Der ekle Wurm der deutschen Zwietracht Politische Probleme rund um den 20. Juli 1944 Friedrich Lenz 16. Die Rolle von Admiral Canaris Ich muß mich nun mit einem Mitglied der Verschwörung befassen, das sich gleichfalls anmaßte, neben Hitler "deutsche Politik" auf eigene Faust zu machen, nämlich mit Herrn Admiral Canaris, dem Chef der deutschen Abwehr, also jener Organisation, welche in erster Linie dazu da war, Nachrichten in der ganzen Welt zu ermitteln, welche für die deutsche Regierung von militärischer und politischer Bedeutung waren. Jedem leuchtet die Wichtigkeit dieser Aufgabe ein. Da Canaris friedliebend und Hitler kriegslüstern war, arbeitete er gegen ihn. Sein Biograph Abshagen umschreibt dies so: "Es steht auf einem anderen Blatte, daß Canaris bei sich bietender Gelegenheit, etwa beim Vortrag vor Hitler oder vor Keitel, in dem Bestreben, Einfluß auf die Oberste Führung in dem Sinne auszuüben, der ihm als vernünftig oder moralisch einwandfrei erschien, gewisse Nachrichten, welche seine These unterstützten, besonders hervorhob, andere, welche Hitlers Ideen Vorschub zu leisten schienen, geflissentlich überging." Ich beschränke mich auf die Darstellung vier besonders wichtiger Fälle:
Herr Canaris war dagegen, weil er das Scheitern als sicher voraussah. Obwohl der deutschen Regierung und ihm bekannt war, was ja inzwischen von amtlicher englischer Seite zugegeben wurde, nämlich daß England selbst schon früher den Einfall in Norwegen vorbereitete, versuchte er die Aktion Hitlers zu verhindern. Er sagte sich - nach Abshagen: "Auf alle Fälle aber müssen wir, die Abwehr, alles in unseren Kräften stehende tun, um die als Ergebnis der zu erwartenden britischen Demonstrationen bei Hitler eintretende Wirkung zu bekräftigen. Wir müssen möglichst viele alarmierende Berichte über englische Gegenmaßnahmen vorlegen. - In der Tat wurden in den folgenden Tagen alle Meldungen, die in dieser Richtung auszulegen waren, in möglichst eindringliche Form gekleidet und an den Sonderstab für das Norwegenunternehmen geleitet." Daß Deutschlands Schlag trotz seiner Voraussage und trotz seiner Falschmeldungen und trotz der Tatsache, daß seine rechte Hand, Herr Oster, sogar den Norwegern den deutschen Plan vorher verraten hatte, gelang, spricht für Hitler und gegen Canaris.
Es steht fest, daß sich Spanien mit der Absicht trug, sich Deutschland anzuschließen, um sich in den Besitz von Gibraltar setzen zu können. Welche Vorteile Deutschland hinsichtlich der Beherrschung des Mittelmeeres daraus erwachsen wären, brauche ich nicht näher zu erläutern. Herr Canaris hintertrieb dies dadurch, daß er Herrn Dr. Josef Müller, Mitglied der Abwehr, Anfang September 1940 dem kurz vorher in Berlin zu Besuch gewesenen spanischen Außenminister Serrano Suner in Rom sagen ließ: "Der Admiral bittet Sie, dem Caudillo zu sagen, daß er Spanien unter allen Umständen aus dem Spiel heraushalten soll. Es mag Ihnen scheinen, daß unsere Position jetzt die stärkere ist - sie ist in Wirklichkeit verzweifelt (nach dem Sieg über Frankreich! d.V.), und wir haben wenig Hoffnung, diesen Krieg zu gewinnen. Der Caudillo kann sicher sein, daß Hitler nicht mit Waffengewalt in Spanien einmarschieren wird." Während Franco am 22. September 1940 Hitler noch einen zusagenden Brief schrieb, war er bei der Konferenz in Hendaye, welche vier Wochen später stattfand, völlig abweisend - weil Franco unterdessen in den Besitz von Kenntnissen aus der Quelle Canaris gekommen war.
Es besteht der begründete Verdacht, daß Canaris Hitler schon im Sommer 1940 absichtlich Falschmeldungen über russische Angriffsvorbereitungen zuspielte, um ihn zur Sorge vor einem russischen Angriff zu veranlassen und dadurch von dem für Anfang Januar 1941 geplanten Durchmarsch durch Spanien und Angriff auf Gibraltar abzuhalten. Man muß erst weitere Forschungsergebnisse in dieser Hinsicht abwarten, doch sollte es mich nicht wundern, wenn Hitlers wachsende Sorgen vor einem russischen Angriff zum großen Teil auf diese Meldungen zurückzuführen wären.
Als Mussolini gestürzt war, versicherte Badoglio, daß Italien auch unter dem neuen Regime den Kampf an Deutschlands Seite fortsetzen werde. Da Hitler dies nicht glaubte und in seinem Mißtrauen durch Meldungen von verschiedenen Seiten bestärkt wurde, traf er Vorbereitungen, um dem Abfall Italiens durch militärische Maßnahmen zuvor zu kommen. Canaris startete nun ein großes Manöver, um Hitler irrezuführen. Er ließ sich zur "genauen Klärung des Sachverhalts" nach Italien schicken und erfuhr dort von seinem Freund, General Amé, dem Chef des italienischen Geheimdienstes, daß Italien tatsächlich in Waffenstillstandsverhandlungen mit den Alliierten stehe, aber Hitlers Gegenschlag befürchte. Er, Canaris, solle diesen Gegenschlag verhindern. Canaris tat dies dadurch, daß er im Anschluß an dieses unter vier Augen abgehaltene Gespräch eine offizielle Konferenz unter Anwesenheit des beiderseitigen Begleitpersonals veranstaltete und hierbei die ihm von Hitler aufgetragenen Fragen an Amé stellte, die dieser mit einer Ableugnung der Abfallsabsichten und "Treuekundgebung" für die Achse beantwortete. Dieses gemeine Theater wurde protokolliert und Hitler vorgelegt, worauf dieser schweren Herzens auf Gegenmaßnahmen verzichtete. Ich zitiere den englischen Militärschriftsteller Liddell Hart: "Am 12. Januar eröffneten die Alliierten auf dem Casino-Sektor einen Angriff und am 18. entwickelte er sich zu einer schweren Offensive über Garigliano. Der Armee-Kommandeur fürchtete, es könne zu einem Durchbruch ins Lirital kommen und erbat sich leihweise die zwei Reservedivisionen mit der Bemerkung, er brauche sie nur für einige Tage. Kesselring zögerte, diesem Wunsch nachzukommen. Aber gerade in diesem Augenblick erhielt er den Besuch von Admiral Canaris, dem Chef des deutschen Nachrichtendienstes, der ihm zur Antwort auf seine Fragen versicherte, 'es seien nicht die leisesten Anzeichen einer neuen Landung zu bemerken, der Schiffsverkehr im Hafen von Neapel wäre durchaus normal'. So stimmte Kesselring, wenn auch sehr ungern, der Abgabe seiner Reserve zu... die Folge war, daß die anglo-amerikanischen Kräfte bei ihrer Landung in Anzio keinem Widerstand begegneten, auch als sie landeinwärts vorstießen und eine Deckung für ihren Kopf errichteten..." Zum Schluß noch einige Charakterzüge, überliefert von seinem Biographen: "...daß die Nachricht von Heydrichs Tod im Mai 1942 von ihm mit einem Aufatmen der Erleichterung aufgenommen wurde, wenngleich er es für richtig hielt, bei der Beisetzung gegenüber Heydrichs Mitarbeitern mit dumpfer, wie von Tränen erstickter Stimme zu erklären, daß er Heydrich als großen Menschen außerordentlich geschätzt und verehrt habe und mit ihm einen treuen Freund verliere... Als er Hitler in der 'Wolfsschanze' sah, meinte sein Begleiter: Auf die Entfernung, das gäbe 'nen Blattschuß. Canaris antwortete ohne lange zu überlegen: 'Tun Sie's doch...' Er widersetzte sich aber auch nicht, als innerhalb der Abwehr Vorkehrungen getroffen wurden, die mit dem geplanten Anschlag auf Hitler zusammenhingen. Er war mehr als halb darüber unterrichtet, aber er wollte nicht zu genau im Bilde sein."
Ich frage Herrn Strölin: War
Herr Canaris nun Patriot oder Verräter?
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