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Unter der Schutzherrschaft der Könige von Polen.
Von 1454 - 1793.
      (Teil 2)

2. Die politische Stellung Danzigs unter der Schutzherrschaft der Könige von Polen

Für die Entwicklung und die weitere Geschichte Danzigs sowohl wie für die Beurteilung seines Handels und seiner Beziehungen zu Deutschland von entscheidender Bedeutung ist die Stellung gewesen, die Danzig unter der Schutzherrschaft der polnischen Könige eingenommen hat. In dieser Hinsicht muß von vornherein betont werden, daß Danzig sowohl wie das übrige Polnisch-Preußen - sein offizieller Name war: Preußische Lande Königlich Polnischen Anteils [151] - nicht ein Teil des polnischen Reiches war, sondern lediglich durch eine Art Personalunion mit Polen in Verbindung stand, im übrigen aber seine Freiheit und Selbständigkeit beim Abfall vom Orden von dem Könige von Polen zugesichert erhalten hatte. Diese Freiheit hat Danzig und sein Territorium auch all die folgenden Jahrhunderte - entgegen den übrigen Landen Polnisch-Preußens - zu verteidigen und zu wahren gewußt, und es hat weiter gleich zu Beginn seiner Verbindung mit den polnischen Königen sich soviel Vorrechte und Privilegien zu erringen verstanden, daß es faktisch eine völlig freie, sozusagen Polen vollkommen ebenbürtige Stellung eingenommen hat, daß seine Vertreter oft mit dem polnischen Könige verhandelten nicht wie Untergebene mit ihrem Herrscher, sondern als ständen sie rechtlich auf der gleichen Stufe. Ja die polnischen Könige waren in vielen Dingen, namentlich soweit es ihre Finanzen betraf, von Danzig vollkommen abhängig, sie haben sich nicht selten inständig bittend an Danzig gewandt, und ebenso sind die Fälle nicht selten, in denen Danzig diesen Bitten sein Ohr verschloß. Es ist notwendig, auf die Dinge hier etwas näher einzugehen, da nur durch diese Stellung die weiter folgende selbständige, von den übrigen preußischen Landen - nur mit teilweiser Ausnahme von Elbing und in noch geringerem Grade auch von Thorn - ganz verschiedene Entwicklung Danzigs verständlich ist.

Die Stellung Danzigs unter der Krone der polnischen Könige gründete sich auf die sogenannte Inkorporationsurkunde König Kasimirs vom 6. März 1454, die für die ganzen unter die Oberherrschaft des Polenkönigs gekommenen Gebiete des Ordens - das sogenannte Polnisch-Preußen - maßgebend war, sodann auf die Sonderprivilegien, die der König Kasimir der Stadt in den Jahren 1454, 1455 und 1457 gerade wegen ihres entschlossenen und außerordentlich erfolgreichen Handelns im 13jährigen Kriege gewährte.

Die sogenannte Inkorporationsurkunde, durch die die vom Orden abgefallenen Gebiete in die Schutzherrschaft der polnischen Könige aufgenommen wurden, bildet die hauptsächlichste Grundlage für das staatsrechtliche Verhältnis, in das die abgefallenen preußischen Stände und Städte zur Krone Polens getreten waren, und auch Danzigs allgemeine Stellung zum König von Polen beruht in der Folgezeit im wesentlichen zunächst auf den Bestimmungen dieser in deutscher Sprache abgefaßten Urkunde.

Nach Auffassung der preußischen Stände sollte die Inkorporation der preußischen Lande nicht eine Einverleibung [152] in den polnischen Staat, sondern nur eine Vereinigung mit ihm unter einem gemeinsamen Staatsoberhaupte, also eine Personalunion sein.

Diese Tatsache wollen die polnischen Geschichtsschreiber nicht anerkennen, sondern sie behaupten, daß das sogen. Polnisch-Preußen nicht erst später - und zwar durch Bruch der Privilegien und durch brutalen Zwang - dem polnischen Reiche einverleibt worden sei, sondern schon im Jahre 1454 sofort beim Abfall vom Orden, und daß dies geschehen sei im Einvernehmen und mit Zustimmung der Stände und Städte. Für diese Behauptung berufen sich die polnischen Geschichtsschreiber auf den Wortlaut der Inkorporationsurkunde. In ihr, so sagen sie, heiße es ausdrücklich: "Wir verleiben wieder dem Reiche Polen ein, vereinigen wieder die Lande Preußen" u. s. w. Hier werde also deutlich nicht nur die Vereinigung, sondern sogar die "Wiedervereinigung" mit dem polnischen Reiche ausgesprochen; also die Wiedergewinnung eines ursprünglich polnischen Landes. Eine Behauptung, die ja auch in neueren und neuesten polnischen Propagandaschriften wiederkehrt, die aber darum doch nicht wahrer wird.

Wir haben früher schon dargelegt, daß die Polen zur Zeit der pommerellischen Herzöge wohl nach der Herrschaft über diese Gebiete strebten, daß sie sie sich auch teilweise theoretisch beilegten, daß sie sie aber praktisch niemals besessen haben. Wenn also hier von einer "Wiedervereinigung" die Rede ist, so ist das, wenigstens in bezug auf den nördlichen Teil der Lande einschließlich Danzigs, ein geschichtlicher Irrtum, den die Beteiligten damals nicht sofort erkannt oder auf dessen Berichtigung sie keinen Wert gelegt haben. Für die Annahme einer "Wiedervereinigung" Westpreußens mit Polen jedenfalls fehlt jede geschichtliche Grundlage.

Aber auch von einer "Vereinigung" mit dem ganz wesensfremden, aus anderen staatlichen und völkischen Grundlagen erwachsenen polnischen Reiche kann, wie sich aus der noch zu behandelnden staatlichen Sonderstellung Preußens in Verfassung, Recht und Verwaltung trotz jenes Ausdrucks in der Urkunde nicht die Rede sein. "Allerdings" sagt Archivdirektor Dr. Kaufmann,17

      "zeigt eine Vergleichung der Unterwerfungsurkunde der Stände, also ihr Anerbieten an den König, und die Inkorporationsurkunde einen wesentlichen Unterschied. Denn während sich die Stände in ihrem Schreiben an den polnischen König diesem und der polnischen Krone unterwerfen und ihre Einver- [153] leibung in diese anboten (nur ein einziges Mal wird das Reich Polen angeführt, sonst immer ausschließlich von dem Könige und der Krone Polens, also von Personalunion, gesprochen), verleibt die polnische Urkunde ausdrücklich das Land in das Reich Polen ein. Ob die verblendeten Stände nicht sofort diesen wesentlichen Unterschied merkten, oder ob diese Umstellung mit persönlichen Vorteilen für Einzelne erkauft wurde, muß dahingestellt bleiben, obwohl es das wahrscheinlichste ist. Die Unterwerfung der Stände war freiwillig und ohne jeden Zwang erfolgt, aber erst, nachdem der König für sich und seine Nachfolger feierlich versprochen hatte, daß er sie bei ihren alten Rechten und Freiheiten schützen wolle. Diese Rechte und Freiheiten bedingten aber gerade die Unabhängigkeit und Unvereinbarkeit mit dem stammfremden Reiche Polen, und bei ehrlicher Durchführung der den Preußen gegebenen feierlichen Versprechungen hätte niemals eine allem Rechte so ins Gesicht schlagende Vergewaltigung eintreten können wie 1569."

Diesen Zwiespalt zwischen dem Anerbieten und dem Wortlaut der Inkorporationsurkunde mögen sicher auch schon die Danziger Vertreter beim Abschluß gemerkt haben, vielleicht durchschauten sie nun in Krakau auch schon das Intrigenspiel, und daher ihre verzweifelte Stimmung, daher ihre vorhin gekennzeichneten Warnungen an Danzig, daher die Notwendigkeit der Zerstörung des Danziger Ordensschlosses.

Die Worte der Inkorporationsurkunde mögen, wortwörtlich genommen, mehr der polnischen Auffassung Raum geben. Es darf aber dabei doch keineswegs der tatsächliche Zustand und der Wille der sich Unterwerfenden unberücksichtigt gelassen werden. Der Übergang zur polnischen Krone erfolgte ja völlig freiwillig, wie dies auch die Inkorporationsurkunde bezeugt, in der es ausdrücklich heißt, daß sich die preußischen Lande "aus gutem und freiem Willen" dem polnischen Könige unterstellt haben. Wenn sie dies aber taten, so doch nicht, um unfreier zu werden als sie waren, sondern um größere Freiheiten zu erlangen. Das ist eine selbstverständliche Logik. Andererseits aber brauchte Polen die Stände und Städte - was diesen natürlich auch nicht unbekannt war - unbedingt, wenn es den ihm verhaßten Deutschen Ritterorden niederwerfen wollte. Auch aus diesen Gedankengängen heraus verlangt eine gesunde Logik, daß die Stände und Städte nun für sich größere Freiheit und Selbständigkeit werden beansprucht haben, als sie sie unter der Ordensherrschaft besaßen, denn sonst hätten sie ja von diesem Wechsel nicht nur keinen Vorteil, sondern Schaden von vornherein gehabt.

[154] Weiter ist wohl zu beachten, daß sowohl die preußischen Stände als auch Danzig die wirkliche Vereinigung mit Polen stets bestritten und entschieden abgelehnt haben. Gleich als der Lubliner Reichstag von 1569 die Union, d. h. die Vereinigung der preußischen Lande, die bis dahin die volle Selbstverwaltung und Freiheit gehabt hatten, mit dem Königreiche Polen aussprach, widersetzten sich die preußischen Stände, und Danzig an der Spitze, sofort mit aller Entschiedenheit, indem sie u. a. auch darauf hinwiesen, daß schon die von der Verfassung Polens ganz verschiedene Verfassung Preußens die Absicht und den Willen einer Einverleibung ausschließen und daß die preußischen Stände nicht das Joch der Ordensherrschaft abgeschüttelt hätten, um ein anderes auf sich zu laden. Diese Auffassung hat in Preußen und speziell in Danzig stets geherrscht, wie dies der Danziger Rechtsgelehrte, Syndikus und Stadtsekretär Gottfried Lengnich noch im 18. Jahrhundert in seiner Geschichte Preußens näher ausführt, wenn er darlegt, daß nur eine unio subjektionis, eine Gemeinsamkeit der Untertanschaft, nicht aber eine unio jurium, eine Gemeinsamkeit der Rechte und Pflichten zuzugestehen sei, und daß auch gerade der Inhalt der Inkorporationsurkunde für diese letztere Auffassung spreche, denn hier bewillige der König den preußischen Landen eine derartige Fülle von Sonderrechten, daß von einer unio jurium mit dem übrigen Polen tatsächlich nicht die Rede sein könne, sondern lediglich von einer Schutzherrschaft.

Auf einen weiteren Umstand, der - entgegen der polnischen Behauptung - die vollständige Selbständigkeit der preußischen Lande in dieser Zeit der Oberherrschaft der polnischen Könige bezeugt, hat Archivdirektor Dr. Kaufmann neuerdings18 in seinen Darlegungen über das Wappen der Lande Preußen hingewiesen. Er schreibt:

      "Daß Preußen sich vom Anfang seiner Verbindung im Jahre 1454 mit dem polnischen Könige nicht als Teil des polnischen Reiches betrachtete, sondern sich bewußt eine Sonderstellung als eigener Staat vorbehielt, das beweist auch eine in ihrer Bedeutung bisher noch nicht gewürdigte Tatsache: es führte ein eigenes, vom polnischen grundverschiedenes Wappen, das es sich selbst gegeben hatte. Wenn man bedenkt, welche Wichtigkeit jedem Wappen einer einzelnen Familie und erst recht eines Landes im Mittelalter zukam, wie jeder einzelne Teil an ihm symbolische Bedeutung hatte, so wird man nicht im Zweifel sein können, daß aus dem Wappen Preußens eine ganz besondere Absicht spricht. Dieses Wappen ist aber ein schwarzer Adler auf weißem Grunde. Wappentier und [155] Farben sind die des Deutschen Ordens. Um den Hals trägt der Adler eine dreizackige Krone und unterhalb der Krone wächst aus dem Halse ein gepanzerter Arm, der ein blankes Schwert schwingt.
      Das Wappen führte zuerst, wie es scheint, kraft eigenen, vom Könige jedenfalls ursprünglich nicht verliehenen Rechts, der Gubernator des Landes. Später wurde es das Wappen der Lande Preußen und ist es bis auf den heutigen Tag geblieben. Es ist ein deutliches Kampfwappen und findet sich bereits auf Urkunden, die kurz nach 1454 von den preußischen Ständen erlassen wurden... Das Bedeutungsvollste ist, daß das Wappen klar ausspricht, daß das Land altes deutsches Ordensland nach Anschauung der Preußen, nicht ursprünglich polnisches Land war, das, wie die Polen behaupten, zu seinem alten Stammlande Polen zurückkehrte. Nicht der weiße Adler des polnischen Reiches, sondern der schwarze des Deutschen Ordens ist das beherrschende Symbol. Der Arm mit dem gezückten Schwert dürfte den Kampf um die »Freiheit«, die Krone den Schutz des polnischen Königs ausdrücken. Es sagt also genau das, was die preußischen Stände und vor allem Danzig immer behaupten, daß das Land seinem Ursprunge nach ein vom polnischen Reiche verschiedenes war, das nur mit der polnischen Krone, also dem Könige, aber nicht mit dem polnischen Reiche in Verbindung stand."

Ich möchte in diesem Zusammenhange auf einen weiteren, wie mir scheint bisher völlig unbeachtet gebliebenen Umstand hinweisen, der auch mit aller nur wünschenswerten Klarheit auszudrücken scheint, daß sich die preußischen Lande, in diesem Falle speziell Danzig, nur mit der Krone Polens, nicht mit dem polnischen Reiche verbunden fühlten. An den in der sogenannten polnischen Zeit in Danzig ausgeführten Bauten findet sich mitunter der polnische Adler neben dem Danziger und neben anderen Wappen, was, wie die bekannte polnische Postkarten- und Bilderserie beweist, die Polen neuerdings veranlaßt hat, diese Bauten für die angebliche polnische Kultur in Danzig zu reklamieren, um der Welt weiß zu machen, Danzig sei ursprünglich polnisch gewesen, diese Bauten seien hier von den Polen errichtet worden. Sie verschweigen natürlich, daß diese Bauten auf Veranlassung der rein deutschen Stadt Danzig und von Baumeistern und Künstlern errichtet worden sind, die die Stadt Danzig - wie wir später sehen werden - aus dem Deutschen Reiche oder aus den Niederlanden herangezogen hatte. Nun ist aber bemerkenswert, daß auf allen jenen Denkmälern, auf [156] denen sich der polnische Adler befindet, dieser Adler, also das eigentliche Symbol des polnischen Reiches, sich nicht allein findet, sondern stets nur in Verbindung mit dem Wappen des gerade regierenden polnischen Königs. Der polnische Adler trägt hier in Danzig stets auf der Brust das Wappenschild des gerade in Polen regierenden Hauses. So hat z. B. der Adler an dem zur Zeit des Königs Stephan Bathory errichteten Hohen Tore den Stier; der in dem früheren Altstädtischen Rathause sowie in der großen Ratsstube die Garbe, das Zeichen des Hauses Wasa; die Lilie in dem Wappen der Ratsstabe des Rechtstädtischen Rathauses deutet hin auf den König Heinrich aus dem Hause Valois. Mir scheint, daß die Danziger durch diese Wappen gleichfalls zum Ausdruck bringen wollten, daß sie lediglich mit der polnischen Krone, nicht aber mit dem Lande Polen verbunden waren.



Wir müssen uns nun die Privilegien, die den preußischen Landen durch die Inkorporationsurkunde gegeben worden sind, etwas näher ansehen. Preußen erhielt seine vom polnischen Reichstage völlig unabhängigen Landtage; als königliche Statthalter durften nur mit Zustimmung der Stände Gubernatoren ernannt und alle wichtigen Landesangelegenheiten nur mit Beirat des Landesrates, d. h. der geistlichen und weltlichen Räte des Adels und der großen Städte verhandelt werden. Auch erhielten die preußischen Lande das sogen. Indigenat, d. h. das Recht, daß alle Ämter und Würden im Lande nur mit Einheimischen, nicht mit Polen, besetzt werden durften. Die Huldigung an den neuen König sollte erst erfolgen,
König Wladislaus IV. von Polen 
an die Stadt Danzig

[157]    König Wladislaus IV. von Polen empfiehlt der Stadt Danzig in deutscher Sprache am 7. September 1636 seinen Gesandten nach Spanien. Eigenhändige Unterschrift.
(Danziger Staatsarchiv Abt. 300, 53 Nr. 952.
Nach Kaufmann: "Danzigs Deutschtum" Nr. 46.)
nachdem dieser den Eid auch auf die Landesprivilegien geleistet. Auch sollten die Lande und Stände ihre bisherigen Rechte, Freiheiten und Privilegien unverändert weiter behalten, deutsch sollte die Umgangs-, Verwaltungs- und Gerichtssprache, auch die Verhandlungssprache der Landtage sein. Selbst die Vertreter des Königs mußten sich der deutschen, allenfalls der lateinischen Sprache bedienen, niemals durften sie hier die polnische gebrauchen. Als dies in der Mitte des 16. Jahrhunderts doch geschah, protestierten die Stände und Danzig aufs heftigste als gegen eine Verletzung des Inkorporationsprivilegs. Das Land behielt seine eigene, von der polnischen grundverschiedene Verfassung. Die Stände und die großen Städte sollten zur polnischen Königswahl hinzugezogen werden und überhaupt alle Rechte und Freiheiten des polnischen Adels genießen. Sie sollten frei sein von den Zöllen, namentlich sollte der sogen. Pfundzoll nicht mehr erhoben werden. Kurz, es wurde den [157] Preußen ihre eigene, von Polen völlig gesonderte Landesverwaltung zugestanden. So frei war Polnisch-Preußen, daß Caro19 mit Recht sagt: "Die preußischen Ständeversammlungen waren fast souverän, und die königlichen Sendboten waren nicht viel mehr wie die Botschafter einer befreundeten Macht."

War durch die Inkorporationsurkunde den Städten nebst der Bestätigung ihrer früheren Rechte noch freier Handel durch ganz Polen und mit dem Auslande, Abschaffung der Zölle und das Münzrecht zugestanden, so gewährten mehrere auf Danzig allein sich beziehende Privilegien diesem eine Unabhängigkeit, die, wie König Kasimir selbst sagt, eine königliche Macht bedeutete.

[158] Da wäre zuerst zu nennen die Vereinigung der drei Danziger Sondergemeinden. Danzig wußte sich seine Unentbehrlichkeit zu Nutze zu machen und erreichte so, nachdem der Rechtstadt schon 1454 sämtliche Einkünfte der Jung- und Altstadt zugefallen waren,20 am 15. Mai 1457 das Privileg,21 in dem ihm bewilligt wurde, daß nunmehr die drei Städte Jungstadt, Altstadt und Rechtstadt vereinigt wurden unter einem, dem rechtstädtischen Rat und Gericht. Daneben hatte die Stadt gleich im ersten Privileg vom 16. Juni 1454 das Gebiet des Ordens in der Stadt erhalten, vor allem auch die große Ordensmühle, auf die sie ganz besonderen Wert legte.

Dann erhielt die Stadt durch die Urkunde des Königs Kasimir vom Jahre 1454 einen ausgedehnten und reichen Landbesitz, der ein Gebiet von etwa 15 deutschen Quadratmeilen umfaßte und in dem es alle grundherrlichen Rechte bekam einschließlich der Gerichtsbarkeit. Es bestand dies Landgebiet, das in der Urkunde genau bezeichnet wird, aus der Nehrung, dem Stüblauschen Werder wie es die Ordensritter besessen hatten, den im Kreise Danziger Höhe gelegenen bereits erwähnten zwölf Dörfern. Diesen Besitz erweiterte die Stadt 1455 durch den Ankauf der Starostei Putzig, und bei Abschluß des 13jährigen Krieges 1566 erhielt Danzig auch noch formell die Halbinsel Hela, die früher dem Deutschen Ritterorden gehört hatte, über die sich aber Danzig gleich im Jahre des Abfalls 1454 die Oberherrschaft zu sichern verstanden hatte. Schon eine Woche nach dem Abfall vom Orden gab Danzig dem Städtischen Hela eine Verfassung und setzte es durch, daß dessen Vertreter fortan von Danzig ernannt wurde und daß er Danzig auch den Eid leistete.22 Weiter vermehrte Danzig seinen Landbesitz dadurch, daß es die sogen. Scharpau, das alte Fischamt des Ordens, die König Kasimir 1457 an einige Danziger Bürger mit allen Höfen, Dörfern, Wassern und Rechten verpfändet hatte, 1530 im Umfange des alten Ordensfischamtes durch Kauf erwarb.23 Alle diese Käufe sind der Stadt von den polnischen Königen ausdrücklich bestätigt worden, und die Stadt ist während der ganzen polnischen Zeit im dauernden Besitz dieser Ländereien geblieben.24

Dadurch war auch für den weitesten Teil des heutigen Danziger Territoriums, ja weit über die Grenzen hinaus, die Verbindung geschaffen, die für die Geschichte und Entwicklung dieser Gebiete von allergrößter Bedeutung geworden ist. Ihr haben sie die Möglichkeit zu verdanken, daß sie während der ganzen Zeit der polnischen Herrschaft ihren [159] durch und durch deutschen Charakter bewahrt haben und daß sie eine wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung genommen haben, durch die sie über die ganze Umgebung weit emporgehoben worden sind bis auf den heutigen Tag.

Am 15. Mai 1457 erteilte König Kasimir der Stadt dann das sogenannte große Privileg,25 das Danziger Hauptprivileg, in dem zunächst nochmals die Verleihungen von 145426 bestätigt werden und in dem der Stadt dann weiter das Gericht gegeben wird in Handels- und Strandangelegenheiten nebst der Aufsicht im ganzen Preußen, nach welcher Danzigs Begehren stand. Im Umfange von fünf Meilen sollte, wie es der Wunsch Danzigs war, weder ein Schloß noch eine Stadt erbaut werden dürfen, keine neuen Steuern und Zölle sollten der Stadt auferlegt werden. Überaus wichtig ist ferner die Bestimmung dieses Privilegs, daß kein Fremder - und dazu zählten auch die Polen - das Recht haben sollte, ohne Erlaubnis der städtischen Behörden in Danzig zu wohnen und hier Handel zu treiben. Kein Fremder, nach damaligem Sprachgebrauch "Gast", und also auch kein Pole, durfte mit einem Fremden hier Handel treiben, sondern dies Recht stand nur den Danziger Bürgern zu. Die Stadt hat an diesem Recht stets streng festgehalten, ja sogar den polnischen Königen gegenüber, denen sie untersagte, ihr eigenes Getreide in Danzig unmittelbar an Fremde zu verkaufen bzw. verkaufen zu lassen. Dieses Recht ist es zum guten Teil gewesen, das das gewaltige Aufblühen der Stadt und ihren außerordentlichen Reichtum in dieser Zeit bedingt hat und damit auch ihre gewaltige Macht.

Das bedeutendste der weiteren Privilegien ist das sogenannte Hilfsgelderprivileg, durch welches die Stadt mit dem Selbstbesteuerungsrecht ausgestattet wurde, d. h. das Recht erhielt, selbständig und allein über die Einführung oder Abschaffung von Steuern zu entscheiden. Es ist dies eines der wesentlichen Attribute einer freien, reichsunmittelbaren Stadt. Dieser Machtzuwachs ist in diesem Falle um so höher anzuschlagen, als die Krone Polens wirtschaftlich zumeist auf Danzig angewiesen war und der König sich durch dies Privileg jede Möglichkeit genommen hatte, in die Finanzverhältnisse der Stadt irgendwie einzugreifen. Im engen Zusammenhange damit steht das Recht, "Wilkore" selbständig zu erlassen, d. h. Gesetze zu geben. Einer Bestätigung solcher Gesetze durch den König hat es rechtlich nicht bedurft. Außerdem erhielt die Stadt neben den im Inkorporationsprivileg zugestandenen Rechten das weitere Recht der freien und selbständigen Besetzung aller welt- [160] lichen und geistlichen Ämter und Lehen innerhalb seiner Grenzen mit alleiniger Ausnahme der Marienkirche. Ferner bedeutet das Privileg von 1457, da[s] bei Strafe der Konfiskation den Danziger Bürgern eine Appellation an das polnische Reich in weltlichen oder geistlichen Dingen verbietet, eine starke Begünstigung des Danziger Rates. Es wird in ihm ausdrücklich ausgesprochen, daß er in weltlichen Dingen keinem andern zum Gehorsam verpflichtet sein solle, als allein dem Könige oder seinem persönlichen Stellvertreter für die Lande Preußen oder die Stadt selbst.

Wenn sich der König auf Grund dieses Privilegs einen Vertreter in der Stadt bestellte, einen "Hauptmann" oder "Burggraf", der seine Rechte wahrzunehmen hatte, so folgte er hierin dem Orden, unter dessen Herrschaft in Danzig ein Hauskomtur als Stellvertreter des Hochmeisters residiert hatte. Aber auch bezüglich dieses "Hauptmanns" ging nun das Recht der Stadt viel weiter als unter der Ordensherrschaft. Die Stadt hatte jetzt sozusagen auch die Besetzung dieses Postens in Händen. Denn das Privileg gab ihr das Recht, dem Könige für diesen Posten jährlich acht Mitglieder des Danziger Rates in Vorschlag zu bringen, aus denen der König den "Hauptmann" auswählen mußte. Also auch hinsichtlich der Wahl seines persönlichen Vertreters war der König sehr eingeschränkt.

Kennzeichnend für Danzigs freie und selbständige Stellung ist auch, daß beim polnischen Königshofe es einen ständigen Vertreter, den "Sekretär bei Hofe", hielt, der die Interessen Danzigs auf allen in Frage kommenden Gebieten wahrzunehmen und über die laufenden Vorgänge dem Rat Bericht zu erstatten hatte. Also ein Gesandter. Das Gesandtschaftsrecht, d. h. das Recht, eigene selbständige, von Polen gänzlich unabhängige Gesandte in fremde Staaten zu entsenden und von ihnen zu empfangen, sei es für einzelne Fälle, sei es für dauernd, hat die Stadt in der polnischen Zeit stets ausgeübt.27 Schottmüller28 hat diplomatische Vertreter folgender Mächte in folgender Zahl in Danzig nachgewiesen: Brandenburg-Preußen 12, Dänemark 17, England 7, Frankreich 9, Schweden 8, Spanien 5. Sicherlich ist hiermit die Gesamtzahl bei weitem noch nicht erschöpft. Diese Geschäftsträger fremder Mächte in Danzig, die ursprünglich den Namen "Faktoren" führten, an dessen Stelle späterhin die Titel Agenten, Residenten und Kommissarien traten, waren bei dem Rat der Stadt accreditiert, und zwar ohne jede polnische Zwischenschaltung. Erschien ein solcher Abgesandter einer fremden Macht in Danzig, so [161=Faksimile] [162] überreichte er dem
Mitteilung der Thronbesteigung König Wilhelms III. von England

[161]    König Wilhelm III. von England teilt am 5. März 1688 den "sehr lieben Freunden", dem Senat der Stadt und des Staates (civitatis et reipublicae) Danzig seine Thronbesteigung mit und unterzeichnet eigenhändig "Euer guter Freund König Wilhelm" (Vester bonus amicus Gulielmus Rex).
(Danziger Staatsarchiv Abt. 300, 53 Nr. 628.
Nach Kaufmann: "Danzigs Deutschtum" Nr. 27 und 28.)
Präsidenten sein Kreditiv oder ließ es ihm durch einen Sekretär einhändigen. Der Präsident legte es dem Rat vor. Hatte dieser nichts einzuwenden, so wurde der Neuaccreditierte im Namen der Stadt durch einen bevollmächtigten Sekretär bewillkommnet. Was diesen Geschäftsträgern von ihren Mächten an die Stadt Danzig aufgetragen wurde, teilten sie entweder schriftlich oder mündlich dem [163] Präsidenten mit, von dem sie auch die Antwort in ähnlicher Weise erhielten. Solchen Geschäftsträgern auswärtiger Mächte begegnen wir hier zu allen Zeiten. So waren beispielsweise im Jahre 1743 bei Danzig accreditiert28a die Vertreter folgender Mächte: Rußland, Frankreich, England, Polen, Sachsen, Schweden, Dänemark, Preußen und die Niederlande.

Der Bedeutung der Stadt Danzig entsprach auch ihre Geltung im Bereiche der europäischen Staaten und deren [164] wohlwollende, meist sogar ausgesprochen freundschaftliche Stellung zum Rate.29 Es wurde dem Danziger Rat nicht nur, wie das unter selbständigen Staaten üblich ist, die Thronbesteigung eines neuen Herrschers, wie z. B. Wilhelms III. von England am 5. März 1688, König Friedrichs des Großen von Preußen am 28. Juni 1740, König Fried- [165] rich III. von Dänemark am 4. Mai 1661, Gustav Adolfs von Schweden am 20. April 1612 u. s. w. von diesen Herrschern unmittelbar mitgeteilt, der Tod einzelner Mitglieder regierender
König Ludwig XIV. von Frankreich 
an den Danziger Senat

[162]    König Ludwig XIV. von Frankreich teilt am 25. Juni 1674 den "sehr lieben und guten Freunden" (très chers et bons amis), dem Senat von Danzig mit, daß er den bisherigen Konsul der "französischen Nation" um ihn zu ehren, zum Kommissär ernannt habe. Eigenhändige Unterschrift.
(Danziger Staatsarchiv Abt. 300.
Nach Kaufmann: "Danzigs Deutschtum" Nr. 34.)


König Ludwig XVI. von Frankreich teilt am 20. September 1791 mit dem Ausdruck seiner Wertschätzung und Freundschaft dem Senat von Danzig mit, daß er die neue Verfassung Frankreichs angenommen habe. Eigenhändige Unterschrift.
(Danziger Staatsarchiv Abt. 300, 53 Nr. 636.
Nach Kaufmann: "Danzigs Deutschtum" Nr. 35.)
    [163]

König Ludwig XVI. von Frankreich 
an den Danziger Senat
Häuser oder die Ernennung eines Stellvertreters während der Abwesenheit eines Fürsten, wie z. B. von Zar Alexej im Jahre 1659 offiziell bekanntgegeben oder der Rat zur Feier der Krönung eines neuen Herrschers eingeladen (z. B. König Friedrich II. von Dänemark ladet am 30. Juni 1559 die Stadt Danzig zu seiner Krönung nach Kopenhagen [166] ein), auch Staats- und Verfassungsänderungen wurden der Stadt offiziell und unmittelbar zur Kenntnis gebracht. Noch König Ludwig XVI. von Frankreich teilte der Stadt im September 1791 in aller Form die Übernahme der neuen Verfassung mit.

So weit ging Danzigs Selbständigkeit sogar, daß es ohne Rücksicht auf den polnischen König sich an auswärtigen Kriegen beteiligte und Verträge mit fremden Staaten abschloß. Nicht minder hatte es eigene Militärhoheit innerhalb seiner Grenzen. Fremde Truppen, auch die polnischen, durften die Stadt nicht betreten. Dementsprechend hat die Stadt auch das Recht ausgeübt, auf ihrem Territorium Befestigungen jeder Art ohne Rücksicht auf Polen und ohne Fühlungnahme mit ihm anzulegen, Bündnisse einzugehen [167] nicht nur ohne Rücksicht auf Polen, sondern sogar gegen Polen. Auch die Festungen sind ja im wesentlichen mit zum Schutze gegen Polen ausgebaut worden. Nicht minder besaß Danzig eigenes, völlig unabhängiges Münzrecht.

Zu dem sogenannten Hauptprivileg mit seinen überaus wertvollen Rechten kam zehn Tage später, am 25. Mai 1457, die Verleihung einer Zahl von besonderen Ehrenvorrechten,30 nämlich das Führen der goldenen Krone im Wappen, das Siegeln mit rotem Wachs und das Recht für den Stadthauptmann und den Bürgermeister, fortan Goldschmuck an ihren Gewändern zu tragen. Das Wappen Danzigs bestand bisher nur aus zwei übereinanderstehenden weißen Kreuzen in rotem Felde.31 Die Verleihung der goldenen Krone wird nun polnischerseits als ein besonderes Zeichen gerade der engen Verbindung Danzigs mit Polen angesehen, und auch in deutsch-Danziger Kreisen ist diese Auffassung teilweise verbreitet, was sich besonders bemerkbar machte bei der Beratung der Flaggen- bzw. Wappenfrage für den neuen Freistaat Danzig im Volkstage im Jahre 1920, wo teilweise aus diesem Grunde heftig gegen die Beibehaltung der Krone Sturm gelaufen wurde. Die Dinge liegen aber wesentlich anders, nämlich gerade umgekehrt, wie Archivdirektor Dr. Kaufmann32 mit aller Klarheit nachgewiesen hat. Da auch die Verleihung gerade dieses Privilegs die völlig freie Stellung Danzigs kennzeichnet, lasse ich den Hauptteil der Ausführungen Dr. Kaufmanns über dies Privileg hier folgen. Dr. Kaufmann schreibt:

          "Sehen wir uns daraufhin einmal die Verleihungsurkunde etwas näher an. Nach starker Betonung der großen Verdienste und des treuen Beistandes der Stadt bei der Eroberung der Lande Preußen und nach Hervorhebung ihrer Berühmtheit, durch die sie anerkannt vor anderen Städten des Königs sich auszeichne, erklärt der König, er wolle sie zu ihrer »Verbesserung und Vermehrung« mit Ehrungen nach Gebühr belohnen. Daher verleiht er ihr zunächst das Recht, mit rotem Wachs ihre Urkunden zu siegeln. Dieses Ehrenvorrecht hatte damals große Bedeutung und Wichtigkeit, wurde daher viel begehrt und seit dem 14. Jahrhundert von Kaisern und Königen als besondere Auszeichnung erteilt... Weiter bestimmt der König »zu unserer und unseres Reiches Polen wie auch derselben unserer Stadt Danzig Ehre und Zierde« das Wappen der Stadt »zu erneuern und zu verbessern«, indem er ihr erlaubt, fortan für alle Zeiten »eine goldene Krone im Oberteil ihres Schildes zu führen«... Selbst wenn es die Urkunde nicht besonders hervorhöbe, [168] würde schon die Zusammenstellung mit den beiden anderen Rechten die Verleihung der Krone sich als eine Ehrung der Stadt erweisen, und, fügen wir hinzu, als eine von der Stadt begehrte, nicht ihr aufgedrängte scheinbare Ehrung. Denn sie beeilt sich, sofort ein neues Petschaft stechen zu lassen und an Thorn einen damit gesiegelten Brief zu schicken. Es ist weiter anzunehmen, daß der Wortlaut der Urkunde, die in Danzig gegeben ist, von der Stadt selbst entworfen und vom Könige angenommen worden ist. Denn sie ist in deutscher Sprache verfaßt, während sich sonst die polnischen Könige zu ihren Urkunden in der Regel der lateinischen Sprache bedienten.... Durch die Erneuerung und Verbesserung sollte aber nach dem Wortlaut der Urkunde nicht nur die Stadt, sondern auch der König selber und das Reich Polen geehrt werden. Es ist nicht bedeutungslos, daß der König betont, durch Ehrung Danzigs sowohl sich selbst wie auch das Reich mitzuehren. Es spricht sich darin eine Art von Gleichstellung der mächtigen Stadt mit dem Könige aus. Und in diesem Sinne vor allem ist die Verleihung zu verstehen. Denn nicht die polnische Königskrone wird verliehen, sondern ganz allgemein das Sinnbild der höchsten Machtvollkommenheit und Hoheit. Darum heißt es auch in der Urkunde nie unsere oder des Königs Krone, sondern eine goldene Krone, die eben nur ein Sinnbild sein soll. Damit erledigt sich auch der etwaige Einwand, daß durch die Krone das Abhängigkeitsverhältnis Danzigs von Polen gekennzeichnet werden solle, von selbst. Wollte man dem Könige eine
    König Philipp von Spanien an den Danziger Rat

    [164]    König Philipp von Spanien teilt in deutscher Sprache am 21. April 1597 dem Rat von Danzig mit, daß er eine Gesandtschaft "etlicher Sachen und Geschäfte halben" nach Danzig schicke. Eigenhändige Unterschrift.
    (Danziger Staatsarchiv Abt. 300, 53 Nr. 353.
    Nach Kaufmann: "Danzigs Deutschtum" Nr. 41.)
    solche Absicht bei der Verleihung unterstellen, wäre das Geschenk also alles andere eher als ein Lohn für die Hilfe der Stadt, so wäre nicht zu begreifen, weshalb sie gerade Danzig allein und nicht auch den anderen Städten Thorn, Elbing, Graudenz auferlegt worden wäre. Die waren doch dem Könige gegenüber in wesentlich anderer Lage als Danzig. Danzigs Stellung war 1457 tatsächlich die, daß der König der mächtigen und reichen Stadt stark verpflichtet war, alle möglichen Rücksichten auf sie nehmen mußte und allen Anlaß hatte, sich mit ihr gut zu stellen, ihr jeden Wunsch zu erfüllen, geschweige gar, ihr eine ihrem Stolze und Selbstbewußtsein wenig angenehme Last aufzuerlegen."

Diese Darlegungen Kaufmanns sind überzeugend.

König Kasimir hat der Stadt dann im Jahre 1472 noch ein weiteres Privileg gegeben,33 das gleichfalls geeignet war, die Unabhängigkeit von der Krone zu stärken. Es bestimmte, daß in Schuldsachen für Danzig der Rat die höchste Instanz wäre, daß keine Berufung an den König gestattet sein solle. [169] In Danzig machte sich nun das Streben geltend, die Berufung an den König überhaupt zu beseitigen. Bezeichnend dafür ist, daß im offiziellen Exemplar der Willkür der Stadt die Stelle, die von der Berufung in sonstigen Dingen an den König handelt, durchstrichen ist, daß dann aber in der wohl auch in der der Zeit Kasimirs angehörigen nächsten Revision dieses Gesetzes von einer Berufung an den König nur mehr insofern die Rede ist, als sie durch den Zwang, dabei einen Protonotar anzunehmen, erschwert ist. In Danzig jedenfalls war man sich schon seit 1466 darüber klar, daß man vom Rate grundsätzlich keine Berufung zulassen wollte.34

Eines wichtigen Rechtes muß noch ganz besonders etwas ausführlicher gedacht werden, weil diese Frage für den jetzigen Freistaat Danzig von entscheidender, ja von lebenswichtiger Bedeutung geworden ist, die Frage nach dem damaligen Verhältnis des Hafens von Danzig zu Danzig oder richtiger zu Polen. Denn polnischerseits ist behauptet worden und wird weiter behauptet,
König Friedrich II. von Dänemark an die Stadt Danzig

[165]    König Friedrich II. von Dänemark ladet am 30. Juni 1559 in deutscher Sprache die Stadt Danzig zu seiner Krönung nach Kopenhagen ein. Eigenhändige Unterschrift.
(Danziger Staatsarchiv Abt. 300, 53 Nr. 952.
Nach Kaufmann: "Danzigs Deutschtum" Nr. 42.)
der Hafen von Danzig habe einst zu Polen gehört, Polen habe allerweiteste Rechte nicht nur im Hafen gehabt, sondern sogar das Bestimmungsrecht in ihm und über ihn. Durch diese kühnen Behauptungen und die systematische Propaganda dieser Ideen haben sich auch die Mächte der Entente am Schlusse des Weltkrieges in Versailles mit bestimmen lassen, die heutige unglückliche und ungesunde Regelung zu treffen. Die Dinge liegen vielmehr so, daß Danzig, und zwar Danzig allein, auch während der ganzen polnischen Zeit das unbeschränkte Recht im Hafen und über den Hafen hatte, daß nach dieser Richtung hin Polen völlig von Danzig abhängig war, daß Danzig den Hafen öffnen und schließen konnte, wann und wie es wollte und dementsprechend die Bestimmungen über den Verkehr und auch die Gebühren allein festsetzte. Danzig war der unbeschränkte Herr über den Hafen. Polen hatte in ihm und über ihn nichts zu sagen.

Archivdirektor Dr. Kaufmann hat auch dieser Frage eine eingehende Studie gewidmet in der Festschrift anläßlich des 70. Geburtstages des Präsidenten der Danziger Handelskammer Willi Klawitter im Jahre 1926,35 der wir im Nachfolgenden in den wichtigsten Tatsachen folgen.

Den Danziger Vertretern war es beim Abfall vom Orden klar, daß der Hafen für die Stadt von ausschlaggebender Bedeutung war. Würde er ihr aus der Hand genommen, hinge seine Benutzung von der Gnade oder Ungnade der polnischen Könige ab, dann hätte Danzig den Schlüssel zur Stadt selbst in fremde Hände gegeben, dann hätten fremde Kräfte über [170] ihre Entwicklung und ihren Wohlstand zu entscheiden gehabt, dann wäre Danzig nicht Subjekt mehr, sondern nur noch Objekt gewesen. Das konnte natürlich nicht im Sinne der selbstbewußten, freiheitlich kraftvoll emporstrebenden Stadt liegen, und darum forderte und erlangte sie das vertraglich festgelegte Recht auf den Hafen.36 Im großen Privileg vom 15. Mai 145737 erhielt die Stadt daher die feierliche Zusicherung, daß sie außer dem freien Handel an allen Küsten Preußens das Recht der Öffnung und Schließung des Hafens erhalte, d. h. also das Recht, selbständig zu entscheiden, ob der Hafen für die Schiffe frei oder gesperrt sei.

Es ist erklärlich, daß dies Polen mitunter unbequem wurde, und daß daher die späteren polnischen Könige wiederholt versuchten, dies alleinige Recht Danzigs einzuschränken, Polen dagegen einen gewissen Einfluß einzuräumen. Doch Danzig war nicht gewillt, sich dieses Recht, dessen Bedeutung es sehr wohl erkannte,
Brief Wallensteins

[166]    Wallenstein (Herzog Albrecht von Mecklenburg) erbittet sich am 10. März 1630 den Danziger Oberst Hatzfeld und erklärt sich bereit, ein Fußvolk nach Danzig zu schicken.
(Danziger Staatsarchiv Abt. 300, 53 Nr. 4.
Nach Kaufmann: "Danzigs Deutschtum" Nr. 30.)
irgendwie kürzen oder schmälern zu lassen, ja, es schreckte selbst nicht davor zurück, dies Recht, wie wir später darlegen werden, mit der Waffe in der Hand gegen Polen zu verteidigen, siegreich zu verteidigen. Zwar bestimmten die unter Bruch des Rechtes von Polen erlassenen sogenannten statuta Karnkowiana vom Jahre 1570, daß der König von Polen sich nicht nur die Entscheidung über Erlaubnis und Verbot der Schiffahrt vorbehalten, sondern auch Vorsorge getroffen habe, daß sich die Stadt den Gebrauch der Schiffahrt nicht ohne Wissen und Willen des Königs herausnehmen dürfe. Der König beanspruchte also das der Stadt Danzig bisher allein zustehende Recht über den Hafen als Kronregal, was einen glatten Bruch des großen Privilegs bedeutete. Danzig jedoch verweigerte die Anerkennung dieser Bestimmung, verweigerte sie mit kriegerischen Mitteln erfolgreich im Kampfe gegen den Polenkönig Stephan Bathory und erreichte im Friedensschluß vom Jahre 1585 auch eine formelle Aufhebung dieser tatsächlich nie in Kraft getretenen Bestimmung.38

Das alte Recht blieb der Stadt nun fortan ungeschmälert, und sie hat es nicht nur gegen andere Staaten, sondern auch gegen Polen angewandt.

Im Gegensatz zu den heutigen polnischen Behauptungen muß ferner darauf hingewiesen werden, daß Danzig damals die Verwaltung des Hafens nicht etwa mit Polen geteilt hat, wie das heute der Fall ist, und daß auch die Gebühren nicht zur Hälfte der Stadt, zur andern dem polnischen Könige zuflossen. Auch diese polnische Behauptung entbehrt jeder tatsächlichen Grundlage. Keine Urkunde, keine Beweise [171] gibt es, die für sie sprechen; dagegen bezeugen hunderte von Urkunden das Gegenteil. Danzig allein führte die Aufsicht durch die Beamten der Seetiefs-Funktion bzw. die Pfahlherren bzw. Weichselherren über den Außenhafen. Von irgendeiner Beteiligung der Beauftragten des polnischen Königs ist nirgends eine Spur zu finden. Ebenso lagen die Dinge im inneren oder eigentlichen Hafen, an dem allein bis ins 18. Jahrhundert die Schiffsladungen gelöscht wurden. Er unterstand seit 1589 der Aufsicht zweier Danziger Ratsherren, die allein für die Unterhaltung dieses Hafenteils zu sorgen hatten. Seit 1632 wurden die technischen Arbeiten hier vom Stadtbauamte geführt, aber immer unter alleiniger Aufsicht der sogenannten Mottlauherren. Auch hier ist von einer Beteiligung der Vertreter des polnischen Königs keine Spur. Es läßt sich also geschichtlich auch nicht der geringste Anhaltspunkt für eine gemeinsame Verwaltung erbringen. Auch die Einnahmen flossen ausschließlich in die städtischen Kassen. Das Pfahlgeld, von dem die polnischen Könige einen Teil empfingen, hat mit der Verwaltung des Hafens nicht das geringste zu tun, die Stadt hatte das alleinige und ausschließliche Erhebungsrecht.

Die Verpflichtungen dagegen, die Danzig dem Könige von Polen gegenüber hatte, waren überaus gering. Sie bestanden in der Anerkennung seiner Oberhoheit, in einer jährlichen Rente von 2 000 ungarischen Gulden an den König, die später etwas erhöht wurde, und außerdem mußte die Stadt ihn mit seinem Gefolge bei seiner Anwesenheit in Danzig drei Tage lang frei bewirten und ihm ein Haus und einen Stall für 200 Pferde, sowie einen guten Speicher zu bauen und zu unterhalten sich verpflichten. Danzig jedoch beeilte sich nicht, diesen letzten Verpflichtungen nachzukommen. Bis 1568, also volle hundert Jahre nach der Anerkennung der Oberhoheit, war noch nichts gebaut, doch bald nach diesem Jahre wurde der Speicher errichtet, der jedoch städtisches Eigentum blieb und über den auch die Stadt frei verfügte, wenn er nicht gerade für königliches Getreide in Anspruch genommen wurde. Der Bau des Hauses wurde zwar 1589 bewilligt, ist aber nie ausgeführt worden, der König mußte bei seiner Anwesenheit in Danzig nach wie vor in ihm zur Verfügung gestellten Privathäusern wohnen. Auch das Grüne Tor ist nicht, wie man vielfach gemeint hat, für den König als Absteigequartier, sondern als Zeughaus und Festhalle für die Stadt erbaut worden.39

Das waren die Rechte, die dem Könige von Polen in Danzig und auf Danzig zustanden. Sie waren mehr als be- [172] scheiden. Der polnische König war wirklich, wie Lengnich40 juristisch ausführt, das einzige Verbindungsglied mit Polen, von dem Danzig in allem grundverschieden und völlig frei war. Die Stadt hatte eine Stellung erreicht, wie sie ihr wohl als Ziel ihrer Wünsche vorgeschwebt hatte, eine Stellung, wie sie tatsächlich nicht mächtiger sein konnte. Sie war so mächtig, daß sie keine Wünsche mehr zu äußern wußte, als der Polenkönig ihr 1460 zu großem Danke verpflichtet war.41

Diese Stellung Danzigs ist auch den Polen stets zum Bewußtsein gekommen, von ihnen unangenehm empfunden worden, und unablässig hat es in den nachfolgenden Jahren für Danzig Mühe gekostet, den polnischen Anstürmen standzuhalten.

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17"Westpreußen und Polen zwischen 1454 und 1772." In: Keyser, Der Kampf um die Weichsel, S. 74. ...zurück...

18Das deutsche Westpreußen, S. 3. ...zurück...

19Geschichte Polens, Bd. V. 1, S. 412. ...zurück...

20Toeppen, Akten IV. S. 427. ...zurück...

21Ebendas, S. 559. ...zurück...

22Vergl. Mitteilungen, 6. Jahrg., 1907, S. 43. ...zurück...

23Vergl. Bär, Die Entwicklung des Territoriums der Stadt Danzig. ...zurück...

24Die Ortschaften dieses Territoriums sind aufgezeichnet bei Leman, Provinzialrecht der Provinz Westpreußen, Bd. III. S. XLIV ff. ...zurück...

25Vergl. Simson, Geschichte der Stadt Danzig, Bd. IV. Nr. 141. ...zurück...

26Ebendas, Nr. 137. ...zurück...

27Vergl. Löschin, Beiträge zur Geschichte Danzigs und seiner Umgebung, Heft 1, S. 77 ff.; - Lengnich, Jus publicum S. 567 ff. ...zurück...

28Schottmüller, "Verzeichnis der bei der Stadt Danzig einst beglaubigten ständigen Geschäftsträger auswärtiger Mächte." In: Mitteilungen, 14. Jahrg. (1915), S. 69 ff. ...zurück...

28aVergl. Löschin, Beiträge, I. Heft, S. 77 ff. ...zurück...

29Vergl. Kaufmann, Danzigs Deutschtum, S. 6. ...zurück...

30Vergl. Simson, Geschichte der Stadt Danzig, Bd. IV, Nr. 142. ...zurück...

31Vergl. Warschauer, Das Wappen und Banner von Danzig. ...zurück...

32"Die Krone im Wappen Danzigs." In: Braun-Lange, S. 72 ff. ...zurück...

33Vergl. Simson, Geschichte der Stadt Danzig, Bd. IV. Nr. 144. ...zurück...

34Vergl. Simson, Geschichte der Stadt Danzig, Bd. I. S. 278. ...zurück...

35Der Hafen von Danzig, seine Entwicklung und Verwaltung, S. 18 ff. ...zurück...

36Vergl. Kaufmann, Das staatsrechtliche Verhältnis, S. 18. ...zurück...

37Simson, Geschichte der Stadt Danzig, Bd. IV. Nr. 114 ff. ...zurück...

38Vergl. ebendas, Nr. 225 f. ...zurück...

39Vergl. Foltz, Der Danziger Stadthaushalt, S. 140 f. ...zurück...

40Jus publicum, S. 97. ...zurück...

41Simson, Danzig im 13jährigen Kriege, S. 82. ...zurück...

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4000 Jahre bezeugen Danzigs Deutschtum
Geschichte der ethnographischen, geschichtlichen, kulturellen, geistigen und künstlerischen
Verbundenheit Danzigs mit Deutschland von den ältesten Zeiten bis zur Gegenwart.

Franz Steffen