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Albert Leo Schlageter - ein deutscher Freiheitsheld.

Frankreich greift nach der Ruhr

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einen weiterführenden Beitrag zum Ruhrkampf finden Sie hier:
Gebietsbesetzung: Rhein-, Main- und Ruhrgebiet
Ende November 1922 kann Frankreich auf eine Rückständigkeit Deutschlands in den schier endlosen, die deutsche Wirtschaftskraft aufzehrenden Reparationsleistungen verweisen. Es handelt sich im wesentlichen um eine Sendung Telegraphenstangen. Auf diesen Augenblick hatte Poincaré hingearbeitet. Schon am 26. Juli 1922 hatte er vor der Presse erklärt: "Der einzige Weg, den Frieden von Versailles zu retten, heißt solcherart zu handeln, daß der besiegte Gegner seine Bedingungen nicht erfüllen kann." Der Plan zur Besetzung der Ruhr lag schon lange fertig in der Schublade.

Mit einer die öffentliche Meinung aufpeitschenden Propagandakampagne bereitet die französische Regierung ihren Angriff auf das wirtschaftliche Herz Deutschlands vor, um das "Gold von der Ruhr" nach Frankreich zu schaffen. Am 11. Januar 1923 überschreiten fünf kriegsstarke Divisionen zusammen mit einem belgischen Truppenkontingent, unterstützt von schwerer Artillerie, Panzern und Flugzeugen, die Rheinbrücken bei Düsseldorf und Duisburg.

Die deutsche Regierung ergeht sich in einem neuen hilflosen Protest gegen diesen eklatanten Schlag in das Gesicht des Völkerrechts. Er wird selbstverständlich von den Franzosen beiseitegeschoben. Italien beteiligt sich am französischen Raubüberfall durch Entsendung einer Gruppe italienischer Ingenieure nach Essen. Der Einfall der Franzosen mitten im Frieden wird mit der Phrase des "Schutzes einer interalliierten Ingenieurkommission" geschönt, die die "vertraglichen Lieferungen" der Deutschen zu überwachen hat. In Wahrheit verfolgt die französische Regierung den Plan, das Rheinland vom Reich abzutrennen und zusätzlich Deutschland seines wichtigsten Industriegebietes zu berauben. Nur ein Jahr nach dem Raub der oberschlesischen Industriegebiete soll Deutschland ein für allemal der Todesstoß durch Abschnürung seines bedeutendsten Wirtschaftszentrums versetzt werden! Ja, Poincarés Pläne gehen noch weiter. Ganz in der Tradition Richelieus befangen, möchte er seinen Nachbarn in verschiedene unabhängige Teilgebiete zerstückeln.

Während man heute über die "EU" mit fein ausgeklügelten Methoden die Deutschen an die Kandare zu nehmen und von ihren Arbeitsleistungen abzuschöpfen versteht, herrschten nach dem Ersten Weltkrieg noch jahrelang die offen-brutalen Formen der Ausbeutung vor. Von kurzsichtigem Haß erfüllt, beging man den Fehler, seinem Opfer den Garaus machen zu wollen, statt nach vorhergehender Mästung um so kräftiger und nachhaltiger absahnen zu können!

Im Reichstag stellt Kanzler Wilhelm Cuno fest: "Recht und Vertrag sind mit dem Einmarsch der Truppen ins Ruhrgebiet gebrochen worden... Es handelt sich um jenes Ziel, das seit mehr als 400 Jahren der französischen Politik eigen ist... Es ist die Politik, die am erfolgreichsten Ludwig XIV. und Napoleon I., die aber auch andere Gewalthaber Frankreichs betrieben haben, bis auf den heutigen Tag."

Während deutsche Kinder sterben, müssen für jeden französischen Besatzungsoffizier drei Liter und für jeden Besatzungssoldaten und jeden mitgebrachten französischen Hund ein Liter Vollmilch abgeliefert werden. Die Erbitterung der deutschen Bevölkerung wächst von Tag zu Tag. Die Regierung verkündet den passiven Widerstand. Geschlossen wendet die Ruhrbevölkerung sich gegen den Feind.

Bergmänner, Hüttenleute, Eisenbahner, Landbevölkerung, die Bürger der Städte - alle nehmen trotzig, nur Recht und Ehre auf ihrer Seite, den Kampf mit seltener Verbissenheit auf. Die feindlichen Truppen finden keine nachgiebige Beamtenschaft oder eingeschüchterte Bürger. Sie finden überall nur Haß und Verachtung. Geschäfte schließen lieber, als an die Franzosen zu verkaufen. In Eisen- und Straßenbahnen verlassen die Fahrgäste den Wagen, wenn Franzosen zusteigen. Die Führer weigern sich zu fahren, Gastwirte weigern sich, die Franzosen zu bedienen. Der deutsche Widerstand lähmt schließlich das ganze Revier. Der Abtransport deutscher Reparationen nach Frankreich kommt zum völligen Erliegen.

Die Besatzer können diese offensichtliche Schlappe nicht hinnehmen. Sie reagieren mit brutaler Gewalt. Die französischen Generale erhalten Befehl, rücksichtslos den Widerstand der Deutschen zu brechen. Mitten im Frieden, in einem unter Rechtsbruch besetzten Land, wird die deutsche Bevölkerung ungeheuerlichen Terrorakten und Niederträchtigkeiten ausgesetzt. Täglich fallen deutsche Zivilisten französischen Kugeln zum Opfer. In Essen allein müssen am Ostersamstag als blutiger Höhepunkt 13 Krupparbeiter ihr Leben lassen. Weitere 30 Verwundete wälzen sich in ihrem Blut, alles wegen der Weigerung, ihre Lastkraftwagen an die Franzosen auszuliefern. Innerhalb der ersten 19 Monate der französischen Besatzung werden nicht weniger als 137 Deutsche ermordet und 603 zum Teil lebensgefährlich verwundet. Eine halbe Million Ruhrarbeiter ehren gesenkten Hauptes beim Begräbnis ihre gemordeten Kameraden. Neue Sanktionen! Nicht gegen die für die feige Tat gegen Wehrlose Verantwortlichen, sondern gegen die Deutschen, gegen Eigentümer und Direktoren der Kruppwerke! 15 und bis zu 20 Jahren Gefängnis!

In den deutschen Städten regieren die Besatzer mit der Reitpeitsche. Selbst junge Mädchen werden ins Gesicht geschlagen, wenn sie es wagen, den Bürgersteig zu benutzen. Hotels werden evakuiert, die deutschen Gäste mit dem Bajonett aus ihren Zimmern vertrieben. Das Stadttheater von Recklinghausen wird während einer Vorstellung von Schillers "Wilhelm Tell" von einer Horde Franzosen mit ihren Reitpeitschen geleert. Vor dem Essener Theater fahren Tanks auf, als das Publikum stehend den Rütlischwur mitspricht: "Wir wollen frei sein, wie die Väter waren, eher den Tod als in der Knechtschaft leben..."

Die Gefängnisse füllen sich mit gefolterten Opfern der Besatzer. Aus purer Schikane werden die Verhafteten in schweren Ketten angeschleppt. Sie erhalten vielfach nicht einmal Geschirr für ihre Notdurft, keinen Stuhl, kein Eßgeschirr, dafür stinkendes, verdorbenes Wasser. Bei jeder Gelegenheit schlägt man wahllos auf sie ein. Insgesamt werden über 1.000 Jahre Gefängnisstrafen von den französischen Kriegsgerichten gegen Deutsche verhängt!

Beamte und Angestellte, die sich weigern, mit den Franzosen zusammenzuarbeiten, werden massenweise aus ihren Häusern vertrieben. Nur was sie unterm Arm tragen können, dürfen sie mitnehmen. Spahis und Marokkaner übernehmen ihre Wohnungen, die binnen kurzem nicht mehr wiederzuerkennen sind. Alles in allem werden rund 100.000 Deutsche von den Franzosen aus ihren Heimatorten vertrieben. Zwecks Knebelung der öffentlichen Meinung werden nicht weniger als 114 Redakteure und 140 Verleger ins Gefängnis geworfen oder kurzerhand ausgewiesen, einzig und allein, weil sie sich weigern, die Propagandalügen der Besatzer zu drucken!

Ein Engländer sagte im März 1923 zu einem Deutschen: "Ihr versteht euch schlecht auf Propaganda. Wäre den Franzosen geschehen, was sie euch an der Ruhr antun, die Welt würde vor Wut über euch schäumen!" Im Kampf der Wahrheit gegen die organisierte Lüge versagt die demokratische Presse im "freien Deutschland" auf der ganzen Linie.

Der deutschen Beamtenschaft gereicht es zur Ehre, daß sie fast ohne Ausnahme lieber Ketten, Gefängnis oder Heimatlosigkeit erträgt als ihrem Land in den Rücken zu fallen und mit dem Feind zu paktieren! Dasselbe gilt für die Eigentümer und Werksleitungen deutscher Fabriken und für die treuen Belegschaften. Sie alle ertragen lieber die Drangsalierungen der Besatzer, als denen ihre Werkstätten und Erzeugnisse untertänig zu übergeben!

Trotz der Mitwirkung von vaterlandslosen Gesellen, die sich den Franzosen als Separatisten zur Verfügung stellen, erscheint der Versuch Poincarés zur Bildung eines vom Reich losgelösten französisch dominierten Pufferstaates schon jetzt als mißlungen. Doch um diesen Plan endgültig zu vereiteln, ist eine Verschärfung des bislang rein passiven Widerstandes notwendig.

Geheimorganisationen entstehen im unbesetzten Teil des Rheinlandes, Männer, die ihr Leben für die Freiheit ihres Landes in die Schanze zu schlagen bereit sind! In Elberfeld errichtet Heinz Hauenstein zusammen mit Schlageter sein Hauptquartier. Von hier aus werden die Freiheitskämpfer in die besetzten Gebiete geschleust: Zur Bestrafung von Separatisten und Verrätern, zur Befreiung deutscher Patrioten aus französischen Gefängnissen und zur Sabotage der Reparationslieferungen an die Franzosen. Schlageter übernimmt den Stoßtrupp Essen. Ihnen allen ist befohlen, bei den geplanten Sabotageaktionen nur Sachwerte zu zerstören und Menschenleben zu schonen.

Von jetzt ab haben französisch geleitete Verkaufsstellen, die mit ihren Schriften zum Separatismus auffordern, mit dem Zorn entschlossener deutscher Männer zu rechnen. In das Schaufenster des Buchladens gegenüber dem Hauptbahnhof Essen, der französische Propagandaliteratur ausstellt, knallt eines Tages ein Pflasterstein. Auf gleiche Weise nimmt das fröhliche Sektgelage der Herren Besatzer zu nächtlicher Stunde im dortigen Kasino ein jähes Ende. Die Vergeltung trifft ebenfalls deutsche Läden und Geschäfte, die gegen das ungeschriebene Gesetz des passiven Widerstandes verstoßen und mit den Franzosen kollaborieren. - Die Sabotageanschläge der deutschen Kommandos steigern den Haß der Franzosen ins Maßlose.


Schlageter werden nach seiner Verhaftung, von acht Poilus mit aufgepflanztem Seitengewehr überwacht, die Hände auf dem Rücken gefesselt, die Stricke bis zu den Achseln durchgezogen. Durch die nächtlichen Straßen Essens geht die Fahrt mit dem Gefangenen zur Verwaltungszentrale im Kohlensyndikat, von wo die Anwohner seit dem Einzug der Franzosen die mitternächtlichen Schreie entsetzlicher Folterungen anhören müssen.

Am 14. April gelingt es Schlageter trotz der starken Bewachung, einen Brief an Hauenstein aus dem Gefängnis zu schmuggeln, in dem er ihn vor Verrätern in den eigenen Reihen warnt. Bezeichnend für ihn, denkt er auch in seiner hoffnungslosen Lage weniger an das, was ihm bevorsteht, als an seine Aufgabe und das Schicksal seiner Kameraden! Musterhaft erträgt er die Gefangenschaft. Nicht ein einziges Wort der Klage über sein Schicksal und seine Behandlung! Leider waren auch die Franzosen schon vor diesem Brief ausgiebig über die Organisation H.H. informiert. In wenigen Tagen sind auch Becker, Sadowski, Werner und weitere Mitstreiter der Gruppe Schlageter von den Franzosen aufgespürt und verhaftet.

Wolfram Mallebrein schreibt zu der unheilvollen Neigung mancher Deutscher zum Verrat: "Neben strahlendem Heldentum und unverbrüchlicher Treue der heimtückische Verrat! Neben Arminius der Verräter Segestes..." Und er zitiert Napoleon: "Immer haben sie [die Deutschen] mehr Erbitterung gegeneinander als gegen den Feind gehegt", woraus alle Eroberer auf deutschem Boden stets ihren Nutzen zogen. Der seinerzeitige Kommandierende General des Brückenkopfes Düsseldorf, Simon, hat dem Verteidiger Schlageters mehr als einmal seinen Ekel und seine Verachtung gegenüber solchen Elementen zum Ausdruck gebracht - nach dem bekannten Motto: Ich liebe den Verrat, aber ich hasse den Verräter!

Becker und Sadowski wurden unter seltsamen Umständen verhaftet. Ein früherer Angehöriger des Stoßtrupps spielt dabei eine höchst verdächtige Rolle. Die beiden werden auf nächtlicher Straße umringt, ihre Pässe als gefälscht erklärt. Es hagelt Schläge mit Gewehrkolben über den ganzen Körper. Halb bewußtlos werden sie von den Besatzern in eine Straßenecke geworfen.

Die Vernehmungen der neuen Gefangenen sind von besonderer Brutalität, ein grausames Vorspiel für das, was vielen Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg von aufgehetzten Siegern angetan wird! Faustschläge ins Gesicht, Schläge mit einem Stuhlbein über den Schädel, Drohungen, sie an Ort und Stelle zu erschießen, wenn sie sich weigern, ihre Kameraden zu verraten! Jeder der Gefangenen wird in eine Einzelzelle gesperrt, Schlageter als besonders gefährlich eingestuft. Vom täglichen kurzen Spaziergang auf dem Gefängnishof sind sie ausgeschlossen.

Am 6. Mai wird Schlageter und seinen gefangenen Kameraden die Anklageschrift in französischer Sprache überreicht. Ein Dolmetscher übersetzt mühsam das 30 Seiten lange Schriftstück. Der Verhandlungstermin ist auf den 8. Mai angesetzt. Da die deutschen Verteidiger die Anklageschrift erst am 7. Mai erhalten, bleibt ihnen - bewußte Tücke der Besatzer - für die juristische Einarbeitung gerade ein Tag.

In eisernen Ketten werden die Gefangenen in den Gerichtssaal geführt, während ein umfangreiches militärisches Aufgebot den Zugang zum französischen Kriegsgericht absperrt. Schlageter übernimmt für seine Tat die volle Verantwortung. Er ist bemüht, seine Kameraden zu entlasten. Die "Geständnisse" von Becker und Sadowski entpuppen sich im Gerichtssaal als "unter höllischen Mißhandlungen" erzwungen (s. später Nürnberg, Dachau usw.). Mit Meineiden bestreiten die betreffenden französischen Beamten ihre Untaten.

Das im Schnellverfahren als reiner Racheakt wohl schon vorher festgelegte Urteil lautet:
- Schlageter wegen Spionage und Sabotage zum Tode,
- Sadowski wegen Spionage und Sabotage zu lebenslänglicher Zwangsarbeit,
- Becker wegen verbrecherischen Komplotts und Spionage zu 15 Jahren Zwangsarbeit.

Die anderen erhalten ebenfalls hohe Freiheitsstrafen.

Schlageters Mitangeklagte sind von der Härte des Urteils schockiert, aber sie bewahren Haltung. Schlageter selbst zuckt bei der Verkündung des Todesurteils mit keiner Wimper. Er hatte wohl nichts anderes erwartet. Eine riesige Menschenmenge hat sich vor dem Gerichtsgebäude in der Mühlenstraße versammelt. Schweigend verharrt sie. Ein falsches Wort kann eine augenblickliche Verhaftung, schwere Bestrafung oder Ausweisung auslösen. Als die Gefangenen in ein Auto zum Abtransport gedrängt werden, nimmt ein alter Mann seinen Hut ab.

Der Urteilsspruch entfacht einen Sturm der Entrüstung im Land und erregt Aufsehen in der ganzen Welt. Die deutsche Regierung erhebt Einspruch, ebenso das Internationale Rote Kreuz, der Papst, der Erzbischof von Köln, die Königin von Schweden und unzählige andere Persönlichkeiten oder Verbände im Ausland. Sie rechnen mit ihrem Einfluß, eine Milderung des Urteils zu erwirken. "Französische Kriegsgerichte haben kein Recht, auf deutschem Boden, den sie widerrechtlich besetzt haben, über die Freiheit oder gar über Leben und Tod von Deutschen zu befinden," heißt es in der deutschen Note an den französischen Präsidenten. Von neutraler Seite wird das fremde Militärtribunal als eine "freche Komödie zur Ermordung deutscher Vaterlandsverteidiger" bezeichnet!

Die französische Zeitung Gaulois begründet das Urteil als Warnung an die Bevölkerung an Rhein und Ruhr derart, daß je mehr Frankreich gefürchtet werde, um so stärker werde es sein, um so mehr beschleunige es die Lösung, und diese Lösung sei die endliche und völlige Unterwerfung Deutschlands unter den Willen der Sieger!

Es muß als eine schmerzliche Tragik unseres Kontinents angesehen werden, daß die zwischen Deutschland und Frankreich über die Jahrhunderte bestehende "Erbfeindschaft" von England im Zuge seiner "balance-of-power-Politik" bewußt geschürt und erhalten wurde. Erst in jüngster Zeit, nach vielen leidvollen Erfahrungen, scheint die Einsicht sich Bahn gebrochen zu haben, daß eine deutsch-französische Feindschaft das Ende Europas bedeutet.

Die unter englischer Zensur erscheinende Kölnische Zeitung kommentiert das Verfahren der Franzosen: "Gegen den Versailler Vertrag, der Deutschland ohnedies grausam genug knebelt, brechen die Franzosen in ein Gebiet ein, und zwar mancherorts mit einer Rücksichtslosigkeit, einem offenbaren Haß, als stünden sie nicht einer ihnen mindestens gleichwertigen Kulturnation gegenüber, sondern barbarischen Stämmen irgendeines dunklen Erdteils. Wenn deshalb unter den Deutschen ein wilder Haß gegen die Eindringlinge emporflammt, so haben sich die Franzosen das selbst zuzuschreiben. Wenn die Sache umgekehrt läge, wenn die Deutschen in Frankreich in der Rolle aufträten, die die Franzosen jetzt in Deutschland tragieren, dann würde selbstverständlich die Welt überschwemmt werden mit Lobpreisungen auf den edlen Märtyrer." Man darf getrost annehmen, daß in einem solchen Falle auch die französische marxistische Presse ihre Märtyrer gefeiert hätte. In Deutschland dagegen war das Gegenteil der Fall (mit Ausnahme einer Schlageter ehrenden Rede Karl Radeks, Mitglied des Zentralkommitees der KP Sowjetrußlands und des Präsidiums der Kommintern). "Vielleicht ist dies die allerschlimmste Wirkung einer Niederlage,"- schreibt Rolf Brandt, "daß dem Gefühl für nationale Ehre in manchen Teilen des Volkes das Rückgrat gebrochen wird." Das war 1926 geschrieben. Heute müßte es leider nicht "manche", sondern "die Masse des Volkes" heißen!

Dr. Marx und Dr. Sengstock, die Verteidiger von Schlageter und Sadowski, legen innerhalb der vorgeschriebenen 24 Stunden Revision ein. Doch alle ihre Revisionsgründe werden mit Stimmeneinheit der Franzosen zurückgewiesen. Die Vermutung liegt nahe, daß die Ablehnung des Antrags schon vorher feststand. Es bleibt nur noch der Versuch, auf dem Gnadenweg eine Milderung zu erreichen. Doch hier zeigt Schlageter sich in seiner ganzen menschlichen Größe und männlichem Stolz: Er lehnt jedes Gnadengesuch kurz und bestimmt mit den Worten ab: "Lieber Herr Rechtsanwalt, ich danke Ihnen und Dr. Marx für Ihre gute Absicht. Ich kann diese Absicht nicht verwirklichen helfen. Ich bin nicht gewohnt, um Gnade zu betteln."

Jetzt erst, zu diesem späten Zeitpunkt - von Schlageter selbst nie erwähnt - taucht ein Brief von einem Dr. Becker aus Würzburg auf, in dem dieser als Augenzeuge schildert, wie Schlageter in Oberschlesien in ritterlicher Weise ein Dutzend Franzosen vor dem sicheren Tode gerettet hat. Ferner, daß er im Juni 1921 in Ratibor einen französischen Offizier unter eigener Lebensgefahr von einer wütenden Volksmenge befreit hatte. Dieses Schreiben war dem französischen Ministerrat vor der Entscheidung über die Begnadigung vorgelegt worden.

Poincarés Rivale, Tardieu, hatte eine noch systematischere Ausplünderung der Ruhr gefordert. Am 25. Mai schloß Poincaré seine Rede vor der Kammer mit einem Überraschungsstreich: Theatralisch schmetterte seine harte Stimme seinem Gegner entgegen: "Und das wagen Sie mir zu sagen in der Stunde, da ich gerade den Befehl zur Erschießung Schlageters nach Düsseldorf gesandt habe!" Es war eine bewußte, der Erhaltung seiner Macht dienende Lüge, um den Deputierten zu beweisen, wie brutal er an der Ruhr durchzugreifen bereit war. Eine Lüge und ein schäbiger innerpolitischer Schachzug, weil dieser Befehl noch gar nicht existierte! Jetzt, nachdem er sich festgelegt hatte, gab es auch angesichts des Schlageter entlastenden Briefes für ihn kein Zurück mehr, wollte er nicht sein Gesicht verlieren.

Wessen Herz nicht von Stein ist, wird nur mit Ehrfurcht die Briefe lesen, die Schlageter nach seinem Todesurteil an seine Lieben daheim richtet. Er beklagt nicht sein eigenes Schicksal, sondern denkt nur an seine Eltern, denen er diesen Schmerz zufügen mußte.

"Liebe Eltern und Geschwister!" schreibt er am 10. Mai,
"Seit 1914 bis heute habe ich aus Liebe und reiner Treue meine ganze Kraft und Arbeit meiner deutschen Heimat geopfert. Wo sie in Not war, zog es mich hin, um zu helfen. Das letzte Mal hat mir gestern mein Todesurteil gebracht...
Liebe Mutter! Lieber Vater! Das Herz droht zu brechen bei dem Gedanken, welch gewaltigen Schmerz und welch große Trauer Euch dieser Brief bringt..."

Und in einem anderen Brief: "Die Größe meiner Strafe kann mich nicht schrecken. Wäre ich allein auf der Welt, wüßte ich überhaupt nicht, was es Schöneres geben könnte, als fürs Vaterland zu sterben. Aber um Euch habe ich gebangt, Tag und Nacht. Hätte ich Euch das ersparen können, so wäre ich gern zwei- oder dreimal vor die Kugel getreten. Bleibt weiter so tapfer..."

Hauenstein bleibt mittlerweile nicht untätig. Bis ins Kleinste ist eine Aktion zur Befreiung Schlageters vorbereitet, als er und zwei weitere Ruhrkämpfer plötzlich auf Befehl des preußischen Innenministers, Carl Severing, in Barmen verhaftet werden. Nach Ansicht der Polizei verstößt Hauensteins Organisation gegen das Gesetz zum Schutz der Republik! Sogar seine zeitweise Freilassung zur Durchführung der Befreiung Schlageters wird abgelehnt. Es ist ein bitterer Geschmack für diese Patrioten, daß sie von deutscher Polizei wie Verbrecher behandelt werden. Von Deutschen, die sich zu Handlangern der Franzosen machen!

Hauenstein äußert sich später zu diesen Ereignissen: "Wenn ich bis zu diesem Augenblick die in Deutschland herrschenden Regierungsgewalten abgelehnt habe, seit diesen Stunden habe ich die Gewißheit, daß eine Abrechnung mit den Verantwortlichen dieses Systems kommen muß. Und wir werden unsere Rechnung präsentieren, das sind wir unseren Kameraden und Schlageter schuldig!"

Nahezu zehn Jahre nach den Ereignissen wird Hauenstein und einigen seiner Kameraden aus parteipolitischen Gründen von Paragraphenreitern der Justiz ein umständliches Strafverfahren angehängt - wegen in Oberschlesien ausgeschalteter deutscher Spitzel und Verräter! Ein trübes Kapitel deutscher Geschichte, das erst mit einer späteren Amnestievorlage beendet wird, die alle Femetäter außer Verfolgung setzt.

Bei einem Erinnerungstreffen der Erstürmer des Annaberges im Großen Saal von Gogolin spricht Hauenstein die Anwesenden mit den folgenden Worten von der Bühne an:

"Wir sind meist allein gestanden, nur auf uns selbst und auf wenige Gleichgesinnte angewiesen. Wir haben uns gegen unseren eigenen Staat zur Wehr setzen müssen. Das ist unser Schicksal. Unser Weg ist noch nicht beendet. Ohne nach rechts oder nach links zu schauen, geht er unbeirrbar geradeaus. Die Befreiung unseres Volkes vom äußeren und vom inneren Feind, das ist das ferne Ziel, das uns vorschwebt, und das wir durch Taten erreichen wollen, ohne Rücksicht, ob andere uns folgen oder nicht. Ruht euch nicht aus und bewundert Vergangenes, sondern reißt euch und andere vorwärts zu neuen Taten!"

Die weite Halle erzittert in tosendem Beifall.


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