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Der ekle Wurm
der deutschen Zwietracht

Politische Probleme rund um den 20. Juli 1944


Friedrich Lenz


14. Ansichten und Urteile zum Attentat und den Attentätern

Angesichts der eine zeitlang beliebten, meist nur sehr allgemein gehaltenen, vagen Verteidigung des Attentats sollen im folgenden Urteile wirklich zuständiger, kompetenter Persönlichkeiten aufgeführt werden.


1. Generaladmiral Hermann Boehm, im Kriege Oberbefehlshaber in Norwegen, urteilt in der Monatsschrift Nation Europa I/9 über die Tat des 20. Juli:

"Ich lehne im übrigen die Tat des 20. Juli ab, weil sie sachlich betrachtet von völlig falscher Beurteilung der Lage ausging, außen- wie innenpolitisch.
Churchilla) Außenpolitisch war auch bei geglücktem Attentat keine andere Haltung der Siegermächte zu erwarten. Bereits im November 1939 hatte Churchill in einer Rundfunkansprache an das englische Volk gesagt: 'Dieser Krieg ist ein englischer Krieg und sein Ziel ist die Vernichtung Deutschlands.' (Quelle: Sven Hedin, Amerika im Kampf der Kontinente.) Man beachte: nicht 'Vernichtung des Nationalsozialismus', sondern 'Vernichtung Deutschlands'! Von da über Teheran, Casablanca, Yalta, Morgenthau-Plan bis Potsdam führt nur eine Linie des Vernichtungswillens. Man lese in Churchills Memoiren seine Unterredung mit Stalin (August 1942) über die bewußte Bombardierung der deutschen Zivilbevölkerung, man lese Churchills zynische Reden über die beabsichtigte Zwangsvertreibung von Millionen Deutschen aus ihrer Heimat! Hitlers Tod 1944 hätte an dem Willen der Sieger, an ihrer Kriegsführung und unserem nationalen Schicksal nichts geändert.
b) Innenpolitisch haben die Männer des 20. Juli die Mentalität des deutschen Volkes jener Zeit in seiner großen Mehrheit, vor allem die der jungen Frontsoldaten, völlig falsch eingeschätzt. Auch bei einem geglückten Attentat war nichts anderes zu erwarten, als daß wir zu allem sonstigen Leid noch einen Bruderkrieg blutigster Art bekommen hätten. Nun wird gesagt, daß ein Zusammenbruch 1944 uns viel Blut und Opfer gespart hätte. Es erscheint mir müßig, Voraussagen zu machen über Entwicklungen, die nur durch wirklichen Ablauf erwiesen werden können. Da aber solches so oft behauptet wird, möchte ich als wahrscheinliche Folge bezeichnen, daß der unzweifelhaft eingetretene Bürgerkrieg mit schwersten blutigen Opfern den sofortigen Zusammenbruch der Fronten und dadurch die Gefangennahme und Verschleppung von noch mehr Millionen deutscher Soldaten und Zivilisten nach dem Osten verursacht hätte, als ohnedies geschehen.

Zusammenfassend bin ich der Auffassung, daß der Hochverrat vom 20. Juli vom Gesichtspunkt der möglichen und tatsächlichen Folgen für das deutsche Volk eine geschichtliche Rechtfertigung nicht findet."


2. Dietrich von Choltitz, der letzte Kommandant von Paris, schreibt in seinem Buche Soldat unter Soldaten:

von Choltitz "Bestanden die immer wieder vorgebrachten Bedenken, ob eine Beseitigung Hitlers das Unglück des verlorenen Krieges überhaupt noch abwenden könne, zu Unrecht? Sprechen nicht eigentlich die Erfahrungen der Männer des 20. Juli mit dem Ausland dagegen?

Ist der Krieg gegen Deutschland wirklich nur gegen Hitler und seine Trabanten geführt worden? Sind unsere Städte einzig und allein in Trümmer gelegt worden, um Hitler zur Kapitulation zu zwingen? Mußten bei dem 'Kreuzzug in Europa', wie Eisenhower später seine Kriegserinnerungen so geschmackvoll überschrieb, so viele Kirchen und andere Kunstwerke in Frankreich und Deutschland vernichtet werden, wenn es nur um den Kampf gegen den Nationalsozialismus ging?"


3. Otto Meißner in seinem Buche Staatssekretär unter Ebert - Hindenburg - Hitler:

"Die Frage, ob das Gelingen des Anschlags und die gewaltsame Beseitigung Hitlers eine günstige Wendung des deutschen Schicksals herbeigeführt und unserem Volke einen Teil der Opfer erspart hätte, die es nach dem Juli 1944 noch erdulden mußte, kann nicht bejaht werden. Die Partei und ihre Gliederungen waren damals noch stark und wären auch nach Hitlers Ausfall von rücksichtslosen und fanatischen Gewaltmenschen wie Himmler, Bormann, Goebbels usw. geführt worden. Sie hätten sich gegen eine Regierung Beck-Goerdeler und eine 'reaktionäre Militärdiktatur' entschlossen und wohl auch erfolgreich zur Wehr gesetzt. Der staatliche Apparat, die Polizei, die Propaganda und die Presse waren in ihren Händen. Die Stimmung in der Wehrmacht war nicht einheitlich; die meisten Frontoffiziere, namentlich die jüngeren, sahen in dem versuchten Staatsstreich Hochverrat, Bruch des Fahneneids und der im Kriege dem Vaterland unbedingt geschuldeten Treue. Die annähernd 600,000 Mann starke, gut geschulte und vorzüglich ausgerüstete Elitetruppe der Waffen-SS wäre der Kern eines erbitterten Widerstands der Front gegen das meuternde Heimatheer geworden. Die Parteiagitation hätte in der Behauptung, daß wiederum Verrat und Eidbruch dem siegreich kämpfenden Heer den Dolch in den Rücken zu stoßen versuche, ein Schlagwort gehabt, um den Fanatismus der Massen zu entflammen. Ein gelungenes Attentat hätte den Diktator Hitler beseitigt, aber nicht die Diktatur des Nationalsozialismus. Es hätte vielleicht den Krieg um einige Monate abgekürzt, aber dafür zu neuen schweren Verlusten und Zerstörungen durch Kämpfe in der Heimat geführt, die wohl kaum geringer gewesen wären als die nach dem Juli 1944 noch in den Schlachten der Front und den Bombenangriffen auf die deutschen Städte erlittenen.

Die Kriegslage hätte sich bei der nun eintretenden Zersplitterung des deutschen Volkes weiter verschlimmert; günstigenfalls hätten die Feinde Gewehr bei Fuß gestanden, bis die Deutschen sich selbst zerfleischt hätten, ohne an dem Verlangen der bedingungslosen Übergabe etwas nachzulassen. Ein Gelingen des Attentats und eine hierdurch ausgelöste Revolution hätten an dieser Forderung, auf welche die Feinde Deutschlands sich festgelegt hatten, nichts geändert. Die Auffassung, daß ein gelungener Staatsstreich wenigstens die Einheit Deutschlands und eine eigene deutsche Regierung gerettet hätte, ist reichlich problematisch. Denn damals (im Sommer 1944) hatten sich die Alliierten bereits über die Aufspaltung des Reichs in von den Siegern selbständig verwalteten Zonen verständigt."


4. Generalfeldmarschall von Manstein nahm - nach D. von Choltitz - 1943 wie folgt Stellung:

Manstein "Die feindliche Übermacht, gegen die ich seit Jahren zu kämpfen habe, hat sich von 1:3 nun auf 1:20 gesteigert. Angesichts dessen ist der Gedanke lächerlich, einfach ins Führerhauptquartier fahren zu wollen, um Hitler umzubringen, während vor mir Millionen von Russen zum Sprunge bereitstehen, in Deutschland einzubrechen. An der Spitze einer Heeresgruppe bin ich dem deutschen Volke verantwortlich und kann als Armeeführer keine Minute daran denken, gewaltsam eine Änderung in der Führung vorzunehmen. Ich kenne außerdem die Geschichte zu gut, um nicht zu wissen, welch unheilvolle Folgen ein Revoltieren an der Front mit sich bringen kann. Ich habe nicht das Recht, durch meinen eigenen Ungehorsam meine Soldaten unsicher zu machen. Der General an der Front muß in erster Linie ein Beispiel für seine Untergebenen sein. Wenn eine solche Änderung, die in vieler Hinsicht nötig ist, ja, die ich selbst aufs höchste begrüßen würde, geplant wird, muß sie von Männern in der Heimat eingeleitet werden, die die Möglichkeit haben, an Hitler heranzukommen, und die viel besser in der Lage sind, sich ein Bild von der politischen Auswirkung zu machen. Ich selbst muß zu meinen Soldaten stehen, die ich zu führen habe und deren Schicksal ich teile."


5. Generaloberst Heinz Guderian äußert sich in seinen Erinnerungen:

"Die außenpolitischen Voraussetzungen für einen Erfolg des Attentats waren nicht gegeben. Die Beziehungen der Verschworenen zu maßgebenden Politikern des feindlichen Auslandes waren spärlich. Keiner der maßgebenden feindlichen Politiker hatte sich aber nur im mindesten zu Gunsten der Verschworenen festgelegt. Man geht wohl nicht zu weit, wenn man sagt, daß die Aussichten des Reiches bei Gelingen des Attentats um nichts besser gewesen wären, als sie es heute leider sind. Es ging unseren Feinden eben nicht nur um die Beseitigung Hitlers und des Nazismus...

Guderian Natürlich wird immer wieder die Frage aufgeworfen, was geschehen wäre, wenn das Attentat gelungen wäre. Niemand kann das sagen. Nur eines scheint sicher: Damals glaubte ein sehr großer Teil des deutschen Volkes noch an Adolf Hitler und wäre zu der Überzeugung gekommen, daß die Attentäter den einzigen Mann beseitigt hätten, der vielleicht noch in der Lage gewesen wäre, den Krieg zu einem glimpflichen Ende zu bringen. Mit diesem Odium wäre das Offizierskorps, die Generalität und der Generalstab in erster Linie belastet worden, schon während des Krieges, aber auch hinterher. Der Haß und die Verachtung des Volkes hätte sich gegen die Soldaten gekehrt, die mitten in einem Ringen auf Leben und Tod durch den Mord am Oberhaupt des Reiches unter Bruch des Fahneneides das bedrohte Staatsschiff führerlos gemacht hätten. Daß unsere Feinde uns deshalb besser behandelt hätten, als es nach dem Zusammenbruch geschah, ist unwahrscheinlich.

Nun wird man fragen: Was also hätte geschehen sollen? Da kann ich nur sagen: Es wird so viel von Widerstand gegen das Hitler-Regime geredet und geschrieben. Wer von den noch Lebenden, den Rednern und Schreibern, die an Hitler hätten herankommen können, hat denn selber wirklich auch nur ein einziges Mal Widerstand geleistet? Wer hat gewagt, auch nur ein einziges Mal Hitler seine abweichende Ansicht mitzuteilen und gar Auge in Auge mit dem Diktator auf seiner Meinung zu beharren? Das hätte geschehen müssen! In den Monaten, in welchen ich die Lagevorträge und zahlreiche militärische, technische und politische Besprechungen bei Hitler erlebte, taten das nur sehr wenige Menschen, von denen leider nur die wenigsten noch unter den Lebenden weilen. Ich muß aber ablehnen, jene Leute Widerstandskämpfer zu nennen, die nur hinter den Kulissen getuschelt haben, daß sie anderer Ansicht seien, die nur andere Leute anzustiften versuchten. Hier scheiden sich die Geister. Wer anderer Ansicht war als Hitler, hatte die Pflicht, ihm das offen zu sagen, wann immer sich ihm die Gelegenheit darbot. Dies gilt in erster Linie und ganz besonders für die Zeit, als es noch Zweck hatte, nämlich für die Zeit vor dem Kriege. Wer sich darüber klar zu sein glaubte, daß Hitlers Politik zu einem Krieg führen mußte, daß ein Krieg verhindert werden mußte, der hätte vor dem Krieg die Gelegenheit suchen und finden müssen, dies Hitler und dem deutschen Volks in unmißverständlicher Deutlichkeit zu sagen, wenn nicht im Inlande, dann aus dem Ausland. Haben die seinerzeit Verantwortlichen das getan?"


6. Wir wollen aber auch niedere Dienstgrade über ihre Auffassung zu Worte kommen lassen. Ein Oberleutnant der Waffen-SS, der den Krieg vom Panzergrenadier aufwärts an der Front mitmachte, Erich Kern: Herz im Stacheldraht:

"Hunderte Male berieten sie, wie Hitler beseitigt werdn könnte und müßte. Zu gleicher Zeit waren sie viele Dutzend Male mit ihm am Kartenbrett, die meisten von ihnen hatten oft die Pistolen umgeschnallt und keiner, kein einziger hatte den Mut, aufzustehen und Brutus zu sein.

Am Schluß hatten sie es einem einäugigen, einarmigen Phantasten und Fanatiker überlassen, der über den fanatischen Nationalsozialismus zum fanatischen Nationalbolschewiken gekommen war, und dem als einzige Rettung eine Art nationaler Räterepublik vorschwebte, die Aktentasche mit der englischen Zeitbombe unter den Schreibtisch zu legen. Als Hitler aber auch das überlebte, legten sie resigniert die Hände in den Schoß, bis der Tod nach ihnen griff...

Man konspirierte mitten im Krieg über die Aufrichtung einer Monarchie und hoffte dabei, die Zustimmung der sich übrigens sehr vorsichtig distanzierenden Kommunisten zu dieser Schnapsidee zu erhalten. Man speiste mit den Wittelsbachern, plauderte mit Prinzessin Pilar, nahm seinen Tee bei Kronprinzens und konferierte wochen- und monatelang mit Frau Riegele, der Schwester Görings, in der Hoffnung, durch diese Dame die Bereitwilligkeit des Reichsmarschalls zu einem Putsch zu erreichen. Ein andermal spielte man mit dem Gedanken, mit dem verhaßten Reichsführer-SS ein Abkommen zum Sturze Hitlers zu treffen, 'da er ja die absolute Macht hat'. Ja, man formte in endlosen Diskussionen bereits Gesetze, die in der Bibliothek des preußischen Finanzministers Dr. Popitz versteckt wurden, man beschloß Richtlinien zur Handhabung des Gesetzes über den Belagerungszustand, worin unter anderem bestimmt wurde, daß 'die Amtsträger der Partei ihre Marschstiefel unverzüglich abgeben müßten', Versammlungen und Demonstrationen zu unterbleiben hätten, Streiks nicht stattfinden dürften, und dafür Sorge zu tragen sei, daß vorerst Fremdarbeiter und Kriegsgefangene an ihren Arbeitsstellen zu bleiben hätten.

Wir griffen uns an den Kopf über so viel Naivität. Wie sich preußische Generale und Minister eine Revolution vorstellten!

Die anderen aber, und das war die überwiegende Mehrheit, die waren nichts anderes als Kollaboranten dieses Widerstandswillens. Sie unterfertigten die Todesurteile wegen Landesverrat, wegen Feigheit vor dem Feind und Desertion, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken, um nachher zu einem konspirativen Tee zu fahren. Wohlgemerkt: die Befehlshaberstandarte vorne am Kübelwagen. Wehe, wenn da ein Frontsoldat nicht mit genügendem Respekt die Ehrenbezeugung geleistet hätte!"


7. Der Leutnant einer Fronttruppe aus Österreich (Entnommen dem Informationsdienst Die Plattform):

"Untersuchen wir sachlich. Jeder Frontsoldat weiß, daß, wenn z.B. bei einem angreifenden Bataillon ein Kompaniechef, weil er der Meinung ist, der Kommandeur würde dieses Bataillon in die Irre führen, den Kommandeur angesichts der Soldaten und Offiziere des Bataillons von rückwärts umlegen würde, er niemals die Situation damit retten könnte. Entweder würde er selbst sofort erschossen werden oder es würde ein blutiger Kampf angesichts des Feindes zwischen Anhängern des Mörders und den Übrigen entbrennen. Auf alle Fälle würde eine glatte Panik entstehen, die jeder feindliche Kommandeur dazu benützen würde, dem Bataillon ein rasches Ende zu bereiten.

Nehmen wir an, es wäre der 20. Juli gelungen. In jeder Stadt, zu der die Meuterer Verbindung hatten, waren bereits die Verhaftungslisten fertig. Teilweise waren sogar schon Männer der Partei und die NSFO bereits eingelocht, wie zum Teil in Wien. Glaubt denn ein einziger Mensch, daß sich z.B. die Waffen-SS freudigst zum Einlochen und Umlegen von selbst gemeldet häte? Glaubt denn ein Mensch, daß das junge Offizierskorps, größtenteils aus der HJ hervorgegangen, an allen Fronten ausgezeichnet, mit jenen Meuterern, die durchwegs den reaktionären Schichten entstammten, gemeinsame Sache gemacht hätte?

Die erste Folge des 20. Juli wäre ein mörderischer Bürgerkrieg in ganz Deutschland gewesen. Die Rote Armee wäre genau so wie die westlichen Alliierten in Deutschland eingerückt, um 'Ordnung zu machen'."


8. Ein Gebirgsjäger-Obergefreiter aus der Steiermark:

"Ich verstehe gar nicht, warum wir darüber diskutieren und streiten sollen. Auf der einen Seite stehen alle jene anständigen Kerle, die, ohne Politiker zu sein, um weiß Gott welche Rolle zu spielen, ihre Pflicht erfüllen, weil Volk und Land (aus welcher Schuld war gleichgültig) in ernster Gefahr waren. Sie taten diese Pflicht auf den Bauernhöfen, in den Fabriken und vor allem an der Front. Auf der anderen Seite stehen eine Handvoll Eidbrecher, die entweder Verbrecher oder zumindest Fantasten waren, die Schiffbruch erlitten. Es gibt hier nur eine einzige kurze und klare Entscheidung: entweder mit der Masse der kleinen, braven und tapferen Pflichterfüller oder mit der Handvoll Verbrecher oder Fantasten. Eine andere Entscheidung gibt es nicht. Wir entscheiden uns selbstverständlich für Pflichterfüller. Denn darunter standen ja auch wir."


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