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Castelletto
Aus dem Italienischen.

Die Kämpfe im Jahre 1915

Die Dolomitenstraße, dieses prächtige Band, das hart an der früheren italienischen Grenze entlang und durch einige Talschlüsse zieht, die zu den herrlichsten der Alpen zählen, verbindet Toblach und Cortina d'Ampezzo mit Bozen und berührt in mehr als der Hälfte ihres Verlaufes Örtlichkeiten, die dem Andenken heilig sind.

Der Wanderer, der die Dolomitenstraße von Toblach bis zum Pordoijoch benützt, begegnet auf Schritt und Tritt Namen, die heute schon der Geschichte angehören: Monte Piano, das Massiv des Cristallo, Son Pauses, die Tofanen, Castelletto, der Kleine Lagazuoi, Sasso di Stria, Col di Lana... Jeder von diesen Bergen hat blutige Kämpfe gekostet, die Monate dauerten, hat von einer und der anderen Seite unzählige Akte des Heldentums und der Aufopferung gesehen und die Entwicklung dieser Kämpfe nach und nach zu einem erbitterten Belagerungskrieg. An wenigen Orten der italienisch-österreichischen Front und, es kann ohne Übertreibung gesagt werden, an wenigen Orten der fast unbegrenzten Front des Weltkrieges war der Minenkrieg heftiger und charakteristischer: Der Col di Lana, der Monte Sief, der Kleine Lagazuoi und der Castelletto sahen die ungeheuersten Minen des Krieges. Heute noch sind die eindrucksvollen Spuren dieses fürchterlichen Krieges im Innern der Berge deutlich zu sehen.

Die gesprengte Punta bei Bois-Castelletto.
[zwischen S. 88 u. 89]
[Vergrößern: Abbildung ist beschriftet!]
Abb. 54: Die gesprengte Punta bei Bois-Castelletto, 2657 m, von der Dolomitenstraße. Vgl. Abb. 50.
Früher hieß der 2657 m hohe Castelletto "Punta dei Bois". Seit dem Krieg wurde der italienische Name "Castelletto" auch in den neueren Führern der Dolomiten offiziell aufgenommen (Abb. 47, 49, 50 u. 54). Wer von Cortina zum Falzaregopaß kommt, steigt fast bis zum Ende durch das kleine Tal des Costeanabaches. Zu seiner Rechten entwickelt sich die phantastische Szenerie des Tofanastockes. 1½ km vor den Kehren, die zum Passe hinaufführen, erscheint unvermittelt und die Straße beherrschend eine natürliche Felsbastion, die von der Tofana di Roces oder I, 3225 m, durch eine schmale Felsschlucht geschieden wird, gekrönt von der Forcella di Roces, der Scharte zwischen Castelletto und Tofana I. Drei gigantische Zinnen schmücken den Gipfelgrat und lotrecht stürzen die Wände zur Forcella dei Bois, 2330 m, ab (Abb. 49 u. 54). Jenseits der Forcella dei Bois erhebt sich der Col dei Bois, 2559 m. Nördlich der Scharte beginnt das Val Travenanzes, eine großartige und unheimliche Schlucht, die der Phantasie eines [80] Dante würdig wäre und von den phantastischen Gipfeln des Großen Lagazuoi und der Fanesspitzen begleitet wird.

Wer die Felsbastion des Castelletto sieht, die neben der Tofana I und dem Col dei Bois fast etwas unscheinbar wirkt, will nicht glauben, daß die Italiener diese beiden letzten Berge eroberten und hielten, ohne sich in den Besitz dieser Felsbastion zu ihren Füßen setzen zu können. Und daß diese Felsbastion durch Monate und Monate eine große Belästigung unserer Verbindungswege zwischen Cortina und dem Falzaregopaß sein und uns immer wieder kleinere Verluste zufügen konnte. Aber wenn man näher hinkommt, sieht man, welche Schwierigkeiten sich demjenigen entgegenstellten, der diesen Berg angreifen wollte. Vom Gipfel der Tofana fällt die Wand mit angsterregenden Überhängen und so steil ab, daß ihre Durchkletterung unmöglich erscheint. Stirnwärts steigen die Mauern des Castelletto senkrecht in die Höhe, und verlieren sich wild zerrissen gegen den Gipfel. Es bleibt kein anderer Weg, als die erwähnte, sehr schmale Steilschlucht, welche den Castelletto von der Tofana I teilt. Man versteht, daß das einzige Mittel, um den Castelletto den Österreichern zu entreißen, die Eroberung der Forcella dei Bois sein konnte, um so in seinen Rücken zu gelangen. Aber diese ebenfalls sehr schmale Scharte war ein Tor mit zwei festen Säulen: Der Castelletto und der Col dei Bois, der ebenfalls mit senkrechten Wänden über der Dolomitenstraße aufstrebt. Die Scharte selbst war eine Geröllhalde, die so kunstvoll mit Felsblöcken gespickt war, daß sie dem Verteidiger überall Schutz bot und die gerade auf dem höchsten Punkt nackt und frei war. Dann folgte etwa 100 m lang eine kahle Fläche, an die beim Beginn des Val Travenanzes eine

Maschinengewehrnest in den Felsen.
[zwischen S. 64 u. 65]      Abb. 42: Maschinengewehrnest in den Felsen.
neue Geröllhalde stieß, die bis zum Castelletto hinaufreichte und in seiner Nähe einen sehr großen Felsblock aufwies, den "Sasso Misterioso" (Der "Geheimnisvolle Fels"), von den Österreichern "Gespaltener Fels" genannt. Auch nachdem die Österreicher die erste Geröllhalde verloren hatten, konnten sie sich hinter der zweiten decken und die kahle Fläche vor dieser wurde in schrecklicher Weise flankierend von den Maschinengewehren vom Fuße des Castelletto her bestrichen. So war auch die Forcella dei Bois eine natürliche Barrikade, auf der sich die Verteidiger gegenseitig sehr unterstützen konnten und wo nur wenige Scharfschützen und einige Maschinengewehre jeder feindlichen Macht standhalten konnten.

In den ersten Tagen des Kriegsausbruches zog sich der Feind, der nur über sehr geringe Kräfte verfügte, auf seine Hauptverteidigungslinie zurück, dabei die Verbindung zwischen den Abschnitten Sasso di Stria – Valparola und Son Pauses – Landro herstellend. Auf der vorgeschobenen Linie Col dei Bois – Tofanen blieben nur wenige Scharfschützenpatrouillen zurück. Aber gar bald erhielten die österreichischen Truppen Verstärkungen durch das ausgezeichnete deutsche Alpenkorps und die vorgeschobene Linie Col dei Bois – Tofana I mit dem Castelletto wurde wieder besetzt.

Italienische Straßenmaskierung in San Martino di Castrozza.
[zwischen S. 112 u. 113]      Abb. 72: Italienische Straßenmaskierung in San Martino di Castrozza (Dolomiten). Im Hintergrunde der Colbricon, 2603 m, der hart umkämpft war und mehrmals gesprengt wurde.
Die Tofana di Mezzo oder II, 3243 m, und Tofana di Fuori oder III, 3237 m, (Abb. 46 u. 47), trafen wir unbesetzt an und so blieben diese beiden Berggipfel in unse- [81] rem Besitz. Das Vorrücken unserer Truppen, das an diesen Frontabschnitten sehr vorsichtig geschah (Cortina d'Ampezzo wurde am 5. Juni besetzt), stieß nunmehr auf große Hindernisse: Außerordentlich starke, natürliche Stellungen mit großer Flankenwirkung, die durch künstliche Bauten und dichte Hindernislinien, zahlreiche Maschinengewehre, eine vielstückige, sehr bewegliche und gut postierte Artillerie verstärkt waren. Hiezu kam die eingehende Geländekenntnis des Feindes.

Uns fehlte vor allem die Artillerie. Die wenigen schweren Haubitzbatterien der 4. Armee hatten im ersten Monat nur eine Zuteilung von 15 Schuß täglich. Außerdem besaß die Armee, die in diesem denkbar unwegsamen und ungangbaren Gelände vorrücken mußte, fast keine alpinen Truppen. Unsere Infanterie mußte ohne geeignete Ausrüstung, ohne Kenntnis des Geländes, verstärkt durch nur wenige Maschinengewehre und Minenwerfer, angreifen. Sogar an Drahtscheren und Sprengpatronen, um die Drahthindernisse wegzuräumen, war Mangel. Diese Umstände machten die zahlenmäßige Überlegenheit unserer Infanterie, die das Zwei- und Dreifache gegenüber dem Feind betrug, hinfällig.

Alte Haubitze in Stellung bei Kriegsbeginn.
[zwischen S. 96 u. 97]      Abb. 60: Alte Haubitze in Stellung bei Kriegsbeginn.
Im Hintergrunde die Dreischusterspitze, 3152 m, in den Sextener Dolomiten.

Trotz alledem griff Mitte Juni die Brigade Reggio das Valparolajoch, die Forcella dei Bois und die Fontana Negra-Scharte an. Der Angriff wurde auf der ganzen Linie blutig zurückgeschlagen. Damals röteten sich die schrecklichen Felsen des Castelletto zum ersten Male mit dem edlen Blute der Soldaten aus Sardinien. Eine Gruppe Verwegener versuchte am hellichten Tage durch die steile und enge Schlucht zwischen Castelletto und Tofana I zur Forcella di Roces aufzusteigen. Noch bevor sie die Scharte erreicht hatten, wurden sie von einer Steinlawine, die vom Feind abgelassen worden war, erfaßt und in die Tiefe geschleudert. Erst am Fuße der Schlucht blieben die Leichen liegen. Auch der Angriff gegen die Forcella dei Bois hatte keinen besseren Erfolg, unter größten Mühseligkeiten und mit schweren Verlusten besetzte die Infanterie die erste Geröllhalde. Als sie aber über die kahle Fläche gegen die zweite Geröllhalde vorging, um fächerförmig die beiden Stellungen zu umgehen, wurde sie von allen Seiten vom Maschinengewehr- und gut sitzendem Gewehrfeuer empfangen. Das Geröll war mit Toten und Verwundeten bedeckt, es war unmöglich, diesem hinterlistigen und mörderischen Feuer standzuhalten. Wer sich retten konnte, zog sich hinter die Felsblöcke der ersten Geröllhalde zurück. Auch die folgenden Angriffe der Brigade hatten trotz der Aufopferung und des Heldentums der Soldaten und der Offiziere keinen glücklicheren Ausgang. Ende des Monats wurde die Brigade, erschöpft und dezimiert, zur Abriegelung des Costeanatales und der Dolomitenstraße zurückgezogen.

Am 7. Juli wurden die Angriffe wieder aufgenommen. Das Alpinibataillon Belluno erreichte nach viertägigem, heißem Kampf die Forcella dei Bois und konnte mit einem überraschenden Handstreich den Col dei Bois besetzen. Dieses Unternehmen gelang so glatt, weil die Angriffstruppe eine sehr schwierige Schlucht durchkletterte, welche vom Feinde nicht eingesehen war.

[82] Nunmehr stockten die Angriffe auf den erreichten Stellungen, ein weiteres Vortragen der Offensive war unmöglich. Links drohte die Cima Falzarego, 2509 m, in der Flanke, zur Rechten stand der unangreifbare Castelletto, die offene Fläche nach der Forcella dei Bois wurde unausgesetzt von den Maschinengewehren bestrichen, die verhängnisvolle Geröllhalde bedeckte sich neuerdings mit Leichen. Die Unterstützung durch die Gebirgsartillerie war ungenügend, umsonst bemühten sich die Maschinengewehre des Bataillons, aus ungünstigen und vom Feind beherrschten Stellungen heraus das gegnerische Feuer niederzuhalten. Der Angriff blieb in diesem Abschnitt auf halbem Wege stecken. Weiter östlich, auf der Forcella Fontana Negra gelang es der Infanterie, mit schweren Opfern einige Felsen unweit der Schartenhöhe zu besetzen und sich dort zu halten. Der einzige greifbare Erfolg war somit die Eroberung des Col dei Bois und der Forcella dei Bois.

Aber der Castelletto war noch im Besitze des Feindes, eine unheimliche, rätselhafte, lästige Festung, eine großartige und starre Sphinx. Sein Name begann im Munde der Soldaten dumpf zu klingen.

Der eiserne General Cantore der Alpini gab sich jedoch nicht besiegt, und wollte den Versuch in einem anderen Abschnitt wiederholen. Sein Gedanke war, die Forcella Fontana Negra zu erstürmen, um durch diesen Durchbruch der feindlichen Verteidigung im Val Travenanzes in den Rücken fallen zu können.

Am 20. Juli, als der heldenhafte General in der vordersten Linie, welcher der Feind nur auf Steinwurfweite entfernt war, die Angriffsmöglichkeiten erkunden wollte, fiel er, von einer Gewehrkugel mitten in die Stirne getroffen. Nach zweitägigem, hartnäckigem Kampfe rächten die Alpini den Tod ihres Generals durch die Eroberung der feindlichen Stellungen, welche von einer Kompagnie preußischer Jäger erbittert verteidigt worden war. Noch über diese Stellungen hinaus drangen die Alpini gegen die Tofana I vor und besetzten den Felsturm der Punta Marietta, 2873 m. Aber der Tod des kühnen Generals wurde fühlbar, die Angriffe verloren ihre einheitliche Planmäßigkeit, es gelang nicht, die vereinzelten Anstrengungen zu sammeln und den Sieg auszunützen. Das Vordringen bis in das Val Travenanzes wurde nicht erzwungen und damit schwand die Hoffnung, den Castelletto durch diese Umgehung zu erobern.

Immer mehr begann sich der Castelletto in unangenehmer Weise bemerkbar zu machen, alle Transporte wurden von seiner Spitze aus unter verheerendes Feuer genommen.

Nach den mageren Ergebnissen der letzten Angriffe kam das Korpskommando zur Einsicht, daß ein Durchbrechen der gewaltigen gegnerischen Linien durch kleinere Angriffe an verschiedenen Orten und mit überraschenden Handstreichen leichter sein müsse.

Was aber den Castelletto anlangte, erwachte eine neue Hoffnung: Man wollte den Gipfel der Tofana I besetzen und von dort mit Maschinengewehren, mit Minen, Steinlawinen, solange auf seinen Rücken einwirken, bis der Feind weichen mußte oder, falls ein Durchstieg durch die Wand möglich war, mit kühnen Patrouillenunternehmungen [83] zu den Stellungen auf dem Castelletto hinabdringen. Endlich, nach Kämpfen, die den ganzen Monat August dauerten, wurde am Morgen des 17. September die Spitze der 3225 m hohen Tofana I erobert. Jedoch die Freude über den glänzenden Erfolg dieser Angriffe, die den Feind eines seiner wichtigsten Beobachtungspunkte beraubt hatten, wurde bald durch die Erkenntnis gedämpft, daß es kaum möglich sein würde, vom Gipfel der Tofana I den Abstieg zum Castelletto zu bewältigen. Der Abstieg wurde durch Felswände vereitelt, die viele hundert Meter senkrecht in die Tiefe abbrachen. Auch der Versuch, Rollbomben auf die feindlichen Stellungen abstürzen zu lassen, schien erfolglos geblieben zu sein.

Trotz der großen Verluste der Truppe und ihrer Übermüdung beschloß das Kommando überraschend einen neuen Angriff auf den Castelletto. Mit einem Handstreich und einem gut durchdachten, wohlvorbereiteten Angriff sollte das ganze Massiv der Tofana I bis in den Talgrund des Val Travenanzes genommen werden. Ausgesuchte Kletterer sollten in der Nacht über die steilen Felswände einen Punkt auf der Kante der Tofana erreichen, um von dort einen Teil der rückwärtigen Seite des Castelletto bestreichen zu können und die unangenehmen Scharfschützen hinter seinen Gipfelzacken zu verjagen. Der Kletterpatrouille sollte ein Maschinengewehr beigegeben werden. Sofort darauf sollte ein Zug unter dem Kommando des Leutnants Carrera, der im ganzen Abschnitt wegen seiner Kühnheit bekannt war, versuchen bis zum "Geheimnisvollen Felsen" (dem "Gespaltenen Fels" der Österreicher) (Abb. 50) zu gelangen, um die Truppen des Gegners dorthin abzuziehen. Dies sollten weitere drei Züge benützen, um durch die Steilschlucht zwischen Tofana I und Castelletto aufzusteigen und die gegnerischen Stellungen zu überfallen.

Trotz der Kühnheit und Geschicklichkeit der Kletterpatrouille waren für den Aufstieg nicht 6 Stunden, wie vom Kommando angenommen, nötig, sondern fast das Dreifache. Dadurch wurde der wohldurchdachte Angriffsplan gänzlich über den Haufen geworfen. Den Leutnant Carrera erreichte der Befehl nicht mehr, den Angriff zu unterlassen. Um 2 Uhr nachts des 24. September verließ er mit seiner Patrouille leise unsere Stellungen, überquerte die berüchtigte Geröllhalde und gelangte überraschend zum "Geheimnisvollen Fels", hinter dem er stürmend in den feindlichen Graben eindrang. Aber der Gegner setzte sofort zu einem Gegenangriff an. Der Patrouille wurde von keiner Seite Hilfe zuteil, weder die Besatzung der Forcella dei Bois, noch die anderen Besatzungen rührten sich. Die heldenhaft kämpfenden Alpini riefen umsonst um Hilfe und in kurzer Zeit war der Zug, der die eroberten Gräben nicht verlassen wollte, von den Österreichern umzingelt und buchstäblich vernichtet. Der Kommandant geriet, zweimal verwundet, in Gefangenschaft.

Trotzdem wurde die Aufgabe der Kompagnie, welche den Castelletto erstürmen sollte, nicht geändert. Bald nach Mitternacht des 25. September eröffnete der schneidige Leutnant Massini aus den Felsen der Tofana mit seinem Maschinengewehr überraschend [84] auf 150 m Entfernung ein verheerendes Feuer in den Rücken der Castelletto-Besatzung und es gelang ihm, ein wahres Blutbad unter den österreichischen Scharfschützen anzurichten, die in den Felsenzinnen eingenistet waren. Die Kompagnie sollte in diesem Augenblick zum Sturm durch die Felsschlucht ansetzen. Durch ein Mißverständnis ging kostbare Zeit verloren, man wollte zuerst wissen, ob die Wirkung des Maschinengewehrs in den Felsen auch eine genügende gewesen sei. Ein Zug begann den Aufstieg durch die Felsen zu einer Zeit, in der die Munition des Maschinengewehrs bereits erschöpft war. Trotzdem gelang es einigen Alpini, sich in der Felsenscharte zwischen Castelletto und Tofana I festzusetzen. Sie versuchten ihre Stellung mit Handgranaten zu behaupten, mußten jedoch dem Gegenangriff weichen, weil sie von unten keine Unterstützung bekamen. Die Hälfte der Mannschaft blieb tot oder verwundet in den Felsen.

Das Kommando des Abschnittes Tofana ließ nicht locker. Für den 28. September wurde ein neuer Angriff gegen die Forcella dei Bois angesetzt, den das Alpinibataillon Val Chisone, das eigens zu diesem Zwecke antransportiert worden war, am hellichten Tag durchführen sollte. Trotz der ungünstigen Umstände gelangte eine Kompagnie in das Grabengewirr des "Geheimnisvollen Felsens". Wenige nur von dieser Kompagnie kamen zurück, wer nicht tot blieb, wurde verwundet oder gefangen. Es war ein schwerer Mißerfolg, in dem die italienischen Truppen eine Reihe hervorragender Offiziere und ausgezeichneter Mannschaften verlor.

Wenige Tage später wurde auf der Gegenseite das 2. preußische Jägerregiment des Alpenkorps aus dem Val Travenanzes abgezogen und durch ein Bataillon des 1. Regiments der Tiroler Kaiserjäger und eines des 3. Regiments ersetzt.

Es schien, als sollte eine Pause in den Angriffen eingeschaltet werden, um den italienischen Truppen die wohlverdiente Ruhe und Erholung zu gewähren. 20 Tage später jedoch, in der Nacht vom 16. auf den 17. Oktober, wurden die Alpinibataillone Belluno und Val Chisone neuerlich zum Angriff auf die fürchterlichen Stellungen angesetzt. Der neue Kommandant des Abschnittes, Oberst Giuseppe Tarditi, wollte noch vor Einbruch des Winters endgültig die Kämpfe um den Castelletto mit dessen Eroberung zu einem Abschluß bringen. Fast die gesamte Artillerie des Armeekorps wurde zur Unterstützung herangezogen. Man wollte auf die Stellungen des Castelletto und der Forcella dei Bois ein Artillerie-Massenfeuer legen, das jeden Widerstand niederdrücken sollte. Die Angriffstruppen waren wohl müde und ohne viel Vertrauen, aber man glaubte, daß es ihnen diesmal ohne große Anstrengung gelingen würde, die feindlichen Stellungen zu nehmen.

Die Hauptaufgabe bei diesem Angriff war der Artillerie zugedacht. Die beiden Bataillone sollten gegen die Forcella dei Bois anrennen und nur ein Zug ausgesuchter Leute sollte versuchen, die berüchtigte Felsschlucht zwischen Castelletto und Tofana I zu ersteigen. Aber der ganze Angriff stieß auf ein neues großes Hindernis, nämlich den Neuschnee, der die Tage vorher bis zu einer Höhe von 1½ m gefallen war und der die an- [85] greifenden Truppen außerordentlich hinderte, die freien Flächen vor den österreichischen Stellungen zu durchlaufen.

In jener Angriffsnacht entwickelte sich eine großartige Szenerie. Aus dem prachtvollen Rund der Berge, das Cortina im Süden umgibt, vom Becco di Mezzodi über die Cinque Torri bis zum Prà Pontin spie ein Halbkreis durch drei Stunden Feuer auf den Castelletto, auf den "Geheimnisvollen Fels" und die Geröllhalde in seiner Flanke. Von den fernen Bergen herüber heulten die 21er und schütteten ihren Eisenhagel über die Felsen. Ein furchtbares dumpfes Klatschen ertönte, wenn eine Granate an den Felsen krepierte, im grellen Aufleuchten sah man Felsblöcke in alle Richtungen fliegen, rote Staubwolken wirbelten auf, man hörte das Schreien der Verwundeten und das Geknatter der Maschinengewehre, das aufgeregt und zornig aufklang. Das Artilleriefeuer wurde besonders auf den Castelletto gelenkt. Aber seine Stellungen hielten stand. Zeitweilig schwiegen die feindlichen Maschinengewehre und man hoffte schon, daß sie von der Artillerie vernichtet seien. Hingegen wechselten sie nur die Gurten aus und begannen dann wieder eine wilde Feuerwelle über die Geröllhalde zu legen, an der die Alpini schweigend den Augenblick des Sturmangriffes erwarteten. Und als endlich der Angriffsbefehl gegeben wurde, hörte man auf der ganzen Linie die hellen Rufe "Savoia" der vorstürmenden Alpini. Die Stürmer versanken tief im Schnee und kamen nur mit größter Mühe vorwärts. Knapp vor den feindlichen Hindernissen leuchtete der blendende Schein der feindlichen Maschinengewehre auf. Die Verluste waren groß. Bei den stürmenden Soldaten, denen man in großen Tönen die Wirkung des Artilleriefeuers vorgesagt hatte, wurde die Angriffslust geringer. Dazu kam, daß unsere Artillerie an Munitionsmangel zn leiden begann. Auf der rechten Flanke, knapp unter den Felsen des Castelletto, erreichte eine Kompagnie die feindlichen Hindernisse, die nur wenig beschädigt waren. Jeder Versuch, mit Sprengpatronen Breschen in die Hindernisse zu legen, wurde vom Feinde erstickt.

Der Angriff durch die Felsschlucht wurde angesetzt, als jener am "Geheimnisvollen Fels" gescheitert war. Auch dieser mißlang. Die ersten verwegenen Alpini, die bis in die Nähe der Scharte gekommen waren, wurden sofort durch Handgranaten verwundet, stürzten auf die nachkletternden Kameraden und rissen auch diese ins Verderben.

Gegen 4 Uhr morgens lag die Front wieder in einer fremden, fast angstvollen Ruhe. Die Morgenröte beleuchtete die glorreichen Gipfel der Punta Marietta, der Tofanen und des Col dei Bois, während die Felsen des Castelletto in ihrem geheimnisvollen Grau schimmerten. Ein düsteres Schweigen lag über den Felsen, starr und unerbittlich, zu ihren Füßen die furchtbare Geröllhalde, auf der die Leichen der heldenmütig Gefallenen zerstreut umherlagen.

Das Jahr 1915 ging seinem Ende entgegen und die italienischen Truppen waren im Besitz der Forcella Fontana Negra, des Gipfels der Tofana I, der Forcella dei Bois, des Col dei Bois und des größten Teiles der Cima Falzarego. Der ungebrochene Feind war fast überall zurückgedrängt worden, aber der Castelletto war noch in seinem Besitz. [86] Weder die Tapferkeit und Selbstverleugnung der Infanteristen aus Sardinien noch die Kühnheit und Geschicklichkeit der prachtvollen Alpini des Bataillons Belluno und Val Chisone waren imstande gewesen, ihn zu erobern.

 
Die Mine

Der Kommandant der italienischen Truppen war zur Einsicht gekommen, daß die Eroberung des Castelletto durch einen frontalen Angriff nie möglich sein würde. Und so wurde der Gedanke geboren, diese uneinnehmbare Felsenfestung anzubohren und in die Luft zu sprengen. Die Alpinitruppen waren nicht nur tapfere Soldaten, sondern auch ausgezeichnete Arbeiter. Fast alle diese Soldaten, die oft und oft unnütz bis zu den Drahtverhauen des "Geheimnisvollen Felsens" den Sturm vorgetragen hatten, waren brave Mineure, die vor dem Krieg die Hälfte des Jahres in Westfalen, in Österreich und Frankreich im Innern der Bergwerke die schwere Arbeit mit der Haue ausgeübt hatten. Und so erhielt schon Mitte November der Leutnant Eugenio Tissi, der vor Kriegsausbruch an der Technischen Hochschule in Berlin Bergbau studierte, von seinem Oberst den Auftrag, die ersten Studien für das Vortreiben einer Mine in diese Felsbastion zu machen.

Am Fuße der oft erwähnten Schlucht zwischen Castelletto und Tofana I befand sich eine natürliche Höhle, in welcher die Besatzung untergebracht war. Die Schlucht selbst hatte eine Höhe von etwa 80 m. Wohl konnte man mit dem feindlichen Posten oben auf der Scharte Zurufe austauschen, jedoch hinderte eine leichte Krümmung der Schlucht, daß sich die Posten gegenseitig sehen konnten. Der Zugang zur Grotte am Fuße der Felsen der Tofana I entlang war vom Feinde eingesehen. Erst an der zweiten größeren Einbuchtung der Felsen war Platz für die Baracke der Soldaten und eine kleine Unterkunft für den Offizier und das Telefon. Von dieser Einbuchtung aus führte der Zugang zur Stellung "Scudo" ("Schildwachstellung"), die von den Österreichern den Übernamen "Tofana-Seppl" erhielt. (Auf Abb. 47 das mittlere der eingezeichneten Feldwachen und Maschinengewehrnester. Auf Abb. 54 das untere.) Der Zugang zu dieser Stellung, aus welcher am denkwürdigen 25. September des Vorjahres Leutnant Masini den überraschenden Feuerüberfall mit seinem Maschinengewehr auf die österreichischen Scharfschützennester auf dem Castelletto ausgeführt hatte, bestand ans Strickleitern, die gut 380 hölzerne Sprossen hatten und über die steilen Felsen herabhingen. Die Stellung selbst bestand aus einem Felsband in der senkrechten Wand, das 1 Meter breit und 4 Meter lang war. Auf diesem Felsbande waren die Zelte durch Eisenhaken an die Felswand befestigt. 3 Mann zählte die Besatzung dieses Punktes. Vom Felsband aus führte ein 8 Meter hoher Kamin zu einem kleinen Geröllplätzchen in den Felswänden, das mit einigen Sandsäcken und einem Schutzschild zur Maschinengewehrstellung ausgebaut war. Durch die Schießscharte des Schutzschildes sah man einen Teil der steilen [87] Felswände der Tofana, darunter die Rückseite der drei Zinnen des Castelletto, die mit kleinen Kavernen, Schießscharten, Unterständen und Sandsackstellungen übersät waren. Diese einzigartige "Schildwache" war in unerhörter Weise den Winden und Stürmen und dem Steinschlag der Felswände ausgesetzt. Trotzdem saßen die Alpini ruhig in ihrer horstgleichen Stellung.

Der Dienst in der "Schildwache" dauerte 48 Stunden, dann hatten die Leute 48 Stunden Ruhepause in der Baracke am Fuße der Wände.

Nunmehr, da das Vortreiben eines Minenstollens beschlossene Sache war, gewannen die Stellungen am Fuße der Tofana und des Castelletto erhöhte Bedeutung.

Die Arbeit wurde dem schon vorerwähnten Leutnant Tissi anvertraut, dem zur Unterstützung Leutnant Malvezzi, im Zivilberuf Ingenieur, beigegeben war. Beide Offiziere waren ausgezeichnete Kletterer und von großer persönlicher Tapferkeit. Die beiden Offiziere begannen mit langwierigen Erkundungsgängen rings um den Castelletto und hinauf zur "Schildwache". An langen Seilen ließen sie sich über die Felsen herab und konnten so mit äußerster Vorsicht bis auf kürzeste Entfernung die Stellungen der unfehlbaren Tiroler Scharfschützen ausspähen. Auch die großen Schneefälle und die zahlreichen Lawinen unterbrachen diese Kundschaftsgänge nicht. Ja in gewisser Weise wurden diese durch den mittlerweile stark einsetzenden Winter erleichtert, weil man sich nun mit Schneetunnels behelfen konnte. Mit Ruhe ertrugen die Alpini auch die immer wieder abgehenden Lawinen. So wurde einmal ein Alpino von einer Lawine vom Fuße der Tofana an die 600 m bis zur Dolomitenstraße hinuntergefegt. Wie durch ein Wunder kam er aus den Schneemassen heraus und konnte sich selbst ins Feldspital zur Behandlung seiner leichten Wunden begeben.

Endlich wurde der Ausgangspunkt für den Minenstollen festgelegt und zwar wurde hierfür die Einbuchtung gewählt, welche sich zwischen dem Ort der Mannschaftsbaracke und der Mündung der Schlucht befand. Um die Arbeiten mit Sicherheit und ohne Verdacht zu erregen, ausführen zu können, wurde von der Baracke bis zu diesem Punkt ein gedeckter Gang angelegt. Die "Schildwache" erhielt nunmehr größte Bedeutung. Wäre sie vom Feind erstürmt worden, hätte dieser von dort mit Leichtigkeit die Anlage des Minenstollens vereiteln können. Trotzdem die Felswände, welche von der "Schildwache" zum Castelletto abfielen, ungangbar erschienen, konnte die Möglichkeit nicht ausgeschlossen werden, daß es einer feindlichen Patrouille aus erstklassigen Kletterern gelingen würde, überraschend bis zur "Schildwache" vorzudringen. Aus diesem Grunde wurde auch auf dem Felsbande der "Schildwache" anstatt des Zeltes eine kleine hölzerne Baracke aufgestellt, der Posten wurde verstärkt, die Strickleitern über die Felsen mit besonderer Sorgfalt instand gehalten. Mit wirklich heldenhafter Anstrengung wurde die "Schildwache" trotz der Schneemengen, der Stürme und der Lawinen des Hochwinters ununterbrochen besetzt gehalten. Zahlreich waren die Feuerüberfälle der Österreicher gegen die "Schildwache", aber ein direkter Angriff fand nie statt.

[88] Mitte Februar begann mit Bohrstange und Schlägel die Arbeit am Minenstollen. Man sah bald ein, daß mit diesen Mitteln nur ein sehr langsames und mühevolles Fortkommen zu erzielen war. Schon Ende März konnten in ungeheuer schwierigem Transport auf Schlitten über die steilen Schneehänge von der Dolomitenstraße herauf zwei Bohrmaschinen herangebracht werden.

Von Anfang an waren fast alle ungläubig an dem guten Ausgang dieses Unternehmens. Die Arbeit erschien sehr langwierig und schwierig, erforderte außerordentliche Geschicklichkeit und Ausdauer und große Mittel. Man nahm an, daß der Feind wohl gar bald die Absicht merken und mit einer Gegenmine antworten würde.

Man setzte die Arbeiten zwar fort, war jedoch bei den Kommanden so wenig von einem Erfolg überzeugt, daß man schon wieder mit der Absicht, den Castelletto offen anzugreifen, liebäugelte.

Im April wurden die Arbeiten am Minenstollen mit erhöhtem Eifer fortgeführt. 120 Mineure wurden für die Arbeit eingesetzt, die jeweils zu 25–30 6 Stunden an der Arbeit waren. Große Schwierigkeiten ergaben sich durch die außerordentlich schlechte Luft im Stollen, hervorgerufen durch die Bohrhämmer und durch die Gase der Sprengschüsse.

Besondere Belästigung erfuhren die Arbeiten nur durch die feindliche Artillerie und die Minenwerfer, die durch ihre Schüsse ganze Steinlawinen aus den Wänden der Tofana loslösten. Man war gezwungen, die Baracken mit Sandsäcken zu schützen und die gedeckten Zugänge zum Minenstollen zu verstärken.

Der tägliche Fortschritt im Minenstollen betrug 5–6 m, bei einer Breite von 2 m und einer Höhe von 1,80 m. Der Fels war außerordentlich hart und kompakt. Das ausgesprengte Material wurde mit einer kleinen Materialbahn durch den Stollen ins Freie befördert. Nach etwa 70 m gelang es, ein seitliches Fenster in einem schmalen Kamin der Felswand zu öffnen, durch das man nunmehr das Material entleeren konnte.

Es wäre außerordentlich nützlich gewesen, hätte man aus größerer Nähe Einblick in die feindlichen Stellungen des Castelletto von rückwärts bekommen. Die wenigen Ansichtskarten, welche man in Cortina auftreiben konnte, waren zwar wertvoll, genügten jedoch nicht, um ein genaues Bild des Geländes in der Rückseite des Castelletto zu geben. Mit der Schneeschmelze schwand auch die Möglichkeit, sich durch Schneetunnels gedeckt näher an den Feind heranzuarbeiten, um so besser aufklären zu können. Besonders von der "Schildwache" aus war es möglich gewesen, durch einen Eistunnel ein kurzes Stück über die Felswand hinunterzukommen und von dort guten Einblick in die feindlichen Stellungen zu gewinnen.

Aus der Absicht heraus, die Erkundungsgänge möglichst nahe an die feindlichen [89] Stellungen vorzutreiben, hatte Leutnant Malvezzi schon am Beginne der Arbeiten jenen außerordentlich steilen und zum Teil überhängenden Kamin, welcher zwischen der Felsschlucht und dem Beginn des Minenstollens eingeschnitten war, zu durchklettern versucht. Dieses Unternehmen war jedoch an den ungeheuren Überhängen im Kamin gescheitert. Wie oben erwähnt, konnte aus dem Stollen ein Fenster eben in diesem Kamin ausgebrochen werden und zu allem guten Glück oberhalb jener Überhänge, die seinerzeit die Durchkletterung vereitelt hatten. Leutnant Tissi versuchte nun mit einem geübten Soldaten den Aufstieg durch den Kamin, wobei er Stück für Stück Seile an den Felsen befestigte. So gelang es ihm, durch den Kamin in die steilen Felswände der Tofana aufzusteigen und bis auf 50–60 m Entfernung zum Feinde vorzudringen. Der erreichte Punkt war jedoch ohne alle Deckungsmöglichkeit und konnte außerdem in den Felswänden umgangen werden. So war zwar dieser Punkt für die Verteidigung ungeeignet, er konnte jedoch, solange seine Besetzung vom Feinde nicht bemerkt wurde, als ausgezeichneter Beobachtungsstand dienen. Leutnant Tissi, der auf sein Vordringen bis zu diesem äußerst vorgeschobenen Punkt stolz war, erhielt vom Kommando die Erlaubnis, auch in diesem Kamin Strickleitern anbringen und eine ganz kleine Hütte für 3 Mann erbauen zu lassen. Die Besatzung mußte sich tagsüber versteckt halten und sollte vor allem in der Nacht ihre Beobachtungen machen. So konnten in aller Stille wertvolle Gewohnheiten des Feindes ausgekundschaftet werden.1 Der Anstieg durch den Kamin zu diesem Posten war so steil, daß die Leute oft durch Anstoßen an die Felsen die Mütze oder den Stahlhelm verloren. So kam es, daß der Kamin den Namen "Camino dei Cappelli", d. h. "Hutkamin", erhielt.

Bei den italienischen Truppen herrschte immer die Frage: Was würden die Österreicher tun? In den ersten Maitagen sah man von der "Schildwache" zwei österreichische Offiziere, die mit großer Sorgfalt die Felsen der ersten Zinne auf dem Gipfelkamm des Castelletto prüften. Es war jene Zinne, welche später dann durch die Sprengung in die Luft flog. Sichtlich waren die beiden bestrebt, den Zweck unserer Arbeiten zu erraten. Nach einiger Zeit wurden die beiden Offiziere von der "Schildwache" aus unter Feuer genommen: Einer der beiden und ein abseits stehender Soldat fielen wie vom Blitz getroffen. Man wagte dort unten nicht mehr, vor Anbruch der Dunkelheit die Leichen zu bergen. Von jenem Tage ab belästigte die feindliche Artillerie und besonders die Minenwerfer unsere Stellungen mit Vergeltungsfeuer, das uns immer wieder Verluste zufügte. Der Aufstieg zur "Schildwache" wurde sehr gefährlich. Auch der "Camino dei Cappelli" wurde nunmehr unter Feuer genommen und immer wieder wurden die Strickleitern im Kamin stark beschädigt. Die Sandsackstellung auf der "Schildwache" wurde vollkommen zerstört und mußte vollständig erneuert werden. Es gelang dem Feind [90] jedoch nicht, trotzdem er zuerst mit Minenwerfern, dann mit einem Gebirgsgeschütz aus der vordersten Linie auf die "Schildwache" wirkte, unsere Besatzung zu zwingen, ihre kleine Holzhütte zu räumen. Ebenso schlugen seine Versuche fehl, uns zur Räumung der Kaverne am Fuße der Felsschlucht zu zwingen, wobei zuerst große Rollbomben mit Giftgas verwendet wurden, später schwere Granaten mit Tränengas.

Die Arbeiten schritten gut vorwärts, die Stimmung der Offiziere und Soldaten war gehoben, die Gemüter waren zuversichtlich, der Geist der Leute angriffslustig.

In der Zwischenzeit waren auch zahlreiche Abhorchstationen für die feindlichen Telefongespräche errichtet und unter den Truppen eine Anzahl von Leuten ausgewählt worden, welche von ihrem früheren Aufenthalt im Auslande her nicht nur Deutsch, sondern auch andere Sprachen der österreichisch-ungarischen Monarchie verstanden. Durch diese Abhorchstationen gewann man wertvolle Nachrichten.

Nach den Berechnungen des Leutnants Malvezzi sollten bis zum 28. Mai die Arbeiten am Minenstollen bis zu jenem Punkte gediehen sein, über den hinaus man nicht mehr arbeiten konnte, bevor nicht der notwendige Sprengstoff zur Verfügung stand. Dies aus dem Grunde, weil der letzte Teil des Stollens, der schon ganz in der Zone des Feindes verlaufen sollte, in kürzester Zeit mußte fertiggestellt werden, um dem Feinde nicht allenfalls die Möglichkeit zu geben, Arbeiten an einer Gegenmine zu beenden. Und tatsächlich wurden die Arbeiten am italienischen Stollen, die oft durch natürliche Höhlen im Fels begünstigt worden waren, am vorgesehenen Tag beendet. Es fehlte nunmehr nur die Minenkammer und das letzte kurze Stück des Stollens. Jetzt aber stieß man bei den übergeordneten Kommanden auf Schwierigkeiten, den für die riesenhaften Ausmaße dieser Mine notwendigen, hochexplosiven Sprengstoff zugeteilt zu erhalten. Aber Leutnant Malvezzi bestand energisch auf der Zuteilung eines hochexplosiven Sprengstoffes und lehnte alle Surrogate mit dem Hinweis ab, daß er sonst die Verantwortung für das Gelingen der Mine ablehnen müßte.

Der erforderliche Sprengstoff für die Mine des Castelletto betrug die riesige Menge von 35 000 kg Sprenggelatine. Zu jener Zeit war die monatliche Produktion der italienischen Industrie 80 Tonnen. Man verwies darauf, daß es unmöglich sei, für eine einzige Mine die Hälfte der gesamten Produktion eines Monats, nämlich 35 Tonnen, zu verwenden.

Durch eine Verzögerung konnte die Lage am Castelletto sehr gefährlich werden. Im Minenkrieg bedeutet Schnelligkeit alles, um dem Feind zuvorzukommen. Gerade in jenen Tagen konnte man vom "August" ober dem "Camino dei Cappelli" beobachten, daß der Österreicher kleinere Sprengungen an der ersten Zinne vornahm. Bedeutete dies den Bau einer der üblichen Kavernen, oder sollte dies der Beginn der Arbeiten für eine Gegenmine sein? Durch eine Abhorchstation wurde ein Gespräch bei den Österreichern bekannt, in dem festgestellt wurde, daß alle die Arbeiten der Italiener nutzlos sein würden: "Am 4. Juni werden sie sehen, was wir machen!"

[91] Alle Stellungen in dem Felsen wurden für diesen Tag verstärkt. Es kam wohl zu keinem Angriff der Österreicher, doch fand die ganze Nacht über aus gegenseitiger Nervosität heraus ein lebhaftes Geplänkel statt, in dem auch Leutnant Tissi auf dem Felsenposten "August" durch einen Schuß in die Schulter verwundet wurde.

Am Nachmittag des 13. Juni kletterte eine österreichische Patrouille im Schutze des Nebels durch die Felswände der Tofana empor und tauchte plötzlich überraschend ober der kleinen Hütte des "August" über dem "Camino dei Cappelli" auf, zog sich jedoch, ohne einen Schuß abzugeben, wieder zurück. Es war klar, daß der Feind diesmal nur erkunden wollte, wie groß unsere Besatzung sei. Nach diesem Vorfall mußte man auf einen Angriff gefaßt sein. Der Posten wurde von 3 auf 10 Mann verstärkt, die unter dem Kommando eines Leutnants standen. Am 15. Juni, gegen 6 Uhr abends, belegte die österreichische Artillerie die Zugänge durch die Kamine mit starkem Feuer und unter dem Schutze eines Schneesturms drang eine 30 Mann starke österreichische Patrouille unter dem Kommando des Fähnrichs Schneeberger bis zum "August" vor. Ein Hagel von Handgranaten flog auf die kleine Stellung nieder. 6 Alpini der Besatzung waren sofort verwundet, einer wurde getötet, der Unteroffizier gefangen genommen. Die drei übriggebliebenen wehrten sich verzweifelt und erzwangen sich den Abstieg durch den Kamin, in dem die Strickleitern durch die explodierenden Handgranaten und Steinlawinen zum Großteil zerfetzt worden waren. Es war unmöglich, Verstärkungen durch den Kamin hinaufzuschicken. Der Versuch einiger Mineure, aus dem Fenster des Stollens in den Kamin aufzusteigen, mißlang sofort. Schon der erste, der das Fenster verlassen wollte, wurde von einer der Handgranaten zerrissen, die wie ein Regen verderbenbringend durch den Kamin herunter kollerten. Die Österreicher versuchten, den eroberten "August" auszubauen und zu halten. Aber unsere voll auf sie einwirkende Artillerie zwang sie, ihn bald wieder zu verlassen. Die feindlichen Handgranaten jedoch und das Feuer unserer eigenen Artillerie hatten die Strickleitern im Kamin vollkommen vernichtet, so daß es außerordentlich schwierig gewesen wäre, die Stellung wieder zu beziehen. So wurde dieser Posten wieder neutral, wie er es zwei Monate vorher gewesen war.

Man war angstvoll besorgt gewesen, daß der Angriff des Feindes auch auf die "Schildwache" ausgedehnt würde. Zwar glaubte man, daß der Felskamm zwischen dem "Camino dei Cappelli" und der "Schildwache" vollkommen undurchsteigbar sei, aber dieser Krieg in den Regionen der Adler und Falken, auf lotrechten Felstürmen, auf Felsbändern und in schmalen Kaminen und Schluchten brachte jeden Tag Überraschungen.

Oben auf der "Schildwache" klammerten sich die Alpini im Schneesturm an die Felsen ober dem Abgrund, bereit, ihre Stellung bis zum letzten Mann zu verteidigen. Ein einzelner österreichischer Soldat war plötzlich in den Felsen ober ihnen aufgetaucht, hatte eine Handgranate geworfen, war aber dann gleich wieder verschwunden. Dies hatte den Beweis erbracht, daß ein Durchkommen vom "August" zur "Schildwache" [92] möglich war und man erwartete jeden Augenblick einen Angriff. Die neblige Nacht verging in bangem Wachen. Von Zeit zu Zeit wurde mit dem feindlichen Posten lebhaftes Gewehrfeuer unterhalten, aber zu einem Angriff kam es nicht.

In den folgenden Tagen wurde die "Schildwache" noch stärker ausgebaut, eine kleine Kaverne mit Schießscharten angelegt und ein Minenwerfer in die Stellung aufgehißt. Mit großem Eifer brachten die Alpini die Munition für diesen Minenwerfer den schwierigen Aufstieg hinan. Mit vier Minen auf dem Rücken erkletterte jeder einzelne Mann die 380 Sprossen der Strickleitern.

Nachdem die Arbeiten am Hauptstollen bis zur Bereitstellung des Sprengstoffes unterbrochen worden waren, entschloß man sich, von diesem mit einem Nebenstollen abzuzweigen, der nicht unter der Schlucht zwischen Castelletto und Tofana I durchziehen sollte, sondern am Körper der Tofana I entlangführen und auf der Rückseite des Castelletto münden sollte. Man verband mit diesem Stollen die Absicht, ihn zum Vorbringen der Sturmtruppen nach der Explosion der Mine zu verwenden. Und schließlich hoffte man, durch diesen Nebenstollen die Österreicher zu täuschen und die Ansicht zu erwecken, daß es sich bei den zahlreichen Sprengungen nicht um die Anlage eines Minenstollens, sondern um die Aussprengung von Kavernen handle.

In diesem unvergleichlichen Krieg im Hochgebirge entwickelten sich immer mehr zwei vollkommen verschiedene Arten des Kampfes. Man bohrte sich in die Felsleiber der Berge hinein, um den Feind von unten her in die Luft zu sprengen. Oder man erkletterte die himmelhohen Dolomitenwände, um den Feind aus immer größerer Höhe von uneinnehmbaren Felsenstellungen aus zu beherrschen.

Schon früher war versucht worden, die ungeheure Schlucht zu durchklettern, die neben der "Schildwache" die ganze Wand der Tofana I durchriß. Nunmehr ordnete Oberst Tarditi an, daß dies noch einmal versucht werde. Den Befehl erhielten Leutnant Graf Ugo de Vallepiana und der Bergführer aus dem Val d'Aosta, Gaspari. Die beiden Bergsteiger hatten Glück. In zäher, sechzehntägiger Kletterarbeit erreichten sie das oberste Ende der Schlucht. Meter für Meter hatten sie Eisenstifte in die Felsen geschlagen und hatten daran Seile und Strickleitern befestigt. Vom Feinde unbemerkt, wurde nun dort oben in fast 2900 m Höhe eine Feldwache eingerichtet. Der Zugang zu dieser Feldwache gehörte zu den kühnsten und schwierigsten Kletterwegen, die im großen Kriege im Hochgebirge gemacht worden sind. Er erhielt den Namen "Camino degli Alpini" (Abb. 47 u. 54).

Bald wurde von den Mineuren die Arbeit in beiden Stollen wieder aufgenommen. Im Minenstollen hatte man eigene Abhorchvorrichtungen angebracht, um Geräusche aus der Stellung des Feindes besser vernehmen zu können. Da und dort drang durch die [93] Felsspalten der Rauch aus den Küchen des Feindes in den Minenstollen herein. Es bestand jetzt die Gefahr, daß man bei den Österreichern diesen Luftabzug in die Felsen bemerken und vielleicht mit Giftgasen den Minenarbeiten entgegenwirken könnte. Die Mineure mußten die Gasmasken stets bereithalten und möglichst geräuschlos arbeiten.

Während man genau berechnen konnte, daß die Minenkammer des Sprengstollens 20 m tief im Felsen unter den feindlichen Stellungen zu liegen kam, schritten die Arbeiten am zweiten Stollen, der längs der Felswand der Tofana fortgeführt wurde, weiter, ohne daß man die Stärke der Felswand zur Oberfläche kannte. Überraschend stieß man bei diesen Arbeiten eines Tages mit einem Sprengschuß ins Freie. Es war kaum Zeit, die etwa einen halben Quadratmeter große Öffnung zu verstopfen, als schon ein feindliches Maschinengewehr heftig durch das Felsenfenster in den Stollen wirkte. Diese Felsöffnung wurde von den Österreichern dauernd unter Feuer gehalten, so daß es nicht gelang, ein eigenes Maschinengewehr in Stellung zu bringen. Leutnant Malvezzi wurde durch Steinsplitter im Gesicht verletzt. Später wurde beim Feinde ein kleiner Minenwerfer gegen das Felsloch in Tätigkeit gesetzt. Und schließlich flog eine Handgranate durch das Fenster in den Stollen, wo sie wie ein Donnerschlag explodierte und den ganzen Stollen mit einer Rauchwolke erfüllte. Wir verloren einen Toten, hatten einen Schwerverwundeten, der fast erblindet war, und vier leichter Verletzte.

Endlich konnte man mit der Zuteilung der notwendigen Menge Sprengstoff für die Mine rechnen und an die Ausarbeitung des Angriffsplanes schreiten.

Die Minenarbeiten mußten mit höchster Eile zu Ende gebracht werden, weil der Feind nun tatsächlich mit dem Vortreiben eines Gegenstollens begonnen hatte. Die Arbeit an dem Stollen wurde immer heikler und schwieriger. Der Minenstollen war schon im Massiv des Castelletto angelangt und wurde nun steiler emporgeführt. Der letzte Teil des Stollens mußte der Verdämmung dienen und wurde zu diesem Zwecke mehrmals im rechten Winkel geknickt. Dann begann das Ausbrechen der Minenkammer, die etwas nördlich unter der Felsenscharte zwischen Castelletto und Tofana I zu liegen kam.

Auch am zweiten Stollen wurde weiter gearbeitet, um sein Ende möglichst aus dem Wirkungskreis der Mine zu bringen. An seinem Ende besaß dieser Stollen eine Decke in der Stärke von nur 2 m gegen die Oberfläche. Diese Decke sollte gleich nach der Explosion der Mine gesprengt werden, um durch das damit gewonnene Fenster die Angriffstruppen in den Rücken des Feindes bringen zu können.

Aus abgehorchten Telefongesprächen wußte man, daß nunmehr die Österreicher genaue Kenntnis von den Arbeiten am Minenstollen hatten und in höchster Eile ihre eigenen Arbeiten am Gegenstollen betrieben.

Bei den italienischen Kommanden waren die Zweifel über den guten Ausgang des Unternehmens nicht geschwunden, ja eher immer stärker geworden. Man verwies darauf, daß die Arbeiten an der Mine bereits zu lange dauerten, daß immer wieder größere Verluste zu beklagen seien. Außerdem schien es, als ob der Feind sich nicht allzu viel [94] Sorge wegen der Mine machen würde. Und schließlich zweifelte man sehr daran, ob diese eine Mine allein genügen würde, die drei großen Felszinnen des Castelletto in die Luft zu sprengen. Man sprach schon von einem Mißerfolg, von Verschwendung von Material und ähnlichen Dingen.

Es kam der Tag, an dem die Bohrarbeiten zum Abschluß gebracht wurden. Mit großer Sorgfalt wurden die gedeckten Zugangswege am Fuße der Tofana verbessert und verstärkt. In drei aufeinanderfolgenden Nächten trug die Mannschaft des Alpinibataillons Belluno die 35 000 kg Sprenggelatine in die Minenkammer. Jeder Soldat trug eine Kiste Sprengstoff. Geräuschlos durchschritt die lange Trägerkolonne die gedeckten Zugänge, kletterte über die Strickleitern hinauf und betrat den feuchten, schlüpfrigen Stollen, durch den sie in leichter Steigung, vorsichtig und leise bis zur Minenkammer gelangte.

Immer stärker hörte man in diesen Nächten die dumpfen Sprengschüsse aus dem gegnerischen Stollen, durch die von Zeit zu Zeit im eigenen Stollen Felsbrocken von den Wänden fielen. Der Kampf auf Leben und Tod zwischen zwei bis zum äußersten entschlossenen Gegnern im Innern des Berges hatte begonnen.

Aber man konnte bereits erkennen, daß die Italiener das Rennen machen würden, nachdem ihr Minenstollen die Länge von 507 m erreicht hatte.

Die Arbeiten zur Verdämmung der Mine konnten beginnen. Mit Sandsäcken, Holzbalken und in Eisenbeton wurde eine Verdämmung von 33 m Stärke geschaffen. Mit besonderer Sorgfalt war für die Zündung der Mine gesorgt worden, um zu erreichen, daß die Explosion dieser ungeheuren Masse von Sprengstoff mit einem Schlage erfolge.

Am 9. Juli 1916, um 3 Uhr nachmittags, war die Riesenmine des Castelletto sprengbereit.

 
Der Sieg

In der Zwischenzeit waren im ganzen Abschnitt die Vorbereitungen für den großen Angriff getroffen worden. Man hatte auf dem Gipfel der Tofana III sechs Geschütze aufgestellt, um mit diesen den Talgrund des Val Travenanzes, die Rückseite des Castelletto und der Cima Falzarego bestreichen zu können. Die Batterien auf Cinque Torri wurden vermehrt. Auch am Fuße des Castelletto waren Geschützkavernen für eine Batterie ausgesprengt worden, die flankierend gegen die Cima Falzarego wirken sollte. Die zahlreiche Artillerie wurde durch Aufstellung einer großen Anzahl von Minenwerfern verstärkt.

[95] Der Angriff sollte mit einem Durchbruch in der Fontana Negra-Scharte beginnen, durch den man den Talgrund des Val Travenanzes zu erreichen hoffte, und auch um so abseits vom Castelletto österreichische Truppen zu binden. Nach der Explosion der Mine sollte das Bataillon Belluno sofort den Krater besetzen und einen Durchbruch beim "Geheimnisvollen Felsen" erzwingen. Von der Spitze des Col dei Bois und der Cima Falzarego sollten die beiden Alpini-Bataillone Monte Albergian und Monte Pelmo den Angriff in das Val Travenanzes vortragen, in dem sich die vier Bataillone vereinigen sollten. Von dort aus war beabsichtigt, die Scharte zwischen den Fanisspitzen und dem Großen Lagazuoi und allenfalls die ganze Linie vom Kleinen Lagazuoi zur Furcia Rossa zu erreichen.

Die Angriffe begannen verheißungsvoll. Im Morgengrauen des 9. Juli erstürmte das Bataillon Monte Antelao überraschend und mit großer Wucht die österreichischen Gräben unter der Fontana Negra-Scharte und hob die Besatzungen aus. Aber der Feind wehrte sich verzweifelt und klammerte sich in seiner Verteidigung 300 m tiefer an die riesigen Felsblöcke im Kar. Diese Verteidigungslinie hatte ihren Angelpunkt in der Feldwache "Dickschädel" auf dem Grat der Tofana I. Schon am nächsten Tag gelang es Truppen, die von der Spitze der Tofana I gegen den "Dickschädel" abgeklettert waren, die Feldwache in den Felsen einzukreisen und gefangenzunehmen. Es ergab sich eine außerordentlich gefährliche Lage für die österreichischen Truppen.

Aber die österreichischen Kommanden verloren ihre Kaltblütigkeit nicht. Die neue Stellung zutiefst im Fontana Negra-Tal, dort, wo das Kar mit einer Felswand zum Val Travenanzes abbricht, wurde in Eile stark ausgebaut. Die Besatzung des Castelletto wurde mit ausgewählten Truppen verstärkt und die Verteidigungsstellungen bei der 2. und 3. Zinne des Castelletto verbessert, um von dort aus den Berg zu verteidigen, wenn die erste Zinne durch die Sprengung in die Luft fliegen sollte.

Wenn alle Schlachtpläne auf einer Reihe von Annahmen fußen, welche eine geringere oder größere Wahrscheinlichkeit haben, richtig oder falsch zu sein, so war der Angriffsplan für die Alpini am Castelletto auf einer besonders wichtigen und großen Unbekannten aufgebaut. Welches wird die Wirkung der Riesenmine sein? Welches wird das Vernichtungswerk der Mine gegen die Stellungen des Feindes und vielleicht auch gegen die eigenen sein? Wird die Explosion mit einem solchen Knall erfolgen, daß bei den Angriffstruppen Nervenschocks entstehen? Oder wird sie nur mit einer leichten, erdbebenähnlichen Erschütterung verbunden sein? Und die von der Explosion in die Luft geworfenen Felstrümmer, wie weit werden sie fliegen und in welcher Richtung? Man konnte nicht ausschließen, daß eine Mine von so ungeheuren Ausmaßen unter einer spitzen Felspyramide vielleicht nicht nach allen Seiten auf gleich starke Felswände treffen würde [96] und dadurch zum Teil wie eine Trommel, d. h. nach der eigenen Seite hin wirken könnte. Man vergaß nicht, daß es sich um den ersten Versuch im Weltkrieg mit einer so gewaltigen Mine handle. Es blieb also die Frage zu lösen, wo man die Truppen aufstellen könne, damit diese von den fallenden Steinen nicht getroffen würden und doch im gegebenen Augenblick möglichst nahe sein könnten, den Krater zu besetzen. Man entschloß sich, alle Stellungen zu räumen und die Angriffstruppen bei den Baracken am Fuße der Tofana aufzustellen. Nur die höchste Feldwache in den Wänden der Tofana ober dem "Camino degli Alpini" blieb besetzt.

Und der Angriffsplan auf den Castelletto wurde so festgelegt: Eine Kompagnie sollte durch die berüchtigte Schlucht zwischen Castelletto und Tofana I aufsteigen; eine andere Angriffstruppe durchläuft den Minenstollen, zweigt in den zweiten Stollen in der Tofanawand ab und besetzt durch das Tor am Ende des Stollens, das dort ausgesprengt werden muß, den Krater der Mine. Von dieser Truppe sondert sich eine Patrouille ab, verläßt den Minenstollen durch das Fenster in den "Camino dei Cappelli" und klettert durch diesen zur Stellung "August" empor, um von dort durch die Felswände den Abstieg gegen den Castelletto durchzuführen. Schließlich sollte eine starke Patrouille zur "Schildwache" aufsteigen, um von hier aus in Kletterschuhen und mit Seilen ebenfalls den Abstieg gegen den Castelletto zu versuchen. Die Mannschaft der höchsten Feldwache ober dem "Camino degli Alpini" sollte mit ihrem Maschinengewehr bis über die senkrechten Wände hinausklettern und von dort aus den Feind noch besser mit dem Feuer im Rücken fassen.

Von vielen Teilen der Dolomitenfront waren zu diesen Angriffen besonders bewährte und im Hochgebirgskrieg erfahrene Offiziere herangezogen worden.

Die Mannschaft war ruhig und voller Vertrauen und überzeugt, daß nach der Sprengung endgültig der furchtbare Kampf um den Castelletto beendet sein würde. Man wußte, und das war dazu angetan, die Herzen der Soldaten höher schlagen zu lassen, daß vom Gipfel des Averau, den Tofanen talseitig gegenüber, außer dem Korpskommandanten auch S. M. der König und Marschall Cadorna der Sprengung beiwohnen würden.

Die Sprengung der Mine war für den 11. Juli um 3 Uhr 30 Min. früh angesetzt. Daher mußten die Alpini beim ersten Grauen des Morgens im Besitze der Stellungen sein, um, begünstigt vom Licht des jungen Tages, etwaige Gegenangriffe des Feindes zurückweisen zu können.

Geräuschlos und mit größter Vorsicht wurden sämtliche Feldwachen eingezogen. Die Mannschaften bekamen Watte und Binden, um sich die Ohren zu verstopfen und zuzubinden, und wurden auf den festgelegten Plätzen aufgestellt.

Von 3 Uhr ab herrschte bange und schweigende Erwartung. Unauslöschlich wird [97] jenen, welche an dieser denkwürdigen Aktion teilgenommen haben, diese Zeit in Erinnerung bleiben. Vollkommene Stille herrschte, man hörte nicht einmal ein Flüstern, alle waren gefangen von der Neuheit und der fremden und geheimnisvollen Größe des Augenblicks. Die letzten Minuten waren geradezu beklemmend.

Auf einmal ging ein Zittern durch die Berge wie von einem Erdbeben und in die glitzernde Nacht erhob sich eine ungeheure Staubwolke und das Donnern einer gewaltigen Lawine. Dann begann rings um den Castelletto ein Fallen von Steinen und Felsblöcken von den Wänden der Tofana, das kein Ende zu nehmen schien. In Sekunden darauf setzte der Donner aller Geschütze ein und von allen Seiten aus den Bergen sangen hell die leichten Granaten und summten hoch in den Lüften in dumpfen Tönen die schweren Geschosse.

Punkt 3Uhr 30 Min. hatte Leutnant Malvezzi von den gedeckten Zugängen unter der Tofana aus die Mine gezündet.

Der unaufhörliche Steinregen von den Wänden hatte den Aufbruch der Sturmpatrouillen für eine Weile verhindert.

Dann stürmte als erste die Besatzung der "Schildwache" los und hinter dieser in eiligem Schritt im Gänsemarsch eine Kolonne von etwa 300 Alpini.

Nach aller Voraussicht mußte die Mine die sie bedeckenden Felsmassen von 20 m Höhe durchschlagen, so die erste Zinne zerschmetternd und die Gesteinsmassen gegen die anderen zwei Zinnen werfend und gegen die Rückseite des Castelletto. Dies traf auch zum Großteil ein. Die ungeheuren, aufgewühlten Felsmassen begruben die vorgeschobenen Stellungen des Feindes vollständig und erschütterten wie ein starkes Erdbeben die beiden anderen Zinnen. Der gewaltige Luftdruck der Mine hatte auch dort alles, Hindernisse, Unterstände und Deckungen, wie eine Lawine weggeblasen.

Aber die Mine hatte auch eine andere, vollkommen unerwartete Wirkung: Die Wände der Felsschlucht und darüber waren durch die ungeheure Explosionswirkung der Mine wie von einem abbröckelnden Verputz überzogen, von dem sich Steine und Felsen loslösten, kaum daß man sie berührte, oder auch nur durch den Luftdruck einer kleinen Explosion.

Als die Sturmtrupps durch die Felsschlucht aufzusteigen begannen, wurden sie von einer verheerenden Steinlawine empfangen, wie man sie bei den früheren Angriffen nie gesehen hatte. Offiziere und Soldaten rollten mit den Felsblöcken tot, verwundet und zerquetscht in den Abgrund. Nach einiger Zeit wurde der Versuch wiederholt: Umsonst! Noch einmal stiegen die Patrouillen in die Schlucht ein und wieder mußten sie zurück. Der Angriff durch die Felsschlucht mußte unterbleiben.

Inzwischen war ein anderer Sturmtrupp im Minenstollen vorgedrungen. Aber auch hier trat ihm ein fürchterlicher und unerwarteter Feind entgegen: Der Rauch und die Gase der Riesenmine. Der Krater hatte nicht genügt, um den Explosionsgasen ganz Abzug zu verschaffen. Zu allem Unglück war durch abrollende Gesteinsmassen das Fel- [98] senfenster in den "Camino dei Cappelli" verstopft worden. Trotzdem hatten die Truppen, allen voran Leutnant Malvezzi, versucht, in den unheimlichen Schlund des Stollens vorzudringen. Sie hofften, in raschem Lauf die Zone des Rauches und der Gase durcheilen zu können, und am Ende des Stollens rasch wieder an die freie Luft zu kommen. Aber die Offiziere und Soldaten fielen einer nach dem anderen wie vom Blitz getroffen, vergiftet durch die Einatmung der Gase, zu Boden. Die nachdrängenden Mannschaften versuchten, ohne Atem zu holen, zu ihren ohnmächtigen Kameraden vorzudringen und diese, am Boden schleifend, in eiliger Hast an die frische Luft zurückzuschleppen. Mit vieler Mühe versuchte man die Dutzende von Ohnmächtigen durch künstliche Atmung wieder zum Leben zu erwecken, was auch bei den meisten gelang.

So war auch das Vortragen des Angriffes durch den Minenstollen vereitelt worden und die verräterischen, dichten Gase lagerten durch Stunden und Stunden im Stollen und verhinderten jedes Vordringen zum Krater.

Es blieb nur die kleine Besatzung der "Schildwache". Sie hatte den längsten Weg zurückzulegen, mußte über die 380 Sprossen der Strickleitern hinaufklettern und von oben wieder den schwierigen Gang durch die Felsen abwärts unternehmen. Auch ihr stellten sich ungeahnte Hindernisse in den Weg. Viele der Strickleitern waren durch abstürzende Steine beschädigt worden, dazu kam, daß auch auf diesem Wege aus den Wänden heftiger Steinschlag niederging. Aber es gelang der Besatzung, bis zur "Schildwache" vorzudringen und gegen alle Voraussicht traf man die kleine Kaverne mit dem Minenwerfer und dem Munitionsstapel von 400 Minen vollkommen unbeschädigt an. Mit dem ersten Morgengrauen konnten die Leute von der "Schildwache" erkennen, daß die erste Zinne auf dem Castelletto fast ganz verschwunden war und an ihrer Stelle ein unförmlicher Trümmerhaufen von Felsblöcken lag. Die beiden anderen Zinnen ragten wohl auf, aber von Hindernissen, Stellungen und Unterständen war keine Spur mehr zu sehen: Die Mine hatte ganze Arbeit getan.

Hingegen wirkte befremdend, daß im Krater und in seiner Umgebung nicht die geringste Spur von der Anwesenheit der italienischen Truppen zu erkennen war. Drüben aber, von der dritten Zinne, sah man plötzlich zwei grüne Leuchtraketen aufsteigen: Die Stellung befand sich noch in den Händen der Österreicher.

Der Offizier der "Schildwache" entschloß sich trotzdem rasch zu handeln. Mit nur wenigen Leuten begann er den schwierigen Abstieg durch die Felsen gegen den "Camino dei Cappelli" und es gelang ihm, besser als man vorauszusehen gewagt hatte, durch die Wände abzuklettern. Aber dort, wo früher die Feldwache "August" eingenistet gewesen war, schlugen plötzlich Sprengpatronen in die Felsen neben sie. Mit knapper Not erreichten die kühnen Kletterer dürftige Deckungen in Felslöchern. Die Schüsse waren vom Krater heraufgekommen, der vom Feinde wieder besetzt worden war. Von den Italienern sah man keine Spur, weder in der Felsschlucht, noch beim Felsloch im "Camino dei Cappelli", noch aus dem Stollen selbst. In ihrer furchtbaren Lage konnten sich diese [99] wenigen Leute wohl vor den Gewehrschüssen decken, wären aber rettungslos verloren gewesen, wenn der Feind eine Mine in ihre Felsen hinaufgeschossen hätte. Und so versuchte der Offizier, mit den Seilen den Abstieg durch den "Camino dei Cappelli" zu erzwingen und unten durch das Felsfenster in den Minenstollen zu gelangen. Sie hatten kaum die Hälfte des Abstieges zurückgelegt, da tauchte ober ihnen in den Felsen eine starke österreichische Patrouille von 15 Mann auf. Zwar wurde diese von der italienischen Artillerie bei den Cinque Torri sofort bemerkt, unter Feuer genommen und zurückgetrieben, dafür aber begann ein österreichischer Minenwerfer die Patrouille in den Felsen zu beschießen. Die Leute in ihrer verzweifelten Lage sahen, wie der weiße Rauch des Abschusses aufstieg und schon stürzte eine fürchterliche Steinlawine von oben, wo die Mine im Felsen zerplatzt war, auf sie herunter. Sie klammerten sich mit letzter Anstrengung an die Felsen, preßten die Körper an die Wand und deckten sich unter kleinen Vorsprüngen. In weitem Bogen flog der erste Alpino, von den Steinen getroffen, in den Abgrund hinaus. Auch der Offizier wurde von den Steinen in die Tiefe gerissen und nur wie ein Wunder durch das Gewehr gerettet, das er einem seiner verwundeten Leute abgenommen hatte und quer über den Rücken trug; in einem schmalen Spalt verkeilte sich das Gewehr und so blieb der Offizier zwischen Himmel und Erde hängen. Auch die anderen wurden verwundet und nur unter unsäglichen Mühen gelang es ihnen, den Offizier zu befreien und den Abstieg bis zum Felsenfenster durchzuführen. Sie trafen dieses von den Gesteinsmassen vollkommen verschüttet und räumten mit letzter Kraft die Trümmer von der Öffnung fort. Umsonst aber riefen sie in den schwarzen Stollen hinein, in dem ihre Kameraden von den Gasen vergiftet in tiefer Ohnmacht lagen.

Keiner der vier Angriffskolonnen war es gelungen, ihre Aufgabe zu lösen, und auch der Angriff von der Forcella dei Bois gegen den "Geheimnisvollen Fels" war mißglückt! Der Sieg, der mit so großer Sorgfalt und unter Einsatz so vieler Mittel vorbereitet worden war, und der so leicht zu erringen und schon so nahe war, schien sich in eine schmerzliche Niederlage zu verwandeln.

Am nächsten Morgen wurde das Feuer von den italienischen Stellungen aus wieder aufgenommen. Die Antwort des Feindes klang schwach, er begnügte sich, mit seinen Maschinengewehren die Felsenscharte ober der Schlucht und die Wände der Tofana zu bestreichen. Neuerdings wurde versucht, von der "Schildwache" gegen den "Camino dei Cappelli" vorzudringen, ja sogar durch diesen aufwärts wollte man in die Wände oberhalb des Castelletto vorstoßen. Alle Aktionen scheiterten am feindlichen Maschinengewehrfeuer.

Und so vergingen die langen Stunden des 12. Juli. Gegen Abend wurde noch ein Maschinengewehr in die "Schildwache" hinaufgebracht, der Minenwerfer wurde noch [100] weiter in den Felsen vorgezogen, um besser wirken zu können, das Feuer der Artillerie wurde auf die letzten feindlichen Nester unter den beiden Zinnen konzentriert.

Jede weitere Verzögerung mußte verhängnisvoll für das Gelingen der Eroberung des Castelletto werden. Und so wurde noch einmal der Aufstieg durch die Felsschlucht zwischen Castelletto und Tofana I versucht. Leutnant Soave mit den besten Leuten seines Zuges kletterte durch die schroffe Schlucht hinauf, und endlich lächelte das Glück diesen Tapferen! Es war fast Mitternacht, als der Trupp den Rand des Minenkraters besetzte. An langen Seilen wurden sofort zwei Maschinengewehre durch die Felsschlucht aufgehißt und in Stellung gebracht. Der furchtbare Kampf durch 44 Stunden in den Felswänden des Castelletto und der Tofana war zu Ende, der Castelletto war erobert!



1Es war jenes Scharfschützennest, das von den Österreichern "August" genannt wurde. ...zurück...






Front in Fels und Eis
Der Weltkrieg im Hochgebirge

Gunther Langes