Bd. 4: Der Seekrieg - Der Krieg um die
Kolonien
Die Kampfhandlungen in der Türkei
Der Gaskrieg - Der Luftkrieg
Abschnitt: Die
Kampfhandlungen in der Türkei
(Forts.)
Major Erich Prigge
17. Der englische Durchbruch an der
Palästinafront und der türkische
Rückzug.
Der große Taurus-Tunnel hatte den ganzen Krieg über nicht
fertiggestellt werden können. Endlich am 20. September 1918 sollten die
letzten Sprengungen und Ausbauten beginnen, so daß nach
zehntägiger völliger Sperrung des Tunnels am 1. Oktober der
Vollbahnbetrieb durch den Taurus - mithin der erste Verkehr ohne
Umladen von Anatolien nach Syrien - einsetzen konnte.
Es war vorauszusehen, daß die Engländer den Zeitraum der Sperrung,
in welchem jeder durchgehende Verkehr zur Heeresgruppe F in
Palästina aufgehoben werden sollte, zu einem großen Angriff
benutzen würden.
Marschall Liman v. Sanders hatte diesen Gesichtspunkt bereits durch ein
Fernschreiben vom 17. August an die türkische Heeresleitung sehr
bestimmt betont und bis zur Tunnelsperrung einen wesentlich erhöhten
Betrieb der einzigen für den Nachschub vorhandenen Bahnlinie
gefordert.
Das türkische Hauptquartier konnte jedoch den durchaus berechtigten
Forderungen nicht in nennenswertem Umfange entsprechen. Daher blieb der
Nachschub ganz unzureichend.
Die Leistungsfähigkeit der Bahn von Aleppo zur Front hatte sich in den
Sommermonaten immer weiter verschlechtert, da keine Kohlen von
Konstantinopel [477] mehr geliefert wurden
und sogar die Beschaffung des Holzes zur Heizung der Lokomotiven im Lande
auf die größten Schwierigkeiten stieß. Im August und
September mußten vielfach Oliven- und Feigenbäume sowie
Rebstöcke im Nablustale und an anderen Orten geschlagen werden, um
überhaupt Heizmaterial zu gewinnen. Auf der Strecke
Aleppo - Homs - Hama und auf mehreren Strecken der
Hedjasbahn bestand zudem ein derartiger Wassermangel, daß die wenigen
Züge zeitweise liegen bleiben mußten, bis Wasserwagen den
Lokomotiven das erforderliche Wasser zuführten.
Während dieses Notstandes, der bei der Heeresgruppe in jeder Richtung
empfindlich bemerkbar geworden war, erschienen am 17. September
nördlich und südlich vom Eisenbahnscheitelpunkte Deraa starke
Kräfte feindlicher Araber, die von englischen Offizieren begleitet waren
und Sprengmunition auf Kraftwagen mit sich führten. Es gelang ihnen nach
Überwältigung der schwachen Bahnsicherungen die Strecke
nördlich von Deraa durch Schienensprengungen auf mehrere Kilometer und
diejenige südlich von Deraa an verschiedenen
Punkten - darunter Brücken - zu unterbrechen.
Der Oberbefehlshaber schickte sofort Oberstleutnant Willmer mit zwei
verstärkten Kompagnien des Depotregiments Haifa nach Deraa, und befahl
dem Kommandanten von Damaskus die schleunige Entsendung von
Verstärkungen nach Deraa, um die Wiederherstellungsarbeiten zu
schützen. Hieraus entwickelten sich mehrtägige heftige
Kämpfe an der Bahnlinie im Rücken der Armee. Sie waren die
Einleitung zu dem großen englischen Angriff. An dem gleichen Tage, am
17. September, wurde durch einen indischen Überläufer im
Küstenabschnitt bekannt, daß ein sehr starker englischer Angriff dort
am 19. September beabsichtigt sei.
Die 7. und 8. Armee zogen ihre geringen örtlichen Reserven an die vordere
Linie heran. Das Oberkommando entsandte auch den letzten Teil seiner
Stabswache dorthin.
Der feindliche Angriff begann bei der 7. Armee, deren Oberbefehl Mustapha
Kemal im August übernommen hatte, in der Nacht vom 18. zum 19.
September.
Die Front dieser Armee hielt im allgemeinen gut stand.
In der ersten Frühe des 19. September setzte ein überaus heftiges
zweistündiges Trommelfeuer seitens der Engländer im
Küstenabschnitt ein. Als die Engländer dann zum Angriff vorgingen,
waren die türkischen Truppen zum größten Teile
verschwunden; seit langem unterernährt und kaum noch bekleidet, hatten
sie dem Trommelfeuer nicht standhalten können.
Wo im Küstenabschnitt an einzelnen wenigen Stellen gehalten und
gekämpft wurde, waren es deutsche Offiziere, die türkische Truppen
befehligten, wie Major Tiller und Major Pfeiffer, oder jüngere deutsche
Offiziere mit einigen wenigen Mannschaften, die zu Fernsprechtrupps, zu
Bahnkommandos, zu Brunnenbohr- [478] kommandos oder
dergleichen gehörten. Naturgemäß wurde auch dieser geringe
Widerstand bald gebrochen. Deutsche Kampftruppen hatten nicht im
Küstenabschnitt gestanden.
Die übergroße Überlegenheit der englischen Flieger, welche
gegenüber den wenigen noch vorhandenen deutschen Fliegern
ungefähr mit 30 : 1 abzuschätzen war, hatte schon im
Monat September die Luftaufklärung auf türkischer Seite fast
völlig ausgeschaltet. Jetzt wurde diese Überlegenheit eine besonders
empfindliche, da die englischen Luftgeschwader am Morgen des 19. September
zuerst alle Telephonzentralen durch Bombenwürfe zerstörten und
dann - sich ununterbrochen ablösend - gegen die
zurückgehenden Haufen und Kolonnen der türkischen Truppen
wirkten. Von der rechten Gruppe der 8. Armee bestanden bald nur noch
zügellose, auf den Wegen zurückströmende Schwärme
und zurückeilende türkische Stäbe mit ihren Bagagen.
Die linke Gruppe der 8. Armee unter Oberst v. Oppen, welcher Anfang August
den nach Deutschland zurückberufenen Oberst v. Frankenberg
ersetzt hatte, hatte durch das völlige Versagen der türkischen rechten
Gruppe einen sehr schweren Stand.
Der an der Küste durchgebrochene Feind, bei welchem sich auch zwei
Kavallerie-Divisionen befanden, drückte fortdauernd gegen die offene
rechte Flanke dieser Gruppe. Der größere Teil der Truppen des
Oberst v. Oppen leistete aber tapferen Widerstand und kämpfte,
langsam von Abschnitt zu Abschnitt zurückweichend. Hier hat sich
insbesondere das Asienkorps ausgezeichnet.
Allmählich mußte auch die 7. Armee ihren rechten Flügel
zurückbiegen, um mit Oberst v. Oppen im Zusammenhang zu
bleiben.
Die 4. Armee im Ostjordanlande wurde nicht an ihrer Jordanfront, sondern nur an
der Hedjasbahn angegriffen. Sie erhielt vom Marschall Anweisung, der 7. Armee
ein Kavallerie-Regiment am Jordan zur Verfügung zu stellen.
Der allgemeine Rückzug der Heeresgruppe erwies sich bald als
unvermeidlich. Infolge des starken feindlichen Vordringens im
Küstenabschnitt gingen das Oberkommando der 8. Armee und die
Trümmer der rechten Gruppe dieser Armee auf Anebta in östlicher
und nicht, wie im Falle eines Rückzuges vorgesehen war, in
nördlicher Richtung zurück.
Der Oberbefehlshaber der Heeresgruppe hatte am Mittag des 19. September ein
Detachement aus den in Nazareth und Umgegend vorhandenen
Depot- und Etappentruppen zusammengestellt und es unter dem Befehl des Major
Frey nach Leddjun zur Sicherung des dortigen Engweges entsandt. Über
Leddjun führte der Weg aus dem Küstenabschnitt in die
südlich von Nazareth gelegene große Ebene Jesreel. Dies
Detachement hat leider seine Aufgabe nicht erfüllen können. Es
wurde noch am Abend des 19. September überrascht und zersprengt, ohne
daß die Heeresgruppe irgendwelche Meldung hierüber erhielt. Das
Versagen dieser [479] Abteilung wurde
besonders deshalb verhängnisvoll, weil dadurch englische Kavallerie in den
Rücken der zerstreuten türkischen Teile oder der einzeln
zurückgehenden kleinen deutschen Formationen gelangte, die auf dem
Wege über Djenin nach der Ebene Jesreel und weiter nach Nazareth
waren.
Am Abend des 19. bestand noch die Hoffnung, daß die Truppen des Oberst
v. Oppen von Messudije über Djenin nach Norden zurückgehen
konnten, und daß der nunmehrige rechte Flügel an den Höhen
von Nazareth wieder Front machen würde.
Am 20. September zwischen 5 und 6 Uhr Morgens wurde das Oberkommando der
Heeresgruppe in Nazareth durch starke feindliche Kavallerie überfallen. Sie
hatte einen weiten Nachtritt - der als kavalleristische Leistung volle
Anerkennung verdient - ausgeführt.
Da das Oberkommando der Heeresgruppe die Stabswachen und alles, was
brauchbar war, zur Front entsandt oder noch am 19. nach Leddjun geschickt hatte,
war es von Truppen fast ganz entblößt. In Nazareth waren nur noch
ein Rest von Ausbildungspersonal und nicht fertig ausgebildeten Mannschaften
des Depot-Regiments Würth v. Würthenau sowie die Wachen
und Arbeiter der Etappe. Für alle Notfälle aber war aus dem
deutschen Hilfspersonal, welches zum Stabe der Heeresgruppe gehörte,
eine Kompagnie zusammengestellt und hatte täglich in diesem Verbande
geübt. Sie hat sich an diesem Morgen sehr bewährt.
Da die Engländer ohne Kampf in den Südteil der Stadt eingedrungen
waren, entwickelte sich erst mitten in der Stadt selbst ein heftiger
Straßenkampf. Das englische Vorgehen wurde dort völlig zum Halten
gebracht. Aus den Höhen, die Nazareth im Westen und Osten umgeben,
traten zahlreiche englische Maschinengewehre in Tätigkeit. Der Feind hatte
aber nicht nach der aus dem nördlichen Stadtteil nach Tiberias
führenden Straße herumgegriffen, so daß während des
Straßenkampfes die nicht direkt in den Kampf gezogenen
Verwaltungsbehörden, Lazarette, Kraftwagen, Wagen und Pferde die Stadt
auf diesem Wege verlassen konnten.
Der Oberbefehlshaber blieb bei den kämpfenden Truppen. Es entwickelte
sich das merkwürdige Bild, daß der zurückgebliebene Stab der
Heeresgruppe in Kasa Nova - dem Pilgerhaus, in dem sich die
Geschäftsräume befanden - und bei den dicht vor
Kasa Nova an einer Mauer knienden Schützen war, und daß
der englische Stab im Hotel Germania, nur 300 m davon entfernt, seinen
Standort hatte.
Als die Engländer nach 8 Uhr Vm. auf den Höhen westlich der Stadt
im Vorgehen in der Richtung auf die Straße nach Tiberias waren, ließ
der Oberbefehlshaber, der sich zu Major Würth v. Würthenau
begeben hatte, durch den Rest des Depot-Regiments einen dreimal wiederholten
Angriff gegen [480] die Engländer
auf der Höhe westlich des französischen Waisenhauses machen. Erst
beim dritten Vorstoß gingen die Engländer zurück und
begannen dann auch aus der Stadt zu weichen. Um 1030 Uhr Vm. setzte der
Rückzug der gesamten feindlichen Kavallerie in Richtung nach Westen ein.
Nazareth war wieder frei vom Feinde! Neben einer englischen
Kavallerie-Brigade mit Panzerwagen waren auch französische Chasseurs
d'Afrique an dem Überfall beteiligt. Daß dieser Raid, der auf
Gefangennahme des Oberbefehlshabers und seines Stabes abzielte, mißlang,
ist gewiß für den Feind sehr schmerzlich gewesen. Es bleibt aber
keinesfalls zu rechtfertigen, daß, um das Mißlingen zu verschleiern,
von ihm die völlig unwahre Nachricht verbreitet wurde, daß der
Oberbefehlshaber nur durch die Schnelligkeit seines Automobils der
Gefangenschaft entgangen sei. Er verließ erst nach 1 Uhr Nm.
mit dem Stabschef Kiazim Pascha Nazareth, also zwei Stunden nach dem
Rückzuge des Feindes, als bereits das gesamte Oberkommando auf
dem Wege nach Tiberias war. Lediglich seinem persönlichen Eingreifen
und dem vorbildlichen Einsetzen seiner Person ist es zu danken, daß eine
Panik verhütet und der feindliche Plan zum Scheitern gebracht wurde.
Während das Hauptquartier nach Damaskus verlegt wurde, ging der
Oberbefehlshaber zuerst nach Samach und dann nach Deraa.
Das empfindlichste bei dem Überfall auf Nazareth und das in seinen Folgen
schädlichste war, daß vom frühen Morgen bis zum
späteren Nachmittage des 20. September jede Verbindung zum
Oberkommando der 7. Armee nach Nablus unterbrochen war. Als der
Oberbefehlshaber 5 Uhr Nm. in Samach Anschluß zum
Armee-Oberkommando 7 suchte, hatte dieses bereits Nablus geräumt und
war auf dem Wege zum Jordan. Nur mit dem
Armee-Oberkommando 4 in Es Salt war noch Verbindung zu
gewinnen.
Die 7. Armee, die zuerst tapfer standgehalten hatte, litt auf ihrem Rückzuge
nach Besan - der in den Direktiven der Heeresgruppe bestimmt
war - ganz außerordentlich durch die Angriffe der englischen
Fliegergeschwader. Die von Bergen eingeengte Straße bot das denkbar
günstigste Ziel für diese Angriffe, die sich auch am Nachmittage des
20. und während des ganzen 21. mit ganz kurzen Unterbrechungen
wiederholten. Nach den Aussagen der bei den Marschkolonnen befindlichen
deutschen Offiziere wurden die Türken bei den meisten Verbänden
vollkommen kopflos und zerstreuten sich in die Berge.
Durch die Schwäche der schlecht ernährten Zugtiere und Tragtiere
blieb auch jedes Auffahren von Artillerie seitwärts der Straße
unmöglich. Die meisten Geschütze und Fahrzeuge mußten im
Stich gelassen werden, weil die Tiere entweder durch Fliegerbomben
zerschmettert waren oder vor Erschöpfung nicht mehr weiter konnten. Die
engen Stellen der Wege waren schließlich durch Fahrzeuge und Leichen
gesperrt.
Es konnte wohl nirgends schärfer wie bei den hier zurückgehenden
türkischen Armeen zum Ausdruck kommen, welchen ungeheuren Nachteil
das Fehlen einer [481] brauchbaren Kavallerie
und das Fehlen von eigenen Fliegern in heutiger Zeit für einen
Rückzug bedeutet, wenn der Gegner überreich mit beiden Waffen
ausgestattet ist.
Auch Oberst v. Oppen hatte die Richtung nach dem Jordan nehmen
müssen, da die englische Umfassung immer weiter nach Norden ausgeholt
hatte. Er war am 21. September von Nablus weiter nördlich durch die Berge
ausgebogen.
Am Jordan standen den zurückgehenden Truppen neue Schwierigkeiten
bevor, da die Engländer sich schon am 20. September mit Kavallerie in
Besan festgesetzt hatten. Die auf Befehl des Marschalls von der 4. Armee dorthin
entsandte 3. Kavallerie-Division - zwei schwache
Regimenter - hatte unter Führung eines entschlußlosen
Regiments-Kommandeurs völlig versagt und nur für ihre eigene
Sicherheit gesorgt. So gab es auch beim Überschreiten des Jordans noch
schwere Verluste.
Am 22. September begann der Rückzug der 4. Armee in allgemeiner
Richtung auf Muzerib - Deraa, nachdem der Oberbefehlshaber der
Heeresgruppe schon mehrfach darauf hingewiesen hatte, daß ihr
längeres Verweilen in der bisherigen Aufstellung nicht tunlich sei. Die 4.
Armee hatte im Gegensatz hierzu das Herankommen ihrer an der Hedjasbahn
stehenden Teile abwarten wollen.
Vom Marschall war ein Halt im gesamten Rückzuge derart geplant und
befohlen worden, daß die durch das Ostjordanland zurückgehenden
Armeen zwischen Samach und Deraa Front machen, während alle westlich
des Jordans zurückgehenden Truppen den
Tiberias-Abschnitt vom Hule-See bis Samach verteidigen sollten.
Ein Aufenthalt des Feindes am Tiberias-Abschnitt ist auch erreicht worden, aber
kein derartiger Halt, daß die durch das Ostjordanland
zurückgehenden Truppen zum Widerstand zwischen Samach und Deraa
festgehalten und geordnet werden konnten. Die am
Tiberias-Abschnitt verfügbaren Truppen waren zu schwach, als daß
sie starken feindlichen Angriffen längere Zeit hätten widerstehen
können. Sie haben aber mit großer Tapferkeit dem Feinde einen
derartigen Aufenthalt bereitet, daß tatsächlich die 7. und 4.
Armee - soweit sie noch bestanden - am 29. und 30. September
durch Damaskus ziehen konnten, ehe die englische Kavallerie die Höhen
bei Damaskus erreichte.
Bei Samach hatte Hauptmann v. Keyserlingk den Engländern wertvollen
Widerstand geleistet.
Ebenso gebührt das höchste Lob den durch das Ostjordanland unter
unendlichen Mühen und Entbehrungen in heißester Sonnenglut bei
Wassermangel auf schlechten, steinigen Wegen zurückgegangenen beiden
deutschen Truppenverbänden, dem Asienkorps unter Oberst
v. Oppen und dem Infanterie-Regiment 146 unter Oberstleutnant Freiherr
v. Hammerstein.
[482] Das letztgenannte
Regiment bildete stets die Nachhut der 4. Armee, solange nur ein Feind
folgte.
Der vielen einzelnen Deutschen, welche sich unter unerhörten Strapazen,
immer von Arabern bedroht, durchschlagen mußten, kann leider nur mit
diesen wenigen Worten gedacht werden.
Die Sorgen des Oberbefehlshabers waren nach dem Durchzuge durch Damaskus,
bei dem sich viele Türken von ihren Truppen getrennt hatten und in der
Stadt verschwunden waren, nicht erschöpft. Es lag ja zu nahe, daß der
Feind, wie es die Lage für ihn gebot, von seinen vier starken
Kavallerie-Divisionen zur überholenden Verfolgung Gebrauch machte.
Deswegen war von der Heeresgruppe eine Gruppe bei Rajak gebildet worden, im
rechten Winkel zur weiteren Rückzugsstraße, die ein Vorgehen der
englischen Kavallerie zur großen Ebene von Rajak und zur
Beka-Niederung verhindern sollte.
Das Asienkorps war von Deraa mit der Bahn nach Rajak vorausbefördert,
um dieser Gruppe einen besonders starken Halt zu geben.
Die Engländer hatten andere Gesichtspunkte und folgten nur frontal!
Ebensowenig machten sie von ihrer Beherrschung des Meeres Gebrauch: sie
landeten weder Truppen in Haifa, Beirut, Tripolis, noch im Busen von
Alexandrette, um den unter den größten Schwierigkeiten
zurückgehenden türkischen Armeen den weiteren Rückzug zu
verlegen. Eine Landung in allen Häfen der syrischen Küste
wäre für sie in keiner Weise gefahrvoll gewesen, da alle
Küstenstädte ihren Anschluß an die neue arabische Regierung
erklärt hatten.
So konnte der türkische Rückzug über Homs und Hama auf
Aleppo fortgesetzt werden. Die Eisenbahn wurde hierzu, soweit es ihre geringe
Leistungsfähigkeit möglich machte, herangezogen, und alle
vorhandenen Lastkraftwagen wurden für die Beförderung
ausgenutzt.
Bei Aleppo wurden neue Verbände gebildet, die als 7. Armee unter
Mustapha Kemal zusammengefaßt wurden.
Die 2. Armee unter Nehad Pascha, welche während des Rückzugs
der Heeresgruppe unterstellt worden war, wurde mit ihrem Oberkommando nach
Adana verlegt. Ihr wurde die Abwehr einer feindlichen Landung an den
Küsten des Golfs von Alexandrette aufgegeben. Zu ihr wurden das
Asienkorps und das Infanterie-Regiment 146 herangezogen. Dort in der
Adana-Ebene, in Tarsus, ereilte den tapferen Führer des Asienkorps, Oberst
v. Oppen, der Tod durch Cholera.
Die Engländer und die arabische Armee folgten sehr langsam und
vorsichtig auf Aleppo.
Vom 25. bis 31. Oktober griffen Engländer und Araber die 7. Armee bei
Aleppo an. Die zusammengestellte Armee hatte wieder eine gewisse
Gefechtskraft gewonnen und schlug sich gut. Sie wies verschiedene feindliche
Angriffe zurück und ging dann unter weiteren Kämpfen, um nicht in
der Ebene umfaßt zu [483] werden, schrittweise
auf die Höhen bei Katma nördlich von Aleppo zurück. Hier
traf sie am 31. Oktober die Nachricht vom Waffenstillstande, den die
Türkei mit der Entente abgeschlossen hatte.
Marschall Liman v. Sanders übergab den Oberbefehl über die
Heeresgruppe an Mustapha Kemal und trat an demselben Tage mit seinem
deutschen Stabe die Rückreise nach Konstantinopel an.
Den deutschen Truppen in der Türkei war durch die Bedingungen des
Waffenstillstandes der freie Abzug in die Heimat gewährleistet worden.
18. Schlußwort.
Wenn man auf die Geschichte der türkischen Feldzüge im
Weltkriege zurückschaut, so gelangt man zu dem Ergebnis, daß die
türkischen Pläne im Kaukasus die Veranlassung zu den schwersten
Verlusten sind, welche die Türkei erlitten hat.
Der erste Kaukasus-Feldzug Enver Paschas 1914/15 hat durch die offensive
Führung eine große und gute Armee geopfert, welche allein imstande
gewesen wäre, dem russischen Vorgehen defensiv auch für die
Zukunft Halt zu gebieten.
Der Ansatz der 2. Armee zur Offensive auf Erzerum im Jahre 1916 hat die damals
noch guten und starken türkischen Kräfte in eine unfruchtbare
Richtung geführt. Er endete mit einem Fehlschlag, durch den lediglich ein
großes und gutes Menschenmaterial geopfert wurde. Der Feldzug nach
Persien hinein, der auch mit den islamitischen Plänen im Osten des Reiches
zusammenhängt, hat den Verlust von Bagdad verschuldet. Der groß
angelegte Feldzug im Kaukasus im Jahre 1918, der wieder dem Gedanken eines
großen islamitischen Reiches diente, ist ohne jedes Ergebnis für die
Entscheidung des Krieges geblieben und hat den anderen Fronten, insbesondere
der Palästina-Front, die notwendigen Heereskräfte entzogen.
Der echt orientalische Gedanke, daß das große Reich des Islam nur im
Osten erstehen könne, wo die Sonne aufgeht und die Wiege der Menschheit
stand, scheint die Blicke immer wieder nach dem Osten geleitet zu haben; denn
alle die genannten Operationen sind
Offensiv-Feldzüge gewesen!
Es ist ein Verhängnis, daß die Führer der Türkei nicht
erkannten, daß die Vorbedingung für die von ihnen erstrebten
Pläne der Sieg oder doch die siegreiche Abwehr auf den anderen
Kriegsschauplätzen war. Für diese ist nur der
Dardanellen-Feldzug von Bedeutung gewesen, weil er die direkte Verbindung von
England, Frankreich und Italien mit Rußland für den Krieg
endgültig unterbunden hat! Dieser Feldzug war aber für die
Türken ein reiner Defensiv-Feldzug zum Schutze Konstantinopels,
für das Bestehen des osmanischen Reiches.
Heute hat wieder die bittere Not die Türkei in den Kriegszustand gestellt.
Nur weil die Türkei aus den ihr auferlegten Friedensbedingungen klar ihren
[484] Untergang voraussieht,
steht fast das ganze Land hinter Mustapha Kemal, der seinem Vaterlande Ehre
und Besitz erhalten will.
Soweit Menschen urteilen können, wird ihm dies auch gelingen.
Mustapha Kemal als Soldat ist ein Schüler des Marschalls Liman v.
Sanders, dem er von dem Augenblicke ab, als er von dem
Militär-Attaché-Posten in Sofia in die Front zurücktrat, lange
und während der wichtigsten Zeitabschnitte des Krieges unterstanden
hat.
Vielleicht wird die Türkei noch in späteren Tagen dem deutschen
Einfluß ein dankbares Gedenken bewahren, durch den ihre besten
Söhne in harten Zeiten sich zu selbständigen und kraftvollen
Kämpfern geformt haben. Sie wird sich dann auch des Mannes erinnern,
der ihr in schwerster Zeit ein kraftvoller Führer
war, - des Marschall Liman v. Sanders.
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