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Die Deutschen in Übersee
Paul Rohrbach

Um die Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert war die Pfalz durch die französischen Mordbrennereien geplagt, und die Bevölkerung litt auch unter dem wechselnden Glaubensdruck ihrer bald katholischen, bald protestantischen Fürsten. Dazu kam der furchtbar kalte Winter von 1708 auf 1709, in dem alle Reben und Obstbäume erfroren. Englische koloniale Spekulanten, die Siedler für ihren Landbesitz in Nordamerika brauchten, benutzten die herrschende Verzweiflung und schickten Agenten nach der Pfalz, um die Leute zur Auswanderung zu bewegen. Im Frühling und Sommer 1709 fuhren etwa 14 000 Pfälzer auf Schiffen und Flößen den Rhein hinab, fanden Überfahrt nach England und sammelten sich in London. Dieser Schwarm meist armer Leute war der englischen Regierung unerwünscht. Der eine Teil wurde nach Deutschland zurückgeschickt, andre brachte man nach Irland und steckte sie als Arbeiter in die irischen Leinewebereien; gegen tausend starben auch auf englischem Boden. Nur ein Rest, etwa 4000 Seelen, kam schließlich nach New York, wurde gleich an die Indianergrenze geschickt und dort gewissenlosen Großgrundbesitzern und Spekulanten zur Ausbeutung überlassen. Schließlich rettete sich der eine Teil aus der drückenden Knechtschaft, indem er einer Einladung der Mohawkindianer folgte, die mit den Deutschen gern Handel treiben wollten und ihnen umsonst reichlich Land im Tal des Mohawkflusses überwiesen. Ein anderer Teil wagte, gleichfalls befreundeten indianischen Führern folgend, die Fahrt auf dem durch unbekannte Gebirge und Urwälder nach Pennsylvanien hinabströmenden Susquehanna-Fluß und gelangte so in eine Gegend in der Nähe der heutigen Stadt Harrisburg, in den Vorbergen der Alleghanies. Dort gab es noch reichlich freies und fruchtbares Land.

So entstanden zwei voneinander getrennte Gebiete deutscher Siedlung auf nordamerikanischem Boden. Die Niederlassung im Mohawktal blieb auf dies Gebiet beschränkt, entwickelte sich aber kräftig als eine deutsche Enklave in der rückwärts gegen die Küste von englischen Kolonisten, vorwärts, gegen die großen Seen hin, noch ganz von Indianern bewohnten Waldregion. Der ganze Osten der heutigen Vereinigten Staaten war damals noch von Urwald erfüllt, in dem die Indianer ihre Jagdgebiete hatten. Es mußte harte Rodungsarbeit geleistet werden, und es gab auch fortwährende Kämpfe mit den Indianern, in denen die Pfälzer Kolonisten zu einem harten und starken Geschlecht heranwuchsen, das seine Büchse ebenso gut zu gebrauchen wußte wie Pflug und Axt. Eine viel größere Ausdehnung als im Mohawktal gewann das Deutschtum in Pennsylvanien. Hier wuchs es durch fortdauernde Zuwanderung und reichliche natürliche Vermehrung so kräftig an, daß zur Zeit des Unabhängigkeitskrieges der Vereinigten [384] Kolonien gegen England ein Drittel der Gesamtbevölkerung von Pennsylvanien deutscher Herkunft war. Die Pfälzer in Pennsylvanien wohnten meist geschlossen, bewahrten ihre heimische Mundart und wirtschafteten auf die von Hause mitgebrachte Art, die der Landwirtschaft der englischen Kolonisten weit überlegen war.

Von der Gesamtbevölkerung der nordamerikanischen Kolonien zur Zeit des Unabhängigkeitskrieges - sie betrug damals etwa zwei Millionen - machten die Deutschen vielleicht ein Zehntel aus. Es ist daher unbegreiflich, wie die in vielen Veröffentlichungen kolportierte Legende entstehen konnte, es habe sich einmal die Frage erhoben, ob die amtliche Sprache im Kongreß der Vereinigten Staaten Deutsch oder Englisch sein solle! Manchmal wird dies Märchen auch nur von der Legislatur von Pennsylvanien erzählt mit dem Hinzufügen, die Stimmen für Deutsch und Englisch seien gleich gewesen, und ein Deutscher habe den Ausschlag für Englisch gegeben. Davon hat selbst in Pennsylvanien nie die Rede sein können, denn die englischen Kolonisten waren auch dort nicht nur doppelt so zahlreich wie die Deutschen, sondern aus ihnen rekrutierte sich auch weit überwiegend das geistig führende Element und die politisch maßgebende städtische Bevölkerung. Ein

Karl Schurz.
[385]      Karl Schurz,
deutscher politischer Flüchtling
und amerikanischer Staatsmann.
geschichtlicher Anhalt für die Entstehung jener in sich unmöglichen Erzählung existiert nirgends. Wohl aber ist es Tatsache, daß die Deutschen von New York, und nicht minder die von Pennsylvanien, am Unabhängigkeitskrieg mit dem Herzen und der Waffe ebenso beteiligt waren wie die Mehrheit der englischen Kolonisten. Die Pfälzer Bauern vom Mohawktal warfen unter ihrem Führer Nicolaus Herchheimer im September 1777 in dem blutigen Gefecht von Oriskany eine überlegene Macht von englischen Regulären und verbündeten Indianern unter dem Obersten St. Leger, die von Kanada her anrückte, entscheidend zurück, und diese Niederlage führte bald darauf zur Kapitulation des englischen Generals Bourgoyne bei Saratoga im Staat New York - dem ersten großen Erfolg der Amerikaner. Das Verdienst der Deutschen hat der Oberbefehlshaber George Washington dankbar anerkannt. In Pennsylvanien konnten ganze Regimenter aus deutschen Freiwilligen gebildet werden, und ein Deutscher, Peter Mühlenberg, ursprünglich Pfarrer in dem Städtchen Woodstock in Virginien, nahe der pennsylvanischen Grenze, wurde einer der bedeutendsten Generale des Unabhängigkeitskrieges.

Die Pfälzer im Mohawktal verloren ihr Deutschtum schon in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Heute erinnern an sie nur noch einzelne Ortsnamen und eine oder die andre bei den Bewohnern erhaltene deutsche Liedermelodie. Auf dem Monument von Oriskany aber, wo die Gefallenen verzeichnet stehen, liest man lauter deutsche Namen. In Pennsylvanien waren ausgedehnte Landstriche noch gegen Ende des 19. Jahrhunderts deutsch. Hier hatte sich in der Tat ein kräftiger und geschlossener Typ von Übersee-Deutschtum entwickelt. Jetzt ist er im Aufgehen im gewöhnlichen Amerikanertum begriffen, aber noch nicht ganz verschwunden. Das "Pennsylvania Dutch" ist echtes Pfälzisch, vermischt mit englischen Lehnworten. Die ältere Generation spricht es noch heute zu Hause; die jüngere spricht Englisch, singt aber noch manchmal die alten mundartlichen Lieder. Auch in manchen Kirchen wird noch ein Teil des Gottesdienstes in deutscher Sprache gehalten. Es gibt eine ziemlich reiche poetische und erzählende Literatur in der Mundart, die sogar Gegenstand der Pflege auf der Universität von Pennsylvanien [385] in Philadelphia ist. Eine Anzahl hervorragender Amerikaner, darunter bekanntlich auch Präsident Hoover, ist pennsylvanisch-deutscher Herkunft.

Aus dem nordamerikanischen Bürgerkrieg.
[387]      Aus dem nordamerikanischen Bürgerkrieg.
Das deutsche Ohioregiment kämpft siegreich bei Somerset.

Reste älteren Siedlungsdeutschtums auf nordamerikanischem Boden gibt es auch noch in Texas. Dort machte in den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts eine deutsche Adelsgesellschaft unter dem Präsidium eines Fürsten Solms-Braunfels den Versuch zu einer Art deutscher Staatengründung. Texas gehörte damals noch nicht zur Union. Das Unternehmen mißglückte völlig, doch kamen einige tausend deutsche Einwanderer nach Texas. Die Mehrzahl ließ sich in der Siedlung Neu-Braunfels nieder, und dort wird auch noch teilweise Deutsch gesprochen. Kleinere Bezirke mit einer vorwiegend deutschstämmigen Farmbevölkerung gibt es auch in Dakota, wohin Tausende von deutschen Kolonisten aus Südrußland nach Aufhebung ihrer Militärfreiheit auswanderten.

In Kanada ist das Deutschtum im allgemeinen zerstreut. Nur an einer Stelle hat es sich bis zur Gruppensiedlung verdichtet, und zwar in den deutschen Mennonitenkolonien in der Provinz Ontario. Ihre Angehörigen stammen ebenfalls aus den deutschen Siedlungen in Südrußland, unter denen es viele Mennoniten gab. Die kanadischen Mennoniten deutschen Stammes bilden eine wirtschaftlich gesunde, aber geistig etwas rückständige Gemeinschaft. Das Gefühl der Bekenntnisgemeinschaft überwiegt bei ihnen das deutsche Bewußtsein.

In den landläufigen Angaben über das Deutschtum im Auslande begegnen oft phantastische Zahlen über die Deutsch-Amerikaner. Obwohl wir es hier mit dem überseeischen Siedlungsdeutschtum zu tun haben, und die in den Vereinigten Staaten wie in Kanada zerstreut lebenden, meist zur Stadtbevölkerung gehörenden Deutschen von rechtswegen für uns nicht mit in Betracht kommen, so halten wir es doch für wichtig, die völlig falsche Vorstellung zu korrigieren, als ob es in Nordamerika 8 oder 12 oder womöglich gar 20 Millionen "Deutsche" gäbe. Bei jeder Volkszählung werden in den Vereinigten Staaten diejenigen Einwohner besonders aufgeführt, die selbst im Ausland geboren sind oder von eingewanderten Eltern stammen. Eine der letzten Zählungen ergab 8 Millionen Personen, die in diesem Sinne, also einschließlich der zweiten, bereits in Amerika geborenen Generation, deutscher Herkunft waren. Es ist aber leider unmöglich, die Nachkommenschaft aus Deutschland eingewanderter Eltern noch im gewöhnlichen Sinne als Deutsche zu betrachten. Die Kinder bewahren nur in seltenen Fällen das Deutsche als Umgangssprache. Weitaus die Mehrzahl spricht nur Englisch und fühlt sich restlos amerikanisch. Diese Millionen zum überseeischen Auslandsdeutschtum zu zählen, ist daher bloße Fiktion. Es mag, hochgerechnet, in ganz Nordamerika heute noch zwei Millionen [386] Menschen geben, fast alles Eingewanderte, die Deutsch als Muttersprache reden. Ihre Zahl wird von Jahr zu Jahr kleiner, und bei den herrschenden, gegen das Deutschtum beinahe prohibitiven Einwanderungsgesetzen wird das Deutsch-Amerikanertum, falls nicht ganz unerwartete Umstände eintreten, in längstens einem Menschenalter der Vergangenheit angehören. Damit soll nicht gesagt sein, daß es unter den deutschstämmigen Amerikanern zukünftig kein Gefühl deutscher Herkunft mehr geben wird. Gerade um dies Gefühl unter den geistig Höherstehenden zu pflegen, hat sich die "Steuben-Gesellschaft von Amerika" gebildet, so genannt nach jenem Offizier aus der Schule Friedrichs des Großen, der als amerikanischer General aus Washingtons wenig kampftüchtigen Milizen erst brauchbare Soldaten machte. Die Steuben-Gesellschaft will den Stolz auf deutsche Herkunft wecken und erhalten. Für die Frage des Deutschtums ist es aber charakteristisch, daß ihre Verhandlungssprache englisch ist, weil sie sonst zu der Mehrzahl der Menschen, die sie beeinflussen will, gar keinen Zugang fände.

Im ganzen sind vom Beginn der amerikanischen Registrierungen im Jahre 1820 bis zum Weltkrieg rund fünf Millionen Deutsche nach den Vereinigten Staaten eingewandert; außerdem einige Hunderttausend nach Kanada. Nach der Berechnung des deutschamerikanischen Professors Faust konnte man um die Jahrhundertwende, bevor die romanische und slawische Einwanderung ihre Höchstzahl erreichte, annehmen, daß der Anteil des deutschen Bluts im Volk der Vereinigten Staaten zwischen 27 und 28 Prozent betrug. Natürlich durfte das nicht so verstanden werden, als ob damit über ein Viertel aller Amerikaner rein deutscher Herkunft gewesen wären; vielmehr hatten sich deutsches, angelsächsisches, irisches und sonstiges Blut im ganzen ununterscheidbar miteinander gemischt. Konfuse Leser haben aber Faust so verstanden, als ob er, auf Grund der damaligen Gesamtzahl der Bevölkerung der Vereinigten Staaten, von 18 bis 19 Millionen "Deutschen" in Amerika hätte sprechen wollen. Diese unsinnige Ziffer spukt noch bis heute in allen möglichen Reden und Artikeln.

Ein ganz anderes Bild steht vor uns, wenn wir uns dem südamerikanischen Deutschtum zuwenden. Im September 1824 landeten die ersten Einwanderer aus Deutschland bei Porto Alegre im heutigen brasilianischen Staat Rio Grande do Sul und gründeten als ihren ersten Platz die Kolonie São Leopoldo. Das war also nur zwei Jahre nach der brasilianischen Unabhängigkeitserklärung. Auf Rio Grande folgte die deutsche Siedlung in den beiden andern Südstaaten, Santa Catharina und Paraná. Nimmt man die zerstreut lebenden Deutschen in São Paulo und die mehr isolierten Siedlungen in Espirito Santo hinzu, so wird man heute das gesamte brasilianische Deutschtum auf dreiviertel Millionen Köpfe veranschlagen können, wovon über 80 Prozent in mehr oder weniger geschlossenen deutschen Siedlungsgebieten leben. Reichlich die Hälfte lebt in Rio Grande do Sul, ein Viertel in Santa Catharina. In diesen beiden Staaten machen die Deutschen je 20 Prozent der Gesamtbevölkerung aus. Wirtschaftlich bedeuten sie mehr, politisch dagegen viel weniger als diesem Prozentsatz entspricht.

Die deutschen Ansiedler sind zum größten Teil Bauern. Als sie in den brasilianischen Urwald kamen, hieben sie sich breite Durchhaue, Schneisen oder Pikaden, durch die Baummassen und wählten sich zu beiden Seiten ihre Grundstücke. Daher spricht man noch [387] heute in Rio Grande von der Kaffeschneiz, der Batatenschneiz, der Pommernschneiz usw. Aus den ursprünglichen Pikaden sind aber schon lange stark befahrene Landstraßen geworden, an denen sich viele Stunden weit auf dem fruchtbaren Boden reiche Bauerngehöfte hinziehen. Aus den sogenannten "Stadtplätzen", die meist in der Mitte der Pikaden angelegt wurden, wo Kirche und Schule, Wirtshaus und Kaufladen, Tanzboden, Schmiede usw. ihre Stelle fanden, sind stattliche Ortschaften geworden. Sehr stark ist die natürliche Vermehrung. Familien von zwölf und mehr Kindern sind keine Seltenheit.

Die erste Generation mußte überall mit großen Schwierigkeiten kämpfen. Heute, wo schon das dritte, hier und da schon das vierte Kolonistengeschlecht auf blühendem, durch eigene und der Väter Arbeit geschaffenem Kulturboden sitzt, ist von diesen Anfangsmühsalen nichts mehr zu merken. Es findet dauernd Zuwanderung aus Deutschland statt - nur im Augenblick ist sie wegen der Weltwirtschaftskrise auch durch die brasilianische Regierung gesperrt - und der neue Ankömmling stößt nicht auf leichte Verhältnisse. Alles gute Siedlungsland ist zunächst mit dichtem Walde bedeckt, und nur der im Lande geborene Kolonist weiß, wie er mit dem Urwald umzugehen hat. Ist ein neues Landlos erworben, so wird der Sohn, der sich dort niederlassen soll, von Brüdern und Verwandten begleitet, die ihm bei der Arbeit helfen. Eine Hütte wird roh gebaut, schon am nächsten Tage krachen die Axtschläge im Walde. Mit breiten Messern wird zunächst das dichte Unterholz abgehauen, und dann werden mit einer Schnelligkeit und Geschicklichkeit, die man gesehen haben muß, um daran zu glauben, die dicksten Urwaldstämme niedergelegt, von denen jeder im Fallen noch ein halbes Dutzend vorher angeschlagener kleinerer Bäume mitreißt. Schon nach einigen Wochen sind das Unterholz und das kleine Astwerk trocken und werden verbrannt. In vier oder fünf Jahren sind auch die dicken Stämme und die im Boden gebliebenen Stümpfe vermodert. Von da ab kann glatt ge- [388] pflügt werden; vorher wird mit Hacke und Pflanzstock gearbeitet. Das Ganze ist ein Vorgang, so voll Kraft und Selbstverständlichkeit, wie ein Naturereignis. In je fünfzehn Jahren schätzungsweise verdoppelt sich auf natürlichem Wege die Zahl der deutschen Siedler in Südbrasilien. Im Jahre 1950 kann es in Rio Grande schon über eine Million und in ganz Brasilien über zwei Millionen Deutsche geben.

Ein deutscher Landmesser im brasilianischen Urwald.
[389]      Ein deutscher Landmesser im brasilianischen Urwald.

Ich habe fast alle wichtigeren deutschen Siedlungsgebiete in Südamerika besucht. Vielleicht darf ich hier nach meinen Aufzeichnungen eine Schilderung der Verhältnisse in und bei den bekannten deutschen Kolonistenstädten Joinville und Blumenau, beide im Staat Santa Catharina, geben. Was man dort sieht, ist typisch für ganz Südbrasilien. Joinville wurde vor etwa siebzig Jahren von einigen hundert Auswanderern gegründet, die als Kolonisten angeworben waren und sich unter "Brasilien" auch etwas anderes vorgestellt hatten, als den Mangrovensumpf, in dem man sie, eine Stunde landeinwärts, von Bord setzte. Hätten sie nur nach Deutschland zurückgekonnt, kein Einziger wäre dageblieben. Da aber ausgehalten werden mußte, so wurde ausgehalten, und das Ergebnis war schon ein Menschenalter später ein freundlicher und gewerbefleißiger Ort, in den jetzt allerdings auch schon das einheimisch-brasilianische Element eindringt. Auf viele Meilen im Umkreis dehnt sich deutsches Bauernland, nur wenig von fremden Einsprengseln unterbrochen. In und um Joinville ist die Kolonisation abgeschlossen. Noch in der Ausdehnung begriffen ist dagegen das große Ansiedlungsgebiet, das sich an den zweiten deutschen Platz, Blumenau, anschließt. Schon in dem Tal, durch das man von der Santa-Catharina-Bahn nach Blumenau hinauffährt, wohnen fast nur Deutsche, und wenn man in das Gebiet des Itajahy, des Flusses von Blumenau, kommt, so kann man sich, bis auf die fremden Vegetationsformen, überhaupt in Deutschland glauben. Ein reicher Bauernhof folgt längs der Straße auf den andern, jeder durchschnittlich 100 Morgen groß, und das flachsköpfige Kindervolk, das uns begegnet, ist so zahlreich, daß jeder merkt: Kinder sind hier die größte wirtschaftliche Hilfe! Es sind alles Pommern, die sich hier angesiedelt haben. Pommerode heißt auch der Platz, wo Kirche, Schule und die nötigen Geschäfte stehen. Unter den Bananen und Orangebäumen wird Pommersch-Platt gesprochen, und den größten Teil der abgefallenen reifen Früchte fressen die Schweine, weil die Menge sonst weder verbraucht, noch durch Verkauf verwertet werden kann.

Das Hauptgetreide ist Mais. Weizen gedeiht nur ganz unten in Rio Grande, und Brotmehl kommt meistens aus Argentinien und Nordamerika. Auch die Kartoffeln sind mittelmäßig. Schweine, Hühner, Enten, Gänse gibt es im Überfluß. Gepflügt wird mit Pferden oder Ochsen. Überall sieht man Rindvieh weiden. Wohin man blickt, ist Wohlstand; die Häuser stattlich und sauber, hinter den Scheiben weiße Gardinen, die Geräte gut. Alles reitet, Männer, Frauen, Kinder: zum Einkauf, zum Tanz, zur Kirche, zur Schule. Die Großeltern dieser reichen Bauern kamen als besitzlose Landarbeiter aus Pommern. Auch sie gerieten bei der Ankunft in Verhältnisse, so hart, daß alle verzweifelt nach Hause zurückwollten. Aber daran war kein Gedanke, und so arbeiteten sie sich durch. Blumenau selbst ist für den Besucher eine noch größere Überraschung als Joinville. Wer das freundliche, behäbige Städtchen mit dem norddeutsch-kleinbürgerlichen [389] Bautypus, aus der Mitte des 19. Jahrhunderts, sieht, der fragt sich unwillkürlich: Aber wie kommt so etwas nur nach Brasilien? Blumenaus Wohlstand beruht, außer auf der reichen Landwirtschaft der Umgebung, auch schon auf eigener Industrie. Es hat Webereien, Möbelfabrikation, Molkereien, Tabakbau. Im Augenblick drückt auch bei den deutschen Kolonisten in Brasilien die Weltkrise Wirtschaft und Lebenshaltung nieder, aber die Verhältnisse sind hier innerlich so gesund, vor allem ist der Absatz der landwirtschaftlichen Produkte nach den großen Städten so gesichert, daß die Erholung von selbst eintreten wird, sobald erst die akute Krisenlage nachläßt.

Das Bild dieses deutschen Kolonistentums im subtropischen Südamerika wäre unvollständig, wenn wir nicht auch noch von ihrem geistigen Leben etwas sagen wollten. Im Unterschied von Nordamerika, wo ein höheres Schulwesen von Anfang an nur in englischer Sprache geduldet wurde (und auch nur in dieser möglich ist), stand es den deutschen Siedlern in Brasilien, wie auch in den übrigen lateinamerikanischen Ländern, frei, sich ein eigenes Schulsystem in der Muttersprache aufzubauen, von der Dorfschule bis zur gymnasialen Vollanstalt, nur ohne die alten Sprachen. Vollanstalten mit deutscher Unterrichtssprache gibt es in Brasilien drei: in Rio de Janeiro, São Paulo und Porto Alegre; außerdem eine ganze Anzahl Mittelschulen und etwa tausend Volksschulen, davon die meisten in Rio Grande. Von den letzteren kann allerdings überwiegend nicht gesagt werden, daß sie auf der Höhe deutscher Volksschulen in der Heimat stehen. Zwar bessern sich die Verhältnisse dauernd, aber es ist noch lange nicht möglich, jede Pikadenschule mit einer fachlich ausgebildeten Lehrkraft zu besetzen und mit ausreichenden Lehrmitteln [390] zu versehen. Namentlich unter den älteren Leuten herrscht noch viel Unbildung. Die meisten von diesen sind nicht imstande, einen verständlichen Brief zu schreiben oder ein einfaches Buch mit Nutzen zu lesen.

Der vielfach noch nicht befriedigende Stand des deutschen Volksschulwesens - die Mittelschulen und die Vollanstalt sind durchaus auf der Höhe - in Brasilien hat zur Folge, daß die jungen Leute, wenn sie aus der Pikade in die Stadt kommen, wenig Widerstandskraft gegen die Entnationalisierung zeigen. Weil es an wirklicher, sei es auch nur einfacher deutscher Bildung fehlt, erliegen sie geistig, vor allem auch sprachlich, den Wirkungen, die von der zwar sehr oberflächlichen, aber mit einer gewissen Formeneleganz ausgestatteten gesellschaftlichen Art des Brasilianertums ausgehen. Schon daß sich der Kolonist in deutscher Sprache, die er ja meistens auch nur als Mundart gebraucht, über die Dinge, die außerhalb des Gesichtskreises der Pikade liegen, kaum ausdrücken kann, ist ein starker Grund dafür, daß er in der Stadt portugiesisch zu sprechen anfängt.

Der deutsche Bauer ist unpolitisch. Er ist zufrieden, wenn seine Wirtschaft gedeiht. Von der ganzen Politik interessieren ihn höchstens die Steuern und der Bau von Verkehrswegen. Dabei wird es auch noch so lange bleiben, wie der Kolonistennachwuchs sich auf die herkömmliche Art in nicht allzu großer Ferne ansiedeln kann. Erst wenn kein guter, freier oder billiger Boden mehr zu haben ist, beginnt eine neue Entwicklung. Wie sie dann vielleicht bei den südamerikanischen Deutschen verlaufen wird, kann man nach einem ähnlichen Beispiel vermuten: dem der Buren in Südafrika. Solange es dort möglich war, immer neues Farmerland zu bekommen oder die alten Farmen zu teilen, wurden die Burensöhne auch immer wieder Buren, und die Burentöchter heirateten Burensöhne. Als aber - erst nach dem südafrikanischen Kriege - das Farmland knapp wurde, gingen die jungen Buren auch in höhere Berufe, wurden Juristen, Ärzte, Ingenieure, Geschäftsleute u. dgl. Damit begann eine große innere Stärkung des Afrikanertums holländischer Abstammung. Es gewann seine eigene geistige und damit auch seine politische Zukunft. Bei den deutschen Kolonisten in Brasilien können die Dinge sich mit der Zeit ähnlich entwickeln. Eine Schwierigkeit wird freilich immer bleiben, daß selbst in den drei Südstaaten das Deutsche niemals zur Mehrheitssprache werden wird. Südafrika ist heute ein zweisprachiges Land, und öfters ist es wichtiger, dort Afrikanisch zu verstehen als Englisch. Ein ähnlicher Zustand, in kleinem Maßstabe, hat früher einmal in der Kolonie Blumenau geherrscht. Man mußte Deutsch können, um dort zu wohnen. Jetzt aber drückt die brasilianische Regierung auch in den deutschen Siedlungsgebieten sehr stark auf die Kenntnis des Portugiesischen, ja, möglichst auf Abschluß der Bildung in der Staatssprache. Eins muß auf alle Fälle gesagt werden: Was auch kommen mag, die Deutschen in Brasilien können und werden nie etwas anderes sein als loyale brasilianische Staatsbürger. Jeder Gedanke daran, mit ihnen jemals in anderer Weise rechnen zu wollen, wäre unsinnig.

Brasiliens großer Nachbarstaat im Süden ist Argentinien. Die natürlichen Verhältnisse, Klima und Boden, hätten auch hier eine deutsche Einwanderung begünstigt. Der soziale Aufbau des Landes jedoch war und ist noch heute einer kräftigen Besiedlung hinderlich. Argentinien ist zum weitaus größten Teil ein Land des Großgrundbesitzes, [391] und die Eigentümer der Latifundien ziehen es vor, sie in Person oder durch ihren Verwalter zu bewirtschaften, anstatt Siedlungsland abzugeben. Daher konnte sich in Argentinien auch nur ein verhältnismäßig unbedeutender Mittel- und Kleingrundbesitz, so wie er für deutsche und überhaupt für das Gros der europäischen Einwanderer gepaßt hätte, entwickeln.

Es sind trotzdem zwei Versuche mit deutschen und auch deutsch-schweizerischen Kolonisten gemacht worden. Der erste, in der Provinz Santa Fé, fiel in die Mitte des 19. Jahrhunderts. Die argentinische Regierung schickte damals einen Agenten nach Europa, der in Frankfurt a. Main, Basel und Dünkirchen Sammelstellen einrichtete und etwa zweihundert Familien, im ganzen tausend Menschen, ins Land brachte. Es sollten fünftausend werden, aber inzwischen hatte die Regierung gewechselt, und die neue war der Einwanderung nicht günstig. Die Kolonie erhielt den Namen Esperanza. Nach anfänglichen Schwierigkeiten gedieh sie und sandte auch eine Anzahl von Tochtergründungen aus. Alle diese Siedlungen sind aber heute im Begriff, ihr Deutschtum zu verlieren. Nur die älteren Leute gebrauchen das Deutsche noch als Muttersprache. Die mittlere Generation versteht noch Deutsch, bevorzugt aber auch im häuslichen Gebrauch das Spanische. Bei den Kindern bildet Deutsch als Muttersprache nur noch eine Ausnahme. Als ich im Jahre 1921 Esperanza besuchte, konnte der Pfarrer der deutschen evangelischen Gemeinde unter einigen vierzig Konfirmanden nur an fünf den Konfirmationsunterricht deutsch erteilen; alle übrigen mußten in spanischer Sprache unterrichtet und eingesegnet werden. Noch einige Jahrzehnte weiter, und das Deutsche wird in Santa Fé so gut wie ausgestorben sein.

Günstiger steht es mit dem Deutschtum der seit 1878 nach Argentinien eingewanderten sogenannten "Deutschrussen". Dies sind ursprünglich deutsche Kolonisten von der Wolga und aus dem südrussischen Schwarzerdegebiet, die von dort wieder auswanderten, als ihre Privilegien, namentlich die Befreiung vom Kriegsdienst, unter der Regierung des [392] Kaisers Alexander II. aufgehoben wurden. Die meisten, die Rußland verließen, gingen nach Nordamerika. Andere hatten von Brasilien gehört und wollten dorthin. Sie hatten Kundschafter vorausgeschickt, aber als die Masse der Auswanderer in Rio Grande eintraf, erklärten ihnen die Kundschafter, Brasilien sei kein Land für "deutsche Leute". Sie hatten die Vorstellung, deutsche Leute könnten im Urwald, wo man erst viel Arbeit mit dem Umhauen der Bäume hatte, nicht siedeln! Die russische Steppe, die sie allein kannten, ist ja so gut wie baumlos. So benutzten sie ein Angebot der argentinischen Regierung, die ihnen Land in der damals noch sehr entlegenen und dünn bewohnten Provinz Entre Rios anbot. Dort sah das Land ähnlich aus wie in dem ihnen zur Heimat gewordenen Südrußland.

Nach einer mir brieflich mitgeteilten Schätzung des Leiters des Deutschen Volksbundes für Argentinien, Professor Wilfert in Buenos Aires, wohnen in der Provinz Entre Rios jetzt etwa 40 000 Rußlanddeutsche, in der Provinz Pampa etwa 15 000. Auf kirchliche Versorgung, evangelische wie katholische, wird gehalten, aber die Schulverhältnisse sind mangelhaft; ungünstiger als bei den Deutschen in Südbrasilien. Es gibt in Argentinien deutsche Vollanstalten und gute Mittelschulen in Buenos Aires und Rosario (Mendoza kommt hier nicht in Betracht), aber sie werden kaum von rußlanddeutschen Kindern besucht. Wir sehen ein kräftiges Bauerntum, das sich der physikalischen und wirtschaftlichen Struktur des Landes gut angepaßt hat, aber sein geistiger Horizont ist beschränkt, und es bewahrt sein Deutschtum in der Regel nur dadurch, daß es sich in seinen Siedlungen gegen fremde Einflüsse stark abschließt.

In jüngster Zeit haben sich deutsche Siedler mit gutem Erfolg in dem Gebiet von Misiones niedergelassen: dem schmalen Zipfel argentinischen Gebiets, der sich nach Nordosten zwischen den Paraná und den Oberlauf des Uruguay hineinschiebt. Die dort von einigen Landgesellschaften ins Leben gerufenen Kolonien sind nicht rein deutsch, jedermann, der will, kann dort Land kaufen, aber fürs erste überwiegt deutscher Zuzug, der großenteils aus Südbrasilien kommt. Der Boden in Misiones ist gut, das Klima heiß, aber nicht allzu ungesund. Vor allem ist der Absatz durch die Verbindung auf dem mächtigen Paranástrom nach den großen Städten am Unterlauf gut. Es hat den Anschein, als ob sich hier ein wohlhabendes, fast schon tropisches Siedlungsgebiet von vorwiegend deutschem Charakter entwickeln wird.

Ankunft deutscher Kolonisten.
[391]      Ankunft deutscher Kolonisten in der Siedlung Eldorado am oberen Paraná (Argentinien).

Den eigentümlichsten Charakter im südamerikanischen Deutschtum finden wir in Chile. Der Urheber der deutschen Kolonisation in Chile war ein Ingenieur Philippi, der 1838 ins Land kam, als Major in chilenische Dienste trat und dann für die chilenische Regierung Einwanderer in Deutschland anwarb, hauptsächlich in Hessen. Die ersten Familien landeten im August 1856 in Corral, dem Seehafen von Valdivia. Im ganzen kamen bis zum Ende der 50er Jahre etwa siebenhundert Familien, dann hörte der eigentliche Einwandererstrom auf. Vereinzelte Zuzügler kamen noch später. Von diesen Einwanderern stammen die heutigen Deutsch-Chilenen ab, deren Seelenzahl zwischen fünfzehntausend und zwanzigtausend liegen wird. Die in Chile ansässigen Reichsdeutschen bleiben hierbei, ebenso wie auch in Argentinien und Brasilien, unberücksichtigt. Fast die gesamte deutsche Einwanderung konzentrierte sich auf Südchile. Wer heute dort reist, mit der Eisenbahn, [393] im bequemen Wagen, im Automobil, im Motorboot, der vermag sich nicht leicht eine Vorstellung davon zu machen, wie es dort noch vor einem halben Jahrhundert aussah. Das ganze Land war ein zusammenhängendes Waldgebiet, die Wege waren Waldpfade ohne Brücken und Stege. Zuerst gab es drei Zentren: Valdivia, Osorno und die Ufer des Llanquihue-Sees. Dies große, schöne Wasserbecken liegt im Hügelland vor der Cordillere und erinnert etwas an den Bodensee. Um den See herum haben sich die Besitzverhältnisse noch so erhalten wie vor siebzig Jahren, als die ersten Kolonisten mit etwas Proviant und Vieh, mit Axt und Pflug auf ihr Landlos in den großen dunklen, feuchten Wald gesetzt wurden. In geschlossenem Kranz umgeben reiche Bauerngehöfte den See, und auch in den Städtchen am Seeufer hört man überwiegend Deutsch sprechen. Valdivia ist ein blühender Industrieort mit etwa 30 000 Einwohnern geworden, davon heute nur noch zehn Prozent Deutsche, aber alles, was hier an Gewerbe existiert, haben die Deutschen geschaffen. Die Hälfte des Grundbesitzes in den drei Südprovinzen ist deutsch. In Osorno fragte ich den Pastor nach der Predigt in der Kirche, ob die Kollekte für die Armen sei? "Arme gibt es bei uns nicht", war die Antwort!

Deutsche Farm in Chile am Fuß des Vulkans Osuna.
[393]      Deutsche Farm in Chile am Fuß des Vulkans Osuna.

Man merkt es beim chilenischen Deutschtum, daß die ersten Einwanderer zum Teil einer wohlhabenden und entwickelten Schicht entstammten. Unter den Führern waren verschiedene Akademiker. Eine gewisse Abbröckelung zum Chilenentum und zur spanischen Sprache ist hier und da unverkennbar, aber es ist auch noch viel deutsches Bewußtsein vorhanden. An der Universität von Santiago besteht eine deutsche Burschenschaft, deren Angehörige alle aus dem chilenischen Deutschtum stammen. Auch das deutsche Schulwesen in Chile steht hoch. Santiago, Valparaiso, Concepcion und Valdivia haben je eine Vollanstalt. In den Oberklassen wird ein Teil der Unterrichtsfächer spanisch (wie in Brasilien portugiesisch) behandelt, um den Abiturienten der deutschsprachigen Anstalten die staatliche Abschlußprüfung in der Landessprache und damit den Anschluß an das akademische Studium im Lande zu ermöglichen. Außer in Brasilien, Argentinien und Chile gibt es in Südamerika kaum ein nennenswertes Siedlungsdeutschtum. In Paraguay existieren deutsche Niederlassungen, aber sie [394] sind unbedeutend. In Pozuzo, auf der Ostseite der peruanischen Cordillere, existiert schon seit fünfundsiebzig Jahren eine kleine, ganz isolierte Niederlassung von Tirolern, die zu keiner wirklichen Lebenskraft gelangt ist. Ein ähnliches Gebilde ist die Kolonie Tovar in Venezuela, die 1842 von Badenern aus dem Breisgau gegründet wurde und jetzt etwa hundert schwer arbeitende, aber deutsch gebliebene Familien zählt.

Außerhalb der beiden amerikanischen Kontinente gibt es kein Übersee-Deutschtum von größerer Bedeutung, und namentlich keins von größerer Zukunft - immer abgesehen von seiner möglichen Entwicklung in den alten deutschen Kolonien. Sehr interessant, innerhalb ihres kleinen Maßstabes eine ganz außerordentliche Leistung, sind die Siedlungen der deutschen Templer in Palästina. Die Tempel-Gesellschaft, eine religiöse Sondergemeinschaft auf evangelischer Grundlage, zählt in Palästina etwa 3000 Mitglieder in sechs Niederlassungen; dazu kommt noch eine siebente, kirchlich nicht dazugehörige. Die Templer haben die blühende palästinensische Orangenkultur geschaffen, sie haben die ersten Straßen im Lande gebaut, Handwerk und Gewerbe belebt, Weinbau und Bienenzucht in die Höhe gebracht. Ihre erste, 1869 gegründete Siedlung bildet jetzt den deutschen Stadtteil von Haifa. Bis zum Weltkriege waren sie auf wirtschaftlichem Gebiet der einzige wirkliche Kulturfaktor in Palästina. Die nach ihnen gekommene zionistische Kolonisation - ihre Geldquellen liegen überwiegend in Amerika, ihr Ansiedlermaterial stammt meist aus Osteuropa und spricht den jüdisch-deutschen Dialekt - hat viel von den Templern gelernt.

Auf dem Boden Südafrikas hat deutsches Blut an der Entstehung des Burentums einen mindestens so großen Anteil, wie an der des heutigen amerikanischen Volkes. Allerdings waren daran fast nur deutsche Männer beteiligt, keine deutschen Frauen. Ein wirkliches Siedlungsdeutschtum entstand in den vierziger Jahren in Natal. Dorthin wurden durch das deutsche Handelshaus Jung & Co. gegen 200 Einwanderer gebracht, deren Nachkommen sich deutsche Sprache und Art überwiegend erhalten haben.

Altes deutsches Farmhaus in Natal, Südafrika.
[395]      Altes deutsches Farmhaus in Natal (Südafrika).

Einen größeren Maßstab hatte die deutsche Einwanderung im östlichen Teil der Kapkolonie. Nach der Beendigung des Krimkrieges, 1855, stellte es die englische Regierung den von ihr angeworbenen deutschen Truppen, hauptsächlich Hannoveranern und Schleswig-Holsteinern, frei, als Kolonisten nach Südafrika zu gehen. Mehrere Tausend machten davon Gebrauch. Die ihnen zugewiesenen Landlose waren klein, die Regierungsunterstützung knapp, aber die Deutschen setzten sich durch. Ihre Zahl wird jetzt in der Kapkolonie und in Natal zusammen auf 20 000 Seelen geschätzt. Die meisten sind Farmer; die kleineren Besitzer bauen Futtermittel, Obst und Gemüse zur Versorgung der Städte. Der Krieg hat dem deutschen Charakter dieser Siedlungen einen schweren Schlag versetzt. Die junge Generation ist großenteils im Begriff, das Deutsche mit dem Englischen zu vertauschen. Deutsche Schulen wurden nicht mehr eröffnet.

Bis zum Ausbruch des Weltkrieges konnte man auch von einem starken Deutschtum in Australien, namentlich Südaustralien, sprechen. Die deutsche Einwanderung dorthin geschah hauptsächlich in den dreißiger und vierziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, und zwar waren es Altlutheraner aus Brandenburg und Schlesien, die sich der vom König verfügten kirchlichen Union in Preußen nicht unterwerfen wollten und lieber mit ihren [395] geistlichen Führern nach Südaustralien auswanderten. Dort bildete sich ein großer deutscher Siedlungsbezirk, gegen fünfzig Ortschaften, mit dem Städtchen Tanunda als Mittelpunkt. Außer in Südaustralien gab es stärkere deutsche Siedlungen auch in Queensland. Die Deutschen führten den Weizenbau ein, verbesserten den Weinbau und die Wollschafzucht und waren nach dieser Richtung hin wirkliche Kulturpioniere. Man kann sagen, daß die Verhältnisse, wenn auch in kleinerem Maßstab, sich ähnlich gestaltet hatten, wie in Pennsylvanien im 18. Jahrhundert. In den Ortschaften wurde deutsch gesprochen, in den Kirchen wurde deutsch gepredigt, es gab vier deutsche Tageszeitungen und viele deutsche Klubs, und mancher Brite, der in den deutschen Ortschaften aufwuchs, lernte deutsch lesen und schreiben.

Dies australische Deutschtum litt aber je länger, desto mehr unter seinen endlosen kirchlichen Zänkereien, unter dem Mangel eines höheren Schulwesens und der unausbleiblichen Hinneigung der jüngeren Generation zum Englischen. Dann kam der Krieg. Die furchtbare Welle von Feindschaft, die er über alles, was deutsch war in Australien, ergoß, offenbarte die leider geringe innere Widerstandskraft in den deutschen Siedlungen, so daß jetzt mit dem allmählichen Untergang ihres deutschen Charakters gerechnet werden muß.

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Deutsche helfen Amerika bauen - und Amerikas Dank?

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herausgegeben von Dr. Eugen Schmahl.
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Reichsführer des Volksbundes für das Deutschtum im Ausland,
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