[V]
"...Lassen Sie eine Lücke
für uns, daß wir immer hereinkönnen –
wir werden kommen, leider vielleicht nicht mehr alle;
wir Deutsche Österreichs kommen; wie und wann, wer kann es sagen?
Wer kann im Buche der Zukunft lesen? Wir kommen aber!"
Aus der Rede des österreichischen Abgeordneten
der deutschen
Nationalversammlung in Frankfurt am Main,
Kamillo Wagner (Steyr),
vom 11. Jänner 1849.
Geleitwort
Seit die Frage der Wiedervereinigung Deutschlands und Österreichs durch den bekannten
Beschluß der österreichischen Nationalversammlung
vom 12. November 1918 wieder auf die Tagesordnung der deutschen
Zukunftsgestaltung gesetzt wurde, haben die Aussichten ihrer Verwirklichung
stark geschwankt. Sah es zuerst aus, als könne ein fester Entschluß
der beiden Teile Deutschlands ein unwiderrufliches fait accompli
schaffen, so ließen die
Verbotsbestimmungen der Friedensdiktate von
Versailles und St. Germain
diese Hoffnungen aufs tiefste sinken. Erst
allmählich gewann die Zuversicht wieder Oberhand, daß auch mit
diesen Verboten das letzte Wort nicht gesprochen sei, daß ganz abgesehen
von dem Ausweg über den Völkerbund ein so elementares Recht der
nationalen Selbstbestimmung, wie dies die Vereinigung von Deutschland und
Österreich ist, nicht für ewig annulliert werden kann, wenn seine
Anhänger den bestimmten Willen haben, es bis zum Tage der
Verwirklichung zu verfechten. Diese Erkenntnis vor allem gab der
Anschlußbewegung ihre neue Kraft, nicht so sehr die Anschauung
über die wirtschaftlichen Notwendigkeiten verstümmelter Staaten, so
sehr auch diese Notwendigkeiten zur Verstärkung der Beweggründe
für die Bewegung beitrugen. Gewaltige Kundgebungen in Österreich
und Deutschland haben für jeden, der die Wahrheit kennenlernen will, den
Willen des deutschen Volkes dargetan. Je mehr die verantwortlichen
Regierungskreise sich unter fremdem Druck von einem offenen Bekenntnis
zurückhalten und zu diplomatischen Formulierungen von verschiedener
Auslegungsfähigkeit greifen mußten, um so mehr haben die
unabhängigen politischen Führer beider Staaten, und zwar die aller
Parteien, die Unverrückbarkeit des [VI] Zieles betont. Aber nicht
nur die
Politiker – Juristen, Ärzte, Techniker, Kaufleute,
Kommunalvertreter, Wirtschaftsführer, Gewerkschaftler, Turner, Sportler,
Sänger –, alle Kreise des Volkes, die überhaupt Gelegenheit
fanden, sich zu der Frage zu äußern, haben diese Gelegenheit mit
Freuden ergriffen, um neu zu unterstreichen, was nie zweifelhaft war: daß
das ganze deutsche Volk vom Meer bis zu den Alpen die Zusammenfassung in
einer staatlichen Einheit verlangt.
Solange der Verwirklichung dieses Zieles außenpolitische Machtfaktoren
im Wege stehen – auch ihre Abwandlung ist deutlich
erkennbar –, wird die Angleichung der inneren Verhältnisse, der ein
beachtlicher Teil des vorliegenden Buches gewidmet ist, den reibungslosen
Übergang der Vereinigung auf allen Gebieten des staatlichen Lebens
vorarbeiten. Es ist eine dankenswerte Aufgabe, die sich die Herren Kleinwaechter
und Paller gestellt haben, wenn sie den Gesamtkomplex der großen Frage in
diesem Werk zusammenfassen, das alle Anschlußfreunde mit Freuden
begrüßen und das der Welt eine klare, große Übersicht
über die geschichtliche Begründung und Bedeutung, über die
Berechtigung und Notwendigkeit der Vereinigung, über ihre Hemmnisse
und die fördernden Faktoren der staatlichen Neugestaltung vorlegt.
So wünsche auch ich ihrem Werk einen vollen Erfolg.
Berlin, im Oktober 1930.
Paul Löbe,
Präsident des deutschen Reichstages.
Mit den Herausgebern dieses Werkes bin ich der Meinung, daß es an der
Zeit ist, die Behandlung der Anschlußfrage aus dem Bereich der
Schlagworte in das Gebiet ernsthafter realpolitischer Erwägungen
und brauchbarer Zielsetzung zu führen. Hiebei müssen wir
Deutschösterreicher vor allem von dem Grundsatz ausgehen, daß wir
die Vereinigung mit dem Reich nicht zu dem Zweck wollen, um uns hinter die
Schürze der Frau Germania zu verkriechen, um jeder weiteren
Selbstverantwortung enthoben zu sein. Nicht als arme Verwandte, sondern als
gleichwertige nützliche Mitglieder der [VII] großen deutschen
Familie wollen wir in den Kreis unserer Stammesgenossen treten. Wie es eine
falsche Auffassung der Ehe ist, wenn sich in ihr nur der eine Teil durch den
anderen von den Fährlichkeiten des Lebens sichern will, wie nur dann eine
wahre Ehe zustande kommt, wenn beide Teile entschlossen sind, Freud und Leid
miteinander zu tragen, so darf auch von uns Deutschösterreichern der
Anschluß nicht als Versorgungsheirat aufgefaßt werden, wenn er
einen Fortschritt in der Entwicklung des deutschen Volkes bedeuten soll.
Und dann dürfen wir Deutschösterreicher niemals vergessen,
daß wir nicht die einzigen Deutschen sind, die außerhalb der Grenzen
des Deutschen Reiches wohnen. Unsere Vereinigung mit dem Reich darf nicht zur
Wiederholung der Reichsgründung von 1871 führen, die
schließlich in der Absurdität mündete, daß ein innerhalb
der Reichsgrenzen wohnender Pole ein Deutscher, ein außerhalb dieser
Grenzen wohnender Angehöriger des deutschen Volkes kein Deutscher sein
soll. Nichts ist wahrem Deutschtum wesensfremder als selbstgefälliges
"Sich-gesättigt-fühlen". Wir dürfen nicht vergessen, daß
wir auch dann nur ein Teil der großen deutschen Familie sein werden, deren
Tätigkeitsgebiet sich nicht ausschließlich in die Grenzen eines Staates
sperren läßt.
Das sind meine Wünsche, die das Werk auf seinem Wege zum Erfolg
begleiten sollen.
Wien, im Oktober 1930.
Univ.-Prof. Dr. Alfred Gürtler,
Präsident des österreichischen Nationalrates.
[VIII]
Vorwort
In schicksalsschwerer Zeit übergeben wir dieses Werk der
Öffentlichkeit.
Immer deutlicher wird die erschütternde Tatsache, daß Europa, der
bisher führende Erdteil unseres Wandelsternes, von seiner Höhe
hinabgleitet.
Immer mehr festigt sich im vorurteilslosen Beobachter die Überzeugung,
daß die neue, von den Friedensverträgen geschaffene Staatenordnung
die letzte Ursache dieses Hinabgleitens ist, daß dieses Hinabgleiten im
Untergang enden muß, wenn Europa sich nicht rechtzeitig besinnt.
Rettung kann nur die Abkehr vom Geist der Friedensverträge bringen.
Nicht um die Lösung eines Problems der Macht handelt es sich also,
sondern des Geistes, wie denn die Geschichte immer wieder lehrt, daß
zuletzt nicht das Schwert, sondern die Idee entscheidet.
Die Friedensverträge gaben vor, an die Stelle der Gewalt das Recht zu
setzen. Aber das Ergebnis war Verrat an der Idee der Gerechtigkeit.
Diese Enttäuschung ist das folgenschwerste Erlebnis nicht bloß der
Besiegten, sondern der ganzen Menschheit.
Wäre das Ideal des Selbstbestimmungsrechtes der Völker nie
verkündet worden, die Welt hätte sich damit abgefunden, daß
"vae victis" noch immer die Losung des Krieges ist. Aber da es unter
Posaunenstößen verkündet wurde, hebt die Erniedrigung des
Evangeliums zum Trick die Weltmoral aus den Angeln.
Es gibt nur einen Weg: Rückkehr zur Idee des Rechtes.
Solange es in Europa Völker gibt, die wie Steine in einem Spiel verschoben
werden, solange gibt es keinen Frieden in Europa. Immer wieder werden diese
Völker versuchen, ihr Joch abzuschütteln. Vor keinem Mittel werden
sie zurückscheuen, solange [IX] sie der
Überzeugung sein müssen, daß es keine Moral im
Völkerleben gibt.
Unter der Flagge der Gerechtigkeit ist am deutschen Volke schweres Unrecht
verübt worden. Die Friedensverträge von Versailles und
St. Germain bedeuten weder den Frieden, noch sind sie Verträge. Sie
sind Werkzeuge zur Niederhaltung des deutschen Volkes.
Eines der Mittel, deren sich die Verträge zur Niederhaltung des deutschen
Volkes bedienen, ist die Verhinderung der Wiedervereinigung der
österreichischen Deutschen mit ihren Volksgenossen im Reich.
Wir Deutsche Österreichs werden uns niemals mit diesem Unrecht
abfinden. Solange es nicht gutgemacht ist, solange bleibt die neugeschaffene
deutsche Frage ungelöst, gibt es keinen gesicherten Frieden in Europa, ist
der Weg zur Einheit und damit zur Rettung Europas verlegt.
Wir glauben an die Macht der Idee. Darum wollen wir unser Ziel nicht gegen
Europa, sondern mit Europa erreichen.
Das größte Hindernis auf dem Wege zu unserem Ziel ist der bei
unseren Gegnern verbreitete Glaube, daß nur der gegenwärtige, auf
Unrecht gegründete Zustand Europas ihr staatliches Sein zu sichern
vermag.
Weil wir an die Macht der Idee glauben, unternehmen wir den Versuch, sie zu
überzeugen, daß die Wiedergutmachung des den
österreichischen Deutschen angetanen Unrechts der erste Schritt auf dem
Wege der Befriedung Europas ist, daß erst ein wahrer europäischer
Friede ihnen die ersehnte Sicherheit gibt.
Darum übergeben wir dieses Werk nicht allein der deutschen, sondern auch
der europäischen und amerikanischen Öffentlichkeit.
Unserem deutschen Volke gegenüber aber glauben wir mit dem Werke eine
besondere Aufgabe zu erfüllen.
Es liegt im Wesen einer vom Gefühl getragenen politischen Forderung,
daß sie zunächst gedanklicher Vertiefung und überlegter
Planmäßigkeit entbehrt. Der leidenschaftliche Wille stürmt
vorwärts, ohne sich über die Einzelheiten des Weges besondere
Gedanken zu machen.
Dies birgt doppelte Gefahr.
[X] Anfängliche
Erfolge lösen jubelnde, von übertriebenen Hoffnungen erfüllte
Begeisterung aus. Unerwartet auftretende Hindernisse lassen sie in herbe
Enttäuschung umschlagen. Das Erste führt zur Unterschätzung
der Schwierigkeiten, das Zweite zu hoffnungslosem Verzagen. Beides ist
falsch.
Unsere Sehnsucht nach Wiedervereinigung quillt aus der Tiefe unseres
Zusammengehörigkeitsgefühles. Sie ist daher unabhängig von
politischen und wirtschaftlichen Erwägungen. Ihre Erfüllung kann
aber nur im Raume politischer und wirtschaftlicher Wirklichkeiten erfolgen. Sie
bedarf daher der kühlen vertieften Erfassung dieser Wirklichkeiten, soll sie
nicht im luftleeren Raum zerflattern. Nur leidenschaftlicher Wille,
gebändigt durch klare Überlegung, kann uns den richtigen Weg zum
Ziele führen.
Dieser klaren Überlegung will das Werk dienen.
Noch ein Wort an den Leser.
Daß ein Werk, an dem 45 Mitarbeiter geschaffen haben, nicht aus
einheitlichem Guß sein kann, bedarf keiner Begründung.
Wiederholungen, Überschneidungen, ja sogar Widersprüche sind
unvermeidbar,
wenn – und das war der grundsätzliche Standpunkt der
Herausgeber – jedem Mitarbeiter seine geistige Freiheit gewahrt bleiben
soll. Diese Mängel mußten in Kauf genommen werden, da ein Werk
geschaffen werden sollte, das die Kraft eines einzelnen übersteigt.
Aber dem aufmerksamen Leser wird es nicht entgehen, daß bei aller
Verschiedenheit, mit der sich unser Schicksalsproblem in den Köpfen
spiegelt, ein gemeinsamer Gedanke sie alle erfüllt. Daß die
verschiedenfarbigen Strahlen sich schließlich im reinen weißen Licht
der Idee vereinigen, ist der Beweis für ihre Größe.
Zum Schluß obliegt uns noch die angenehme Pflicht, allen jenen, die an
dem Zustandekommen des Werkes mitgewirkt haben, unseren wärmsten
Dank auszusprechen.
Dieser Dank gebührt vor allem den Mitarbeitern, die sich bereitwilligst in
den Dienst unserer Sache gestellt haben, und dem Verlag Wilhelm
Braumüller in Wien, der weder Mühe noch Opfer gescheut hat, um
das Erscheinen des Werkes zu ermöglichen.
Wien, im Oktober 1930.
Die Herausgeber.
[XI-XXVII] [Anm. d.
Scriptorium: im Original findet sich auf den hier folgenden Seiten die
Inhaltsübersicht, welche wir in diesem unserem
Online-Nachdruck hier wiedergegeben
haben.]
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