Bd. 2: Der deutsche Landkrieg, Zweiter Teil:
Vom Frühjahr 1915 bis zum Winter 1916/1917
Kapitel 4: Die große Offensive 1915 im
Osten (Forts.)
Generalleutnant Max Schwarte
[178] 5. Die
Offensive über den Narew.
Der Durchbruch bei Przasnysz.
Die Abmachungen zwischen den Obersten Heeresleitungen nach der Eroberung von Lemberg hatten zu dem Entschluß geführt, die so erfolgreich
begonnene Operation in ihren Zielen noch einmal auszuweiten. Feldmarschall
v. Mackensen erhielt Befehl, nordwärts schwenkend gegen die in
Polen stehenden starken russischen Heere den Angriff
fortzusetzen. - Die weiteren Erwägungen, in welcher Weise die
Offensive allgemein auf die ganzen Fronten ausgedehnt werden sollte, war durch
die Entscheidung Kaiser Wilhelms in Posen am 2. Juli
gefallen - nicht im Sinne der das volle Endziel durch ein Vorgehen auf
Wilna suchenden Absicht von
Hindenburg-Ludendorff, sondern im Sinne des näher anzusetzenden und zur
Unterstützung Mackensens schneller wirkenden Angriffs der 12. Armee des
Generals v. Gallwitz. Bestimmend für diese Entscheidung war vor
allem die Beschränktheit der Kräfte, die für den beabsichtigten
Stoß bereitgestellt werden konnten. Je geringer diese Kräfte, desto
enger mußten natürlich auch die Ziele gehalten, desto näher
auch der örtliche Zusammenhang der Operationen gefaßt werden.
Kaiser Wilhelm schloß sich der Ansicht des Generalstabschefs an. General
der Artillerie v. Gallwitz erhielt den Befehl zum Angriff gegen die
russische Front am unteren Narew durch Vorgehen beiderseits von Przasnysz.
Auch diese Aufgabe war schwer. Die verfügbaren Kräfte
mußten, selbst bei stärkster Entblößung der
übrigen Frontstellen, beschränkt bleiben. Zahlenmäßig
überlegene, gute, zähe russische Truppen standen auf der
ausgewählten Front in tiefen, mehrfachen Stellungen bereit. Und waren
diese durchbrochen, so stellte sich den deutschen Truppen ein
außerordentlich schwieriger, durch ständige und
feldmäßige Befestigungen verteidigter Flußabschnitt entgegen,
der den Russen die beste Gelegenheit zu erneutem, energischem Widerstand bot,
um so mehr, als die westliche Flanke durch Warschau und Nowo Georgiewsk, die
rechte (je nach der Breite des deutschen Angriffs) durch einen der russischen
Brückenköpfe am Narew auf das beste gesichert waren.
Wieder mußten die deutschen Entschlüsse auf die
Überlegenheit der oberen und unteren Führung, der deutschen
Ausbildung und den unerschütterlichen Siegeswillen der deutschen
Soldaten vertrauen, - und zwar der Soldaten aller Waffen und aller Lebensalter.
Denn aus aktiven und
Reserve-Divisionen die für den Angriff erforderlichen Kräfte
zusammenzubringen, war der Obersten Heeresleitung nicht möglich; sie
mußte alles heranziehen, was soldatisch ausgebildet verfügbar war,
gleichgültig, ob es
Landwehr-, Landsturm-, Ersatzverbände oder Freiwilligenformationen
waren. Schon im Sommer und Herbst 1914 hatten Hindenburg und Ludendorff
zur Befreiung Ostpreußens aus den preußischen Festungen
Verbände herausholen und neben den Linientruppen [179] einsetzen
müssen, die nach Alter und Körperkraft nicht zur Verwendung im
freien Felde vorgesehen waren. Der unerbittliche Kriegszwang hatte alle in dieser
Hinsicht bestehenden gesetzlichen Bestimmungen über den Haufen
geworfen; aber kein alter Landstürmer hatte gegen diese ungesetzliche Art
des Einsatzes räsoniert: im Gegenteil waren sie stolz zu zeigen, daß
auch Altersjahre den Kampfwillen nicht brechen können; und kein
Volksvertreter hatte gegen diese Übertretung des Gesetzes in der Stunde
und unter dem Druck der Not aufbegehrt. Die nach vorn geholten Besatzungen der
Ostfestungen hatten ihren Standort nicht wiedergesehen; sie waren zum
zweitenmal aufgestellt und abermals herausgezogen worden.
Jetzt mußte auf die dritten Besatzungen, also noch ältere
Jahrgänge, gegriffen werden; und willig nahmen auch diese Strapazen und
Kampfesaufgaben auf sich, an die sie vor dem Kriege kaum zu denken gewagt
hatten. Das gegenseitige absolute Vertrauen sollte auch in diesen schweren Tagen
auf eine harte Probe gestellt
werden - und sie glänzend bestehen.
An festen Verbänden wurden der Armee Gallwitz unterstellt:
- I. Armeekorps (General der Infanterie v. Eben) mit der 2. und 37.
Infanterie-Division,
- XIII. Armeekorps (Generalleutnant Freiherr v. Watter) mit der 26., 3. und
der 4. Garde-Infanterie-Division,
- XVII. Armeekorps (General der Infanterie v. Pannewitz) mit der 1.
Garde-Reserve- und 36. Infanterie-Division,
- XI. Armeekorps (General der Infanterie v. Plüskow) mit der 38. und
86. Infanterie-Division,
- XVII. Reservekorps (Generalleutnant Surén) mit der 14. und 85.
Landwehr-Division,
- Korps Dickhuth, zusammengestellt aus Abgaben von Festungsbesatzungen
usw. als Detachement Plantier, verstärkte 21.
Landwehr-Brigade, Brigade Griepenkerl, Abschnitt Stamford.
Ferner traten hinzu: 35. Infanterie-Division und Brigade
Pfeil - diese beiden als Armeereserve - und später die 83. und
54. Infanterie-, 50. Reserve-Division und das Detachement Menges.
Die Verstärkungen, die das Oberkommando Ost dem General
v. Gallwitz zur Verfügung stellte, mußte es vor allem der vor
Warschau liegenden 9. und der östlich an 12. Armee anschließenden
8. Armee entnehmen. Überdies erhielt der Führer der letzteren, General der Artillerie v. Scholtz, den Befehl, eine Stoßgruppe aus
seinen eigenen Verbänden auf seinem rechten Flügel bereitzustellen,
um sich später dem Vorgehen von Gallwitz anzuschließen. Auch
diese, anscheinend so einfache Maßregeln trugen eine schwere
Verantwortung des Oberkommandos in sich. Die Kampflinien waren auf der
ganzen ihm unterstehenden Front nur sehr schwach besetzt; das Herausziehen
jener Verbände bedeutete eine Schwächung, die nur ertragen werden
konnte im Vertrauen auf die Truppe und auf einen [180] schnellen Erfolg; der
letztere vor allem mußte sich in einer starken Entlastung der Nachbararmeen
auswirken.
[180] Skizze 5: Durchbruch bei Przasnysz.
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Aber selbst innerhalb seines eigenen Frontabschnitts mußte General
v. Gallwitz seine Kräfte ungleich gliedern, um für den
schwierigen Durchstoß die notwendige Stoßmasse
zusammenzu-fassen. Er wählte für den Durchbruch den Raum
zwischen der Bahn
Mlawa - Ciechanow und dem Orzyc und bestimmte dazu (von rechts
nach links) das XI., XVII. und XIII. Armeekorps. Rechts bis zur Weichsel deckten
XVII. Reservekorps und Korps Dickhuth, links bis zum Anschluß an die 8.
Armee I. Armeekorps. Doch schied er sich aus den beiden Divisionen des letzteren
einen besonderen Schutz seines linken Flügels aus durch eine
zusammengesetzte Division Falk und als eigene Reserve die 35.
Infanterie-Division und die aus Abgaben des XVII. Reservekorps und des Korps
Dickhuth zusammengestellte schwache Brigade v. Pfeil. Landsturmtruppen
mußten innerhalb der so geschwächten Verbände zur
Verstärkung eingeschoben
werden. - Das Angriffsgelände war den Truppen nicht unbekannt; sie
hatten es im Angriff und im Zurückgehen vor Überlegenheit
wiederholt durchschritten; besonders um die Stadt Przasnysz war schon erbittert
gekämpft worden. Jetzt mußte aber mit besonders zähem
Widerstand gerechnet werden, da die Russen mit der ihnen eigenen
Geschicklichkeit das ganze Gelände durch mehrere Reihen durchlaufender,
[181] stark ausgebauter,
verdrahteter Stellungen zum Kampfe verstärkt hatten. Nach den
Fliegererkundungen hoben sich zwei große Stellungssysteme ab,
die - von der Weichsel ausgehend - von Krosnice über
Grudusk - Mchowo nach Jednorozec und von Ciechanow über
Przedwojewo - Zielona - Bogate -
Ploniawy - Krasnosielc nach Grabowo liefen. Jede dieser Stellungen
bestand aus mehreren Linien hintereinander; und zwischen beiden bildete der fast
zu einer Festung ausgebaute Ort Przasnysz den Mittelpunkt für
Zwischen- und Riegelstellungen, die sich nach Lysakowo, Ciechanow und
Dronzdzewo erstreckten.
Besonders erschwerend für den Angriff, der von Linie zu Linie, von
Stellung zu Stellung den Einsatz von schwerer Artillerie erforderte, war der
Mangel an guten Straßen. Die Bahn
Mlawa - Ciechanow kam vorerst nicht in Betracht; die einzig
brauchbaren Straßen
Mlawa - Przasnysz - Rozan und
Ciechanow - Pultusk liefen nicht in der Vormarschrichtung; alle
anderen Wege waren solche russischen Typs, d. h. einfache Landwege,
ohne Kunstbauten usw., die bei dem sandigen Boden von den Truppen
außerordentliche Strapazen verlangten und trotzdem nur ein langsames
Vorwärtskommen gestatteten.
Die russische Führung rechnete mit einem ernsthaften Angriff nicht oder
verließ sich auf die zweifellos große Stärke der Stellungen.
Jedenfalls schob sie noch wenige Tage vor Beginn des Angriffs erhebliche Teile
der hier stehenden Truppen nach Süden, wo ihr der neue Angriff
Mackensens anscheinend große Sorge
bereitete. - Als der Angriff von Gallwitz begann, standen in dem
Angriffsabschnitt anscheinend nur die 11., 1. und 2. sibirische
Division - erstklassige Truppen, aber der Stoßmasse gegenüber
an Zahl unterlegen.
Die vorbereitenden Befehle für den Angriff erließ General
v. Gallwitz vom 5. Juli ab; die notwendige Umgruppierung der Truppen
erfolgte in der folgenden Woche; für den 13. Juli ordnete er den Beginn des
Durchbruchs
an. - Die aus den früheren Kämpfen bekannte Stärke
von Przasnysz und der erneute Ausbau ließen erwarten, daß um diesen
starken Stützpunkt besonders hartnäckige und verlustreiche
Kämpfe entbrennen würden. Das führte den Oberbefehlshaber
zu dem Entschluß, einen direkten Angriff dort zu vermeiden, vielmehr mit
zwei starken Kampfgruppen östlich und westlich der Stadt die russische
Stellung zu durchbrechen. Gelang dies, so mußte der von beiden Seiten
umfaßte und im Rücken bedrohte Ort erheblich leichter genommen
werden. Zur Angriffsgruppe rechts wurden das XI. und XVII. Armeekorps im
Gefechtsstreifen
Mlawa - Lysakowo - Opinogora und Krzynowloga
Mala - Mchowo - Bogate bestimmt, während daran
anschließend das XIII. Armeekorps bis zum Orzyc angreifen sollte. In
beiden Gruppen sollten zum Stoß starke Massen auf engem Raum
vorbrechen, demnächst die anstoßenden Fronten mit
schwächeren Kräften sich deren Vorschreiten anschließen. Im
rechten (westlichen) Angriffsraum sollte das XI. Armeekorps frontal gegen
Grudusk - Pawlowo Koscielne angreifen, während das XII.
Armeekorps, um die genannte Front zu umfassen, [182] auf
Zberoz - Olszewiec angesetzt wurde; im linken Angriffsraum
konzentrierte das XIII. Armeekorps seine Stoßtruppen gegen die Front
Osowiec Szlachecki - Jednorozec. Der Angriffsbefehl bestimmte
für den Fall des Gelingens sofort die weiteren Ziele für die
durchgebrochenen
Truppen. - Um die in dem nicht ernstlich anzugreifenden Przasnysz
stehenden starken russischen Kräfte zu fesseln, erhielten die inneren
Flügel der Korps XVII und XIII Weisung, frontal von Norden gegen die
starke Stellung vorgehend mit sofortigem Angriff zu drohen. Immerhin erschien
das nicht genügend, um die hinter den nicht angegriffenen
Fronten - vor allem bei Przasnysz - stehenden schweren russischen
Batterien von einem Eingreifen in die Entscheidung abzuhalten. Deshalb wurden
eine Anzahl schwerer und schwerster deutscher
Batterien - weittragendes Flachfeuer - bestimmt, um diese Batterien
niederzuhalten.
Ob die Russen die Entscheidung annahmen oder sich ihr entziehen würden,
war nicht vorauszusehen. Auch die große Stärke der von ihnen
angelegten Befestigungen hatte die russische Führung nie davon
abgehalten, sie nach kurzem oder ohne Kampf aufzugeben, wenn es ihren
Absichten entsprach. Sie handelte und fühlte sich darin freier als die
deutschen Führer; und der russische Soldat war so erzogen, daß er
ohne Murren Arbeiten aufgab, zu denen viel Zeit und Arbeit erforderlich waren.
Und die ganzen Verhältnisse - jetzt lag der Narew mit nicht allzu
vielen Brücken dicht hinter der feindlichen Front; bei einem
Zurückgehen hätte man in ihm ein außerordentlich schwer zu
überwindendes Hindernis vor der Kampffront
gewonnen - ließen einen solchen Entschluß als sehr wohl
möglich erscheinen. Für diesen Fall hatte General v. Gallwitz
sofortige, energische Verfolgung befohlen, die das XI. und XVII. Armeekorps vor
die West- und Nordfront von Pultusk, das XIII. Armeekorps gegen Rozan (beides
befestigte Stromsperren) führen sollte.
Die russische Führung sah aus den bisherigen Niederlagen in Galizien
keine Veranlassung, den nach Westen vorspringenden Frontbogen als
gefährdet zu erkennen. Mackensens Vormarsch in nördlicher
Richtung mußte die russische Südfront zwischen Bug und Weichsel
zunächst einmal erfolgreich angreifen, bevor Großfürst Nikolai
Nikolajewitsch an einen solchen schwerwiegenden Entschluß auch nur
denken mochte. An einen Angriff gegen den Narew glaubte, wie die Abtransporte
zeigten, auch er anscheinend nicht.
Der Angriff des Generals v. Gallwitz war der zweite Durchbruch großen
Stils, den die Oberste Heeresleitung anordnete. Er war vielleicht noch schwieriger
als Mackensens Durchbruch bei Gorlice. Dort war allerdings stark bergiges
Gelände, dafür hier ein bis vor kurzem als fast unpassierbar
angesehenes
Fluß- und Sumpfgelände zu durchschreiten; und Gorlice hatte bei den
Russen dahin gewirkt, daß ihre Kampfanlagen einen erheblich
stärkeren Ausbau erhalten hatten. Mehr noch als bei Gorlice war deshalb
eine systematische Niederkämpfung der russischen Stellung eine
Vorbedingung für das Gelingen.
[183] Diese vorbereitende
Arbeit, planvoll überlegt, war bis zum 12. Juli abends vom Gegner
unerkannt durchgeführt. Täuschungsmaßnahmen, energische
Erkundungsvorstöße, Feuerüberfälle, die von den nicht
zum Angriff bestimmten Frontstrecken am 12. Juli erfolgten, machten die Russen
um diese Räume besorgt und lenkten die Aufmerksamkeit von dem
Einschießen der deutschen Batterien ab.
Feldmarschall Hindenburg wollte in diesen entscheidenden Tagen in der
Nähe seiner angreifenden Armee sein; er traf am 12. Juli in Willenberg,
dem Gallwitzschen Hauptquartier, ein. Allerdings hatte dieser mit seinem engsten
Stabe sich weiter vorwärts eine Befehlsstelle
geschaffen. - Die Nacht vom 12. zum 13. Juli verlief
ruhig - nach dem lebhafteren Vortage sogar ruhiger als sonst. Selbst das
Vorgehen der Angriffsinfanterie in die Ausgangsstellungen, das Freimachen der
Sturmwege durch die Pioniere und das Bereitlegen des zahlreichen
Sturmgeräts war den Russen entgangen. So traf sie der Beginn des Feuers
unerwartet.
Um 3 Uhr 45 Minuten früh eröffneten - außer der
gesamten Artillerie der
Korps - etwa 60 schwere Batterien gleichzeitig das Feuer gegen die
feindlichen Kampfstellungen, die Batterien, die Unterkünfte und die von
dort zur Front führenden Wege.
Ein um 5½ Uhr einfallender Nebel ließ zeitweise das Artilleriefeuer
langsamer werden; aber er begünstigte die Infanterie und Pioniere bei ihren
letzten Vorbereitungen.
Bald steigerte sich auch das Artilleriefeuer wieder zu stärkster Wirkung, bis
zwischen 8 und 9 Uhr zu verschiedenen Zeiten die Korps zum Angriff schritten.
Während des vierstündigen Artilleriefeuers hatten die Russen,
völlig überrascht, keine ausreichenden Abwehrmaßregeln
treffen können. Die
Graben- und Ortsbesatzungen leisteten, wie immer, tapferen Widerstand, der aber
dem ungestümen Angriff der Deutschen erliegen mußte.
Die auf dem rechten Flügel kämpfende 38.
Infanterie-Division erstürmte Grudusk; die links neben ihr angreifende 86.
Infanterie-Division die Gräben vorwärts Kosmowo, ohne jedoch
sofort auch den zäh verteidigten Ort selbst nehmen zu können. Auch
die 1.
Garde-Reserve-Division konnte in schnellem Ansturm die feindliche starke
Stellung zwischen Pawlowo Koscielne und Wengra, die 33.
Infanterie-Division die daran nach Osten sich anschließenden
Kampfanlagen in Besitz nehmen. Fünf Minuten nach Beginn des
Vorgehens waren die von den Gräben gekrönten Höhen in
deutscher Hand; ungestüm drängten die Truppen sofort dem
weichenden Gegner nach. Der hinter der feindlichen Front entlang fließende
Wengierka-Bach gab den Russen die Möglichkeit eines
vorübergehenden neuen Widerstandes. Aber die Stoßrichtung des
XVII. Armeekorps mußte bei weiterem Fortschreiten den vor der 86.
Infanterie-Division noch haltenden Kräften verderblich werden. Die
Besatzungen von Pawlowo Koscielne und des südöstlich davon
gelegenen Zberoz wurden [184] unsicher - beide
Orte fielen jetzt schnell in die Hände der erneut angreifenden 86.
Infanterie-Division.
Die Flankenbedrohung wirkt weiter. Die zweite Linie der Russen, die in dem
Nordrande eines größeren Waldkomplexes südlich der ersten
Linie ausgebaut war, schien gegenüber dem über die Wengierka
vordrückenden Gegner nicht mehr sicher. Als die Divisionen des XI. Armeekorps
nach kurzer Artillerievorbereitung wieder angriffen, gingen die Russen fluchtartig
in südlicher Richtung auf die dritte Linie
Lysakowo - Pszczolki
Gorne - Dzielkin zurück. Da der Gegner weiter
südwestlich die nicht angegriffene erste Linie hielt, mußte das
weitere Vorgehen des XI. Armeekorps in der rechten Flanke gesichert werden;
dazu wurde die Brigade Pfeil bestimmt. Das XI. Armeekorps schob sich, die
dazwischen liegenden Ortschaften unter leichten Gefechten besetzend, gegen die
dritte russische Linie vor.
Weiter östlich nahmen die Verbände des XVII. Armeekorps jetzt die
Front nach Süden und setzten sich, etwa in gleicher Höhe mit dem
XI. Armeekorps, vor der dritten Linie
Choinowo - Obromb fest. Dazu stellte das Oberkommando die
bisher als Reserve zurückgehaltene 35.
Infanterie-Division zur Verfügung, die sich links neben die 1.
Garde-Infanterie-Division schob. Die vor der Nordfront des Stützpunktes
Przasnysz hinhaltend kämpfende 36.
Infanterie-Division durchschritt, als die erste feindliche Linie rechts und links
genommen war, gleichfalls die vor ihr liegenden Gräben und nahm die Orte
Mirow und Mchowo fest in die Hand. Sie hielt über Mchowo
Fühlung mit der an der Murawka entlang angreifenden 26.
Infanterie-Division des XIII. Armeekorps.
Auch dieses Korps setzte sich kurz vor 9 Uhr zum Angriff in Bewegung; und auch
hier fiel die erste Linie zwischen Osowiec Szlachecki und Jednorozec sofort; 26.
und 3. Infanterie- sowie 4. Garde-Infanterie-Division drangen gleichzeitig in die
zäh verteidigten und durch das Gelände starken Stellungen ein. Der
geworfene Feind setzte sich erneut zum zähen Widerstande in der zweiten
Linie südwestlich Oborki und in den Ortschaften und Waldstücken
der Zwischenzone; gleichzeitig setzte er aus Gegend nördlich Dronzdzewo
zu energischem Gegenangriff auf Jednorozec an. Dort wurde noch heftig um die
stark ausgebaute Höhe dicht südwestlich des Orts gerungen. Die
Garde konnte nur mühsam die heftigen Angriffe abweisen und
zunächst an ein Vortragen des Angriffs nicht denken. Um aber auch hier
einen erneuten Impuls zu geben, setzte der Kommandierende General die ihm zur
Sicherung des linken Flügels zugeteilte Division Falk (s. S. 180) zwischen Jednorozec
und dem Orzyc zum Angriff ein.
Die Umgruppierung und das Zusammenschieben der 4.
Garde-Infanterie-Division erforderten Zeit, so daß erst in den frühen
Nachmittagsstunden der Angriff erneut vorgetragen werden konnte. Die Russen
waren durch die außerordentlich schweren Verluste bei ihren vergeblichen
Gegenstößen stark erschüttert, so daß sie den neuen
deutschen Angriff nicht auf die Dauer aufhalten konnten. [185] Unter Kämpfen,
die sich bis in die Nacht erstreckten, gingen sie in den Waldungen südlich
Jednorozec langsam in Richtung Dronzdzewo
zurück. - Der rechte Flügel des XIII. Armeekorps konnte
unterdes größere Fortschritte machen; auch feindliche, anscheinend
von Przasnysz ausgehende Gegenangriffe vermochten das Vorgehen nicht zu
verhindern. In den Mittagsstunden fiel die feindliche zweite Stellung
südwestlich Oborki, in den Nachmittagsstunden Przejmy und Lipa in
deutsche Gewalt. Dagegen erwies sich der vom Generalkommando befohlene
Versuch, auch die dritte Linie
Bartniki - Krempa und östlich anzugreifen, angesichts des
starken Ausbaus und der mangelnden Artillerievorbereitung als nicht mehr
durchführbar.
Bei der westlichen Kampfgruppe gelang dieser Versuch. Nachdem von 5 Uhr ab
vorbereitendes Artilleriefeuer den vorspringenden Winkel der dritten Linie bei
Pszczolki Gorne unter umfassendes Feuer genommen hatte, schritt um 7 Uhr
abends die 38. Division noch einmal zum Angriff, der nach einstündigem
blutigen Ringen auch diese dritte Linie durchbrach; frische Reserven stießen
sogar darüber hinaus in südlicher Richtung vor. Auch das XVII.
Armeekorps setzte noch einmal zum Sturm an; nach Einbruch der Dunkelheit
hatte es die Stellung beiderseits Choinowo fest in der Hand. Jenseits der
Wengierka konnte der linke Flügel der 35. Division noch Boden gewinnen
und sich der Gräben nördlich Obromb bemächtigen. Der
Gegner wich fluchtartig auf Przasnysz und die Gräben der zweiten Stellung
zurück.
Der Kampftag erbrachte einen vollen Erfolg. Westlich des starken
Stützpunktes Przasnysz war bis dicht an Lysakowo heran die ganze erste
russische Stellung in deutscher Hand; östlich von Przasnysz lagen die
Truppen des XIII. Korps unmittelbar vor der dritten (letzten) Linie der ersten
Stellung - alles bereit, am folgenden Morgen den Angriff fortzusetzen.
Tausende von Gefangenen und erhebliche Beute waren Siegeszeichen des
Tages.
Selbst das rechts anschließende XVII. Reservekorps hatte, obschon
außerhalb des Angriffsfeldes, sich nicht abwartend verhalten wollen; sein
Angriff erzielte einen mehrere Kilometer breiten Einbruch in die erste russische
Stellung. - Konnte am folgenden Tage der Angriff beiderseits Przasnysz
erfolgreich weitergeführt werden, so mußte das zum
Abschnüren des Stützpunktes führen.
Das XI. Armeekorps wartete den folgenden Morgen aber gar nicht ab. Beide
Divisionen drängten auch in der Nacht weiter vor. Prywilcz fiel in die Hand
der 38., Dzielin in die der 86. Division. Der rücksichtslose Angriff und das
energische Nachdrängen sollte aber einen weiteren großen
unerwarteten Erfolg bringen. Der Gegner erkannte die schwere Gefahr, die seinen
Kräften in Przasnysz
drohte - er gab die Stadt und die starken Anlagen kampflos auf; die
nachdrängenden Truppen fanden sie am frühen Morgen
geräumt.
Unaufhaltsame Verfolgung ordnete General v. Gallwitz zwar sofort an; aber auf
der ganzen Angriffsfront hatte sich schon alles in Bewegung gesetzt; auch [186] die Zwischenstellung
vorwärts der Straße
Ciechanow - Przasnysz wurde von den Russen geräumt; schon
in den späteren Vormittagsstunden war diese von den deutschen Kolonnen
überschritten. - Auch weiter nach Westen dehnte sich die Wirkung
des siegreichen Angriffs aus: das XVII. Reservekorps meldete, daß die
Russen auch vor seiner Front zurückgingen.
So kam General v. Gallwitz um so mehr zu der Überzeugung, daß der
Gegner erheblich erschüttert sei und möglicherweise auch die zweite
Stellung (die letzte vorwärts des Narew) in Linie
Ciechanow - Opinogora - Zielona -
Bogate - Ploniawy - Krasnosielc - Grabowo räumen
werden, wenn die Divisionen unaufhaltsam nachdrängten.
Aber der Mangel an leidlich guten Wegen machte sich an diesem Tage
empfindlich fühlbar, weil einsetzender schwerer Regen den Boden
aufweichte und den Vormarsch außerordentlich erschwerte. Vor allem wurde
davon die Artillerie betroffen; sie konnte nicht so rechtzeitig in Stellung gebracht
werden, daß sie den Angriff noch hätte erfolgreich vorbereiten
können.
Wohl gelang es, auf der ganzen Front die vor der eigentlichen Kampfstellung
liegenden Vorstellungen zu nehmen; dann mußte der Angriff zum Abwarten
kommen - die Erkundungspatrouillen stellten eine starke Besatzung der
zweiten Stellung
und - anscheinend - das Eintreffen von Verstärkungen beim
Gegner fest.
Der Angriff wurde auf den folgenden Tag verschoben. Die beiden
Stoßgruppen blieben unverändert. Die neu eingetroffene 50.
Reserve-Division schob General v. Gallwitz hinter den linken Flügel
(in Gegend Lipa) zu dessen Schutz. Zusammengestellte Division Falk sollte die
4. Garde-Infanterie-Division im Angriff auf Krasnosielc unterstützen, vor
allem aber die linke Flanke des Angriffs gegen den östlich des Orzyc
stehenden Feind
schützen. - Die bisher kaum ernstlich in den Kampf getretene 36.
Infanterie-Division wurde als Reserve des Oberkommandos hinter der Mitte der
Angriffsfront, bei und südlich Przasnysz, bereitgestellt.
Die in der Nacht durchgeführten Erkundungen bestätigten die in den
Vortagen bewirkten Fliegererkundungen; die anzugreifende Stellung erwies
sich als tief gegliederte, in mehrfachen Linien bestehende, mit russischem Geschick
angelegte, besonders stark ausgebaute Stellung. Man stand also vor einem
schweren Kampf; schwerer wahrscheinlich, als um die erste Stellung, weil die
russische Führung jetzt die Absicht des Durchbruchs zweifellos erkannt
und Verstärkungen dorthin in Marsch gesetzt
hatte. - Die in der Nacht trotz aller
Wege- und Witterungsungunst in Stellung gebrachte Artillerie eröffnete um
5 Uhr morgens ihr Feuer. Die Erwartung, daß der Gegner
Verstärkungen herangezogen habe, bewahrheitete sich durch die erheblich
stärkere Feuererwiderung.
Tapferen Infanteristen der 38. Division gelang es noch in der Nacht, an einer
Stelle nordöstlich Opinogora in die russische Stellung einzudringen und
sich [187] dort einzunisten. Sie
konnten sich aber nicht ausbreiten, sondern sich nur mühsam heftiger
feindlicher Gegenangriffe erwehren. Gerade hier schien sich der Widerstand zu
konzentrieren, so daß der Kommandierende General XI. Armeekorps den
Nachdruck auf den Angriff der 86. Division legte. Auch die benachbarte 1.
Garde-Reserve-Division glaubte, in Gegend
Klonowo - südlich Zielona bessere
Einbruchsmöglichkeiten zu
erkennen. - Weiter östlich, vor der Front des XIII. Armeekorps,
schien die russische Stellung wieder von besonderer Stärke zu sein.
Um der von Ciechanow zu erwartenden Flankenbedrohung entgegentreten
zu können, gleichzeitig aber auch, um der 38. Division eine erhöhte
Stoßkraft zu geben, wollte General v. Gallwitz die 50.
Reserve-Division auf dem äußersten rechten Flügel einsetzen
und, im Hinblick auf den starken Ausbau der Stellung, außerdem den
Angriff durch die Artillerie nachdrücklich vorbereiten. Die Ereignisse
zwangen aber zu schnellerem Handeln, als in den Vormittagsstunden durch
Flieger der Anmarsch erheblicher russischer Verstärkungen gemeldet
wurde; der Kampf um die Stellung mußte entschieden sein, bevor diese
eingetroffen waren. General v. Gallwitz stellte nunmehr die 50.
Reserve-Division zur freien Verfügung des XI. Armeekorps. General
v. Plüskow erwartete schnellen Erfolg vom Angriff der 86. Division
und zog die 50.
Reserve-Division hinter diese; auch stellte er ihr sofort die schwere Artillerie und
die zuerst eintreffenden Regimenter und Abteilungen zur Verfügung.
Während dieser Vorbereitungen zum Angriff lief ein Befehl des
Armeeführers ein, der die ursprünglichen Aufträge der Korps
änderte. Bisher sollte jeder eingebrochene Verband nach gelungenem
Durchbruch möglichst weit in südlicher Richtung vorwärts
drängen. General v. Gallwitz ordnete jetzt an, daß die
eingebrochene Truppe, sofort rechts und links schwenkend, die feindliche
Stellung aufrollen solle, um so den benachbarten Kräften den Kampf zu
erleichtern und ein schnellstes Vordringen der Armee in breiter Front zu
ermöglichen.
Die Vorbereitungen zogen sich bis in die frühen Nachmittagsstunden; dann
brachen die Truppen zum Sturm vor. Die 1.
Garde-Reserve-Division erzwang südlich Zielona den ersten Erfolg; rechts
und links stieß der deutsche Angriff mit russischen Gegenangriffen
zusammen, so daß es zu außerordentlich schweren Kämpfen
kam. So sah sich das XVII. Armeekorps veranlaßt, die zunächst
zurückgehaltene 36.
Infanterie-Division vorzuziehen und zur Erweiterung der errungenen Lücke
links von der 1.
Garde-Reserve-Division - zwischen dieser und der 35.
Division - einzusetzen.
Die erste Erweiterung der Stoßlücke gelang aber der 86.
Infanterie-Division westlich der Garde. Sie stieß bei Klonowo
(südöstlich Zielona) durch und half, mit starken Teilen rechts
einschwenkend, auch den weiter rechts kämpfenden deutschen
Verbänden zum Erfolg. Am schwersten war der Kampf bei der 38.
Division, gegen die der Gegner mehrere, mit außerordentlicher Energie
aus- [188] geführte
Stöße richtete. Erst als diese unter schwersten Verlusten für
den Gegner gescheitert waren, konnte in schneidigem Gegenangriff die Division
mit den zurückflutenden Russen in Richtung Opinogora in die Stellung
einbrechen.
Die hartnäckigen Kämpfe zogen sich in die Nacht hinein, hatten aber
den großen Erfolg, daß XI. Armeekorps, 50.
Reserve-Division, vom XVII. Korps die 1.
Garde-Reserve-, sowie die 36. Division auf 20 km Breite etwa
3 - 4 km über die russische Stellung
südwärts vordringen konnten. Nur die 35. Division vermochte
westlich Bogate die gegnerische Stellung nicht zu gewinnen.
Weniger erfolgreich war das verstärkte XIII. Armeekorps. Wohl wurden die
dicht vor der russischen Stellung liegenden Orte Ploniawy und Przytuly von der 3.
Division und der Division Falk gestürmt; sonst aber lagen 26., 3.,
4. Garde-Infanterie-Division und Division Falk unmittelbar vor den
Gräben; nur an wenigen Stellen gelangen kleine örtliche
Einbrüche. Weitere russische Verstärkungen, die in den
Nachmittags- und Abendstunden bis Ciechanow vorgeführt wurden, griffen
in der Nacht wiederholt, aber ergebnislos den rechten Flügel der 38.
Division an.
Auch weiter westlich, bis zur Weichsel, waren trotz ihrer Schwäche Korps
Dickhuth und XVII. Reservekorps im Vorgehen geblieben; Korps Dickhuth
näherte sich schon bis auf etwa
25 - 30 km den nordwestlichen Außenfort von Nowo
Georgiewsk.
War auch der Angriff der östlichen Hälfte der Front noch nicht
zum abschließenden Erfolg gediehen, so schien das bisherige Ergebnis doch
so entscheidend, daß man damit rechnen konnte, daß die Russen
nördlich des
Narew - außer an den
Brückenköpfen - keinen längeren Widerstand mehr
leisten würden.
In einer Besprechung zwischen General v. Gallwitz und dem Generalstabschef
Oberost, General Ludendorff, konnten deshalb schon an diesem Tage die weiteren
Angriffsziele festgelegt werden.
Es sollten:
- Korps Dickhuth und XVII. Reservekorps die Festung Nowo
Georgiewsk von Westen und Nordwesten einschließen;
- XI. Armeekorps und 1. Garde-Reserve-Division gegen Pultusk
vorgehen;
- XVII. Armeekorps den Narew zwischen Pultusk und Rozan
überschreiten;
- XIII. Armeekorps gegen Rozan vorgehen;
- I. Armeekorps (linkes Flügelkorps der 8. Armee) gegen Ostrolenka
(Brückenkopf) decken.
Im Anschluß befahl General v. Gallwitz für den 16. Juli, daß
XI. und XVII. Armeekorps energisch nachdrängen, den sich setzenden
Feind immer wieder angreifen und dabei die westlich der Wengierka haltenden
russischen Kräfte abschneiden
sollten. - Der Kampfwille des Gegners war aber noch nicht gebrochen.
Korps Dickhuth und XVII. Reservekorps drangen unter wechselnden
Kämpfen vor; XVII. Reservekorps nahm in den Vormittagsstunden
Ciechanow, in [189] den
Nachmittagsstunden Sonsk und erreichte damit festen Anschluß an die
Hauptstoßgruppe.
Auf dem rechten Flügel derselben machten 38. und 86.
Infanterie-, sowie 50. Reserve-Division nach z. Tl. heftigen
Nachhutkämpfen am Vormittag, aber später nachlassendem
Widerstande erheblichen Geländegewinn. Sie standen am Abend nach
Überschreiten der Sona zwischen
Sonsk - Golymin Stary und Lukowo.
Schwere Kämpfe mußte das XVII. Armeekorps durchfechten. Als
1. Garde-Reserve- und 36. Infanterie-Division gegen den vor der 35. Division
zäh haltenden Gegner einschwenkten, stießen sie auf eine gut
ausgebaute, stark verdrahtete Riegelstellung, die sich von der Nordwestecke der
Befestigungen von Pultusk über Karniewo und Krasne auf Bogate hinzog
und dort Anschluß an die zweite russische Stellung fand. Unter sehr
zähen Kämpfen mußten die Divisionen alle Stützpunkte
im Vorgelände dieser Stellung erobern und konnten sich erst am Abend
dicht an diese heranschieben; nur an zwei Stellen gelang es am späten
Abend (bei Krasne und Szezuki) einzudringen und diese beiden Orte fest in die
Hand zu nehmen.
Auch das XIII. Armeekorps stieß am 16. Juni auf heftigsten Widerstand.
Pommern der 3. Division gelang es zuerst, die russische Stellung zu
durchstoßen und im ungestümen Nachdrängen sogar bei Podos
den Orzyc zu überschreiten. Gegen die noch geringen
übergegangenen Kräfte warf die russische Führung starke
Massen im Gegenstoß vor, denen es schließlich gelang, den Ort
wieder zu nehmen und die Pommern über den Fluß
zurückzudrücken. Nach kurzer Atempause griffen diese aber erneut
an und am späten Abend waren Übergang und Ort fest in ihrer
Hand.
Dieser Vorstoß und der Einbruch der 35.
Infanterie-Division bei Szezuki brachte auch der 26.
Infanterie-Division Entlastung; sie konnte nicht nur die Stellung zwischen Bogate
und Podos in Besitz nehmen, sondern darüber hinaus mit dem linken
Flügel den Orzyc erreichen. Auch der 4.
Garde-Infanterie-Division gelang es, zwischen Podos und Krasnosielc den Orzyc
zu erreichen und den stark befestigten Ort auf der
West- und Nordseite zu umspannen. Division Falk konnte schon ziemlich
früh östlich Przytuly den Fluß überschreiten und auf
dem linken Ufer Gelände gewinnen; sie nahmen weiter östlich
Fühlung mit dem I. Armeekorps, das zwischen Orzyc und Szkwa dem
langsam weichenden IV. sibirischen Armeekorps folgte.
Die bis in die Nacht hinein fortgesetzten tapferen russischen Gegenangriffe
hielten das Vorgehen der deutschen Divisionen stark auf und konnten stellenweise
sogar Rückschläge herbeiführen, aber das Vordringen nicht
hemmen. Als sie am Abend noch einmal besonders heftig auflebten, glaubte das
Oberkommando sogar, darin die Einleitung des nächtlichen Abmarsches zu
erkennen, und gab unter dieser Voraussetzung die Anordnungen für den
folgenden Tag. Es sollten
[190] |
Korps Dickhuth
und XVII. Reservekorps zwischen Weichsel und der Bahn
Ciechanow - Nasielsk die Festung Nowo Georgiewsk
einschließen; |
|
XI. Armeekorps gegen die Befestigungen von Pultusk vorgehen und,
wenn möglich, durch Handstreich nehmen (86. und 50.
Reserve-Division umfassend gegen die Nordwestecke, 38. Division zwischen den
Straßen
Szyszki - Pultusk und Golymin
Stary - Pultusk); |
|
XVII. Armeekorps den Angriff gegen die am 16. Juni angegriffene Front zur
Entscheidung bringen, dann 1.
Garde-Reserve-Division gegen die Nordfront von Pultusk einschwenken lassen,
36. und 35. Division zum Vormarsch gegen den Narew abwärts von Rozan
bereitstellen; |
|
XIII. Armeekorps Krasnosielc nehmen, den Orzyc überschreiten und
auf Rozan vorgehen; |
|
I. Armeekorps sich dem Vordringen gegen den Narew
anschließen. |
Diese Maßnahmen hätten am 17. Juni erneut zu schweren
Kämpfen führen müssen; aber die russische Widerstandskraft
war gebrochen. Krasnosielc wurde ohne Kampf geräumt und auf der
ganzen Front entwickelten sich, allerdings mit der den Russen
eigentümlichen Hartnäckigkeit, nur Kämpfe mit den
zurückgelassenen Nachhuten; die Hauptkräfte waren
abmarschiert.
Der Kampf um den Narew.
Sofort nach Erkennen dieser Lage ergingen vom Oberkommando Befehle zur
Verfolgung - wenigstens bis an die Festungswerke von Nowo Georgiewsk
und an den Narew; gegen die befestigten Brückenköpfe sollte der
Angriff rücksichtslos vorgetragen werden.
- Die Einschließung von Nowo Georgiewsk zwischen der
Weichsel und der
Eisenbahn Ciechanow - Nasielsk (einschl.) wurde dem rechten
Armeeflügel (Korps Dickhuth und XVII. Reservekorps)
übertragen;
- XI. Armeekorps mit unterstellter 1.
Garde-Reserve-Division sollte den nördlichen Teil von Pultusk
angreifen;
- XVII. Armeekorps zwischen Pultusk und Rozan bis zum Narew
vorstoßen und das Überschreiten des Flusses vorbereiten;
- XIII. Armeekorps Rozan angreifen und gleichzeitig
Übergangsmöglichkeiten über den Narew
ober- und unterhalb des Brückenkopfes erkunden.
Das I. Armeekorps, in dessen Verband die zur Division Falk zusammengestellten
Teile zurücktraten, sollte Ostrolenka auf dem rechten
Narew-Ufer einschließen und im Anschluß an XIII. Armeekorps
Übergänge über den Fluß vorbereiten.
Die beiden Korps des rechten Flügels gingen an die Werke von Nowo
Georgiewsk näher heran und drängten die vorgeschobenen
Sicherungen auf die Außenstellungen zurück.
Das XI. Armeekorps schob sich mit seinem rechten Flügel bis dicht an
die - [191] sehr bald als stark
ausgebaut
erkannten - Befestigungen am Pultusk, stieß aber mit 50.
Reserve-Division und 1. Garde-Reserve-Division nochmals auf eine befestigte
Riegelstellung um und nordöstlich Karniewo. In die sich hier
entspinnenden blutigen Kämpfe griffen die Russen wiederholt mit starken
Gegenstößen ein, die erst am Abend unter schweren Verlusten
abgewiesen werden konnten; der Ort Karniewo blieb bis in die Nacht in
feindlicher Hand; die nordöstlich anstoßenden Gräben wurden
am Abend von der Garde besetzt.
Auch das XVII. Armeekorps mußte um die gleiche Riegelstellung
kämpfen. Hie gelang es am Nachmittag der 36. Division, durchzubrechen
und im Nachdrängen den Ort Makow in Besitz zu nehmen. Das Korps
überschritt die Wengierka und stieß dann auf die Flanke einer neuen
russischen Stellung, die sich an den Stützpunkt der Gora Krzyzewskie
anlehnte und vor deren östlicher Fortsetzung das XIII. Armeekorps sich in
hartnäckigen Kämpfen festsetzte.
Division Falk und I. Armeekorps drängten die langsam weichenden
russischen Kräfte zurück; ihr Vorgehen verzögerte sich, weil
das große Waldgelände nordwestlich des Narew dem Feinde die
Möglichkeit zähesten Widerstandes bot.
In den Kämpfen dieses Tages wurden, besonders bei den
Gegenstößen, Truppenteile festgestellt, die bisher vor anderen
Fronten gelegen hatten. So erwies sich die Vermutung richtig, daß die
russische Heeresleitung von dort und aus Galizien Verstärkungen
heranführte; sie wurde bestätigt durch Fliegermeldungen, die
Truppenausladungen bei Nasielsk und Ostrow und Kolonnen im Vormarsch von
dort auf Pultusk und Rozan feststellten. Da die bisherigen Erkundungen den
starken Ausbau der Brückenkopfanlagen hatten erkennen lassen, war ein
handstreichartiger Angriff kaum durchführbar; sorgfältige, vor allem
artilleristische Vorbereitung mußte dem Sturm vorhergehen. Das war um so
bedauerlicher, als die traurigen Wegeverhältnisse dem Nachschub an
schwerer Munition die größten Schwierigkeiten bereiteten. Die
beiden nächsten Tage wurden dazu voll in Anspruch genommen, die
Artillerie in Stellung gebracht und die Truppen in die zum Durchstoß in
Aussicht genommenen Angriffsräume geschoben.
Zwischen Pultusk und Rozan aber gab der Gegner unter dem Druck der
Umfassung die Stellungen beiderseits Gora Krzyzewskie in der Nacht zum 18.
Juli preis; XVII. Armeekorps schob sich durch die enge Lücke zwischen
den Angriffsvorbereitungen durch und drängte gegen den Narew auf der
Strecke Orzyc-Mündung - Ostrykol vor; am Abend des 19.
Juli waren alle stärkeren russischen Kräfte über den Narew
zurückgedrückt; nur Patrouillen hielten sich noch in dem
Flußknie nördlich Lachy.
Während des 18. Juli durchgeführte Erkundungen bestätigten
erneut die große Defensivstärke der russischen Front vor dem I.
Armeekorps, so daß es angewiesen wurde, den Gegner festzuhalten, aber
keinen entscheidenden Angriff durchzuführen. Um so verwunderlicher war
es, daß trotzdem in der folgenden [192] Nacht der Gegner seine
starken Stellungen räumte und bis hinter den Narew zurückging,
indem er die große Chausseebrücke bei Ostrolenka sprengte. Am
Abend des 19. Juli stand das I. Armeekorps von der
Ruz-Mündung aufwärts dicht am Narew. Auch vor den weiter
östlich stehenden Korps der 8. Armee war der Feind unter heftigen
Kämpfen auf den Narew zurückgegangen, die 8. Armee schob sich
an den Fluß vor.
Die Kommandierenden Generale des XI. und XIII. Armeekorps beabsichtigten,
am 20. Juli die Vorbereitungen für den Angriff zum Abschluß zu
bringen und diesen am 21. Juli zu beginnen.
In diese Absichten stieß die russische Heeresleitung mit kräftiger
Faust hinein. Die in die Brückenköpfe vorgeführten
Verstärkungen setzte sie zu energischer Offensive ein, um den mit seinen
Vorbereitungen vollauf beschäftigten Angreifer zurückzuwerfen. Die
ganzen Verhältnisse, die durch die weit vorgeschobenen
Brückenköpfe gefesselten Truppen, der eigenartige Lauf des Narew
mit dem tief zurückspringenden Winkel bei Ostrykol, die zahlreichen
Brücken waren für eine Offensive außerordentlich
günstig. Die Vorbereitungen dazu hatte die russische
Führung - abgesehen von der Heranführung der
Verstärkungen - gut zu verdecken gewußt (s. Skizze S. 194).
Die deutschen Korps setzten am 20. Juli ihren Angriff zunächst noch weiter
fort. Um den Angriff auf Rozan am 21. durchführen zu können, griff
XIII. Armeekorps die geschickt angelegten Vorstellungen auf der
Südwestfront, beiderseits der Straße
Rozan - Pultusk, an. Nach starker, anscheinend zur
Niederkämpfung der Grabenbesetzung gediehener Artillerievorbereitungen
gingen die Regimenter der 26.
Infanterie-Division zum Sturm vor und eroberten die auf beherrschenden
Höhen angelegten Stützpunkte; auch die angrenzenden Stücke
der Verteidigungslinien wurden besetzt. Der Erfolg war gegen eine sehr starke
Grabenbesetzung errungen; dann aber brachen aus Rozan aus der zweiten Stellung
und der Linie der kleinen Forts außerordentlich heftige und von starken
Kräften geführte Gegenstöße vor, gegen die die
deutschen Truppen sich nur mühsam halten konnten.
Gleichzeitig schritten aber auch auf der Front zwischen Rozan und Pultusk die
Russen zu einem Gegenangriff großen Umfangs. Auf zahlreichen
Brücken zwischen der
Orzyc-Mündung und Rozan, nördlich Sokolowo, westlich Lachy, bei
Ostrykol und beiderseits Dzbondz überschritten ihre Kolonnen den
Fluß und warfen sich auf die hier eingeengt stehenden inneren Flügel
der 35. und 36.
Division. - Auch aus der Nordfront von Pultusk brachen starke Massen
zum Stoß über Boby, das von der 1.
Garde-Reserve-Division geräumt werden mußte, und Szwelice
vor.
Die Gefahr des Angriffs war groß. Hatte er Erfolg, so drohte den Divisionen
des XVII. Armeekorps die Gefahr, völlig umfaßt und abgeschnitten
zu werden. Aber noch bevor das Oberkommando eingreifen konnte, trafen XIII.
[193] und XVII. Armeekorps
die ersten Abwehrmaßregeln: feste Abwehr in der Front bei
Szelkow - Las nach Süden, bei
Pruszki - Zaluze nach Nordosten und schleuniges
Heranführen aller verfügbaren Reserven nach der am stärksten
gefährdeten Frontstellen
Napiorki - Pruszki. Die 35. Division dachte an die
Möglichkeit eines Rückzuges so wenig, daß sie ihrerseits
gegen die bei Dzbondz übergegangenen starken russischen Kräfte
zum Flankenstoß schritt.
Die blutigen und verlustreichen Kämpfe dehnten sich bis zum Abend aus.
Dann zwangen die mit dem Eintreffen der Reserven zunehmenden deutschen
Gegenangriffe die erschütterten russischen Kolonnen zum Rückzug.
Auch bei der 1.
Garde-Reserve- und der 50. Reserve-Division scheiterten alle mit
äußerster Tapfekeit und ohne Rücksicht auf die furchtbaren
Verluste erneuerten russischen Angriffe völlig. Am Abend wichen sie unter
Verlust von Bondy wieder hinter die Befestigungen zurück.
Trotzdem glaubte General v. Gallwitz mit einer Wiederholung des Angriffs
rechnen zu müssen, da die Flieger den Antransport und Vormarsch neuer
russischer Kräfte meldeten. Er zog deshalb die Truppen stärker nach
dem gefährdeten Raum zusammen und holte von den Korps des rechten
Flügels ausreichende Reserven zu seiner eigenen Verfügung nach der
Gegend Karniewo - Makow heran.
Die erlittenen Verluste aber hatten den russischen Angriffswillen gebrochen; die
getroffenen Maßnahmen erwiesen sich als nicht mehr erforderlich. Nur in
dem Flußwinkel
Lachy - Dzbondz hielten sich noch russische Abteilungen, die
jedoch eine Gefechtsberührung vermieden. Jedenfalls ließ sich klar
erkennen, daß man vorerst mit offensiven Absichten des Gegners nicht zu
rechnen brauchte; anderseits aber zeigte die hier an den Tag gelegte Energie,
daß die Russen nicht gewillt waren, ohne Kampf den
Narew-Abschnitt und die Brückenköpfe preiszugeben. Ein neuer und
durch die Geländeverhältnisse vielleicht noch schwererer Kampf
stand der Armee bevor.
Unterdes wurden aber auch weitere Änderungen für die
Weiterführung der Operation notwendig.
Auf Befehl des Oberkommandos Ost traf am 20. Juli der bisherige
Kommandierende General III. Armeekorps, v. Beseler, von der 9. Armee
ein, um den Angriff auf Nowo Georgiewsk zu leiten. Gruppe Beseler blieb dem
General v. Gallwitz unterstellt, aber in den Kampfmaßnahmen gegen
die Festung selbständig. An Truppen traten zunächst dazu Korps
Dickhuth und 14.
Landwehr-Division des XVII. Reservekorps; sie sollten vorerst die
Einschließung zwischen der Weichsel und der Bahn
Ciechanow - Nasielsk durchführen; zur Einleitung des
Angriffs selbst war naturgemäß die vorherige weitere
Zurückhaltung der russischen Kräfte am Narew Vorbedingung.
Die infolge des russischen Angriffs am 20. Juli hinter das XVII. Armeekorps
geschobenen Verbände (38. Division und
Garde-Kavallerie-Brigade) [194] blieben als
Armeereserve hinter dem rechten Flügel jenes
Korps - sie sollten voraussichtlich später denselben unterstellt
werden.
An Stelle der 38. Division trat beim XI. Armeekorps das Generalkommando
XVII. Reservekorps mit der 85.
Landwehr-Division und der zusammengestellten Brigade Pfeil zum Angriff auf
Pultusk an.
[194]
Skizze 6: Kampf um den Narew.
|
XVII. Armeekorps sollte an zwei Stellen in Gegend Sokolowo den Übergang
über den Narew einleiten.
XIII. Armeekorps hatte den Angriff auf Rozan beschleunigt zu Ende zu
führen. Dazu wurden ihm schwerste Geschütze (ein
30,5 cm- und ein 42 cm-Mörser) überwiesen; nach
nochmaliger Vorbereitung wollten die Divisionen am 22. bzw. 23. Juli
stürmen.
I. Armeekorps sollte, in engstem Anschluß an das XIII. Armeekorps,
zwischen der
Ruz-Mündung und Kamionka den Narew überschreiten und durch
lebhafte Tätigkeit auf der ganzen Front die gegenüberstehenden
Kräfte fesseln.
Daß der bevorstehende Kampf außerordentlich schwer sein
würde, darüber [195] konnte kein Zweifel
bestehen; die glänzenden Erfolge der bisherigen Kämpfe gaben aber
die Gewähr für neue Erfolge. Anderseits drängte die
allgemeine
Lage - nicht nur an der Ostfront, sondern auf allen
Kriegsschauplätzen - auf eine schnelle Entscheidung in Polen.
Mackensens Vorgehen zwischen Weichsel und Bug hatte Erfolge gebracht, aber der
zähe Widerstand der Russen nur langsames Fortschreiten seiner Armee
gestattet. Bei der 10. und der
Niemen-Armee waren gleichfalls Erfolge (südlich Kowno und bei
Schaulen) erzielt; die 9. Armee lag immer noch vor der
Blonie-Stellung, Armee-Abteilung Woyrsch nahe vor Iwangorod. Nur
schärfstes Anfassen auf beiden entscheidenden Fronten konnte die Russen
verhindern, überlegene Kräfte gegen Mackensen oder Gallwitz
zusammenzuziehen, um dort mit entscheidender Überlegenheit in den
Kampf zu treten. Je schneller beide gegen die aus Polen nach Rußland
führenden Bahnen vorgingen, desto größer war die Aussicht,
die noch im
Weichsel-Bogen stehenden Kräfte abzuschneiden.
Aus diesen Erwägungen heraus entschloß sich der Oberbefehlshaber
Ost, unter noch weiterer Schwächung der 9. Armee noch zwei Divisionen
vor Warschau herauszuziehen und mit ihnen die Stoßkraft am Narew zu
steigern; er stellte die 83.
Infanterie-Division und die Division Menges dem General v. Gallwitz zur
Verfügung und ließ von der 8. Armee eine starke Division mit
schwerer Artillerie zu seiner Unterstützung am rechten Flügel
bereitstellen. Auch die vom westlichen Kriegsschauplatz anrollende 54. Division
sollte Gallwitz überwiesen werden. Eine dortige Verstärkung tat
dringend
not - einmal in Hinblick auf den russischen Widerstand, dann aber auch mit
Rücksicht auf die Schwierigkeiten des Geländes.
Allerdings war der Narew durch die Korrektion des letzten Jahrzehnts nicht mehr,
wie früher, unpassierbar; vor allem war das ihn begleitende, früher
sumpfige Gelände betretbar geworden; das war in dem sehr heißen
und trockenen Sommer 1915 in besonderem Maße der Fall. Trotzdem war
die Forcierung des breiten, vielfach vom linken Ufer überhöhten
Flußtals schwer; wo das rechte Ufer überhöhte, hatten die
Russen durch die Befestigungen sich dessen Besitz gesichert.
Am Anschluß an die Anordnungen des Oberkommandos wurden zufolge
der notwendig gewordenen Truppenverschiebungen nunmehr angesetzt:
- 85. Landwehr- und 86. Infanterie-Division gegen die Nordhälfte
der Westfront, 50. Reserve- und 1. Garde-Reserve-Division gegen die Nordfront von
Pultusk;
- XVII. Armeekorps mit zugeteilter 38. Infanterie-Division gegen den Narew
beiderseits Lachy;
- XIII. Armeekorps gegen Rozan.
Der 22. Juli verging unter den letzten Vorbereitungen; einen entscheidenden
Erfolg erzielte 4.
Garde-Infanterie-Division, die in schneller Erfassung eines günstigen
Augenblicks die Nordfront von Rozan durchstieß und den zwischen [196] innerer und
äußerer Stellung liegenden Ort Miluny in Besitz nahm,
während schwere und schwerste Artillerie Stadt und Befestigungsanlagen
befeuerte.
Den schwersten Kampf schien Pultusk zu bringen. Die Lage schien hier besonders
schwer, weil man damit rechnen mußte, daß während des
Kampfes aus dem Bereich von Nowo
Georgiewsk - Warschau - Serock der Feind zu
Gegenangriffen schreiten würde. XI. Armeekorps ordnete deshalb
besondere Maßregeln hiergegen an. Da die Truppen zu einem Angriff auf
die ganze Frontlinie von Pultusk nicht ausreichten, ordnete General
v. Plüskow an, daß die Kräfte sich gegen die
Frontstrecken
Kozlowo - Pelta-Fluß bzw. zwischen diesen und dem Narew
zusammenziehen und auch innerhalb dieser Strecken die
Stoßverbände auf engere Angriffsräume konzentrieren
sollten.
Starke Artillerie, auch schwerste Kaliber, eröffnete am 23. Juli in den
frühen Morgenstunden ihr Feuer, vor allem gegen die zum Sturm
bestimmten Teile der Befestigungen; Minenwerfer schlossen sich an und die
Infanterie schob sich unterdes bis dicht an die feindlichen Hindernisse. Um 8 Uhr
brach die rechte Angriffsgruppe gegen
Szlacheckie - halbwegs Chmielewo, um 9 Uhr gegen diesen Ort und
die ihn schützenden Anlagen vor. Trotz tapferster Gegenwehr fielen
jedesmal nach kurzem Kampf die Stellungen in deutsche Hand; auch die
südlich Szlacheckie liegenden Waldungen wurden von der 50.
Reserve-Division dem Gegner entrissen. Noch während des Kampfes
erkundeten Abteilungen der 1.
Garde-Reserve-Division Übergänge über den Narew bei und
südlich Chmielewo, um durch Vorgehen auf dem linken Ufer Pultusk im
Rücken abzuschließen; Pioniere begannen sofort mit dem Bau von
Brücken, aber die unaufhörlich vorwärts drängende
Infanterie durchwatete mit starken Abteilungen kämpfend den
Fluß.
Die Verbände folgten dem südwärts weichenden Gegner; die
Absicht, den Angriff sofort auf Pultusk fortzusetzen, verhinderte ein Befehl des
Kommandierenden Generals, der ein Neuordnen der Verbände vor dem
Überschreiten des
Pelta-Bachs anordnete. Die Verluste waren teilweise recht erheblich, besonders an
Offizieren.
Gleichzeitig mit dem Sturm auf Chmielewo setzte auch die rechte Angriffsgruppe
zum Vorgehen vor. Auch hier brachen in wenigen Minuten die Regimenter in die
stark befestigten Stellungen ein und hingen sich dem zurückgehenden
Gegner an. Bis Mittag fiel nicht nur Kozlowo mit den anstoßenden
Grabenstücken, sondern auch die großen Waldstücke bei Budy
Dembiny. Die 86.
Infanterie-Division konnte ihre Erfolge mit geringen Verlusten
erreichen - die 42-cm-Mörser hatten die russischen Stellungen auf
das stärkste zerstört und die Besatzungen schwer erschüttert.
Die zunächst zur Sicherung der rechten Flanke bereitgehaltene 85.
Landwehr-Division hatte sich dem Vorgehen angeschlossen, brach südlich
Kozlowo in die Stellung ein und rollte sie, rechts einschwenkend, in
südlicher Richtung auf.
[197] Nach dem Eintreffen
der durch 40stündige Bahnfahrt und sofort anschließenden
25-km-Fußmarsch stark ermüdeten Division Menges schloß
sich auch die Brigade Pfeil dem allgemeinen Vorgehen an. Die glänzenden
Erfolge ließen den General v. Gallwitz hoffen, durch sofortigen
Nachstoß gegen die innere Befestigung (Fortslinie) von Pultusk und
Vorgehen der 1.
Garde-Reserve-Division östlich des Flusses einen nochmaligen Kampf zu
vermeiden; Flieger meldeten ein Anstauen der weichenden russischen Kolonnen
an den Narew-Brücken. Aber der hartnäckige Widerstand starker Nachhuten
in immer neuen Stellungen und starkes Feuer aus den inneren Pultusker Werken
hemmten das Vordringen so, daß an diesem Tage die Artillerie nicht mehr
den Gegner niederkämpfen konnte. Dicht am Gegner und dicht vor den
inneren Werken blieben die Truppen liegen, um am 24. Juli den Kampf zu
erneuern. Dazu sollte es aber nicht mehr kommen.
Der Gegner räumte Pultusk; die vorgeschobenen Postierungen, von den
alarmierten Gros gefolgt, drängten sofort
nach - schon um 3 Uhr 30 Minuten früh waren Teile der 50.
Reserve-Division in Pultusk und bald die ganzen Divisionen im Vorgehen gegen
den Narew. Alle Übergänge fanden sie zerstört; sofort
begannen die Vorbereitungen zum Überschreiten des Flusses. Auch dieser
sollte sich leichter vollziehen, als man hoffen durfte.
Der 1. Garde-Reserve-Division war es schon am 23. Juli gelungen, bei
Chmielewo den Narew zu überschreiten, sich weiter östlich bis
Gnojno einen Brückenkopf zu schaffen und unter dessen Schutz eine
Brücke zu schlagen, die sofort vom Gros der Division zum Übergang
ausgenutzt wurde. Wohl leisteten die Russen in den Waldungen östlich
Pultusk zähen Widerstand; aber die 1.
Garde-Reserve-Division drängte, wenn auch langsam, so doch
unwiderstehlich in Richtung Gladczyn und Barrodzieje nach. Unter dem Druck
dieser Rückenbedrohung hatten die Russen Pultusk aufgeben müssen
und räumten jetzt auch das jenseitige Flußufer. So konnten, ohne
vom Feinde gehindert zu werden, an mehreren Stellen
Brückenschläge sofort begonnen werden. Aber auch die
örtlichen Hindernisse waren so groß, daß die Brücken
teils am Nachmittag, teils erst am Abend fertiggestellt werden konnten; nur auf
ihnen war der Vormarsch der Gros möglich, während kleine
gemischte Abteilungen mit Kähnen und anderem Behelfsmaterial schon
früher übersetzten und folgten.
Am Abend des 24. Juli standen fünf Divisionen mit ihrer Artillerie auf dem
linken Ufer zwischen der Mündung des
Prut-Baches und der Südwestecke des großen Sumpfgebietes Bagno
Pulwy - ein hervorragendes Stück deutschen Soldatentums. Die am
Westrande des Bagno Pulwy gelegenen Ortschaften bis Rzonsnik hatte die 38.
Division in schweren Kämpfen den Russen entreißen
müssen.
Weiter westlich konnte XVII. Armeekorps an mehreren
Stellen den Übergang über den Narew am 23. Juli erzwingen,
während die linke Flügeldivision[198] bei Napiorki und
nördlich gegen die noch im Flußwinkel stehenden feindlichen
Abteilungen sicherte.
Der erste Versuch der 38. Division, nördlich Zambski eine Brücke zu
bauen, scheiterte unter dem Feuer des dort sichernden starken Gegners. Dagegen
konnten Teile der 36.
Infanterie-Division bei Kalinowo ohne Widerstand den Fluß durchwaten.
Als dann aber eine Brücke über den Narew geschlagen werden sollte,
wurde diese wiederholt von russischer Artillerie zerstört; 35. Division
mußte mit Brückenmaterial aushelfen. Unter Überwindung
mehrerer schlimmer Krisen gelang es aber, das gewonnene Gelände auf
dem südlichen Flußufer zu behaupten und zu erweitern.
Während 38. Division am Westrande des Bagno Pulwy sich festsetzte (die
Russen hatten vor dem Abzug die Orte, Gutshöfe und das Getreide auch hier
in Brand gesteckt), nahm 36.
Infanterie-Division die an der Nordostecke liegenden Orte Olszaki und
nördlich in Besitz und fühlte gegen den vom Feinde gehaltenen
Bahnkörper Wyszkow - Ostrolenka vor; eine starke
vorbereitete Stellung wurde auf den Höhen östlich der Bahn
festgestellt.
Die dem Armeekorps unterstellte Garde-Kavallerie-Brigade folgte der 36.
Infanterie-Division und übernahm die Sicherung ihres rechten
Flügels durch die Sperrung aller Wege im Bagno Pulwy.
Die 35. Division mußte am 23. Juli noch heftige Kämpfe gegen die
im Narew-Knie noch stehenden Kräfte durchfechten, konnte ihnen folgend
dann aber den Narew teils durchwaten, teils überschreiten und sich
nördlich der 36. Division mit Front gleichfalls gegen den Bahndamm
östlich des Flusses festsetzen.
Zur gleichen Zeit entschied sich auch der Kampf um Rozan; der Kampf war
schwer: Die Russen hatten eine frische, tüchtige Division in den
Brückenkopf geschoben; mehrere innere Stellungen und
die - wenn auch alten - Forts gaben den nötigen
Rückhalt. Am 20. Juli wurden von der 26.
Infanterie-Division die Vorstellungen beiderseits der Pultusker Chaussee, am 22.
Juli von der 4. Garde-Division ein Stück der Nordfront und der Ort Miluny
gestürmt. Am 23. Juli schloß sich der Angriff der 3.
Infanterie-Division gegen die starke Stellung von Podboro an. Der erste Angriff
führte trotz eingehender Vorbereitung nicht zum Erfolg, so daß eine
nochmalige zweistündige Artillerievorbereitung notwendig wurde. Unter
blutigen Kämpfen wurden bis zum späten Nachmittag die Stellungen
erobert und der dahinterliegende Wald besetzt. So lagen am 23. abends alle
Verbände dicht vor dem inneren Abschnitt, der am 24. Juli gemeinsam
gestürmt werden
sollte. - Da räumte, wie so oft, der Gegner den Brückenkopf,
den Ort in Brand steckend. Die Divisionen drängten sofort nach; bei
Sonnenaufgang war der Narew erreicht. Mit Ausnahme einer
Kolonnenbrücke bei Dyszobata waren die Brücken zerstört;
auf den Waldhöhen des Ostufers hatten die Russen sich erneut
eingegraben.
Das Generalkommando ordnete die Erzwingung des Übergangs an: 26.
Infanterie-Division zwischen Rozan und Dzbondy, 3. Division bei Rozan, 4.
Garde- [199] Division bei
Dyszobata. Die Versuche, den Fluß zu überschreiten, gelangen am
24. Juli nicht mehr; die sofort nachgezogene Artillerie vermochte die russische
nicht mehr niederzukämpfen. Der Übergang mußte auf die
Nacht verschoben werden.
Auf der ganzen Front standen die Russen mit starken Kräften dicht
gegenüber.
Während diese Kämpfe sich abspielten, gingen vom
Oberbefehlshaber Ost neue Direktiven für die Armeegruppe Gallwitz am
23. Juni abends ein:
- "Nach Erzwingung des Übergangs über den Narew hat
der rechte Flügel der Armee Dembe, Zegzre und Benjaminow
(Brückenkopfbefestigungen am Narew östlich Nowo Georgiewsk) zu
nehmen und Nowo Georgiewsk anzugreifen.
- Die übrigen Teile der Armee setzen Vormarsch über die Linie
Wyszkow - Ostrow und Straße
Ostrow - Lomza bis zum Ruz-Abschnitt fort.
- Rechter Flügel der 8. Armee geht längs des
Ruz-Baches vor."
Die daraufhin von General v. Gallwitz erlassenen Befehle besagten:
- Die Gruppe Beseler mit unterstellter Brigade Pfeil (Teile des XVII.
Reservekorps) nimmt Befestigungsgruppe bei Nasielsk und zieht ihre
Hauptkräfte allmählich vor die
Nord- und Nordostfront der Festung beiderseits der Bahn
Ciechanow - Nowo Georgiewsk. (Damit wurde auch die
Hauptangriffsrichtung für den Festungskampf erklärt; sie war
bestimmt durch die Notwendigkeit der Basierung auf die einzig verfügbare
Bahn.) Vor der Westfront ist nur ein Schleier zu belassen, aber
Weichsel-Brücke bei Wyszogrod ausreichend zu schützen.
- 85. Landwehr-Division (des XVII. Reservekorps) deckt, an den Narew
angelehnt, die rechte Flanke der Armeegruppe Gallwitz gegen Nowo Georgiewsk;
sie verbleibt in ihrer Stellung nördlich des befestigten Brückenkopfes
von Sirock: 86.
Infanterie- und 1. Garde-Reserve-Division stehen am 25. Juli, 8 Uhr vormittags,
in Linie Zatory - Pniewo zum Vormarsch bereit.
- XI. Armeekorps (jetzt 50. Reserve- und 38. Infanterie-Division) steht bei
Pniewo - Rzonsnik bereit zum Vormarsch südlich Bagno
Pulwy.
- Division Menges bei Obrytte als Armeereserve.
- XVII. Armeekorps (35. und 36. Division) geht nach Vollendung des
Narew-Übergangs über die Bahn
Wyszkow - Ostrolenka auf Diugosiodlo vor;
- XIII. Armeekorps nach Überschreiten des Narew beiderseits Rozan
auf Ostrow;
- I. Armeekorps deckt anschließend die linke Armeeflanke bis zum
Ruz-Abschnitt.
Am 25. Juli früh wurde der Befehl dahin erweitert, daß die zwischen
Narew und Bagno Pulwy stehenden Korps die gegenüberstehenden Russen
angreifen und über den Bug zurückwerfen sollten. Die
Ausführung stieß aber auf starken Widerstand in zahlreichen
Vorstellungen nördlich des
Prut-Baches, der den Vormarsch stark verzögerte; südlich des Baches
wurde eine stark ausgebaute [200] Verteidigungsstellung
festgestellt, die ohne sorgfältige Vorbereitung große Opfer erfordert
hätte. Das Nachziehen der schweren Artillerie auf den schlechten Wegen
beanspruchte den Rest des Tages; sie konnte erst in der folgenden Nacht in
Stellung gebracht werden. Der Durchbruch wurde auf den 26. Juli
verschoben.
Nördlich des Bagno Pulwy zogen sich (s.
S. 198) die Kämpfe der
Divisionen des XVII. Armeekorps noch bis zum Abend des 25. Juli hin; die auf
dem äußersten linken Flügel kämpfenden
Westpreußen der 35. Division konnten sich nur mühsam der heftigen
Gegenstöße erwehren, die sie bei Grondy wieder auf den Narew
zurückwerfen sollten. Erst das Vorgehen des XIII. Armeekorps konnte
ihnen Entlastung bringen.
Auf allen Divisionsabschnitten gelang es auch, teils watend, teils auf
Flößen, zunächst
Pionier- und Infanterieabteilungen auf das östliche
Narew-Ufer zu schieben und Übergangsmöglichkeiten zu schaffen.
Aber der ganze 25. Juli verstrich, bis unter außerordentlich schweren
Kämpfen die Divisionen auf dem linken Ufer Fuß gefaßt und
dem Gegner die den Fluß beherrschenden vordersten Höhen entrissen
hatten. Der gewonnene Raum reichte aber bei den beiden Korps XVII und XIII in
der Tiefe noch nicht soweit, daß sie schon ausreichende Artillerie auf das
jenseitige Ufer nachziehen
konnten. - Das I. Armeekorps stand noch jenseits des Flusses.
Auf der Front aller zehn Divisionen, die bisher den Narew überwunden
hatten, sollte am 26. Juli der Angriff vorgetragen, die neue feindliche Front
durchbrochen werden. Um den Flügeln stärkeren Nachdruck zu
geben, stellte das Oberkommando den Korps des rechten Flügels die
bisherige Armeereserve (Division Menges) zur Verfügung. Von der
nachgeführten 83.
Infanterie-Division wurde der 4. Garde-Division eine verstärkte Brigade am
Übergang von Sielun (nördlich Rozan) unterstellt, um die
beherrschenden Höhen von Kruszewo wegzunehmen. Die von Westen
herantransportierte 54. Division sollte dem I. Armeekorps die Erzwingung des
Narew-Übergangs bei Ostrolenka ermöglichen.
Während die Divisionen die einleitenden Vorbereitungen trafen, brach
gegen 8 Uhr früh ein gewaltiger, einheitlicher russischer Angriff gegen die
deutschen Divisionen vor, augenscheinlich ein geschickt angelegter und
sorgfältig vorbereiteter Massenangriff, der mit
überwältigender Überlegenheit die Deutschen in den dicht
hinter ihrer Front fließenden Narew werfen sollte. Mit Sicherheit wurden
acht Armeekorps und drei
Kavallerie-Divisionen festgestellt, die zu diesem Stoß einheitlich in
Bewegung gesetzt wurden. Die Lage der deutschen Divisionen war besonders an
den Stellen gefährdet, wo auf dem linken Flußufer bisher nur wenig
tiefes Gelände hatte in Besitz genommen werden können.
Auch auf die westlich des Narew nördlich Serock stehenden Truppen
dehnte sich der Angriff
aus. - Er wurde mit rücksichtsloser Opferwilligkeit und
ungestümer Tapferkeit durchgeführt und konnte, da er völlig
überraschend kam, auch an einigen Stellen Erfolge bringen.
[201] Seine
größte Energie zeigte er beiderseits des Narew nördlich
Serock, wo vier russische Divisionen gegen die 85.
Landwehr- und die 86. Infanterie-Division anstürmten. Bei der 85.
Landwehr-Division ging der Ort Losiewo verloren, wurde aber noch am Abend
zurückerobert. Der linke Flügel der Gruppe Beseler, der unterdes die
Befestigungen von Nasielsk ohne Widerstand besetzt hatte, konnte in diese
Kämpfe unterstützend
eingreifen. - Wie wenig der russische Gegenangriff den Angriffswillen der
deutschen Truppen gestört hatte, wird daraus gekennzeichnet, daß die
1. Garde-Reserve-Division erst durch Befehl des Kommandierenden Generals
veranlaßt werden konnte, von ihrem schon begonnenen Angriff über
den gestürmten Ort Pniewo hinaus vorläufig Abstand zu
nehmen. - Schwere Verluste erlitt die 50.
Reserve-Division, gegen die anerkannt beste russische Divisionen
anstürmten. - Die in besonders schwieriger Lage kämpfenden
Divisionen 35 und 36 mußten mehrere, erst kurz vorher in der Nacht
genommene Orte (Grondy, Borki) wieder aufgeben; sie konnten sich aber, ebenso
wie die dicht östlich Rozan kämpfenden Divisionen des XVII.
Korps, halten und den Gegner unter schwersten Verlusten abweisen; hier, auf dem
äußersten linken Flügel, konnten die beiden Divisionen sogar
Fortschritte erzielen und das Waldgelände südlich Kruszewo und den
Ort selbst den Russen entreißen.
Der feindliche Ansturm, mit 18 bis 20 Divisionen unternommen, einer der
größten einheitlich geführten Gegenangriffe des Krieges,
wurde siegreich abgeschlagen, aber unter sehr schweren Verlusten auch für
die Deutschen, die durch ununterbrochene vierzehntägige Märsche
und schwere Kämpfe stark angestrengt, hier ihr Äußerstes
hergeben mußten. Da auch der Munitionsnachschub auf Schwierigkeiten
stieß, ordnete General v. Gallwitz an, daß im allgemeinen die
Korps am 27. Juli den Vormarsch nicht fortsetzen sollten. Nur XIII. Armeekorps
solle den Angriff fortsetzen, um dem I. Armeekorps den Übergang
über den Narew zu erleichtern.
Allerdings gab die russische Führung ihre Absicht noch nicht auf; am 27.,
teilweise sogar am 28. und selbst noch am 29. Juli erneuerten tapfere russische
Divisionen ihre Anstürme, ohne irgendwelche Vorteile zu erzielen, aber
unter schweren Verlusten. Dagegen hatte der Angriff des XIII. Korps Erfolg. Nach
Osten drang er am 27. Juli bis über den Weg und die Eisenbahn
Wyszkow - Goworowo - Ostrolenka vor; die linke
Flügeldivision wandte ihren Stoß von Kruszewo aus in Richtung
Kamionka, öffnete dadurch der 2. Division den Übergang über
den Narew und nahm dort engen Anschluß an deren linken
Flügel.
Das I. Armeekorps und weiterhin die 8. Armee hatten bisher den Narew nicht
überschreiten können. Die russische Stellung war beiderseits
Ostrolenka dicht an das Flußtal vorgeschoben, das sie von den
überhöhenden Bergrücken völlig übersah und
beherrschte. Brückenschläge hatten von dort verhindert, hergestellte
Brücken durch Artilleriefeuer wieder zerstört werden können.
Es [202] mußte alles
darangesetzt werden, der 8. Armee den Vormarsch in breiter Front zu
ermöglichen, um der hart ringenden und seither nur langsam vorwärts
gekommenen Armee Mackensen Erleichterung zu bringen und endlich die
russische Stellung im Weichselbogen zum Einsturz zu bringen.
Die Versuche des I. Armeekorps, den Narew frontal zu überwinden, waren
an einigen wenigen Stellen unter schwersten Kämpfen und
außerordentlich starken Verlusten so weit geglückt, daß die
Truppe auf dem jenseitigen Ufer kleine Brückenköpfe gewonnen
hatte. Mehrere Tage mit rücksichtslosen Opfern durchgeführte
russische Gegenangriffe hatten nur mühsam abgewehrt, weiteres
Gelände nach vorwärts nicht gewonnen werden
können. - Alle Tapferkeit der Ostpreußen war der starken
Überlegenheit der Russen (auch an Artillerie und Maschinengewehren) und
der vorteilhaften Stellung gegenüber vergeblich gewesen; alle Versuche zur
Herstellung von Übergängen waren trotz der Aufopferung der
Pioniere gescheitert.
Den einzigen Ausweg aus dieser Lage konnte nur der Versuch ergeben, hinter der
4. Garde-Division den Narew (also außerhalb des Angriffsstreifens des I.
Armeekorps) zu überschreiten. Die 83.
Infanterie-Division entschloß sich hierzu, stellte auch selbst
Brückenmaterial der vor ihr übergehenden Division zur
Verfügung und wurde bis zum Abschluß der Kämpfe bei
Rozan dem XIII. Armeekorps unterstellt. Ihr Vorgehen Narew aufwärts von
Kruszewo auf Kamionka sollte endlich dem I. Armeekorps den Weg über
das schwierige Hindernis öffnen.
Als das erfolgreiche Vordringen der 83. Division erkennbar wurde, ordnete
General v. Gallwitz an, daß auch die anderen Divisionen des I.
Armeekorps alle verfügbaren Verbände nach Süden schieben
und hinter der 83. Division übergehen sollten. Ein Ausholen über
Sielun war nicht mehr nötig. Als das linke
Narew-Ufer bis Kamionka von den Russen gesäubert war, konnten Pioniere
westlich jenes Orts eine Brücke herstellen, nachdem Infanterie dort den
Fluß durchwatet hatte. So schlossen sich Teile aller Divisionen des I.
Armeekorps zusammen, um einmal den nun schon sieben Tage in einem engen
Brückenkopf bei Kamionka aushaltenden Ostpreußen Erlösung
zu bringen und weiterhin dem Rest des Korps in Gegend Zeran (westlich
Kamionka) - Grabowo den Weg zum Überschreiten des
Flusses frei zu machen.
Am 27. Juli traf die von Westen antransportierte 54.
Infanterie-Division nördlich Ostrolenka ein. Ihr glückte es, in der
Morgenfrühe des 28. Juli überraschend zwei Kompagnien auf das
südliche Ufer zu werfen, dann scheiterten aber auch hier alle weiteren
Versuche unter dem
Frontal- und flankierenden Feuer der außerordentlich geschickt
aufgestellten russischen Batterien und Maschinengewehre. Um weitere schwere
Verluste zu vermeiden, befahl General v. Gallwitz, daß auch diese
Division auf der Brücke bei Kolaki (westlich Kamionka) den Fluß
überschreiten solle. Noch am Abend des 29. Juli ging sie über den
Narew [203] und stellte sich, durch
die 83. und 2.
Infanterie-Division gedeckt, bei Jawory (dicht südlich Kruszewo) bereit.
Um die völlig durcheinander geratenen Verbände wieder in die Hand
der Führer zu bringen, wurde die 83. Division wieder dem I. Armeekorps
zurückgegeben. - Bei der außerordentlichen Zähigkeit
der bei Ostrolenka haltenden russischen Verbände hatte sich in diesen
Tagen der Schwerpunkt des Angriffs der Armeegruppe auf den linken
Flügel verschoben. Um die Entscheidung hier baldigst zu erzwingen, ordnete
General v. Gallwitz an, daß der ganze rechte Flügel zwischen
Narew und Bagno Pulwy vorerst defensiv bleiben und sich eingraben solle. Die 1.
Garde-Reserve-Division wurde, durch die Division Menges abgelöst,
herausgezogen und in Richtung Rozan zur eventuellen Verstärkung des I.
Armeekorps bestimmt; schließlich wurde auch noch die 50.
Reserve-Division mit schwerer Artillerie herausgelöst und auf Rozan in
Marsch gesetzt.
Für die Korps des linken Flügels ordnete General v. Gallwitz an:
- XIII. Armeekorps drückt die gegenüberstehenden starken
feindlichen Kräfte über die Bahnlinie und den
Orz-Bach östlich Goworowo zurück und übernimmt den
Schutz der rechten Flanke des I. Armeekorps;
- I. Armeekorps greift zwischen Narew und Orz an derart, daß die bei
Ostrolenka haltenden russischen Kräfte umfaßt und aufgerollt
werden.
Bis zum 31. Juli zogen sich die Vorbereitungen für die Entscheidung hin.
Als an diesem Tage 54. und 83.
Infanterie-Division zum Angriff ansetzten, traf sie überraschend ein mit
äußerster Gewalt geführter Gegenstoß, der in die Front
der 83. Division einbrechen konnte. Eben eingetroffene Verstärkungen
hatte die russische Führung einsetzen können. Bevor aber der
Einbruch bei Cisk gefährlichen Umfang annehmen konnte, griffen die
Nachbardivisionen (2. und 54.) von den Flanken her ein und stellten bis zum
Abend die Lage wieder her. Allerdings hatte die 83. Division schwere Verluste
erlitten und mußte vorerst in Reserve genommen werden.1
Die Besatzung des Brückenkopfes nordwestlich Kamionka wurde an
diesem Abend endlich aus ihrer schwierigen Stellung befreit. Auf Anregung von
General v. Gallwitz hatte der Kommandierende General der Truppe (Teilen
des Füsilier-Regiments 33) freigestellt, den Brückenkopf zu
räumen, was allerdings voraussichtlich große Verluste nach sich
gezogen hätte. Die Ostpreußen zogen es vor, in gewaltsamem
Stoß die trennende Schranke in Richtung Kamionka gemeinsam mit Teilen
der dort stehenden Truppen den Russen zu entreißen. [204] Die sehr stark
ausgebaute Waldhöhe, gegen die eine sorgfältige
Niederkämpfung durch die Artillerie ergebnislos geblieben war, fiel bei
Einbruch der Nacht.
Trotz des großen Erfolges gaben die Russen aber auch jetzt ihre Stellung bei
Ostrolenka nicht frei; sie gingen sogar in der Nacht vom 2. zum 3. August noch
einmal gegen die sich vorarbeitenden Divisionen (2. und 37.) zum tapferen
Gegenstoß vor. Dann aber setzte das I. Armeekorps noch einmal am 3.
August zum Durchbruch an, der endlich einen vollen Erfolg brachte. Das von den
Russen selbstredend in Brand gesteckte Städtchen fiel am Abend; das
Narew-Ufer wurde von den Russen geräumt. Auch die 83.
Infanterie-Division hatte den Echec vom 31. Juli schon überwunden und
nahm an diesem letzten Kampf mit den sich verzweifelt wehrenden Russen
wieder erfolgreich teil.
Die durch Herausziehen der 50. Reserve- und der 1.
Garde-Reserve-Division in seiner Kampfkraft geschwächte Gruppe der 12.
Armee am unteren Narew konnte in diesen Tagen an eine Wiederaufnahme des
Angriffs nicht denken. Sie hatte sich zur Abwehr eingegraben; aber auch der
Gegner hatte durch den blutigen, erfolglosen Angriff vom 26. anscheinend den
Willen zur Offensive eingebüßt; er grub sich gleichfalls ein.
Auch bei der Mitte war es zu keinen Kämpfen mehr gekommen. Die
Division (36., 35., 3., 1.
Garde-Reserve-, 4. Garde-) gruben sich zunächst ein und schoben sich dann
zur Fortsetzung des Angriffs dicht an der feindlichen Stellung vor. Daß die
Russen in dieser Kampfpause Verstärkungen heranführen
würden, mußte erwartet werden; es konnte aber bei der
Überanstrengung der Truppen und dem äußerst schwierigen
Nachschub - vor allem an Munition - nicht verhindert werden. Eine
sorgfältige artilleristische Vorbereitung des nächsten Durchbruchs
war die notwendige Folge.
Die auf den anderen Armeefronten in den letzten Tagen erzielten Erfolge machten
für die 12. Armee des General v. Gallwitz eine Verlegung des
Vorgehens nötig.
Die Armee Mackensen hatte in erbittertem Ringen Cholm und Lublin genommen
und drang weiter nordwärts vor. Die
Armee-Abteilung Woyrsch hatte unterhalb Iwangorod die Weichsel
überschritten, die 9. Armee die
Blonie-Stellung genommen und war im Vormarsch gegen die äußere
Fortslinie südlich von Warschau. Gruppe Beseler schob sich dicht an die
Außenforts von Nowo Georgiewsk vor. Der Raum der russischen Armee
verengte sich von Tag zu Tag; die an der Weichsel stehenden Kräfte
mußten zurückgezogen werden, wenn sie nicht erdrückt
werden sollten. In der Tat meldeten auch die Flieger allenthalben russische
Massen im Abtransport und Abmarsch nach Osten.
Ein Vorstoß der 12. Armee dicht östlich Warschau hätte
deshalb kaum noch Erfolge zeitigen können; er mußte erheblich
weiter nach Osten verlegt werden. Allerdings war damit zu rechnen, daß
sich zur sicheren Rückführung ihrer Massen die russische
Heeresleitung auf den Flügeln gegen Mackensen im Süden, gegen
[205] Gallwitz und Scholtz
im Norden starke Abwehrkräfte bereitstellen und einsetzen
würden.
Der Oberbefehlshaber Ost ordnete deshalb an, daß der Angriff von den
inneren Flügeln der 8. und 12. Armee in Richtung Sniadowo (nördlich
Ostrow) vorgetragen und daß zur Verstärkung der Stoßkraft des
linken Flügels die 75.
Reserve-Division (rechter Flügel der 8. Armee) und die vom Westen
ankommende 58.
Infanterie-Division dem General v. Gallwitz unterstellt werden sollten.
Seine Anordnungen besagten: Es greifen an:
- XVII. Armeekorps (36. und 35. Division), mit dem linken
Flügel bei Jozefowo stehend, in südöstlicher Richtung;
- XIII. Armeekorps (26., 3. Infanterie-, 1. Garde-Reserve-, 4.
Garde-Infanterie-Division), linker Flügel südlich Grabowo, in
Richtung Suchcice;
- I. Armeekorps (54., 83., 2., 37. Infanterie-Division) mit dem rechten
Flügel am oberen
Orz-Bach, mit dem linken entlang der Bahn
Ostrolenka - Sniadowo;
- 58. Infanterie-Division (8. Armee) geht nördlich der Bahn auf
Tarnowo;
- 50. Infanterie-Division, noch im Antransport, wird zunächst als
Armee-Reserve bei Rozan bereitgestellt. Sie wurde, als sich die Notwendigkeit
herausstellte, die 54.
Infanterie-Division südlich des Orz-Baches einzusetzen und sie dazu dem
XIII. Armeekorps zu unterstellen, dem I. Armeekorps zugewiesen.
Der Angriff sollte also diesmal vom linken Armeeflügel geführt
werden, während die Gruppe Plüskow ihre Stellungen zwischen
Serock und Bagno Pulwy hielt und Gruppe Beseler, der auch die 85.
Landwehr-Division westlich des Narew unterstellt wurde, den Angriff auf Nowo
Georgiewsk einleitete.
Wie erwartet, hatten die Russen neue Kräfte in die Gegend
Ostrow - Sniadowo herangeführt. Bei den Kämpfen um
die stark ausgebaute, zäh verteidigte Stellung, die sich etwa von Przetycz
auf westlich
Wonsewo - Rossosz in fast nördlicher Richtung hinzog,
griffen diese frischen Divisionen mit immer wiederholten, rücksichtslos
unter schwersten Opfern durchgeführten Gegenangriffen ein, die mehrfach
empfindliche Rückschläge für die stark beanspruchten
deutschen Truppen brachten. Aber auch die überlegene Zahl und das die
Verteidigung außerordentlich begünstigende Gelände konnten
der überlegenen Kriegskunst und dem unerschütterlichen
Siegeswillen der zwar angestrengten und auch durch die blutigen Kämpfe
zusammengeschmolzenen deutschen Truppen nicht den Sieg abgewinnen.
Sofort am ersten Angriffstage hatte das I. Armeekorps einen großen Erfolg
zu verzeichnen; 2. und 37. Division durchstießen die feindliche Stellung in
ihrer ganzen Tiefe, bis ihnen Sumpfgelände zunächst Halt gebot.
Auch das XIII. Armeekorps fesselte am 4. und 5. August in außerordentlich
schweren, verlustreichen Kämpfen in Gegend Goworowo den Sieg an seine
Fahnen, den auch der Einsatz eines frischen russischen Armeekorps ihm nicht
entwinden konnte (es war eins der als beste, tapferste anerkannten sibirischen
Armeekorps).
[206] Am folgenden 6.
August verbreiterte sich das entscheidende Ringen weiter südwärts;
kam es an diesem Tage auch nicht zu einer Entscheidung auf der ganzen Front, so
gelang es doch fast allen Divisionen, in die russische Stellung derart
einzubrechen, daß die sofort zu erwartende Auswirkung sie zu einem
einheitlichen Siege zusammenführen mußte. So gelang es der 3.
Division und der 1.
Garde-Reserve-Division, bei Czernie und Brzezienko die feindliche Stellung zu
durchstoßen. Weiter nördlich drang die 4.
Garde-Infanterie-Division bei Rossosz, die 54. Division bei Chrosnice, die unterdes
in die vorderste Linie gezogene 50.
Reserve-Division bei Grudzisk in die Stellung ein; 83. und 2.
Infanterie- konnten sie bei Stylongi und Chrostowo durchbrechen.
Die erbitterten Kämpfe setzten sich zwar am nächsten Tage noch
fort; aber einen Einfluß auf die Entscheidung brachten sie nicht mehr. Im
Gegenteil: das Gefühl einer großen Niederlage bei den Russen war
so groß, daß es sich auch auf die anstoßenden Fronten in ihren
Folgen ausbreitete. Schon am 7. August gaben die in der geschickt ausgebauten
Stellung hinter dem
Prut-Bach stehenden russischen Divisionen ohne Kampf die Gräben auf
und gingen hinter den Bug zurück. Die Divisionen der Gruppe
Plüskow folgten sofort, indem sie sich zugleich in die von der 12. Armee
eingeschlagene westöstliche Richtung einpaßten.
Die russische Front nördlich und südlich der Straße
Rozan - Ostrow konnte unter dem scharfen Nachdrängen der
deutschen Divisionen zu einer einheitlichen Widerstandslinie nicht mehr
kommen; Nachhuten setzten sich allerdings auch jetzt wieder in der gewohnten
russischen Zähigkeit ein, um das schnelle Vorschreiten der Deutschen
aufzuhalten. Etwa am 8. August konnte die der 12. Armee gestellte Aufgabe, die
Straße Myszkow - Ostrow - Lomza zu gewinnen, als gelöst
angesehen werden.
Die Verluste der ihr angehörigen Divisionen waren sehr groß, sie
entsprachen der Schwere der Kämpfe und der Ungunst aller
Verhältnisse. Aber ihre Erfolge waren groß. Sie prägten sich
nicht so sehr in den Beutezahlen aus: 270 Offiziere, etwa 75 000 Mann
bedeuten für die große eingesetzte Streiterzahl nicht allzuviel. Aber
die Möglichkeit operativer Umfassung hatte ihr gefehlt; Durchbrüche
taktischer Art pflegen selten oder doch erst in ihren späteren Wirkungen
größere Beutezahlen einzubringen. Dafür waren die operativen
Auswirkungen um so größer. Nur die furchtbaren Schläge der
von General v. Gallwitz Kunst geführten Truppen waren es,
die - gemeinsam mit gleichartigen Erfolgen
Mackensens - die Lage in Polen für die Russen unhaltbar
machten.
Innerhalb des engen operativen Rahmens, der den Kampf um und über den
Narew zur Folge hatte, wurde erreicht, was die Oberste Heeresleitung erstrebte.
Die große Kunst des russischen Oberbefehlshabers allerdings verhinderte
die vielleicht erhoffte Katastrophe des ganzen, in Polen stehenden Heeresteils.
[207] Die nicht gegen Nowo
Georgiewsk eingesetzten Korps der 12. Armee paßten sich fortan in die
Front des einheitlich nach Osten gerichteten Vormarsches ein: rechts, durch den
Bug getrennt, marschierte die 9. Armee; links konnte die 8. Armee, die durch den
Stoß der 12. Armee endlich den Übergang über den Narew
geöffnet sah, am 10. August Lomza nehmen und in gleicher Höhe
mit jener ostwärts marschieren.
Der Kampf um Nowo Georgiewsk.
Während die Armeen diesen Vormarsch durchführten, spielte sich
hinter ihrer Front der Angriff auf Nowo Georgiewsk ab.
General v. Beseler mußte mit den Vorbereitungen allerdings warten, bis die
Kämpfe um den Narew, die sich bei Pultusk und Serok in der Schlagweite
der Festung abspielten, ihm dazu die Möglichkeit
gaben - hatte sein linker Flügel doch bei der Abwehr des
großen russischen Angriffs am 26. Juni eingreifen müssen, um der
westlich des unteren Narew stehenden, hart bedrängten 85.
Landwehr-Division die Abwehr zu ermöglichen. Als dann die 12. Armee
anfangs langsam, dann schneller den weichenden Russen
südost- und ostwärts folgte, trat an die Armeegruppe Beseler als erste
vorbereitende Aufgabe die Eroberung der im
Narew-Bogen liegenden Sperrforts. Das Heranziehen und Instellungbringen der
schweren und schwersten Batterien zog sich infolge der schlechten Wege und der
Beschränkung auf die einzige Bahn
Mlawa - Nasielsk, die überdies noch nicht wieder voll
leistungsfähig war und auch für die 12. Armee stark beansprucht
wurde, bis zum Abend des 4. August. Als aber erst die schweren Geschütze
ihre Geschosse in die Werke hineinwarfen, wurde ihre Widerstandkraft bald
gebrochen; moralisch niederdrückend wirkte sich aber auch die Besetzung
von Warschau aus; der Teil der Stadt westlich der Weichsel wurde am 5. August
früh ohne Kampf von den Russen geräumt. Während des
Artilleriekampfes schoben sich die zum Angriff bestimmten Teile der 21.
Landwehr-Brigade und der Brigade Pfeil an die Außenstellungen der beiden
Brückenköpfe Dembe und Zegrze heran; schon um 7 Uhr morgens
fielen die vordersten Linien in deutsche Hand. Am folgenden Tage wurde in
erneutem Angriff auch die letzte Vorstellung genommen und die Russen auf die
Werke selbst zurückgeworfen. Wie so oft, ließen sie es dann auf
einen Sturm gegen die Forts selbst nicht ankommen. In der Nacht vom 6. zum 7.
August räumten sie die Befestigungen und das rechte
Narew-Ufer unter Zerstörung der Brücken. Aber auch die letzte
Verbindung der Festung sollte unterbrochen werden; nachdem ein vom linken
Flügel der 9. Armee entsandtes Detachement Westernhagen die
Südfront von Nowo Georgiewsk eingeschlossen hatte, mußte in dem
Winkel zwischen Narew und Weichsel oberstrom der Ring geschlossen
werden.
Schon am 9. August wurde die 169. Landwehr-Brigade, eben von den
Kämpfen um Serock eingetroffen, bei Dembe über den Narew
gesetzt. Die dort [208] stehenden feindlichen
Verbände wichen teils auf die Festung, teils in östlicher Richtung
zum Anschluß an die Feldarmee zurück. Als am 10. August die
Russen das Sperrfort Benjaminow in die Luft sprengten und deutsche
Truppen - mit dem linken Flügel an der oberen
Weichsel - gegen die Südostfront eingeschwenkt waren, war die
Festung auf sich selbst angewiesen.
Alle Einschließungsbewegungen des Korps Dickhuth, des XVII.
Reservekorps, des Detachements Westernhagen und schließlich auch der
169. Landwehr-Brigade wurden unter verhältnismäßig leichten
Kämpfen bewirkt; trotz der Schwäche der eingesetzten Truppen,
über die der Kommandant durch Spionage zweifellos genau unterrichtet
war, ist eine offensive Abwehr der Einschließung, ein Ausfall, nirgends
versucht worden. Das Zeichen mangelnder Energie hatte auf deutscher Seite den
Plan entstehen lassen, gewaltsam in und durch den Fortsgürtel
einzubrechen und die Festung durch Handstreich zu nehmen. Der erste starke
russische Gegenstoß am Narew am 26. Juli hatte aber das Herausziehen
erheblicher Kräfte aus den Belagerungstruppen notwendig gemacht und zum
Verzicht auf jene Unternehmung gezwungen. Der naheliegende
Rückschluß war, daß der Kommandant nur über eine
zahlenmäßig geringe und vielleicht auch wenige gute
Besatzungstruppe verfüge. Erst nach dem Fall der Festung stellte sich
heraus, daß die Besatzung an Zahl und an äußerlicher
Güte der Truppen dem Angreifer erheblich überlegen war.
Die dem General v. Beseler zugeteilten Truppen zeigten in ihrer
Zusammensetzung in besonders krasser Weise die kolossale Beanspruchung, die
auf dem deutschen Volke lastete. Alle
Feld- und Reservetruppen forderte der Bewegungskrieg; für den Angriff auf
die stärkste russische Festung konnten nur
Landwehr-, Landsturm-, Ersatz- und eben aufgestellte
Kriegsfreiwilligenverbände, älteste und jüngste
Jahrgänge bereitgestellt werden. Und für den Antransport des
zahlreichen, schweren Belagerungsgeräts war eine einzige
unzulängliche Eisenbahn verfügbar. Dazu forderte die ganze Lage
einen schnellen Fall der Festung. So entschloß General v. Beseler
sich zum abgekürzten gewaltsamen Angriff im Vertrauen auf die Tapferkeit
seiner Truppen und die furchtbare Wirkung seiner schwersten Artillerie.
[210a]
Nowo-Georgiewsk (Modlin). Fort 6 durch 42 cm zerstört
|
Beides täuschte ihn nicht. Sofort nach Einnahme von Dembe und Zegrze,
am 8. August, begannen die letzten Vorbereitungen; schon der 13. August sollte
den Angriff - zunächst auf die vorgeschobenen
Stellungen - bringen. - Nach mehrstündigem intensiven
Artilleriefeuer brach die Infanterie vor gegen die zäh verteidigte, stark
ausgebaute Stellung; tapfer geführte russische Gegenstöße
wandten sich gegen die Punkte, an denen ein Einbruch gelungen war. Der Kampf
endigte mit dem Zurückwerfen der Russen auf die äußere
Fortslinie. Schon am 14. August setzte das Zerstörungsfeuer der schweren
deutschen Batterien gegen diese ein, das sich am 15. und 16. zu
äußerster Heftigkeit
steigerte - soweit es die spärliche Munition zuließ. Am
Vormittag des [209] 16. August erfolgte der
Sturm gegen die Forts XV und XVI der Nordostfront, der jedoch nur stellenweise
Erfolg hatte, immerhin aber eine Lücke in die starke feindliche Stellung
riß. Noch zwei Tage, bis zum 17. August, währten die Kämpfe,
während sich gleichzeitig die eingebrochenen Verbände
einschließlich der nachgeschobenen Artillerie gegen die Linie der inneren
Forts heranschoben.
Zwei weitere schwere Kampftage gingen noch hin; am 19. August nachmittags
stürmten, nach dem Fall der inneren Forts sofort nachdrängend,
verschiedene Truppenteile auch den Außenwall des Kernwerks der Festung;
am Abend begab sich der Kommandant in das Hauptquartier Beselers, wo in der
Nacht die Kapitulation unterschrieben wurde. Erst jetzt stellte sich durch die
große Beute heraus, daß Nowo Georgiewsk nicht, wie es bei anderen
russischen Festungen geschah, nach Rettung der stärksten Kampfmittel nur
von Nachhuten gehalten, sondern daß in ihr eine überlegene Armee
bester Truppen und bester Ausrüstung dem Angreifer
gegenübergetreten war. Eine Tat war geschehen, die sich stolz neben
Lüttich, Namur, Maubeuge und Antwerpen stellen konnte.
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