Architekt Otto Wagner
Wien
Als das alte, durch deutsche Arbeit und deutschen Geist geschaffene
Österreich an jenen trüben Oktobertagen des vergangenen Jahres
zusammenbrach, als die Ideen und Überlieferungen unzähliger
Generationen in wenigen Stunden vernichtet waren und eine lethargische
Teilnahmlosigkeit sich aller Schichten des
deutsch-österreichischen Volkes zu bemächtigen drohte, war es nur
ein Gedanke, der uns aufrecht hielt, nur ein Gedanke, der uns eine bessere, eine
schönere Zukunft verhieß: der große, befreiende Gedanke des
endlich möglichen Anschlusses an das deutsche Volk. Am 12. November
v. J. erklärten denn auch die deutschen Abgeordneten des
zerschlagenen österreichischen Reichsrats, als Nationalversammlung
konstituiert, einstimmig
Deutsch-Österreich als Bestandteil der großen deutschen
Republik.
[11] Wir österreichische Deutsche sind ja mit
dem Deutschen Reiche von jeher in geistiger Verbindung gewesen. Daran hat
weder die Verzichtleistung Franz I. auf die
deutsche Kaiserkrone noch Königgrätz etwas zu ändern
vermocht, aber ein schwerer Schaden für das deutsche Volk in
Österreich war diese künstliche Trennung doch. Der üble
Einfluß der weit tiefer stehenden Kultur unserer slawischen, madjarischen
und romanischen Nachbarn wird von nun an ausgeschaltet sein, die geistigen
Beziehungen aber zwischen
Nord- und Süddeutschen um so inniger, um so anregender, um so fruchtbarer.
Religiöse und dynastische Vorurteile haben aufgehört, die
deutschen Stämme zu trennen oder zu entzweien. Es wird nur ein
gemeinsames Band geben, das sie alle umfaßt, das Band der
Interessen- und Schicksalsgemeinschaft aller Deutschen. Darum fordern wir aber
auch das Selbstbestimmungsrecht der Völker für alle deutschen
Siedelungen, restlos und ohne Einschränkungen. Nur wenn auch dem
deutschen Volke Gerechtigkeit zuteil wird, aber auch nur dann, wird es keinen
Zündstoff für zukünftige Kriege mehr geben. Dann
können wir auch auf einen Völkerfrühling hoffen, dann wird
auch dieser furchtbarste aller Kriege nicht umsonst gewesen sein.
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