Ernährungspolitische Massnahmen im Distrikt Warschau (Teil 2)
4. Marktordnung und
Lebensmittelbewirtschaftung
Irgendwelche nennenswerten Bestände an Lebensmitteln waren, als die deutsche Verwaltung anfing, nicht mehr vorhanden, da sie während des Polenfeldzuges und vor allen Dingen während der Belagerung der Stadt Warschau aufgezehrt worden waren. Zur Verhütung einer Hungersnot mußten im ersten Winter 1939/40 ansehnliche Getreide- und Zuckerlieferungen aus dem Reich erfolgen. Damit gelang es, den ersten Winter, der noch dazu eine besonders starke Kälte brachte, zu überbrücken. An Stelle dieser Notmaßnahmen mußten dann aber planmässig neue Maßnahmen eingeleitet werden, um eine gleichmäßige Versorgung der Bevölkerung zu erreichen. Zunächst wurde Brot und Zucker auf Karten an die Bevölkerung ausgegeben. Nach und nach wurden dann auch Fleisch, Eier, Mehl und andere Nahrungsmittel in das Rationierungssystem einbezogen. Bei der Einführung dieses Lebensmittelkartensystems wirkte sich das Fehlen eines geordneten Einwohnermeldewesens ebenso unangenehm aus wie die dauernde Rückwanderung von Polen aus den in das Reich eingegliederten Gebieten und das ständige Zurückfluten der polnischen Flüchtlinge aus den damaligen Interessengebieten der UdSSR. Durch diese Menschenwanderung stieg damals die [203] Einwohnerzahl der Stadt Warschau um mehrere Hunderttausend auf mehr als 1,5 Millionen an. Im ganzen Distrikt mußten 2,3 Millionen Menschen als Versorgungsberechtigte durch das Kartensystem versorgt werden, da im Distrikt Warschau, wie bereits ausgeführt wurde, nur ein kleiner Prozentsatz der Bevölkerung aus Selbstversorgern besteht. Bei der Rückständigkeit, die damals im Generalgouvernement als Folge der früheren Verhältnisse vorgefunden wurde, war es nicht möglich, das deutsche Lebensmittelkartensystem zu übernehmen, vielmehr musste ein vereinfachtes Verfahren zur Anwendung gebracht werden. Es konnten nur bestimmte Verbrauchergruppen als versorgungsberechtigt anerkannt werden, u. a. die gesamte großstädtische Bevölkerung. Neben den größeren Städten kamen aber auch die Arbeiterwohnbezirke in der Nähe dieser Städte und die Industriegebiete auf dem flachen Lande in Frage. Dabei wurden zwischen Verbraucherguppen für nichtdeutsche Normalverbraucher sowie Verbrauchergruppen für Juden unterschieden. Wer in Betrieben arbeitete, die für die deutsche Industrie oder im allgemeinen deutschen Interesse tätig sind oder bei denen ein öffentliches Interesse (z. B. Elektrizitätswerke, Gas- und Wasserwerke) vorliegt, wurde zusätzlich mit Lebensmitteln beliefert. Ein weiterer Unterschied gegenüber dem Reich liegt darin, daß die Versorgungsberechtigten nicht mit allen Nahrungsmitteln versorgt werden, sondern daß eine Zuteilung nur bei bestimmten Grundnahrungsmitteln erfolgt, und zwar in Mengen, die der Erzeugungskraft des Generalgouvernements entsprechen. Die Höhe dieser Lebensmittelzuteilung hängt zu einem großen Teil von der laufenden Verbesserung der Erfassungsmaßnahmen ab, wobei unter Berücksichtigung der im Generalgouvernement vorhandenen Verhältnisse und der polnischen Mentalität völlig neue Methoden und Maßnahmen erdacht und in Anwendung gebracht worden sind.
Bei diesem Verfahren bekommt der Landwirt für seine abgelieferten Erzeugnisse den amtlichen Preis bezahlt und erhält für etwa 20 - 25% des Wertes der abgelieferten Agrarprodukte Austauschartikel zur Verfügung gestellt. Dabei sind für die einzelnen landwirtschaftlichen Erzeugnisse bestimmte Tauschartikel und Tauschsätze festgelegt worden. So besteht z. B. bei der Getreideablieferung die Prämie in Textilien, Trinkbranntwein und Petroleum. Für abgeliefertes Schlachtvieh werden Schuhe und Leder zurückgeliefert. Bei der Kartoffelerfassung besteht die Rücklieferung in Eisenwaren. Die
Das Prämienverfahren hat sich in jeder Hinsicht bewährt und wird deshalb auch in Zukunft Anwendung finden. Um die Lebensmittelversorgung mit den Grundnahrungsmitteln sicherzustellen, sind allen Kreisen, Gemeinden und Dörfern im Distrikt Warschau
Im allgemeinen kann gesagt werden, daß die Bauern ihren Kontingentsverpflichtungen durchaus nachkommen. Im Jahre 1941 war bereits Ende Oktober mehr Getreide abgeliefert worden als im ganzen vorausgegangenen Wirtschaftsjahr. Ein weiteres wichtiges Aufgabengebiet der landwirtschaftlichen Marktordnung besteht in der kontrollierten Lenkung der erfassten landwirtschaftlichen Produkte über die Be- und Verarbeitungsbetriebe, die Handwerksbetriebe und den Lebensmittelgroß- und Kleinhandel an die Verbraucher. Im Zuge der Ausgestaltung der Marktordnung war es von wesentlicher
[205] Durch die Errichtung von neuem Lagerraum für rund 100 000 to Getreide in den Kreisen und durch einen größeren Erweiterungsbau des Warschauer Kühlhauses sowie Schaffung weiterer Lebensmittellagerräume wurde die Vorratswirtschaft weitgehend ausgebaut. Trotz der kriegsbedingten Schwierigkeiten bei der Beschaffung von
Darüber hinaus wurde das gesamte Bäcker-, Konditoren- und Fleischerhandwerk sowie der Lebensmitteleinzelhandel einer großen Säuberungsaktion unterzogen. Alle nicht wirtschaftlich notwendigen Betriebe wurden geschlossen, insbesondere alle jüdischen Betriebe und solche Betriebe, die technisch schlecht eingerichtet waren. Ebenso wurde der gesamte jüdische Handel mit Lebensmitteln im Interesse einer sicheren Warenbewegung sofort ausgeschaltet, was von allergrösster Bedeutung war, da früher der Handel mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen fast ausschliesslich von Juden betrieben worden war. Statt dessen wurden die bestehenden Kreisgenossenschaften in den einzelnen Kreishauptmannschaften als Haupterfassungsstellen ausgebaut und unter deutsche Kontrolle gestellt. Mit dieser landwirtschaftlichen Marktordnung, die im Generalgouvernement nach ganz neuen Gesichtspunkten anders als im Reich aufgebaut worden ist, und mit den bereits eingeführten Maßnahmen der Erfassungssteigerung muss es im Laufe der Jahre gelingen, die ausreichende Versorgung der im Generalgouvernement lebenden Menschen aus eigener Kraft durchzuführen.
5. Genossenschafts- und Kreditwesen Im ehemaligen Polen befand sich der Handel mit landwirtschaftlichen Produkten und Bedarfsartikeln zum größten Teil in jüdischen Händen. Besonders schlimm waren die Verhältnisse im heutigen Distrikt Warschau, da das Judentum der Hauptstadt in der näheren und weiteren Umgebung der Stadt die Fäden in der Hand hielt und jede Regung der Bauern, sich von der jüdischen Knechtschaft durch Gründung von Selbsthilfeorganisationen zu befreien, im Keime erstickte. Die Vernichtung des arischen Handels war um so leichter, als die Juden auch als Geldgeber auftraten und es in ihrer Hand [206] hatten, die Preise für landwirtschaftliche Produkte nach eigenem Belieben festzusetzen. Besonders einträglich war der sogenannte Kauf des Getreides "auf dem Halm", durch den die in Geldnot steckenden Bauern bereits im Frühjahr die Bodenprodukte zu einem Schleuderpreis verkauften und im Herbst um die Früchte ihrer Arbeit gebracht wurden. Als nach Errichtung der deutschen Verwaltung und nach Ausschaltung des jüdischen Handels keine arischen Kaufleute zur Verfügung standen, griff die Abteilung Ernährung und Landwirtschaft auf das bereits vorhandene, aber bescheidene und lückenhafte Netz der landwirtschaftlichen Genossenschaften zurück. Ein großzügiger Aufbau wurde in die Wege geleitet. In jeder Kreisstadt wurde eine Kreishandelsgenossenschaft, in anderen Städten Bezirkshandelsgenossenschaften oder Filialen der Kreisgenossenschaften ins Leben gerufen. Am 1. April 1942 zählte der Distrikt Warschau entsprechend seinen neun Kreisen 9 Kreisgenossenschaften, 19 Bezirksgenossenschaften und 24 Filialen mit zusammen 2 500 Angestellten. Die Aufsicht über die Kreisgenossenschaften wurde deutschen Kommissaren übertragen. Die Fülle der Arbeit lässt sich daraus ersehen, dass diesen Unternehmen, die aus dem Nichts entstanden, der gesamte landwirtschaftliche Handel zugewiesen werden konnte. Im. Jahre 1940 erzielten die Genossenschaften einen Umsatz von 100 Millionen Zloty, im Jahre 1941 bereits einen solchen von 130 Millionen Zloty. Das notwendige Kapital wurde teils durch eigene Anteile, teils durch Kredite der Zentralkasse der Landwirtschaftlichen Genossenschaften aufgebracht. Durch eifrige Werbung gelang es den Genossenschaften, bis zum 1. 4. 1942 59 750 Mitglieder zu werben und 3 629 979 Zloty an eigenem Anteilkapital hereinzubekommen. Dieses Geld wurde in erster Linie für Investitionen verwandt. Da keine geeigneten Baulichkeiten für die Verwaltung und die Lagerung von Getreide und Waren vorhanden waren, musste hier ein Wandel geschaffen werden. Während der Jahre 1940 und 1941 wurden 12 massive Getreidespeicher neu erbaut und über 50 provisorische durch Umbau vorhandener Gebäude oder Aufstellung von Baracken geschaffen. Sowohl in den neuerbauten als auch in den provisorischen Lagern können insgesamt 40 000 to Getreide gelagert werden. Die Kosten für diese Bauten betrugen rund 10 Millionen Zloty. Hierzu erteilte die Regierung einen verlorenen Zuschuss von etwa 3 Millionen Zloty, während weitere 3 Millionen Zloty durch die Staatliche Agrarbank in Form von langfristigen Krediten gegeben wurden.
Auch unter den bestehenden Kreditgenossenschaften wurde eine Säuberungsaktion durchgeführt. Es bleiben nur die Institute bestehen, die auch in der Zukunft eine ausreichende Entwicklungsmöglichkeit haben. Insgesamt sind 178 Kreditgenossenschaften tätig, die über ein Eigenkapital von rund 15 Millionen Zloty verfügen. In den Kreisstädten werden die landwirtschaftlichen Volksbanken ausgebaut, soweit die vorhandenen landwirtschaftlichen Kreditinstitute den gestellten Anforderungen noch nicht genügen. Die Landwirtschaft und die Betriebe der Abteilung Ernährung und Landwirtschaft werden vorwiegend durch zwei Banken mit den nötigen Geldmitteln versorgt. Die Staatliche Agrarbank finanziert den Großgrundbesitz, während die Zentralkasse der Landwirtschaftlichen Genossenschaften durch Vermittlung der örtlichen Kreditinstitute den Bauern Kredite zur Verfügung stellt und die Genossenschaften mit den notwendigen Betriebsmitteln direkt versorgt. Alle Genossenschaften werden vom Revisionsverband der Genossenschaften im Generalgouvernement, Distriktsverband Warschau, betreut und beaufsichtigt. Die Distriktsstelle der Landwirtschaftlichen Zentralstelle versorgt als Warenzentrale die Handelsgenossenschaften mit den notwendigen Bedarfsartikeln und übernimmt alle von den Genossenschaften erfassten Produkte.
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