Dr. Alfons Dopsch
Universitätsprofessor
Der Anschluß Deutsch-Österreichs an das
Deutsche Reich*
Die wichtigste Lebensfrage des neuen Staates
Deutsch-Österreich liegt in seiner politischen Orientierung gegenüber
den Nachbarstaaten, die bei den großen Umwälzungen der
jüngsten Zeit an seinen Grenzen entstanden sind.
Soll eine, wenn auch nur sehr lose Verbindung mit den fremdnationalen Staaten,
die ehemals die habsburgische Monarchie gebildet haben, aufrechterhalten oder
weg von ihnen der Anschluß an das Deutsche Reich vollzogen werden?
Für die erstere Form der Neugestaltung setzen sich die national mehr
indifferenten Kreise ein mit der Behauptung, nur so könne dem
Deutsch-Österreich anhaftenden Unvermögen, sich selbst zu
versorgen, ernstlich abgeholfen werden. Die Industrie besorgt, daß sie im
Falle eines Anschlusses an das Deutsche Reich nicht konkurrenzfähig
bleiben werde. Noch andere "Österreicher" mögen wohl auch durch
ihre vormärzliche, durch gewisse Betätigungsformen unserer
reichsdeutschen [23] Brüder während des Krieges noch
verstärkte Abneigung wider alles Norddeutsche und besonders
Preußische sich dazu bestimmt fühlen.
Das Verhalten der neuen slawischen Nationalstaaten läßt heute schon
erkennen, was die Deutschen von ihnen zu erwarten haben. Sie alle drei, auch der
polnische, sind auf die politische Expansion gerichtet. Ihre Ausbreitung aber kann
nur auf Kosten des deutschen Besitzstandes vor sich gehen. Und wenn man in
Prag und in Laibach jetzt den Deutschen auch noch eine gerechte Behandlung und
selbst nationale Autonomie in Aussicht stellt, so wird
dies - wenn überhaupt - doch nur in Grenzen geschehen, die
eben den Slawen als die richtigen oder gerechten erscheinen. Wie wenig diese sich
aber mit den von den Deutschen seit langer Zeit tapfer verteidigten Gemarkungen
decken, lehren die ganz unerhörten Einbrüche der Slawen in die
deutschen Bezirke Böhmens nicht minder wie in Kärnten und
Südsteiermark.
Der Anschluß ans Deutsche Reich ist die natürliche Konsequenz der
Grundsätze, welche Wilson über das Recht nationaler
Selbstbestimmung gerade mit Rücksicht auf die Völker des alten
Österreich-Ungarn aufgestellt hat. Uns kann ein Friede der Gerechtigkeit
unmöglich verweigern, was für alle anderen Teile der ehemaligen
Habsburgermonarchie als billig erklärt worden ist. Auch England und
Italien werden dies anerkennen, und selbst in Frankreich haben sich bereits
Stimmen erhoben, die Clémenceaus Einspruch dagegen als unberechtigt
erklären.
Der Anschluß an Deutschland vollendet nicht nur die bisher noch immer
unvollkommene nationale Vereinigung der Deutschen, er schützt den von
allen Seiten her durch den slawischen Landhunger schwer bedrohten deutschen
Besitzstand vor der sonst unvermeidlichen Abbröckelung und Zersetzung,
er bietet aber auch positiv das sichere Unterpfand für das kulturelle und
wirtschaftliche Gedeihen
Deutsch-Österreichs in der weiteren Zukunft.
Im Rahmen einer "Donauföderation" würde gerade die
wirtschaftliche Abhängigkeit von den die Majorität besitzenden
völkischen Gegnern uns zu fortgesetzten Konzessionen nationaler Art
zwingen. Wir Deutsche wollen nicht künstlich forterhalten, was das alte
Österreich gerne losgeworden wäre, wir wollen nicht einen
Krankheitskeim züchten, der die bisherige Donaumonarchie umgebracht
hat...
Aequam memento rebus in arduis servare mentem!** Was die anderen
Nationalstaaten uns gegenüber heute so mächtig erscheinen
läßt, wird ihnen nicht dauernden Vorrang sichern. Denn ist einmal die
Not des [24] Augenblicks vorüber, dann werden auch
sie wirtschaftlich auf die Nachbarstaaten als Absatzgebiete für ihre
Erzeugnisse wirtschaftlich angewiesen sein, ohne daß ihnen diese ihre
vielfach gleichartig produzierenden nationalen Bündner werden bieten
können.
Für uns Deutsch-Österreicher aber wird die reichsdeutsche
Landwirtschaft, werden das reichsdeutsche Kapital und die reichsdeutsche Kohle
eine wirtschaftliche Rückendeckung und der reichsdeutsche
Unternehmungsgeist der Ansporn zu neuem Aufschwung sein, ohne daß wir
dafür große nationale Opfer an unsere völkischen Gegner
wieder bringen müssen.
Gerade wenn wir nicht in die slawische Laube gehen, wird auch Italien mit sich
reden lassen, wo großzügigere Politiker schon heute einsehen,
daß die Zukunft ihres Staates nicht durch Überspannung der
Forderungen nach
deutsch-tiroler Gebieten gesichert werde - was nur eine gefährliche
Irredenta schaffen
müßte -, sondern durch die Aufstellung einer
deutsch-italienischen Einheitsfront, die sich gegen den gemeinsamen Feind im
Osten wendet.
Es ist Sache einer vorschauenden Realpolitik, nicht engherzig in alten Vorurteilen
stecken zu bleiben. Auch der Feind von gestern kann, sind einmal die alten
Streitobjekte durch die neue politische Konstellation ausgeschaltet, in Zukunft
vermöge gleicher Interessen zu einem wertvollen Bundesgenossen
werden.
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