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Bd. 9: Das Deutsche Reich
und die Vorgeschichte des Weltkrieges, Erster Teil


Hermann Oncken, ord. Professor an der Universität Berlin

Kapitel 2: Das Deutsche Reich
unter der Staatsleitung Bismarcks 1871 - 1890
  (Forts.)

5. Europäische Hochspannung in den letzten Jahren der Staatsleitung Bismarcks (1885 - 1890).   (Forts.)

So war die Weltlage beschaffen, der die noch vor kurzem hegemonisch führende Politik Bismarcks zu begegnen hatte. Nur ein kompliziertes System von politischen Methoden konnte der Vielfältigkeit der Aufgabe begegnen. Es galt zunächst, sowohl in Rußland, als auch in Frankreich, das friedlichere Element gegen das kriegerische zu stützen, namentlich die beiden kriegerischen Flügel, von denen der eine nur gegen Österreich, der andere nur gegen Deutschland gerichtet war, vor einem Ineinanderaufgehen mit aller Kraft und Klugheit zu bewahren. Zu diesem Zwecke mußte er vor allen Dingen die enthaltsame Friedenspolitik im Orient weiterführen, um die Fühlung mit dem Zaren nicht zu verlieren. Aber er mußte gleichzeitig mit der Möglichkeit rechnen, daß das trotz aller Opfer undurchführbar sein werde: für diesen Fall galt es - da die französische Revanche den eigentlichen Auftrieb für die russischen Kriegsgelüste lieferte -, der Abwehrkraft die Hauptfront gegen Westen zu geben, damit auch die friedlichen Franzosen den Ernst der Lage erkannten. Schließlich war der Dreibund zu befestigen und zu vertiefen, zumal in seiner Aktionskraft nach Westen, und womöglich, ohne neues Risiko für die deutsche Politik, zu verlängern. Alle diese Mittel greifen ineinander, dienen einem Zwecke und sind als Einheit zu würdigen. Nimmt man die einzelnen Linien für sich heraus, so gerät man leicht in Gefahr, sich scheinbar widersprechende Teile in der Hand zu halten: man darf über den Einzelheiten, die kommen und gehen, niemals die ihnen übergeordnete politische Gesamtidee aus den Augen verlieren.

Die erste der von Bismarck betriebenen Maßnahmen war die Verstärkung des deutschen Heeres. Er hatte zu Beginn des Jahres einige technische Vermehrungen des Heeres zurückstellen lassen, um mit der Erneuerung des Septennats bis zu dessen ordnungsmäßigem Ablauf (31. März 1888) zu warten. Jetzt setzte er, unter persönlichem Eingreifen bei den militärischen Instanzen, durch, daß eine neue, ausgedehntere Wehrvorlage mit Rücksicht auf die gefährdetere [306] politische Lage noch vor Ablauf des Septennats eingebracht wurde, damit die Verstärkungen schon zum 1. April 1887 in Kraft treten konnten. Der Entwurf, der dem zum 25. November berufenen Reichstage vorgelegt wurde, sah nur eine Erhöhung der Präsenzstärke um 42 000 Mann (von 427 274 auf 468 409) vor, die auf Grund des Satzes von 1% der Zählung von 1885 angepaßt war. Diese Erhöhung konnte sich darauf berufen, daß Frankreich, wo die Friedenspräsenzstärke im Jahre 1886 schon auf 471 811 Mann gesteigert worden war, trotz seiner geringeren Einwohnerzahl die Rüstung schon erheblich weitergetrieben hatte. Während in Deutschland im laufenden Jahre die Ausgaben für die Kriegsmacht (Heer und Marine) 446 Millionen Mark betrugen, für den Kopf der Bevölkerung 9,53 Mark, wurden in Frankreich für diesen Zweck bereits 826 Millionen Mark, also 21,57 Mark für den Kopf, verausgabt. Wenn man also beklagt, daß von diesem Augenblicke an das Wettrüsten in Europa in ein neues Stadium trat, so muß man zugleich feststellen, daß Frankreich darin vorangegangen war und daß das militaristische Deutschland ihm nur unter dem mächtigen Zwang der Weltlage nachgefolgt ist. Es war nicht etwa ein wachsender Angriffswille,36 sondern das Gebot der Selbsterhaltung in der Defensive, das die Heeresverstärkung forderte.

Wer in die innersten Beweggründe Bismarcks eindringen will, tut gut, nicht nur einen Blick in seine diplomatischen Weisungen und seine öffentlichen Reden in diesen Wochen zu werfen: man könnte ja einwenden, daß die politische Berechnung hier überwiege. Wir halten auch seinen ganzen vertraulichen Briefwechsel mit dem preußischen Kriegsminister Bronsart von Schellendorf37 über die Heeresvorlage in Händen. Nirgends erklingt ein Ton der Kriegslust oder auch nur verborgener kriegerischer Absichten. Wohl aber bricht die tiefe Sorge durch seine Betrachtungen. Er war jetzt für die Einführung eines kleinkalibrigen Gewehrs und machte gegen die Neigung des Kriegsministers, so tiefgreifende Änderungen für ein Retablissement nach dem nächsten großen Kriege in Aussicht zu nehmen, den Gedanken geltend, daß die Hoffnung, in dem nächsten großen Kriege Sieger zu bleiben, doch nicht verbürgt sei. Und so entwickelte er, am Weihnachtsabend 1886, ein Zukunftsbild, das die Unbeirrbarkeit seines prophetischen Blickes auch gegenüber dunklen Gefahren bewährte: "Aber wenn diese Hoffnung eine Täuschung wäre, wenn wir nach Gottes Willen im nächsten Kriege unterliegen sollten, so halte ich das für zweifellos, daß unsere siegreichen Gegner jedes Mittel anwenden würden, um zu verhindern, daß wir jemals oder doch im nächsten Menschenalter wieder auf eigene Beine kommen, ähnlich [307] wie im Jahre 1807. Die Aussicht, uns aus unserer damaligen Ohnmacht bis zur Lage von 1814 wieder emporzuarbeiten, wäre eine sehr geringe gewesen, ohne die unberechenbare und von uns unabhängige Vernichtung der großen französischen Armee durch den russischen Winter und ohne den Beistand Rußlands, Österreichs und Englands. Daß wir auf letzteren wiederum rechnen können, nachdem diese Mächte gesehen haben, wie stark ein einiges Deutschland ist, hat wenig Wahrscheinlichkeit. Nicht einmal auf das einige Zusammenhalten des jetzigen Deutschen Reiches würden wir nach einem unglücklichen Feldzuge rechnen können."

Von dieser Prophezeiung ist heute der über alles Maß getriebene gegnerische Wille, uns nicht wieder aufkommen zu lassen, vor aller Welt erwiesen worden; und nicht minder ist eingetroffen, daß wir auf Hilfe anderer bei einem neuen Aufstieg nicht würden rechnen können. Nur das einige Zusammenhalten des Reiches, die innere Kraft seiner eigenen Schöpfung hat sich als stärker erwiesen, als die Sorge des Kanzlers in dunkler Stunde ahnte. Aber wie dem auch sei, diese innerste Stimmung verrät unwidersprechlich, wie wenig das Verantwortungsgefühl Bismarcks gemein hat mit der kriegerischen Herausforderungslust, die ihm die Franzosen damals andichteten. Dafür rechnet sein Wirklichkeitssinn mit dem wahrscheinlichen Vernichtungswillen, der in diesem Europa, für den Fall des Streites, unter der Oberfläche verborgen war.

Mit der Objektivität einer wissenschaftlichen Untersuchung wog er in demselben Schreiben die Kriegs- und Friedenschance in der damaligen Weltlage ab: "Frankreich wird sicher losschlagen, sobald es der russischen Anlehnung sicher ist. Ich sage Anlehnung und nicht Bündnis, und verstehe darunter eventuell eine Zusage Rußlands, den Franzosen aktiv oder demonstrativ gegen uns beizustehen, im Falle es ihnen wieder schlecht gehen sollte, gewissermaßen »mise freies Spiel« für Frankreich. Bisher liegt keine Befürchtung vor, daß der Kaiser von Rußland dazu geneigt sei, aber wer den kaiserlichen Einfluß übt, ob Alexander III. oder Katkow, ist eine Frage, die sich aufwerfen läßt. Solange die jetzige Haltung Rußlands bleibt, wird Frankreich uns mit berechneter Überlegung nicht angreifen, aber Berechnung und Überlegung können leicht in die Brüche gehen, wenn solche Verlegenheiten der Republik, wie der jüngste Regierungswechsel, sich wiederholen und Boulanger dreist genug ist, die Verlegenheit aller anderen zu benutzen, um sich in der leitenden Rolle, unter Ablenkung des Zündstoffes nach außen, zu versuchen."

Die nächste, zur gleichen Zeit ergriffene Aufgabe war die Erneuerung und Befestigung des Dreibundes. Man stand hier vor einer doppelten Aufgabe. Einmal mußte, wenn irgend möglich, dem Österreicher ein Äquivalent dafür beschafft werden, daß er, der sich ohnehin in seiner Bündniserwartung verkürzt sah, durch die französische Bedrohung des wesentlichsten Teiles der deutschen Beihilfe im Osten beraubt wurde. Sodann mußte der Versuch gemacht werden, die Ita- [308] liener, die bisher eine ziemlich passive Rolle im Dreibund gespielt hatten, als einen aktiveren Faktor einzusetzen.

In der ersten Frage lag es nahe, der englischen Politik, die in Bulgarien so eng mit den österreichischen Interessen zusammenging, auch einen Teil der Verantwortlichkeit zuzuschieben. In London aber hieß es, man könne sich an Österreich mit der Tat nur anschließen, wenn man die moralische Unterstützung Deutschlands habe. Bismarck war zu einer gewissen Ermutigung Englands schon bereit, aber er konnte sie nicht im Osten selber geben, weil er unter allen Umständen vermeiden wollte, sich durch Balkanfragen in einen Krieg mit Rußland verwickeln zu lassen. Wohl aber konnte er eine Bindung im Westen eingehen. In diesem Sinne ließ er am 27. November die Engländer wissen: "Wir würden einen gefährlichen Angriff Frankreichs auf England nicht zulassen können. Jede ernste Gefahr, die England durch Frankreich drohen würde, würde heute so gut wie bei Waterloo uns in den Kampf ziehen." Churchills Antwort lautete: "Wenn Österreich unter stillschweigender Billigung (connivence) Deutschlands eine entschiedene Stellung im Orient einnehmen wollte, werde England mitgehen und seine ganze Macht in die Waagschale werfen... Zwischen England und Österreich werde die Verständigung jeden Tag und ohne Schwierigkeit zustande kommen, sobald Bismarck sie für wünschenswert hielte und fördern wollte." Der Ansatzpunkt war gegeben, und Churchill übernahm sich bereits in starken Wendungen gegen den gemeinsamen Feind Frankreich: man würde keine Ruhe haben, bis er nicht völlig vernichtet sei.38 Aber Bismarck wollte es vermeiden, in irgendeiner Form sich für die österreichische Politik verbindlich zu machen, und wartete einen günstigeren Augenblick der inzwischen im Flusse befindlichen Dreibundverhandlungen ab, um das Band zwischen Wien und London, ohne selber dabei hervorzutreten, fester zu ziehen.

Die Italiener hatten schon im Vorjahre, bei der ersten Anregung zur Erneuerung, angedeutet, daß sie den Wunsch hätten, das Bündnis "intimer" und "positiver" zu gestalten. Nachdem im Oktober 1886 die Verhandlungen über die Verlängerung des Dreibundes begonnen, regte der italienische Ministerpräsident Graf Robilant wiederum an, in diesem Falle auch gewisse Mittelmeerinteressen Italiens und seine Zuziehung zu Balkanfragen vertragsmäßig zu berücksichtigen. Man fühlte sich begehrter und auch von Frankreich umworben. Auch für Bismarck war der Italiener, infolge des Ansteigens des französischen Chauvinismus, wertvoller geworden: anders als früher und als noch in Gastein verabredet war, zeigte er sich nicht abgeneigt, dem Italiener entgegenzukommen und das Band fester zu ziehen. Der am 1. Dezember 1886 vorgelegte italienische Vertragsentwurf brachte allerdings keine geringe Erweiterung; er bezog die Aufrechterhaltung des Status quo auf dem Balkan ein und wollte etwaige Veränderungen von einem vorgängigen Abkommen mit Österreich abhängig gemacht [309] sehen; vor allem sollte für den Fall, daß es wegen der Mittelmeerfragen (Tripolis oder auch Marokko) zu einem Kriegszustand zwischen Frankreich und Italien käme, das Eintreten des casus foederis stipuliert werden. Zugleich ließ man wissen, daß man größere Truppenmassen nicht nur an der französischen Grenze, sondern auch auf anderen Kriegsschauplätzen zur Verfügung halte. Der italienische Machtwille, der die Weltlage seinen Träumen günstiger werden sah, drängte sich stürmisch und nichts weniger als kriegsscheu herzu. Bismarck erklärte den Entwurf für annehmbar und empfahl den österreichischen Staatsmännern mit Nachdruck eine wohlwollende Prüfung; er ging dabei von dem Gesichtspunkt aus, "daß wir einem französisch-italienischen Kriege doch nicht untätig würden zusehen können, und daß somit der Anlaß zu einem solchen, wenn er einmal ausgebrochen sein sollte, für den Eintritt des casus foederis irrelevant sein dürfte." Als Kálnoky Bedenken gegen das ungleiche Verhältnis der Verpflichtung und Leistung geltend machte, erwiderte er mit realistischer Einschätzung des dritten Partners, daß das Maß der Leistungen Italiens wesentlich von seinem Interesse zur Sache abhängen würde. Die eingehenden Abänderungsvorschläge, die Kálnoky am 20. Dezember vorlegte, zeigten jedoch, daß man in Wien gegen die orientalischen Hoffnungen Italiens mißtrauisch und zugeknöpft blieb. Es ließ sich nicht mehr verkennen, daß die beiden Bündnispartner Deutschland und Österreich-Ungarn bei ihrer verschiedenen Interessenrichtung auch in der Bewertung des italienischen Partners auseinandergingen. Eine Randbemerkung Bismarcks vom 3. Januar 1887 formulierte den Tatbestand: "Unser Interesse bringt mit sich: Beistand Italiens für uns gegen Frankreich, und für Österreich gegen Rußland, und keine Ausdehnung unserer Pflichten gegen Österreich, so lange dort Parlament, Presse und ungarischer Chauvinismus in heutiger Kraft bleiben; eventuell als pis aller Abschluß mit Italien zu 2, nur gegen Frankreich, und wohlwollende Neutralität Italiens bei österreichisch-russischen Händeln, die ohne uns möglich sind, sobald sie nur Balkan, nicht Österreich direkt betreffen. Daß auch in solchen Händeln Österreich durch Italiens und eventuell Englands Beistand möglichst stark sei, ist unser Interesse."39 Hier sind schon die Gesichtspunkte angedeutet, aus denen sich dann im Laufe des Januar die Verlängerung und Ausgestaltung des Dreibundes ergeben wird.

Während sich der neue Dreibund vorbereitete, war Bismarck gleichzeitig bemüht, den Draht nach Petersburg nicht abreißen zu lassen, sondern neu zu befestigen. Die Zunahme der russisch-österreichischen Spannung erforderte seine höchste Kunst. Am 13. November vertrat Graf Kálnoky in den Delegationen eine Auffassung der bulgarischen Frage und eine Beurteilung der russischen Maßregeln in Bulgarien, die in Petersburg maßlose Empörung erregte. "Aller Haß richtet sich gegen Österreich", gestand selbst der maßvolle Herr von Giers. Nirgends konnte man sich mehr verhehlen, daß das Dreikaiserbündnis, das selbst Bismarck [310] seit einiger Zeit nur noch als Dreikaiser-Entente bezeichnete, der Vergangenheit angehörte. Schon wagte Katkow anzukündigen, daß Rußland über den Kopf Österreichs und Deutschlands hinweg einem sichereren Bundesgenossen die Hand reichen und im entscheidenden Augenblick nicht alleinstehen werde. Und der Widerhall aus Paris blieb nicht aus. Auf der anderen Seite scheute der ehemalige Ministerpräsident Andrássy sich nicht, gerade der Kombination des deutsch-österreichischen Bundes mit der Dreikaiser-Entente die Schuld an den geringen Früchten des Bündnisvertrages zu geben. Die Politik Bismarcks, die zu den Verträgen von 1881 und 1884 geführt hatte, war zerrissen, und es war die Frage, ob sich noch irgend etwas davon retten lasse.

An dem Tage vor dem Beginn der Heeresdebatte im Deutschen Reichstage hatte Bismarck die russische Zirkularnote über Bulgarien mit einer Note vom 2. Dezember 1886 beantwortet, die in förmlicher Weise anerkannte, daß die prinzipielle Haltung des Reiches durch die jüngsten Ereignisse in Bulgarien sich nicht geändert habe, und daraus den Schluß zog, daß die Kaiserliche Regierung weder den Beruf noch die Absicht habe, dem Bestreben der russischen Regierung nach Wiederherstellung ihres verfassungsmäßigen Einflusses entgegenzutreten. Diese absolute deutsche Enthaltsamkeit wurde, ohne jede Verschleierung, als die natürliche Folge der Weltlage bezeichnet, bei der die vorwiegende Aufgabe der deutschen Politik in der Sicherstellung des Reiches liege gegen die Angriffe, von denen die territoriale Sicherheit Deutschlands bedroht sein könne, "und auf die wir im Rückblick auf die mehr als 200jährige Geschichte unserer Beziehungen zu Frankreich und auf die Fortschritte der republikanischen und sozialistischen Bewegung in diesem Lande früher oder später gefaßt sein müssen". Es war die bestimmte Erklärung, daß die deutsche Politik den Russen freie Hand geben und Österreich nicht unterstützen werde, wenn es in Bulgarien Schwierigkeiten mache.40 Die Antwort war ein russisches amtliches Kommuniqué vom 15. Dezember, das die Zeitungsartikel über die russenfeindliche Haltung Deutschlands bedauerte und der Presse größere Vorsicht anempfahl. Da die gemessene Erklärung Österreich überhaupt nicht erwähnte, glaubte Schweinitz folgern zu müssen, daß von der Dreikaiser-Entente nicht mehr die Rede sein könne. Aber Bismarck gab noch nicht nach: "Warum nicht, es ist nicht unsere Aufgabe, diese Konsequenz zu ziehen. Wir müssen das Dreikaiserbündnis weiterspinnen, solange ein Faden dran ist".41

Er erwog jedes denkbare Mittel, um den Zugang zu dem persönlichen Vertrauen des Zaren zurückzugewinnen. Da er erfuhr, daß Alexander III. über die [311] historische Entwicklung der Vorgänge, die seinerzeit zum deutsch-österreichischen Bündnis geführt hatten, sehr unvollkommen unterrichtet war, so entwarf er eine längere Denkschrift (14. Dezember), von der er sich eine objektive Aufklärung versprach; und da Giers von einzelnen Wendungen fürchtete, daß sie den Unwillen des Zaren nur steigern würden, und deswegen die Denkschrift vorzulegen Bedenken trug, ließ Bismarck sie sogar entsprechend abändern, um den Erziehungsprozeß nicht scheitern zu lassen. In dieser, dem Selbstherrscher vorsichtig angepaßten Form wurde die Denkschrift am 4. Januar dem Zaren von Herrn v. Giers vorgelesen.42 Der Zar sträubte sich zwar gegen manche Wahrheiten der Vergangenheit, aber er schien einzusehen, daß eine russische Annäherung an Frankreich notgedrungen dazu führen müsse, die Beziehungen des Deutschen Reiches zu den übrigen europäischen Mächten enger zu gestalten. Es schien sogar, als ob man an diese Einsicht des Zaren wirklich werde anknüpfen können.

Am 6. Januar erschien Graf Peter Schuwalow, der Bruder des Berliner Botschafters, in einer besonderen Mission des Zaren in Berlin. Er hatte den Auftrag, von Kaiser Wilhelm ein Schreiben zu erwirken, in dem er als oberster Kriegsherr dem noch in der militärischen Rangliste geführten Battenberger die Rückkehr nach Bulgarien untersagen solle. Der Russe verband aber damit vertrauliche Eröffnungen, die sich nur als Einleitung einer neuen Verhandlung auffassen ließen. Er verbürgte sich nicht nur, daß der Zar niemals Deutschland angreifen werde, am wenigsten mit Frankreich; er äußerte sogar seine Überzeugung, daß sich innerhalb von 24 Stunden vom Zaren eine schriftlich bindende Erklärung in Form eines Vertrages erreichen lasse, daß er sich in französisch-deutsche Händel niemals einmischen werde, einerlei, ob Frankreich Deutschland angreifen werde oder auch im umgekehrten Falle; die einzige deutsche Gegenleistung - abgesehen von der Zurückhaltung in Bulgarien - würde in einer Erklärung zu bestehen haben, daß Deutschland Rußland nicht verhindern wolle, die "Schließung der Meerengen" zu erlangen.43 Es ist begreiflich, daß Bismarck, der gerade zu den Reichstagsverhandlungen in Berlin eintraf, diese Eröffnung mit hoher Genugtuung zur Kenntnis nahm; er veranlaßte Schuwalow, den Entwurf eines solchen Vertrages, der an die Stelle der nicht mehr haltbaren Dreikaiser-Entente werde zu treten haben, aufzusetzen, und ging in Erwartung dieser neuen Entwicklung zuversichtlich in den politischen Kampf. Schon glaubte er im Staatsministerium die Hoffnung aussprechen zu dürfen, es werde gelingen, den russischen Elefanten so zu leiten, daß er kein Unheil bei seinen täppischen Bewegungen anrichten könne.

[312] In dieser Stimmung hielt er am 11. Januar 1887 die große Rede zur Heeresvorlage, und von keiner seiner außenpolitischen Reichstagsreden kann man sagen, daß sie so viel berechnete Diplomatie enthalte. Das gilt natürlich nicht von ihren fundamentalen Thesen über das Wesen der deutschen Friedenspolitik: "Wir gehören zu den, wie der alte Fürst Metternich sagte, saturierten Staaten, wir haben keine Bedürfnisse, die wir durch das Schwert erkämpfen könnten"; es gilt ebensowenig von der grundsätzlichen Ablehnung des Präventivkrieges, von der Stellung des Reiches zu seinem westlichen Nachbarn und von seiner politischen Uninteressiertheit im Orient, die in dem durch diese Anwendung auf Bulgarien klassisch gewordenen Hamletzitat gipfelt: "Was ist ihm Hekuba." Wohl aber ist diplomatische Berechnung die Art, wie er die Kriegsgefahr des Augenblicks analysiert. Zur Überraschung der Welt erklärte er die Freundschaft mit Rußland als über jeden Zweifel erhaben und verzichtete damit auf alle Gründe, die aus einer russischen Gefahr zugunsten der Heeresvorlage entnommen werden konnten. Das alles lag auf der Linie der Politik Bismarcks, aber auf die optimistische Färbung seiner Worte wirkte doch auch die unmittelbar voraufgegangene Eröffnung Peter Schuwalows ein. Wie sehr er sich trotzdem bewußt blieb, daß er die Beziehungen zu Rußland günstiger dargestellt habe, als er sie in der Tat bewertete, beweist ein diplomatischer Erlaß der nächsten Wochen, der gleichsam einen authentischen negativen Kommentar zu diesem Teil der Rede enthält.44 Er war Realist genug, um sich zugleich alle inneren und äußeren Gründe zu vergegenwärtigen, die die Stimmung des Zaren wandeln könnten. Im Moment der Rede aber stand ihm das Ziel fest vor Augen, die Fühlung mit Petersburg wiederherzustellen, den Tatendrang der Ungarn zu ernüchtern45 und die Franzosen gründlich abzukühlen.

Aus diesen taktischen Gründen beleuchtete er die französische Gefahr auf das schärfste, als wenn sie die einzige wäre. In weit ausgreifendem Überblick ordnete er die deutsch-französischen Beziehungen in den geschichtlichen Prozeß ein, auf dessen Wiederaufnahme man vorbereitet sein müsse; er sprach von seinen gescheiterten Bemühungen, das Geschehene zum Vergessen zu bringen, und erklärte das Unterhalten und Schüren des feu sacré für im höchsten Grade bedenklich. Dem friedlichen französischen Bürger rief er zu: "Man spricht nicht von der Revanche, man spricht nur von der Befürchtung, von Deutschland angegriffen zu werden. Diese Befürchtung ist unwahr, und wer sie in Frankreich ausspricht, weiß, daß er die Unwahrheit sagt. Wir werden Frankreich nicht angreifen." Den Deutschen aber [313] malte er in ähnlichen Wendungen, wie er sie schon in dem Briefe an den Kriegsminister gebraucht hatte, die Folgen einer Niederlage aus: sie würden dieselben Franzosen sich gegenüberfinden, unter deren Herrschaft sie von 1807 - 1813 gelitten hätten, und die sie ausgepreßt hätten bis aufs Blut - wie die Franzosen sagen: saigner à blanc. Aus dieser geschichtlichen Erinnerung mochten sich dann auch die Franzosen das Ihre entnehmen.46

Die Beurteilung der Rede Bismarcks war in Wien sehr geteilt. Kálnoky machte dem Reichskanzler den Vorwurf, er habe durch die Präzisierung der Stellung Deutschlands die allgemeine Lage verschoben, während Bismarck für sich in Anspruch nahm, die Lage wieder richtiggestellt zu haben: die in Pest erfolgte russenfeindliche Verschiebung habe ihm die Aufgabe auferlegt, das Gleichgewicht der Beziehungen durch erhöhte Russenfreundschaft wiederherzustellen. Das war nicht unrichtig und doch auch nicht ganz die Wahrheit. Denn es ließ sich nicht leugnen, daß die Front des deutsch-österreichischen Bündnisses von 1879 von Bismarck gewaltsam nach Westen verlegt wurde, aber nicht um den Krieg auszulösen, sondern um ihn zu verhindern.

Der außenpolitische Machtkampf war zugleich ein innenpolitisches Ringen um die Macht im Staate geworden. Die parlamentarische Opposition hatte ursprünglich es sich zugetraut, wie Windthorst es ausdrückte, zunächst ein außenpolitisches Examen mit dem Reichskanzler anzustellen, aber sich dann doch wohl überzeugt, daß die Stunde dazu nicht geeignet sei. So beschränkte sie sich darauf, den vollen Umfang der Heeresvorlage zu bewilligen - "jeden Mann und jeden Groschen" - aber nur auf drei Jahre, d. h. sie machte den Versuch, das einst durch Kompromiß ausgeglichene Machtverhältnis zwischen Krone und Parlament zu ihren Gunsten zu verschieben. Auch damit wählte sie einen unglücklichen Anlaß zur Machtprobe, denn Bismarck war entschlossen, die Durchbrechung der bisherigen Praxis nicht zuzulassen. Wenn man auf der anderen Seite den Streit wollte, dann nahm er den Handschuh auf, ja, es reizte ihn, den parlamentarischen Gegner auf einem letzten Endes für ihn gefährlichen Kampffelde auflaufen zu lassen. Er fühlte, wie alle, schon den Schatten des Thronwechsels in das öffentliche Leben sich niedersenken und mußte alles daran setzen, einer solchen Möglichkeit mit dem sicheren Rückhalt eines zuverlässigen Reichstags gegenüberzutreten. Wenn er aber die Kronrechte gegen eine parlamentarische Verkürzung verteidigte, entfesselte er einen Kampf, in dem er zugleich die eigene politische Macht, auch einem neuen Träger der Krone gegenüber, verstärken konnte. Mit dem Vollgefühl eines [314] Kämpfers, der mehr als eine Abrechnung vor sich sah, löste er am 14. Januar 1887 den Reichstag auf.

Während der Wochen des Wahlkampfes stieg die Erregung immer höher: es war, als ob man vor dem Hereinbrechen eines ungeheuren Schicksals stünde. Auch in der deutschen und französischen Presse steigerte sich die Erregung gegenseitig. Man hörte von allen Arten französischer Vorbereitungsmaßregeln an der Grenze (weil man an einen deutschen Angriff glaubte), auch von Pferdeankäufen auf deutschem Gebiet, die von deutscher Seite mit einem Pferdeausfuhrverbot beantwortet wurden; einige Tage lief das Gerücht um, daß Bismarck sich an den preußischen Landtag mit einer großen Kreditanleihe wenden wolle. Die Skrupellosigkeit des Wahlkampfes übersteigerte manche Argumente, und Bismarck konnte sogar den taktischen Erfolg verzeichnen, daß es ihm gelang, die Autorität des Papstes gegen das Zentrum in Sachen des Septennats auszuspielen. So stieg die Spannung der europäischen Krisis immer höher.

Vergegenwärtigen wir uns zunächst den Verlauf, den in dieser Zeit die nach allen Seiten noch völlig im Fluß befindlichen Bündnisverhandlungen nahmen.

Da sollte sich zunächst herausstellen, daß die an die Mission des Grafen Peter Schuwalow geknüpften Hoffnungen verfrüht, wenn nicht gar eitel waren. Schuwalow hatte seine Instruktion weit überschritten und fand bei seiner Rückkehr nach Petersburg gar keine Neigung vor, auf seine Vorschläge einzugehen. Woche auf Woche verging, ohne daß eine Rückäußerung erfolgte, bis man sich in der ersten Hälfte des März mit dem Gedanken vertraut machte, daß das ganze Unternehmen gescheitert sei.47 Dafür mehrten sich die Anzeichen, daß der wankelmütige Zar mehr denn je den Einflüssen der Gegenseite verfallen sei und im Bann der slawophilen Argumentation stehe. Die Stellung von Giers schien erschüttert, der Einfluß von Katkow im Steigen. "Früher glaubte ich", sagte der Zar am 17. Januar zu seinem Minister, "das sei nur Katkow, aber ich habe mich überzeugt, daß dies ganz Rußland ist."48 Alexander III. glaubte an den deutsch-französischen Krieg49 und wollte ihn im russischen Interesse nicht verhindern; von beiden Seiten sich umworben fühlend, suchte er die Situation dadurch zu nutzen, [315] daß er den Franzosen in der Stille Ermunterungen zukommen ließ.50 Als der französische Botschafter Laboulaye ihm am 21. Januar seine Sorge vortrug, antwortete ihm der Zar - sehr gegen den Willen seines Außenministers und trotz seiner freundschaftlichen Versicherungen nach deutscher Seite - mit direkten Andeutungen, daß Frankreich bei ihm im Notfalle auch gegen Deutschland Unterstützung finden würde. Schon drang der Botschafter auch in Giers, er möge ihm eine klare und womöglich schriftliche Antwort zu geben, welche Haltung Rußland im Falle eines Krieges zwischen Frankreich und Deutschland einnehmen werde: werde es Frankreich moralisch unterstützen und Truppen an die deutsche Grenze werfen?51 Man ließ immerhin von russischer Seite die Mitteilung nach Berlin gelangen, daß man im Kriegsfalle Frankreich als Großmacht erhalten wissen wolle.52 Der deutsch-französische Krieg würde Rußland in die Hinterhand des europäischen Mächtespiels gebracht haben, darum tat man in Petersburg nichts, ihn zu verhindern, einiges ihn zu fördern und hüllte sich nach Berlin in tiefes Schweigen.53 Aus diesem russischen Verhalten schöpfte Boulanger die Kraft des Entschlusses, mit aller Energie auf den Krieg hinzuarbeiten.

Inzwischen aber gelang es Bismarck, den anderen Flügel seines Bündnissystems wieder unter Dach und Fach zu bringen. Wir sahen, daß sich dem Abschluß des Dreibundes in der von den Italienern vorgeschlagenen Form allerhand Schwierigkeiten in den Weg gestellt hatten. Am 16. Januar teilte Kálnoky, zur peinlichen Überraschung auch der deutschen Diplomatie, mit, daß Österreich statt des italienischen Vorschlags, den Bismarck sich angeeignet hatte, vorziehen werde, den Vertrag in der früheren Gestalt zu erneuern. Unter dem Eindrucke der Reichstagsrede Bismarcks und eines nahenden deutsch-französischen Krieges machte er geltend, daß Österreich keinen Mann im Osten entbehren könne; wenn man in Berlin sich so stark im Osten desinteressierte, wollte man in Wien keine neuen Verpflichtungen im Westen übernehmen. Daraufhin einigte Bismarck sich zunächst mit den Italienern über einen neuen Vorschlag: den alten Vertrag zu Dreien zu erneuern, dazu zwei Zusatzakte, eine mit Österreich, eine mit Deutschland zu vereinbaren; in der letzteren sollten die von Italien gewünschten Verpflichtungen allein von Deutschland übernommen werden. Er empfahl den [316] Österreichern dringend die Annahme dieses vermittelnden Vorschlages, indem er daran erinnerte, daß man das Bündnis mit Italien weniger des Beistandes gegen Frankreich halber erstrebe, als um Österreich im Falle eines russischen Angriffes die Sicherheit vor Italien im Rücken zu verschaffen. Er erreichte seinen Zweck, als Kálnoky am 12. Februar seine Zustimmung zu dem vorgeschlagenen Wege gab. Die formelle Erneuerung und Ergänzung des Dreibundvertrages erfolgte am 20. Februar 1887.

Aus dem schleppenden Gange dieser Verhandlungen hatte Bismarck immerhin den Schluß gezogen, daß noch ein weiteres Eisen in das Feuer zu legen sei, um die zwischen Österreich und Italien im Orient noch nicht erreichte engere Fühlung vermöge einer neuen Klammer herzustellen. So kam er auf den Gedanken, an dieser Stelle das englische Interesse einzuschieben, ohne das Maß der deutschen Verpflichtungen im Osten zu erhöhen. Schon längst hatte er im stillen erwogen, auf welche Weise für die österreichische Orientpolitik eine englische Rückendeckung beschafft werden könne; zugleich sagte er sich, daß die italienische Militärmacht ganz anders verwendbar sein würde, wenn sie im Bunde mit der englischen Seemacht aufträte. Da es ihm bisher nicht gelungen war, auf dem Wege über Wien eine Sicherstellung englischer Beihilfe im Orient herbeizuführen, schlug er den Weg über Rom ein. Indem er die Italiener ermutigte, eine Annäherung an England zu suchen, warf er das ganze Gewicht seiner Autorität zur Unterstützung dieses Versuches in die Waagschale. Am ersten Februar begab er sich persönlich zu dem englischen Botschafter Sir Edward Malet, um den Abschluß eines Abkommens mit Italien zu empfehlen.54 Da er die formelle Schwierigkeit für eine parlamentarische Regierung würdigte, riet er, die Verständigung nur für die Amtsdauer des gegenwärtigen Ministeriums anzustreben, und legte dem Mutterlande der public opinion um so mehr die Verpflichtung der Regierung ans Herz, in ihrem Sinne die öffentliche Meinung zu formen. "Sie ist nichts anderes, als ein aus einer Menge kleiner Flüsse gebildeter Fluß, deren einer die Regierung ist; wenn die Regierung ihren Nebenfluß genügend speisen würde, trüge sie auf wirksame Weise dazu bei, die große allgemeine öffentliche Meinung zu bilden." In der Sache wies er darauf hin, daß auch im deutschen Bündnis Italien nur von Bedeutung sei, wenn es seine Truppen zu Schiff befördern könne, und erinnerte ernst an die Pflicht Englands, einen Teil der Verantwortung auf sich zu nehmen, um Europa zu sichern. Wenn es sich weigere, müsse er anderswo Fühlung nehmen, wobei er leise durchblicken ließ, daß die deutsch-französischen Beziehungen (Ägypten!) wie die deutsch-russischen Beziehungen (Bosporus!) sich auch leicht freundlicher gestalten lassen würden. Unter dem Druck der gespannten Weltlage ging die englische Regierung, deren Versuche, sich mit Frankreich in Ägypten besser zu stellen, gescheitert waren, auf den [317] Vorschlag Italiens ein. Sie wünschte nur, das Einvernehmen in eine Form zu kleiden, die ihr im Falle von neugierigen Interpellationen gestatte, jede Allianz in Abrede zu stellen. Salisbury sprach dabei in Berlin am 5. Februar seinen lebhaften Dank aus, daß England in dem befreundeten Deutschland ein sicheres Bollwerk gegen französische Angriffe besitze - in dieser Zusicherung bestand die Gegengabe der deutschen Politik. So kam am 12. Februar, als die höchste Kriegsspannung kaum überwunden war, das englisch-italienische Abkommen zustande. Der englische Premierminister bezeichnete es als die weitestgehende Zusicherung, welche ein parlamentarischer Staat überhaupt erteilen könne: nämlich daß er im Falle eines Krieges zwischen Frankreich und Deutschland sich aktiv derjenigen Staatengruppe anschließen werde, welche die Friedenspolizei im Orient bilde.55

Zum ersten Male hatte Bismarck sich dem schon längst erwogenen Ziele genähert, auch England in verbindlicher Form mit dem von ihm geführten Mitteleuropa zu verknüpfen. Er durfte es als einen nicht zu unterschätzenden Erfolg betrachten, "daß wir England so weit zu engagieren vermocht haben".

Der nächste Schritt war fast nur eine Formsache: der Beitritt Österreichs zu dem englisch-italienischen Abkommen. Bismarck veranlaßte, daß dieses auch in Wien mitgeteilt wurde, "um Kálnoky anzuregen!", und riet im stillen, den guten Willen Englands rasch beim Worte zu nehmen, legte selbst aber Wert darauf, die Hand nicht in dieser Sache zu haben. Der formelle Beitritt Österreichs wurde am 23. März vollzogen. Nun blieb nur noch übrig für die drei verbundenen Mächte, den Sultan dem russischen Einfluß zu entreißen und sich womöglich, wozu Bismarck den Engländern längst geraten hatte, einen Einfluß auf die militärischen Machtmittel der Türkei zu verschaffen. Aber das war ihre Sache.56 Die ganze nur durch die Kriegsspannung ermöglichte Entwicklung setzte Bismarck instand, der weiteren Auseinandersetzung mit Frankreich und Rußland, im Besitz einer elastischen Rückendeckung mit größerer Ruhe entgegenzusehen.

Die französische Politik Bismarcks verfolgte im Grunde ein eindeutiges Ziel: den Frieden zu erhalten, aber das Haupt der Kriegspartei aus der Macht zu drängen, um damit der für Rußland so verführerischen Revanche einen Schlag zu versetzen. Aber es ließ sich nicht verkennen, daß dieser Weg des Friedens nahe an Kriegsgefahren vorbeiführte und daß eine Politik, die das französische Schwert in der Scheide halten wollte, damit rechnen mußte, daß es nun gerade gezogen wurde.57 Als die durch die Wahlbewegung und die Maßregeln Boulangers ge- [318] steigerte Beunruhigung auf den Höhepunkt stieg, legte Bismarck Wert darauf, über seinen ernsten Friedenswillen niemanden in Frankreich im unklaren zu lassen. Am 31. Januar erklärte er dem französischen Botschafter wiederholt, daß Deutschland den Frieden wünsche und nicht angreifen würde; was er fürchte, sei das Emporkommen Boulangers als Ministerpräsident oder Präsident der Republik: das würde den Krieg auf kurze Frist bedeuten.58 Auch der Ministerpräsident de Freycinet bestätigte dem deutschen Botschafter, Herbette habe sich sehr befriedigt über sein Gespräch mit dem Kanzler geäußert und seine bestimmte Überzeugung ausgesprochen, daß der Frieden erhalten bleibe.59

In den nächsten Tagen ging Bismarck auf den beiden Linien vor, die seinem doppelten Ziele entsprachen: die Friedlichen zu beruhigen und die Kriegerischen einzuschüchtern. Am 4. Februar hatte der deutsche Botschafter dem französischen Außenminister gegenüber mit der erneuten Erklärung der friedlichen Absichten seiner Regierung die Mitteilung verbunden, daß der große Generalstab in Berlin niemals den geringsten Protest gegen die französischen Vorsichtsmaßregeln erhoben habe. Die französische Regierung ließ diese Erklärung, die mit den Meldungen ihres Botschafters übereinstimmte, sofort amtlich verbreiten. Am anderen Tage aber erging in Berlin ein Kaiserlicher Erlaß, der auf den 7. Februar 73 000 Reservisten zu einer zwölftagigen Übung mit dem neuen Magazingewehr einberief.60 Mit anderen Worten, wenn man die Franzosen ungestört militärisch das ihre tun ließ, so behielt man sich auch auf deutscher Seite die für richtig gehaltenen militärischen Schritte vor.

Boulanger aber entnahm daraus den Anlaß, jetzt einige Schritte weiterzugehen. Zunächst beschloß er an den Zaren einen Brief zu richten, der nur durch das Eingreifen des Außenministers und des Präsidenten Grévy aufgehalten wurde.61 Seine eigentliche Antwort aber war ein Versuch, die Franzosen in den Krieg zu treiben. Er beschloß, die deutsche Maßregel durch die Einberufung der französischen Reserven und die Mobilmachung zu beantworten - wodurch er natürlich sofort die allgemeine Mobilmachung auch auf deutscher Seite ausgelöst haben würde. Er brachte, so erzählte später M. Grévy dem deutschen Botschafter,62 das dafür erforderliche Dekret in den Ministerrat und verlangte die Unterschrift des Präsidenten. "Das ist wahnsinnig, was Sie mir da vorschlagen, General!" antwortete der Präsident, "wissen Sie nicht, daß das den Krieg bedeuten würde?" - "Nun, ich bin bereit", entgegnete Boulanger. - "Ebenso bereit wie Leboeuf seinerzeit, und ich werde nicht einmal die Diskussion dieses Projektes zulassen." - [319] "In diesem Falle werde ich meinen Rücktritt einreichen müssen!" - "Gut, tun Sie es," antwortete der Präsident. Boulanger aber reichte seinen Rücktritt nicht ein und war nachher sehr untertänig und ruhig: "So ist dieser Mann." - Damit schloß Grévy die Erzählung des Vorgangs.63

Der Verlauf der Krise hatte erwiesen, daß die Friedenspartei in Paris noch stärker war als die Kriegspartei. So war denn auch Bismarck geneigt, sich optimistischer über die Erhaltung des Friedens auszusprechen; er ging zunächst nicht weiter, sondern begnügte sich mit dieser Erschütterung der Stellung Boulangers, zumal da er die Zwangslage der leitenden Männer in Paris würdigte, die den Kriegsminister nicht entfernen konnten, ohne ihn zum Heros und Märtyrer als Opfer der Deutschen zu machen. Es kamen in den nächsten Wochen eine Reihe von Momenten hinzu, die die Entspannung förderten: der Abschluß der deutschen Wahlen, die am 21. Februar einen starken Sieg der regierungsfreundlichen Parteien brachten, und die Annahme der Heeresvorlage am 11. März.

Trotzdem bleibt die Frage zurück: was ist in dieser ersten Krisis das eigentliche Ziel Bismarcks gewesen? Hat er nicht trotz aller friedlichen Worte doch innerlich den Krieg gewollt? - Es steht zunächst einwandfrei fest, daß Bismarck sowohl die gegnerischen als auch die befreundeten Mächte darüber nicht im Zweifel ließ, daß er an einen Angriff auf Frankreich nicht denke. Wie den Franzosen, so hatte er den Russen ohne Umschweife erklärt, daß er den Krieg nicht wolle.64 Wenn Boulanger und Déroulède mit dem Gedanken operierten, nie sei die Gelegenheit so günstig gewesen, so verwarf er seinerseits jede Gelegenheitsrechnung, jede Verlockung, einen Krieg aus diesem Grunde zu führen. Er erörterte wie schon oft seinen Lieblingsgedanken: niemand könne der göttlichen Vorsehung so weit vorgreifen, um dies mit unbedingter Sicherheit behaupten zu können, denn es könnten sich im Laufe der Zeit allerhand unberechenbare Vorfälle ereignen, die den Ausbruch eines deutsch-französischen Krieges verhinderten. Das ließ er auch dem russischen Botschafter in Wien sagen, der es als im Interesse Deutschlands liegend bezeichnet hatte, die "beklagenswerte Notwendigkeit" nicht hinauszuschieben.

Bismarck glaubte aber auch zu bemerken, daß man selbst im befreundeten Lager ihm zutraue, den Krieg zu wollen, und daß man dort den Krieg nicht ungern sah. Fast mit Empörung stellte er fest, daß man selbst in Wien "den ganz unglaublichen Gedanken" hegte, die deutsche Regierung oder wenigstens "die [320] deutsche Militärpartei" habe wirklich an einen Anfall auf Frankreich gedacht. "Daß unsere Gegner den Sachverhalt im Sinne der altbekannten Fabel des Phädrus von dem Wolf und dem Lamm umdrehen und uns in bewußter Verlogenheit aggressive Absichten imputieren, ist natürlich. Daß aber unsere Freunde in Wien sich soweit haben verblenden lassen können, jenen Unterstellungen auch nur für eine kurze Zeit Glauben beizumessen, ist sehr niederschlagend."65 Er wiederholte dieses Bekenntnis auch dem Kronprinzen Rudolf: "Sie wollen mich in den Krieg drängen, und ich will den Frieden; einen Krieg vom Zaun brechen, wäre frivol; wir sind kein Raubstaat, der Krieg führt, nur weil er eben einigen konveniert."66 Auch wenn Bismarck dem englischen Botschafter versicherte, daß er Frankreich trotz aller Boulangerschen Provokationen nicht angreifen werde, hielt er es für angezeigt, im Hinblick auf englische Zeitungen die Frage damit zu verbinden, ob England ein Interesse daran zu haben glaube, daß dieser Krieg ausbreche.67 Der am berühmtesten gewordene englische Zeitungsartikel dieser Art, der in einer ganz anderen Konstellation zu einer unbequemen Erinnerung für die gelenkige englische Staatskunst werden sollte, erschien am 4. Februar im Londoner Standard, einem dem Ministerpräsidenten Salisbury nahestehenden Organ, in der Form eines Briefes von "Diplomaticus". Er enthielt eine vom englischen Standpunkt aus höchst bemerkenswerte Betrachtung: "Wie sehr auch England einen Einfall in belgisches Gebiet durch eine der kämpfenden Parteien bedauern möge, so könnte es doch nicht Frankreichs Partei gegen Deutschland ergreifen, ohne dabei die Hauptziele der britischen Weltpolitik ernstlich zu gefährden oder preiszugeben. Aber, wird man fragen, ist nicht England durch seine Unterschrift gebunden und muß es nicht seinen öffentlichen Verpflichtungen treubleiben? Meine Antwort ist, daß Englands auswärtiger Minister imstande sein müßte, diesem Einwand Rechnung zu tragen, ohne daß England in einen Krieg verwickelt wird. Die zeitweise Benutzung eines Wegerechtes ist etwas anderes, als eine dauernde, unrechtmäßige Besitzergreifung eines Gebietes, und sicherlich würde England leicht vom Fürsten Bismarck angemessene Garantien dafür erhalten können, daß nach Beendigung des Konfliktes das belgische Gebiet unversehrt wie vorher bleiben würde." Daß dieser Artikel einen amtlichen Ursprung gehabt habe, läßt sich zwar nicht "beweisen", aber viel weniger kann es als ein belangloser Zufall gedeutet werden, daß er in der ministeriellen Zeitung im Augenblicke höchster kriegerischer [321] Spannung Aufnahme fand.68 Tatsächlich fügt er sich durchaus in den Rahmen dessen ein, was wir von der amtlichen Leitung der englischen Politik in diesen Wochen wissen: eng an Deutschland angeschlossen, rechnete sie mit dem Ausbruch des Krieges.69 Man mußte aber in London den Krieg schon sehr innig wünschen, wenn man ihm das empfindlichste englische Interesse auf dem Kontinent - obgleich ein Durchmarsch durch Belgien damals außerhalb der deutschen Kriegspläne lag70 - so uneigennützig zum Opfer bringen wollte.

Es war nicht anders: in mehr als einer europäischen Großstadt sah man einem deutsch-französischen Kriege sehr viel gelassener entgegen als in Berlin. Sowohl in Petersburg als in London verkannte man nicht, daß man dann erst die freie Bewegung ganz zurückgewinnen würde. Der Zar sah naturgemäß in dem Ausbruch des Krieges den günstigsten Fall, "um mit wenig Mitteln einen zwingenden Druck auf Deutschland auszuüben"; vermutlich verschob er das offensive Vorgehen gegen die Bulgaren gerade deswegen, weil er den Ausbruch abwarten wollte. Die Engländer aber wären aller ägyptischen Sorgen ledig gewesen, wenn der große Kampf entbrannte; eine gleichzeitige Bindung des französischen Gegners und des deutschen Freundes wäre vielleicht das Willkommenste gewesen. Bismarck machte sich auch keine Illusionen darüber, warum man in beiden Lagern es als eine Erleichterung empfunden hätte, wenn das Schicksal seinen Lauf nahm. Wer seinem Friedenswillen mißtraut, wird ihm wenigstens das nüchterne Abwägen der wirklichen deutschen Interessen nicht abstreiten wollen.

In dieser erregten Zeit wirkte der neunzigste Geburtstag des alten Kaisers (22. März 1887) wie eine jener Unterbrechungen, bei denen auch die hochgespannten Rivalitäten der Völker eine Pause der Ehrerbietung oder doch der Konvention eintreten lassen. Die Fürstenhöfe Europas waren fast vollzählig vertreten und huldigten einer ehrwürdigen Erscheinung, die den monarchischen Gedanken so treu und so vornehm verkörperte. Nur die französische Leidenschaft ließ sich auch bei solchem Anlaß nicht zügeln, und eines der Boulanger nahestehenden Blätter La France schrieb: "Für uns ist der Name des Kaisers Wilhelm gleichbedeutend mit Blut, Diebstahl, Mord; er erinnert uns an die Niederlage unseres [322] Vaterlandes, die Hinschlachtung unserer Soldaten, den brutalen Diebstahl zweier unserer Provinzen."71 Daß der Krieg von 1870/71 von den Franzosen selbst vom Zaune gebrochen und nichts als ein Einbruch in die nationale Selbstbestimmung der Deutschen gewesen war, war von diesem Geschlecht längst vergessen. Aber von solchen Mißtönen abgesehen, die Stimme der Welt klang an diesem Tage, so wie der Kardinal Galimberti im Namen des Papstes Leo XIII. dem Kaiser aussprach: tiefe Ehrfurcht vor einem dem Wohl der Nation und dem Frieden der Welt geweihten, gottgesegneten Leben.

Auch die Russen hatten in diesem Augenblicke, nach mehr als zweimonatlichem Schweigen, die Verhandlungen über einen Vertrag wieder aufgenommen; am 19. März hatte Giers es dem deutschen Botschafter im tiefsten Geheimnis angekündigt. Großfürst Wladimir, der Bruder des Zaren, der zu dem Festtage in Berlin erschien, besprach mit Bismarck von neuem den Abschluß eines Neutralitätsvertrages für den Fall eines russisch-türkischen und eines deutsch-französischen Krieges. Während das bulgarische Thema verlassen wurde, beteuerte er, das Hauptinteresse des Zaren sei auf Zentralasien und den Besitz der Dardanellen gerichtet, die er als seine Hausschlüssel betrachte.72 Aber in denselben Tagen stieg die Woge der deutschfeindlichen Propaganda noch höher; mit einer Heftigkeit ohnegleichen, als wenn es gälte, den Eindruck der Mission des Großfürsten im selben Augenblicke wieder auszulöschen, griff Katkow in der Moskauer Zeitung die Politik des Herrn v. Giers an, die im Gegensatz zu der des Zaren den deutschen Interessen diene. Alle russischen Zeitungen unterstützten Katkow in dem offenkundigen Bestreben, die Erneuerung des Dreikaiserbündnisses zu verhindern, das in den letzten Zügen liege. Und tatsächlich ließ die amtliche Einleitung der Verhandlung von neuem Woche auf Woche auf sich warten.73 Erst in der letzten Aprilwoche, als das System des berechneten Verschleppens und Durchkreuzens bis auf das Äußerste ausgeschöpft war, erlaubte der Zar seinem Ratgeber, das Gespräch über einen neuen Vertrag zu Zweien zu eröffnen.

Der Beginn der Besprechungen wurde zunächst am 20. April durch einen unvorhergesehenen Zwischenfall zwischen Berlin und Paris gestört. Ein zu- [323] fälliges und untergeordnetes Ereignis, die Verhaftung des französischen Polizeiagenten Schnäbele, löste noch einmal einen Ausbruch der Leidenschaften aus, der hart an der Kriegserklärung vorbeiging. Daß dieser tief in die elsässische Spionage verwickelte Agent auf deutschem und nicht auf französischem Boden auf Grund eines schwebenden reichsgerichtlichen Haftbefehls verhaftet wurde, steht einwandfrei fest; darin ist die deutsche Auffassung im Recht gegenüber der französischen Lesart, die das Gegenteil, die Grenzverletzung, behauptete; selbst Maurice Barrès, der in seinem "Appel au Soldat" von diesem Erlebnis die Geburtsstunde des heiligen Fiebers in Frankreich datiert, begnügt sich mit einem verlegenen "très probablement sur notre territoire". Daß Schnäbele aber auf das deutsche Gebiet auf Einladung eines deutschen Beamten zu Grenzgeschäften herüberzukommen veranlaßt wurde, kann ebensowenig bestritten werden; insofern ist die französische Seite im Recht. Für die Gesamtbeurteilung des Zwischenfalls ist durchschlagend, daß sich hinter dem Zwischenfall keine politische Absicht der deutschen Regierung verbarg und daß Bismarck von Anfang an, sobald der Tatbestand sich aufklärte, die Sache auf das versöhnlichste behandelte.74 Dagegen suchte Boulanger, von der aufgepeitschten öffentlichen Meinung und der leidenschaftlichen Parteinahme der russischen Presse unterstützt,75 den Zwischenfall zu einem Kriegsanlaß zu steigern. Er erneuerte den Versuch, Frankreich zur Mobilmachung zu drängen, und verlangte ein Ultimatum, "ehe die Kaiserliche Regierung eine Antwort habe geben können".76 Es gelang ihm, den Ministerpräsidenten Goblet für sein Programm: Abberufung des Botschafters in Berlin und 50 000 Mann an die Grenze, zu gewinnen, aber er unterlag im Ministerrat. Mit der Entlassung Schnäbeles am 28. April war der Anlaß aus der Welt geschafft. Aber die Erregung in Paris blieb noch lange auf dem Siedepunkt: sie sah auf der einen Seite Bismarck, der mit der unerhörten Herausforderung (einer Grenzverletzung, die gar nicht stattgefunden hatte!) den Krieg hatte entfesseln wollen, und auf der anderen Seite Boulanger, vor dem der Herausforderer (der also doch den Krieg nicht wirklich gewollt haben mußte) zurückgewichen war. Präsident Grévy aber war seit diesem Vorfall entschlossen, das Kabinett Goblet und vor allem Boulanger zu beseitigen. Dieser lieferte schon vierzehn Tage später selber den Anlaß. Er forderte einen Kredit für eine im Herbst auszuführende Probemobilmachung eines Armeekorps. Der Außenminister Flourens protestierte, zumal der deutsche Botschafter nicht verschwieg, daß Deutschland, wenn der Plan Boulangers zur Ausführung kommen [324] sollte, zu Gegenmaßregeln gezwungen sein werde. Flourens hatte sogleich durchblicken lassen, daß mit dem Gesetzentwurfe auch Boulanger fallen würde. Und so geschah es. Am 17. Mai wurde das Kabinett Goblet von der Kammer gestürzt, und es war damit entschieden, daß der Minister, der auf den Krieg hinsteuerte, nicht wieder in das Kabinett eintreten würde. Während der Ministerkrisis fiel es auf, daß der russische Botschafter, Baron Mohrenheim, sich dahin aussprach, der Rücktritt Boulangers würde dem Zaren unerwünscht sein.77 Aus diesem Auftreten - es fällt in eine Zeit, wo die russisch-deutschen Verhandlungen über den "Rückversicherungsvertrag" schon mitten im Flusse waren! - zog Bismarck den Schluß, daß Rußland der Krieg zwischen Deutschland und Frankreich sehr erwünscht sein müsse.

Er hatte sein nächstes Ziel erreicht, mit der Person Boulangers den Geist der unverhüllten Revanche aus der Leitung des französischen Staates zu entfernen, und war entschlossen, dem neuen Kabinett Rouvier die Führung der Geschäfte in der Hoffnung und Annahme zu erleichtern, daß dem bisherigen Treiben eine Grenze gesetzt werde. Gewiß, er hätte einen Angriff Boulangers, wenn dieser sich in Paris durchgesetzt hätte, "auflaufen lassen", wie Gramont im Jahre 1870, und er hätte dafür gesorgt, daß es in einer nicht ungünstigen europäischen Konstellation geschehen wäre. Aber wichtiger war es ihm, den Weg zur Wiederherstellung normaler Beziehungen zwischen Berlin und Paris frei zu machen. Daß sie möglich waren, ohne die Ehre, die Stärke und die Wohlfahrt Frankreichs zu beeinträchtigen, wird durch den Verlauf der folgenden Jahre erwiesen. Wo hätte auch in den achtziger Jahren für die Franzosen der unerbittliche Zwang der inneren Not gelegen, der heute die tiefe Gärung im deutschen Volke hervorruft, - wo die aufreizende Feindseligkeit, die von außen her in alle Lebensfragen einer Nation eingreift?78 Die letzten Jahre Bismarcks stehen, was die Beziehungen des Reiches zu Frankreich betrifft, unter demselben Gesetz, das seit dem Frankfurter Frieden seinen Weg bestimmt hatte.

Inzwischen war in Berlin zwischen dem Reichskanzler und dem Botschafter Grafen Paul Schuwalow die formelle Verhandlung über den Zweiervertrag endlich eröffnet worden.79 Die Grundlage des Vertrages war: russische Neutrali- [325] tät bei einem französischen Angriff auf Deutschland, deutsche Neutralität bei einem österreichischen Angriff auf Rußland. Daran schloß sich die deutsche Anerkennung der historisch erworbenen Stellung Rußlands auf dem Balkan und namentlich in Bulgarien und Ostrumelien, sowie eine gemeinsame Anerkennung des europäischen Prinzips des Verschlusses der Dardanellen und des Bosporus. Insofern wurde die Basis des bisherigen Vertragsverhältnisses erneuert, wenn auch mit manchen Nüancierungen. Darüber hinaus wurde noch ein Geheimvertrag abgeschlossen, in dem Deutschland auch in Zukunft sich zur Unterstützung der russischen Politik in Bulgarien verpflichtete, sowie - und das war das schwerwiegende Neue - seine moralische und diplomatische Unterstützung zusicherte, falls der Zar sich genötigt sehen sollte, den Eintritt in das Schwarze Meer zu verteidigen, um die Schlüssel seines Reiches zu bewachen, d. h. sich der Meerengen bemächtigen würde. An dieser Stelle einer einseitigen deutschen Verpflichtung war Bismarck viel weiter gegangen, als nach dem Beginn der Verhandlung im Januar zu erwarten gewesen war. Die Verhandlungen, Ende Mai noch durch eine Reise Schuwalows nach Petersburg unterbrochen, verliefen in ihrem Endstadium, wie sie in den vorbereitenden Stadien eingesetzt hatten: ohne den Geist des gegenseitigen Vertrauens. Noch in einem Erlasse vom 13. Juni gestand Bismarck dem Botschafter von Schweinitz, daß er sich seit langem mit der Möglichkeit einer Nichterneuerung der Verträge vertraut gemacht habe und nach den "nur in letzter Zeit schüchtern und teilweise zensurierten, sonst aber in breiter Weise geduldeten und gepflegten russisch-französischen Sympathien und Allianzneigungen" vertraut machen mußte. Er war so skeptisch geworden, daß er den Wert, den die deutsche Politik auf das Vertragsverhältnis zu Rußland zu legen habe, geradezu durch die Frage vermindert sah, ob der Zar gegenüber der künstlich aufgeregten öffentlichen Meinung imstande sein werde, den Vertrag zu halten, wenn Deutschland von Frankreich angegriffen werde. Noch in den letzten Tagen vor dem Abschluß stellte er fest, daß die Schwierigkeiten, die es mache, einen für Rußland so günstigen Vertrag in Petersburg zur Annahme zu bringen, kein Vertrauen wecken könnten. Ja, die Finasserien und Zusatzforderungen von seiten des russischen Unterhändlers nahmen noch in den letzten Tagen einen Umfang an, daß Bismarck bei der Frage der Vertragsdauer (ob 5 oder 3 Jahre) - obgleich der Russe zu einem längeren Termin bereit war - im Hinblick auf diese Verzögerungen den kürzeren Termin vorzog, um dem anspruchsvollen Partner die Überschätzung des Vertragsbedürfnisses auf deutscher Seite zu benehmen.80

So blieb er kühl bis zu dem letzten Augenblicke des Vertragsabschlusses, der am 18. Juni 1887 erfolgte. Selten ist ein so bedeutsamer Vertrag mit so geringen Illusionen zustande gekommen.

[326] Von Bismarck selbst ist das Urteil überliefert: "Der Haupteffekt unseres deutsch-russischen Vertrages bleibt für uns immer der, daß wir drei Jahre hindurch die Zusicherung haben, daß Rußland neutral bleibt, wenn wir von Frankreich angegriffen werden." Der Zar dagegen stellte später nur fest: "Ich denke in der Tat, daß für Bismarck unsere Entente eine Art Garantie ist, daß kein schriftliches Abkommen zwischen uns und Frankreich existiert, und das ist sehr wichtig für Deutschland."81 Wenn in der russischen Auffassung der Nachdruck auf das Wort "schriftlich" gelegt wurde, dann enthielt der Vertrag für Deutschland sehr wenig. Aber bevor man ein Urteil fällt, wird man zunächst beobachten müssen, welche Wirksamkeit er während der Zeit seines Bestehens ausüben wird. Das muß besonders betont werden, weil die Bedeutung des Vertrages durch spätere Ereignisse, durch den zufälligen Zusammenfall seiner Nichterneuerung mit dem Rücktritt des Reichskanzlers, und dann durch das Ausspielen des Vertrages gegen die Politik des Neuen Kurses in eine Beleuchtung gerückt worden ist, die sich mit seiner tatsächlichen Funktion von 1887 - 1890 nicht vereinbaren läßt: so tut man gut, das Spätere zunächst einmal zurückzuschieben.

Bismarck selbst verhehlte sich nicht, daß die Beziehungen zu Rußland weniger auf dem Vertrage als auf der Persönlichkeit des Zaren ruhten: "Einen anderen Boden hat das Faß dort nicht", ließ er sich schon in einem Erlaß vom 28. Juni vernehmen, "wenn wir denselben ausschlagen, so läuft das Faß aus." Der alte Kaiser Wilhelm aber, der damals mit Kaiser Franz Joseph zum letzten Male in Gastein zusammentraf (und ihm den russischen Vertrag zu verheimlichen genötigt war!), machte kein Hehl daraus, daß sein Vertrauen in den Zaren tief erschüttert war.82

Letzter Besuch Kaiser Wilhelms I., begleitet vom Prinzen Wilhelm,
bei Kaiser Franz Josef in Gastein 1886.
[304a]      Letzter Besuch Kaiser Wilhelms I., begleitet vom Prinzen Wilhelm,
bei Kaiser Franz Josef in Gastein 1886.

Wenn somit der Rückversicherungsvertrag schon hinsichtlich der Gesinnung der Vertragschließenden auf einem unsicheren Grunde ruhte, so glaubt man vollends einen schwankenden Boden zu betreten, wenn man die Frage aufwirft: Wie war sein Inhalt, insbesondere das Geheimabkommen über den Bosporus, mit dem Wortlaut und dem Geist der anderen Bündnisverpflichtungen des Deutschen Reiches zu vereinbaren,83 und weiter, mit jener Politik, die in einer Art von stiller Partnerschaft den Abschluß der Oriententente begünstigt hatte? Bis- [327] marck würde auf die erste Frage erwidert haben, daß die Verpflichtungen des österreichischen Bündnisses und die Zusagen des Rückversicherungsvertrages sich formell nicht schnitten; und weiter, daß er selbst einen Fall, in dem sich ein Durchkreuzen hätte ergeben können, rechtzeitig zu vermeiden gewußt haben würde. Er ging formell bis an die Grenze der Bundestreue, als er den Vertrag vom 18. Juni auch vor Wien geheim hielt, aber er hat in den drei Jahren, in denen der Vertrag bestand, trotzdem dem Österreicher mit der Tat die Treue gehalten.

Noch komplizierter erscheint die zweite Frage: Zwischen der Preisgabe der Meerengen im Rückversicherungsvertrage an Rußland und der Rückendeckung der Oriententente Österreich-Italien-England bestand vielleicht kein formaler Widerspruch - denn im lebendigen Geschehen können viele Eventualitäten nebeneinander bestehen - aber doch ein starker innerer Gegensatz. Stoßen wir hier nicht auf die tiefe Verschlagenheit eines Staatsmannes, dessen linke Hand nicht mehr wissen darf, was die rechte tut? Aber was hier als Zweideutigkeit erscheint, ist doch nur erzwungen durch das bis zum letzten Augenblick hin- und herspringende Doppelspiel des Russen, dem nur durch eine Politik mit doppeltem Boden begegnet werden konnte. Bismarck war auch in diesem höchst verwickelten Spiel nicht ein willkürlicher Vergewaltiger fremder Kräfte, sondern der sich in die Lebenswillen der anderen Staaten einfühlende Gestalter, der ihnen mit leichter Hand und ohne die ihnen innewohnende Dynamik zu stören, ihre Auswirkung erleichterte, vorausgesetzt, daß die deutsche Existenz nicht berührt wurde. Wenn nun einmal mit dem russischen Machtziel Konstantinopel zu rechnen war, so war es nicht der Beruf des Deutschlands in der Mitte Europas, sich dort im Südosten in den Weg zu stellen: mochte der Russe den Weg antreten, aber selber das Risiko tragen. Der deutschen Politik konnte alles, was ihn von der deutschen Grenze abzog, erwünscht sein. Die Mächte aber, deren Interesse das nicht zuließ, mochten sich vereinigen, ebenfalls aber auf ihre eigene Gefahr; wenn der russisch-französische Druck auf die Mitte stärker wurde, konnte man diese Vereinigung befördern, ohne jedoch selber in Aktion zu treten: die Gegnerschaften der anderen untereinander sollten sich nur auf ferneren Schauplätzen entladen. Für die deutsche Politik blieb die Hauptaufgabe, das französische Schwert in der Scheide zu halten und damit den russischen Tatendrang zu dämpfen. Immer von neuem predigte Bismarck in Wien, man möge die Russen ruhig nach Konstantinopel vorstoßen lassen: dann nämlich stehe man nicht nur militärisch in ihrer Flanke, sondern auch politisch. Auch dem Kronprinzen Rudolf gegenüber bezeichnete er es als ratsam, die Russen, wenn sie im Falle eines deutsch-französischen Krieges nach Bulgarien und auf Konstantinopel marschieren sollten, in die Mausefalle hineinzulassen und abzuwarten, bis die Engländer den ersten Schuß getan - [328] eine Perspektive, die von seiner politischen Phantasie noch weiter ausgestaltet wurde.84

Das Deutsche Reich aber rückte auf alle Fälle - wie es das Lebensgesetz seiner Mittellage erforderte - in die Hinterhand des europäischen Machtspiels und konnte die Entscheidung so bringen, wie seine eigene Sicherheit gebot. Diese Politik ist nicht etwa einseitig in dem Sinne, daß sie nur mit den befestigten Staatsgewalten, nicht aber mit den ursprünglichen politischen Kräften der Tiefe rechnete. Sie blickte auch hier mit unerhörtem Wirklichkeitssinn in die Zukunft; sie schätzte Rußland als viel demokratischer ein, als es nach außen hin schien, und sah in der Ferne schon Revolutionen als Folge der russischen Außenpolitik aufsteigen - den Kronprinzen Rudolf fragte Bismarck geradezu, ob die slawischen Landsturmbataillone ihre Schuldigkeit tun würden. Sein sorgenvoller Blick verweilte auf allen problematischen Stellen, die das Gefüge der deutschen Außenpolitik aufwies. Wohl aber darf man fragen, ob diese Politik, so vollendet sie in sich selber war, nicht die Kehrseite haben mußte, daß ihr, ebenso wie im Innern, alles und jedes Mittel zum Zweck wurde. Mußte es nicht dahin kommen, daß die Mittel, welche sie aufnahm und fallen ließ, sich innerlich dagegen widersetzten und schließlich revoltierten? Man kann das Gefühl nicht abweisen: dieses Spiel mit den fünf Kugeln ist so verwickelt geworden, daß ein anderer es nicht würde spielen können; ja, eines Tages kann es nicht mehr weitergetrieben werden, sondern erfordert eine eindeutige Entscheidung. Bismarck aber war nicht der Mann, einer Entscheidung auszuweichen, wenn sein seherisches Gefühl ihm sagte, daß der Weg der Vorsehung erkennbar geworden sei.

Noch einmal hatte der Reichskanzler über den Ansturm aller gegnerischen Gewalten in der Welt triumphiert. Der Ausfall der Septennatswahlen, die Befestigung des Dreibundes und seine Verlängerung durch die österreichisch-italienisch-englische Mittelmeerentente, der Sturz Boulangers und der Abschluß des Rückversicherungsvertrages, alle diese Glieder einer Kette waren zugleich Stufen auf einem Wege, auf dem das Herrschaftssystem Bismarcks noch einmal nach innen wie nach außen verstärkt worden war. Wie lange das alles auf dem in heftige Bewegung geratenen europäischen Untergrunde Bestand haben würde, war nicht abzusehen - der Moment aber erhob die Gestalt des Kanzlers noch einmal in eine beherrschende Höhe.

[329] Mehr als je erschien der Wille des Reiches in seinem Willen verkörpert, und die Sorge des Reiches in seiner Sorge. Wie konnte es anders sein, als daß auch sein Selbstbewußtsein, in unablässigem Kampfe verhärtet, sich mit der deutschen Politik geradezu gleichsetzte? Einige Jahre vorher schon hatte er dem Botschafter von Schweinitz gesprächsweise gestanden, er habe sich mit dem Staate identifiziert; er sage freilich nicht wie Louis XIV.: "L'État c'est moi!", sondern "Moi, je suis l'État". Schweinitz, der auch dem Kanzler gegenüber tiefe Bewunderung mit psychologischer Kritik vereinigte, sah in diesem von Anmaßung ganz freien Ausspruch die Eigenart Bismarcks ausgedrückt, den Egoismus mit dem Patriotismus zu verschmelzen. Er fand darin genau so viel Selbstaufopferung wie Selbstsucht, vor allem aber eine wirkungsvolle Konzentrierung sämtlicher ihm verliehenen Kräfte. "Dies ist nicht der gewissenhafte Beamte, welcher, wenn er sein Büro verläßt, keine geschäftliche Sorge mit in den Kreis seiner Familie nimmt, nicht der glänzende Staatsmann, der den Zauber seiner politischen Erfolge in den Salons verwertet. Fürst Bismarck ist jenen Kaisern zu vergleichen, die das Reich und die Hausmacht gleichzeitig groß und stark machten; auch mit den Hohenzollern hat er vieles gemein, besonders den stark ausgeprägten Erwerbssinn, die Freude am Besitz und die Herrschergabe. Wenn wir nicht, Gott sei es gedankt, eine Dynastie hätten, er würde eine solche gründen und, wenn die Merowinger in Berlin regierten, so würde er ein Pippin sein." Seine Machtstellung schien sich von der Summe seiner Ämter abzulösen und etwas Besonderes und Eigenartiges darzustellen: sie weckte Bewunderung und Liebe, Furcht und Haß. Es fehlte schon nicht an Stimmen, die das gefährliche Wort vom Hausmeier aufgriffen - als wenn dieser Machtwille sich empfindungsmäßig nicht immer durch die Haltung des kurbrandenburgischen Vasallen begrenzt hätte. In den letzten Jahren hatte Bismarck seinen ältesten Sohn Herbert näher an sich herangezogen und häufig die schwierigsten Sachen mit ihm zusammen erledigt. Der Sohn, in der Schule des Vaters groß geworden und ihm bedingungslos ergeben, besaß große Fähigkeiten; er war vielleicht der stärkste und gewandteste Arbeiter im Auswärtigen Amte, als er zum Staatssekretär aufstieg; er dachte politisch in Bismarckschen Kategorien, auch wenn er sie nur als ein Erbe übernommen hatte; wenngleich sein geistiges Wesen nicht so fein und seine Form nicht so beherrscht war, konnte er vielleicht ein Erbe werden, der die Kontinuität der Politik seines Vaters verbürgte.

Solche Erwägungen mochten sich immer mehr einstellen, weil in diesen Monaten ein längst nahender Schatten sich auf die Dynastie niedersenkte und jene Kontinuität, die ihre Idee ist, einen Augenblick zu erschüttern drohte. Bei der russischen Entscheidung für den Rückversicherungsvertrag mochte schon der Gedanke mitgespielt haben, gerade für die nächsten Jahre, in denen nach menschlichem Ermessen der Kronprinz Friedrich Wilhelm seinem neunzigjährigen Vater folgen mußte, noch einmal das bisherige Vertragsverhältnis der beiden Reiche herzustellen. Wer weiß, ob nicht auch in der Seele Bismarcks - neben dem [330] entscheidenden mächtedynamischen Gesichtspunkt - das Nebenmotiv mitsprach, auf diesem Wege zugleich seine Politik gegen eine allzu unvermittelte Wendung nach der englischen Seite hin sicherzustellen. Aber diese Möglichkeiten, wenn sie bestanden hatten, waren schon im Augenblick des Vertragsabschlusses so gut wie ausgelöscht.

Schon mit Beginn des Jahres hatte der Kronprinz an einer wachsenden Heiserkeit gelitten. Am 20. Mai 1887 stellte das ärztliche Konsilium den schweren Ernst der Erkrankung fest und erklärte eine sofortige eingreifende Operation für geboten, für die alleinige Rettung. Wenn in den nächsten Tagen, nach der Zuziehung des englischen Arztes, zunächst die günstigere Auffassung den Sieg davontrug und die schon vorbereitete Operation vertagte, so stand doch unter den Eingeweihten das Gespenst eines möglichen dunklen Ausganges vor der Tür.

Eine unerwartete und einschneidende Wendung! So tief ein jeder die menschliche Tragik empfand, die ein Leben eben dann zerstörte, wo es sich endlich erst zu entfalten vermochte, die Regierenden erwogen zugleich die unermeßlichen Folgen, die sich daraus für die Staatsleitung, vielleicht für die Geschicke des deutschen Volkes ergeben mochten. Es ist überliefert, daß Bismarck, als ihm die Nachricht von der verhängnisvollen Diagnose gebracht wurde, im ersten Augenblick in Tränen ausbrach. War es Mitgefühl mit einem menschlichen Schicksal, oder war es die Sorge um den Staat, um die plötzliche Umwälzung einer Zukunft, auf die er sich selbst und seine außenpolitischen Entwürfe seit dem Sommer 1885 eingestellt hatte? Andere empfanden bereits in dieser Stunde anders. Der ehrgeizige Generalquartiermeister, kommender Chef des Generalstabs, Graf Alfred von Waldersee, vertraute schon am 23. Mai seinem Tagebuch die merkwürdige Betrachtung an: "Der Kanzler steht vor einer völlig neuen Konstellation; wenn er bisher darauf gerechnet hatte, sich mit dem Kronprinzen einzurichten, muß er nun darauf gefaßt sein, mit dem Prinzen Wilhelm zu gehen. Nach meiner Überzeugung ist das aber nicht durchführbar. Der 28jährige lebhafte und ehrgeizige Prinz und der 72jährige Kanzler!" - Sollte das Problem der Dynastie auch das Problem der Herrschaft des Kanzlers in sich schließen? Wenn der erste Blick in die Zukunft einem Deutschen schon den Keim eines Machtkampfes enthüllte, welche Gedanken mußten dann in den europäischen Zentren wach werden, in denen man die Macht des Reiches, so wie sie unter Bismarcks Leitung sich erhoben hatte, nur murrend hinnahm?

Nun sollte allerdings in den nächsten Monaten alle Sorge vor anscheinend günstigeren Nachrichten zurücktreten. Noch vermochte der kranke Kronprinz als Repräsentant des Deutschen Reiches bei dem 50jährigen Regierungsjubiläum der Königin Victoria in London sein Leiden äußerlich zu verbergen und ahnte selbst nicht, daß dies - es war Schicksal und Symbol zugleich - seine letzte Rolle auf der Bühne des Lebens gewesen war. Bald aber wurden die Meldungen über sein Befinden wieder ungünstiger, und im Laufe des November 1887 ließ es [331] sich auch vor der Welt nicht mehr verbergen, daß der Verlauf der tödlichen Krankheit nur noch auf kurze Frist aufgehalten werden konnte; die unheilvolle Wucherung setzte ihr zerstörendes Werk fort; man konnte fortan nur noch hoffen, einer unmittelbaren Erstickungsgefahr durch einen operativen Eingriff zu begegnen. Allen Selbsttäuschungen im engsten Familienkreise zum Trotz wußte die Welt fortan, daß das Schicksal des Kronprinzen sich in wenigen Monaten erfüllen werde, noch bei Lebzeiten des hinsinkenden alten Kaisers, oder aber, wenn dieser plötzlich hinweggerafft werden sollte, um als ein schon vom Tode Berührter nur eine geringe Spanne Zeit den Schein der Kaiserkrone zu tragen.

Die Gesamtlage der Dynastie erforderte, daß der junge Prinz Wilhelm, dessen Thronbesteigung in jedem Augenblick eintreten konnte, mit einer Stellvertretungsorder für gewisse Notfälle ausgestattet werde (18. November); fast gleichzeitig mit dem Beginn einer Einführung in die Staatsgeschäfte, die bis dahin zurückgehalten war. Pflichtmäßig und im Stile seiner Tradition trat er an seine Aufgabe heran, vielleicht schon etwas hastiger, als der Moment gebot, den Wechsel, der eines Tages kommen mußte, vorwegnehmend.85 Ein neuer Mann rückte damit in den Vordergrund, und in einem Augenblick, in dem sich die schwerwiegendsten Entscheidungen drängten. Was bedeutete das für alle Erwägungen der inneren und äußeren Staatsleitung Bismarcks, aber auch für jede politische Rechnung, die den europäischen Mächten ihren Gang vorschrieb! Ihnen allen gegenüber hatte Bismarck seine Staatsräson vertreten, durch den hinter ihm stehenden Monarchen wie durch eine unerschütterliche Kraft der Beständigkeit gedeckt; vom November an konnte seine Haltung nicht ganz so sicher sein, weil er sehr verschiedenen Möglichkeiten ausgesetzt war, die nicht in seiner Hand lagen und seinen Weg durchkreuzen konnten; er hatte das Schicksal der Dynastie selbst durch den reißenden Strom zu tragen. Das alles wog um so schwerer, als der Umschwung mit der schwersten europäischen Krisis seit 1871 zusammenfiel. Es stellte sich nichts Geringeres heraus, als daß der Zar, dem innerlich geschwächten Willen der deutschen Dynastie gegenüber nur noch selbstherrlicher auftretend, noch einmal zu der zweiseeligen und zweideutigen Außenpolitik des Vorjahres zurückgekehrt war. Der Monat November, der die Tragik im Hause der Hohenzollern vor der Welt enthüllte, sollte das Deutsche Reich vor die Frage: Krieg oder Frieden? stellen.


36 [1/306]Über Bismarcks Entschluß, die Franzosen nicht anzugreifen, vgl. S. 317 ff. Dagegen ist bei dem impressionablen Grafen Waldersee in der nächsten Zeit ein Spiel mit dem Gedanken, den Krieg herbeiführen zu müssen, zu bemerken. Tagebücher Waldersees 1, 301, 308, 310 f., 317. ...zurück...

37 [2/306]Der Briefwechsel Bismarcks mit dem Kriegsminister Bronsart v. Schellendorf aus den Jahren 1886/87 und 1887/88 ist in der Deutschen Allgemeinen Zeitung, Jahrgang 1922, abgedruckt. ...zurück...

38 [1/308]"quand elle sera complètement écrasée" (Große Politik 4, 283 f, 285 f, 290 ff.). ...zurück...

39 [1/309]Große Politik 4, 228. ...zurück...

40 [1/310]So Schweinitz am 6. Dezember 1886. ...zurück...

41 [2/310]Randbemerkung Bismarcks zum Bericht von Schweinitz vom 17. Dezember 1886. Bismarck mutete damals der Tragkraft des deutsch-österreichischen Bündnisses das Äußerste zu; vgl. das Urteil des belgischen Gesandten am 27. Dezember 1886: "Die enge Annäherung Deutschlands an Rußland ruft im Wiener Kabinett bittere Erwägungen hervor." Schwertfeger a. a. O. 1, 144 ff. ...zurück...

42 [1/311]Große Politik 5, 96 - 115. ...zurück...

43 [2/311]Der Bericht Herbert Bismarcks vom 6. Januar 1887 ist in der Großen Politik 5, 160 - 163 und 212 - 214 in zwei Teile geschnitten. Über Bismarcks Besprechung mit Schuwalow am 9. Januar: Lucius, Bismarck-Erinnerungen, S. 363 ff. Der Entwurf Schuwalows vom 10. Januar: Große Politik 5, 214 f. ...zurück...

44 [1/312]Erlaß an den Gesandten in München, Graf Werthern, vom 24. Januar 1887, Große Politik 5, 116 ff. Vgl. Uebersberger a. a. O. - Bismarck ließ auch Kálnoky wissen, daß er es für diplomatisch gehalten habe, das Vertrauen zu Rußland stark zu unterstreichen. ...zurück...

45 [2/312]Dem Kronprinzen Rudolf bezeichnete er geradezu als Zweck der Rede, den Ungarn zu zeigen, daß Deutschland sich durch ihre chauvinistischen Reden nicht in einen Krieg hineinschwatzen lassen würde. ...zurück...

46 [1/313]Dabei liefen die wirklichen Absichten Bismarcks im Kriegsfalle gar nicht in dieser Richtung. Vgl. seinen Erlaß an Schweinitz vom 25. Februar 1887: "so wird sich im nächsten Kriege, wenn wir siegen, eine schonende Behandlung empfehlen, gerade wie Österreich gegenüber 1866. Wenn ich im Reichstage anders gesprochen habe, so geschah es, um vom Kriege abzuschrecken. Gelingt letzteres nicht, so würden wir nach der ersten gewonnenen Schlacht Frankreich unter günstigen Bedingungen den Frieden bieten." Große Politik 6, 178. ...zurück...

47 [1/314]Erlasse Bismarcks vom 17. Februar, 28. Februar, 10. März 1887. - Die Überbringung des Schreibens von Kaiser Wilhelm an den Fürsten Alexander vom 3. Februar führte nicht dazu, daß der Zar den Vertragsentwurf Schuwalows aufgenommen hatte. ...zurück...

48 [2/314]Einen Einblick gewährt das Tagebuch des Grafen Lamsdorff, vgl. H. Uebersberger, Abschluß und Ende des Rückversicherungsvertrages, Kriegsschuldfrage, Oktober 1927. ...zurück...

49 [3/314]Tagebuch des Grafen Lamsdorff, 9. Januar 1887: "Ich glaube, daß unser allergnädigster Herr im Grunde seiner Seele entzückt wäre, wenn Deutschland und Frankreich aneinandergerieten, um diesen Konflikt für irgendwelche Zwecke auszubeuten. Andererseits bin ich nicht der Ansicht, daß Frankreich eine Gefahr droht, nur muß sich Fürst Bismarck, um für alle Fälle eine erfolgreiche Verteidigungsstellung gegen uns vorzubereiten, den Anschein geben, als seien diese Maßregeln gegen Frankreich gerichtet, das ihn deswegen nicht angreifen wird." ...zurück...

50 [1/315]Ebenda. In diplomatischen Kreisen hieß es damals, daß in einer Art von Kriegsrat im Januar der Generalstabschef Obrutschew den großen europäischen Krieg an der Seite Frankreichs gefordert habe, während Giers für den Frieden eintrat und bei dem Kaiser Recht erhielt. Graf Wolkenstein an Kálnoky, 23. Januar 1887. - Corti, Alexander von Battenberg, S. 293. ...zurück...

51 [2/315]Tagebuch Lamsdorffs, 24. - 26. Januar, Uebersberger, S. 941. - Goriainow, The end of the alliance of the Emperors. - The American Historical Review XXIII. 336. ...zurück...

52 [3/315]Große Politik 6, 177. ...zurück...

53 [4/315]Die Mitteilung von André Melvil, De la Paix de Francfort à la conférence d'Algeciras, S. 5, am 7. Februar habe Schweinitz dem Zaren die Frage vorgelegt, ob im Kriegsfalle die russische Neutralität angenommen werden dürfe, gegen deutsche Unterstützung auf dem Balkan, und der Zar habe sie abgelehnt, scheint mir nicht genügend beglaubigt. ...zurück...

54 [1/316]Memoiren Francesco Crispis, Deutsche Ausgabe (1912), S. 169. Dazu Erlaß Bismarcks vom 8. Februar 1887. Große Politik 4, 300 ff. ...zurück...

55 [1/317]Memorandum Salisburys für Königin Victoria vom 23. Februar 1887 (augenscheinlich von der Königin dem Kronprinzlichen Hofe in Berlin mitgeteilt). Große Politik 4, 316. ...zurück...

56 [2/317]Hajo Holborn, Deutschland und die Türkei 1878 - 1900 (1926). Bismarck sagte am 11. April den Engländern: "Wird dem Sultan seitens des englischen Kabinetts nur eine Tür geöffnet, durch deren Benutzung er sich der gefährlichen russischen Umarmung entziehen kann, so bin ich überzeugt, daß er sich einer solchen bereitwillig zuwenden wird." ...zurück...

57 [3/317]Belgische Berichte vom 28. Januar (Schwertfeger a. a. O. 1, 152, 156). ...zurück...

58 [1/318]An dieser Formel hielt er auch späterhin fest. ...zurück...

59 [2/318]Bericht des Grafen Münster: 2. Februar 1887. Große Politik 6, 169. ...zurück...

60 [3/318]Vgl. den Schriftwechsel Flourens-Herbette bei G. Pagès, Rapport de la Commission d'Enquête, 1919. ...zurück...

61 [4/318]Über die Mitteilung von Mme. Flourens an die Komtesse Marie Münster, vgl. die belgischen Berichte vom 8. und 11. Februar 1887 (Schwertfeger a. a. O. 1, 160 f.). ...zurück...

62 [5/318]Münster an Bismarck, 17. Juli 1887 (Große Politik 6, 203 ff.). ...zurück...

63 [1/319]Einen zweiten Anlauf unternahm Boulanger am 19. Februar, indem er im Ministerrat ein Kriegsleistungsgesetz für den Kriegsfall vorlegte, aber auch für den einer versuchsweisen Mobilisierung, die er beabsichtigte. Auch dieser Wunsch scheiterte an dem Widerstande des Kabinetts und des Präsidenten Grévy. Man erklärte den Augenblick - unmittelbar vor der Reichstagswahl! - für schlecht gewählt. Bericht Münsters vom 23. Februar 1887. ...zurück...

64 [2/319]Er wolle den Krieg überhaupt nicht und werde auch nicht den aussichtslosen Versuch machen, Frankreich als Macht zu vernichten, sondern im Gegenteil - was er öffentlich nicht sagen könne - es schonend behandeln. ...zurück...

65 [1/320]Graf Herbert Bismarck an Prinz Reuß, 16. Februar und 19. März 1887 (Große Politik 6, 172, 180 ff.). Bismarck hatte keine Ahnung davon, daß der österreichische Kronprinz damals eine zweideutige Rolle spielte: man vergleiche seine Schreiben an seinen - mit Clemenceau verschwägerte - journalistischen Freund M. Szeps von 1886/1887 mit dem Bericht des deutschen Militärattachés vom 25. Mai 1887 (Große Politik 6, 135). ...zurück...

66 [2/320]A. Fr. Pribram, Österreichische Rundschau 1921, S. 57 - 61; O. v. Mitis a. a. O., 359 ff. ...zurück...

67 [3/320]Erlaß an Hatzfeldt vom 3. Februar 1887. Große Politik 4, 300. ...zurück...

68 [1/321]Wenn die englische Regierung während des Weltkrieges in ihren Erklärungen vom 19. Januar und 14. März 1917 bestritt, daß dieser Brief die Auffassung der Regierung wiedergebe, so ist das so wenig zu widerlegen, wie alle Auskünfte, die sie im Parlament auf Anfragen über auswärtige Politik gegeben hat. ...zurück...

69 [2/321]Vgl. die Erklärung Salisburys vom 5. Februar 1887 (o. S. 317) und den englisch-italienischen Abschluß vom 12. Februar 1887. Für die innersten Gedanken Salisburys ist es bezeichnend, daß er noch am 20. Juli 1887 dem Botschafter Lord Lyons gestand, an fünf oder sechs Stellen stehe man mit Frankreich im Streit: "Könnten Sie sich wundern, daß in meinen Augen ein Silberstreifen selbst an der großen, dunklen Wolke eines französisch-deutschen Krieges haftet?" ...zurück...

70 [3/321]Graf Waldersee antwortete am 10. Juli 1888 auf eine Frage Bismarcks, ob es zweckmäßig sei, unter Bruch der Neutralität durch Belgien zu marschieren: daß er abraten müsse, es dagegen für sehr erwünscht halte, wenn Frankreich durch Belgien operieren wolle (Denkwürdigkeiten 1, 412). ...zurück...

71 [1/322]Mit Recht legte die Norddeutsche Allgemeine Zeitung diesen Ausbruch zu den zahllosen Belegen, die eines Tages den Beweis der Ruhe erbringen würden, mit der Deutschland lange Jahre hindurch die frechsten Herausforderungen ertragen habe. Der französische Botschafter sah sich jedoch veranlaßt, über den schulmeisterlichen Ton des offiziösen Organs sich vertraulich zu beklagen. Bericht des belgischen Gesandten vom 1. April 1887 (Schwertfeger a. a. O., 1, 184). ...zurück...

72 [2/322]Lucius a. a. O., S. 378 ff. Daß Bismarck in diesen Tagen im tiefsten Geheimnis die damals von verschiedenen Seiten betriebene Rückkehr des Battenbergers nach Bulgarien seinerseits gefördert habe (Corti 294), ist bei dem Mangel an authentischem Material nicht einwandsfrei zu beweisen. ...zurück...

73 [3/322]Dementsprechend wurde das Urteil Bismarcks wieder pessimistischer, vgl. seine Mitteilung in der Sitzung des preußischen Staatsministeriums am 10. April (Lucius a. a. O., 381). Auch als Giers am 14. April mitteilte, er werde nunmehr die Sache in die Hand nehmen, hatte er nur ein mißtrauisches "Abwarten" dafür übrig. ...zurück...

74 [1/323]Schon am 22. April ließ er den französischen Außenminister wissen, daß der Polizeiagent sofort in Freiheit gesetzt werden würde, wenn sich seine Unschuld aus der schwebenden Untersuchung ergebe. Am 24. April erklärte er, wenn Mißgriffe vorgekommen seien, würde er sie lebhaft bedauern und mißbilligen. ...zurück...

75 [2/323]H. O. Meisner, Aus dem Briefwechsel Waldersees, S. 85. ...zurück...

76 [3/323]So Präsident Grévy zum Grafen Münster. Große Politik 6, 204. ...zurück...

77 [1/324]Während der Kabinettskrise erfolgte übrigens eine Veröffentlichung des Depeschenwechsels Décazes-Leflô aus dem Jahre 1875. Der belgische Gesandte Beyens urteilte damals: "Wenn der große Kanzler 1875 wirklich den Plan eines Angriffs auf Frankreich gefaßt hätte, so mußte er mehr als einmal und muß besonders heute bedauern, ihn nicht ausgeführt zu haben" (Schwertfeger a. a. O., 1, 192). ...zurück...

78 [2/324]Dieses sei gesagt, um die neueren französischen Versuche abzuweisen, die Revanche Boulangers mit der nationalistischen Bewegung Adolf Hitlers auf eine Stufe zu stellen: die scheinbare Parallele versagt an allen entscheidenden Stellen. Wenn man in Frankreich trotzdem vergleichen will, wird man den Methoden, die Bismarck gegen den Kriegswillen von 1887 anwandte, mehr Verständnis entgegenbringen müssen als bisher. ...zurück...

79 [3/324]Über die Verhandlung: Goriainow a. a. O. ...zurück...

80 [1/325]Bei einem Abschluß auf 5 Jahre wäre der Ablauf nicht mit dem Rücktritt Bismarcks zusammengefallen! ...zurück...

81 [1/326]Randbemerkung des Zaren, nach einer Mitteilung Schuwalows vom 12. Februar 1890. ...zurück...

82 [2/326]Kaiser Franz Joseph an Kálnoky am 9. August 1887. Die Klagen Kaiser Wilhelms hängen zum Teil damit zusammen, daß er nicht die ganze Wahrheit sagen konnte, vgl. Bismarcks Denkschrift für den Kaiser vom 28. Juli 1887 (Große Politik 5, 266 ff.), aber alle seine Urteile aus den letzten Lebensjahren sind auf denselben Ton gestimmt. Vgl. Radowitz, Aufzeichnungen 2, 274 (August 1887). ...zurück...

83 [3/326]Die neueste Untersuchung von H. J. Schlochauer, Der deutsch-russische Rückversicherungsvertrag (1931), sieht in dem Rückversicherungsvertrage wegen der Unvereinbarkeit der Meerengenbestimmung des Zusatzprotokolls mit dem Dreibundsvertrag und dem italienischen Separatvertrag ein völkerrechtliches Delikt, auf Grund dessen Österreich und Italien die Rückgängigmachung hätten fordern können. Es ist aber sehr bemerkenswert, daß die Bedenken der Praktiker, des Auswärtigen Amtes im Jahre 1890, sich keineswegs auf diese, sondern auf andere Gründe der Unvereinbarkeit (mit den rumänischen Verträgen) gründeten. ...zurück...

84 [1/328]Bismarck an Kaiser Wilhelm II. am 19. August 1888. Große Politik 6, 343 f.: Wenn Rußland über Schluß und Öffnung des Bosporus verfüge, sei es im Schwarzen Meer gesichert und seine Expansionskraft gegen Persien und Indien verwendbar: "damit ist dann für England die Unmöglichkeit gegeben, in seiner bisherigen Fiktion einer kühlen Zuschauerrolle zu verharren, und wir können abwarten, wie die Konstellation unter den übrigen Mächten sich gestaltet, da ein russischer Angriff auf Konstantinopel an sich noch keinen casus foederis zwischen Österreich und uns herstellt." ...zurück...

85 [1/331]Die Situation wird durch die Zusammenstellung der Daten erleuchtet: 16. November: Waldersees Vortrag vor Moltke über den Krieg gegen Rußland; 18. November: Besuch des Zaren in Berlin; Stellvertretungsorder für Prinz Wilhelm. 28. November: Stöcker-Versammlung bei Waldersee; 29. November: Entwurf einer Proklamation an die Bundesfürsten durch Prinz Wilhelm. 30. November: Moltkes Denkschrift an Bismarck über den Präventivkrieg. ...zurück...


Der Weltkampf um Ehre und Recht.
Die Erforschung des Krieges in seiner wahren Begebenheit,
auf amtlichen Urkunden und Akten beruhend.
Hg. von Exzellenz Generalleutnant Max Schwarte