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III. 1. Im Schatten des Nichtangriffspaktes
(26. 1. 34 - 14. 7. 37) (Teil 3)

g) Behördliche Erschwerungen der deutschen Organisationstätigkeit und Jugendarbeit 1935/36

In den letzten Monaten des Jahres 1935 machte sich eine einheitliche, plötzlich in überaus scharfer Form aufgenommene Aktion der gesamten polnischen Presse gegen eine angebliche Germanisierungspolitik des Deutschen Reiches gegenüber seiner polnischen Minderheit bemerkbar, die eine große Demonstrationswelle auslöste. Die sich daraus ergebene Stimmung der polnischen Kreise führte dem Deutschtum noch einmal klar vor Augen, daß das neue deutsch-polnische zwischenstaatliche Verhältnis bisher keine günstige innenpolitische Auswirkung hatte herbeiführen können. Überhaupt mussten diejenigen, die geglaubt hatten, die Betätigungsfreiheit der polnischen Deutschtumsorganisationen als Auswirkung des Nichtangriffspaktes ansehen zu müssen, mit der [235] Zeit einsehen, daß ihre Annahme trog. Die polnischen Behörden, die diese Tätigkeit nicht behindert hatten, weil sie u. a. gehofft hatten, durch die Auseinandersetzungen würde die Volksgruppe geschwächt werden, verfolgten die Geschehnisse sehr aufmerksam. Als sie merkten, daß der Kampf zu einer Wachrüttelung und Erstarkung des Deutschtums führte, begannen sie, den Organisationen Schwierigkeiten zu machen. Seit dem Herbst 1935, in verstärktem Masse seit Mitte 1936, kam es immer häufiger vor, daß die unteren Verwaltungsorgane in allen Siedlungsgebieten angemeldete Veranstaltungen unter irgendwelchen nichtigen Vorwänden nicht genehmigten, bei geplanten Veranstaltungen schwer erfüllbare Bedingungen stellten (wie z. B. Vorlage der aufzuführenden deutschen Laienspiele in polnischer Übersetzung), Versammlungen auflösten oder die Mitarbeiter bzw. die gewählten Vorstandsmitglieder besonders in ländlichen Ortsgruppen persönlich oder wirtschaftlich schikanierten. Laut polnischem Versammlungsgesetz war z. B. das Abhalten von Versammlungen ohne polizeiliche Anmeldung nur dann gestattet, wenn es sich um eine Versammlung
a) von Mitgliedern eines Vereines,
b) um persönliche Bekannte des Einberufers handelte.
Die unteren Behörden koppelten vielfach diese zwei verschiedenen Möglichkeiten vollkommen unberechtigt und lösten kleine unangemeldete Zusammenkünfte auf, bei denen unter Bekannten erst die Gründung einer Ortsgruppe beschlossen werden sollte. Wenn auch eine solche kleine geplante Gründungsversammlung vorher angemeldet wurde, dann wurde sie entweder unter irgendeinem Vorwand verboten, oder es wurden dem Bauern, der sein Haus für diese Versammlung zur Verfügung gestellt hatte, Schwierigkeiten gemacht. So erhielt er z. B. Polizeistrafen wegen angeblicher Unsauberkeit auf seinem Hof, damit er seine der Organisation gemachte Zusage zurückzog. Fand die Versammlung aber doch statt, dann wohnten [236] ihr einige Polizisten mit aufgepflanztem Seitengewehr bei, die zwar damals im allgemeinen noch niemandem etwas taten, die aber auf dem flachen Lande allein durch ihre Anwesenheit die Begeisterungsfähigkeit der Versammelten dämpften.

Besondere Aufmerksamkeit schenkten die Behörden - auch die höheren - der Jugendarbeit. Obwohl z. B. der Deutschen Vereinigung (DV) laut Satzung u. a. die "kulturell-bildende Arbeit an ihren Mitgliedern und deren Kindern" gestattet war, erteilte ihr der Bromberger Starost am 26. 9. 1935 einen später vom Posener Wojewoden bestätigten Verweis wegen angeblicher Mitgliedschaft von Jugendlichen unter 18 Jahren. Dabei waren die Jugendlichen, ohne Mitglied geworden zu sein, lediglich im Sinne obiger Berechtigung betreut worden. Auf die Berufung schrieb der Wojewode vor, die Betreuung der Mitgliederkinder dürfe nur auf Grund allgemeiner Einladung und ohne Feststellung der Anwesenheit sowie ohne Einteilung in Gruppen erfolgen. Wegen dieser Tätigkeitseinschränkung erhob der Hauptvorstand der DV am 31. 3. 1936 Klage beim Obersten Verwaltungsgericht, untersagte aber seinerseits den Ortsgruppen die Fortführung der Jugendarbeit im bisherigen Rahmen. Trotzdem wurde am 20. 4. 1935 die Auflösung des Jugendheimes Grüntal, Kr. Zempelburg, angeordnet und die Abhaltung von Schulungskursen verboten.27 Die DV musste schließlich die Jugendarbeit bestehenden Jugendorganisationen, die Kinderarbeit den Wohlfahrtsverbänden überlassen bzw. abtreten.

Die von Anhängern der JDP in Bromberg versuchte Gründung eines eigenen, von der Partei unabhängigen Jugendverbandes wurde von der Starostei Anfang 1935 und auch später trotz mehrmaliger Abänderung der vorzulegenden Satzungen überhaupt nicht genehmigt. Aber auch längst genehmigten ausgesprochenen Jugendverbänden wurden bei Veranstaltungen die vorher geschilderten Schwierigkeiten in den Weg gelegt. Die polnischen Behörden machten hierbei keinen Unterschied zwischen [237] den Jugendgruppen der politischen Organisationen, des Verbandes deutscher Katholiken oder der evangelischen Kirche bzw. der deutschen Sportvereine. Es blieb auch nicht bei der Unterbindung der Jugendarbeit. Im Laufe des Jahres 1936 wurden 28 Ortsgruppen der DV zuerst unter den verschiedensten Vorwänden suspendiert und zwei Monate später aufgelöst. Die einen Ortsgruppen, wie z. B. die in Rawitsch, wurden geschlossen, weil eine Spielgruppe noch nicht schulpflichtiger Kinder bestanden hatte, die anderen, wie die DV-Ortsgruppe Murowana Goslin und einige JDP-Ortsgruppen,28 weil sich bei Schulungstagungen deren Teilnehmer durch einige sportliche Übungen Auflockerung hatten verschaffen wollen.

Am gründlichsten gingen aber die Starosten des Seekreises und des Kreises Kempen, später auch Ostrowo, vor, die sämtliche DV-Ortsgruppen in ihren Kreisen auflösten. Während der Kempener Starost die Aufnahme von "Polen" als Mitglieder beanstandete, missfiel dem des Seekreises die Teilnahme weiblicher Jugend an einer Freizeit mit angeblich "militärischen" Übungen. Am 25. 6. 1936 ermahnte der Bromberger Burgstarost den DV-Hauptvorstand wegen der Einrichtung der eingesetzten "Kreisleiter" und der gleichfalls von der Zentrale abhängigen zehn Bezirksgeschäftsstellen. Der "soziale Grundsatz des polnischen Vereinsgesetzes" würde durch die Ernennung verletzt. So musste die DV beide Einrichtungen aufheben. Die am 25. 1. 1936 von der Delegiertenversammlung der DV beschlossene Ausdehnung ihres Arbeitsgebietes auf das ganze polnische Staatsgebiet, deren Genehmigung der Hauptvorstand am 3. 2. 1936 beim Innenministerium beantragt hatte, wurde nicht gestattet.29 Nicht verbotene Ortsgruppen wurden durch Überfälle auf ihre Versammlungen oder Veranstaltungen eingeschüchtert, so z. B. wurde im Mai 1936 in Nordwestpreußen [238] eine jungdeutsche Versammlung gesprengt.30 Letztere Methode wurde besonders unter Grazynskis Schutz angewandt.



h) Ausschreitungen in Ostoberschlesien Anfang 1936

In Ostoberschlesien hatten schon am 1. 2. 1936 Aufständische eine deutsche Veranstaltung in Kattowitz II gesprengt und mehrere Besucher dieses Festes verletzt, z. T. schwer.31 In den darauffolgenden Wochen wurde die polnische Presse- und Versammlungstätigkeit gegen das Deutschtum noch verschärft, als im Februar 1936 eine Geheimorganisation, die sich "Nationalsozialistische Arbeiterbewegung" (NSDAB) genannt hatte, aufgedeckt worden war. Im Zusammenhang damit wurden etwa 100 Deutsche verhaftet. Die polnische Presse berichtete sehr tendenziös und verallgemeinernd darüber und beschuldigte alle deutschen Organisationen der Irredenta. Dabei hatten diese schon vorher gegen Geheimbünde Stellung genommen, vor Umtrieben gewisser Leute gewarnt und der Geheimbündelei verdächtige Mitglieder ausgeschlossen. Die verantwortlichen Männer des Deutschtums waren sich doch klar darüber, daß ihre ernst gemeinten Bemühungen um eine sachliche Regelung der Beziehungen zwischen Staat und Volksgruppe durch ein derartiges Verhalten selbst von Einzelgängern oder Außenseitern sabotiert werden konnten. Trotzdem sich also die Volksgruppe rechtzeitig von diesen Umtrieben distanziert hatte, wurden nun alle Lebensäußerungen des Deutschtums als Provokationen angeprangert, da die polnische Bevölkerung durch diese angeblich in ihrem Nationalempfinden schwer gekränkt würde.

Hinzu trat in diesen Wochen noch die wegen der Wiederherstellung der deutschen Souveränität im Rheinland durch die polnische Presse künstlich aufgeputschte Erregung der polnischen Öffentlichkeit. Diese Pressehetze blieb nicht ohne Folgen. [239] Zuerst wurde im März eine deutsche Versammlung in Königshütte von einem polnischen Stosstrupp überfallen und verschiedene Teilnehmer tätlich angegriffen. Am 29. 3. 1936 wurden Reichsdeutsche aus dem Kreis Rybnik, die ins Reich nach Ratibor zur Wahl wollten, von Jungaufständischen mit einem Lastauto eingeholt und misshandelt, wobei mehrere Personen verletzt wurden. In deutschen Wohnungen und deutschen Schulen wurden Scheiben eingeschlagen. Im Schlesischen Sejm wurde diese polnische "Selbsthilfe" gegen angebliche deutsche Provokationen noch verherrlicht.32 Diese Anfeuerung wirkte sich dementsprechend aus. Im Mai desselben Jahres überfielen mehr als 100 Aufständische, die in Lastkraftwagen aus der ganzen Umgebung herbeigeholt worden waren, eine JDP-Versammlung in Rydultau und wüteten mit Stöcken und Gummiknüppeln erbarmungslos unter den Teilnehmern. Etwa 60 bis 70 Personen wurden dabei verletzt, eine ganze Reihe davon erheblich. Senator Wiesner beschwerte sich telegrafisch beim Ministerpräsidenten, aber die Polizei und die polnische Presse behaupteten auch hier, die Polen wären durch die Deutschen herausgefordert worden. Dabei hatten sich die Deutschen nur im Saal aufgehalten. Trotzdem verlangte Grazynskis Blatt, die Polska Zachodnia, strenge Bestrafung der Deutschen. Senator Wiesner unterbreitete dem Rybniker Staatsanwalt eine lange Liste mit den Namen der erkannten Täter und bat sowohl diesen, als auch den Wojewoden und den Ministerpräsidenten um Ahndung des Überfalles. Obwohl Wiesner Beweise darüber vorgelegt hatte, daß es sich hier um einen organisierten Überfall gehandelt hatte, stellte die Staatsanwaltschaft die Untersuchung wegen angeblichen Mangels an Unterlagen ein und verwies die bei dieser "zufälligen Schlägerei" Geschädigten auf den Weg der Zivilklage. Die deutschen Zeitungen, die Wiesners Eingaben in dieser Angelegenheit gebracht hatten, wurden beschlagnahmt [240] und gegen deren Redakteure sowie gegen den Senator selbst Verfahren eingeleitet. Triumphierend kündigten polnische Zeitungen an, der Senat würde Wiesner den Gerichten ausliefern. Doch wurde gegen den jungdeutschen Landesleiter nichts unternommen, auch nicht, als schon zwei Jahre später sein Senatsmandat erlosch, wohl, weil er nur wahre Tatsachen berichtet hatte. Allerdings erfolgte auch nichts auf die weiteren Beschwerden Wiesners wegen des Rydultauer Überfalles.33



i) Der NSDAB-Prozess in Kattowitz

Aktiv wurden die Staatsanwaltschaften nur, wenn es galt, angebliche Verfehlungen oder Gesetzesüberschreitungen von Deutschen zu ahnden. So wurde gegen die Mitglieder der aufgedeckten "Nationalsozialistischen Arbeiterbewegung" (NSDAB) mit aller Schärfe vorgegangen. Jedoch stellte es sich bei dem im Juni 1936 in Kattowitz stattgefundenen Prozess heraus, daß die Angeklagten, alles einfache Leute und seit langem arbeitslos, im volksdeutschen Leben überhaupt keine Rolle gespielt hatten und z. T. sogar vom Volksbund als Mitglieder abgelehnt worden waren, da an ihrer deutschen Volkszugehörigkeit Zweifel bestanden hatten. Ein Teil von ihnen beherrschte nicht die deutsche Sprache und gehörte zu der in Ostoberschlesien häufigen nationalen Zwischenschicht. Organisator der NSDAB war ein gewisser Maniura aus Friedenshütte, der den Deutschen dieses Ortes vollkommen unbekannt war, der den Aufstand auf polnischer Seite mitgemacht hatte und später aus Deutsch-Oberschlesien als Kommunist ausgewiesen worden war. Er hatte für die NSDAB geworben, indem er Arbeitslosen Arbeit und Brot im Reich versprach und den Eindruck zu erwecken suchte, als ob er einen Auftrag vom Reich erhalten hätte. Er war zumindest ein Abenteurer, wenn nicht gar Provokateur, der überzeugt war, den polnischen Behörden [241] einen Gefallen zu tun, wenn er die deutsche Volksgruppe bloßstellte. So waren die Verhaftungen nach einer Liste erfolgt, die auf Grund von Maniuras Angaben aufgestellt worden war. Belastende Angaben hatten ferner zwei (weitere ?) Polizeispitzel gemacht. Maniura kam jedenfalls gar nicht vor Gericht, da er laut Polizeibericht im Gefängnis Selbstmord verübt haben soll. Da er aber die Mitglieder der NSDAB auf Hitler vereidigt und sich selber einen hochverräterischen Anstrich gegeben hatte - er hatte vorgegeben, Ostoberschlesien wieder ans Reich angliedern zu wollen -, wurden die Angeklagten trotz ihrer Naivität, mit der sie sich an dieser Organisation beteiligt hatten, wegen Vorbereitung zum Hochverrat zu Gefängnisstrafen von 6 bis 10 Jahren verurteilt. Das Gericht unterstrich in seiner Begründung, daß die Strafe so hoch sei, um abzuschrecken.34

In Wirklichkeit offenbarte der NSDAB-Prozess nur die große wirtschaftliche Not im Industriegebiet, ohne die ein Maniura überhaupt keine "Bewegung" hätte aufziehen können. Dank der in ganz Oberschlesien bis zum Ablauf der Genfer Konvention noch üblichen "Verkehrskarte" konnten die Arbeitslosen aus Polnisch-Oberschlesien jeden Tag den Wirtschaftsaufschwung im Reich sehen und ihn mit ihrer durch die jahrelange Arbeitslosigkeit hervorgerufenen Not vergleichen. Gedanken darüber, auf welche Weise die Vollbeschäftigung im Dritten Reich erreicht worden war, und welchen Zwecken sie diente, machten sich diese einfachen Menschen nicht. Den deutschen Volkstumsorganisationen, denen auf Grund dieses Prozesses von der polnischen Presse allzu gern ähnliche Haltungen nachgesagt wurden, war nicht die geringste Beziehung zur NSDAB nachgewiesen worden. Deren Tätigkeit spielte sich ja vor aller Öffentlichkeit ab und wurde außerdem von den Sicherheitsbehörden schärfstens überwacht. Daß [242] dies tatsächlich der Fall war, ist u. a. aus dem Vorgehen der Behörden gegenüber deutschen Jugendorganisationen in Ostoberschlesien zu ersehen.



j) Der "Wanderbund"-Prozess in Tarnowitz

Im Juli 1936 löste die Kattowitzer Polizeidirektion den der JDP nahestehenden "Oberschlesischen Wanderbund Kattowitz" auf, weil dieser gegen die Bestimmungen des Vereinsgesetzes verstoßen und seine Statuten übertreten hätte. Der "Wanderbund" erhob zwar Einspruch gegen die Auflösungsverfügung, aber schon im November desselben Jahres kamen verschiedene seiner Angehörigen zusammen mit Mitgliedern des "Tarnowitzer Wanderbundes" und der Radzionskauer Jugendgruppe des "Verbandes deutscher Katholiken", insgesamt 49 Jugendliche, in Tarnowitz vor das Bezirksgericht, wo sie der "Geheimbündelei" beschuldigt wurden.

Obwohl alle drei Organisationen ordnungsgemäß angemeldet worden waren, wurden 27 der Angeklagten zu Gefängnisstrafen von 8 Monaten bis zu 2½ Jahren und 15 Jugendliche im Alter von 15 bis 17 Jahren zur Unterbringung in eine Zwangserziehungsanstalt verurteilt. Die Vereine waren nämlich ganz offen in Gruppen und Untergruppen unterteilt gewesen, aber diese Unterteilung war in den Statuten nicht vorgesehen gewesen. Daß die Verurteilten in ihren Gruppen ein geheimes Ziel verfolgt hätten, was laut polnischem Strafgesetzbuch erst zusammen mit der "geheimen" Organisationsform eine Verurteilung wegen Geheimbündelei berechtigt hätte, hatte die Beweisaufnahme nicht gebracht. Der Versuch des Staatsanwaltes, aus dem Gebrauch von den unter den Jugendlichen üblichen Spitznamen "Geheimbündelei" zu konstruieren, war schon vor Gericht missglückt. Dafür wurde den Angeklagten die Errichtung eines Gedenksteines für die Gefallenen des Weltkrieges, die in aller Öffentlichkeit erfolgt war, zur Last gelegt, um so mehr als [243] die Teilnehmer bei dieser Feier dem Führer bzw. der Führerin ihrer Gruppe Treue gelobt hatten. Das Gericht legte aber dieses (in der Öffentlichkeit abgelegte) Gelöbnis als Schwur auf Hitler aus. Ferner wurde in der Urteilsbegründung behauptet, die Angeklagten hätten Politik nach reichsdeutschem Muster getrieben, und die Organisationen waren vom Reich aus mit Geld und Büchern unterstützt worden, was aber keineswegs stimmte und den Verurteilten auch nicht hatte nachgewiesen werden können. Bei den "Büchern" handelte es sich um Zeitschriften, die in Polen nicht verboten waren und völlig offen durch die Post befördert wurden. Geld aus dem Reich hatten weder die JDP noch die ihr angelehnten Jugendverbände erhalten, da die im Reich für das Deutschtum im Ausland aufgebrachten Gelder des VDA usw. nur an die "offiziellen" alten Volkstumsorganisationen für die in der gesamten Volksgruppe zu leistende sachliche Arbeit gingen. Und um die Führung dieser Organisationen kämpfte ja die JDP vergeblich.

Im Verhältnis zu den geringfügigen nachgewiesenen formalen Verfehlungen waren somit überaus harte Urteile gefällt worden. Am bezeichnendsten war die Einweisung der Jugendlichen in Besserungsanstalten. Irgendwelche Erziehungsmängel waren bei ihnen nicht festgestellt worden. Im Gegenteil, obwohl sie z. T. arbeitslos waren und bei dem damaligen Regime keine Hoffnung auf ein Vorwärtskommen haben konnten, waren sie nicht dem Nihilismus verfallen, sondern hatten sich selber zur Weitererziehung und zur Pflege ihrer geistigen Werte zusammengeschlossen. Daß dieses im deutschen Geiste geschah, war in Polen nicht verboten, bildete aber trotzdem den Stein des Anstoßes. Daher wurden sie in die Erziehungsanstalten gesteckt - in Polen gab es nur polnische Besserungsanstalten -, in denen sie wohl allem Aschein nach - polonisiert werden sollten. Zu gleicher Zeit aber durften sich Jugendverbände der polnischen Volkgruppe im [244] Reich, z. B. die "Pfadfinder" völlig frei im ganzen Reichsgebiet organisieren, in Uniformen mit polnischen Wimpeln bewegen und ganz offen von polnischen Stellen in Polen unterstützt werden.

Im Bewusstsein ihrer Unschuld legten die Verurteilten Berufung ein, aber auch die zweite Instanz, die den Prozess vom 24. 5. bis zum 4. 6. 1937 verhandelte, sowie der Warschauer Oberste Gerichtshof, der sich im September 1938 mit dieser Angelegenheit beschäftigte, bestätigten die Urteile der Vorinstanz in vollem Umfang.35 Die polnischen Behörden behielten also die Tätigkeit aller deutschen Organisationen scharf unter Kontrolle. Sobald sich diese nur der geringsten Formfehler - von etwas Gewichtigerem ganz zu schweigen - zuschulden kommen ließen, wurde mit unerbittlicher Strenge gegen die betreffenden Verbände oder gegen deren Angehörige vorgegangen. So wurden in dieser Zeit mit ähnlicher Begründung wie der "Wanderbund" noch die "Plesser Jugendgemeinschaft" und der "Verein für Jugendwandern" in Posen verboten.36 Wenn die Geschichte der Volksgruppe aber trotz dieser Einstellung der Behörden so wenige Volkstums- oder Organisationsprozesse zu verzeichnen hat und in keinen von diesen Vorwürfe schwerwiegender Natur nachgewiesen werden konnten, so ist dieser Umstand der beste Beweis für die loyale Haltung des Deutschtums in Polen.

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27Eingabensammlung der deutschen Volksgruppe in Westpolen. 1936, S. 141ff. Hrsg. von der Deutschen Vereinigung; Bromberg 1936. ...zurück...

28Nation und Staat. Jg. IX, S. 461; Wien 1936. ...zurück...

29Eingabensammlung der deutschen Volksgruppe in Westpolen. 1936, S. 141, 165ff. Hrsg. von der Deutschen Vereinigung; Bromberg 1936. ...zurück...

30Nation und Staat. Jg. IX, S. 601; Wien 1936. ...zurück...

31Nation und Staat... S. 322f. ...zurück...

32Nation und Staat. Jg. IX, S. 461f; Wien 1936. ...zurück...

33Nation und Staat. Jg. IX S. 601f, 712, 785; Wien 1936. ...zurück...

34Nation und Staat. Jg. IX, S. 392, 712ff; Wien 1936;
Osteuropäische Lageberichte. Nr. 19; S. 5; Königsberg 1936. ...zurück...

35Nation und Staat. Jg. IX (1936), S. 785, Jg. X (1937), S. 152 f, Jg. XII (1939), S. 55; Wien. ...zurück...

36Persönliche Mitteilung von Günther Koderisch. ...zurück...

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Die deutsche Volksgruppe in Polen 1934-1939