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Oldenburg
Diedrich Steilen

Tagaus, tagein rollen die Wogen des Meeres an die Küste, tagaus, tagein rennen sie gegen das Land, tagaus, tagein mahnt des Meeres Rauschen den Menschen, wohl auf seiner Hut zu sein. Seit Jahrhunderten schon ringt der Oldenburger mit der See und ward ihrer doch niemals völlig Herr. Es ist ein unaufhörlicher Kampf, in dem es kein Erlahmen geben darf. Küstenanwohner heißt, allzeit Streiter für die heimatliche Scholle sein. Die Wacht am Meere nahm alle Kräfte des Oldenburger Landes so sehr in Anspruch, daß es sich um die Vorgänge im Reiche wenig oder gar nicht kümmern konnte. Da es zudem im ruhigen Nordwestwinkel Deutschlands weder von feindlichen Kriegsscharen überrannt, noch von mißgünstigen Nachbarn - von kleinen Plänkeleien abgesehen - mit Krieg überzogen wurde, konnte es sich ungestört den eigenen Lebensfragen widmen. Oldenburg war niemals wie die Pfalz oder Schlesien Schauplatz blutiger Schlachten, noch suchten seine Herrscher, wie Braunschweigs Fürsten, Kriegsruhm, sondern gingen ganz auf in der Fürsorge für das eigene Land; sie fühlten sich als Väter des Landes. So blieben alle Kräfte der Heimat erhalten und wirkten sich in Werken des Friedens aus. Oldenburg betrieb unermüdlich und unentwegt eine innere Kolonisation und beschränkte diese keineswegs auf den alten Stammbesitz, sondern zog, sooft neue Gebiete hinzukamen, diese alsbald in die treue Fürsorge ein. Dadurch aber schweißte es um sein Gebiet einen Reif, der den Staat fester als Eisen und Stahl zusammenfügte. Indem eine weise Staatskunst so die Landeswohlfahrt als höchstes Ziel hinstellte und diesem selbst mit aller Kraft zustrebte, überbrückte sie innerhalb der Bevölkerung alle Gegensätze. Protestanten und Katholiken fühlen sich durch den Staat ebenso innig verbunden wie der wohlhabende Marschbauer mit dem minderbemittelten Geestbauer und dem ärmsten Moorkolonisten. Dabei verleugnet weder der Münsterländer noch der Butjadinger seine Eigenart; jeder bekennt sich mit einem gewissen Stolz zu seinen Wesenszügen und denkt keinen Augenblick daran, sie fahren zu lassen. Und doch kommt es jedem aus Herzensgrund, wenn er spricht: Ich bin Oldenburger und will es bleiben!

Zur Zeit der Hanse gab es an Oldenburgs Küste noch keinen größeren Hafen. In den deutschen Handel schaltete sich Oldenburg viel später ein, erst vor etwa hundert Jahren, als die ersten Fabriken im Lande entstanden. Oldenburgs Lage am Meere wurde bedeutsam, als Deutschland im 19. Jahrhundert in die Reihe der Seemächte eintrat. Als es damals galt, zur Lösung deutscher Aufgaben beizutragen, zögerte Oldenburg nicht einen Augenblick. Zweimal leistete das Land der werdenden deutschen Kriegsflotte vaterländische Dienste. Bereitwillig bot es 1848 der deutschen Bundesflotte, die Admiral Brommy befehltigte, in Brake einen Heimathafen. Als der erste Flottentraum [63] verflogen war, und Preußen dann wenige Jahre später daran ging, eine eigene Kriegsflotte zu schaffen, konnte es solche Pläne nur durch Oldenburgs Entgegenkommen verwirklichen. Der preußische Staat grenzte damals noch nicht an die Nordsee, mußte sich also zur Anlage eines Hafens nach fremdem Gebiete umsehen. Oldenburg erkannte sogleich die deutsche Sendung Preußens und trat, sobald es darum angegangen wurde, am Jadebusen soviel Land ab, als für einen Hafen nebst Stadt erforderlich war. Durch das schnelle Aufblühen Wilhelmshavens wurden die drei angrenzenden oldenburgischen Dörfer Bant, Heppens und Neuende mit emporgerissen: aus ihnen erwuchs die Stadt Rüstringen, die heute 50 000 Einwohner zählt und unbeschadet der politischen Grenze mit Wilhelmshaven eine große wirtschaftliche Einheit bildet.

Seine Lage an der Weser wußte Oldenburg geschickt zu nutzen, indem es durch den Elsflether Zoll, des es mit Zustimmung des Reiches von 1624 bis 1820 erheben durfte, von dem Gewinne des auf Bremen gehenden Handels zehrte. Die Zollgefälle setzten den Landesherrn in die Lage, überall in seinem Staate die bessernde Hand anlegen zu können. Der vorzügliche Zustand der Oldenburger See- und Flußdeiche ward in jener Zeit eingeleitet. Der Bremer Handel gab der Oldenburger Flotte lange Zeit den Nährboden. In welchem Umfange das der Fall war, beleuchtet blitzartig die Tatsache, daß zu Beginn des 19. Jahrhunderts die europäischen Fahrten für den Bremer Handel fast ausschließlich von Elsflether und Braker Segelschiffen bestritten wurden. Die weitere [64] Folge war ein blühender Schiffbau, sowohl an der Weser als auch auf dem Ammerlande. Das Holz lieferten die heimischen Wälder. Auch mancher Walfänger entstand auf den Werften an der Weser und ermöglichte es Oldenburg, sich an den Fahrten in die Arktis zu beteiligen. Als sich aber im 19. Jahrhundert die Wirtschaft umschichtete, änderte sich das Bild schnell. Bremerhaven, welches 1827 begründet wurde, entzog den Häfen zu Elsfleth und Brake bald einen großen Teil ihres Verkehrs. Der Übergang zu immer größeren Fahrzeugen und zum Eisenschiffbau versetzte den alten Oldenburger Werften den Todesstoß, und das Dampfschiff verdrängte den Segler. Zählte die Oldenburger Handelsflotte 1893 noch 83 stolze Dreimaster, so war 1910 kein einziges Schiff mehr davon vorhanden. Die um jene Zeit begründete Oldenburgisch-Portugiesische Dampfschiffahrts-Gesellschaft aber sah sich bald gezwungen, um bestehen zu können, ihren Sitz nach Hamburg zu verlegen. Daß sie weiterhin die Oldenburger Flagge führt, ist nur ein magerer Trost für das Land. Heute hat lediglich der Kleinschiffbau und die Flußfischerei am Oldenburger Ufer der Niederweser eine Heimstätte. Da blüht auf kleinen und kleinsten Werften der Bootsbau in solchem Umfange, daß wir an der ganzen Nordsee kein Gegenbeispiel aufzeigen können. Vor allem werden Rettungsboote für die Großwerften der Weser und Elbe, aber auch Brandungsboote für die afrikanische Küste geliefert. Dem eigentlichen Kleinschiffbau, der sich auf Heringslogger, Schleppkähne, Küstenfahrzeuge erstreckt, dienen die Werften zu Elsfleth, Hammelwarden, Brake und Nordenham.

Die Verhältnisse längs der Niederweser wurden durch die Weser-Korrektion, die Bremen um 1890 betrieb, völlig umgestaltet. Damals wurde der alte Hafen Elsfleth vom offenen Strom abgedrängt; dennoch sind seine Beziehungen zur See keineswegs erloschen. Die Navigationsschule besteht nun schon über hundert Jahre, und die Schulschiffe sind in Elsfleth beheimatet. Der Deutsche Schulschiffverein, dessen Gründer und Förderer der letzte Großherzog, Friedrich August, war, will der deutschen Handelsmarine einen tüchtigen, auf Segelschiffen geschulten Nachwuchs an Offizieren zuführen. Brake gewann durch die Korrektion; die größten Frachtdampfer können den am offenen Flusse gelegenen Hafen erreichen. Die Stadt entwickelte sich zu einem bedeutenden Umschlag für Getreide, der sich auf die Schweinezucht im eigenen Lande stützt. In guten Jahren liefern die oldenburgischen Schweinemästereien 700 000 fette Tiere. Erhebliche Getreidemengen werden natürlich auch den binnenländischen Märkten zugeführt; aber für den Absatz bedeutet es einen fühlbaren Nachteil, daß der Versand ausschließlich mit der Bahn erfolgen muß. Der Küstenkanal, der das Binnenland auf dem Wasserwege erschließen soll, harrt noch immer der Vollendung. Geradezu sprunghaft entwickelte sich Nordenham, welches etwa Bremerhaven gegenüberliegt. Von Nordenham, welches ungefähr mit Wilhelmshaven gleichaltrig ist, sprach man wohl hoffnungsfroh als von "Oldenburgs Zukunftsecke" und wollte damit zum Ausdruck bringen, daß es dem Lande an dieser Stelle gelingen müsse, an dem industriellen Aufschwung Deutschlands teilzunehmen. Lange Zeit war Nordenham Stapelplatz für Petroleum und Getreide, vorübergehend auch Liegeplatz der großen Lloyddampfer. Vor dem Weltkriege siedelten sich hier dann eine Reihe industrieller Werke an: die Seekabelwerke, die Zinkhütte, die Hochseefischerei Nordsee, eine Werft, eine Superphosphatfabrik und andere Betriebe.

[65] Die Bewohner des Küstenlandes führen einen ständigen Kampf mit dem Meergott und werden dadurch gestählt. Für den Oldenburger trifft das ganz besonders zu. Er hat wie kaum ein anderer mit den Fluten gerungen und gestritten. Das Meer, erfüllt von Laune und Tücke, ist kein friedlicher Nachbar. Einst baute es mühselig den Boden auf, der heute als Küste seine Ufer säumt. Dann aber zerstörte es wie ein frechtrotziges Kind oft wieder, was es selbst schuf. Der Mensch ward zum Schützer des Meergeschenkes, als er den güldenen Reif des Deiches um das Land legte, welches den Fluten entstieg.

Nur eine Spanne lassen sich die Naturkräfte bändigen, um sich sodann der Fesseln zu entledigen und mit um so größerer Kraft vorzustoßen. Jetzt deckt das Meer im Norden Oldenburgs weite Flächen ehemaligen Landes. Wo einst inmitten blumiger Wiesen Dörfer und Höfe lagen, singen heute die Wogen ihr uraltes Lied. Im Jadebusen feiert der Meergott seinen größten Triumph über schwache Menschenkraft. Zwar glückte ihm der Einbruch nicht mit einem Schlage. Lange genug tastete er umher, als er große Wellen gleich Vorposten übers Land schickte, bis er es dann entschlossen durch eine gewaltige Sturmflut an sich riß. Mit der Julianenflut des Jahres 1164 unternahm er den ersten großen Vorstoß; die Clemensflut setzte 1334 die Zerstörung fort. Ihr folgte 1362 die Marcellusflut. Und als die Antoniflut 1511 verebbte, war der Jadebusen vollendet. Bis an die hohe Geest von Dangast rauscht seitdem das Meer über alten Kulturboden, von dem bei niedrigem Wasser überschlickte Pflugfurchen und die Stümpfe verschlungener Wälder zeugen.

Vergehende Insel im Jadebusen.

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      Vergehende Insel im Jadebusen.

Noch manch andere Schreckensnacht hinterließ ihre Spuren in Kolken und Braken. In langer Reihe begleiten sie den Deich und erzählen von gewaltigen Brüchen, die weite Strecken Landes verwüsteten und den Menschen zu immer neuen Kämpfen mit den Elementen zwangen. Lange mußte er sich quälen, bis es ihm gelang, die Bruchstellen wieder zu schließen, und nach unsäglichen Mühen glückte es ihm hier und da, den Deich vorzuschieben und dadurch altes Land zurückzugewinnen. Noch heute steht der Mensch im Außendeiche, um durch Dämme und Grüppen weiteres Land aus dem Meere zu heben. Nur innerhalb des Jadebusens kam die Landgewinnung zum Stillstand, weil hier durch weiteres Vorschieben der Deiche Ebbe und Flut behindert würden, das Fahrwasser der Jade offenzuhalten. Darauf kann aber im Hinblick auf den Kriegshafen Wilhelmshaven nicht verzichtet werden. Den großen Verlust an Millionenwerten, die in den dortigen Anlagen stecken, gleicht der Zuwachs an Land nicht im entferntesten aus. Deshalb mußten neuerlich Pläne, wie sie hier bei der Suche nach Arbeitsbeschaffung mit einem Seitenblicke auf die Zuider-See auftauchten, zum Scheitern verurteilt werden.

Sobald die Oldenburger Grafen um 1520 die Marschen zwischen Weser und Jade in ihren Besitz gebracht hatten, trugen sie Sorge, die Stromspaltungen im Mündungsgebiete der Weser zu schließen und den inselhaften Charakter dieser Marschlandschaft auszutilgen. Es gelang durch die unablässige Arbeit eines halben Jahrhunderts. Heute säumen hohe, feste Deiche das ganze Land. Der Schutzwall ist so stark, daß nach menschlichem Ermessen auch die stärksten Fluten daran zerschellen müssen. Unter staatlicher Aufsicht stehen 247,9 km Deich, die insgesamt 117 100 ha Land schützen. Auf 1 m Deich entfallen demnach 0,473 ha Land oder 1 ha muß für 2,11 m Deich aufkommen. In den Deich- und Sielabgaben trägt der Küsten- und Marschbewohner ständig eine beträchtliche Last.

Fischer in Wesermünde.

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      Fischer in Wesermünde. Beim Schollenfang.

[66] Das Meer nimmt - das Meer gibt. In den letzten 150 Jahren bauten die Fluten in der Wesermündung eine Insel von 1750 ha Fläche auf, die Luneplate. Sie reicht bis an die Stadt Wesermünde, gehört aber zum größten Teile zu Oldenburg und wurde vor wenigen Jahren landfest gemacht. Da wächst weiter im äußersten Winkel zwischen Jade und Weser seit etlichen Jahrzehnten eine neue Insel aus dem Meere, die alte Mellum. Vorläufig besteht dort nur ein Vogelschutzgebiet, das im Sommer von einem Vogelwart betreut wird. Geologen und Naturforschern wird dort die seltene Gelegenheit, das Entstehen eines Eilandes zu studieren.

Von den ostfriesischen Inseln gehört Wangeroog zu Oldenburg; es ist ein bekanntes, gern aufgesuchtes Seebad. Als Seegrenze gegen Ostfriesland gilt die goldene Linie, etwa die Verlängerung der Harlemündung. Unter dem Druck der Westwinde macht Spiekeroog jetzt Miene, auf oldenburgisches Hoheitsgebiet zu wandern.

Auf engem Raum, nur etwa 60 km breit, von der Weser bis fast zur Ems, 120 km lang, von den Ausläufern des Wiehengebirges bis zur Nordsee, vereint Oldenburg miteinander die weite ebene Marsch, das dunkle geheimnisvolle Moor und die wellige Geest. Jede Landschaft behauptet ihren eigenen Ausdruck, so daß das Gesamtbild mannigfaltig und abwechslungsreich wird.

Bis zu den Häusern Bremens erstreckt sich der fruchtbare Marschgürtel, der den wertvollsten Teil des Landes ausmacht. Er füllt den Ostrand an der Weser und den Norden am Meere. Wie das Meer, flach und eben, ist es auch die Marsch, die sich im Laufe langer Zeiten aus seinen Ablagerungen aufbaute. Keine Anhöhe, kein Hügel unterbricht die Weite der Ebene, es sei denn, daß Menschen in mühsamer Arbeit eine Wurt schufen, um dort sicher vor den Fluten des Wassers zu wohnen. Soweit das Auge reicht dehnen sich die grünen Weiden, nur durchschnitten von den feinen Wasseradern der schnurgeraden Gräben, im Frühling mit den leuchtenden Farben der Blumen übersät, im Sommer belebt von einer großen Zahl schwarz-weißer Rinder und edler Pferde. Im Winter, wenn das Wasser in der Gräben zu dickem Eis erstarrt ist, und Rauhreif auf dem Lande liegt, hallen die weiten Flächen wieder von dem Geschrei der Klootschießer und den anfeuernden Rufen der Zuschauer. Hin und her fliegt die Kugel, bis ein Gegner, in die Enge getrieben, sich als besiegt bekennen muß. Jedes Kind kennt die guten Klootschießer im Lande.

In der Marsch brachte es der Mensch, sobald er nur den Boden zu meistern verstand, zu Wohlstand; nur die sumpfigen Randstreifen bereiteten ihm zunächst unbezwingbare Hindernisse und lagen darum unbenutzt. Erst als die Meister der Entwässerungskunst, die Holländer, zu Beginn des 12. Jahrhunderts in die Bremer Gegend kamen, gaben sie durch ihr Beispiel die Möglichkeit, auch diese Gebiete zu besiedeln. In jener Zeit wurde die Moorseite des Stedingerlandes in lange, schmale Streifen aufgeteilt, die von der Marsch übers Moor bis an die Geest reichten.

Der Wohlstand in der Marsch weckte früh den Neid und die Gier der Nachbarn. Nach dem reichen Stedingen griff der bremische Erzbischof durch den Raubzug des Jahres 1234. Eine erdrückende Übermacht von Rittern und Abenteurern mordete die freien Bauern dahin. Fremde Söldner überschwemmten das Land. Aber nur eine kurze Spanne Zeit wurden sie des unberechtigen Besitzes froh, dann verließen sie das Land, und Söhne [67] der alten Bauerngeschlechter setzten die Arbeit an der Väter Scholle fort. Auf dem Schlachtfelde hält ein schlichter Obelisk das Gedächtnis der Helden wach, die für Freiheit, Ehre und Besitz kämpften und erlagen. Nach den Marschen an der Wesermündung streckte der Oldenburger Graf 1514 seine Hand; nur mit Hilfe fremder Söldner glückte es ihm, die freiheitsliebenden Bauern unter seine Macht zu zwingen. - Die Herrschaft Jever, welche im wesentlichen die Marsch westlich des Jadebusen umfaßt, fiel 1575 durch Erbgang an das Haus Oldenburg und schloß den Ring an der Küste. Jever, die Stadt der Kunst, Sage und Geschichte! Der hochragende Schloßturm mit der zwiebelförmigen Kuppel - Jevers Wahrzeichen - beherrscht das Stadtbild.

Der hohe Stand der Oldenburger Viehzucht gründet sich vornehmlich auf die alten Marschen, während in den jüngeren Marschen und auf den Groden Ackerbau getrieben wird.

Das Oldenburger Pferd genießt Weltruf. "Das edelste Produkt unserer heimatlichen Flur ist seit Jahrhunderten das Pferd, unserer Landwirtschaft Stolz und Freude", hieß es in der Adresse, mit der Oldenburger Bauern dem Altreichskanzler 1895 anläßlich seines 80. Geburtstages zwei edle Zuchtstuten nebst Füllen überbrachten. Bis ins 16. Jahrhundert reicht die Neigung Oldenburger Fürsten für alle edlen Pferde zurück, und Graf Anton Günther vermochte während des dreißigjährigen Krieges seinen [68] Wünschen mehrfach dadurch Nachdruck und Erfolg zu verleihen, daß er Fürsten und Feldherren Rassepferde schenkte. In jener Zeit setzte bereits eine zielbewußte Zuchtpflege ein; zudem erließ der Staat früh Vorschriften und stellte die Pferdezucht auf eine gesetzliche Grundlage.

Oldenburgische Zuchtpferde auf der Weide.

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      Oldenburgische Zuchtpferde auf der Weide.

Lange Zeit glaubte man, die Marsch sei unerschöpflich reich. Heute weiß man, daß solche Ansicht irrig ist. Die Fruchtbarkeit der Marsch beruht im wesentlichen auf dem Kalkgehalt des Bodens. Im Außendeich, wo die Flut das Land überspült, verjüngt sie ständig die Kraft des Landes. Seitdem aber Deiche die Marschen säumen, wurde der Kalkgehalt nicht ergänzt, wohl aber zehrten die Pflanzen von ihm, und der Regen wusch ihn in die Tiefe. So kommt es, daß die oberen Schichten mehr oder weniger entkalkt sind, während die tieferen noch Kalk enthalten. Durch Wühlen oder Kuhlen werden deshalb vielfach die unteren Schichten an die Oberfläche gebracht und die oberen in die Tiefe gestürzt.

Zum Hausbau schenkt die Marsch dem Menschen nur das Allernotwendigste. Wo der Baugrund zu feucht war oder Überschwemmungen zu befürchten waren, wurden Hügel, Wurten, wie der Volksmund sagt, aufgeworfen. Ein ganzer Landstrich, das alte Oldenburger Besitztum Land Wührden auf dem rechten Weserufer, erhielt von diesen Wurten seinen Namen. Das Haus selbst ist wie die Landschaft und die Menschen einfach, groß und klar im Aufbau. Aus knorrigen Eichen wurden Fachwerk und Balkenlage gefügt, wenigstens in den älteren Gebäuden. Die Wände werden mit Ziegelsteinen, welche aus Ton gebrannt sind, ausgefüllt. Die Kunst des Ziegelbrennens stammt aus Holland und wurde in Deutschland durch die Huder Mönche bekannt. Die Ruinen des ehemaligen Klosters beweisen, in welchem Grade sie ihr Können zu meistern verstanden. Die leuchtend rote Farbe des Ziegels1 verleiht dem Hause ein frohes Ansehen, besonders wenn er auch noch als Dachbelag gewählt wurde. Häufig genug wird das Dach aus Reit gemacht, jenen schlanken Halmen, die überall wachsen, wo sich Wasser zeigt. Das mächtige Dach, durch nichts in seiner klaren Gestalt unterbrochen, läßt den mannshohen Unterbau nahezu verschwinden. Im Schutze der Bäume scheint es fast aus der Erde zu wachsen. Im Küstengebiete herrscht heute das Friesenhaus; östlich des Jadebusens gab es vor 1795 noch kein Friesenhaus. Seitdem aber dringt es immer weiter vor und wird auch schon auf der Geest heimisch. Während der Bauer im Sachsenhause seine Ernte mühsam auf den Balken bringen muß, lagert sie im Friesenhause auf dem Boden. Dieser wirtschaftliche Vorteil und der geringe Holzbedarf für den Aufbau lassen ihm immer mehr neue Freunde gewinnen.

Für seine Kirchen verwandte der Marschbauer gerne den rheinischen Tuff oder den Wesersandstein und griff erst später zum Backsteinbau. Die Kirchen in den Marschen waren lange Zeit die einzigen Steinbauten und gleichen kleinen Festungen. Hinter ihre starken Mauern flüchteten die Bewohner mit ihrer wertvollsten Habe, wenn Seeräuber an das Ufer stiegen oder Feinde ins Land eindrangen. Darum sind auch die Kirchtürme so massig, ja fast klotzig. Jahrhunderte überdauerten diese Gebäude und waren den Anschlägen der Eindringlinge ebensosehr ausgesetzt wie den Angriffen der Elemente; aber [69] sooft der Bau zu wanken drohte, wurde er durch Eisenanker wieder zusammengehalten. Die Außenwände scheinen oft damit übersät.

Zwischen Marsch und Geest schieben sich die Moore, vor allem auf der Grenze nach Ostfriesland hin; längs der Flüsse und Bäche dehnen sich große Flachmoorgebiete. Daß ihre Entwässerung erst unter holländisch-friesischem Einfluß geschah, hörten wir schon; vorher waren sie dem Menschen unzugänglich. Sie lieferten den Anwohnern in der Marsch als notwendigen Brennstoff den Torf, da bei der Waldarmut des Landes das vorhandene Holz zum Bauen verwendet werden mußte. Auch heute werden die Oldenburger Moore in weitem Umfange durch Torfstich genutzt. Ansehnliche Mengen verlassen das Land als Torfmull nach den kanarischen Inseln, um dort zum Verpacken der Früchte zu dienen. Der Erlös aus dem Oldenburger Torfmull reicht hin, um die gesamte Bananeneinfuhr Deutschlands zu bezahlen.

Die Hochmoore waren lange Zeit allein auf mühsam hergestellten Bohlwegen an wenigen Stellen zu begehen. Schaudernd nur wagte sich der Mensch in die Nähe der Moore; im Sausen des Windes glaubte der einsame Wanderer die lockenden Worte böser Geister zu vernehmen und die Jammerrufe ruheloser Seelen zu hören. Um die Mitternachtsstunde, wenn verführerische Irrlichter hin- und herhuschen, wenn die Riesenhalme des Schilfes aufgeregt raschelten und flüsterten, wenn Blasen aus der schwarzen Tiefe stiegen und das Wollgras aufgeregt nickte, klangen aus den unergründlichen Wasserlachen die Glocken versunkener Dörfer.

[70] Neuzeitliche Arbeitsweisen, vor allem Maschinen und Kunstdünger, wandelten das Bild. Der schon erwähnte Küstenkanal erschließt große Hochmoorgebiete. Heute geht dort der Pflug, weidet dort das Rind, und die Erträge, die das Land jetzt liefert, stehen hinter denen der Marsch kaum zurück.


Die Mitte und den Süden des Landes erfüllt die Geest, der älteste Boden. Hier liegen noch ausgedehnte Heideflächen, die weder durch die Forstwirtschaft noch durch andere Kulturen erfaßt wurden. Die Oldenburger Geest, vor allem die Gegend von Wildeshausen und Ahlhorn trägt so viele Spuren vor- und frühgeschichtlicher Besiedlung wie kaum ein anderer Landstrich Nordwestdeutschlands. Da liegt südlich Wildeshausen das Pestruper Gräberfeld; über 300 Hügelgräber aus der Eisenzeit umfaßt es noch heute. Um es in seinem Bestande zu sichern, wurde das 36 ha große Feld schon 1908 vom Staate erworben. Die bekanntesten und größten Hünengräber treffen wir auf der Ahlhorner Heide, die Visbecker Braut, den Bräutigam sowie den durch prächtige Eichen geschmückten Heidenopfertisch. Wir stehen hier vor Steinsetzungen von gewaltigem Ausmaße, die uns immer wieder mit Ehrfurcht erfüllen müssen gegenüber einem Geschlechte, das hier vor Jahrtausenden lebte und in diesen Malen zu uns spricht.

Der natürliche Mittelpunkt der Geest liegt in der Stadt Oldenburg selbst. Ihr Namen, der sich später auf das ganze Land übertrug, bedeutet soviel wie: alte Burg. Als Brückenort hatte die Siedlung von altersher einige Bedeutung; hier kreuzte der Handelsweg von Holland zur Weser, die Hunte, hier zweigte die friesische Straße auf Jever ab, und durch die Osenberge führte eine alte Heerstraße nach dem Süden. Die späteren Bahnlinien folgten im wesentlichen jenen alten Straßen. Die Stadt Oldenburg hatte zu keiner Zeit einen nennenswerten Handel aufzuweisen, wenn auch die Hunte bis Oldenburg schiffbar ist, und der Schiffsliegeplatz am Stau zu Zeiten ein recht malerisches Bild zeigt. Lediglich als Residenz und Landeshauptstadt durch den Sitz der Behörden konnte Oldenburg vor den anderen Städten des Landes einen großen Vorrang gewinnen. Die Zahl der Einwohner beziffert sich gegenwärtig auf 55 000. Die Stadt macht auf den Fremden einen vornehmen und gewinnenden Eindruck. "Die Stadt der Rosen" nennt sie sich selbst und kehrt dadurch ihr Wesen als Blumenstadt heraus. Als Alterssitz erfreut sie sich im ganzen Lande größter Beliebtheit. Vor allem aber gipfelt das ganze kulturelle Leben des Landes in der Hauptstadt.

Fast vor den Toren der Landeshauptstadt beginnt das Ammerland; der Name bedeutet soviel wie niedriges, wässeriges Land. Das Zwischenahner Meer, zwar nicht der größte, aber weitaus der schönste norddeutsche Binnensee, erinnert durch die Wälder an seinen Ufern an Ostpreußens Landseen. Die Geschichte und Kultur des Ammerlandes findet in dem Zwischenahner Freilichtmuseum, dem bedeutendsten und vollkommensten Niederdeutschlands, einen lebenswahren Spiegel.

Ammerländer Bauernhaus.

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      Ammerländer Bauernhaus. (Freilichtmuseum Bad Zwischenahn.)

Aus der Wesermarsch steigt die Delmenhorster Geest auf, auf der von weither die Stadt Delmenhorst mit ihren Türmen und Schornsteinen sichtbar ist. Die letzten vierzig Jahre wandelten die vorhin stille Landschaft in einen lebhaften Industrieort. Schon lange bestanden hier Korkschneidereien; auf ihre Abfälle gründete sich dann eine umfangreiche Linoleumfabrikation. Sanft gewellt zieht sich die Geest hin. In den Boden schnitten [71] Bäche ihren Lauf. Wiesen wechseln mit Feldern; kleine Waldstücke zaubern immer wieder neue Bilder. Der Hasbruch krönt den Rand der Geest, während im Süden das Huntetal zwischen Huntlosen und Wildeshausen Schönheiten birgt, wie man sie hier kaum erwartet. Wildeshausen mit seinem alten gotischen Rathause und der mächtigen Alexanderkirche darf sich rühmen, eines der ältesten deutschen Schützenfeste zu feiern.

Den südlichen Teil des Landes mit den Städten Cloppenburg, Vechta und Löningen nennt man das Münsterland, weil es mit Teilen des Hümmlings früher zum Niederstift Münster gehörte. Es kam erst nach 1800 als Entschädigung für den ausfallenden Elsflether Zoll an Oldenburg; aber die Beziehungen nach Münster, zumeist kultureller Art, sind auch heute noch nicht ganz erloschen. Mehr als anderswo stellt das Münsterland eine durch den Menschen geschaffene Kulturlandschaft dar. Durch nie erlahmenden Fleiß und mühevolle Arbeit wandelte der Münsterländer seine vielfach karge Scholle in ertragreichen Boden. Auf den Höfen sitzen knorrige Bauerngeschlechter, die ihre Ahnenreihe durch Jahrhunderte zurückverfolgen können.

Gleich dem Ammerlande besitzt das Münsterland eine alte, hohe Kultur, die in einer reichen Volkskunst einen klaren Niederschlag fand. Aus einer völlig falschen Beurteilung des Münsterlandes heraus kümmerte man sich lange Zeit nicht um diese Dinge. Es blieb dem Cloppenburger Heimatmuseum, einer ebenso eigenartigen wie glücklichen Verbindung von Museum und Schule, vorbehalten, durch seine erst in den letzten zehn Jahren geschaffene Sammlung klar herauszustellen, daß das Münsterland wohl von den Nachbarn im Ammerlande, in Holland und im Artlande beeinflußt wurde, aber in seiner Volkskunst dennoch eigenen Wege ging und sie zu einer seither nicht geahnten Höhe entwickelte. Das Münsterländer Bauernhaus, ein Typ des niedersächsischen, zeichnet sich [72] nicht nur durch reiches Fachwerk aus, sondern weist als Zierat vielfach die schönsten Schnitzereien auf.

Die Große Eiche bei Hasbruch.

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      Die Große Eiche bei Hasbruch.
Der Staat Oldenburg - in den Zahlen sind die beiden Streubesitze Birkenfeld und Eutin einbegriffen - deckt 6400 qkm Fläche, davon sind 668 qkm mit Wald bestanden, was etwa 10,4% entspricht. Marsch und Moor tragen keinen Wald, so bleibt als Hort der Wälder allein die hohe Geest. Seit langem sind die großen Eichen des Hasbruchs auf der Delmenhorster Geest berühmt. Altehrwürdige Bäume sind's, die zum Teil noch in die Tage Karls des Großen zurückreichen. Bäume im Alter von über tausend Jahren, die nun in ihrem Greisenalter, obschon sie Spuren des Verfalls tragen, noch mit allen Fasern am Leben hängen.

Der Neuenburger Urwald in der Gegend von Varel reicht nicht an die Größe des Hasbruchs heran, aber an Schönheit und Stimmungsgehalt übertrifft er ihn. Solche Märchenschönheit voll köstlicher Pracht und tiefem Zauber, wie sie uns hier begegnet, läßt uns den deutschen Wald liebgewinnen. Vor Jahrzehnten glaubte man, sowohl im Neuenburger Urwalde wie im Hasbruch, besonders schöne und alte Teilstücke des Waldes als Ausschlußgebiete von jedem forstmännischen Eingriff freihalten zu sollen, damit das natürliche Bild des Waldes nicht getrübt werde. Aber schon heute sieht man, daß man von trügerischen Voraussetzungen ausging. Sich selbst überlassen, wandelt sich der Wald und stirbt. Die Buche, begünstigt durch das gegenwärtige Klima, verbreitet sich rasch, verdrängt, da sie die stärkere ist, die Eiche und unterdrückt sie. Der alte Eichen-Hudewald, das Bild, welches uns lieb und erhaltenswert erscheint, läßt sich dauernd nur sichern, wenn des Menschen ordnende Hand nicht fehlt.


Heute merkt man es nicht mehr, daß durch das nördliche Oldenburg etwa über Varel nach Brake einst die Stammesgrenze zwischen Friesen und Sachsen lief. Lediglich die friesische Wede, d. i. Friesenwald im nördlichen Oldenburg, erinnert noch daran. Das einzigste Gebiet Oldenburgs, in dem heute noch friesisch gesprochen wird, ist das Saterland an der Leda. Allerdings waren die ersten Siedler hier Sachsen, die Friesen kamen erst später und gewannen die Oberhand. Heute ist das Saterland neben Friesland die einzigste Stätte, wo sich das Friesische als Umgangssprache gehalten hat, wenn auch der Kreis derer, die noch am Friesischen hängen, von Jahr zu Jahr kleiner wird. Dagegen erwachte nach dem Kriege unter den Friesen im ganzen Küstenstreifen das Stammesbewußtsein in beachtlichem Umfange. Trennt die Westfriesen auch die politische Grenze von den Ost- und Nordfriesen, stammeskundliche Belange pflegen sie dennoch gemeinsam mit den Friesen im Reiche, und es darf hier vermerkt werden, daß der zweite Friesentag im Oldenburger Lande, und zwar im alten Jever, stattfand. Aber die Beteiligung an diesen Tagen geht wohl mehr von einer literarisch oder künstlerisch interessierten Oberschicht als von breiten Volkskreisen aus, und es darf bezweifelt werden, daß sich heute im Zeichen des Verkehrs noch Volksgrenzen schärfer wieder hervorheben lassen.

Oldenburg ist das Land der selbständigen Bauern. Große Güter sind so gut wie unbekannt. Auf den Großgrundbesitz (über 100 ha) entfallen nur 1,5% des Landes. Der Einzelhof herrscht vor. Der Oldenburger geht ganz auf in seiner Arbeit. Mag sein, daß er es sich eine [73] Weile überlegt, ob er diese oder jene Arbeit angreifen soll, faßt er aber an, so läßt er nicht mehr los. Dem Breiten und Behäbigen in seinem ganzen Auftreten entspricht seine plattdeutsche Umgangssprache, in ihren traulichen Klang legt er sein ganzes Fühlen und Denken, seine Seele. Über alles liebt er seine Heimat, es ist ihm heiligstes Bekenntnis, wenn er in seinem Nationalliede singt:

      Wer deinem Herde naht, fühlt augenblicklich,
      Daß er hier heimisch ist, er preiset sich so glücklich;
      Führt ihn sein Wanderstab auch alle Länder durch,
      Du bleibst sein liebstes Land, mein Oldenburg!

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1Ein besonders hartgebrannter Ziegel, der Klinker, wurde im Oldenburger Lande seit langem als Straßenpflaster benutzt. In den letzten Jahren ging man auch dazu über, ihn zum Hausbau zu verwenden; das Chilehaus und andere Großbauten Hamburgs wurden aus Bockhorner Klinkern aufgeführt. Aus dem Lande selbst mögen der Hauptbahnhof in Oldenburg, das Rathaus in Rüstringen und das Krankenhaus in Delmenhorst als Klinkerbauten erwähnt sein. ...zurück...


Das Buch der deutschen Heimat, Kapitel "Geest, Heide und Moor".

Deutsches Land: Das Buch von Volk und Heimat
Unter Mitarbeit von Schriftstellern aller deutschen Stämme
herausgegeben von Dr. Eugen Schmahl.
Mit einem Geleitwort von Dr. Hans Steinacher,
Reichsführer des Volksbundes für das Deutschtum im Ausland,
und mit einem Geleitschreiben von Hans Grimm.