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Der ekle Wurm
der deutschen Zwietracht

Politische Probleme rund um den 20. Juli 1944


Friedrich Lenz


15. Ein Wort an General Halder

Da jedem Deutschen klar sein dürfte, welch großen Wert die Feindmächte auf die Tatsache legen mußten, daß die Verschwörung gegen Hitler von den Inhabern so wichtiger Machtposten geführt wurde, wie sie die Herren Beck und Halder als Generalstabschefs des Heeres, Herr Canaris als Leiter der militärischen Abwehr, die sonstigen Generale, Herr Schacht, die Herren Weizsäcker und Kordt als maßgebliche Beamte des Auswärtigen Amtes darstellten, so muß ich mich mit diesem Problem etwas ausführlicher befassen, zumal Herr Halder Halder nunmehr versucht, seine Beteiligung an den Staatsstreichversuchen zu bagatellisieren bzw. zu rechtfertigen. Herr Halder wurde in Heft I/8 von Nation Europa von dem mißtrauisch gewordenen Engländer Mr. M. T. Pacey gefragt:

    "1. Ist es wahr, Herr General, daß Sie im September 1938 einen Brigadegeneral namens H. W. Boehm-Tettelbach nach London entsandt haben, um die britische Regierung zu einem kriegerischen Einschreiten gegen die erfolgreiche Anti-Versailles-Politik Hitlers zu bewegen?

    2. Ist es wahr, daß dieser deutsche General den Auftrag hatte, einen Mordanschlag auf den deutschen Staatschef 'am Tage nach dem Kriegsausbruch' zu versprechen?

    3. Ist es wahr, geehrter General, daß Sie 1939 davon unterrichtet wurden, Ihr Tötungsangebot werde die britische und polnische Regierung veranlassen, nunmehr gegen die deutschen Revisionsforderungen (Danzig, Weg durch den Korridor) am Versailler Vertrag entschieden festzuhalten?

    4. Ist es wahr, daß Ihnen die Regierung meines Landes im Jahre 1941 vor Beginn des deutschen Rußlandfeldzuges durch den Vatikan ein Geheimdokument zustellen ließ, in dem erneut die Zusage vom September 1939, i.e. Tötung Hitlers, gefordert wurde?

    5. Ist es wahr, daß die Regierung dieses Landes als Preis für die Beseitigung Hitlers die Garantie seiner folgenden, bis dahin erzielten, außenpolitischen Erfolge zugesagt hat: Volle Souveränität im Rhein- und Saarland, Aufrüstung Deutschlands, volle Gleichberechtigung, Anschluß Österreichs, Anschluß des Sudetenlandes, wirtschaftliche Eingliederung (aber nicht politisches Protektorat) der Tschechei, Selbständigkeit der Slowakei, Rückgliederung Danzigs, Rückgliederung Westpreußens und Pommerellens (nach international überwachter Volksabstimmung!), Rückgliederung Memels?

    6. Ist es wahr, daß Sie, geehrter General, dieses Dokument dem Oberbefehlshaber des Heeres vorgelegt haben, daß er aber Verhandlungen über die Beseitigung des deutschen Staatschefs als Landesverrat abgelehnt hat?"

Hierauf antwortete Halder am 7. September 1951 (veröffentlicht in Nation Europa, Heft II/6):

    "Sehr geehrter Mr. M. T. Pacey!

    Der Verlag der Zeitschrift Nation Europa hat mir Ihre unter der Überschrift 'Verhängnisvolle Versprechen?' erschienene Anfrage übermittelt. Ich beehre mich als Antwort auf Ihre Fragen folgendes festzustellen:

    Zu 1. Es ist richtig, daß Herr Hans Boehm-Tettelbach, der übrigens nicht Brigadegeneral, sondern Oberstleutnant a.D. und Leiter eines industriellen Unternehmens im Rheinland war, Anfang September 1938 im Auftrag der militärischen Opposition nach London gefahren ist. Über seinen 'Auftrag' hat er in der Rheinischen Post vom 10. Juli 1948 selbst ausgesagt: 'Mein Auftrag lautete, engste Angehörige des englischen Außenministeriums von nun an um die Festigkeit der englischen Regierung gegenüber den Forderungen Hitlers zu bitten. Meine Aufraggeber wünschten nichts anderes, als ein kategorisches Nein der englischen Regierung gegenüber den Expansionsbestrebungen Hitlers. Mit diesem Auftrag fuhr ich am 1. oder 2. September 1938, genau weiß ich das nicht mehr, nach London.'

    Von einem 'kriegerischen Einschreiten' Englands war nie die Rede. Das Wort 'Anti-Versailles' Hitlers ist nie gefallen. Das Streben der militärischen Opposition war nur auf einen Punkt gerichtet, nämlich einen deutschen Angriff auf die Tschechen, der einen Weltkrieg auslösen mußte, zu verhindern. Dazu - und nur dazu - war von England eine dieses Bestreben fördernde Haltung erwünscht. Sie wurde auch von Seiten der militärischen Opposition erbeten, nachdem vorher schon ähnliche Schritte von Seiten der diplomatischen Opposition und - wenn die Ausführungen von Raymond Lacoste in La Libre Belgique vom 19. Juni 1951 zutreffen - auch von Canaris getan worden waren.

    Zu 2. Nein, Herr Boehm-Tettelbach hatte dazu weder einen Auftrag noch hat er ein solches Versprechen gegeben. Ich darf dazu bemerken, daß damals in den Kreisen der militärischen Opposition von einer Ermordung Hitlers überhaupt nicht gesprochen worden ist. Vielmehr gingen die Pläne und Vorbereitungen der militärischen Opposition darauf hinaus, Hitler zu verhaften und vor ein deutsches Gericht zu stellen.

    Zu 3. Nein.

    Zu 4. - 6. Gemeint ist wohl die Niederschrift über Verhandlungen, die von einer amtlichen britischen Stelle durch Vermittlung des Vatikans mit führenden Persönlichkeiten der zivilen deutschen Opposition geführt worden sind. Diese Niederschrift ist mir als Ergebnis abgeschlossener Verhandlungen, von denen ich bis zu diesem Zeitpunkt nichts gewußt habe, lediglich in Form einer Abschrift ohne jegliche Unterschrift zur Kenntnis gebracht worden. Ich habe sie pflichtgemäß dem Oberbefehlshaber des Heeres, meinem unmittelbaren Vorgesetzten, vorgelegt. Dieser hat es abgelehnt, sich mit dieser Angelegenheit zu befassen, die nach seiner Auffassung, in anbetracht des zwischen England und Deutschland bestehenden Kriegszustandes, glatter Landesverrat war.

    Über die Einzelheiten des damals dem Oberkommando des Heeres in Abschrift vertraulich zugeleiteten Dokumentes kann ich keine authentischen Angaben machen. Solche Angaben wird Herr Dr. Josef Müller, z. Zt. Bayer. Justizminister, München, Gedeonstraße 4, machen können, der an der Führung der Verhandlungen in Rom maßgebend beteiligt war. Er wird Ihnen bestätigen, daß ich mit diesen Verhandlungen nicht das Geringste zu tun hatte."

Dazu ist folgendes zu sagen:29

"Militärische Opposition" ist an und für sich schon ein Begriff, bei dem jedem Soldaten das Gruseln kommt, wenn er nur an die damit zusamenhängenden Tatbestandsbegriffe der Meuterei, Wehrkraftzersetzung und Gehorsamsverweigerung denkt. Was ist dann erst die "militärische Opposition" eines Generalstabschefs, wenn sie darin besteht, daß er eine fremde Nation zu Hilfe ruft gegen seinen Vorgesetzten, dem er den Treueid geleistet hat und welcher der von seiner eigenen Nation erwählte Führer ist? Richtigerweise hat dies sein eigener Vorgesetzter Dr. jur. Martin Horn in Halders Spruchkammerverfahren als "vollendeten Hoch- und Landesverrat" bezeichnet. Der Vollständigkeit halber möchte ich hier anführen, was Herr Generaladmiral a. D. Hermann Böhm in Heft II/4 Nation Europa über jene Staatsstreichaktion denkt:

"Wenn Männer in hohen Stellungen im Herbst 1938, in der Überzeugung von Hitlers Schädlichkeit, ihn beseitigen wollten, wenn ein besonders Hochstehender dazu schon die Hand erhob, um sie auf die Nachricht von dem Münchener Abkommen zurückzuziehen und dann dennoch in Frieden und Krieg vier Jahre auf seinem Posten unter dem Diktator zu bleiben, wie andere Verschworene auch, so ist solche Haltung unverständlich...

Wenn aber historische Schuld erörtert wird, dann muß wohl in einer Studie, die Anspruch auf Geltung als historische Arbeit erhebt, auch dies abgewogen werden, ob nicht der Schritt, England insgeheim im Herbst 1938 zum Widerstand gegen Hitler aufzufordern, sehr dazu beigetragen hat, daß England ein Jahr später an Deutschland den Krieg erklärte, nachdem es wußte, welche Risse in dem Fundament der deutschen Wehrmacht bestanden. Der Hinweis auf die englische Garantie an Polen ist nicht stichhaltig, nachdem Rußland am 17. September 1939 ebenfalls in den Krieg mit seiner folgenden Aufteilung eintrat - ohne englische Kriegserklärung."

Da aber Hitler eine Wehrmacht nur aufbaute, um friedliche Völker zu überfallen, so war er ein Verbrecher oder - nach der Terminologie eines heutigen Gerichtes - der Führer eines "Unrechtsstaates", demgegenüber es keinen Verrat gab, d.h. demgegenüber dieser sogar erlaubt, nein, sogar Pflicht war. - So wollen Sie doch sagen, Herr Halder!? Halt! so weit sind wir noch nicht. Wir wollen uns erst noch etwas militärisch unterhalten. Ich könnte Sie daran erinnern, was einst unsere Vorgesetzten zu uns Soldaten sagten, als wir zu denken wagten, was ja auch für eine militärische Oppositionstätigkeit erforderlich sein dürfte: "Überlassen Sie das Denken den Pferden, denn diese haben größere Köpfe als Sie." Als ehemaliger Gefreiter darf ich das nicht, doch ich darf Sie daran erinnern, was einst Hindenburg zu Herrn von Hammerstein sagte, als dieser seine Staatsstreichpläne gegen die Reichskanzlerschaft Hitlers vortrug: "Kümmern Sie sich lieber darum, daß die nächstjährigen Manöver besser klappen; das ist Ihr Geschäft." Das war sein Recht nach den mehrhundertjährigen bewährten Regeln der preußisch-deutschen Wehrmachtstradition, und das gleiche Recht hatte wohl auch Hitler, nachdem er Oberster Befehlshaber geworden war.

Er tat dies auch, als er zu IhremVorgänger sagte: "Die Wehrmacht ist ein Instrument der Politik. Ich werde der Armee die Aufgabe zuweisen, wenn der Augenblick gekommen ist. Die Armee hat diese Aufgabe zu lösen und nicht zu diskutieren, ob die Aufgabe recht oder falsch gestellt ist."

So etwas von einem "böhmischen Gefreiten" hören zu müssen, war zu viel für Herrn Beck. Und darum kam es, um den Biograph des Herrn Beck zu zitieren: "...zu dem bewußten Eingriff des Soldaten in ein Gebiet, das außerhalb seiner Dienstbefugnisse lag, in die Außenpolitik des Reiches! Nach der an große Vorbilder der preußisch-deutschen Heeresgeschichte sich knüpfenden Tradition schien solcher Eingriff unstatthaft. Der ältere Moltke und Schlieffen hatten sich in politischen Fragen, auch wo ihre Ansichten von denen des verantwortlichen Staatsmannes abwichen, ungefragt jeder Meinungsäußerung oder gar Einflußnahme auf den Gang der Außenpolitik enthalten."

Hitler gegenüber war dieser Eingriff natürlich statthaft, denn erstens verstand dieser nichts von Politik und zweitens hatte er nichts anderes im Sinne, als fremde Völker anzugreifen und sein eigenes leichtsinnig in einen Krieg zu verwickeln. Das ging schon los mit der Besetzung des Rheinlandes, als nach der Behauptung eines "Historikers" Hitler bereits gesagt haben soll, daß er nun keine territorialen Forderungen mehr in Europa habe. Dann kam der "unmotivierte" Angriff auf Österreich, vor dem Herr Beck frühzeitig glaubte, mit fortgesetzten Denkschriften warnen zu müssen. Wie dumm muß er wohl - um mich wieder militärisch auszudrücken - aus der Wäsche geguckt haben, als er am 10. März nachmittags erfuhr, daß in zwei Tagen der geplante Krieg tatsächlich ohne seine Mitwirkung beginne. Er hatte eben Pech, denn für diesen "Blumenkrieg" hatte Hitler dem Herrn Generalstabschef keine Operationsstudie in Auftrag gegeben. Er hatte dem Generalstab allerdings Operationsstudien für Eventualfälle in Auftrag gegeben, da es ja nicht nur in Deutschland sondern auch in der ganzen übrigen friedlichen Welt so ist, daß sich die Generalstäbe bis zum Ausbruch der ihnen aufgezwungenen Verteidigungskriege nicht mit Bridgespiel oder sonstigen harmlosen Dingen beschäftigen. Da der kriegslüsterne Hitler - meiner Meinung nach auch zu dem Zweck, daß die Herren etwas für ihren Sold tun und nicht aus der Übung kommen - Operationsstudien ausarbeiten ließ, darunter auch eine für den tschechischen Raum, plante er wieder einen neuen Krieg, der mußte wiederum verhindert werden, diesmal mit Ihrer und englischer Hilfe. Das war der Staatsstreich Nummer Eins. Aber auch diesere Krieg wurde ein Blumenkrieg und brachte dem Reich das Sudetenland aus dem Schlachtfeld "München". Obwohl nun Herr Beck selbst in seiner Denkschrift vom 28. Mai 1938 bekennen mußte: "Es ist richtig, daß die Tschechei in ihrer durch das Versailler Diktat erzwungenen Gestaltung für Deutschland unerträglich ist und ein Weg, sie als Gefahrenherd für Deutschland auszuschalten, notfalls auch durch eine kriegerische Lösung gefunden werden muß, doch muß bei letzterer den Einsatz auch der Erfolg lohnen", und Sie, Herr Halder, in Nürnberg bei Ihrer Vernehmung zugeben mußten, daß Hitler Ihnen sagte, daß er die Tschechei ohne Krieg bekommen werde und ja auch trotz Denkschriften und Staatsstreich bekam, meldeten die Herren Staatsstreichler neue Kriegspläne ihres Staatsoberhauptes nach London und baten um eine feste Haltung, einmal Schwarz in Schwarz malend, daß denen Angst und Bange wurde, und ein andermal die deutsche Stärke herabsetzend, so daß es ein Kinderspiel wäre, einzuschreiten.

Aber man ließ es nicht allein bei diesen wichtigen Meldungen, nein, man versprach auch etwas. Man versprach nicht mehr und nicht weniger als die Beseitigung des Staatsoberhauptes.

Was Sie allerdings damals unter "Beseitigung" verstanden und heute darunter verstanden haben wollen, soll ein großer Unterschied sein, O nein! Nach der einschlägigen Literatur schlugen Sie vor, einen "eidfreien Zustand” zu schaffen. Ein Eisenbahnunglück mit nachfolgendem Führtertod wäre Ihnen am liebsten gewesen. "Dann wird es keinen Hitler mehr geben" - ließ man die englische Regierung wissen. Das ist aber alles nicht so wichtig, denn mir genügt für das, was ich mit meinen Ausführungen beweisen will, schon die Absicht der "Beseitigung". Die Motive Ihres Handelns kamen natürlich wie bei allen Ihren Mitverschworenen nur aus der tiefen Religiosität und nur aus christlichem Verantwortungsgefühl und ausschließlich aus der Liebe zum Vaterland. Es stimmt also nicht, was Herr Gisevius über seinen ersten Besuch im Jahre 1938 bei Ihnen schreibt?: "Mit einem Male wurde dieser eher verhalten wirkende Mann lebendig, nicht so sehr mit Gesten als mit seinen bissigen Worten. Plötzlich war er Gift und Galle. Manche bösen Worte habe ich in den letzten Jahren über unseren Führer... vernommen; ganz frei von Unliebenswürdigkeiten möchte ich mich selber nicht sprechen. Doch an soviel aufgespeicherten Haß und soviel hierauf verwandte Dialektik, wie ich sie diese paar Stunden zu hören bekam, kann ich mich weder vorher noch hinterher erinnern... Ihm zufolge steuerte dieser 'Geisteskranke', dieser 'Verbrecher' zielklar auf den Krieg los, vermutlich aus einer 'sexualpathologischen Veranlagung' heraus, weil er Blut zu sehen wünschte. - 'Blutsäufer' - dieses Wort fiel Sommer 1938." Oder stimmt es nicht, wie ein englischer bekannter Politiker mitteilt, daß Sie Ihre persönlichen Interessen verfolgt und Ihre Seele dem Teufel verkauft hätten? Stimmt es, daß Sie "sich dem amerikanischen Offizier gegenüber, der Sie vernahm, des Komplotts geschämt hätten, weil es einen Schatten auf Ihre Offiziersseele werfe"?

So bescheiden dürfen Sie nun auch wieder nicht sein, denn ein Schatten verschwindet immer wieder, aber bei Ihnen liegt der Fall nun doch anders. Vielleicht begreifen Sie dies, wenn ich Ihnen nachfolgend die Haltung von drei anderen "Verschwörern" unterbreite:


Fromm Generaloberst Fromm, der Befehlshaber des Ersatzheeres, soll von den Verschwörern, welche in ihm einen Gesinnungsgenossen wähnen, am 20. Juli zur Mitwirkung überredet werden. Man eröffnet ihm, daß man die nachgemachten "Walküre-Befehle", die den Staatsstreich zur praktischen Durchführung bringen sollen, ohne sein Wissen mit seiner Unterschrift versehen und weitergegeben habe. Da er inzwischen erfahren hatte, daß Hitler nicht tot sei, erklärte er die Anwesenden für verhaftet. Diese drehten den Spieß um und sperrten ihn nach kurzem Handgemenge in seinem Zimmer ein, um ihn später in die Dienstwohnung zu entlassen. Am Abend wird er vom Wachbataillon befreit. Er ließ nun durch ein Standgericht General Olbricht, Oberst von Stauffenberg und andere beteiligte Offiziere aburteilen und erschießen. Trotzdem wurde er vom Volksgerichtshof wegen Feigheit zum Tode verurteilt und erschossen. Er starb mit dem Ruf "Heil Hitler!"


Kluge Generalfeldmarschall von Kluge, Oberbefehlshaber im Westen, wurde schon seit Jahren von den Verschwörern zur Mitwirkung gedrängt. Er blieb wohl Mitwisser, lehnte aber das Ansinnen der Verschwörer, an seiner Front zu kapitulieren, ab. Wegen Differenzen in strategischen Fragen wurde er am 18. August 1944 durch Feldmarschall Model abgelöst und ins Führerhauptquartier bestellt. Er vergiftete sich, nachdem er Hitler einen Brief geschrieben hatte, dessen Schluß lautete:

    "Es muß einen möglichen Weg geben, einen Weg, der verhindert, daß das Reich dem Bolschewismus zum Opfer fällt. Die Haltung einer Reihe im Osten in Gefangenschaft geratener Offiziere ist mir ein Rätsel geblieben. Mein Führer, ich habe Ihrer Größe und Haltung in diesem gigantischen Ringen immer Bewunderung gezollt, ebenso wie Ihrem eisernen Willen, sich selbst und den Nationalsozialismus am Leben zu erhalten. Sollte sich das Geschick stärker erweisen als Ihr Wille und Genie, so ist es Schicksal und die Geschichte wird davon Zeugnis geben. Beweisen Sie auch jetzt die Größe, die notwendig ist, einen fortan hoffnungslosen Kampf zu beenden. In der Überzeugung, bis zum Letzten meine Pflicht getan zu haben, schließe ich, mein Führer, der ich Ihnen innerlich viel näher stand, als Sie wohl geahnt haben.
    Heil Hitler, mein Führer!
    von Kluge, Generalfeldmarschall"


Rommel Generalfeldmarschall Rommel, Oberbefehlshaber der Invasionsfront, war verhältnismäßig spät und zwar in der Hauptsache durch den früheren Oberbürgermeister von Stuttgart - Karl Strölin - in die Pläne der Widerstandsbewegung eingeweiht worden. Er kannte zwar die Attentatspläne, lehnte sie aber ab. Bei einer Lagebesprechung in Frankreich am 17. Juni 1944 schilderte er Hitler die schlechten Aussichten an der Invasionsfront und den sonstigen Kriegsschauplätzen. Hitler wies seine Einmischung zurück und verwies ihn auf den beabsichtigten Einsatz neuer Waffen. Da die Besprechung nicht erfolgreich verlief und sich die militärische Lage an der Invasionsfront nicht besserte, schickte Rommel am 15. Juli Hitler nochmals einen Lagebericht mit der Aufforderung, die Folgerungen zu ziehen (das Wort: "die politischen" hatte er wieder streichen lassen) und war entschlossen, im ablehnenden Falle an der Verschwörung sich aktiv zu beteiligen. Am 12. Juli wurde Rommel im Auto durch feindlichen Fliegerbeschuß schwer verwundet. Von diesem Sachverhalt erhielt Hitler nach dem 20. Juli Kenntnis. Er hat, so sehr dies manche nicht begreifen wollen, die vom Standpunkt der absoluten Staatsautorität aus einzig richtige, wenn auch harte Lösung getroffen. Rommel, der in jeder Hinsicht Soldat war, hat dies eingesehen und danach gehandelt. Er hat weder den durchaus möglichen Widerstand geleistet, noch die Möglichkeit einer Verhandlung vor dem Volksgerichtshof vorgezogen.30 Besser sagt dies Hans Hagen in Heft I/4 von Nation Europa:

"Es ist menschlich verständlich, daß sich Rommels Familie und seine engsten Mitarbeiter heißen Herzens auf die Seite der Feinde Hitlers stellen. Aber werden sie Rommels Rang gerecht? Vermögen sie in die Seele eines Soldaten von seiner Größe zu blicken? Der Feldherr nahm das Gift, das ihm Hitler schicken mußte, als er ihn als Mitwisser an der Verschwörung und an dem Attentat erkannte. Welcher Staatsmann hätte einen Mordanschlag auf sein Leben ungesühnt gelassen, welcher Kriegsherr darf eine Verschwörung im Augenblick der höchsten Bedrohung seines Volkes, angesichts der Gefahr einer tödlichen Niederlage, ungesühnt lassen?

Aus dem postkatastrophalen Streit der Meinungen über diese Ereignisse erhebt sich in makelloser Größe die Gestalt des Feldmarschalls. Im tragischen Auseinandertritt Hitlers und Rommels erschüttert die schweigende Geste, mit der Rommel das Gift annahm. In diesem Augenblick trat er an die Seite der großen Demütigen des Schicksals. Er erhebt sich zur Höhe eines Sokrates, der wie er den Giftbecher nahm und wie er den Rat zur Flucht von sich wies. Der höhere Gehorsam dieses Heldentums entrückt Rommel dem Streit der Parteien, ihrem Ringen um Recht und Unrecht, wie es für die unteren Stufen noch gelten mag und wie es von der Tendenz des Tages mit willkürlich verteilten Lichtern und Schatten dargestellt werden möchte. Wir vergessen das Gezänk des Augenblickes im Erschauern vor dem tragischen, die Zeit überdauernden und in die Ewigkeit weisenden Schicksalsvollzug."

Das waren Männer, Herr Halder!


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Anmerkungen

29Mit der Antwort zu 4.-6. macht es sich Herr Halder nun zu leicht. Der Sachverhalt war doch so, daß die zivile Opposition das "Dokument X", d.h. die englische Erklärung mit vieler Mühe beschafft hatte, weil die militärische Opposition viel zu mißtrauisch bezüglich der englischen Haltung nach einem Staatsstreich war, ein solches Dokument also direkt verlangte. Daß es gegeben wurde, war darauf zurückzuführen, daß inzwischen die Lage für England katastrophal geworden war, umgekehrt für Deutschland günstig. Wenn Herr Halder nun das Dokument dem Oberbefehlshaber des Heeres, also seinem Vorgesetzten gab, so geschah dies weniger in Erfüllung seiner Dienstpflicht, sondern deswegen, weil sich die militärische Opposition schon seit langem bemühte, Herrn v. Brauchitsch mit in die Reihen der Verschwörung einzubeziehen. Beide aber verletzten ihre Dienst- und Treuepflicht, daß sie den Bericht nicht dorthin gaben, wo er hingehörte. ...zurück...

30Der derzeit in Deutschland laufende amerikanische Rommel-Film enthält, abgesehen von seinen sonstigen Unzulänglichkeiten, derart viele historische Unwahrheiten, daß man es mehr als bedauern muß, daß dieser Film in Deutschland zur Irreführung des Volkes gezeigt und auch noch von den geschäftstüchtigen Filmleuten als Dokument der Wahrheit usw. angepriesen wird. Diese Tatsache und besonders der Umstand, daß wir dagegen, weniger wegen der Haltung des Auslandes als unserer eigenen Behörden, völlig wehrlos sind, beweist, wie tief wir gesunken und wie ehrlos wir geworden sind. ...zurück...


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