Bd. 1: Der deutsche Landkrieg, Erster Teil:
Vom Kriegsbeginn bis zum Frühjahr 1915
[xv]
Einleitung
Das Kriegswerk will dem deutschen Volke und der Welt ein möglichst
wahrheitsgetreues Bild des Geschehens
geben - des Geschehens im Kampf und des Geschehens für den
Kampf. Es will in schlichter Darstellung die Aufeinanderfolge der Tatsachen
bringen, will sie für sich selbst sprechen und im allgemeinen nur aus den
Erfolgen und Mißerfolgen die Kritik hervortreten lassen.
Militärisch-fachwissenschaftliche Untersuchungen und Urteile sind nicht
Zweck des für das Volk in seiner Gesamtheit bestimmten Werkes.
Daß sich aber ein Wort der Zustimmung oder entgegengesetzter Auffassung
nicht immer vermeiden ließ, ist verständlich.
Um die Ereignisse und die Entschlüsse der handelnden Personen zu
verstehen, war es nötig, die Unterlagen so zu schildern, wie sie im
Augenblick der Entscheidung tatsächlich vorhanden waren. Aus diesem
Grunde werden
sich - darauf sei hier ausdrücklich
hingewiesen - an manchen Stellen Verschiedenheiten in der Darstellung
ergeben müssen.
Herr Geheimrat Professor Dr. H. Oncken wird die Geschichte der
Außenpolitik vor und im Weltkriege bringen, und zwar in dem Umfange,
wie es die Kenntnis aller verfügbaren deutschen und ausländischen
Quellen gestattet. Diese heute umfassende Kenntnis der Dinge ist aber
grundverschieden von den Unterlagen, auf denen die Oberste Heeresleitung im
Augenblick ihrer Entschließungen bauen konnte. Nicht nur fehlte ihr (was
natürlich auch bei der Reichsregierung oft zutraf) die Kenntnis der Dinge
jenseits der Grenzen; sie verfügte aber auch nur über jene Kenntnis
der Verhältnisse, die ihr von den maßgebenden Stellen der
Reichsregierung zuging. Diese Orientierung war leider vielfach unzureichend, oft
ungenau, hier und dort sogar irreführend. Und doch war es die einzige
Grundlage, auf der die Oberste Heeresleitung ihre enscheidenden
Entschlüsse und Befehle aufbauen mußte. So wird sich in den
"Politischen Grundlagen für die Entschlüsse der Obersten
Heeresleitung", die den Bänden kriegerischer Darstellungen Einleitung und
Rahmen geben, vielfach eine andere Schilderung der Dinge, als in den
außenpolitischen Bänden, finden.
Ähnlich ist es mit den Abschnitten, die den "militärischen
Grundlagen der Entschlüsse der Obersten Heeresleitung" gewidmet sind.
Die Verhältnisse bei den eigenen Truppen und die mehr oder minder
lückenhaften, mehr oder minder verläßlichen Nachrichten
über die Verhältnisse bei den Gegnern mußten ihr jene
Grundlagen bieten. Daß besonders die Kenntnis über den Feind selten
der Wirklichkeit entsprach, ist eins der charakteristischen Momente, die in der
Kunst der Kriegführung zur Wirkung
kommen - diese Atmosphäre der Unsicherheit. Eine besondere
Begabung des
Feldherrn - angeboren, nicht erlernbar - ist [xvi] es, aus den Meldungen und Nachrichten das
Richtige und das Falsche herauszufühlen, Wichtiges und Unwichtiges zu
scheiden und intuitiv durch Ungewißheit und Unsicherheit hindurch den
einzig richtigen Entschluß zu fassen, der über Heer und Vaterland das
Schicksal
bedeutet. - Bei der Ausführung der Entschlüsse und Befehle
der Obersten Heeresleitung aber stoßen ihr im Kampf die Absichten und
Machtfaktoren des Gegners entgegen. Fortgang und Ausgang der Kämpfe
sind jedoch nur verständlich, wenn diese Gegenwirkungen des Feindes in
die Darstellung verflochten sind. Sie wird oft ergeben, daß die
Anordnungen der Obersten Heeresleitung auf irrigen Annahmen
fußten - irrig nicht durch eigene Schuld, sondern
unabänderlich in den Notwendigkeiten des Krieges
begründet. - So wird auch in diesen Fällen nicht immer eine
Übereinstimmung in den Abschnitten vorhanden sein. Ein Bestreben, die
Unterschiede in der Darstellung auszumerzen oder auszugleichen, wäre
aber ein Fehler. Das Verständnis für das Geschehene kann sich nur
gründen auf die Kenntnis der Unterlagen im Augenblick des Geschehens.
Nur so läßt sich auch ein Gefühl für die ungeheure
Größe der Verantwortung empfinden, unter der auf völlig
unsicherem Boden die höheren Führer oft blitzschnell denken, sich
entschließen und handeln mußten.
Es ist geradezu ein Verbrechen nachträglicher, stubengelehrter Kritik, wenn
sie über Entschlüsse zu Gericht sitzt und verdammt, ohne daß
sie bestrebt oder auch nur befähigt ist, sich in die Seele des Führers
zu versetzen, der bei einem Entschluß von vielleicht entscheidenden Folgen
und in vollster Erkenntnis dieser Verantwortlichkeit trotzdem aus stärkster
Ungewißheit heraus sich in kurzen Augenblicken entschließen und
befehlen muß.
Die Entschlüsse der Führung und die Art der operativen und
taktischen Ausführung waren in stärkstem Maße
abhängig von der Größe und Kraft der Mittel, die ihnen aus der
Heimat zuflossen. Oft war diese Rücksicht direkt
entscheidend - und dabei wechselten die Einflüsse zu den
verschiedenen Zeiten und auf den verschiedenen Kriegsschauplätzen
außerordentlich. Sie hingen auch auf das engste zusammen mit der ungeahnt
großen Entwicklung der Technik, die immer neue oder doch aufs
höchste gesteigerte Kampfmittel und Kampfmöglichkeiten schuf. So
sind auch die die Organisationen umfassenden Bände unentbehrlich
für das Verständnis vom Verlauf des Krieges. Der Wunsch, sie von
Fachmännern geschlossen dargestellt zu sehen, forderte ihre getrennte
Schilderung; die zeitlichen Angaben über ihre Entwicklung geben die
Möglichkeit, die Stärke ihres Einflusses auf die Kampfhandlungen
zu erkennen.
So gehören trotz ihrer örtlichen Trennung und ihrer mehrfachen
Verschiedenheit in der Darstellung alle Abschnitte organisch zusammen. Aus
ihnen vereint erwächst erst das volle Verständnis für die
Größe deutschen Kampfes und deutscher Arbeit.
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