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Dr. Erwin Stransky
Universitätsprofessor
Mahnworte eines deutsch-österreichischen
Arztes
Eigentlich ist es beschämend, daß es Deutsche gibt oder solche, die
sich so nennen, für die der
Anschluß Deutsch-Österreichs an Deutschland eine Frage
bedeutet: für jedes andere Volk in gleicher Lage wäre solcher
Zusammenschluß Selbstverständlichkeit; bei uns hingegen
sind es leider immer zu viele, viel zu viele, denen das Selbstverständliche
Kopfzerbrechen macht.
So gibt's denn auch deutsche Ärzte, die nicht sehen können
oder nicht sehen wollen. Und doch: gerade der Arzt wäre der Berufensten
einer, seinem Volke den Weg ins Freie zu weisen, es herauszuführen aus
dem Dickicht des Vorurteils und der Verblendung.
Vor allem: Des Arztes wäre es, durch alle Wolken und Wolkenschiebereien
der Gegenwart hindurch zu erkennen, um wie vieles schärfer wohl, doch
auch reiner und gesünder die Luft in Deutschland ist, als sie je in unserem
vergangenen Staate geweht, dem gerade
wir - weiß Gott - die Treue gehalten haben bis zu seinem letzten Atemzuge,
wofür er
uns Deutsch-Österreicher und nur uns letztwillig mit allem
Schlimmen dankte, im Verscheiden noch Wohltat auf Wohltat,
überkommenem Brauche nach, den Slawen und nur den Slawen
auf unsere Kosten erweisend...! Sollen wir nun, da die alte Monarchie
das Zeitliche gesegnet, uns, gerade uns dazu hergeben, aufs neue den Jammer des
Nationalitätenkäfigs zusammenzuleimen mit seinen endlosen
Sprachenquerelen, mit all den Nutznießern, die, im Trüben fischend,
davon zehren auf unsere Kosten, mit all den Wursteleien, Durchstechereien und
Kompromisseleien, wie sie als echte und rechte Sumpfgewächse
morastigem Boden mit Notwendigkeit entsprießen? Sollen wir Ärzte
nicht vielmehr daran arbeiten, daß unser Volk das fest Land des
reinen Nationalstaates gewinne, auf daß nicht aus
Nationalität zuletzt Bestialität werde, auf daß der ewig
unfruchtbare Sprachenhader ein Ende nehme, auf daß nicht endlos auf
sinnlosen Völkerstreit kostbare Kräfte vergeudet, auf daß die
Bahn frei werde für wirkliche Kulturaufgaben, für die
Gesundung des öffentlichen Geistes und für den
ungestörten Aufbau der leiblichen Wiedergenesung unseres
Volkes, deren es nach diesen Jahren des Grauens dringender denn je bedarf?
[7] Immer wieder kommen uns die aus nackter,
politisch oder materiell bedingter Eigensucht verbissenen Feinde des so
natürlich gegebenen Zusammenschlusses aller Deutschen mit dem
lockenden Bilde der Schweiz, um uns weiszumachen, daß Deutsche
angeblich auch außerhalb der Volksgemeinschaft glücklich zu sein
vermögen. Welch hinkender Vergleich!
Der Schweizer-Deutsche fühlt sich seit Jahrhunderten schon,
verschwindende Ausnahmen abgerechnet, nicht als Deutscher,
der Deutsch-Österreicher hegt seiner überwiegenden Mehrheit nach
ein in den breiten Massen wohl mehr instinktives, doch unleugbares deutsches
Nationalgefühl! Zweifler hätten die Wiener Badenitage des
Novembers 1897 miterleben sollen und sehen und hören müssen, wie
gewaltig dazumal in dem sonst
so harmlos-gemütlichen Urwiener das deutsche Volksgefühl sich
bäumte und schäumte! Glaubt man aber, das selbst nur
"wirtschaftliche" Zusammengespanntsein mit so sehr nationalistisch strebenden
Völkern, wie es zumal die Tschechoslawen sind,
werde Deutsch-Österreich fürderhin nationale Reibungen ersparen?
Und ist es erlaubt, Teile alter, saturierter Kulturrassen, wie's doch die welschen
Schweizer - noch dazu als Minderheit einer duldsam-friedfertigen deutschen
Mehrheit
gegenüberstehend - sind, gleichzuwerten dem unduldsamen
Ungestüm einer slawischen Mehrheit, deren völkischem und
wirtschaftlichem Zwange das deutsche Volk in Österreich hilflos
preisgegeben wäre ohne den staatlichen Anschluß an die deutschen
Bruderstämme?
Nun aber, Kollegen: Wohin soll denn der Überschuß an
Ärzten, der heute mehr denn je
in Deutsch-Österreich sich staut, abfließen, wenn es vereinsamt
bliebe oder gar dem unseligen Sirenensang der "Donaubündlerei" in die
Falle ginge? Ausgeschlossen ist es ja, daß dann selbst uns Ärzten die
Tür offen stünde in die nichtdeutschen Zollbundstaaten;
flüchten doch jetzt schon scharenweise Ärzte und andere
Intellektuelle deutscher Zunge zu uns, ins ohnehin
übervolle Deutsch-Österreich hinein! Kein Wunder auch: im
alten Österreich-Ungarn schon hatten die anderen Völker einen
nationalen Grenzschutz aufgerichtet für die freien Intelligenzberufe, davon
vor allem gerade wir deutschen Ärzte ein traurig Lied zu singen wissen!
Was galt da Kenntnis, was galt da Kunst und Wissenschaft, was selbst
Beherrschung slawischer Sprachen in Wort und Schrift! Vy jste Cech?
Wer diese Frage mit "Ja" beantworten durfte, dem
öffneten sich die Schranken; wer dieses Schibolethsexamen nicht bestand,
dem nützte nicht ernstestes, ehrlichstes Können, der blieb am Wege
liegen! [8] So war's schon ehedem; und nun gar jetzt, wo alle
diese vorher bloß halbautonomen Völker zu mächtigen
Staatengebilden emporgewachsen sind! Glaubt ihr, Kollegen, ein einziger von
euch könnte je fortab in slawischen Landen leben und wirken, es sei denn
um den Preis
tätiger - sehr tätiger! - "Reue" ob seiner deutschen
Muttersprache? Kennet ihr nicht zur Genüge die unerbittliche Strenge, mit
der - von seinem Standpunkte aus mit Fug! - der Slawe es
heischt, den argwöhnischen Eifer, mit dem er darüber wacht,
daß, wer mit ihm und von ihm lebt, zu ihm sich auch bekenne,
voll, ganz und uneingeschränkt?
Wer also von euch sein Deutschtum nicht aufgeben mag, noch aufgeben kann,
wenn er's selbst wollte, für den gibt's nur ein breites Hinterland:
Deutschland! Dahin werden zweifelsohne, sowie mit vollzogenem
Anschlusse die bisher bestandenen Schranken gefallen sein werden, viele bisher in
der drangvoll-fürchterlichen Enge unserer Heimat verkümmernden
Intelligenzen, Ärzte vor allem abwandern, dort wird sich ihnen ein weites
Land fruchtbringender Arbeit eröffnen, dort werden sie einen Boden finden,
der ein klassischer genannt werden darf für jegliche Art ernsten,
tüchtigen Wirkens und Strebens! Und Deutschland braucht
Ärzte, braucht sie noch immerzu, braucht sie mit seinem Reichtum an
Städten, Betrieben, Anstalten, Kliniken, Hospitälern sonder Zahl, mit
seiner gerade nach Krieg und Krise zuversichtlich zu allererst
nach Erneuerung, nach Vervollkommnung schreienden Fürsorge für
Volkswohlfahrt und Volksgesundheit, diese teuersten, unersetzbarsten,
unveräußerlichsten Güter der Nation! Da wird es kein Sparen
geben können noch dürfen, da wird also, weil die Natur der
Dinge es verlangt, ein Feld sein für den Arzt, ein weiteres,
breiteres heute gerade denn je zuvor! Der österreichische Arzt
aber wird, dank seiner freien, natürlichen Menschlichkeit, dank seinem
traditionellen Können, im Reiche draußen ganz gewiß die
übelste Figur nicht machen!
Freilich, auch an die Entscheidenden im Reiche draußen sei ein
freimütiges Wort gerichtet, ihnen vor allem gilt mein Mahnruf: seid
weitherzig, seid großherzig, lasset das Wägen, das
Rechnen, das Klügeln, öffnet eure Tore, wehret nicht den
Österreichern, die ihr Lebensschifflein in den Hafen Deutschlands
hineinsteuern, und also auch
nicht Deutsch-Österreichs Ärzten daselbst den Ankergrund!
Begrüßet sie vielmehr, breitet eure Arme aus, freuet euch, wenn
manche künftig in eurem Hause wie in ihrem [9] eigenen wohnen wollen, sei es selbst, daß
ihr drum etwas enger zusammenrücken müßtet!
Keine durchschlagendere Abfuhr wüßte ich für jene, so bei
uns daheim ob "preußischer" Kaltherzigkeit, "preußischer"
Rücksichtslosigkeit, "preußischer" Schnodderigkeit
mißtönende Unkenrufe ertönen lassen wollen, als wenn gerade
ihr "Preußen" durch weithin sichtbare, herzhafte und herzliche Tat
beweisen würdet, wie ihr
den Deutsch-Österreicher als euren Bruder aufnehmen wolltet in
allem und in jedem! Denn nicht nur unser ist alle Schuld, wenn
es Bedenkliche gibt, wenn der Anschluß an euch zur "Frage" zu werden
droht, viel Schuld liegt auch gerade bei euch Reichsdeutschen! Ihr seid
zu kühl, zu hart, zu abweisend, ihr knausert und knickert und rechnet, wo
nur das Herz, die Herzenswärme allein zu sprechen ein Recht besitzt! Ihr
lasset es fehlen an jenem sinnenberauschenden, herzengewinnenden,
seelenhinreißenden Schwang und Schwung des Temperamentes, damit der
Romane, damit der Slawe sich Menschen und Welten erobert hat! Ihr dürfet
den Deutsch-Österreicher, der im weiten Deutschen Reiche sich
häuslich niederlassen will, nicht scheel und mißmutig anknurren,
weil er an
eurem - ach! - nun sehr bescheiden gedeckten Tische teilhaben möchte: ihr
müsset denken, daß er's wohl nicht täte, wäre nicht bei
ihm daheim Schmalhans öfter noch Küchenmeister als bei euch
selbst in mageren Zeiten! Nein, mit Herz und Hand müsset ihr ihn bei euch
wie einen lange entfremdet gewesenen, und doch wie euren Bruder
aufnehmen, müsset ihm gerade drum eher den Vorzugsplatz
gönnen statt ihm den Platz zu neiden, will er doch in schwerster Zeit,
gleißender Lockung zum Trotz, zu eurer Gemeinschaft sich bekennen!
Da darf es kein Kritteln geben, kein Nörgeln noch mattherziges Bedenken!
Dem Österreicher, also auch dem österreichischen Arzte, der ins
Reich hinaus mag, Platz und freie Bahn! Das muß eure Parole sein! Denket
daran, wie Frankreich die Elsässer, wie Italien die Welschtiroler gehegt und
gehätschelt hat, wie jedem, der aus "unerlöstem" Lande ins
"Mutterland" kam, alle Tore dort geöffnet standen, ohne
kleinliche Bedenken, ohne engherzige Mißgunst, ohne unschönen
Brotneid! Und welch reichen Zins hat solch großherziges,
großzügiges Wohltun getragen! Habt nun ihr Reichsdeutsche es
immer so gehalten mit den deutschen Brüdern aus Österreich? Ja,
für das
amtliche Österreich-Ungarn, da gabt ihr euer bestes Blut in
Strömen hin: für eure deutschen Brüder in
Österreich aber hattet ihr nur zu oft nichts als hochfahrende
Abweisung, hoffärtige [10] Geringschätzung, sofern ihr nicht an ihnen
gar euren Unmut über ihre Regierenden ausließet, an ihnen, die doch
selber die Bedrücktesten in ihrem Lande waren! Das muß, nach
vollzogenem Anschluß, anders werden, und an euch liegt es vor
allem, daß es anders werde!
Schon heute aber lasset, Reichsdeutsche, den Ruf erschallen, laut und weithin
vernehmbar, daß von Stund an, wo unser Anschluß an euch
vollzogen, nach Recht und Billigkeit das ganze Deutschland
uneingeschränkt auch dem deutschen Österreicher
gehören, daß kein deutscher Österreicher, also auch kein
Arzt
Deutsch-Österreichs, der an Deutschlands Pforte pochen werde, sie je
verschlossen finden würde noch könnte; daß er vielmehr, wo
immer im weiten Deutschland er sich niederlassen wollte, als gern gesehener,
freudig begrüßter
Haus- und Heimatgenosse brüderlichen Willkommens sicher
wäre!
Dann wird es uns, die wir hierzulande für den Zusammenschluß
streiten und ringen, wohl ein Leichtes werden, die, welche noch säumig,
schwankend, zweifelnd am Kreuzweg stehen, auf den rechten Pfad zu
führen, auf den einzigen Pfad, auf dem vorwärts zu schreiten gerade
uns Ärzten
Deutsch-Österreichs frommt und ziemt, auf die Straße nach
Großdeutschland!
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