XVI. Wege zum Anschluß
(Forts.)
Die Anschlußfrage als innerdeutsches
staatsrechtliches Problem
Universitätsprofessor Dr. Adolf Merkl,
Ordentliches Mitglied des Institut international de droit public in Paris
(Wien)
Die rechtlichen Voraussetzungen des Anschlusses
Alle Bestrebungen, den parlamentarischen oder demokratischen Charakter
deutscher oder österreichischer Staaten grundlegend zu ändern,
sind Abwege vom Anschlußziel Der bundesstaatliche
Charakter der österreichischen Verfassung Die
österreichische Verfassungsnovelle vom 7. Dezember
1929 Artikel 2 und 61 der
Reichsverfassung Der rechtliche Weg zum
Anschluß Totaler oder länderweiser
Anschluß Die notwendigen Rechtsänderungen im
Dienste des Anschlusses Umstellung der
österreichischen Bundesverfassung auf die Verfassung eines
reichsdeutschen Landes Nationalrat
Bundesrat Bundesversammlung
Bundespräsident Bundesregierung
Bundesministerien Verreichlichung der
Bundesgerichte Die Wehrmacht Die Zukunft
der österreichischen Länderinstitutionen Die
Schwierigkeiten der Neuordnung der Kompetenzverteilung zwischen Bund
und Länder Verhältnis der
österreichischen Bundesbürger zum Reich Der
Weg des Anschlusses kann nur ein Rechtsweg sein
Verfassungsändernder Staatsvertrag oder
verfassungsänderndes Bundesgesetz
Volksabstimmung.
Der Anschluß ist ein Staatsakt, durch den die beiden bisher voneinander
unabhängigen deutschen Nationalstaaten zu einem einzigen aus dem
bisherigen Deutschen Reich und Österreich bestehenden Staat vereinigt
werden sollen. Die Herstellung der staatlichen Einheit zwischen diesen beiden
Staaten ist eine rechtspolitische Aufgabe, die mit staatsrechtlichen Mitteln
geleistet werden muß und zur Gänze in Änderungen der
Rechts- und Staatseinrichtungen zum Ausdruck kommen wird.1 Somit ist die Frage des Anschlusses
nicht bloß in ihrem Kern, sondern in ihrem ganzen Umfang eine
Rechtsfrage; alle anderen Fragen unseres Problemkreises sind teils Vorfragen des
Anschlußaktes, teils Fragen, die mit dem Vollzug des Anschlusses gegeben
sind.
Die rechtlichen Voraussetzungen für den Anschluß sind
zwar nicht die denkbar günstigsten, jedoch
verhältnismäßig günstig; gewiß günstiger,
als wenn irgend zwei andere europäische Staaten in eine staatliche Einheit
aufgehen sollten oder als wenn das kaiserliche Österreich in das kaiserliche
Deutschland heimgekehrt wäre. Kennzeichen dieser
rechtlichen Bereitschaft für den Anschluß ist nicht etwa
eine weitgediehene Rechtsgleichheit, denn Identität der Rechtsordnung ist
nicht einmal innerhalb des geeinten Deutschen Reiches erforderlich; wohl aber
eine solche Ähnlichkeit in den Rechtsgrundlagen, daß die durch den
Anschluß bedingten Änderungen nicht geradezu eine
Umwälzung des [556] bestehenden
Rechtszustandes bedeuten, und eine Organisation der österreichischen
Republik, die mit geringem Kraftaufwand in ihre durch den Anschluß
bedingte neue Gestalt gebracht werden kann. Die rechtlichen
Unterschiede zwischen Österreich und dem Deutschen Reich sind
allerdings reichlich
groß – größer als auf irgendeinem Gebiete des sozialen
Lebens der Deutschen, denn die staatliche Trennung hat zwar nicht zwei
verschiedene Völker, wohl aber zwei verschiedene
Staats- und Rechtsordnungen entstehen lassen, die zwar aus demselben
Volksgeist, sonst aber aus anders gearteten Wurzeln hervorgewachsen sind. Das
Tröstliche an diesen Rechtsunterschieden ist, daß sie in Anbetracht
der verfassungsgesetzlich zugelassenen Mannigfaltigkeit des deutschen Rechtes
durchaus nicht zur Gänze vereinheitlicht werden müssen. Wohl aber
hat der
Umsturz – es bleibe dahingestellt, ob bewußt oder
unbewußt – eine derartige Annäherung der
Rechtsgrundlagen gebracht, daß die unabweislich mit dem
Anschluß verbundenen Rechtsänderungen keinesfalls so tief in die
Rechtslage
Österreichs – als des durch den Anschluß in seinem Rechte
vorwiegend, wenn nicht ausschließlich betroffenen
Teiles – einschneiden
werden, wie etwa der Umsturz in die Rechtslage des Deutschen Reiches und
Österreichs eingegriffen hat.
Der große rechtstechnische Vorteil für den Anschluß liegt in
der Übereinstimmung der Staatsform Österreichs nicht nur
mit der des Deutschen Reiches, sondern auch aller seiner
Länder. Das neue Österreich ist schon mit seinem
Geburtstag durch seine provisorische Verfassungsurkunde vom 30. Oktober
1918 eine
parlamentarisch-demokratische Republik geworden und hat sodann die
demokratisch-republikanische Staatsform im Gesetze über die Staatsform
vom 12. November 1918 feierlich verkündet und in der geltenden
Verfassungsurkunde, der Bundesverfassung vom 1. Oktober 1920, mit der
Sanktion verankert, daß sie nur durch qualifizierten
Parlamentsbeschluß in Verbindung mit einer Volksabstimmung beseitigt
werden könnte. Das neue Deutsche Reich hat zwar zunächst die
Form einer Räterepublik angenommen, hat aber mit der am
19. Jänner 1919 vollzogenen Wahl der ersten Nationalversammlung
den Übergang zur
demokratisch-republikanischen Staatsform gefunden und diese Staatsform in der
Weimarer Verfassungsurkunde vom 11. August nicht nur als Form des
Reiches verankert, sondern auch den deutschen Ländern zwingend
vorgeschrieben. Auf absehbare Zeit werden Republik, [557] Demokratie
und Parlamentarismus die Wirkungsformen des politischen Willens der
Deutschen sein, und so dürfen Entwürfe des künftigen
Großdeutschland von einem Realpolitiker nur in dieses staatsrechtliche
Schema eingezeichnet werden. Die Kritiker der Demokratie und des
Parlamentarismus – die Republik steht ja wohl außer
Streit – übersehen, daß Österreich, wenn es nicht schon
demokratische Republik wäre, diese Staatsform annehmen
müßte, um anschlußfähig zu werden. Damit sind
zugleich auch alle Bestrebungen, den parlamentarischen oder demokratischen
Staatscharakter grundlegend zu ändern, als Abwege vom
Anschlußziele abzulehnen. Dagegen ist eine bloß stärkere
oder schwächere Betonung des demokratischen und parlamentarischen
Prinzips in der Verfassung, wenn nur diese Prinzipien selbst unverfälscht
bleiben, vom großdeutschen Standpunkt aus bedeutungslos.
Anders als der demokratische und parlamentarische ist der
bundesstaatliche Charakter der österreichischen Verfassung am
Richtmaß der Anschlußbereitschaft zu bewerten. Mit dieser
augenscheinlichen Nachahmung des vom Deutschen Reiche gegebenen Vorbildes
hat die österreichische Bundesverfassung die
Anschlußfähigkeit nicht gefördert, sondern eher gemindert. Es
wäre ein Mißverständnis, den höheren Grad der
Rechtsangleichung, der in der Einrichtung zweier deutscher Bundesstaaten
besteht, als ein Mittel ihrer Vereinheitlichung zu beurteilen, im Gegenteil ist diese
Reduplikation des Bundesstaates der Hauptsitz der rechtstechnischen
Schwierigkeiten des Anschlußwerkes. Zwar ist der bundesstaatliche
Charakter eines Landes kein rechtliches und kein tatsächliches Hindernis
für dessen Einbau in den deutschen Bundesstaat, doch ist es die
unabweisliche Voraussetzung des Anschlusses, daß die im Bundesstaate
verkörperte Dezentralisation auf das für einen Gliedstaat
eines anderen Bundesstaates, also ein an sich schon dezentralisiertes Gebilde,
vertretbare Maß zurückgeschraubt werde. Der von der
bundesstaatlichen Gestalt Österreichs herrührende
grundsätzliche Nachteil für den Anschluß wird nur dadurch
zum guten Teile ausgeglichen, daß die österreichische
Bundesverfassung dem Bundesstaate das denkbar stärkste zentralistische
Gepräge gegeben hat; je stärker nämlich der Oberstaat
entwickelt ist, desto leichter kann der in ein Land des Deutschen Reiches
transformierte Bund [558] dem Reiche geben, was
nach der Reichsverfassung Sache des Reiches ist, und desto weniger ist er
für diesen Machtverlust auf Entschädigungen von Seite der heutigen
österreichischen Länder angewiesen. Die österreichische
Bundesverfassung hat dem unter dem Gesichtspunkte der
Anschlußforderung unerwünschten Bundesstaate jedenfalls die
Gestalt gegeben, die vom Standpunkt dieser Forderung am unschädlichsten
ist.
Wenngleich somit einerseits die österreichische Rechtsordnung halb
bewußt, halb unbewußt, auf die Notwendigkeiten des Anschlusses
abgestimmt ist, so entbehrt sie doch anderseits wieder jeden offenen oder auch
versteckten Hinweis auf dieses Ziel. Die programmatische
Erklärung "Deutschösterreich ist ein Bestandteil der Deutschen
Republik", mit der das Gesetz
vom 12. November 1918 über die
Staats- und Regierungsform von Deutschösterreich den Anschluß
nicht vollzogen, aber angekündigt hat, wurde mittels des Gesetzes vom
21. Oktober 1919 über die Staatsform "in Durchführung des
Staatsvertrages von St. Germain" außer Kraft gesetzt und ist seither,
insbesondere in der geltenden Bundesverfassung vom 3. Oktober 1920, in
keiner auch noch so vorsichtig andeutenden Weise wiedergekehrt. Allerdings
kann an dieser Stelle nicht untersucht werden, inwieweit die Rücksicht auf
den Anschluß, dem der Gesetzgeber nicht zugleich mit diesem
ausdrücklichen Verzicht innerlich abgeschworen hatte, bei diesem oder
jenem Gesetze bestimmend war. Zuletzt wurde, obzwar nicht ganz mit Recht, das
Anschlußziel für die letzte Verfassungsnovelle vom
7. Dezember 1929 ins Treffen geführt.
Die Gesetzgebung des Deutschen Reiches hat die von der österreichischen
Gesetzgebung gestellte Offerte niemals ausdrücklich oder gar in
rechtsverbindlicher Weise angenommen, doch unmißverständlich zu
verstehen gegeben, daß sie unter anderen als den gegebenen
außenpolitischen und völkerrechtlichen Umständen zur
Annahme der Offerte bereit wäre. Die Initiative der
gesetzgeberischen
Anschlußaktion – soweit bisher die Gesetzgebung gesprochen
hat – war, wie es in der Natur der Sache
liegt – von Österreich ausgegangen, das letzte Wort hat aber
bislang in dieser Sache das Reich gesprochen. Die Weimarer
Reichsverfassung ist zwar die Verfassung des kleindeutschen Reiches, sie bekennt
sich aber zum großdeutschen Reich und will und kann auch diesem, so wie
sie ist, genügen. Im Bilde kann man sagen, daß das zunächst
nur für die Bedürfnisse des heutigen kleindeutschen [559] Reiches bestimmte
Kleid von vornherein schon auf die Bedürfnisse des großdeutschen
Reiches zugeschnitten wurde und von diesem ohne weiteres getragen werden
könnte, ohne daß ein Federstrich geändert werden
müßte. Der
Gebiets- und Volksvermehrung, die der Zuwachs Deutschösterreichs zum
Deutschen Reiche mit sich brächte, ist im voraus durch zwei
Verfassungsbestimmungen Rechnung getragen. Zunächst nur in
andeutender, aber doch unverkennbarer Weise mit dem Artikel 2: "Das
Reichsgebiet besteht aus den Gebieten der deutschen Länder. Andere
Gebiete können durch Reichsgesetz in das Reich aufgenommen werden,
wenn es ihre Bevölkerung kraft des Selbstbestimmungsrechtes begehrt."
Mit diesem Verfassungsartikel ist das Wilsonsche Prinzip der Selbstbestimmung
reichsrechtlich rezipiert und erstmals vom Deutschen Reiche vor allen anderen
Staaten der Erde und vorbildlich für alle kodifiziert. Der rechtliche Gehalt
der Bestimmung ist der, daß für einen Gebietserwerb des Deutschen
Reiches nicht die rechtsverbindliche Willensäußerung des Reiches
genügt, sondern überdies eine zustimmende
Willensäußerung der Bevölkerung des zu erwerbenden
Gebietes erforderlich ist.
Die Form dieser Willensäußerung ist von Reichs wegen dahingestellt
geblieben, insbesondere der plebiszitäre Weg nicht als der einzig gangbare
vorgezeichnet, hingegen jedenfalls ein demokratischer Weg zur
Bedingung gemacht, da nur ein solcher als Ausdruck des
Selbstbestimmungsrechtes gewertet werden könnte. Ein Begehren um
Aufnahme in das Reich kann vom Deutschen Reiche in der Form eines einfachen
Reichsgesetzes rechtsverbindlich angenommen werden. Da eine derartige
Äußerung des Selbstbestimmungsrechtes am ehesten von
Österreich zu erwarten ist, drückt die Reichsverfassung mit dem
zitierten Artikel verblümt die Bereitwilligkeit des Reiches zur Aufnahme
Österreichs in das Reich aus.
Doch selbst die zum internationalen Schlagwort gewordene
Anschlußformel hat bereits in die Weimarer Reichsverfassung
Eingang gefunden, die darum den Charakter der ersten
großdeutschen Verfassung für sich in Anspruch nehmen
kann. Der Artikel 61, der von der Zusammensetzung des
Reichsrates – als der Vertretung der deutschen Länder bei der
Gesetzgebung und Vollziehung des
Reiches – handelt, enthält nachstehenden 2. Absatz:
"Deutschösterreich erhält nach seinem Anschluß an das
Deutsche Reich das Recht der Teilnahme am Reichsrat mit der seiner
Be- [560] völkerung
entsprechenden Stimmenzahl. Bis dahin haben die Vertreter
Deutschösterreichs beratende Stimme." Daß Österreich, sobald
es gemäß den vorstehend erörterten Bestimmungen des
Artikels 2 ein Land des Deutschen Reiches geworden sein wird, eine den
übrigen Ländern gleiche Rechtsstellung haben und insbesondere
nach denselben Grundsätzen wie die anderen Länder im Reichsrate
vertreten sein wird, ergibt sich aus dem Gesamtzusammenhange der Verfassung.
Der Sinn der zitierten Verfassungsbestimmung kann demnach nur der sein, an
dieser hiefür geeigneten Stelle der Verfassungsurkunde das
Anschlußprogramm vor aller Welt zu verkünden. In der Tat hat diese
Verfassungsstelle das ehemals feindliche Ausland aufhorchen machen und eine
vom 5. September 1919 datierte Note der alliierten und assoziierten
Mächte ausgelöst, in der sie unter Androhung von
Gewaltmaßregeln die Aufhebung der zitierten Verfassungsbestimmung
verlangten. Unter dem Drucke der Verhältnisse gab die deutsche
Reichsregierung eine beschwichtigende Erklärung ab, der angefochtene
Verfassungsartikel blieb aber mit der ganzen Verfassung in Kraft, da die
Reichsregierung nach der Reichsverfassung gar nicht in der Lage war, in
rechtswirksamer Weise einen Bestandteil der Verfassung für aufgehoben zu
erklären.
Wenn nach Klärung dieser rechtlichen Voraussetzungen für den
Anschluß nunmehr eine Skizze der durch den Anschluß geschaffenen
Rechtslage und des zu diesem Ziele führenden Weges entworfen wird, so
ist bei diesem Vorblick in die staatliche Zukunft Österreichs zweierlei
vorausgesetzt: daß Österreich auf einem rechtlichen Wege,
durch einen Rechtsprozeß, ein Bestandteil des Deutschen Reiches
wird, und daß dieser neue Bestandteil des Reiches den rechtlichen Charakter
eines Landes des Deutschen Reiches annimmt. Beide Voraussetzungen
haben rechtliche und politische Gründe. Der
rechtliche – zum Unterschied von einem tatsächlichen,
revolutionären – Weg ist rechtlich dadurch geboten,
daß allein er die Kontinuität der Rechtsordnung des
gegenwärtigen souveränen Staates Österreich mit der des
künftigen innerdeutschen Landes Österreich, und nur der rechtliche
Weg die Identität der beiden
Staatsgebilde – Bund und Land
Österreich – verbürgt; und er ist politisch darum
geboten, weil die unverbrüchliche Wahrung der Rechtskontinuität in
der größten geschichtlichen Stunde der Deutschen, in der Stunde der
Wiederherstellung der staatlichen Einheit und als Mittel der Wiederherstellung
[561] dieser Einheit, von
unschätzbarem moralischem Wert ist. Der Rechtsweg hat nicht zuletzt den
optischen Vorteil, daß er, wenn er zugleich in Österreich und im
Deutschen Reiche beschritten wird, bei den demokratischen Formen der
Rechtserzeugung in Österreich vor aller Welt offenbar machen wird,
daß der Anschluß auch der freie Wille, also ein Akt der
Selbstbestimmung Österreichs ist, wogegen ein einseitiger Rechtsakt des
Deutschen Reiches der Fabel Nahrung zuführen könnte, daß
Österreich nicht freiwilliges Subjekt, sondern unfreiwilliges Objekt des
Anschlusses, Gegenstand einer Annexion sei. [Betonung vom Scriptorium hinzugefügt.]
Daß ferner Österreich
als staatsrechtliche Einheit und nicht etwa in irgendwelche Teile
aufgelöst ins Reich heimkehre, ist
rechtlich -– und zwar vom Standpunkt des deutschen
Rechtes – dadurch geboten, daß die deutsche Reichsverfassung
ausdrücklich mit dem Anschluß Österreichs als Land
rechnet, das nach denselben Grundsätzen wie die anderen Länder im
Reichsrat vertreten sein soll; die im Artikel 2 für "andere Gebiete"
vorgesehene Möglichkeit des Anschlusses kraft des
Selbstbestimmungsrechtes ist im Artikel 61 für Österreich
dahin eingeengt, daß es ein Land unter den anderen Ländern des
Reiches bilden soll. Ein teilweiser oder länderweiser Anschluß
würde eine Änderung der Reichsverfassung bedingen. Nur im Falle
eines solchen totalen Anschlusses als staatsrechtliche Einheit könnte man
übrigens streng genommen von einem Anschlusse
"Deutschösterreichs" sprechen. Eine Änderung der Reichsverfassung
zur Ermöglichung des länderweisen Anschlusses wäre
übrigens für das Deutsche Reich eine schier unannehmbare
Zumutung. Abgesehen von der verhandlungstechnischen Erschwerung, die eine
Zerstückelung Österreichs in eigenwillige Zwerggebilde, deren jedes
für das Deutsche Reich Vertragspartner wäre, mit sich bringen
würde, wäre die Schaffung von reichsunmittelbaren
Zwergländern ein den Bestrebungen nach Zusammenfassung der
Zwergländer gegenläufiger Schritt.
Die voranstehenden Voraussetzungen schränken zwar die
Möglichkeiten des Anschlusses beträchtlich ein, lassen aber immer
noch mehrere Wege und zahllose Inhalte des Anschlußwerkes offen. Die
theoretische Vorarbeit für die
praktisch-politische Behandlung des Anschlußproblems besteht nun darin,
die von Rechts wegen bestehenden Möglichkeiten ins Klare und damit zur
bewußten Auswahl zu stellen. Diese theoretische Vorarbeit muß sich
an dieser Stelle auf einige andeutende Striche beschränken, die wenigstens
die extremen [562] Möglichkeiten
erkennen lassen und aus den zahlreichen vermittelnden Lösungen
beispielsweise jene herausgreifen, die zwischen der Forderung möglichster
Annäherung des Aufbaues Österreichs an die Organisation
vergleichbarer deutscher Länder und möglichster Erhaltung des
österreichischen Rechtszustandes vermittelt.2 Ein solches Idealbild der
künftigen österreichischen Verfassung ist selbstverständlich
nicht theoretisch eindeutig vorgezeichnet, sondern tritt mit denkbaren, wenngleich
bisher noch nicht ausgedachten Idealbildern stärker reformatorischer, das
ist in diesem Falle deutsche Vorbilder nachahmender Prägung in
Konkurrenz und kann sich nicht durch theoretische Notwendigkeit, sondern nur
durch praktische Zweckmäßigkeit rechtfertigen.
Fragt man sich nach den Rechtsänderungen, die im Dienste des
Anschlusses notwendig und über das Notwendige hinaus
zweckmäßig sind, so geben uns einerseits die deutsche
Reichsverfassung und die deutschen Landesverfassungen, anderseits die
österreichische Bundesverfassung zwar nicht unmittelbaren
Aufschluß, aber doch die notwendigen Anhaltspunkte für eine
erschöpfende Antwort. Vor allem begegnet uns der Artikel 17 der
Reichsverfassung mit seinen Normativbestimmungen für die Verfassungen
der deutschen Länder. Die angenehme Erkenntnis, daß
Österreich mit seiner
republikanisch-demokratisch-parlamentarischen Staatsform diesen hiemit auf die
kürzeste Formel gebrachten Normativbestimmungen zur Gänze
entspricht, darf uns aber über den Umfang der Anschlußarbeit nicht
irreführen, denn außer diesen ausdrücklichen rechtlichen
Bedingungen für den Anschluß, die die österreichische
Bundesverfassung zur Gänze erfüllt, gibt es auch ungeschriebene
rechtliche Bedingungen, die allerdings nur zu leicht übersehen werden.
Österreich muß nämlich als Land des Deutschen Reiches dem
Reiche geben, was nach der Reichsverfassung Sache des Reiches ist. Diese
Bedingung kann Österreich selbstverständlich nicht erfüllen,
solange es souveräner Staat ist, sondern kann erst Zug um Zug mit der
Aufnahme in das Reich erfüllt werden. Der politische Gewinn, der in der
Eingliederung in das Deutsche Reich gelegen ist, ist gewissermaßen die
Entschädigung für die rechtliche capitis diminutio, die die
unvermeidliche Umwandlung des souveränen Bundes in ein
reichsunmittelbares Land bedeutet.
[563] Die Umstellung der
österreichischen Bundesverfassung auf die Verfassung eines deutschen
Landes wirkt sich an den einzelnen verfassungsgesetzlichen Institutionen in
größten Umrissen folgendermaßen aus:
Der Bund wird zu einem Land innerhalb des Deutschen
Reiches, mithin werden die Bundesorgane zu Landesorganen,
soferne für sie überhaupt innerhalb des Reiches Raum ist. Der
Nationalrat, als das oberste Organ des Bundes, wird zum Landtag des Landes
Österreich – von gleichem Rang wie die Landtage von
Preußen, Bayern usw., also das oberste Organ des Landes. Wie
selbstverständlich dank der bundesstaatlichen Gestalt des Reiches der
Fortbestand des Nationalrates, allerdings mit geändertem Namen und
Wirkungskreis ist, so problematisch ist die Zukunft des Bundesrates innerhalb des
Reiches. Er steht und fällt mit der Lösung der Frage nach dem
künftigen Verhältnis zwischen dem Bund und den Ländern
von heute, worüber unten noch Näheres zu sagen sein wird. An
dieser Stelle sei nur festgestellt, daß der Bundesrat bei einer inneren
Zentralisation des Landes Österreich nach der Art des Landes Bayern
verschwinden müßte, daß er jedoch bei einer Dezentralisation
nach der Art des Landes Preußen oder bei einer denkbarerweise noch
weitergehenden Dezentralisation als Vertretung der heutigen Länder, etwa
mit dem der preußischen Verfassung entlehnten Titel "Staatsrat",
fortbestehen könnte. Der Fortbestand des Bundesrates ist durch den
Fortbestand von territorialen Selbstverwaltungskörpern an Stelle der
heutigen Länder zwar bedingt, aber nicht für alle Fälle
ausgemacht. Es wäre insbesondere denkbar, daß man den durch ein
Land Österreich mediatisierten heutigen Ländern eigene
gesetzgebende Vertretungskörper beläßt, eine gemeinsame
Vertretung bei dem zum Land gewordenen Bund jedoch versagt. Eine solche
besondere Vertretung der heutigen österreichischen Länder beim
künftigen Landtag von Österreich wird erst dadurch möglich,
daß die deutsche Reichsverfassung nicht so wie die österreichische
Bundesverfassung die Länder an ein strenges Einkammersystem bindet,
sondern ihnen die Einrichtung der Landesvertretung im Rahmen des allerdings
obligatorischen parlamentarischen Systems freistellt.
Die Bundesversammlung, jetzt schon durch die Volkswahl des
Bundespräsidenten ihrer einzigen praktischen Wirkungsmöglichkeit
beraubt, müßte jedenfalls die einzig politisch bedeutsame Kompetenz
zur Kriegserklärung, die ihr neben der
Geltend- [564] machung der
Verantwortlichkeit des Bundespräsidenten verblieben ist, an den
Reichsgesetzgeber abgeben, und wäre somit so gut wie
überflüssig, nichtsdestoweniger aber verfassungsrechtlich
möglich, da es die Reichsverfassung den Ländern anheimstellt, die
Landesfunktionen auf beliebig viele oberste Landesorgane zu verteilen.
Ähnliches gilt auch vom Bundespräsidenten. Die deutsche
Reichsverfassung behält dem Reichspräsidenten nur einen
bestimmten Wirkungskreis, nicht aber die ausschließliche Stellung eines
Staatsoberhauptes innerhalb des Reiches vor. Es ist somit den Ländern
unbenommen, für den Rest an typischen Funktionen eines
Staatsoberhauptes, der nach Abzug der von der Reichsverfassung dem
Reichspräsidenten vorbehaltenen Agenden verbleibt, eigene
Staatsoberhäupter zu kreieren, wenn sie es nicht vorziehen, diesen
spärlichen Rest an Regierungsgeschäften im Nebenamt von einem
anderen Landesverwaltungsorgan versehen zu lassen. Österreich kann also
aus Gründen der geschichtlichen Tradition den wenigen Ländern
folgen, die auf ein eigenes Staatshaupt Gewicht legen, und den
Bundespräsidenten in der geminderten Rechtsstellung eines
Staatspräsidenten des Landes Österreich beibehalten.
Die Bundesregierung muß, zur Landesregierung gewandelt,
ebenso wie der in einen Landtag verwandelte Nationalrat, erhalten bleiben. Das
den deutschen Ländern reichsverfassungsrechtlich vorgeschriebene
parlamentarische System ist ja durch das Zusammenwirken eines Parlamentes und
einer vom Vertrauen des Parlamentes abhängigen Regierung
gekennzeichnet. Dem Ermessen der österreichischen
Verfassungsgesetzgebung wird anheimgestellt sein, ob diese
gesamtösterreichische Landesregierung so wie die gegenwärtigen
Landesregierungen der österreichischen Länder vom Landtag zu
wählen oder, nach dem Vorbild der in diesem Punkte durch die letzte
Verfassungsreform geänderten Bundesverfassung von dem
Staatspräsidenten zu ernennen sein wird. Das von der Reichsverfassung
für die Landesverfassungen vorgezeichnete parlamentarische
Vertrauensprinzip schließt auch nicht aus, daß die
österreichische Landesverfassung nach dem Vorbild der Bundesverfassung
die Landesregierung auch vom Vertrauen eines Staatspräsidenten
abhängig macht. Ebenso bleibt es dem Ermessen der österreichischen
Landesgesetzgebung überlassen, ob alle Geschäfte der obersten
Landesverwaltung kollegial von der Landesregierung zu besorgen sein werden
oder ob ein mehr oder minder großer Teil dieser
Ge- [565] schäfte nach
dem Bureauprinzip, das heute beispielsweise in der obersten Bundesverwaltung
und in der Landesverwaltung von Wien vorherrscht, auf die einzelnen Mitglieder
der Landesregierung, also Landesminister als Nachfolger der Bundesminister,
verteilt werden. Die Bundesministerien können, soweit sie nicht
infolge ihres dem Reich vorbehaltenen Wirkungskreises Reichsministerien Platz
machen müssen, in Landesministerien verwandelt oder nach der Art der
heutigen Landesregierungsämter in ein einheitliches Zentralbureau des
Landes Österreich zusammengelegt werden.
Die Bundesgerichte werden insolange, als die Pläne einer
"Verreichlichung" der Justiz noch nicht verwirklicht sind, mit einem Federstrich
"Landesgerichte" – im staatsrechtlichen Sinn von Gerichten des Landes
Österreich – geschmälert nur um die qualitativ sehr
bedeutsamen, aber quantitativ verschwindenden Agenden, die nach der
Zuständigkeitsordnung des Reichsgerichtes und
öffentlich-rechtlicher
Sondergerichte den spärlichen Gerichten des Reiches abzugeben sind. Auch
der Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshof
können – nur unwesentlich in ihrem Wirkungskreis
geschmälert – als Gerichte des Landes Österreich erhalten
bleiben, wofern nicht etwa diese originellen österreichischen Institutionen
wenigstens teilweise als Vorbilder für gleichartige Gerichte des Reiches
verwertet werden, womit insoweit diesen
öffentlich-rechtlichen
Gerichtshöfen Österreichs als Gerichten der Länder der Boden
entzogen wäre. Auch der Rechnungshof des Bundes hat als
Rechnungskontrollorgan des Landes Österreich innerhalb des Reiches
Platz, insolange nicht das Reich eine eigene und ausschließliche
Rechnungskontrolle über die Länder einführen sollte. Die
österreichische Wehrmacht endlich, die auch eine verfassungsgesetzliche
Institution des Bundes ist, muß entweder in die Wehrmacht des Deutschen
Reiches aufgehen oder verschwinden, denn die Verteidigung des Reiches ist nach
der Reichsverfassung zur Gänze Reichssache. Die Wahl zwischen diesen
beiden Wegen hängt vornehmlich davon ab, ob sich das Deutsche Reich
von den alliierten und assoziierten Mächten die Wortauslegung des
Friedensvertrages
von Versailles aufnötigen lassen muß, daß
dem Reiche jedenfalls nur ein Höchstkontingent von 100.000 Mann
zustehe, oder ob es nach dem Anschlusse Österreichs das Österreich
nach dem Friedensvertrag von St. Germain zustehende weitere Kontingent
von 30.000 Mann mit ebensoviel Erfolg wie Recht für sich in Anspruch
nehmen wird.
[566] Die Zukunft der
Landesinstitutionen hängt selbstverständlich vom Schicksal
der Bundesländer ab. Es ist ein theoretisch unhaltbares Vorurteil, daß
ein Bundesstaat für bundesstaatlich organisierte Gliedstaaten keinen Platz
habe. Wenn schon ein
Einheitsstaat – siehe England! – die bundesstaatliche Dezentralisation
einzelner seiner Staatsteile nicht ausschließt, dann liegt beim Bundesstaat
die Wiederholung der im Verhältnis zwischen der Zentralgewalt und den
reichsunmittelbaren lokalen Gewalten verwirklichten und erprobten
Dezentralisationstechnik innerhalb des einen oder anderen Gliedstaates um so
näher. Die rechtliche Möglichkeit der Einrichtung von
bundesstaatsähnlichen Gebilden innerhalb eines Bundesstaates hängt
mithin lediglich davon ab, ob die zentrale Verfassung nicht den
Landesverfassungen in einer Weise vorgegriffen hat, die die innerstaatliche
Potenzierung des bundesstaatlichen Prinzipes ausschließt. Das trifft im Falle
der deutschen Reichsverfassung zum Unterschiede von der österreichischen
Bundesverfassung zweifelsohne nicht zu. So ist es denn auch möglich
geworden, daß Preußen mit seinen zu rudimentären
Gesetzgebungskörpern entwickelten Provinziallandtagen und mit seiner im
Staatsrat verkörperten bundesratsähnlichen Vertretung der Provinzen
beim Lande den bundesstaatlichen Aufbau des Reiches unverkennbar nachgeahmt
hat. Was Preußen recht ist, muß auch Österreich billig sein. Die
Beibehaltung des bundesstaatlichen Typus für das dem deutschen
Bundesstaate angeschlossene Österreich ist also lediglich eine Frage der
politischen und rechtstechnischen Zweckmäßigkeit. Als Mittel,
innerpolitische Schwierigkeiten des Anschlußaktes auszuschalten, wird die
Beibehaltung des bundesstaatlichen Typus für Österreich als Land
des Reiches auch dem willkommen oder wenigstens annehmbar sein, der sich
über die Irrationalität der gewissermaßen potenzierten
bundesstaatlichen Konstruktion eines großdeutschen Reiches keiner
Täuschung hingibt.
Die bundesstaatliche Konstruktion Österreichs im Rahmen des Reiches
würde die Beibehaltung der Länder mit allen ihren gliedstaatlichen
Attributen bedingen; das sind die Landtage, die Landesregierung mit dem
Landeshauptmann an der Spitze und insbesondere auch eine Vertretung der
heutigen Länder beim heutigen Bund von der Art des Bundesrates.
Allerdings würden die Länder zum Unterschied von ihrer
Bundesunmittelbarkeit reichsmittelbar werden. Diese Minderung in der
staatlichen Hierarchie, die den [567] Ländern
immerhin noch ermöglichen würde, durch Vermittlung des Landes
Österreich – des drittgrößten Landes des
Reiches – politischen Einfluß geltend zu machen, dürfte vom
Standpunkt der meisten Länder dem zweifelhaften Gewinn einer
Reichsunmittelbarkeit vorzuziehen sein, die die finanziell nicht autarken
Länder innerhalb des Reiches zur Einflußlosigkeit verurteilt. Der
föderalistischen Strömung in den österreichischen
Ländern könnte immerhin auch das Zugeständnis gemacht
werden, daß sie quantitativ beträchtlich über die Stellung der
preußischen Provinzen hinausgehoben werden, was sowohl im
Wirkungskreise der einzelnen Landesvertretungen als auch der gemeinsamen
Vertretung der heutigen Länder beim künftigen Lande
Österreich zum Ausdruck kommen kann. Selbstverständlich kann
aber die Terminologie der Länder nicht ebenso wie ihre Institution
verdoppelt werden. Daher müssen für die Länder, für
die Landtage, für die Landesregierungen und für den Bundesrat neue
Namen gesucht und gefunden werden.3
Den Modifikationen in der Organisation entsprechen
naturgemäß Modifikationen der Funktionsordnung. Soweit
auch nicht einzelnen österreichischen Institutionen, wie etwa dem
Bundesheer, durch den ausschließlichen Vorbehalt gewisser Staatsaufgaben
für das Reich ganz der Boden entzogen ist, werden doch verschiedene
österreichische Staatsorgane dadurch eine Schmälerung
ihrer Wirkungsmöglichkeit erfahren, daß sie einen mehr oder minder
großen Teil ihrer Agenden reichsrechtlich an das Reich
herauszugeben gezwungen sind. Diese Notwendigkeit trifft in
beträchtlichem Maße die obersten Bundesorgane, in
verschwindendem Maße die Landesorgane, da sich die Kreise der
Reichs- und Bundeskompetenz begreiflicherweise zum weitaus
größeren Teile decken als die Kreise der
Reichs- und Landeskompetenz. Dem Lande Österreich wird nach der
Herausgabe der dem Reich vorbehaltenen Geschäfte überhaupt nur
deswegen ein nennenswerter Aufgabenkreis verbleiben, weil Österreich
einen wesentlich höheren Grad der Zentralisation aufweist als das Deutsche
Reich, was in dem viel größeren Umfang der
Bundesangelegenheiten – verglichen mit dem der
Reichsangelegenheiten – zum Ausdruck kommt. Durch die Tatsache,
daß der Anschluß kompetenzmäßig fast
ausschließlich auf Kosten des Bundes gehen wird, taucht die
verhandlungstechnisch überaus [568] schwierige Frage der
Entschädigung des um den besten Teil seines Wirkungskreises
geschmälerten Bundes durch die in ihrem Wirkungskreis kaum
berührten Länder auf. Ein solcher Agendenausgleich ist zwar nicht
positivrechtlich, wohl aber rechtspolitisch geboten, um das durch den
Anschluß ins Wanken geratene Gleichgewicht zwischen Bund und
Ländern wiederherzustellen und im Lande Österreich ein
lebensfähiges, den anderen deutschen Ländern ebenbürtiges
Glied des Deutschen Reiches sicherzustellen. Das schwierigste kodifikatorische
Problem des Anschlusses wird gewiß die Neuordnung der
Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern sein, die,
gegenwärtig schon überaus verwickelt, durch das Hereinspielen der
Reichskompetenzen unhaltbar verwirrt werden wird4 und
daher – zwar nicht positivrechtlich, wohl aber
rechtspolitisch – im Falle des Anschlusses unbedingt einer Entwirrung und
Rationalisierung bedarf.
Einfach wird sich dagegen das Verhältnis der österreichischen
Bundesbürger zum Reich gestalten. Mit dem Anschluß würden
die Österreicher in Beziehung zum Reich aus Ausländern
Inländer. Neben der Reichsbürgerschaft würden sie weiterhin
auch einer Landesbürgerschaft zum Lande Österreich teilhaftig
bleiben. Hingegen wäre die Aufrechterhaltung einer besonderen
Rechtskategorie, die eine Beziehung zwischen dem österreichischen
Staatsbürger und einem einzelnen Lande des heutigen Österreich
ausdrückt – also ein dritter Typus von Staatsbürgerschaft
innerhalb desselben
Staates –, wenngleich rechtlich möglich, so doch sinnlos. Die
österreichischen Bundesbürger würden als neue
Reichsbürger unmittelbar des Wahlrechtes zu den allgemeinen
Vertretungskörpern des Deutschen Reiches teilhaftig werden und an Stelle
der in Österreich geltenden
Grund- und Freiheitsrechte die um einen Grad weniger demokratisch, dafür
aber stärker sozial orientierten "Grundrechte und Grundpflichten der
Deutschen", wie sie in der Weimarer Verfassung aufgestellt sind, eintauschen.5
[569] Der Weg des
Anschlusses – wie schon früher ausgeführt, kommt für uns nur
ein Rechtsweg in
Frage – ist für das Deutsche Reich gemäß
Artikel 2 der Reichsverfassung ein einfaches Reichsgesetz,
allerdings unter der Voraussetzung, daß sich Österreich als
einheitliches Land dem Reiche anschließt. Ein einfaches Gesetz ist
genügend und erforderlich, gleichviel, ob Österreich und das
Deutsche Reich in einem formellen Staatsvertrag ihren Zusammenschluß
vereinbaren oder ob der autonomen rechtlichen Inkraftsetzung des
Anschlußaktes nur eine formlose und unverbindliche Vereinbarung des
beiderseitigen Vorgehens vorangeht. Irgendeine Willenseinigung zwischen dem
Deutschen Reich und Österreich ist selbstverständlich außer
der Erfüllung der völkerrechtlichen Voraussetzungen unvermeidlich,
um die beiderseitigen Anschlußakte derart aufeinander abzustimmen,
daß sie sich zur Rechtswirkung des Anschlusses ergänzen. Ein
verfassungsänderndes Reichsgesetz würde nur dann notwendig
werden, wenn Österreich zur Erleichterung des Überganges in das
Reich dieses oder jenes die Rechtsstellung des Reiches berührende
Reservatrecht eingeräumt würde oder wenn das Reich aus
Anlaß des Anschlusses gewisse vorbildliche Einrichtungen der
österreichischen Verfassung für die Reichsverfassung
übernähme, was zwar rechtlich keinesfalls notwendig, aber nicht
bloß im österreichischen, sondern auch im gesamtdeutschen Interesse
erwünscht wäre.
Österreich hat für den Anschluß an das Reich die
Wahlfreiheit zwischen zwei rechtlichen Wegen: Dem eines
verfassungsändernden Staatsvertrages, der ohne Bemühung
der Gesetzgebung Österreich unmittelbar zu einem Bestandteil des Reiches
machen würde, und dem eines verfassungsändernden
Bundesgesetzes, das im Zeitpunkt des Inkrafttretens des korrespondierenden
Reichsgesetzes die Rechtswirkung des Anschlusses herbeiführen
würde. Dieses Bundesverfassungsgesetz, wodurch die Republik
Österreich ein Land des Deutschen Reiches wird, stellt sich als die denkbar
radikalste Gesamtänderung der Bundesverfassung dar, denn ihr Sinn ist ja
die Transformation der Verfassung eines souveränen Staates in die
Verfassung eines dem Deutschen Reiche eingegliederten Gliedstaates. Infolge der
Bedeutung des Anschlußgesetzes als Gesamtänderung der Verfassung
wird es nach Artikel 44 des österreichischen
Bundes-Verfassungsgesetzes einer Volksabstimmung zu unterziehen
sein. Dieses Erfordernis der Volksabstimmung bedeutet zwar eine technische
Erschwerung, aber auch einen unschätzbaren [570] politischen Vorzug des
Weges des verfassungsändernden Bundesgesetzes. Denn gerade dieser Weg
wird vor aller Welt offenbar machen, daß die Bevölkerung
Österreichs mit erdrückender
Mehrheit – um abschließend nochmals die Weimarer Verfassung
sprechen zu
lassen – die Aufnahme Österreichs in das Reich kraft des
Selbstbestimmungsrechtes begehrt.
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