Der ekle Wurm der deutschen Zwietracht Politische Probleme rund um den 20. Juli 1944 Friedrich Lenz 13. Die Moral des Volkes und der Soldaten Was darf man aus diesen Feststellungen schließen? Können diese Männer, die sich anmaßten, so leichtfertig in den Kampf um das Schicksal Deutschlands einzugreifen, beanspruchen, so beurteilt zu werden, wie sie und ihre Nachkommen dies wünschen? Nein - selbst dann nicht, wenn man ihnen zubilligen würde, das Beste gewollt zu haben. Könnte es etwa entschuldigt werden, wenn sich ein Laie daran machen würde, einen inmitten der Stadt niedergegangenen Bombenblindgänger zu entschärfen, statt dies dem Fachmann zu überlassen? Daß sie vor den Folgen ihres Tuns nicht zurückschreckten, sondern trotz größter Schwierigkeiten und vieler erfolgloser Versuche immer wieder Attentatspläne schmiedeten, beweist allein schon ihren abgrundtiefen Haß, der alle Vernunft und jede Gewissensregung erstickte und sie zur ethischen Motivierung ihres Handelns die ausgefallensten Ausreden erfinden ließ. Es waren in der Mehrzahl eben keine Menschen, deren seelischer Schwerpunkt in Deutschland lag. Dies stellte auch der über die deutsche Widerstandsbewegung hervorragend orientierte Amerikaner Dulles in seinem Buche Verschwörung in Deutschland fest: "Es ist interessant festzustellen, wie die führenden Rollen in der Verschwörung von Leuten gespielt werden, die verwandtschaftliche oder kulturelle Beziehungen zu der angelsächsischen Welt hatten." Bei anderen waren es die Beziehungen zur internationalen Kirche, welche die Interessen des Vaterlandes in den Hintergrund treten ließen. Der hingerichtete Pfarrer Dietrich Bonhoeffer sagte 1941 auf einer geheimen Kirchenkonferenz in Genf: "Ich bete für die Niederlage meines Vaterlandes. Nur durch die Niederlage können wir Sühne leisten für die furchtbaren Verbrechen, die wir gegen Europa und die Welt begangen haben." Ich aber frage die Verschwörer und die Befürworter des 20. Juli: Wer wird Sühne leisten für die Schuld am Krieg, für die Bombenzerstörungen, für die Austreibung der Deutschen aus Osteuropa, aus ihren deutschen Heimatgebieten, für die millionenfachen Greuel der Bolschewiken, für die Auslieferung Osteuropas an die Bolschewiken, für das wirtschaftliche Elend und die Bedrohung des gesamten Abendlandes und Amerikas durch den Bolschewismus? Und wer wird bluten müssen für dessen Überwindung, ohne welchen nie Ruhe einkehren wird in Europa? Welchen Kampf haben die lebend gebliebenen Verschwörer des 20. Juli und die Nachfolger der Hingerichteten gegen diese Verbrechen geführt und führen sie noch? - Keinen! Sie führen stattdessen einen unentwegten Kampf gegen die Wahrheit, und vor allem den Kampf gegen das wirkliche Deutschland, das sie mit pseudo-demokratischen Mitteln unterdrücken möchten. Der Eidbruch wird von ihnen mit der lächerlichen Behauptung begründet, daß Adolf Hitler seinerseits den Eid der Nation gegenüber gebrochen habe. Abgesehen davon, daß "zum Eid zur einer gehört und zwar der eine, der ihn aus freien Gründen schwört und vor Gottes Angesicht frei, doch ohne Wanken zu dem steht, was er gelobte", ist mir völlig unbegreiflich, inwiefern Adolf Hitler seinen Eid nicht gehalten habe. Dafür haben diejenigen, die sich auf diesen angeblichen Eidbruch berufen, nicht den geringsten Beweis, sondern nur eine allgemein gehaltene Behauptung. Die Verschwörer haben aber den Eid schon gebrochen, als Adolf Hitler jene Taten, die fälschlich als Eidbruch zu verzeichnen wären, noch gar nicht begangen haben konnte. Ein weiteres Motiv, das zur Rechtfertigung des Attentats angeführt wird, ist die angebliche Aussichtslosigkeit der militärischen Situation (1944). Abgesehen davon, daß dieses Motiv nachträglich herangeholt ist, weil ja feststeht, daß die Verschwörertätigkeit schon unentwegt von 1933 bis 1944 betrieben wurde, konnten die Putschisten an ihrer Stelle überhaupt nicht die tatsächlichen Kriegsaussichten beurteilen, da ihnen der Überblick der Spitzenführung fehlte, geschweige denn, daß sie deren Absichten kannten. Noch lächerlicher ist die Behauptung der Verschwörer, daß sie verpflichtet gewesen wären, das deutsche Volk von einem Diktator zu befreien. Selbst 1944 wurde Adolf Hitler von der weitaus überwiegenden Mehrheit des deutschen Volkes noch nicht als der Mann betrachtet, unter dessen Führung es seufzte, den es loswerden wollte. Ich führe hier eine wesentliche Buchstelle an, welche in völliger Klarheit zutreffend zu dem Problem Stellung nimmt:28 "Der 20. Juli hatte erwiesen, daß der Hochverratsgedanke in den Massen des Volkes und den Millionen der Truppe keinen Boden und keine Wurzeln besaß. Was wir mit Schrecken entdeckt hatten, war die Tatsache, daß es eine fast standesgemäß zu nennenden Fronde ohne jede konstruktive politische Kraft in einer Gesellschaftsschicht gegeben hatte, wo niemand sie vermutet oder für möglich gehalten hatte. Wir hatten das Scheitern des Putschversuches insbesondere deshalb begrüßt, weil sein Gelingen uns unweigerlich innerhalb 24 Stunden in den blutigsten Bürgerkrieg an der Front und in der Heimat und damit in den sofortigen Zusammenbruch gestürzt hätte. Es stand außer Frage, daß die Masse der Arbeiter und der Soldaten trotz aller ihrer schweren Besorgnisse und Leiden einer Putschregierung solcher Art mit verzweifelter Erbitterung begegnet wäre und den Gehorsam verweigert hätte, weil sie den Anschlag als einen tödlichen, ganz aus Standesvorurteil und Standesinteresse entwickelten Verrat an ihren eigenen Hoffnungen betrachtet hätte. Was den Putschisten auch das letzte Gramm von Verständnis vorenthielt, war die im ganzen zutage getretene persönliche Absicht der Beteiligten, nicht ihr Leben für die von ihnen behauptete höchste Notwendigkeit im Interesse des Landes einzusetzen, sondern vor allem für eine Ambition, für einen erhofften Machttitel persönlich zu überleben. Die Putschisten hatten, wie sich hinterher herausstellte, bedeutende Truppenverbände für ihre Zwecke in den Heimatorten gehalten und der Front damit Reserven gerade in kritischster Situation vorenthalten. Der Umfang dieser Unterschlagung war im einzelnen nicht bekannt. Er schien aber erheblich genug zu sein, wenn Himmler mit diesen Verbänden das Loch im Osten überhaupt zunächst einmal hatte decken können. So entstand nun jedenfalls der tödliche Verdacht, daß die Putschisten an einem militärischen Zusammenbruch der Ostfront vorsätzlich als an einer Voraussetzung für den Zusammenbruch des Regimes interessiert waren und daher die Verhängnisse aus der strategischen Fehlführung absichtlich erweitert hatten, statt sie zu lokalisieren. Wir hatten also guten Grund, ihnen auch eine unmittelbare Verantwortung für die verhängnisvolle Frontentwicklung zuzuschreiben. Diese Entwicklung bedrohte das Gelingen unserer Gesamtkonzeption, sie stellte den Zeitgewinn in Frage, den wir brauchten. Das Scheitern des Putsches gab uns die letzte Chance, dieser Gefahr womöglich doch noch Herr zu werden. Die Dinge lagen durchaus nicht so, also ob die Gestapo an sich das Rückgrat der inneren Stabilität gewesen wäre. Eine solche Auffassung war gegenüber der tatsächlichen Situation eine Illusion der wenigen, die überhaupt in einer ernsthaften Opposition standen. Volk und Truppe kämpften so erbittert und standhaft, weil sie von dem Bewußtsein durchdrungen waren, daß es in diesem Kampfe buchstäblich um die letzten Fragen der nationalen wie der persönlichen Existenz und Freiheit ging. Es gab, insbesondere an der Ostfront, den Deserteur in der Hauptkampflinie so gut wie nicht. Es gab in der Rüstung zuhause auch den Saboteur an der Werkbank so gut wie nicht. Und das alles, obwohl es in Deutschland einmal einen starken Kommunismus gegeben hatte. Dieses Volk stand nun wie nie in eigener Sache im Feuer und setzte von sich aus alle seine moralische Kraft daran, sie zu retten. Weder Gestapo noch Truppendisziplin hätten eine Bedeutung behalten und den ungeheuren Druck abfangen können, wäre die moralische Situation anders gewesen. Daß sie so war, lag in erster Linie an den von den Alliierten proklamierten Kriegszielen, die im Morgenthau-Plan ihre unmißverständliche Formel gefunden hatten. Diese Formulierung erschien dem größten Teil des Volkes so unbegreiflich absurd, daß sie beinahe nicht als Tatsache geglaubt wurde, insbesondere, weil sie aus dem Westen kam, dem niemand eine solche Ungeheuerlichkeit überhaupt zuzutrauen vermochte. Goebbels hat alles daransetzen müssen, um diesen Plan als glaubwürdig zu erklären. Die Deutschen hielten ihn für einen Versuch, sie in Schrecken zu versetzen. In diesem Zwiespalt zwischen Ungläubigkeit und Zorn wuchs ihre moralische Entschlossenheit zu einer verzweifelten und erbitterten Härte. Wäre den Putschisten der Juliputsch gelungen, so wären sie an dieser, durch die alliierte Politik hervorgerufenen seelischen Verfassung der deutschen Massen dennoch gescheitert. Wenn Hitler immer wieder erklärte, es gäbe nur Sieg oder Vernichtung, so hatte das deutsche Volk infolge der von den Alliierten gestellten gleichlautenden Alternative keinen anderen Weg, als den des Kampfes um die alleräußersten Möglichkeiten. Wir hatten als Truppenoffiziere - und das war fast der intelligente Großteil einer ganzen Generation - ein begründetes Urteil, daß die Moral des Soldaten den Krieg niemals verlieren könne, wenn es gelang, ihm waffentechnisch Hilfe zu bringen. Wir hatten im Ineren die Unvergleichlichkeit der Werktätigen erlebt, die unter unsäglichen Opfern alles daransetzten, um diese Hilfe zu ermöglichen. Wir hatten erlebt, wie seinerzeit die Bergleute des Aachener Grubenreviers noch im unmittelbaren Kampfgebiet in die Gruben einfuhren und die Kohle selbst unter dem Schlachtfeld noch herausholte - diese Leistungen spielten sich auf einer Ebene ab, auf der die Gestapo längst keine Kompetenz mehr war. Wir hatten erlebt, wie die Ruhrbergleute die Flucht einer demoralisierten Etappe aus Frankreich mit Knüppeln zum Stehen gebracht und die Marodeure mitsamt ihrem Plunder wieder nach vorne gejagt hatten. Wir hatten erlebt, wie sie Reste der zusammengeschlagenen Division Hitlerjugend - jener, die bei Avranches so erbittert gehalten hatte - ebenfalls für Marodeure hielten, als diese Einheiten zur Auffrischung zurückkamen. Damals hatten die Kumpels auch sie gestellt und als Deserteure verachten und behandeln wollen. Wir hatten in Schlesien erlebt, wie unsere Rüstungsarbeiter noch im Feuerbereich der sowjetischen Artillerie und Infanterie pausenlos an der Fertigstellung der Tigerpanzer arbeiteten und den Platz nicht einmal verließen, als wir unsere Stellung räumen mußten. Sie blieben, weil wir wiederkommen und sie heraushauen würden. All das wußten wir. Wir wußten, daß wir alle zusammen uns aufeinander verlassen konnten, wenn nur die Geheimnisse der Führung realisiert wurden. Das war das Ziel." Die gleiche Quelle über "Die Möglichkeiten, die der 20. Juli zerschlug": "...Da kam das Gespräch auch auf die Frage, ob nicht zu einem früheren Zeitpunkt ein Vergleich mit den Westmächten möglich gewesen wäre. Der genannte Mann aus dem innersten Kreise sagte - betonend, daß dies auch Goebbels' Auffassung sei - der 20. Juli habe in verhängnisvoller Weise gerade diese Möglichkeit Hitler und jeder möglichen legalen Nachfolgeregierung aus der Hand geschlagen. Die Tatsache des 20. Juli habe die feindlichen Spekulationen auf eine innere deutsche Schwäche bestärken müssen und damit auch die feindliche Entschlossenheit, durch höchsten militärischen Druck die sichtbar gewordene Zwiespältigkeit der deutschen Kriegführung zu vertiefen. Andererseits aber habe die deutsche Regierung nun später dem deutschen Volke nicht selbst eine Lösung zumuten können, die sie schon im Interesse der durch den Putschversuch aufs schwerste kompromittierten deutschen Position als eine landesverräterische Aktion habe brandmarken müssen. Bis zu diesem Tage habe Hitler eine solche Möglichkeit bei internen Erörterungen mit Himmler oder Goebbels durchaus offen gelassen, danach habe er sie nur mehr kategorisch von sich gewiesen und erklärt, es gäbe nur noch die Wahl, uns bis zu den neuen Waffen oder dem Ausenanderfallen der feindlichen Koalition zu behaupten und mit ihnen zu siegen oder unterzugehen. Da dieser Mann auch Himmlers besonderes Vertrauen in politischen Fragen genoß, sprach er damals zweifellos einen intimeren und zwar auf einzelne Erfahrungen gestützten Sachverhalt aus. Außerdem, meinte er, hätte einer solchen Möglichkeit auch auf Seiten der Westmächte der reale Zwang zur unbedingten Rücksichtnahme auf die Sowjets entgegengestanden. Es sei unser Unglück, daß wir vor den Japanern hätten in die Knie gehen müssen. Einerseits habe dieser Umstand Hitler einen etwaigen einseitigen Vergleich mit den Westmächten unmöglich gemacht, weil er den japanischen Bundesgenossen dabei hätte im Stich lassen müssen, wozu er sich niemals würde bereitgefunden haben. Andererseits würden die Sowjets eine einseitige Lösung der Westmächte mit Deutschland zweifellos durch eine Unterstützung Japans gegen England und die USA beantwortet haben, so daß die Westmächte einen Vergleich an der europäischen Front wahrscheinlich mit dem Verlust des Fernostkrieges würden bezahlt haben müssen. Der Schlüssel für uns konnte demnach nur darin liegen, uns so lange kampffähig auf den Beinen zu halten, bis wir zumindest durch entscheidende neue Waffen den einen oder den anderen unserer Gegner zur Beendigung des Kampfes gegen uns zu zwingen oder aus der nun mehr und mehr anwachsenden Zwiespältigkeit der alliierten Interessen auf politischem Wege die Respektierung unser nationalen und territorialen Substanz zu erreichen vermochten. Dieser allerletzten Möglichkeit sollte die Weiterführung des Kampfes auch aus der sogenannten Alpen- und der Nordseefestung und schließlich aus der Festung Norwegen heraus dienen. Dort standen noch mehr als vierzig kampffähige Divisionen, die wir nicht mehr rechtzeitig hatten zurückführen können, um sie in die Entscheidungsschlacht gegen die Sowjets eingreifen zu lassen. Dort hatten wir Basen für die Operationen mit den neuen U-Booten, Flugzeugen und Raketenwaffen. Dort hatten wir Basen für die Fertigstellung der gewichtigsten Waffe, von der wir nur wußten, daß sie eine V-Waffe mit ungeahnter Reichweite war und ein ganz neues vernichtendes Sprengmittel bekommen sollte. Diese letzte politisch-operative Idee aus den letzten Gedankengängen Hitlers und Goebbels' ging von der prinzipiellen Unabwendbarkeit des Zusammenstoßes zwischen dem kapitalistisch orientierten Westen und der bolschewistischen Ostmacht oder doch zuminidest dem Auseinanderfallen ihrer derzeitigen Koalition und unserer weiteren Kombinationsfähigkeit mit den Japanern aus. Dann mußte es entscheidend sein, daß irgendwo noch die deutsche Souveränität verteidigt würde und zu Worte kommen konnte.
Wie weit es sich bei den deutschen Geheimwaffen um Tatsächlichkeiten von Gewicht
gehandelt hat, ist der Welt inzwischen ziemlich genau bekannt... Von prinzipieller Wichtigkeit
für die Beurteilung unserer damaligen Hoffnungen und Erwartungen ist der
kriegstechnische
Rang, den diese Neuerungen damals, vor der Atombombe, besaßen. Diese
tatsächliche
Bedeutung auch im Urteil der Westmächte und in den Augen ihrer Kriegsführung
haben später Churchill und Eisenhower zur Genüge bestätigt."
28In der Originalausgabe des
Eklen Wurm der deutschen Zwietracht wurde hier - wohl zum Schutz des
Verfassers des
zitierten Buches - die Quellenangabe mit dem Hinweis ersetzt: "Verfasser und Titel der
Veröffentlichung werden auf Anfrage gern mitgeteilt." Da Friedrich Lenz jedoch nicht
mehr kontaktiert werden kann, ist es uns leider nicht möglich, diese Daten für
unsere Leser zu ermitteln. [Anm. d. Scriptorium] ...zurück... |