das an unserem Zuge vorbeiziehende Militär beteiligte sich an den Mißhandlungen und dergleichen. Quelle: WR II
87. Lokomotive zerquetscht zwei mit verschleppten Volksdeutschen besetzte Waggons Unter Eid bekundete der Zeuge Bruno Rauhudt, Landwirt in Kaczanowo, Kr. Wreschen, folgendes: [...] ... So kamen wir schließlich mit vielen Unterbrechungen über Konin nach Klodawa. ... Gegen Abend, es war schon völlig dunkel, ereignete sich folgender Fall: ... Hinter dem Zuge – etwa 100 Meter entfernt – stand eine Lokomotive. Diese wurde nun in Gang gesetzt, so daß sie auf die letzten Wagen auflief. Während der letzte Wagen, in dem ich mich nicht befand, zertrümmert und aus dem Gleise herausgetragen wurde, fuhr die Maschine auf den vorletzten Wagen in der Weise auf, daß die Maschine emporstieg und dann den hinteren Teil des Wagens zusammendrückte. Dabei [146] wurde eine Anzahl Deutscher getötet und schwer bzw. leicht verletzt. Unter den Getöteten befanden sich der Landwirt Pieper aus Guriczki, der Landwirt Mühlheim aus Wilhelmsau, der Landwirt Mikos aus Biechowo, der Landwirt Grawunder aus Sendschau und andere mehr. Ich habe gehört, daß insgesamt 15–20 Deutsche auf diese Weise getötet worden sind. Die Leichen wurden gleich in der Nähe des Bahnhofes Klodawa verscharrt. Wir Überlebenden wurden zusammengetrieben, die Verwundeten wurden auch zu uns gebracht. Wir wurden alle schließlich in einen Wagen zusammengepfercht. Der Zug fuhr weiter. Bei Hellwerden stellten wir fest, daß von den Schwerverletzten inzwischen zwei verstorben waren. Ich möchte ausdrücklich darauf hinweisen, daß die Verwundeten von dem Sanitätspersonal nicht einmal verbunden worden waren. Die beiden Toten wurden gleich neben der Eisenbahnstrecke von Landsleuten von uns verscharrt, die dazu den Befehl von den Polen erhalten hatten. Gegen Abend wurden die Schwerverletzten in einen Kalkwagen verladen. Nachdem die Schwerverletzten in dem Kalkwagen drei Tage zugebracht hatten, gelang es uns endlich, ihre Überführung ins Lazarett zu veranlassen. Wir waren, nachdem die Lage brenzlig geworden war, aus unseren übrigens nun offenen Eisenbahnwagen ausgeladen worden und zu Fuß in ostwärtiger Richtung geführt worden. Der größte Teil unserer Landsleute lief barfuß, so wie sie aus dem Waggon gekommen waren.
Wenn auch bei diesem Auffahren der Lokomotive ein Wachmann getötet und ein anderer verletzt worden ist, so habe ich keinen Zweifel, daß die Lokomotive absichtlich auf unsere beiden Wagen aufgefahren ist, um hier Unheil unter uns Deutschen anzurichten. Dies ergibt sich auch klar aus den bereits vorher erwähnten Drohungen der polnischen Eisenbahnbeamten. Quelle: WR II
88. Der Todesweg nach Kutno Erlebnisbericht des Geschäftsführers Wilhelm Romann aus Wongrowitz Unter Eid bekundete Wilhelm Romann am 22. September 1939 folgendes: Am Freitag, dem 1. September 1939, wurde ich auf Grund eines vom Starosten unterschriebenen roten Zettels gegen 16 Uhr von einem Polizisten und einem Hilfspolizisten festgenommen und zur Polizeistation gebracht. Hier fragte ich den Polizeikommandanten Nowak, was mit mir geschehen sollte. Er konnte mir jedoch keine Auskunft geben. Der Starost von Wongrowitz hieß Zenkteller. Mit den Behörden stand ich in Wongrowitz sehr gut, auch mit den Behördenleitern, trotzdem hatten sie es fertiggebracht, mich auf die Schwarze Liste zu setzen. Von der Polizeistation wurde ich in das Gefängnis eingeliefert und kam mit dem deutschen Lehrer Heuchel in zwei unglaublich schmutzige Zellen. Durch die Wand konnten wir uns verständigen. Um Luft zu bekommen, schlug ich zunächst die Fenster ein. Am nächsten Tage, 2. 9. 39, wurde die Stadt bombardiert. Am Abend des gleichen Tages wurden ich und die inzwischen hinzugekommenen Internierten, insgesamt waren wir 52 Männer, aus den Zellen herausgelassen und unter Polizeibedeckung nach Elsenau im Fußmarsche gebracht. Der Kriegsinvalide Kiok im Alter von 65 Jahren mit einem Holzbein durfte mit einem Wagen fahren. In Elsenau wurden wir in einen [147] Personenzug verfrachtet, nachdem wir jeder vier Zloty hatten bezahlen müssen. Nachtsüber standen wir auf dem Bahnhof im geschlossenen Personenzuge, die Fenster durften nicht geöffnet werden. Während der Nacht hörten wir wiederholt von unseren Begleitmannschaften, daß es am besten sei, uns niederzuschießen. Am nächsten Morgen setzte sich der Zug nach Gnesen in Bewegung. Dort standen wir Sonntag über auf dem Bahnhof und durften den Zug nicht verlassen. Vielfach warf man mit Steinen in die Abteile hinein, auch mit Flaschen, woran sich auch Eisenbahner beteiligten. Sonntag abend fuhr der Zug in Richtung Thorn weiter. Auf dem dortigen Bahnhof wurde unser Zug wiederum mit Steinen, auch von Soldaten und Eisenbahnern, bombardiert. Am meisten hatte man es auf mich abgesehen, ich wurde der dicke Organisator aus Wongrowitz genannt. In Gnesen wurden wir bereits, füge ich noch hinzu, in Viehwagen umgeladen, 52 Personen in einen Wagen. Die Luftklappen wurden vernagelt und die Türen geschlossen. Einmal mußten wir ohne jede Luftzufuhr und ohne Wasser sechs bis sieben Stunden lang aushalten. Zwischen Thorn und Wloclawek blieb unser Zug, der inzwischen etwa 20 Waggons hatte, auf freier Strecke stehen, da offensichtlich die Strecke durch Flieger unterbrochen worden war. Nach 1½ Tagen etwa ging es weiter in Richtung Wloclawek. Dort mußten wir den Zug verlassen, und unsere Gruppe von 52 Mann wurde dreimal durch die Stadt geführt, wobei wiederholt auf uns eingeschlagen wurde. Aubert z. B. wurde mit einer Luftpumpe das Nasenbein zertrümmert. Dem Pastor Rakette wurde von einem Zivilisten mit einem harten Gegenstand in das Gesicht geschlagen, so daß er blutüberströmt war. Der fast irre gewordene Kriegsinvalide Kiok wurde zu Boden geschlagen. Auf der Straße Wloclawek nach Kutno ging ein langer Zug von Internierten. Vor uns ging ein Zug von Internierten aus Argenau, dieser Zug hatte viel mehr Begleitmannschaften als wir, uns waren nur sechs Polizisten beigegeben. Auf dem Marsch nach Kutno erhielten wir durchweg alle schwere Schläge. Auf der Straße selbst sahen wir verschiedentlich Blutspuren, die von mißhandelten oder erschossenen Internierten herrühren mußten, die vor uns die Straße entlanggeführt wurden. In Wloclawek hatte ein Internierter einen Schuß mit der Pistole in die Brust erhalten. Dies erzählte er mir auf dem Wege nach Chodtz, als ich mit ihm eine Zeitlang auf einem Wagen saß, auf dem er bereits lag, als ich etwa einen Kilometer fahren durfte. Nach dieser kurzen Fahrt erhielt ich von einem Polizeiwachtmeister schwere Schläge mit dem Gummiknüppel und wurde mit den Worten vom Wagen gejagt: "Du dicker Hund, kannst auch laufen." Der Wachtmeister selbst setzte sich dann auf den Wagen und befahl mir, mich am Wagen festzuhalten und zu folgen. Bald setzte sich jedoch der Wagen in Trab, und ich mußte nachlaufen. Wenn ich nicht mithielt, bekam ich von einem auf einem Rad folgenden Polizisten Schläge. Ich hatte mich deshalb darum bemüht, mit dem Wagen zu fahren, weil meine Füße völlig durchgelaufen waren und ich mich auch zwischen den Beinen stark durchgelaufen hatte. Bis Chodtz fanden bei unserer Gruppe keine Erschießungen oder sonstige Morde statt. Auf dem Nachtmarsch wurden wir jedoch verschiedentlich schwer mißhandelt. Kiok erhielt einen Ziegelstein an den Kopf geworfen, worauf er zu Boden stürzte und liegenblieb. Von der nächsten Gruppe wurde er jedoch aufgehoben und uns nachgeführt. Gegen ein Uhr nachts kamen wir in Chodtz an und mußten bis zum Morgen draußen [148] liegenbleiben. Am nächsten Tage wurden wir registriert und kamen in eine Halle der dortigen Zuckerfabrik. Hier trafen wir auf eine Gruppe von etwa 30 Internierten aus Hohensalza und auf Bromberger Internierte. Vor dem Abmarsch wurden wir in Gruppen von je tausend Mann eingeteilt. Später erzählte mir der unsere Gruppe führende Armeehauptmann, daß es nicht ganz sechstausend Internierte gewesen seien, die von Chodtz abmarschiert waren. Ich war in der dritten Gruppe. Unterwegs gab es wüste Schießereien auf Flüchtende oder solche, die aus der Marschkolonne heraustaumelten oder liegenblieben. Ich selbst habe bis Kutno nicht mit eigenen Augen gesehen, daß einer von uns erschossen wurde, weil es Nacht war. Wenn jemand liegenblieb, hörten wir jedoch bald einen Schuß fallen, woraus wir schlossen, daß der Betreffende durch den Schuß erledigt worden war. In Kutno trafen wir am nächsten Morgen ein, dort wurde Rast gemacht, und wir erhielten das erstemal eine kärgliche Verpflegung. Auf 16 Mann kam ein Brot. Am Tage, möchte ich noch bemerken, wurden wir von deutschen Fliegern begleitet, die augenscheinlich unser Los verfolgten. Wenn uns polnische Truppen begegneten, schlugen sie auf uns mit Spaten ein, in eine hinter uns gehende Gruppe haben sie auch mit Maschinengewehren geschossen, einmal fielen etwa fünfzig bis sechzig Schuß hintereinander. Vor Kutno lief ein aus der Marschkolonne auf das Feld laufender Internierter neben der Straße stehenden polnischen Truppen in die Hände. Ich sah, wie zwei Soldaten so lange mit Kolben auf ihn einschlugen, bis er tot war. Einem anderen wurde von polnischen Soldaten der Kopf buchstäblich zertreten. Hinter Kutno sah ich einen Internierten tot auf der Straße liegen, der war von polnischen Soldaten mit dem Kolben totgeschlagen worden. Wie ich hörte, sollte er um Wasser gebeten haben, seine Ermordung war die Antwort. Polnische Soldaten riefen unseren Begleitmannschaften wiederholt zu, macht eure Leute doch tot, die werden ja sowieso erschossen. Ich sah fernerhin, wie eine Frau mit einem Kind auf dem Arm von einem Polizisten mit dem Gummiknüppel geschlagen wurde. Später fand ich sie auf der Straße liegend, mit dem Gesicht auf dem Boden. Meines Erachtens war sie tot. Der Marsch von Kutno nach Lowitsch mußte ohne Pause zurückgelegt werden, es waren sechzig bis siebzig Kilometer. Dies war ein besonderer Eilmarsch, da deutsche Truppen sich unserem Zuge näherten. In Lowitsch wurde unsere Gruppe auf einem mit Stacheldraht eingezäunten Platz geführt. Das polnische Militär beschoß diesen Platz mit Maschinengewehren. Ein gewisser Franke aus Deutschfeld bei Schokken erhielt dabei drei Schüsse, bäumte sich noch kurz auf und war tot. Ich ging vorbei und drückte ihm noch die Augen zu. Inzwischen näherten sich unserer Gruppe Soldaten, von denen wir glaubten, daß es Deutsche seien. Zunächst waren es zwei Mann, später zwölf. Als wir völlig gewiß waren, daß es deutsches Militär war, stürzten wir auf sie zu, das polnische Maschinengewehr schoß noch immer auf uns. Nachdem ein deutsches Maschinengewehr das polnische unter Feuer genommen hatte, schwieg es. Nach der Befreiung unserer Gruppe sah ich, wie in Lowitsch zahlreiche Internierte zusammengetragen wurden. Sie wurden auf einen Kraftwagen verladen. Die Gruppe Rogasen hatte es noch schlimmer, als wir es hatten. Hierüber könnte eingehende Auskünfte der Friseur Seehagel aus Rogasen geben, der z. Zt. in Bukowitz, [149] acht Kilometer von Wongrowitz entfernt, wohnt. In diese Gruppe ist von polnischem Militär hineingeschossen worden, als sich deutsche Tanks näherten. Ich habe mich selbst überzeugen können, daß er einen Schulterschuß hatte. Weitere Auskünfte könnte aus dieser Gruppe der Kaufmann Thonn und der Fabrikbesitzer Schütz aus Rogasen geben. Diese sind auch jetzt noch in Rogasen wohnhaft. Wir waren alle, ich möchte das abschließend bemerken, seelisch völlig herunter, so daß wir Selbstmord begehen wollten. Etwa 20 bis 25 Prozent sind meines Erachtens irre geworden, viele kamen jedoch wieder zu sich, insbesondere nach der Befreiung durch deutsche Truppen. Ich habe den früheren Senator Dr. Busse gesehen, dieser war völlig zerschlagen, er liegt noch im Krankenhaus in Lodsch. Die Frau eines Güterverwalters aus der Gegend von Argenau lag im Lowitscher Krankenhaus irre, ich hörte sie kreischen und schreien, ob sie noch lebt, weiß ich nicht. Laut diktiert, genehmigt, unterschrieben
gez. Wilhelm Romann
Quelle: WR II
89. Greise unter den Martern der Verschleppung Erlebnisbericht von Tierarzt Dr. Schulz in Lissa Unter Eid bekundete der Zeuge Tierarzt Dr. Schulz in Lissa folgendes: Am Nachmittag des 1. September wurden die etwa 350 bis 400 festgenommenen Deutschen durch einen Feldwebelleutnant des polnischen Heeres nach Storchnest gebracht. Unter uns befand sich der 82jährige Professor Bonin in Unterhose und Schlafrock. Außer Prof. Bonin waren noch ein 82jähriger Greis, der Schneidermeister Tiller, sowie noch andere 70jährige Männer im Zuge. Auch Frauen befanden sich unter uns. Man hatte sich nicht gescheut, auch kleine Kinder mitzuschleppen. Der Weg bis Storchnest war einigermaßen erträglich, auch der, der sich bis nach Schrimm anschloß. In Storchnest wurden aus unserer Reihe herausgerufen der Fleischermeister Gaumer, Installateur Weigt, Lehrer Jäschke, Installateur Häusler, Spediteur Weigt, Bürstenmacher Senf, die Schneidermeister Tiller (Vater und Sohn), Bildhauer Bissing und Photograph Juretzky, aus deren Häusern in Lissa angeblich geschossen worden sein soll. Es wurden aber wieder freigelassen: Weigt (Spediteur), Tiller (Vater und Sohn) und Senf. Tiller (Vater und Sohn) wurden allerdings in Schrimm gleich wieder ausgesondert. Von dem Rest wurden die Alten, Frauen und Kinder freigelassen, konnten aber nicht nach Lissa zurückkehren und wurden noch nach anderen Gegenden getrieben. Die Ausgesonderten wie Gaumer, Weigt und die anderen wurden in Schrimm vor ein Kriegsgericht gestellt und auf Aussagen von polnischen Bürgern Lissas erschossen. Nur der 72jährige Bissing wurde zu Gefängnis begnadigt. Zur Beleuchtung der Situation möchte ich noch erwähnen, daß "Vertrauensmann" für das Kriegsgericht ein übelbeleumundeter Lissaer namens Ullrich und ein Schneider Trzeczak waren, die über uns Auskünfte zu geben hatten. In Schrimm wurden wir von polnischem Pöbel und polnischem Militär verhauen und mit Steinen beworfen. Man nannte uns "Aufständische", weil wir angeblich in [150] Lissa auf die Soldaten geschossen hätten. Das Wachpersonal deckte uns kaum. Von Schrimm ging es über Santomischel nach Schroda. In Santomischel, durch das wir an einem Sonntag kamen, wurden wir von der polnischen Bevölkerung und polnischem Militär wieder mißhandelt und bespien, so daß wir uns weigerten, Schroda mit der geringen Bedeckung zu betreten, weil wir fürchten mußten, totgeschlagen zu werden. Wir kamen durch die hinzugerufene verstärkte Polizei tatsächlich einigermaßen unangefochten nach Schroda, zumal uns auch der Hilfspolizist Wendzonka aus Lissa mit seinem Bajonett einen Weg bahnte. In der Nacht aber, die wir in Schroda zubrachten, wurden alle paar Minuten Kameraden von uns herausgerufen und draußen von dem Wachtpersonal in geradezu bestialischer Weise mißhandelt. Die Behandlung hörte erst auf, als gegen Mitternacht Deutsche aus Lissa-Land zu uns stießen. Ich möchte noch bemerken, daß man uns in Schroda Wasser aus Benzineimern zu trinken gab. Zu essen gab es nichts, wir waren gezwungen, für unser Geld uns Brot usw. besorgen zu lassen. Von Schroda ging es über Miloslaw nach Peisern (Kongreßpolen). Der Zug von 250 Mann mußte dort in dem viel zu kleinen Spritzenhaus übernachten. In der Nacht hörten wir Schüsse im Raum, es ist aber keiner verletzt worden. Am nächsten Morgen wurden uns die Uhren und sonstigen Wertgegenstände abgenommen. Durch Vermittlung des auch sonst erträglichen Hilfspolizisten Wendzonka kamen wir aber in den Besitz unserer Sachen. Von Peisern führte der Marsch weiter nach Konin und weiter nach Klodawa. Dort verbrachten wir den Nachmittag in einem Gänsegarten, wo wir auch die Nacht zubringen sollten. Wasser erhielten wir dort nur gegen Bezahlung. Da die polnische Bevölkerung uns durch Steinwürfe usw. belästigte, konnten wir durch Bestechung des polnischen Wachtmeisters, der unseren Zug nun führte, erreichen, daß wir die Nacht über nicht in Klodawa blieben und weitermarschieren konnten. Von Klodawa ab marschierten wir Tag und Nacht, da man sich offenbar bemühte, uns aus dem Kessel Kutno herauszubekommen. Auf der Straße Klowada–Kutno zählten wir in den Straßengräben links und rechts erschossene bzw. vor Entkräftung gestorbene 38 Volksdeutsche, die aus einer der vor uns marschierenden Kolonnen stammen mußten. Am Samstag, dem 9. September 1939, erreichten wir endlich die Gegend von Lowitsch. Dieses wurde gerade von deutschen Fliegern mit Bomben und von deutscher Artillerie mit Granaten belegt. Unsere Begleitmannschaft führte uns daher etwa 6 Kilometer in nördlicher Richtung querfeldein. Auf diesem Wege wurden noch zwei durch unsere Begleitmannschaften erschossen, weil einer nicht schnell genug vom Wagen kam, der andere angeblich hatte flüchten wollen. Bei dieser Gelegenheit möchte ich bemerken, daß bei unserem Zuge zwei Leiterwagen mitgeführt wurden, auf die diejenigen steigen sollten, die am meisten ermattet waren. Das Begleitpersonal versuchte dies allerdings durch Kolbenschläge und Schüsse zu verhindern. Wir waren ja alle so ermattet und durchgelaufen, daß wir höchstens noch einen Tag hätten marschieren können. Gelegentlich einer kurzen Mittagsrast in einem Dorf verließ uns das Wachtpersonal zum großen Teil.....
An diesem Dorfe erfolgte unsere Befreiung durch deutsche Panzerwagen. Unsere Freude über die Rettung war unbeschreiblich. Quelle: WR II
[151] 90. Pfarrer Rauhut, Seelsorger der Gnesener deutschen Katholiken, über die Verschleppten von Gnesen Gnesen, am 21. September 1939.
Untersuchungsstelle für
Gegenwärtig: Es erscheint der Pfarrer August Rauhut von Gnesen und erklärte auf Befragen: Zur Person: Ich heiße August Rauhut, geboren am 21. September 1888 in Dambitsch, Krs. Lissa, Seelsorger der deutschen Katholiken zu Gnesen, gewesener Direktor des Deutschen Privatgymnasiums, 2. Verbandsvorsitzender des Verbandes Deutscher Katholiken in Polen, wohnhaft in Gnesen, Poststraße 1a. Zur Sache: Ich zog mit meiner Gruppe von ausgewiesenen Volkstumsdeutschen unter Begleitung von zwei Polizisten auf der Chaussee von Wreschen nach Stralkowo. Unterwegs lagen am Waldsaum entlang polnische Truppen. Als diese uns vorüberziehen sahen, drohten sie hauptsächlich mir als Geistlichen mit Erschießen. Wir erreichten aber trotzdem in Begleitung der beiden Polizeibeamten Stralkowo. Kurz vor Stralkowo besorgten uns die beiden Polizisten drei Mililärlastwagen zur Weiterbeförderung gegen sehr anständige Bezahlung. Wir sollten nämlich nach Kossow in der Woiwodschaft Polesie (Bezirk Pinsk). Nach mehreren Tagen Umherirrens in den Feldern und Wäldern von Stralkowo bis Powitz beschloß unsere Gruppe von 42 Mann, drei Mann nach Powitz zu senden, es war der 7. September 1939. Diese drei Männer sollten die Behörde von Powitz darum bitten, daß wir uns entweder in Powitz niederlassen oder nach Gnesen zurückkehren könnten. Es waren dies:
2. Herr Landwirt Derwanz aus Przybrodzin, Krs. Gnesen, 3. ich selbst, August Rauhut. Wir langten um 11 Uhr in Przybrodzin an und erhielten von der derweiligen Behörde die Erlaubnis, uns in Przybrodzin niederzulassen, und sogar einen Personalausweis. Während diese Formalitäten erledigt wurden, sahen Herr Wiedemeyer und ich, wie unser dritter Begleiter, Herr Derwanz, mit einem meiner früheren Schüler, Lyk, von Militär, wohl zum Erschießen, abgeführt wurden. Wir sahen jedenfalls Herrn Derwanz nachher nicht mehr wieder. Nachher erfuhr ich, daß Herr Derwanz auf dem evangelischen Friedhof in Powitz nackt bestattet sein soll. Herr Derwanz war beim Öffnen verschiedener Gräber von mir bekannten Personen gefunden und wiedererkannt worden. Um ½3 Uhr begaben Herr Wiedemeyer und ich mich mit unserem Personalausweis und mit Erlaubnis der Behörde in den Wald zurück zu unserer Gruppe, etwa 4 km, um sie in die Stadt zu holen. Wir waren kurz vor unserer Gruppe. Da wurden wir von jugendlichen bewaffneten Leuten mit großem Lärm eingeholt und unter Gewalt mit Todesandrohungen jeglicher Art zurückgeholt, indem man erklärte: "Sie müssen zurück, denn ihr Ausweis ist nicht mehr gültig, sie werden erschossen." Dieses Todesurteil wollte man unterwegs mehrfach an uns vollziehen. Wir mußten getrennt gehen [152] und durften nicht mehr sprechen. Herr Wiedemeyer raunte mir nur noch zu: "Wenn Sie mit dem Leben davonkommen, dann grüßen Sie meine Frau und Kinder." Wir erreichten die Stadt, die Öffentlichkeit nahm mehrfach unter Beschimpfungen und Schmähungen, vor allen Dingen meiner Person, eine sehr drohende Haltung gegen uns ein. Wir erreichten das Kommissariat um etwa ½5 Uhr. Während wir auf dem Kommissariat saßen, hörten wir aus dem Munde des Kommissars, eines polnischen Großgrundbesitzers, mehrfach schmerzliche Äußerungen über das Erschießen des Herrn Derwanz. Er verurteilte es sogar. Wir saßen etwa zwei Stunden im Wartezimmer, da wurden von uns noch einmal die Ausweispapiere verlangt. Kurze Zeit darauf erhielten wir sie zurück, und alsbald wurde ich von drei sehr schäbig angezogenen polnischen Soldaten zum Erschießen abgeholt. Unter ihnen befand sich auch ein lahmer bewaffneter Invalide, der sich mir gegenüber in besonderer Weise durch seine Roheit auszeichnete. Herr Wiedemeyer blieb zurück. Als ich im Flur war, hieß es, ich sollte noch einmal das Beratungszimmer betreten. Dort waren eine Reihe Jugendlicher, u. a. auch ein älterer Vorsitzender der sogenannten Erschießungskommission. Er warf mir vor, Bandenführer zu sein, Kurzwellenradio zu besitzen. Als ich dies alles entkräftigte, sagte er mir, daß geistige Beschäftigung mit Kurzwellenradiotechnik ein sehr "schwarzer Punkt" in meinem Leben sei. Ich sah, mein Los war entschieden. Da entsann ich mich, daß meine geistliche Behörde mir für meinen Bischof in Polesie ein Empfehlungsschreiben mitgegeben hatte. Dieses legte ich vor, man stutzte. Indessen trat der Ortsgeistliche in das Verhandlungszimmer ein und erklärte: "Ich habe keine Vollmacht über ihn, überweise ihn aber nach Gnesen an den Dekan Zableki, der an der Spitze des Bürgerkomitees in Gnesen stand." Ich mußte das Verhandlungszimmer verlassen und kehrte in das Wartezimmer zurück. Herr Wiedemeyer war nun nicht mehr dort. Ich wußte, was mit ihm indessen geschehen war, ich ahnte es jedenfalls, daß er inzwischen erschossen worden ist, weil mir das gleiche Los beschieden sein sollte. Nach kurzer Zeit holte mich der Ortspfarrer ab und erklärte mir, er habe die volle Verantwortung für mich übernommen, ich müßte auf der Pfarrei übernachten und würde am nächsten Tage (Freitag, den 8. September 1939) nach Gnesen meiner Behörde überführt werden. Das geschah auch am nächsten Tage. Zu meinem eigenen Schutze als Geistlicher wurde ein zufällig in Powitz weilender Geistlicher mit dem Ortsvorsitzenden des Bürgerkomitees mir beigegeben. Wir erreichten Gnesen, allerdings unter vielen Vorwürfen gegen meine Person unterwegs. Das Bürgerkomitee beschloß, mich im Spital der grauen Schwestern zu meinem Schutze unterzubringen. Das geschah, ich verblieb daselbst bis Montag, den 11. September 1939, ½12 Uhr, nachdem die Wehrmacht eingerückt war. Ich wurde von einem Hauptmann aus meiner Schutzhaft befreit. Ich bemerke, weil mir unterwegs aus Powitz nach Gnesen ständig Vorwürfe gemacht wurden, daß ich in dem oder in den Öfen meiner Wohnung eine Kurzwellenstation besitze, ließ ich von dem Vorsitzenden des Bürgerkomitees in Powitz auf die Haltlosigkeit der Vorwürfe untersuchen. Darauf erklärte er mir: "Ich will Ihnen sagen, daß Herr Wiedemeyer nicht mehr lebt." Er bat mich, Stillschweigen zu bewahren. Am Donnerstag, dem 14. September [153] 1939, wurden auf dem Friedhof in Powitz durch Zivilpersonen, die die Stadt Gnesen entsandt hat, die frischen Gräber aufgegraben, und man fand sowohl Herrn Derwanz als auch Wiedemeyer tot vor. Wiedemeyers Leiche war besonders verstümmelt und zeigte insbesondere blutende Wunden am Halse. Beide Herren sind von polnischem Militär umgebracht worden. Außer diesen beiden Herren sind noch sechs weitere Personen aus der Umgebung von Gnesen dicht bei ihren Höfen von bewaffneten Zivilpersonen bestialisch ermordet worden. Darunter befanden sich Kropf und sein Schwiegersohn Brettschneider. Einem Ermordeten hatten sie den Bauch geöffnet und den Kopf zermalmt. Man sprach von diesen Taten in Gnesen auch unter den Polen direkt mit einem Abscheu. Meines Erachtens sind diese Zivilpersonen behördlicherseits mit Waffen versehen worden. Dieses ist während meiner Abwesenheit von Gnesen geschehen. Über den Zustand der Toten könnte der Totengräber des evangelischen Friedhofes Aussagen machen. Ich komme zur Zeit nur nicht auf den Namen. Der Ausweisungsbefehl wurde mir am 1. September 1939 vom Starost erteilt, und am 3. September 1939 verließ ich Gnesen. Laut diktiert, genehmigt und unterschrieben
gez. August Rauhut
Der Zeuge wurde vereidigt.
Geschlossen: Quelle: WR II
91. Auch ein verwachsener Volksdeutscher wurde nicht geschont Unter Eid bekundete der Zeuge Ewald Tonn, Kaufmann und Gastwirt in Rogasen, Kr. Obornik, folgendes:
Etwa sieben Kilometer vor Gnesen trat der verwachsene Volksgenosse Puder aus der Marschkolonne heraus, da er völlig erschöpft war. Sofort erhielt er Kolbenschläge vor die Brust und blieb zurück. Da ich mich um ihn sorgte, schlängelte ich mich nach hinten an die Marschkolonne und sah ihn auf einem Wagen liegen, wo er bereits mit dem Tode rang und bald darauf starb. Quelle: WR II
92. Mit blutigen Füßen vorwärtsgetrieben Unter Eid bekundete der 70jährige Zeuge Emil Lange, Landwirt in Slonsk, folgendes:
... Mir als 70jährigem Manne ist dieser Marsch1 sehr schwer gefallen, meine Füße waren völlig blutig, die Nägel hat man mir von den Zehen herunterreißen
müssen, und nur mit Unterstützung meines Sohnes und eines Nachbarn von mir war es mir
mög- [154] lich, diesen Marsch überhaupt zu überstehen. Zu übermenschlichen Marschleistungen trieb uns insbesondere die Gewißheit an, daß man uns umbringe, wenn wir liegenbleiben. Mein Sohn erhielt unterwegs von einem polnischen Soldaten einen schweren Kolbenschlag in den Rücken. Die Wucht des Hiebes wurde durch eine Tasche, die er auf dem Rücken trug, gemildert. Quelle: WR II
93. 80jähriger Volksdeutscher von polnischen Polizeibeamten zusammengeschlagen Unter Eid bekundete der Zeuge Szczepan Siedlecki, Kolonialwarenhändler in Michelin, folgendes:
Am ersten Mittwoch im September dieses Jahres sah ich, daß etwa 150 Volksdeutsche von polnischen Polizeibeamten an meinem Laden vorbei in Richtung Kutno abgeführt wurden. Als ein etwa 80 Jahre alter Volksdeutscher nicht mehr weiterkonnte, bekam er von den Polizeibeamten Kolbenstöße, so daß er vollends zusammenbrach. Er wurde an der Straße liegengelassen. Zwei polnische Polizisten sagten noch zu einigen Zivilisten, die in der Nähe standen, daß sie ihn umbringen könnten. Dann sah ich, wie zwei mir unbekannte Männer die Taschen des alten Mannes durchsuchten. Sie schlugen den alten Mann mit einem Stein und stießen ihn mit ihren Füßen.... Quelle: Sd. Is. Bromberg 814/39.
94. Polnischer Offizier-Mordschütze erschießt verschleppte Volksdeutsche Unter Eid bekundete der Zeuge Kurt Seehagel, Friseur in Rogasen, z. Zt in Bukowice (beim polnischen Heere gedient vom 16. 4. 1931 bis 16. 3. 1933 bei der Infanterie), folgendes: Ich wurde mit etwa 20 bis 25 anderen Einwohnern von Rogasen am 1. September 1939 in Rogasen festgenommen und machte mit einer Gruppe von etwa 700 Volksdeutschen den Internierungsmarsch über Kutno, Lowitsch nach Warschau mit. Zwischen Kutno und Lowitsch wurde bei einem Halt unserer Gruppe in einem Stadtpark von unseren Begleitmannschaften, welche polnische Reservisten waren und Feldpolizeidienste taten, sowie von polnischem Militär, welches in der Nähe stand, wahllos in unsere Gruppe hineingeschossen, wodurch nicht nur Männer verwundet, sondern auch getötet wurden. Bevor wir in den Stadtpark hineinzogen, stand am Eingang ein polnischer Offizier der in der Nähe befindlichen polnischen Truppenabteilung und fragte unsere Begleitmannschaften, was mit uns los sei. Als diese erwiderten, daß wir Hitler nach Polen gerufen hätten und Deutsche seien – wörtlich sagten die Begleitmannschaften etwa: "Das sind die Schweine, die Hitler gerufen haben" – zog der polnische Offizier seine Pistole, rief, daß er so einen auch niederknallen müsse, und drückte auf einen vor mir gehenden volksdeutschen Kameraden ab. Durch die Schläfe geschossen, blieb dieser tot liegen. Ich selbst mußte über ihn hinwegsteigen. Hinter mir schoß dieser polnische Offizier nochmals in die Gruppe [155] hinein. Ob er durch diesen Schuß wiederum einen Volksdeutschen ermordet hat, konnte ich nicht feststellen, weil man sich nicht umsehen durfte.
Unterwegs zogen die Begleitmannschaften wahllos Kameraden von mir aus der Kolonne heraus und
brachten sie auf die eine oder andere Weise um, entweder durch Kolbenschläge oder Schüsse. Mich selbst zogen sie zwischen Lowitsch und Warschau, d. h. unsere Begleitmannschaften, auch aus der Gruppe heraus (nachts), blieben mit mir zurück und wollten mich kaltmachen, das waren im ganzen drei Mann der Begleitmannschaften. Einer hielt mich am Arm fest, die beiden anderen schlugen mit Kolben auf mich ein. Es gelang mir, mich loszureißen und zu flüchten. Durch einen hinter mir hergesandten Schuß trug ich einen Schulterdurchschuß davon und stürzte hin. Daraufhin hörte ich noch rufen, der hat genug. Es gelang mir jedoch weiterzulaufen und mich so lange zu verstecken, bis ich deutsche Truppen sah. Als ich mit frischem Hemd von diesen versehen und mich gewaschen hatte sowie von deutschen Sanitätern verbunden wurde, zog ich mit anderen befreiten volksdeutschen Kameraden ein Stück die Marschstraße entlang, die unsere Gruppe vorher gegangen war. Dabei konnte ich zahlreiche Leichen von volksdeutschen Kameraden auf der Straße bemerken. Die meisten waren gräßlich verstümmelt, die Gesichter waren unkenntlich. Meines Erachtens sind sie mit Kolben totgeschlagen worden. Quelle: WR II
95. Von Lissa nach Lowitsch Erlebnisbericht von Landwirt Dr. Schubert Unter Eid bekundete Dr. Albrecht Schubert, Landwirt in Grune bei Lissa, folgendes: Am 2. September 1939 wurde ich in meiner Wohnung ohne Begründung verhaftet und unter ständigen Todesdrohungen verschleppt. In Griewen wurden wir unserer Habseligkeiten durch einen Wachtmeister des 17. polnischen Ulanen-Regiments, das in Lissa stand, gewaltsam beraubt. Einzelnen Gefangenen wurde auch ihr Geld von der Wachmannschaft – reguläres polnisches Militär – gestohlen. Im ganzen wurden wir von Griewen bis Lowitsch (250 km) im wesentlichen ohne Verpflegung und Unterkunft getrieben (zu Fuß). Nur einmal erhielten wir ein halbes Brot je Gefangener, und zwar nur weil ich den Wachtmeister mit 100 Zloty bestochen hatte und ihm täglich aus den Mitteln der Gefangenen gesammelte 30 Zloty gezahlt wurden. Wir haben furchtbar unter Hunger und Durst gelitten. Gefangene, die sich eine Rübe auf dem Felde holten, wurden mit dem Gewehrkolben geschlagen, daß sie zusammenbrachen. Die volksdeutschen Zivilgefangenen bestanden aus Personen im Alter von 14 bis 75 Jahren, darunter auch Frauen. Den Anstrengungen des Marsches war kein Gefangener gewachsen, zumal der Marsch ohne jede Verpflegung und im wesentlichen ohne Unterkunft und in völlig unzureichender Bekleidung ausgeführt werden mußte. Die Leute waren meist nur mit Hemd und Hose bekleidet, teils nur in Holzpantoffeln, teils nur mit einem Schuh bekleidet, als sie verhaftet wurden. Man hatte ihnen nicht Zeit gelassen, sich vollständig anzuziehen. Im allgemeinen wurden Marschkranke, die nicht mehr weiter konnten, durch Erschlagen oder Erschießen beseitigt. Ich habe zwar [156] selbst Erschlagungen oder Erschießungen nicht gesehen, einmal weil dies in der Hauptsache nachts geschah und weil wir uns nicht umsehen durften. Ich habe jedoch sehr oft das Geräusch von schweren Schlägen, Schreie und Schüsse gehört, und die aus dem Gliede gezogenen Gefangenen kehrten nicht zu uns zurück. Ich sah mindestens sechs Tote – Volksdeutsche – an unserer Marschstraße liegen, die von vorausziehenden Truppenteilen erschlagen oder erschossen waren. In Schroda wurden die aus Lissa stammenden Gefangenen durch die Wachmannschaft – Angehörige des 17. polnischen Ulanen-Regiments – in unglaublicher Weise durch Kolbenstöße und Prügel mißhandelt. Der Schneidermeister Schulz wurde viermal hintereinander aus dem Gliede gezogen und so mißhandelt, daß er schwere Kopfverletzungen davontrug. In Peisan, wo wir ausnahmsweise in einem Raume untergebracht worden waren und ohne Stroh auf das engste zusammengepfercht lagen, wurde der Lehrer Semenjuk aus Lissa infolge der erlittenen Mißhandlungen und Strapazen irrsinnig und schrie laut. Dieses veranlaßte den Posten, sofort in unseren Unterkunftsraum zu schießen. Nur durch das besonnene Verhalten der Gefangenen wurde ein Massenmord vermieden. Unsere Wachmannschaft ließ den Pöbel in unsere Unterkunft, der den Gefangenen ihre Habe, Uhren, Ringe und Geld, raubte. Am nächsten Morgen erschien ein Unteroffizier der 17. Ulanen und stahl den Rest der noch im Besitz der Gefangenen verbliebenen Habseligkeiten, insbesondere Geld, Uhren und Ringe. Ich selbst erlitt schwere Mißhandlungen durch Kolbenstöße und bin nur deshalb noch am Leben, weil der auf mich schießende Soldat mich nicht getroffen hat. Die Kugel ging unmittelbar an meinem Kopfe vorbei. Dies alles geschah nur deshalb, weil ich einen zusammengebrochenen Mann von 70 Jahren auf einen Wagen legen wollte. Ich bin der festen Überzeugung – wie alle meine überlebenden Mitgefangenen –, daß auf dem Marsche zahlreiche Volksdeutsche erschlagen und erschossen worden sind. Infolge der nächtlichen Dunkelheit konnten wir nur einen Teil der Erschlagenen und Erschossenen sehen. Auf dem ganzen Marsche sind wir nicht nur von unserer Wachmannschaft, die den 17. Ulanen angehörte, sondern auch von fast allen auf dem Rückmarsche befindlichen polnischen Truppenteilen auf das schwerste mit Gewehrkolbenschlägen und Peitschenhieben mißhandelt worden, denen wir begegneten. Zwischen Kolo und Klodawa beteiligte sich auch ein polnischer Major der Panzertruppe mit wüsten Beschimpfungen und Peitschenhieben an den Mißhandlungen seiner Leute. Auf dem Marsche von Slupa–Lowitsch (150 km) gab es kein Rasten mehr, auch nachts nicht. Wir machten nur kurze Marschpausen, die durch Verstopfungen der Straße bedingt waren. Der Organist Wiener aus Griewen, Träger einer Beinprothese, brach nach 20 Kilometern zusammen, weil seine Prothese zerbrach und er deshalb einfach nicht mehr gehen konnte. Ich habe mit meinem ebenfalls gefangenen Eleven Wiener 15 Kilometer weit getragen, weil ich ihn nicht liegenlassen bzw. erschlagen lassen wollte. Weil ich den Mann trug, bekam ich wiederum schwere Kolbenstöße.
Ein Lissaer, dessen Namen ich noch feststellen werde, mußte mit einem Schuß in die Hoden bis nach Lowitsch marschieren. Sein Hodensack war völlig mit Blut gefüllt. Er hat unsagbare Schmerzen ausgestanden. Quelle: WR II
[157] 96. In Viehwagen und Gewaltmärschen Richtung Lowitsch Erlebnisbericht von Pastor Paul Rakette aus Schokken Unter Eid bekundete der Zeuge Paul Rakette am 9. Oktober 1939: Ich bin seit Januar 1938 als Seelsorger der Gemeinde Schokken tätig. Am 1. September 1939 wurde ich mit etwa 30 Gemeindemitgliedern meiner Gemeinde festgenommen und in das Polizeigefängnis Schokken eingesperrt. Ich wurde in eine Zelle gesperrt, die an sich nur für einen Mann berechnet war, dort sperrte man mit mir für eine Nacht noch 10 andere Volksgenossen ein. Am nächsten Tage ging es mit Wagen nach Wongrowitz, wo wir gleichfalls in das dortige Gefängnis gesperrt wurden. Hier erlebten wir den Bombenangriff deutscher Flugzeuge auf den Bahnhof und andere wichtige Gebäude. Um 20 Uhr nachts wurden wir nach Elsenau zu Fuß in Marsch gesetzt und trafen gegen 23 Uhr auf der dortigen Bahnstation ein. Hier wurden wir in Personenwagen verladen und bis Gnesen gefahren. Auf dem Bahnhof stehend, erlebten wir hier den zweiten deutschen Fliegerangriff, im Laufe dieses Tages, eines Sonntags, jedoch noch mehrere Bombenangriffe. Ich hatte den Eindruck, als ob man den Zug absichtlich dort stehenließ. Glücklicherweise wurde durch diese Bombenangriffe niemand von uns verletzt. Nachdem wir Sonntag über und die Nacht vom Sonntag zum Montag auf dem Bahnhof in Personenwagen gepfercht gestanden hatten, lud man uns in Viehwagen um. Ich kam mit 52 anderen Gemeindemitgliedern und Volksgenossen aus Wongrowitz in einen Viehwagen. Stundenlang ließ man uns in diesen Viehwagen fast ohne jede Luftzufuhr, so daß ein Mann namens Kiok, Kriegsinvalide und Gutsbesitzer aus einer Nachbargemeinde, bereits irre zu werden begann und nur noch wirres Zeug redete. Am Montag früh setzte sich unser Güterzug in Richtung Thorn in Bewegung. Sowohl auf der Fahrt dorthin als in Thorn selbst erlebten wir wiederum Bombenangriffe auf die Eisenbahnstrecke und den Bahnhof Thorn. Wahrscheinlich durch einen Bombentreffer mußte unser Zug auf der Strecke von Thorn nach Wloclawek stundenlang halten, ehe die Strecke wieder repariert war. Da man unseren Wagen zugenagelt hatte und wir sehr schlecht Luft bekamen, die Wachmannschaft hatte sich bei jedem einsetzenden Bombenangriff auf die Felder oder im Walde verkrochen, schlug ich bei dem Halt auf freier Strecke Lärm und setzte es trotz Bedrohung mit heruntergerissenem Karabiner von seiten eines Oberwachtmeisters der staatlichen Polizei durch, daß ich den Wagen verlassen und zwei Eimer Wasser holen konnte. In Thorn und auf der Fahrt nach Wloclawek wurden wir wiederholt, auch von polnischen Eisenbahnern, neben wüsten Beschimpfungen, mit Flaschen und anderen Gegenständen beworfen. Auch Mißhandlungen fanden in zahlreicher Weise statt. Den geistesgestörten Kiok, den ich vorher erwähnte, schlug ein polnischer Polizeibeamter wüst mit dem Gummiknüppel. Eine Flasche zersplitterte in unserem Güterwagen, wodurch die Insassen erheblich demoralisiert wurden. In Wloclawek wurden wir ausgeladen und mußten zunächst scheinbar planlos, doch meines Erachtens absichtlich und gewollt, hin und her durch die Stadt ziehen. Dabei wurden wir mit Steinen beworfen, mit Knüppeln geschlagen usw. Ich erhielt z. B. zwei Schläge mit dem Kolben eines Armeerevolvers in das Gesicht. Durch einen Schlag wurde mir [158] das Nasenbein angebrochen, wie der Arzt später feststellte. Schließlich führte man unsere Gruppe in eine Zuckerfabrik, dem Sammelplatz für alle Interniertengruppen. Zwei Nächte und einen Tag blieben wir dort, teils auf dem Hof, teils in Räumen der Zuckerfabrik. Die Schar der Internierten war inzwischen auf 7000 Männer, Frauen und Kinder angewachsen. Am Donnerstag, dem 7. September 1939, begannen die Gewaltmärsche in Richtung Kutno, Lowitsch. Fast ununterbrochen marschierten wir fast 26 Stunden lang bis kurz hinter Kutno. Hier wurde eine längere Rast auf einer Wiese eingelegt, die sechs Stunden dauerte. Auf diesem Marsche erlebte ich selbst, wie schlapp gewordene Volksgenossen vor Erschöpfung am Wegesrand liegengeblieben und dann auf Geheiß eines polnischen Polizeiwachtmeisters wie räudige Hunde abgeknallt wurden. Bis zur Befreiung durch unsere Truppen ist dieses etwa, nach dem, was ich erlebt und gesehen habe, in 30 Fällen geschehen. Nach dem Halt hinter Kutno ging es 16 Stunden lang in fast ununterbrochenem Marsch bis nach Lowitsch. Zuweilen begegneten wir polnischen Truppenteilen. Sobald wir an ihnen vorübermarschierten, ging ein wüstes Geschimpfe los, nicht selten hörte ich auch hinter mir wüstes Geschieße, und ich gehe nicht fehl in der Annahme, daß dieses Geschieße von der polnischen Soldateska ausging, die in die nachfolgenden Gruppen hineinschoß. Kurz vor Lowitsch kamen wir in einen für die Polen überraschenden Vorstoß deutscher Truppen hinein. Unsere polnischen Begleitmannschaften versuchten uns in eine bestimmte Richtung zu treiben, um uns aus der für sie bestehenden Gefahrenzone herauszubringen. Mit etwa 800 Internierten gelang es ihnen auch. Wir jedoch blieben auf der Stelle, es war eine Wiese, auf der wir lagerten, liegen und warteten das Weitere ab. Polnische Truppen schossen nun in unsere liegenden Gruppen hinein, wodurch noch ein Gemeindemitglied namens Franke aus Revier tödlich getroffen wurde. Schließlich schlug für uns die Stunde der Befreiung, nachdem die deutschen Truppen Gelände gewonnen hatten. Von Lowitsch aus verlud uns die deutsche Wehrmacht auf Kastenwagen nach Lodsch, und von dort ging es mit Lastwagen zur nächsten Bahnstation nach Kempen. Mit der Bahn wurden wir dann über Breslau, Schneidemühl nach Hause gefahren. Ich selbst wählte den Weg über Lissa, weil ich dort zu Hause bin.
Ich möchte nicht unerwähnt lassen, daß auf diesen beiden Gewaltmärschen Leute in ihrer Verzweiflung aus der Marschkolonne herausliefen und dann wie Hasen auf einer Treibjagd abgeschossen wurden. Ein Fall ist mir in besonderer Erinnerung. Ein solcher Volksgenosse war aus der Marschkolonne herausgelaufen und wurde mit Schüssen der Begleitmannschaften in einen Kessel getrieben. In diesem Augenblick kamen von einer Anhöhe herab, ausgeschwärmt, polnische Soldaten. Als sie den betreffenden Volksgenossen erreicht hatten, schossen sie ihn nicht tot, sondern bearbeiteten ihn mit ihren genagelten Stiefeln. Ich konnte nur noch sehen, wie er sich noch einmal aufrichtete, worauf man auf ihn mit Kolben einschlug, bis er tot zusammensackte. Auch mit Bajonetten stach man auf ihn schließlich noch ein. Die Roheiten der polnischen Soldaten und der Polizisten, die ich beobachten konnte, war geradezu bestialisch..... Quelle: WR II
1Es handelt sich um den Marsch von Ciechocinek über Nieschawa nach Wloclawek. ...zurück... |