SucheScriptoriumBuchversandArchiv IndexSponsor


Bd. 4: Der Seekrieg - Der Krieg um die Kolonien
Die Kampfhandlungen in der Türkei
Der Gaskrieg - Der Luftkrieg

Abschnitt: Die Kampfhandlungen in der Türkei   (Forts.)
Major Erich Prigge

17. Der englische Durchbruch an der Palästinafront und der türkische Rückzug.

Der große Taurus-Tunnel hatte den ganzen Krieg über nicht fertiggestellt werden können. Endlich am 20. September 1918 sollten die letzten Sprengungen und Ausbauten beginnen, so daß nach zehntägiger völliger Sperrung des Tunnels am 1. Oktober der Vollbahnbetrieb durch den Taurus - mithin der erste Verkehr ohne Umladen von Anatolien nach Syrien - einsetzen konnte.

Es war vorauszusehen, daß die Engländer den Zeitraum der Sperrung, in welchem jeder durchgehende Verkehr zur Heeresgruppe F in Palästina aufgehoben werden sollte, zu einem großen Angriff benutzen würden.

Marschall Liman v. Sanders hatte diesen Gesichtspunkt bereits durch ein Fernschreiben vom 17. August an die türkische Heeresleitung sehr bestimmt betont und bis zur Tunnelsperrung einen wesentlich erhöhten Betrieb der einzigen für den Nachschub vorhandenen Bahnlinie gefordert.

Das türkische Hauptquartier konnte jedoch den durchaus berechtigten Forderungen nicht in nennenswertem Umfange entsprechen. Daher blieb der Nachschub ganz unzureichend.

Die Leistungsfähigkeit der Bahn von Aleppo zur Front hatte sich in den Sommermonaten immer weiter verschlechtert, da keine Kohlen von Konstantinopel [477] mehr geliefert wurden und sogar die Beschaffung des Holzes zur Heizung der Lokomotiven im Lande auf die größten Schwierigkeiten stieß. Im August und September mußten vielfach Oliven- und Feigenbäume sowie Rebstöcke im Nablustale und an anderen Orten geschlagen werden, um überhaupt Heizmaterial zu gewinnen. Auf der Strecke Aleppo - Homs - Hama und auf mehreren Strecken der Hedjasbahn bestand zudem ein derartiger Wassermangel, daß die wenigen Züge zeitweise liegen bleiben mußten, bis Wasserwagen den Lokomotiven das erforderliche Wasser zuführten.

Während dieses Notstandes, der bei der Heeresgruppe in jeder Richtung empfindlich bemerkbar geworden war, erschienen am 17. September nördlich und südlich vom Eisenbahnscheitelpunkte Deraa starke Kräfte feindlicher Araber, die von englischen Offizieren begleitet waren und Sprengmunition auf Kraftwagen mit sich führten. Es gelang ihnen nach Überwältigung der schwachen Bahnsicherungen die Strecke nördlich von Deraa durch Schienensprengungen auf mehrere Kilometer und diejenige südlich von Deraa an verschiedenen Punkten - darunter Brücken - zu unterbrechen.

Der Oberbefehlshaber schickte sofort Oberstleutnant Willmer mit zwei verstärkten Kompagnien des Depotregiments Haifa nach Deraa, und befahl dem Kommandanten von Damaskus die schleunige Entsendung von Verstärkungen nach Deraa, um die Wiederherstellungsarbeiten zu schützen. Hieraus entwickelten sich mehrtägige heftige Kämpfe an der Bahnlinie im Rücken der Armee. Sie waren die Einleitung zu dem großen englischen Angriff. An dem gleichen Tage, am 17. September, wurde durch einen indischen Überläufer im Küstenabschnitt bekannt, daß ein sehr starker englischer Angriff dort am 19. September beabsichtigt sei.

Die 7. und 8. Armee zogen ihre geringen örtlichen Reserven an die vordere Linie heran. Das Oberkommando entsandte auch den letzten Teil seiner Stabswache dorthin.

Der feindliche Angriff begann bei der 7. Armee, deren Oberbefehl Mustapha Kemal im August übernommen hatte, in der Nacht vom 18. zum 19. September.

Die Front dieser Armee hielt im allgemeinen gut stand.

In der ersten Frühe des 19. September setzte ein überaus heftiges zweistündiges Trommelfeuer seitens der Engländer im Küstenabschnitt ein. Als die Engländer dann zum Angriff vorgingen, waren die türkischen Truppen zum größten Teile verschwunden; seit langem unterernährt und kaum noch bekleidet, hatten sie dem Trommelfeuer nicht standhalten können.

Wo im Küstenabschnitt an einzelnen wenigen Stellen gehalten und gekämpft wurde, waren es deutsche Offiziere, die türkische Truppen befehligten, wie Major Tiller und Major Pfeiffer, oder jüngere deutsche Offiziere mit einigen wenigen Mannschaften, die zu Fernsprechtrupps, zu Bahnkommandos, zu Brunnenbohr- [478] kommandos oder dergleichen gehörten. Naturgemäß wurde auch dieser geringe Widerstand bald gebrochen. Deutsche Kampftruppen hatten nicht im Küstenabschnitt gestanden.

Die übergroße Überlegenheit der englischen Flieger, welche gegenüber den wenigen noch vorhandenen deutschen Fliegern ungefähr mit 30 : 1 abzuschätzen war, hatte schon im Monat September die Luftaufklärung auf türkischer Seite fast völlig ausgeschaltet. Jetzt wurde diese Überlegenheit eine besonders empfindliche, da die englischen Luftgeschwader am Morgen des 19. September zuerst alle Telephonzentralen durch Bombenwürfe zerstörten und dann - sich ununterbrochen ablösend - gegen die zurückgehenden Haufen und Kolonnen der türkischen Truppen wirkten. Von der rechten Gruppe der 8. Armee bestanden bald nur noch zügellose, auf den Wegen zurückströmende Schwärme und zurückeilende türkische Stäbe mit ihren Bagagen.

Die linke Gruppe der 8. Armee unter Oberst v. Oppen, welcher Anfang August den nach Deutschland zurückberufenen Oberst v. Frankenberg ersetzt hatte, hatte durch das völlige Versagen der türkischen rechten Gruppe einen sehr schweren Stand.

Der an der Küste durchgebrochene Feind, bei welchem sich auch zwei Kavallerie-Divisionen befanden, drückte fortdauernd gegen die offene rechte Flanke dieser Gruppe. Der größere Teil der Truppen des Oberst v. Oppen leistete aber tapferen Widerstand und kämpfte, langsam von Abschnitt zu Abschnitt zurückweichend. Hier hat sich insbesondere das Asienkorps ausgezeichnet.

Allmählich mußte auch die 7. Armee ihren rechten Flügel zurückbiegen, um mit Oberst v. Oppen im Zusammenhang zu bleiben.

Die 4. Armee im Ostjordanlande wurde nicht an ihrer Jordanfront, sondern nur an der Hedjasbahn angegriffen. Sie erhielt vom Marschall Anweisung, der 7. Armee ein Kavallerie-Regiment am Jordan zur Verfügung zu stellen.

Der allgemeine Rückzug der Heeresgruppe erwies sich bald als unvermeidlich. Infolge des starken feindlichen Vordringens im Küstenabschnitt gingen das Oberkommando der 8. Armee und die Trümmer der rechten Gruppe dieser Armee auf Anebta in östlicher und nicht, wie im Falle eines Rückzuges vorgesehen war, in nördlicher Richtung zurück.

Der Oberbefehlshaber der Heeresgruppe hatte am Mittag des 19. September ein Detachement aus den in Nazareth und Umgegend vorhandenen Depot- und Etappentruppen zusammengestellt und es unter dem Befehl des Major Frey nach Leddjun zur Sicherung des dortigen Engweges entsandt. Über Leddjun führte der Weg aus dem Küstenabschnitt in die südlich von Nazareth gelegene große Ebene Jesreel. Dies Detachement hat leider seine Aufgabe nicht erfüllen können. Es wurde noch am Abend des 19. September überrascht und zersprengt, ohne daß die Heeresgruppe irgendwelche Meldung hierüber erhielt. Das Versagen dieser [479] Abteilung wurde besonders deshalb verhängnisvoll, weil dadurch englische Kavallerie in den Rücken der zerstreuten türkischen Teile oder der einzeln zurückgehenden kleinen deutschen Formationen gelangte, die auf dem Wege über Djenin nach der Ebene Jesreel und weiter nach Nazareth waren.

Am Abend des 19. bestand noch die Hoffnung, daß die Truppen des Oberst v. Oppen von Messudije über Djenin nach Norden zurückgehen konnten, und daß der nunmehrige rechte Flügel an den Höhen von Nazareth wieder Front machen würde.

Am 20. September zwischen 5 und 6 Uhr Morgens wurde das Oberkommando der Heeresgruppe in Nazareth durch starke feindliche Kavallerie überfallen. Sie hatte einen weiten Nachtritt - der als kavalleristische Leistung volle Anerkennung verdient - ausgeführt.

Da das Oberkommando der Heeresgruppe die Stabswachen und alles, was brauchbar war, zur Front entsandt oder noch am 19. nach Leddjun geschickt hatte, war es von Truppen fast ganz entblößt. In Nazareth waren nur noch ein Rest von Ausbildungspersonal und nicht fertig ausgebildeten Mannschaften des Depot-Regiments Würth v. Würthenau sowie die Wachen und Arbeiter der Etappe. Für alle Notfälle aber war aus dem deutschen Hilfspersonal, welches zum Stabe der Heeresgruppe gehörte, eine Kompagnie zusammengestellt und hatte täglich in diesem Verbande geübt. Sie hat sich an diesem Morgen sehr bewährt.

Da die Engländer ohne Kampf in den Südteil der Stadt eingedrungen waren, entwickelte sich erst mitten in der Stadt selbst ein heftiger Straßenkampf. Das englische Vorgehen wurde dort völlig zum Halten gebracht. Aus den Höhen, die Nazareth im Westen und Osten umgeben, traten zahlreiche englische Maschinengewehre in Tätigkeit. Der Feind hatte aber nicht nach der aus dem nördlichen Stadtteil nach Tiberias führenden Straße herumgegriffen, so daß während des Straßenkampfes die nicht direkt in den Kampf gezogenen Verwaltungsbehörden, Lazarette, Kraftwagen, Wagen und Pferde die Stadt auf diesem Wege verlassen konnten.

Der Oberbefehlshaber blieb bei den kämpfenden Truppen. Es entwickelte sich das merkwürdige Bild, daß der zurückgebliebene Stab der Heeresgruppe in Kasa Nova - dem Pilgerhaus, in dem sich die Geschäftsräume befanden - und bei den dicht vor Kasa Nova an einer Mauer knienden Schützen war, und daß der englische Stab im Hotel Germania, nur 300 m davon entfernt, seinen Standort hatte.

Als die Engländer nach 8 Uhr Vm. auf den Höhen westlich der Stadt im Vorgehen in der Richtung auf die Straße nach Tiberias waren, ließ der Oberbefehlshaber, der sich zu Major Würth v. Würthenau begeben hatte, durch den Rest des Depot-Regiments einen dreimal wiederholten Angriff gegen [480] die Engländer auf der Höhe westlich des französischen Waisenhauses machen. Erst beim dritten Vorstoß gingen die Engländer zurück und begannen dann auch aus der Stadt zu weichen. Um 1030 Uhr Vm. setzte der Rückzug der gesamten feindlichen Kavallerie in Richtung nach Westen ein. Nazareth war wieder frei vom Feinde! Neben einer englischen Kavallerie-Brigade mit Panzerwagen waren auch französische Chasseurs d'Afrique an dem Überfall beteiligt. Daß dieser Raid, der auf Gefangennahme des Oberbefehlshabers und seines Stabes abzielte, mißlang, ist gewiß für den Feind sehr schmerzlich gewesen. Es bleibt aber keinesfalls zu rechtfertigen, daß, um das Mißlingen zu verschleiern, von ihm die völlig unwahre Nachricht verbreitet wurde, daß der Oberbefehlshaber nur durch die Schnelligkeit seines Automobils der Gefangenschaft entgangen sei. Er verließ erst nach 1 Uhr Nm. mit dem Stabschef Kiazim Pascha Nazareth, also zwei Stunden nach dem Rückzuge des Feindes, als bereits das gesamte Oberkommando auf dem Wege nach Tiberias war. Lediglich seinem persönlichen Eingreifen und dem vorbildlichen Einsetzen seiner Person ist es zu danken, daß eine Panik verhütet und der feindliche Plan zum Scheitern gebracht wurde.

Während das Hauptquartier nach Damaskus verlegt wurde, ging der Oberbefehlshaber zuerst nach Samach und dann nach Deraa.

Das empfindlichste bei dem Überfall auf Nazareth und das in seinen Folgen schädlichste war, daß vom frühen Morgen bis zum späteren Nachmittage des 20. September jede Verbindung zum Oberkommando der 7. Armee nach Nablus unterbrochen war. Als der Oberbefehlshaber 5 Uhr Nm. in Samach Anschluß zum Armee-Oberkommando 7 suchte, hatte dieses bereits Nablus geräumt und war auf dem Wege zum Jordan. Nur mit dem Armee-Oberkommando 4 in Es Salt war noch Verbindung zu gewinnen.

Die 7. Armee, die zuerst tapfer standgehalten hatte, litt auf ihrem Rückzuge nach Besan - der in den Direktiven der Heeresgruppe bestimmt war - ganz außerordentlich durch die Angriffe der englischen Fliegergeschwader. Die von Bergen eingeengte Straße bot das denkbar günstigste Ziel für diese Angriffe, die sich auch am Nachmittage des 20. und während des ganzen 21. mit ganz kurzen Unterbrechungen wiederholten. Nach den Aussagen der bei den Marschkolonnen befindlichen deutschen Offiziere wurden die Türken bei den meisten Verbänden vollkommen kopflos und zerstreuten sich in die Berge.

Durch die Schwäche der schlecht ernährten Zugtiere und Tragtiere blieb auch jedes Auffahren von Artillerie seitwärts der Straße unmöglich. Die meisten Geschütze und Fahrzeuge mußten im Stich gelassen werden, weil die Tiere entweder durch Fliegerbomben zerschmettert waren oder vor Erschöpfung nicht mehr weiter konnten. Die engen Stellen der Wege waren schließlich durch Fahrzeuge und Leichen gesperrt.

Es konnte wohl nirgends schärfer wie bei den hier zurückgehenden türkischen Armeen zum Ausdruck kommen, welchen ungeheuren Nachteil das Fehlen einer [481] brauchbaren Kavallerie und das Fehlen von eigenen Fliegern in heutiger Zeit für einen Rückzug bedeutet, wenn der Gegner überreich mit beiden Waffen ausgestattet ist.

Auch Oberst v. Oppen hatte die Richtung nach dem Jordan nehmen müssen, da die englische Umfassung immer weiter nach Norden ausgeholt hatte. Er war am 21. September von Nablus weiter nördlich durch die Berge ausgebogen.

Am Jordan standen den zurückgehenden Truppen neue Schwierigkeiten bevor, da die Engländer sich schon am 20. September mit Kavallerie in Besan festgesetzt hatten. Die auf Befehl des Marschalls von der 4. Armee dorthin entsandte 3. Kavallerie-Division - zwei schwache Regimenter - hatte unter Führung eines entschlußlosen Regiments-Kommandeurs völlig versagt und nur für ihre eigene Sicherheit gesorgt. So gab es auch beim Überschreiten des Jordans noch schwere Verluste.

Am 22. September begann der Rückzug der 4. Armee in allgemeiner Richtung auf Muzerib - Deraa, nachdem der Oberbefehlshaber der Heeresgruppe schon mehrfach darauf hingewiesen hatte, daß ihr längeres Verweilen in der bisherigen Aufstellung nicht tunlich sei. Die 4. Armee hatte im Gegensatz hierzu das Herankommen ihrer an der Hedjasbahn stehenden Teile abwarten wollen.

Vom Marschall war ein Halt im gesamten Rückzuge derart geplant und befohlen worden, daß die durch das Ostjordanland zurückgehenden Armeen zwischen Samach und Deraa Front machen, während alle westlich des Jordans zurückgehenden Truppen den Tiberias-Abschnitt vom Hule-See bis Samach verteidigen sollten.

Ein Aufenthalt des Feindes am Tiberias-Abschnitt ist auch erreicht worden, aber kein derartiger Halt, daß die durch das Ostjordanland zurückgehenden Truppen zum Widerstand zwischen Samach und Deraa festgehalten und geordnet werden konnten. Die am Tiberias-Abschnitt verfügbaren Truppen waren zu schwach, als daß sie starken feindlichen Angriffen längere Zeit hätten widerstehen können. Sie haben aber mit großer Tapferkeit dem Feinde einen derartigen Aufenthalt bereitet, daß tatsächlich die 7. und 4. Armee - soweit sie noch bestanden - am 29. und 30. September durch Damaskus ziehen konnten, ehe die englische Kavallerie die Höhen bei Damaskus erreichte.

Bei Samach hatte Hauptmann v. Keyserlingk den Engländern wertvollen Widerstand geleistet.

Ebenso gebührt das höchste Lob den durch das Ostjordanland unter unendlichen Mühen und Entbehrungen in heißester Sonnenglut bei Wassermangel auf schlechten, steinigen Wegen zurückgegangenen beiden deutschen Truppenverbänden, dem Asienkorps unter Oberst v. Oppen und dem Infanterie-Regiment 146 unter Oberstleutnant Freiherr v. Hammerstein.

[482] Das letztgenannte Regiment bildete stets die Nachhut der 4. Armee, solange nur ein Feind folgte.

Der vielen einzelnen Deutschen, welche sich unter unerhörten Strapazen, immer von Arabern bedroht, durchschlagen mußten, kann leider nur mit diesen wenigen Worten gedacht werden.

Die Sorgen des Oberbefehlshabers waren nach dem Durchzuge durch Damaskus, bei dem sich viele Türken von ihren Truppen getrennt hatten und in der Stadt verschwunden waren, nicht erschöpft. Es lag ja zu nahe, daß der Feind, wie es die Lage für ihn gebot, von seinen vier starken Kavallerie-Divisionen zur überholenden Verfolgung Gebrauch machte. Deswegen war von der Heeresgruppe eine Gruppe bei Rajak gebildet worden, im rechten Winkel zur weiteren Rückzugsstraße, die ein Vorgehen der englischen Kavallerie zur großen Ebene von Rajak und zur Beka-Niederung verhindern sollte.

Das Asienkorps war von Deraa mit der Bahn nach Rajak vorausbefördert, um dieser Gruppe einen besonders starken Halt zu geben.

Die Engländer hatten andere Gesichtspunkte und folgten nur frontal! Ebensowenig machten sie von ihrer Beherrschung des Meeres Gebrauch: sie landeten weder Truppen in Haifa, Beirut, Tripolis, noch im Busen von Alexandrette, um den unter den größten Schwierigkeiten zurückgehenden türkischen Armeen den weiteren Rückzug zu verlegen. Eine Landung in allen Häfen der syrischen Küste wäre für sie in keiner Weise gefahrvoll gewesen, da alle Küstenstädte ihren Anschluß an die neue arabische Regierung erklärt hatten.

So konnte der türkische Rückzug über Homs und Hama auf Aleppo fortgesetzt werden. Die Eisenbahn wurde hierzu, soweit es ihre geringe Leistungsfähigkeit möglich machte, herangezogen, und alle vorhandenen Lastkraftwagen wurden für die Beförderung ausgenutzt.

Bei Aleppo wurden neue Verbände gebildet, die als 7. Armee unter Mustapha Kemal zusammengefaßt wurden.

Die 2. Armee unter Nehad Pascha, welche während des Rückzugs der Heeresgruppe unterstellt worden war, wurde mit ihrem Oberkommando nach Adana verlegt. Ihr wurde die Abwehr einer feindlichen Landung an den Küsten des Golfs von Alexandrette aufgegeben. Zu ihr wurden das Asienkorps und das Infanterie-Regiment 146 herangezogen. Dort in der Adana-Ebene, in Tarsus, ereilte den tapferen Führer des Asienkorps, Oberst v. Oppen, der Tod durch Cholera.

Die Engländer und die arabische Armee folgten sehr langsam und vorsichtig auf Aleppo.

Vom 25. bis 31. Oktober griffen Engländer und Araber die 7. Armee bei Aleppo an. Die zusammengestellte Armee hatte wieder eine gewisse Gefechtskraft gewonnen und schlug sich gut. Sie wies verschiedene feindliche Angriffe zurück und ging dann unter weiteren Kämpfen, um nicht in der Ebene umfaßt zu [483] werden, schrittweise auf die Höhen bei Katma nördlich von Aleppo zurück. Hier traf sie am 31. Oktober die Nachricht vom Waffenstillstande, den die Türkei mit der Entente abgeschlossen hatte.

Marschall Liman v. Sanders übergab den Oberbefehl über die Heeresgruppe an Mustapha Kemal und trat an demselben Tage mit seinem deutschen Stabe die Rückreise nach Konstantinopel an.

Den deutschen Truppen in der Türkei war durch die Bedingungen des Waffenstillstandes der freie Abzug in die Heimat gewährleistet worden.


18. Schlußwort.

Wenn man auf die Geschichte der türkischen Feldzüge im Weltkriege zurückschaut, so gelangt man zu dem Ergebnis, daß die türkischen Pläne im Kaukasus die Veranlassung zu den schwersten Verlusten sind, welche die Türkei erlitten hat.

Der erste Kaukasus-Feldzug Enver Paschas 1914/15 hat durch die offensive Führung eine große und gute Armee geopfert, welche allein imstande gewesen wäre, dem russischen Vorgehen defensiv auch für die Zukunft Halt zu gebieten.

Der Ansatz der 2. Armee zur Offensive auf Erzerum im Jahre 1916 hat die damals noch guten und starken türkischen Kräfte in eine unfruchtbare Richtung geführt. Er endete mit einem Fehlschlag, durch den lediglich ein großes und gutes Menschenmaterial geopfert wurde. Der Feldzug nach Persien hinein, der auch mit den islamitischen Plänen im Osten des Reiches zusammenhängt, hat den Verlust von Bagdad verschuldet. Der groß angelegte Feldzug im Kaukasus im Jahre 1918, der wieder dem Gedanken eines großen islamitischen Reiches diente, ist ohne jedes Ergebnis für die Entscheidung des Krieges geblieben und hat den anderen Fronten, insbesondere der Palästina-Front, die notwendigen Heereskräfte entzogen.

Der echt orientalische Gedanke, daß das große Reich des Islam nur im Osten erstehen könne, wo die Sonne aufgeht und die Wiege der Menschheit stand, scheint die Blicke immer wieder nach dem Osten geleitet zu haben; denn alle die genannten Operationen sind Offensiv-Feldzüge gewesen!

Es ist ein Verhängnis, daß die Führer der Türkei nicht erkannten, daß die Vorbedingung für die von ihnen erstrebten Pläne der Sieg oder doch die siegreiche Abwehr auf den anderen Kriegsschauplätzen war. Für diese ist nur der Dardanellen-Feldzug von Bedeutung gewesen, weil er die direkte Verbindung von England, Frankreich und Italien mit Rußland für den Krieg endgültig unterbunden hat! Dieser Feldzug war aber für die Türken ein reiner Defensiv-Feldzug zum Schutze Konstantinopels, für das Bestehen des osmanischen Reiches.

Heute hat wieder die bittere Not die Türkei in den Kriegszustand gestellt. Nur weil die Türkei aus den ihr auferlegten Friedensbedingungen klar ihren [484] Untergang voraussieht, steht fast das ganze Land hinter Mustapha Kemal, der seinem Vaterlande Ehre und Besitz erhalten will.

Soweit Menschen urteilen können, wird ihm dies auch gelingen.

Mustapha Kemal als Soldat ist ein Schüler des Marschalls Liman v. Sanders, dem er von dem Augenblicke ab, als er von dem Militär-Attaché-Posten in Sofia in die Front zurücktrat, lange und während der wichtigsten Zeitabschnitte des Krieges unterstanden hat.

Vielleicht wird die Türkei noch in späteren Tagen dem deutschen Einfluß ein dankbares Gedenken bewahren, durch den ihre besten Söhne in harten Zeiten sich zu selbständigen und kraftvollen Kämpfern geformt haben. Sie wird sich dann auch des Mannes erinnern, der ihr in schwerster Zeit ein kraftvoller Führer war, - des Marschall Liman v. Sanders.

Der Weltkampf um Ehre und Recht.
Die Erforschung des Krieges in seiner wahren Begebenheit,
auf amtlichen Urkunden und Akten beruhend.
Hg. von Exzellenz Generalleutnant Max Schwarte