2.
Nach dem Waffenstillstand.
Ueber Verwendung von Sanitätssoldaten zu unzulässigen Arbeiten im Widerspruch mit der Genfer Konvention. (Siehe Uebersicht XXII.)
Nach dem Waffenstillstande ist in zahlreichen Fällen
Sanitäts- oder Schwesternpersonal in nicht erforderlichem Umfange zurückgehalten worden.
Die Genfer Konvention schreibt vor: "Sobald die Mitwirkung des Sanitätspersonals nicht mehr unentbehrlich ist, soll es zu seinem Heere oder in seine Heimat zurückgeschickt werden."
[367-368] 1918/19
Sidi-Bishr. Englische Behörden:
In Sidi-Bishr (Aegypten) sind vom Oktober 1918 bis Oktober 1919 durchschnittlich von 35 Sanitätsoffizieren nur 5 ärztlich tätig gewesen.
Im Mannschaftslager
Sidi-Bishr waren etwa 200 Mann Sanitätsunterpersonal
unbeschäftigt.
Wiederholte Eingaben des ältesten Sanitätsoffiziers waren ohne Erfolg, führten im Gegenteil zu seiner Bestrafung.
November 1918 bis Februar 1919 Belgien. Belgische Behörden:
In Antwerpen und Brüssel wurden nach dem Waffenstillstand sämtliche dort befindlichen Sanitätspersonen und Schwestern zurückgehalten, trotzdem nur ein Teil zur Pflege deutscher Verwundeter und Kranker benötigt wurde. In einer Eingabe an das belgische Kriegsministerium vom Dezember 1918 wurde die Zahl des in Antwerpen entbehrlichen Sanitätspersonals auf mindestens 200 beziffert. Der Abtransport des deutschen Sanitätspersonals aus Belgien erfolgte erst im Februar/März 1919.
Juli bis August 1919 Frankreich. Französische Behörden:
Im Juli und August 1919 waren zahlreiche Sanitätspersonen in den Lazaretten Nancy, Lunéville und St. Nicolas nicht im Sanitätsdienst beschäftigt (im Lager Nancy allein 49); teils waren sie überhaupt unbeschäftigt, teils
wurden sie bestimmungswidrig auf französischen Krankenstationen beschäftigt. Gleiches geschah auch in anderen französischen Lagern und Lazaretten.
In zahlreichen Fällen wurde dem festgehaltenen Sanitätspersonal die in Artikel 13 des Genfer Abkommens vorgeschriebene Besoldung ganz oder teilweise vorenthalten, so z. B. in rund 1500 Fällen seitens der französischen Regierung, in rund 460 Fällen von der englischen Regierung, in rund 200 Fällen von der belgischen Regierung.
Diese Ansprüche wurden zum Teil schon vor Jahren bei den betreffenden Feindstaaten geltend gemacht, ohne daß bisher die Auszahlung erfolgte.
Ein Beispiel, das die bestimmungswidrige schlechte Behandlung des deutschen Sanitätspersonals und der deutschen Verwundeten und Kranken besonders erhellt, sei ausführlicher behandelt.
In den Lazaretten in Antwerpen lag eine sehr große Anzahl verwundeter deutscher Soldaten aus den schweren Rückzugsgefechten. Der Abtransport des größten Teiles dieser Verwundeten gelang den deutschen Militärbehörden innerhalb der in den Waffenstillstandsbedingungen
festgesetzten Räumungsfrist nicht mehr. Die Aerzte sowie das gesamte Sanitätspersonal einschl. der Schwestern hielten es daher für ihre Pflicht, im Interesse der Verwundeten zu deren Behandlung und Pflege zurückzubleiben. Sie vertrauten hierbei auf die Genfer Konvention. Die ersten Tage nach der Räumungsfrist stand das Personal unter der Fürsorge des belgischen Roten Kreuzes, das sich ihrer gewissenhaft annahm, nach dem Einzug der belgischen Truppen kamen jedoch die Lazarette unter den Befehl und die Verwaltung der belgischen Militärbehörden. Sofort wurden die Verwundeten und das Sanitätspersonal als Gefangene behandelt. Es wurden militärische Wachtkommandos, angeblich nur zur Sicherheit, in jedes Lazarett gelegt. Dem gesamten Sanitätspersonal wurde strengstens verboten, die Gebäude zu verlassen. Es wurde sogar untersagt, die Fenster nach der Straße zu zu öffnen, obwohl dieses eine Notwendigkeit war, um die Räume sachgemäß ventilieren zu können.
War an sich schon der völlige Abschluß von der frischen Luft sowohl für das Sanitätspersonal als auch für die Verwundeten äußerst gesundheitsschädlich, so kam als weiterer Mißstand noch eine Ernährung hinzu, die nicht den Anforderungen der Hygiene genügte. Als Kost wurde sowohl für die Verwundeten als auch für das Sanitätspersonal tagtäglich die gleiche Verpflegung von den Belgiern im fertigen Zustande geliefert. Morgens ein kaffeeähnliches Getränk, mittags die sogenannte
Komitee-Wassersuppe, bestehend aus einer dünnen Suppe mit etwas Kraut und Bohnen, und abends ein Kartoffelbrei mit Zwiebeln und Brot. Anfangs gab es kein Fleisch, später solches unregelmäßig und in kleinen Portionen. Das Essen war vielfach schon am Tage vorher zubereitet und kam dann in einem übelriechenden Zustand ins Lazarett. Die Mehrzahl der Lazarettinsassen war bald nicht mehr fähig, diese Kost zu genießen und kam daher körperlich schnell herunter. Hinzu kam noch, daß die Belgier weder [369-370] den Verwundeten noch dem Sanitätspersonal Löhnung auszahlten, so daß eine Beschaffung von Nahrung aus eigenen Mitteln bald nicht mehr möglich war, zumal das deutsche Geld sehr bald außer Kurs gesetzt wurde. Ein von den Belgiern amtlich zugelassener Einkäufer durfte zwar zu unerhört hohen Preisen in beschränktem Maße Lebensmittel besorgen, doch war diese sogenannte Erleichterung bald illusorisch, da die Geldmittel fehlten.
Auf die schriftliche Anfrage der deutschen Chefärzte, in welchem rechtlichen Verhältnis sich die Verwundeten und das zurückgebliebene Sanitätspersonal in Belgien befanden und weshalb beide zurückbehalten würden, erteilte der Kommandant von Antwerpen die Antwort: "Die Verwundeten und Kranken sind Kriegsgefangene; das zurückgebliebene Sanitätspersonal ist weder kriegsgefangen noch interniert, müsse aber solange in Belgien verbleiben, bis es für die verwundeten und kranken Deutschen nicht mehr gebraucht werde."
Trotz dieser Zusicherung wurde das Sanitätspersonal in gleicher Weise wie die kranken und verwundeten Gefangenen gehalten und auch das inzwischen überflüssig gewordene und nicht gebrauchte Personal (Aerzte, Schwestern und Sanitätspersonal) weiter zurückbehalten. Anfang Januar 1919 wurde dieses überflüssige Sanitätspersonal gesammelt, im Hotel Fortuna streng bewacht und abgeschlossen gegen jeden Verkehr mit der Außenwelt untergebracht. Zehn Tage lang mußten die Schwestern auf Steinfußböden und Stroh liegen. Am 14. Januar 1919 erfolgte der Abtransport dieses vorerwähnten überflüssigen Sanitätspersonals, bestehend aus etwa 30 Aerzten, 76 Schwestern und zahlreichen Sanitätsmannschaften, zunächst nach Brüssel. Beteiligte berichten hierüber folgendes:
Sie seien unterwegs in völlig unzureichender Weise gegen die Wut des Pöbels geschützt worden. Der Pöbel hätte die Schwestern mit Steinen beworfen, ihnen die Schwesternhauben vom Kopf gerissen, sie angespuckt, mit Fußtritten, Stößen in den Rücken mißhandelt. Der Pöbel habe ihnen das Gepäck aus der Hand gerissen und sogar eine Schwester zu Boden geworfen. Das Personal wurde in ärgster Weise beschimpft, man johlte und pfiff. In Brüssel sind 76 Schwestern in eine kalte, zugige Sattelkammer mit defekten Fenstern bei Winterkälte eingesperrt worden. Als Nachtlager diente der mit etwas Stroh belegte Steinboden. Zur Verrichtung der Notdurft wurden jedesmal je 4 Schwestern von einem Posten in einen offenen Pferdestall geführt, wo sie in dessen Gegenwart ihre Notdurft verrichten mußten. Die Aerzte und das männliche Sanitätspersonal wurden zur selben Zeit in einer kalten Reitbahn eingesperrt gehalten. Stroh wurde zum Nachtlager nur in unzureichendem Maße gewährt, der Erdboden war feucht, außerdem war das Stroh verlaust. Im gleichen Raume standen zur Verrichtung der Notdurft zwei offene Kessel.
Von dort aus erfolgte der Weitertransport nach dem Gefangenlager Wulveringhem. Unterwegs erfolgte in Mecheln ein Aufenthalt von 13 Stunden. Die Belgier befahlen zunächst, die Wartezeit auf dem Bahnsteig in der Winterkälte zu verbringen. Auf Bitten hin wurde schließlich das Betreten des Wartesaals erlaubt. Auch hier wurde das deutsche Personal nicht gegen die Wut des Pöbels geschützt, der den Wartesaal stürmte, so daß das Personal gezwungen war, 12 Stunden in einem kalten Schuppen zu verbringen. Am 7. 2. 19 befand sich das gesamte vorerwähnte männliche Sanitätspersonal gleichfalls noch im Gefangenlager Wulveringhem. Die 76 deutschen Schwestern wurden von Brüssel aus nach dem "Hôspital civil" in Schaerbeke bei Brüssel geschafft, wo sie zum größten Teil in einem großen Keller unter den unwürdigsten und unhygienischsten Verhältnissen untergebracht waren und sich noch am 7. 2. 19 befanden.
Ein Arzt, Stabsarzt Dr. B., der die Vorgänge teilweise selbst miterlebt hat, berichtet hierüber: "Ich habe die ärztliche Ueberzeugung, daß die deutschen Schwestern, welche in unvergleichlicher Opferfreudigkeit und Liebe, ohne Unterschied, ob Freund oder Feind, auch für die verwundeten Belgier ihr Bestes getan haben, zum größten Teile einen dauernden körperlichen oder seelischen Schaden durch die unmenschliche Behandlung an ihrer Gesundheit erlitten haben. Ich selbst habe in meiner Tätigkeit als beratender Chirurg bei der Armeegruppe A sehr häufig beobachtet, welche Dankbarkeit die verwundeten und feindlichen Pfleglinge für [371-372] die deutschen Schwestern zeigten. Die oben erwähnte Behandlung ist eine unwürdige Undankbarkeit für diese Aufopferung. Auch Aerzte und das männliche Sanitätspersonal sind meiner Ansicht nach durch die oben erwähnte Behandlung sowohl seelisch als auch in körperlicher Beziehung für längere Zeit an ihrer Gesundheit geschädigt."