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Auf den Straßen des Todes. Leidensweg der 
Volksdeutschen in Polen.
 
Deutsche Frau zwischen polnischen Schergen
Ellen Conrad

Am 30. August gingen wir gegen 10 Uhr schlafen und fanden lange keine Ruhe, trotz großer körperlicher Müdigkeit. Gegen ½2 Uhr nahm ich ein Schlafmittel, und wir sind dann beide gegen 2 Uhr eingeschlafen. Punkt 4 Uhr fuhren wir gleichzeitig in die Höhe, erkannten im Dämmerlicht des Morgens am Bett meines Mannes denselben Offizier vom Vormittag des vergangenen Tages, der den entsicherten Revolver an die Schläfe meines Mannes hielt mit den Worten: "Dalli, deutsches Schwein, ins Gefängnis!", selbstverständlich polnisch gesprochen. An meinem Bett stand ein Soldat mit aufgepflanztem Bajonett, das auf meinen Kopf gerichtet war. Die Schlafzimmertür war mit Hilfe von Gewehrkolben und Soldatenstiefeln geöffnet worden. Es wurde mir gestattet, aufzustehen und meinem Mann [72] einige Kleinigkeiten in ein Köfferchen zu werfen; selbstredend drehte sich der polnische Leutnant nicht um, sondern sah höchst interessiert zu, wie ich mit den Morgenrock überwarf; es war mir auch gleichgültig. Binnen zwölf Minuten hatte mein Mann fertig zu sein, wurde noch zweimal leibesvisitiert, trotzdem Stiefel, Strümpfe und alle Kleidungsstücke persönlich vom Herrn Leutnant kontrolliert worden waren, durfte noch etwas Geld mitnehmen und Punkt 4.15 Uhr fuhr der Wagen vom Hofe. Ein letzter Kuß, ein fester Händedruck und die Worte: "Kopf hoch! Ich weiß, daß ich mich auf dich verlassen kann, Alte", dann war es vorbei. Ich mußte zusehen, wie man meinen Mann wie einen Schwerverbrecher abführte, ebenso den landwirtschaftlichen Beamten; beide fuhren mit unserem zu diesem Zweck von den Polen wieder zur Verfügung gestellten Kutschwagen, begleitet von drei Berittenen, die blankgezogen hatten, zur rechten Seite von dem Leutnant, mit der wiederum entsicherten Dienstwaffe am Kopfe meines Mannes. Und dann nahm das Schicksal weiter seinen Lauf. Sämtliche deutschen Arbeiter, bis auf drei, wurden nach und nach verhaftet, angeblich alle beteiligt am Zerschneiden das Telefonkabels, welchen Befehl mein Mann erteilt haben sollte. Am Nachmittag desselben Tages stürmte plötzlich eine bewaffnete Horde von zehn Soldaten in Uniform, unter Anführung eines Unteroffiziers, in mein Zimmer, verlangte mit vorgehaltenem Revolver Radio, Fahrräder, Uhren, Schmucksachen, Mandolinen, Gitarren, kurz die gesamte Wohnungseinrichtung; der polnische Feldwebelleutnant vom Stabe sah zu. Ich durfte den Amtsvorsteher, in diesem Falle eine polnische Nachbarin, die seit fünfzig Jahren uns benachbart ist, anrufen und erhielt auf meine Anfrage, ob obige Forderung, ohne Bescheinigung, zurecht bestünde, die kategorische Abfuhr: "Selbstverständlich haben Sie zu geben, was die Armee verlangt. Dafür sind Sie Deutsche, und wenn Sie nicht wollen, werden wir [73] Sie zwingen." Ich konnte mich doch nicht beherrschen zu sagen, es sei mir bisher unbekannt gewesen, daß die polnische Armee mit Mandolinen Krieg führe. Also: Es wurde geplündert, sämtliche Schränke aufgerissen, eingetreten, meine Wäsche auf die Erde geworfen, ein Korb frisch gewaschener Wäsche umgestoßen usw.; ich mußte wehrlos zusehen. Meine Schmuckkästchen wanderten auf den Beutewagen.

Am Donnerstag, dem 31. August war es mir gelungen, mit Hilfe eines polnischen Fleischers aus Jablonowo bis auf die Polizeistation Jablonowo vorzudringen, wohin man meinen Mann verschleppt hatte. Der Kommandant des Bahnhofs sprach fließend und leise sogar deutsch mit mir, verbot mir natürlich das Hinlaufen, wollte es aber nicht sehen. Einige wenige Lebensmittel, einen warmen Pullover, eine warme Decke, hatte ich zusammengesucht und stand dann zitternd vor dem Wachtmeister, vergeblich um ein paar Worte zu meinem Mann bettelnd. Ich wurde hinausgewiesen, konnte aber dann von draußen sehen, wie mein Mann mir zuwinkte, und lächelnd mir Trost zunickte. Das war das Letzte, was ich lebend von ihm sah. Tapfer und zuversichtlich, Vorbild für mich, für die Umwelt wie stets. Freitag früh, den 1. September, stand ich um 4.30 Uhr früh mit dem letzten deutschen Arbeiter auf dem Hof und besprach die noch mögliche Arbeit mit ihm. 4.45 Uhr hörten wir die ersten Schüsse - Artillerie - es ging wirklich los. Umgeben von fast nun schon 200 polnischen Soldaten, außerdem etwa 100 Pferden, sprachen wir vom Ställeausmisten und flüsterten von einer Befreiungsmöglichkeit. Um 6 Uhr mußte ich den Förster entlassen und dazu sogar die Hilfe des polnischen Postens in Anspruch nehmen; er hatte in der Nacht gemeinsam mit dem polnischen Feldwebelleutnant meine Köchin in ihrem Zimmer überfallen. Um 7.30 Uhr verhaftete man mir die letzte Stütze, den deutschen Arbeiter, mit dem ich früh die Arbeit besprochen [74] hatte. Die Leute wurden immer unruhiger, Gerüchte von einer Beschießung Jablonowos, von der dort brennenden Mühle, erhitzten die Gemüter. Ich bat um die Erlaubnis, nach Jablonowo zum Arzt fahren zu dürfen, um meiner fast neunzigjährigen Schwiegermutter ein Beruhigungsmittel verabfolgen zu können.

Man gab mir eine Bescheinigung nach Jablonowo; ich fuhr ab mit dem letzten kranken Pferd, kam aber nicht einmal bis auf den halben Weg. Da jagte ein Radfahrer hinter mir her: "z powrotem! oder ich schieße!" Also zurück! Zunächst wurde ich unter vorgehaltenem Revolver gezwungen das Bismarckbild von der Wand zu nehmen, das mußte ich allein schaffen, trotzdem das Bild sehr schwer war. Wenn schon, ich hatte Schlimmeres erfahren, aber es sollte noch viel besser kommen. Um 12 Uhr flehte mich mein Schweizer an, fliehen zu dürfen, ich sollte Wagen und Pferde geben. Erstens konnte ich das nicht, die Pferde waren ja beschlagnahmt, zweitens wollte ich die Leute nicht ins Elend jagen; ich bat, ich beschwor, ich versprach den Leuten das letzte Stückchen Brot - umsonst. Der Flüchtlingsstrom am Hof vorbei wurde immer stärker, die Beschießung immer lauter, drohender und näher. Auch der Hinweis, "laßt doch das unschuldige Vieh nicht verkommen, ich kann es doch allein nicht füttern", war in den Wind gesprochen. Um 1 Uhr mittags jagten meine sämtlichen Leute, fast 70 an der Zahl, einschließlich Kindern und Greisen, wie ein Rudel Tiere vom Hof, in die Ungewißheit hinein. Selbst die Katzen hatten sie mitgenommen. Nur heraus aus der Feuerzone; die bleiche Angst im Nacken ließ sie sinnlos werden; woher und warum die Polen ihnen die Pferde gegeben hatten, weiß ich nicht. Ich weiß nur, daß die deutschen Leute vielleicht berechtigt der Gefahr aus dem Wege gingen, während die Polen niemals gezwungen worden wären, sondern genau so pflichtvergessen handelten, wie jene Leute, die ihr kostbares Leben in Zoppot [75] in Sicherheit brachten und dadurch zum schlechten, unrühmlichen Beispiel wurden.

Natürlich fehlte es auch nun wieder nicht an wohlgemeinten Ratschlägen, mitzukommen usw. Der Leutnant habe befohlen. Ich stellte dann diesen Leutnant, der gebrochen deutsch sprach, mit den Worten: "Freiwillig gehe ich hier nicht fort. Wenn Sie mich dazu zwingen wollen, müssen Sie mich erschießen. Der Soldat hat seinen Posten nicht zu verlassen. Ich bin in diesem Falle genau so Soldat wie mein Mann, wie meine Söhne, wie Sie selbst; also bitte entscheiden Sie. Ich nehme an, daß man mir nichts Böses zufügen wird; freiwillig gehe ich nicht, mein Platz ist hier." Darauf ein Achselzucken; nach einer Pause von etwa zwei Minuten ein erstauntes Mustern dieser verhaßten Augen, die abschätzend über mich glitten, und dann ein "Wszystko jedno", zu deutsch "einerlei".

Und dann war ich allein, ganz allein mit dem polnischen Artilleriestab und mit dem Tod. Der erstere war der schlimmere Begleiter. Von da an bestand mein Dasein im Kochen und Abwaschen für die Herren Offiziere. Selbstredend mußte ich ihnen erst voressen, was ich ihnen brachte, ich hätte sie ja vergiften können. Wie oft und wieviel Bratkartoffeln ich ihnen bringen mußte, weiß ich nicht mehr. Jedenfalls hatte ich um ½12 Uhr nachts noch immer Feuer im Herd. Sieben Tage und sieben Nächte bekam ich die Kleider nicht vom Körper, und wie ich die Hetzerei aushielt, weiß ich auch nicht. Ab und zu wurde ich als Bombenabwehrmittel mitten auf den Hof gestellt, und die tapfere Soldateska verkroch sich in jämmerlich und liederlich ausgeworfenen Schützenlöchern.

Um 12 Uhr nachts erklärte ich, daß ich nicht mehr kochen könnte und mich etwas ausruhen müßte, was mir dann auch zugestanden wurde. An Schlafen war natürlich nicht zu denken und so hörte ich sofort, daß der einzige Schlüssel, der noch unten im Hause vorhanden war, leise [76] gedreht und herausgestoßen, dann mit dem Dietrich nachgeholfen wurde, und eine Minute später stand der Batteriechef neben mir. Ein eisiger Schreck durchfuhr mich - also auch das noch. Ich blieb ruhig und fragte höflich nach seinen Wünschen. Er versuchte von der Erschaffung der Welt zu reden, wurde langsam zudringlich und sprach von Trösten und meiner Einsamkeit. Woher ich den Mut nahm, ihn in Schach zu halten und ihn durch List von seinem Vorhaben abzubringen, das muß wohl in der Todesnot begründet gewesen sein, in der ich schwebte. Ich schlug ihm vor, auf meinem Sofa zu schlafen, da er ja - wie er vorgab - eine Stunde Zeit habe, ich würde wachen und ihn pünktlich wecken. Er sollte mir den letzten Rest des Glaubens an die Ritterlichkeit des polnischen Offiziers nicht auch noch nehmen, während eine deutsche Frau ihm Achtung einzuflößen hätte, solange er lebte. Der Kerl schlief tatsächlich sofort fest ein, und ich saß ihm gegenüber, die Uhr und die Taschenlampe in der Hand, der Dienstrevolver lag auf dem Tisch. Sollte ich - es wäre ein leichtes, aber auch das Ende für mich gewesen. Und dafür bin ich ja letzten Endes nicht hiergeblieben. Also bewachte ich den Schlummer dieses Schurken, der sich polnischer Offizier nannte, umgeben rechts und links von seinen Schergen, die ihm treu ergeben waren und die er auch in der Hand hatte. Das muß ich ihm lassen. Punkt ½3 Uhr weckte ich den Mann mit den Worten: "Stehen Sie auf, Herr Leutnant! Ihr Dienst ruft, Sie müssen die deutschen Soldaten erschießen!" Wieder wollte der Kerl zudringlich werden, ich wich in die äußerste Zimmerecke zurück und brüllte ihn an: "Haben Sie mich noch nicht genug gequält, hinaus jetzt, Sie Schuft. Sie sollen die deutschen Frauen kennenlernen!" Da endlich riß er sich zusammen, klappte die Hacken zusammen, wollte meine Hand küssen und sagte: "Psiakrew, nur deutsche Frau kann so sein. Ich muß danke sagen." In dieser Stunde habe ich meinen armen Mann [77] gerächt; was ich da in mich hineingefressen habe an grenzenlosem Haß, das löscht ein Menschenleben kaum aus. Ich war ja dieser Bestie ausgeliefert auf Tod und Leben. Vielleicht verdanke ich dieser Stunde mein Leben oder das Wunder, daß das alte Haus verschont blieb. Am Sonnabend, dem 2. September, habe ich dann beinahe 500 Stück Vieh freigelassen; ich konnte die Tiere ja beim besten Willen allein weder füttern noch tränken. Abends kam dann eine Menge Infanterie auf den Hof, die vor Hunger und Durst so verloddert war, daß mir trotz meines Schreckens vor diesen vertierten Menschen der Hoffnungsschimmer heller wurde, der mir aufleuchtete; wenn schon nach zwei Tagen Krieg diese demoralisierten Truppen da sind, dann muß die Freiheit sehr nahe sein. Ich kämpfte wie ein Löwe mit einem Infanteristen auf dem dunklen Hof um meine schon recht schwache Taschenlampe, blaue Flecke am Arm zeugten noch lange Wochen davon. Und wieder wurde es Tag - Sonntag. Gegen Mittag schickte mir mein lieber Junge eine Botin, wie sie durchgekommen ist, weiß ich heute noch nicht. Ausgerechnet bis nach Wimsdorf waren meine Leute geflohen, und so hatte mein jüngster Sohn von unserem Erleben erfahren und schickte nun einen zuverlässigen Boten, der mich zu ihm in vermeintliche Sicherheit holen sollte. Das war ein schwerer Augenblick, eine große Versuchung. Die Sehnsucht nach dem Jungen flammte riesengroß empor. Aber ich durfte doch nicht noch schwach werden so kurz vor dem Ziel. Also schickte ich die Botin zurück mit einigen heimlich geschriebenen Worten und beruhigte meinen Sohn, man würde mir nichts tun, wenn er mir nur gesund und verschont bliebe. Genau 24 Stunden später haben sie ihn auch verhaftet und in die Zitadelle nach Warschau verschleppt. Was dieser arme junge Mensch in den vier Wochen gelitten und geleistet hat, nachdem er, genau wie sein Vater, erst der Gewalt wich, das beweisen die Worte: Er ging als Einundzwanzigjähriger am 4. Sep- [78] tember hinaus und kam als Fünfunddreißigjähriger zurück. Sein gütiger Chef hatte ihm Generalvollmacht über seinen großen Besitz erteilt, als man ihn auf den gleichen Todesweg schleppte, dem mein Mann zum Opfer fiel und auf dem auch Herr Fischer von polnischen Bestien erschossen wurde. Der 3. September neigte sich dem Abend zu. Da wurde ich durch vermehrte Unruhe unter den Soldaten aufmerksam. Nachmittags war ein Geschwader von sechs deutschen Flugzeugen so tief über den Garten geflogen, als ob sie Blumen pflücken wollten. Herzklopfen benahm mir fast den Atem; ich hatte ja das Fliegerkreuz mit bloßem Auge erkannt, man hatte auch nicht mehr riskiert, mir das Märchen von englischen Fliegern aufzutischen. Aber um 18 Uhr sollte ich wegen dieses Geschwaders an die Wand gestellt werden. Man ließ mich rufen, erklärte, daß man erfahren hätte, daß zwei meiner Söhne Angehörige der deutschen Wehrmacht seien und einer davon habe natürlich den deutschen Fliegerangriff bzw. Aufklärungsflug geleitet, so unverschämt tief könne nur ein mit den Verhältnissen genau vertrauter Offizier fliegen. Ich erklärte, daß es meinen Söhnen an dem Mut und dem Schneid eines solchen Fluges bestimmt nicht fehlen würde, daß es aber für sie praktisch unmöglich gewesen sei, heute hier zu kämpfen, sie seien Artilleristen. Mein Fliegersohn ist tatsächlich erst am 1. September freiwillig bei der Luftwaffe eingetreten, er konnte also nicht am 3. September über Adlig-Neumühl geflogen sein. Ich bewies meine Worte an kleinen Bildchen, die ich im Brustbeutel bei mir trug. Trotzdem wurde mir bedeutet, daß nun mein Maß voll sei, der Verhaftungsbefehl sei inzwischen auch eingelaufen für mich. Ich stand auf der Vordertreppe unseres Hauses, umgeben von den Herren Offizieren, nach und nach wurden zehn Revolver entsichert, die ich lächelnd zählte, mit dem Bemerken, daß diese Zahl ja wohl für mich genügen dürfte. Ruhig, eiskalt sah ich meine Richter an und wartete nun [79] auf den Tod. Es geschah nichts. - Da sagte ich den Leuten, vielleicht treffen Sie von rückwärts besser; und das eine kann ich Ihnen sagen, den unbändigen Stolz auf meinen Mann, auf meine Söhne, auch auf meine tapfere Tochter, die irgendwo eisern ihre Pflicht tut auf deutschem Boden, den könnt ihr mir nicht nehmen, und wenn ihr mich hundertmal erschießt. Mehr als sterben kann ich nicht. Ganz langsam ging ich dann ins Haus und wieder ist nichts geschehen. Aber eine große Stille trat ein. Vielleicht hat es ihnen imponiert, oder waren sie selbst doch noch nicht ganz verroht, oder saß ihnen die Angst vor dem Batteriechef in den Knochen, der natürlich nicht mehr vor meinen Augen aufgetaucht war seit jener Nacht? Kurzum, ich blieb leben und habe dann bis 5 Uhr früh, am 4. September, alles an Nervenspannung durchlebt, was man hier erleben konnte, wenn man nicht verschleppt war. Gegen jene Leiden haben wir alle dann allerdings Kleinigkeiten durchgemacht. Gegen 10 Uhr abends bedeutete mir der Telefonist, ich sollte lieber im Keller verschwinden; es war ein scheinbar gutmütiger Junge. Unter dem Schlafzimmerfenster waren die Kanonen aufgefahren, alle Fahrzeuge vollbespannt, alle Leute immer unruhiger und aufgeregter. Zunächst hörte ich im Nebenzimmer sehr aufgeregtes Räumen, Telefonieren und die polnischen Worte, die übersetzt wie folgt heißen: "Donnerwetter, Herr Leutnant, die Deutschen sind in Rehden, jawohl, ich verstehe, um ½2 Uhr muß alles fort sein, der Apparat auch!" Da wußte ich, daß die Not fast am Ende war, und wartete, was werden würde. Ich war gewärtig, daß man mich nun auch noch erledigen würde. Um 1.10 Uhr nachts lief als letzter zunächst der Telefonist an mir vorbei mit den Worten: do piwnicy (in den Keller). Nun folgte ich diesem Rat. Sechsundzwanzig schwere Artilleriegeschosse schlugen neben, vor und hinter dem Hause ein, nur die tiefen Trichter bewiesen am nächsten Morgen, daß ich nicht geträumt hatte, daß dieses Gewitter von Men- [80] schenhand gelenkt worden war. Zwei Feuerpausen hatte man deutscherseits eingeschaltet und dann lief ich nach oben, um nachzusehen, wo es brannte. Nichts ist passiert, ich muß noch heute an ein Wunder glauben.

In der ersten Feuerpause hörte ich Pferdegetrappel, rannte an ein kleines Flurfenster und hoffte, daß die Deutschen kämen. Eine bittere Enttäuschung bedeuteten die polnischen Worte, die ich flüstern hörte und die vermummten Gestalten, die wie das leibhaftige böse Gewissen überall etwas hinlegten - Minen, die das deutsche Militär dann forträumte. In der zweiten Feuerpause wurde nun endgültig das Radio gestohlen, und dann flog die Brücke an unserer Mühle mit Donnergetöse in die Luft. Unmengen von Dynamit sind da verschwendet worden. Nach ½4 Uhr wurde es totenstill, und ich wartete auf die Erlösung. Um 4.45 Uhr lief ich mit meinem kleinen Hund in den Stall, nachdem ich vorher alle Türen verrammelt hatte, und durch das kleine Flurfenster geklettert war, um die kleinen Fohlen loszukoppeln, die bisher tatsächlich von einigen mitleidigen polnischen Soldaten mitversorgt worden waren. Trotz des Lärms, den die Tiere vollführten, erwachte der polnische Soldat in der Futterkammer nicht, der dort den Schlaf des Gerechten schlief und den ich zu meinem nicht geringen Erschrecken erst entdeckte, als ich aus dem Stall ging. Ich weiß nicht, wie schnell ich das rettende Fenster erreichte, denn es ging diesmal bestimmt um mein Leben.

Das Schießen wurde wieder lebhafter. Ich beschloß, warme und wertvolle Sachen zu packen und in den Keller zu schleppen, und man kann unheimlich schnell packen, wenn einem der Tod im Nacken sitzt. Zwei Stunden brauchte ich, um sieben Koffer zu packen und in Sicherheit zu bringen. Inzwischen vermutete ich in dem Schläfer einen Toten, denn ich konnte mir gar nicht erklären, wie der Mann bei dem Höllenlärm so fest schlafen konnte. Als ich jedoch gegen 8 Uhr leise an den Stall schlich, war meine [81] vermeintliche Leiche verschwunden, und ich blieb nun ganz allein. Feuer anzumachen wagte ich nicht, um Flieger nicht aufmerksam zu machen. Also kochte ich eine warme Suppe auf einer kleinen Kaffeemaschine, denn etwas Spiritus hatte ich noch entdeckt. Dann lief ich aufs Feld, erwischte eine Kuh mit blutigem Horn und blutigem Euter und habe mir unter Kanonendonner und Artilleriegeschossen einen Liter Milch gemolken; wie gern hätte ich meinem Mann von dieser Leistung erzählt. Der Tag verging unter bangem Warten. Nachmittags hielt ich's nicht mehr aus und lief bis zum nächsten deutschen Bauern, etwa 2 Kilometer, wollte auch sehen, ob die Weizenstaken noch standen. Sie standen unversehrt, und der Bauer war in dem Augenblick von der Flucht zurückgekommen, als ich zu ihm kam. Er berichtete mir, daß schon weitere 2 Kilometer deutsche Vorposten stünden, die ihm berichtet hätten, daß in der kommenden Nacht Neumühl ausgeräuchert werden sollte, weil man nicht glaubte, daß der Artilleriestab schon getürmt sei. Ich beschwor den Alten, nochmals zum Posten zu laufen und ihm mein Alleinsein zu schildern, was er auch getan hat. Ich rannte heimwärts, vertrieb rechtzeitig einen polnischen Flüchtlingswagen mit dem Hinweis, daß ich Feuerzone sei und war nun wieder allein mit dem brüllenden, hungernden Vieh. In der Nacht hatten die Polen unter anderem sechzehn schwere Schweine umgebracht, im Gewicht von je drei Zentnern; die Reste dieses Massenschlachtens lagen überall herum. Wie sah mein schön gepflegter Garten aus: zerwühlt, zerstampft, versengt, von Schützengräben durchzogen, wahllos alles vernichtet, das Haus verdreckt, Unrat auf den Treppen, die Offiziersachselstücke meines Mannes mit Menschenkot beschmiert; im Arbeitszimmer meines Mannes Haufen von Menschenkot, kurz: schaurig alles; Gardinen von den Fenstern gerissen, es ist nicht zu beschreiben. Langsam wurde es dunkel. Um 7 Uhr, meine Erregung konnte ich kaum noch meistern, nahm das Feuer wieder zu.

[82] Vier Tage und drei Nächte mit dem Tod allein. Sollte es noch eine Nacht dauern? Dazu die entsetzliche Sorge um meinen Mann, meine vier Kinder, ich wußte ja von keinem, wo es war. Zitternd stand ich hinter der Gardine und starrte in die Dunkelheit. Dann um 8 Uhr abends ein kurzer scharfer Pistolenknall und Stimmengemurmel. Waren es wieder Polen? Waren es endlich Deutsche? Ich wagte mich nicht bemerkbar zu machen. Die Stimmen kamen näher, und undeutlich unterschied ich Stahlhelme, zwei, fünf, zehn und konnte doch nicht unterscheiden, waren es deutsche oder polnische. Endlich rissen die Nerven, ich schrie durchs Fenster. "Wer ist da? Habt ihr mir noch nicht genug getan? Was wollt ihr nun noch?" Und dann hörte ich die Worte, die mir wie Himmelsmusik vorkamen: "Donnerwetter, ist denn hier kein Schwein zu Hause?" Dann kam der prächtige deutsche Feldwebel und hob mich aus dem Fenster. Ich verlangte seinen Ausweis, erzählte ihm, als er auf den Stahlhelm wies, daß die Polen doch auch Stahlhelme hätten, ich könnte einfach nichts mehr glauben. Und dann zeigte ich ihm meinen Ausweis, ein Hakenkreuzwimpelchen, das ich auf der Brust trug, und dann durfte ich endlich weinen und meine Nerven zusammenklappen lassen. Wir waren deutsch, alles andere versank hinter diesem Wunder. - Am nächsten Morgen lag ein ganzes Regiment deutscher Soldaten auf unserem Hof; tausend Menschen, roh geschätzt. Mit den dazugehörigen Pferden und Gespannen, Motorrädern usw. Ich war nicht mehr allein und lasse nun die Worte folgen, die ich den deutschen Offizieren sagte, als sie am Abend die sicher behüteten drei Flaschen Rheinwein tranken, die den Argusaugen meiner Schergen entgangen waren:

"Herr Major, meine Herren! Gestatten Sie, daß ich heute entgegen allgemeinem Brauch als Frau zuerst dankbar des Mannes gedenke, dem ich, dem wir alle hier in Polen den heutigen Tag verdanken und dem ich vor nun fast drei [83] Jahren in der Reichskanzlei selbst in die Hand gelobte, daß wir hier in Polen seine treuesten Anhänger sind und bleiben werden. Ich für meine Person glaube in diesen drei Tagen und vier Nächten, die vorüber sind, einen Teil dieses Versprechens eingelöst zu haben. Ich begrüße Sie, meine Herren, als die ersten deutschen Offiziere in meinem Hause, im Namen meines Mannes, dessen Fernsein die heiße Freude bitter trübt. Ich hatte einfach die Pflicht, hier zu sein, durchzuhalten und 'trotzdem' zu sagen. Das kann und darf und wird nicht umsonst gewesen sein. Heil Hitler!"

Am 6. September rückte das Regiment wieder ab, und sorgenvolle Tage, noch bösere Nächte folgten nun für mich. Mittags um 12 Uhr des 6. Septembers erreichte mich die Hiobsbotschaft von der Verhaftung und Verschleppung meines lieben Jüngsten. Da wollte ich doch beinahe schwach werden und mich fragen, was wird nun noch alles kommen. Es war noch lange nicht zu Ende. Und doch suchte ich mir Halt, grub mit Hilfe deutscher Mädel die sorgsam in einer Milchkanne vergrabene, 6 Meter lange Hakenkreuzflagge aus und habe sie noch am Abend desselben Tages gehißt und mit meinen deutschen Leuten die Nationalhymnen gesungen. Diese Leute kamen als erste von der Flucht zurück, berichteten mir, daß mein Sohn bestimmt das Opfer eines Verrats unserer eigenen polnischen Leute geworden sei, die ausgerechnet bis Wimsdorf geflohen waren und meinen Sohn verrieten. Niemand ist dort außer ihm verhaftet worden. Eine maßlose Wut überkam mich, als mir auch von den Diebstählen berichtet wurde, die auf dem Gute Wimsdorf vollführt worden waren; nachdem mein Sohn noch für diese Flüchtlinge, auch die polnischen, gesorgt hatte. Die Hauptverbrecher habe ich dem irdischen Richter überantwortet, darunter befindet sich jene Frau aus polnischem Adel, die nur Gutes durch meinen Mann erfuhr und die seine Verhaftung weder verhinderte noch versuchte zu entschuldigen, sondern noch begünstigt hat und drei Nächte vorher Kon- [84] trollen ausüben ließ, damit mein Mann auch sicher in die Falle ging. Sie hat den Lohn erhalten, der ihr zukam und mußte genau so von ihrem Hof wie mein armer Mann, leider mit weniger Qualen.

Mein Schicksalsweg ging weiter. Mein ständiger Weggenosse nunmehr Tag und Nacht der geladene Revolver bis zum 8. Oktober 1939. Das qualvolle Warten der nun folgenden vier Wochen war nur zu ertragen einmal durch die unmenschliche Arbeitslast, der ich gegenüberstand, und durch die Geduld und den Sonnenschein, den mein liebes jüngstes Kind immer wieder sich bemüht hat und sich weiter bemüht mir zu bereiten. Meine Ilse kam am 7. September, abends, plötzlich nach Hause, ein Kommandanturbefehl eines treuen Nachbarn hatte sie erreicht und von ihrem Dienst für mich beurlaubt. Wie manchmal habe ich in den bitteren Tagen dem Schicksal dafür gedankt, daß ich in Danzig ihrem flehentlichen Bitten gegenüber die Kraft gehabt habe zu widerstehen und die Heimfahrt zu verbieten. Das neunzehnjährige Mädel hätte ich vor den polnischen Halunken nicht schützen können, das Kind hätten sie mir zerbrochen. Eine Woche verging, noch eine, noch zweieinhalb, weiter, und dann kam das Letzte: Die Nachricht vom Tode meines Mannes. So viele Gerüchte waren vorher zu meinen Ohren gedrungen, eines schauriger als das andere; so mancher kam zurück inzwischen, nur ich mußte immer zusehen, und immer hielt mich die Hoffnung und der Glaube aufrecht, es darf doch nicht umsonst gewesen sein. Und dann mußte ich es glauben, einwandfrei wurde es mir auf einer Dienstfahrt auf dem Felde berichtet, daß mein Mann am 27. September gestorben sei, in kurzen Worten, zu Tode gehetzt. Mir klingt es immer nur im Ohr: Er war ein leuchtendes Vorbild für uns alle, er war unser rechter Flügelmann, er war wieder Soldat geworden, er gab den Schritt an auf dem Leidensweg, und selbstverständlich räumte ihm jeder den Platz des Führers ein, nicht des [85] Mittelsmannes, aber des Kameraden, der für die anderen das Leben gab. Er pfiff uns an mit derbem Soldatenfluch, als der innere Schweinehund nicht mehr mitmachen wollte. "Was kann schon passieren, schlimmstenfalls wird eben gestorben für den Führer. Verstanden!" Er lieh uns seinen kostbaren Humor, als wir verzweifelten, trotzdem er selbst mit fünfundsechzig Jahren kaum noch aufrecht stehen konnte. 370 Kilometer zu Fuß, zwölf Tage, zwölf Nächte. Er ging aufrecht bis zuletzt, trotz eines Herzleidens, das täglich neu zugenommen hatte und doch im Sommer zum Stillstand gekommen war und ihn noch lange hätte leben lassen. Er ging aufrecht bis zum Zuchthaus, und noch in der wüsten Zelle ist er Vorbild und Autorität gewesen, daß schließlich selbst die Zuchthäusler still geworden sind. Entgegen anderen falschen Berichten weiß ich heute aus einwandfreier Quelle, daß er die Befreiung noch erlebt hat und mit den Worten starb: "Es war doch nicht umsonst." Aber einem fremden Pfarrer hatte er das Vaterunser abgelehnt mit den Worten: "Ich brauche Ihr Vaterunser nicht, ich mache das mit Energie, und nun bitte gehen Sie." Nein, er braucht kein Vaterunser, denn er hat tausend Vaterunser gelebt und ist tausend Vaterunser gestorben. Am 1. Oktober erhielt ich die unumstößliche Todesbotschaft und gleichzeitig wurde mir das Grab meines Mannes im Zuchthaushof bezeichnet. Es stand für mich fest, daß ich diesen Helden aus der verfluchten Erde holen mußte und zwar sofort. Und ich habe das erreicht, ich kann wohl sagen einer Armee zum Trotz, denn der Befehl, daß Leichentransporte unter allen Umständen zu unterbleiben hätten, war aus dem gerade befreiten Warschau am 2. Oktober durch Armeebefehl des Oberbefehlshabers Ost herausgekommen. Trotz aller gut gemeinten Warnungen bettelte ich mich durch, von der Kommandantur Graudenz zum Regimentskommandeur, der Division in Thorn zum Armee-Oberkommando in Lodz und von da auf meine eigene Anregung zum Generaloberst [86] Blaskowitz persönlich. Und ich hatte mich nicht getäuscht. Ich traf neben dem hervorragenden Offizier einen ebenso großen Menschen, der mir die Worte sagte: "Gibt es denn so viel Herzeleid für einen Menschen!" Durch seine Vermittlung konnten meine beiden Söhne, einer direkt aus dem Schützengraben, herkommen und dem Vater die letzte Ehre erweisen.

Und als ich dann vor der grausam verstümmelten Leiche im düsteren Gefängnishofe stand, da wußte ich, warum ich nicht hatte warten können. Kreuz und quer fuhr ich mit dem mir beigegebenen Polizeioffizier durch das grausam vernichtete Warschau über Schutt und Unrat, über Leichen und Pferdekadaver, durch Blut und Dreck - Gottesgericht. Sie wollten es ja nicht besser haben. Und unter jedem zerschossenen Hause, in jeder Blutlache, suchte ich dann im Geiste nach meinem lieben Jungen, den wiederzusehen ich ja nach menschlichem Ermessen aufgeben mußte. Endlich waren die Formalitäten erledigt, der Metallsarg unter Todesdrohung von noch anwesendem Zuchthauspersonal zur Stelle geschafft, und die Ausgrabung begann. Vier Meter tief lag mein armer Mann da unten, nackt, kümmerlich, eine halbe Soldatenhose über ein Bein gezogen, die ihm nie gehört hat. Unsere krepierten Säue werden menschlicher begraben, als man diesen Mann verscharrt hat. Noch an der Leiche muß sich polnischer Haß und Sadismus gütlich getan haben, denn nach Zeugenaussagen ist vor dem Tode nichts Derartiges wahrzunehmen gewesen. Die von mir besonders geliebten Hände erkannte ich zuerst einwandfrei und später den Kopf, als wieder unter Todesdrohung kostbares Wasser herangebracht worden war. Es war wirklich mein lieber Mann; ich erkannte die Kopfform, den Haaransatz, aber das ganze Gesicht, der Körper sah so aus, daß nur ich ihn noch erkennen konnte, und wenige Tage später wäre mir selbst dies nicht mehr möglich gewesen. Ein schwacher Trost waren für mich die Worte des Offiziers zu dem Führer [87] des Autos, der mir den Anblick ersparen wollte: "Laß die Frau da stehen und nehmt den Stahlhelm ab vor dem Mut, den hundert von euch nicht haben." Ich war zu Stein geworden und mußte daran denken, daß mein Mann gesagt haben würde: "Dies Husarenstückchen hast du gut gemacht, Alte!" Ich tat doch nur meine selbstverständliche Pflicht. Rückkehr erfolgte am nächsten Morgen. Ich übernachtete bei einer Nachschubkolonne, die mir das Leichenauto stellen sollte und erfuhr dort, daß General von C. noch darüber hinaus einen Personenwagen und 6 Mann Begleitung bestellt und befohlen hatte. Dankbar sei der Wehrmacht gedacht, die mich auf diesem Weg nach Golgatha vom Oberbefehlshaber bis herunter zum schlichten Soldaten nicht einen Augenblick im Stich gelassen hat, sondern mir mit einer Güte und mit einem Takt zur Seite stand, die eben einzig dastehen.

Wir haben unseren lieben Vater dann an meinem Geburtstage, am 8. Oktober, zur Ruhe gebracht. Er ruht in der heißgeliebten, nun auch mit seinem Blut erkämpften Heimaterde. Soldaten haben ihn getragen, Soldaten schossen ihm die Ehrensalven, Soldaten spielten ihm seinen Lieblingsmarsch "Alte Kameraden". Die Hakenkreuzfahne bedeckte seinen Sarg. Er ist nicht umsonst gestorben, wir haben die Pflicht, uns seiner wert zu zeigen, denn Deutschland muß leben, und Deutschland wird leben.

Heil Adolf Hitler!      



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