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Sturm auf Gletschergipfel

Es war im letzten Kriegsjahre. Unsere Bergführerkompagnie wurde an den Stellungen am Monte Corno, Monte Spiel und Monte Testo abgelöst. Wir wissen nicht, wo man uns hinwerfen wird. Nur das ist sicher, daß wir als Bergführerkompagnie in unseren herrlichen Bergen bleiben werden.

Bald wird das Raten um unser Ziel gelöst:

Ortlergruppe! Wir sind dazu ausersehen, die höchste Stellung des Weltkrieges zu beziehen. Dreitausender sind wir gewöhnt, nun aber geht es noch an die Tausend höher in die herrliche Eiswelt. Der Ortler mit seinem ewig schneebedeckten Haupte grüßt uns schon von der Ferne. Stolz und königlich neben ihm einer der schönsten Berge der Alpen: die Königsspitze. Auf ihrem Scheitel im ewigen Eis, dürfen wir nun, getreu unserer Tradition, Heimat und Vaterland verteidigen. Eine natürliche Festung, gleicht sie einem eisernen Ring, durch welchen kein Tor, kein Eingang führt.

Die Punta San Matteo.
[zwischen S. 136 u. 137]      [Vergrößern: Abbildung ist beschriftet!]
Abb. 92: Die Punta San Matteo, 3684 m (Ortlergruppe), gesehen von den österreichischen Stellungen auf dem Monte Vioz, 3650 m. Die Erstürmung der Punta San Matteo durch die Italiener und ihre Wiedereroberung durch österreichische Hochgebirgskompagnien waren die höchsten Kämpfe des Weltkrieges.

Ein schöner Frühlingstag ist angebrochen. Wir erreichen nach mehrtägiger Reise Sulden, das reizende Bergdörflein am Fuße dieser Bergriesen. Die Bewohner dieser kargen Bergtäler, die sich recht und schlecht durchs Leben schlagen, durften in ihrer Heimat bleiben, trotzdem ringsum auf den Gipfeln ihrer Berge die Front verläuft.

Zwei schöne Tage schenkt uns der Himmel und das Kommando noch in diesem Tale. Warme Frühlingssonne liegt auf den Eisflanken der Riesen, die gigantisch in den Himmel ragen.

Ferner Geschützdonner zittert durch die Luft und begleitet unseren Aufstieg in die Stellung. Das Knattern der Maschinengewehre, der Knall der Gewehre und die kalte Luft der Gletscher kommen näher.

Wieviele Menschenherzen mag der Zauber dieser herrlichsten Bergwelt schon erfreut haben. Wie viel Glück und Seligkeit mag sie schon gespendet haben! Und nun tobt auch um diese Bergflanken der Krieg mit seinen Opfern und Bitternissen, mit Leid und Freud!

Auf schmalem Bergpfad steigen wir in die Höhe. Nach zweistündigem Marsch ist die Schaubachhütte erreicht. Von hier aus steht uns ein vielstündiger Gletschermarsch bevor. Dann muß die steile Eisrinne zum Königsjoch, 3295 m, durchstiegen werden und erst der steile Felsgrat aus dem Joch bringt uns an unser Ziel, auf die 3860 m hohe Königsspitze (Abb. 25 u. 31).

Nach kurzer Rast bei der Hütte setzen wir den Fuß auf Eis. In mühsamer Arbeit [75] durchsteigen wir den wildzerklüfteten Gletscherbruch. Eine Spalte löst die andere ab, kreuz und quer durchziehen sie den Gletscher, ringsum nichts als Spalten und Gletscher. Jeden Schritt umlauern gähnende Tiefen. Jeder Schritt kann uns Verderben bringen. Unter morschen Eisbrücken glänzt dunkel auf dem Grund das Wasser des Gletschers. Der Gedanke drängt sich auf, daß vielleicht schon der Gletscher Arbeit für den Feind machen wird.

Der Gedanke an die Kameraden, die der Ablösung harren, zwingt uns stetig weiter. Die Hitze wird immer drückender. Die Zunge klebt. Das Verlangen nach einem Tropfen Wasser wird immer stärker, aber die Feldflaschen sind leer. Eisbrocken kühlen die Zunge und verstärken bald den Durst noch mehr. Schritt für Schritt kämpfen wir uns vorwärts, jeder Meter Höhenunterschied zeigt an den keuchenden Lungen, daß die Luft immer dünner wird. Schwer drückt die Last unserer Alpenausrüstung für mehrere Wochen auf dem Rücken.

Aus dem sanft ansteigenden Gletscher setzt mit einer 5 m breiten Randspalte der mit glattem Eis bedeckte Steilhang zum Königsjoch an. Eine Strickleiter hilft uns, die Randspalte zu überwinden. Aber der Eishang birgt noch mehr Gefahren. Die kleinste Unvorsichtigkeit, ein schlechter Tritt kann uns eine sausende Abfahrt in die Randspalte bringen. Die letzten hundert Meter erfordern übermäßige, körperliche Anstrengung. Mit keuchenden Lungen und wildpochenden Herzen betreten wir das Königsjoch. Dort singen die ersten Kugeln durch die Luft. Wir haben die vorderste Schützenstellung erreicht. Vom Joch führt der Aufstieg längs des Grates auf die Königsspitze. Der erste Teil des Weges geht über Felsen, die aus dem mächtigen Eisfelde hervorragen, ein schmales Felsband in 300 m schwindelnder Höhe muß überquert werden. Die Kletterei beginnt, doch bringt sie unseren Leuten keine großen Schwierigkeiten, die Schulung und Gewöhnung hat sie zu guten Alpinisten gemacht.

Ein mächtiges Poltern schreckt alles auf. Schrecken, Schauer und Starrheit überfällt uns. Ein Mann ist kopfüber in die Tiefe gestürzt. In lähmendem Entsetzen starren die Augen der ganzen Kompagnie dem wirbelnden Körper nach, der auf den Felsvorsprüngen aufschlägt und zehn Kirchturmtiefen unten mit zerbrochenen Gliedern auf dem Gletscher liegen bleibt. Armer Kamerad!

Unsicheren Trittes bewältigen wir das letzte Stück des Gletschers. Wir treten auf die steilen Gipfelfirne aus. Schritt für Schritt, Tritt für Tritt wird der Berg genommen. Nach jedem Schritt ein Atemzug aus tiefster Brust, ein Schnappen nach Luft. Wir sind 100 m unter der Spitze. Rechts von uns eine viele Hunderte von Metern fast senkrecht aufgestellte Eiswand. Der Weg vor uns ist in feindlicher Sicht. Wir kriechen in einen Eisstollen, der uns tief in das Innere des Berges hineinführt.

Stockfinstere Nacht ist um uns. Auf allen Vieren kriechen wir vorwärts mit dem Gefühl, sich dem Tod langsam in die Arme zu schieben. Eine halbe Stunde mag vorbei sein, da bringt uns eine Eisgrotte wieder hellen Tag. Ein herrliches Bild! Das Eis selbst [76] hat sich diesen glitzernden Tempel geschaffen. Es ist so schön darin, daß wir für einen Augenblick Krieg, Elend und Not vergessen.

Endlich ist der stolze Gipfel erreicht, wir stehen auf der Königsspitze. Die Besatzung begrüßt uns stürmisch. Sie freuen sich wie Kinder, daß sie für einige Zeit in das kleine Dörfchen hinunter dürfen.

Der aufreibende Dienst, der stete Kampf gegen die Unbilden der Witterung in 3800 m hat ihren Körper zermürbt, sie bedürfen wahrhaftig einer gründlichen Erholung.

Bald sind wir von der Nacht umhüllt. Wir beziehen die Feldwachen, die mühsam dem Sturm auf eisiger Höhe abgerungen wurden. Einige Sandsäcke, welche zu einer kleinen Mauer aufgetürmt sind, bieten Schutz vor der feindlichen Einwirkung. Diese Feldwachen an der Viertausendergrenze sind wundervolle Aussichtswarten. Ein Meer von Gipfeln liegt unter und um uns. Auf viele Kilometer übersehen wir den Verlauf der Frontlinien, über Spitzen und Pässe und Täler. Vereinzelt irrlichtert das Aufblitzen von Geschützen und Gewehren an ihr entlang.

Hochgebirgsfeldwache in Winterausrüstung.
[zwischen S. 128 u. 129]      Abb. 82: Hochgebirgsfeldwache in Winterausrüstung.

Schwere Wolken treiben über dem Horizont herein, und ein eisiger Sturmwind fegt mit ungeheurer Wucht über die Spitze hinweg. Es ist der Auftakt zu einem Hochgebirgsgewitter. Das mächtige Heulen des Sturmes klingt ununterbrochen in unseren Ohren. An der Front herrscht Ruhe. Kein Schuß stört das Treiben der entfesselten Elemente. Über unseren Köpfen zucken ununterbrochen Blitze und tauchen die Spitze in ein Flammenmeer, der Donner rollt und kracht in furchtbarer Stärke. Auf den Gewehrläufen leuchten flammende Lichtbüschel auf. Alle metallenen Gegenstände werfen wir in weitem Bogen fort. Bang horchen wir auf diese Kanonade des Himmels, die alle schweren Kaliber des Feindes übertrifft.

Die Posten stehen auf ihren Feldwachen und sehen mit Sorge den kommenden Ereignissen entgegen. Ihre Gewehre liegen unter dem Schnee vergraben, ebenso die Handgranaten, die Nahkampfmittel. Sie brauchen keine Waffen in diesem Sturm, ein Herannahen des Feindes, ein Angriff, ein Handstreich sind ausgeschlossen. Der Sturm, der immer mächtiger wird und zum Orkan anwächst, würde jeden in die Tiefe schleudern, der sich auf freier Fläche bewegt und ihm Angriffsfläche bietet.

Plötzlich schlägt der Blitz in einen Postenstand. In weitem Bogen fliegt der brave Soldat durch die Luft und bleibt 20 m von der Feldwache entfernt liegen. Seine Schafpelzkleidung und der weiche Schnee schützten seinen Körper vor einem schweren Aufprall. Er muß hart auf den Schnee gepreßt liegenbleiben, kann sich nicht rühren, seine Körperkraft reicht nicht aus, um dem Orkan zu trotzen. Er gräbt sich ein faustgroßes Loch in den Schnee und preßt das Gesicht hinein, um atmen zu können.

Ein zweiter Schlag läßt unseren Unterstand in der Eishöhle in allen Fugen krachen und erbeben. Die Telefonleitung steht noch unter Strom. Soldaten und Offiziere flüchten aus der Baracke. Aber es ist unmöglich, die Eishöhle zu verlassen, in der sie steht. Unfehlbar würde der Orkan jeden wie einen Ball auf den Gletscher hinunterwerfen.

[77] Die unterirdischen Gänge, die kreuz und quer durch das mächtige Haupt des Bergriesen führen, nehmen uns alle auf. Wir glauben uns nun geschützt und sicher vor dem tobenden Element. Eisigkalt durchströmt die Kälte unsere Glieder. Neben uns führt die elektrische Alarmleitung zu den Postenständen vorbei. Auch diese steht noch unter Strom. Einige Leute halten sich daran fest und werden wie ein Spielball im Eisgang hin- und hergeworfen. Des Himmels furchtbarste Waffe ist diese allmächtige Energie. Mit gelähmten Gliedern, unfähig sich zu rühren, liegt eine Anzahl der Leute im Eisstollen.

Endlich bricht der Tag an, mit seinem Kommen endet auch Sturm, Blitz und Donner.

Ein Teil der Mannschaft muß abgelöst werden, Reserven werden eingesetzt. In schwindelnder Höhe werden die vom Blitz Getroffenen mit der kleinen Seilbahn mit Handaufzug von Station zu Station zu Tal befördert.—

Die kommenden Tage bringen uns wieder herrlichen Sonnenschein. Die Natur hat sich ausgetobt, weit und breit bis zum Horizont kein Wölkchen am Himmel. Es sind herrliche Stunden des köstlichsten Genusses für uns alle. Wir stehen inmitten der prächtigsten Riesen dieser Bergwelt und über allen anderen. Nur der König Ortler, 3905 m, der höchste Berg der Ostalpen, überragt unsere Königsspitze um ein gutes Stück.

Unsere beschauliche Ruhe wird aber bald gestört. Ein Befehl des Abschnittskommandos stellt uns vor die Aufgabe, den Feind von einem sehr wichtigen Punkt zu vertreiben. In lakonischer Kürze wird befohlen: In der Nacht vom x hat ein Teil der Spitzenbesatzung den Suldengrat zu stürmen und dort eine Feldwache aufzustellen. Eine ungemein schwierige Aufgabe steht uns bevor. Der Suldengrat zieht von der Königsspitze zum 3438 m hohen Suldenjoch hinunter. Die Feldwachen des Suldengrats bilden eine wichtige Stellung für den Feind, weil er von ihnen aus fast das ganze Tal überblicken und bis in die Suppentöpfe von Sulden schauen kann. Für uns gerade keine angenehme Sache. Von der feindlichen Seite bietet der Grat weniger Schwierigkeiten, wir können aber nur über den Gipfel der Königsspitze auf ihn hinunter gelangen.

Der Kampf mit dem Feind macht uns keine Sorgen, mehr jedoch, wie wir an ihn herankommen, ohne bemerkt zu werden. Die Bezwingung des Teiles des Eisgrates zwischen unserer Feldwache und der des Feindes ist auch für alpintechnisch vollkommen ausgebildetes Militär eine Musterleistung. Der Angriff muß über einen Eisgrat vorgetragen werden, von dem seitlich viele Hunderte von Metern Eisflanken auf die Gletscher hinabschießen und der mit unheimlicher Steilheit gegen die feindliche Feldwache abfällt. Die Schwierigkeiten werden noch durch die eine 20 m hohe, felsige Abbruchstelle erhöht, die nur so bezwungen werden kann, daß man sich frei am Seil hinabläßt. Die Bezwingung dieser alpin sehr schwierigen Stelle liegt im Bereich der Möglichkeit, stellt uns aber in der Nacht, unter dem Feuer der Maschinengewehre und Infanterie, vor eine kaum zu lösende Aufgabe.

Die Vorbereitungen zum Angriff sind getroffen. Schon durch mehrere Wochen vorher ist an einem Eisstollen, der in die Richtung der feindlichen Feldwache führt, fieberhaft gearbeitet worden.

Patrouille in Winterausrüstung im Vorfeld eines Bergforts.
[zwischen S. 120 u. 121]    Abb. 80: Patrouille in Winterausrüstung im Vorfeld eines Bergforts.

[78] Es ist 9 Uhr abends. Draußen ist stockfinstere Nacht und eine schwarzgraue Nebelkappe legt sich schützend um das Haupt der Bergriesen. Drei Sturmpatrouillen, unter der Führung junger Offiziere, stehen für den Angriff bereit.

Die Soldaten verschwinden geräuschlos in der Tiefe des Eisstollens. An seinem Ende wird die Decke ins Freie durchgeschlagen. Die Stürmer klettern durch das Loch auf den Eisgrat hinaus. Sie liegen jetzt ungefähr 30 m vor dem Feind. In diesem Augenblick setzt von unseren Geschützen auf dem Ortler herüber ein mörderisches Artilleriefeuer auf die feindlichen Feldwachen ein. Die Artillerievorbereitung für den Angriff hat begonnen. Unsere Ortlergeschütze konnten sich jedoch auf diesen Punkt nicht einschießen. Die Geschosse fliegen knapp um die eigenen Sturmpatrouillen und bringen sie in größte Gefahr. Endlich hat unsere Artillerie den Zielpunkt verlegt.

Nun setzt auch die Tätigkeit des Feindes ein. Scheinwerfer leuchten auf den Gipfeln auf und suchen über Fels und Eis. Die Sturmpatrouillen liegen unbeweglich draußen auf dem Eisgrat, eingehüllt in ihre weißen Mäntel. Die Lichtkegel der Scheinwerfer irren zuckend umher. Plötzlich stoppt einer: Die Patrouillen sind entdeckt. Mit seinem grellweißen Licht nagelt er sie gleich Schemen auf den Grat fest.

Ein Höllenlärm beginnt. Die ganze Front des Feindes konzentriert das Feuer auf diesen einzigen Punkt. Die Granaten der feindlichen Artillerie durchwühlen den Gletscher, Eisbrocken in mächtiger Größe fliegen in der Luft herum. Die Kugeln der Maschinengewehre und der Infanterie klatschen in den Schnee und gellen von den Felsen. Einige Stunden trommelt das Feuer auf die Patrouillen und unsere Stellungen und zermürbt unsere Nerven. Die Sturmpatrouillen liegen noch immer draußen auf dem Eisgrat, vor ihnen die gähnende Felswand. Sie vermögen sich mit den Steigeisen an den Füßen kaum zu halten. Jede leichte Verletzung bedeutet sicheren Tod. Sie fliegen dann hinunter, Hunderte von Metern als tote Stürmer, dem Feind in die Arme.

Das Feuer legt sich etwas. Langsam schieben sich unsere Sturmpatrouillen bis an den Rand der Felswand vor. Rasch werden die Seilsicherungen angelegt und der erste Stürmer gleitet am Seil sicher und schnell über die Wand hinunter. Ein Aufleuchten einer feindlichen Rakete macht ihn für einen Moment sichtbar, der Feind hat ihn entdeckt. Handgranaten fliegen ihm entgegen. Gewehre krachen aus kurzer Entfernung. Es ist umsonst. In sichernder Eile hissen die anderen den Mann wieder über die Felswand hinauf.

Der Angriff ist vorbei und mißglückt. Am frühen Morgen ziehen sich die Sturmpatrouillen in den Eisstollen zurück.

Unruhige Tage folgen. Der Feind fühlt sich nun auch in diesen höchsten Nestern immer mehr bedroht. Unser Angriff hat ihn in verstärkte Wachsamkeit versetzt.

Bald kommt auch unsere Ablösung. Wir sind müde, unser Geist ist abgestumpft. Freudig ziehen wir wieder in das kleine Sulden ein, sehen Menschen und Tiere und das wunderbare Grün der Wiesen und Wälder, das unseren Augen wie eine Erlösung dünkt, nach dem ewigen Weiß der Gletscher und Firne.






Front in Fels und Eis
Der Weltkrieg im Hochgebirge

Gunther Langes