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Anhang

Geheimvertrag zwischen Frankreich und Rußland
über die Zukunft Polens vom 11. März 1917

Im Jahre 1923 hat R. S. Baker in seinem Buche "Woodrow Wilson and the World Settlement" eine Reihe von bis dahin unveröffentlichten Urkunden der Öffentlichkeit übergeben, deren Inhalt für die Kenntnis der eigentlichen Absichten der "Friedensmacher" von größtem Wert ist. Von besonderem Interesse sind die Dokumente Nr. 2–4 (Bd. I, S. 56 f.), aus denen einwandfrei hervorgeht, daß selbst nach Annahme von Wilsons 14 Punkten durch die Alliierten und nach Anerkennung des darin geforderten "Selbstbestimmungsrechts der Völker" Frankreich und Rußland sich über das künftige Schicksal Polens in der Weise einigten, daß Frankreich Rußland gegenüber "die völlige Freiheit bei der Aufrichtung seiner Westgrenzen", d. h. also das Recht, Polen ungehindert dem russischen Reich einzuverleiben, zuerkannt hat.

Über den Abschluß dieses geheimen Abkommens lesen wir bei R. S. Baker folgendes:

"Am 11. März 1917, einen Monat vor dem Eintritt Amerikas in den Krieg, wurde ein bemerkenswertes geheimes Abkommen zwischen Frankreich und Rußland geschlossen – anscheinend ohne vorherige Beratung mit Großbritannien. Sein Zweck war, 'Frankreich und England vollständige Freiheit in der Festsetzung der westlichen Grenzen Deutschlands zu geben' unter der Bedingung, daß diese Länder ihrerseits Rußland die 'gleiche Freiheit bei der Festsetzung der Grenzen Deutschlands und Österreichs' lassen würden. Mit andern Worten: Frankreich sollte darüber entscheiden, was mit allen westlich des Rheins liegenden deutschen Gebieten zu geschehen habe, und Rußland sollte Polen gegenüber freie Hand behalten. Diese geheimen Abkommen sind so außerordentlich wichtig im Hinblick auf die später während der Friedenskonferenz eintretenden Entwicklungen, daß drei von ihnen hier wiedergegeben werden:

 
 

Dokument Nr. 2.

Vertrauliches Telegramm des russischen Außenministers
(M. Pokrovsky) an den russischen Botschafter in Paris.

Petrograd, 12. Februar 1917.

London erhält vertrauliche Abschrift. In einer Audienz mit Seiner Majestät (dem Zaren) unterbreitete M. Doumergue dem Kaiser den Wunsch Frankreichs, sich am Ende des gegenwärtigen Krieges die Wiedergewinnung Elsaß-Lothringens und eine besondere Stellung im Saargebiet zu sichern, sowie die Abtretung der linksrheinischen Gebiete von Deutschland und deren Errich- [77] tung als separater Staat, damit in Zukunft der Rhein eine ständige strategische Grenze gegen deutsche Invasion bilden kann. Doumergue gab der Hoffnung Ausdruck, daß die Kaiserliche Regierung es nicht ablehnen würde, umgehend ihre Zustimmung zu diesen Vorschlägen formell zu erteilen.

Seine Kaiserliche Majestät hatte die Gnade, diesen Vorschlägen im Prinzip zuzustimmen, und infolgedessen bat ich Doumergue, mir, nachdem er mit seiner Regierung Rücksprache gehalten habe, den Entwurf eines Abkommens zu geben, das dann durch einen Notenwechsel zwischen dem französischen Botschafter und mir selbst die formelle Sanktionierung erhalten würde.

Diese Zustimmung gegenüber den Wünschen unseres Verbündeten vorausgesetzt, erachte ich es trotzdem als meine Pflicht, den Standpunkt in die Erinnerung zurückzurufen, der durch die Kaiserliche Regierung in dem Telegramm vom 24. Februar 1916 Nr. 948 niedergelegt wurde, daß, 'während Frankreich und England vollständige Freiheit in der Festsetzung der Westgrenze Deutschlands haben sollten, wir erwarten, daß die Alliierten uns ihrerseits die gleiche Freiheit bei der Festsetzung unserer Grenzen mit Deutschland und Österreich-Ungarn gewähren'. Der vorgesehene Notenwechsel über die von Doumergue angeschnittene Frage wird uns daher berechtigen, die französische Regierung gleichzeitig zu bitten, ihre Zustimmung über die russische Handlungsfreiheit in der Festsetzung ihrer zukünftigen Grenzen im Westen zu bestätigen. Genauere Einzelheiten werden zu gegebener Zeit von uns dem französischen Kabinett zugeleitet werden.

gez.: Pokrovsky.

 
 

Dokument Nr. 3.

Kopie der Note des russischen Außenministers
an den französischen Botschafter in Petrograd (M. Doumergue).

14. Februar 1917.

In Ihrer heutigen Note waren Euere Exzellenz so gütig, die Kaiserliche Regierung darüber zu informieren, daß die Republik die folgenden Forderungen und Garantien territorialen Charakters in die Deutschland vorzuschlagenden Friedensbestimmungen miteinzubeziehen gedenkt:

1. Elsaß-Lothringen wird an Frankreich zurückgegeben.

2. Die Grenzen umschließen hierbei zum mindesten das Gebiet des ehemaligen Fürstentums Lothringen; die Grenzziehung bleibt der französischen Regierung überlassen, die aus strategischen Gründen das gesamte Eisengebiet Lothringens und den Kohlendistrikt des Saarlandes in französisches Gebiet einbezieht.

3. Die noch verbleibenden linksrheinischen Gebiete, die jetzt Teile des Deutschen Reiches bilden, sind völlig von Deutschland loszulösen und politisch und wirtschaftlich vom Reich unabhängig zu machen.

[78] 4. Die außerhalb des französischen Staatsgebietes liegenden linksrheinischen Gebiete bilden einen autonomen, neutralen Staat und sind so lange von französischen Truppen besetzt zu halten, bis die Feindstaaten alle Bedingungen und Garantien des Friedensvertrages zufriedenstellend erfüllt haben.

Euer Exzellenz bemerkten, daß die Regierung der Republik sich glücklich schätzen würde, wenn sie sich bei der Ausführung ihrer Pläne auf die Unterstützung der Kaiserlichen Regierung verlassen könnte. Auf Befehl Seiner Kaiserlichen Majestät, meines allerhöchsten Herrn, habe ich die Ehre, im Namen der russischen Regierung Euere Exzellenz mit dieser Note davon in Kenntnis zu setzen, daß sich die Regierung der Republik auf die Unterstützung seitens der Kaiserlichen Regierung bei der Ausführung ihrer obendargelegten Pläne verlassen kann.

 
 

Dokument Nr. 4.

Telegramm des russischen Botschafters in Paris
an den russischen Außenminister.

11. März 1917.

Vgl. meine Antwort auf Telegramm Nr. 167, Nr. 2.

Die Regierung der Republik Frankreich, in dem Bestreben, die Wichtigkeit der mit der Russischen Regierung 1915 für die Regelungen bei Beendigung des Krieges und hinsichtlich der Konstantinopel- und Dardanellenfrage zu bestätigen und mit den russischen Forderungen in Einklang zu bringen, und außerdem bemüht, ihrem Alliierten auf militärischem und industriellem Gebiet alle für seine Sicherheit und die wirtschaftliche Entwicklung des Reiches erwünschten Garantien zu geben, erkennt Rußlands völlige Freiheit bei der Aufrichtung seiner Westgrenzen an.

gez.: Isvolsky.

Der von den Franzosen verfolgte Zweck ist klar dargelegt: Elsaß-Lothringen, das lothringische Eisen und die Saarkohlen zu erhalten und aus den rheinischen Provinzen einen Pufferstaat zu machen, der für eine ungenannte Zahl von Jahren durch die Franzosen überwacht wird.

Das geheime Abkommen wurde am 11. März 1917 abgeschlossen, zwei Monate nachdem die Alliierten sich über ihre Antwort auf Präsident Wilsons Friedensbedingungen geeinigt und sich in ihnen zugunsten des 'Selbstbestimmungsrechts' ausgesprochen hatten. Präsident Wilson hatte sich (am 22. Januar 1917) für ein 'geeintes, unabhängiges und autonomes Polen' erklärt. Es ist bemerkenswert, daß die Briten nicht nur leugneten, diesem Vertrag zugestimmt zu haben, sondern nicht zugeben wollen, 'den Gedanken ermutigt' zu haben. Der Außenminister, Mr. Balfour, sagte im House of Commons am 19. Dezember 1917, um der Wirkung entgegenzutreten, die die [79] Enthüllung des Geheimvertrages durch die Bolschewiken im November 1917 ausgelöst hatte:

'Wir haben niemals unsere Zustimmung gegeben... Niemals wünschten und niemals ermutigten wir diesen Plan.'

Eine Woche nachdem dieses geheime Abkommen zwischen dem Zaren und der Republik Frankreich abgeschlossen wurde, brach die russische Regierung zusammen. Trotzdem stimmt das französische Programm, wie es in diesem im März 1917 abgeschlossenen Geheimvertrag aufgestellt war, praktisch mit dem überein, worauf die Franzosen in der Friedenskonferenz von 1919, wenn auch durch allgemein gehaltene Vorschläge, hinarbeiteten."







Zeugnisse der Wahrheit.
Danzig und der Korridor im Urteil des Auslandes.

Zusammengestellt von Margarete Gärtner.