[286] Teil III: Die Durchführung der Hungerblockade bis zum Herbst 1915 (Forts.) J. Der Ausbau des Rationierungssystems a) Überblick über die abgeschlossenen Abkommen Die ersten schon beschriebenen Abkommen wurden durch eine Anzahl anderer ergänzt, und zwar 1. Abkommen mit dem Niederländischen Überseetrust und der dänischen Fabrikantengilde, 2. mit Verbänden von Unternehmungen, wie den norwegischen und schwedischen Baumwollspinnern, 3. mit einzelnen rein privaten Unternehmungen, wie dem Arendal Smelteverk oder Mustad & Sohn, der größten Ölfabrik und Raffinerie in Norwegen, 4. durch eine Anzahl von Vereinbarungen mit amerikanischen Gesellschaften, welche die skandinavische Zufuhr einzelner Banngutstoffe kontrollierten. Typisch für letztere war die Vacuum Oil-Gesellschaft von New York. Es würde fruchtlos sein, diese Abkommen einzeln aufzuzählen. Wenn sie jedoch in Tabellenform mit Angabe des ungefähren Inhalts jedes einzelnen Abkommens zusammengestellt werden, so kann eine solche Tabelle einen allerdings nur vagen Begriff des Systems als Ganzen vermitteln. Sie zeigt in erster Linie, daß, obwohl die Masse der Abkommen eine Schranke für den Überseehandel Deutschlands bildete, diese Schranke doch niemals vollständig oder gleichmäßig war. "Dänemark und Holland konnten in bezug auf Banngut als rationiert angesehen werden, denn die Rationierungsabkommen mit dem Niederländischen Trust, der Gilde und dem Raad setzten die ganzen Länder auf Ration. Ein Blick auf die Tabelle zeigt überdies, daß das norwegische System sich von allen anderen unterschied. Hierüber ist ein Wort der Erklärung notwendig. Warum es nicht möglich war, in Norwegen einen einzigen Einfuhrtrust oder eine einzige garantierende Gesellschaft zu errichten, ist schon gezeigt worden. Es würde sicherlich möglich gewesen sein, mit der norwegischen Regierung ein Rationierungsabkommen zu schließen, aber das wurde von Mr. Findlay und seinem Stab nicht für ratsam gehalten, die überzeugt waren, ein so geschlossenes Rationierungsabkommen würde von den norwegischen Regierungsstellen unterschiedlich angewendet werden, wenn die Politik ein Entgegenkommen gegenüber den Deutschen erfordere. Deshalb schloß Mr. Findlay eine große Anzahl von Einzelabkommen mit den Firmen und Gesellschaften, die die Stoffe verteilten, deren Rationierung wir am dringendsten wünschten. Wenn man allein die Tabelle der norwegischen Abkommen zu Rate zieht, könnte man vielleicht daran zweifeln, ob Norwegen jemals so in das Rationierungssystem eingespannt war wie Dänemark und Holland. Tatsächlich war das Land ebenso wirksam auf eine nationale Ration gesetzt wie irgendein anderes."161
"Die Schweiz wurde formal niemals rationiert, selbst nicht in Baumwolle, obgleich der Grundsatz als solcher von der société de surveillance anerkannt und in großem Maße dadurch angewandt wurde, daß alle sanktionierten Einfuhren mit den Normalzahlen verglichen wurden. Sogar die Länder, die als Länder rationiert waren, waren nicht in den gleichen Waren rationiert, denn die niederländische Zufuhr an Metallen wurde durch eine Reihe von Abkommen geregelt, die keine Ration festsetzten, aber den heimischen Bedarf sicherten. Schließlich bildete Schweden immer eine [290] Lücke in der Schranke, denn die schwedische Regierung war ein Gegner des Systems, mochte es nun durch allgemeine oder durch Einzelabkommen durchgeführt werden. Aber auch in dieser Hinsicht würde die Feststellung, daß der schwedische Einfuhrhandel sich außerhalb des Bereichs dieses Systems bewegt hätte, viel zu allgemein gewesen sein, denn obgleich die schwedische Regierung dem System Widerstand leistete, machte sie ihm doch einzelne wichtige Zugeständnisse. Mehr noch, gewisse Abkommen kontrollierten den gesamten skandinavischen Handel in gewissen Produkten. Schließlich wird man sehen, daß das System, das als ständige Regulierung des neutralen Handels gedacht war, mehr ein organisches Gewächs als ein festes Kontrollsystem war, insofern die ersten Abkommen mehr Stämmen oder Schößlingen glichen, auf die viele andere aufgepfropft wurden. Diese Tabelle zeigt deshalb - und das ist vielleicht die wichtigste im Gedächtnis zu behaltende Tatsache -, daß bei der Umwandlung des bloßen Grundsatzes der Rationierung162 neutraler Länder in ein brauchbares System, dieses System ebenso verwickelt und unregelmäßig wurde wie der beseelende Grundsatz einfach und logisch war. Wenn man jedoch im Geiste diese ungleichmäßige Schranke den unbeständigen und unsicheren Fortschritten des feindlichen Systems des wirtschaftlichen Zwangs gegenüberstellt, so können die großen Vorteile, die wir nach achtzehnmonatlichem Wirtschaftskrieg uns gesichert hatten, kaum bezweifelt werden. Die Schranke, die wir errichteten, bestand aus Materialien verschiedener Stärke, ihr Aufbau war unregelmäßig und unordentlich, aber sie war imstande, verstärkt und vervollständigt zu werden, und war wenigstens eine Schranke, die nur bewegt werden konnte, wenn wir es beliebten. Des Feindes größten Gewinne waren alle in Gefahr, wenn die Vereinigten Staaten sein System ablehnten. Sie waren ebenfalls in Gefahr, wenn das britische System der Handelsverteidigung sich verbesserte."163
Während die Festsetzung der Rationen der Randneutralen an Baumwolle und Metallen keine Schwierigkeiten verursachte, war das gleiche bei den Rationen an Getreide, Fleisch und Fetten nicht der Fall. Aus Furcht, ihre Eigenversorgung könne durch zu große Ausfuhren nach den kriegführenden Ländern gefährdet werden, wurden von den Randneutralen zu Beginn des Winters 1914 zahlreiche, außerordentlich komplizierte Gesetze und Verordnungen erlassen, um genügende Vorräte im Lande zu halten. Bei einer ersten Prüfung der Frage schien es natürlich, daß Neutrale, die sich so besorgt um die Erhaltung ihrer Vorräte zeigten, eine Sonderzuteilung an Futtermitteln, Ölkuchen und Ölsaaten beanspruchen könnten, die über die normale Ration hinausgingen, welche wir nach den Durchschnittseinfuhren der Jahre 1911, 1912 und 1913 abzüglich der Ausfuhr zum Feinde berechneten. Es zeigte sich aber bald, daß im Jahre 1915 trotz dieser Ausfuhrbeschränkungen die Ausfuhr an Nahrungsmitteln nach Deutschland aus den Ländern der Randneutralen ständig zunahm. Unsere Beweise [291] dafür waren allerdings unvollständig, denn die Gesamtausfuhren waren uns nicht bekannt. Immerhin erhielten wir wöchentliche Übersichten über die dänischen Ausfuhren über Vamdrup und über die wöchentlichen Ausfuhren einzelner Fleischarten aus Holland, die uns in den Stand setzten, die nötigen Rückschlüsse für diese Länder zu ziehen. Aus Nachrichten aus Norwegen und Schweden ergab sich ferner, daß in diesen beiden Ländern die Ausfuhr von Fischen und Fischerzeugnissen, sowie in Schweden die Viehausfuhr nach Deutschland stark angestiegen war. Das gleiche war bei holländischen Kolonialerzeugnissen der Fall. "Wenn das Rationierungssystem in seiner tatsächlichen Anwendung durch irgendeinen Rechtsgrundsatz geregelt gewesen wäre, hätten diese Anzeichen für den steigenden Umfang der Ausfuhr der Randneutralen nach Deutschland keinerlei Bedeutung gehabt, denn ohne Zweifel war der wachsende Handel ein Handel mit heimischen Gütern. Aber da das Rationierungssystem reine Politik war - die Politik, den Wirtschaftsfeldzug mit der größtmöglichen Energie vorwärts zu treiben -, so waren diese Ausfuhren an heimischen Gütern sehr bedeutsam, denn ohne jeden Zweifel waren alle Futtermittel und ölhaltigen Stoffe ein Anreiz für die Ausfuhren, die wir zu verringern strebten. Das traf sogar für die Fischausfuhr aus Skandinavien zu, denn Fischabfall ist ein Düngemittel für die Landwirtschaft. Je freigiebiger die skandinavischen Länder mit Futtermitteln und Winterfutter versorgt wurden, desto besser konnten sie über ihren Heringsfang verfügen und ihre Futterernten ungedüngt lassen, in der Erwartung, daß die eingeführten Futtermittel den Minderertrag ihrer ungedüngten Felder wettmachen würden. Wenn deshalb die Rationen den bekannten Verknappungen in neutralen Ländern, und zwar sowohl den gegenwärtigen wie den voraussichtlichen, angepaßt sein sollten, so gab es gute Gründe dafür, sie reichlich zu bemessen. Wenn sie jedoch allein dem höheren Zweck des Wirtschaftsfeldzuges angepaßt sein sollten, dann gab es ebenso gute Gründe dafür, auf ihrer Berechnung nach den Normaljahren zu bestehen. Mit anderen Worten, die befolgte Politik mußte zwei Gegensätzlichkeiten versöhnen. Aber selbst damit sind die bestehenden Schwierigkeiten für die Berechnung aller dieser Futtermittel noch nicht hinreichend dargestellt. Was man auch immer aus unseren gelegentlichen Prüfungen der Ausfuhren der Randneutralen nach Deutschland folgern konnte oder nicht, fest stand, daß ihre heimischen Ausfuhren nach Großbritannien stark zurückgingen. Der Wert der nach Großbritannien ausgeführten schwedischen landwirtschaftlichen Erzeugnisse, Butter, Eier, Fleisch usw., war von £ 2 537 244 auf weniger als die Hälfte (£ 1 150 693) gefallen. Die norwegischen Fischausfuhren waren von 1 420 472 auf 1 161 866 Zentner gefallen. Noch schärfer war der Rückgang bei dänischem Fleisch, Speck, Bacon und Eiern.
[292] Holländische Butter-, Käse-, Hammel- und Schweinefleischausfuhren beliefen sich auf die Hälfte bis ein Drittel des Normalen. Die Baconausfuhr war auf ein Dreißigstel des Normalen gefallen (6760 cwts gegen 185 718 cwts). Diese Rückgänge waren eine ernste Sache. Es gab zwar keinen Mangel an Nahrungsmitteln in Großbritannien, aber es gab schon einen deutlichen Mangel an Frachtraum und die Frachtraten waren im Steigen begriffen. Es war deshalb ein Kardinalpunkt unserer Wirtschaftspolitik, alle Einfuhren, die auf kurzen Seewegen nach Großbritannien befördert werden konnten, zu ermutigen und gerade diese Einfuhren nahmen schnell ab."164 Die Bewegung der dänischen, holländischen und schwedischen landwirtschaftlichen Erzeugnisse von dem englischen zum deutschen Markt war eine durch die in Deutschland erhältlichen Ausnahmepreise natürlich erzeugte Bewegung, deren Hemmung oder Umkehrung tatsächlich unmöglich war. Das einzige, was man tun konnte, war, sie ins Gleichgewicht zu bringen, und das war nur möglich, wenn man den Neutralen gestattete, sehr erhebliche Vorräte an Ausfuhrwaren anzusammeln und sie zwang, einen gewissen Teil des Überschusses auf den weniger einträglichen englischen Markt zu bringen. Wenn das erreicht werden sollte, so mußten reichliche Futterrationen bewilligt werden. In Tabellenform gebracht standen sich die von dem britischen Vertreter und dem holländischen Trustvertreter errechneten Jahresrationen wie folgt gegenüber:
"Da die britische Ration nach Zahlen berechnet war, über die kein Zweifel bestehen konnte, scheint es nach einer ersten Prüfung, als ob der holländische Anspruch auf so große Zuschläge nicht berechtigt sein konnte. Nichtsdestoweniger vermochte der holländische Vertreter seine Zahlen so gut zu verteidigen und zu erklären, daß große Zugeständnisse gemacht werden mußten. Sogar die ungeheuere Differenz bei Ölnüssen und -saaten wurde so gut erklärt, daß die holländische Hauptforderung zugelassen werden mußte. Die eigentliche Frage drehte sich um die Erzeugung von Margarine. Dieser Butterersatz, den wir in Großbritannien in wachsenden Mengen benötigten, ist eine Verbindung pflanzlicher Öle, tierischer Fette und sterilisierter Milch. Die tierischen Fette werden durch Härtung von Wal- und Fischölen erlangt. Unsere Einfuhren an Margarine hatten sich im Laufe des Jahres 1915 um eine halbe Million Zentner erhöht und die Niederlande waren das einzige Land, das die zur Aufrechterhaltung der Versorgung notwendigen Anlagen und Maschinen besaß. Herr van Vollenhoven wies durch Statistiken nach, daß, wenn die zusätzliche Versorgung aufrechterhalten bleiben sollte, eine große zusätzliche Einfuhr von Ölsaaten zugelassen werden müßte. Unsere Unterhändler wurden zwar [293] nicht überzeugt, daß Herrn van Vollenhovens hohe Zahl bewilligt werden müßte, machten jedoch erhebliche Änderungen an ihrer ersten Schätzung. Einigkeit über diesen Punkt betonte jedoch nur die Uneinigkeit über einen anderen. Die schließlich zugestandene Zahl lag etwa 18% unter der von Herrn van Vollenhoven zuerst genannten. Daraus, daß die Gesamtmenge der einzuführenden Ölsaaten geringer war, als sie der Holländer berechnet hatte, folgte, daß weniger Ölsaatrückstände zur Herstellung von Ölkuchen und Winterfutter verfügbar waren. Da die Ausfuhr von Vieh verboten war, folgerten die Holländer zuerst, daß sie weit mehr Ölkuchen und Winterfutter als in einem Normaljahr brauchen würden und daß sogar ihre hohe Schätzung noch um 18% erhöht werden müsse. Wiederum wurde dem holländischen Anspruch ein beträchtliches Zugeständnis gemacht, bevor eine Einigung erzielt werden konnte."165 "Diese Differenzen waren jedoch im Vergleich zu den Differenzen zwischen den Zahlen unbedeutend, die von uns und von dem dänischen Raad und der dänischen Gilde errechnet waren:
"Hier schien es sich um Zahlen zu handeln, die offensichtlich unvereinbar waren. Aber die großen Unterschiede waren teilweise durch die verschiedenen Berechnungsmethoden zu erklären. Die dänischen Vertreter gründeten166 ihre Schätzungen auf die Berichte, die ihnen von den dänischen Firmen und Industrien gegeben waren, die in diesen Waren handelten. Unsere Unterhändler waren dagegen nicht bereit, zuzugestehen, daß die Rationen anders als nach den nationalen Ausfuhr- und Einfuhrstatistiken berechnet werden könnten. Aber selbst wenn wir der dänischen Berechnungsmethode nicht zustimmen konnten, kann sie aus diesem Grunde doch nicht als unfair oder falsch zurückgewiesen werden. Die Firmen, die diese Berichte gaben, waren Firmen, deren Geschäfte der Raad und die Gilde zu garantieren bereit waren, und wir hatten die angebotene Garantie nach sorgfältiger Prüfung ihres Wertes angenommen. Es darf auch hinzugefügt werden, daß die Differenzen bei Waren, die von den Erschütterungen der Landwirtschaft Nordeuropas unberührt blieben, nicht so groß waren. Wiederum drehten sich die Diskussionen um die einheimischen Erzeugnisse von Margarine und Butterersatz, und obgleich man nicht sagen kann, daß die Dänen ihre Gründe so sorgfältig vorbereitet hatten wie die Holländer, so vermochten sie doch leidlich gute anzuführen. Sie erklärten in erster Linie, daß sich die gesamte nationale Ernährungsweise geändert habe. Brot und mehlhaltige Nahrungsmittel, die von der ärmeren Bevölkerung verbraucht würden, seien von anderer Art und geringerem Nährwert. Dies hätte naturgemäß zu einer natürlichen Steigerung der Nachfrage nach Fetten geführt, zu deren Befriedigung die Dänen ihre Mar- [294] garineerzeugung vergrößert hatten. Man hoffe ungefähr 60 000 Tonnen im Jahre zu erzeugen. Auch die Seifenfabriken hätten in den letzten Jahren ihre Erzeugung erhöht und der Rückgang der deutschen Seifenausfuhr habe ihr einen großen Auftrieb gegeben. Die Dänen vermochten zwar nicht alle ihre Zahlen zu unserer Zufriedenheit zu rechtfertigen, aber ihr Vorbringen erschütterte wenigstens unsere ursprünglichen Berechnungen. Zum Schluß muß ein Wort über das tatsächliche Arbeiten des Systems angefügt werden. Nach seiner Durchführung, soweit eine solche erfolgte, gaben uns die stetigen und regelmäßigen Mitteilungen über die in Kirkwall und den Downs untersuchten Ladungen sowie die Mitteilungen über die aus Großbritannien abgehenden Ladungen die für die Zusammenstellung einer genauen Statistik der neutralen Einfuhren erforderlichen Unterlagen. Die statistischen Abteilungen des Kriegshandelsamtes verarbeiteten diese Mitteilungen mit großer Schnelligkeit und gaben dem Außenamt und dem Banngutausschuß monatliche Berichte darüber, wieviel der vereinbarten Ration eingeführt worden sei. Wenn die Grenze erreicht war, wurden die für die Durchführung der Abkommen verantwortlichen Firmen und Gilden benachrichtigt. Diese Benachrichtigungen scheinen nicht ernstlich bestritten worden zu sein. In der Tat, das einzige an dem System, was einfach war, war seine praktische Durchführung, und selbst diese war nicht die Arbeit einer einzigen Behörde, denn die von italienischen und französischen Einfuhren abhängige Schweiz wurde durch eine interalliierte Kommission rationiert, die die erforderlichen Statistiken durch eine unabhängige Organisation sammelte."167
"Vielleicht das Bemerkenswerteste der langen Verhandlungen über das Rationierungssystem war seine bereitwillige Annahme durch die Vertreter neutraler Nationen. Augenscheinlich konnte nichts mit alldem, was man unter neutralen Rechten, Souveränität u. dgl. verstand, unvereinbarer sein als die Beschränkung des neutralen Handels auf eine von den im Dienst einer kriegführenden Regierung stehenden Statistikern errechnete Ziffer. Wenn man sich daran erinnert, wie oft ein streitiger Punkt des Seerechts zum Gegenstand diplomatischer Streitigkeiten geworden ist, wenn man darüber nachdenkt, daß ungleich geringfügigere Einschränkungen des neutralen Handels als die Einschränkung auf Rationen, zweimal die neutralen Staaten Europas gegen uns aufbrachten und einmal die Vereinigten Staaten zum Krieg gegen uns veranlaßten, so will es in der Tat seltsam erscheinen, daß dieser ungeheuren Neuerung ohne Streit zugestimmt wurde, und doch ist es genau das, was sich ereignete, denn Herrn van Vollenhovens schriftliches Versprechen, daß der Trust die holländischen Einfuhren auf die für den heimischen. Verbrauch benötigte Menge beschränken würde, wurde ganz gern und willig gegeben.168 Und die dänischen Vertreter genehmigten alle Rationierungsklauseln ihrer Abkommen ohne je- [295] den Kommentar. Es hat auch nicht den Anschein, als ob das bloße Prinzip der Rationierung bei den erheblich schwierigeren Verhandlungen in Bern ernstlich bestritten worden wäre. Die Erklärung hierfür ist, daß das Rationierungsprinzip damals nicht so hart und willkürlich erschien, wie es heute rückblickend empfunden wird und daß neutrale Kaufleute es wahrscheinlich als eine Maßregel ansahen, die durch eine einfache Unterscheidung zwischen feindlichem und neutralem Handel dem neutralen Handelsverkehr größere Freiheit gab. Denn die neutrale Kaufmannschaft strebte im ganzen genommen nicht danach, den Handel in irgendeinem Umfang aufrechtzuerhalten, sondern nur danach, einer klaren Regelung unterworfen zu werden, deren Einhaltung ihr ermöglichte, ihre Verträge zu erfüllen und neue zu schließen. Unser eigenes Interesse an der Sicherung der Zustimmung zu einem Rationierungssystem braucht kaum betont zu werden. Uns wie den Neutralen erschien die Rationierung als ein Weg, der aus dem Gestrüpp der Streitigkeiten in freieres Land führte. Es war, so schien es, das einzige vernünftige und methodische Verfahren zur Durchführung der März-Order und das einzige Verfahren, um die Wirtschaftspolitik des Handelsamts in Einklang mit der vom Außenamt und unseren französischen Bundesgenossen befolgten Politik zu bringen. Außerdem wurde erhofft, daß das System bei richtiger Handhabung sich für die wiederkehrenden Reibungen zwischen den Vereinigten Staaten und Großbritannien als Öl erweisen würde, indem es die Streitigkeiten von abstrakten Prinzipien und Rechtsauffassungen ablenkte und sie auf Einzelfragen geschäftlicher Art konzentrierte. Es wird immer eine Merkwürdigkeit der Seegeschichte sein, daß das Rationierungssystem - allem Anschein nach ein ebenso schwerer Einbruch in die Freiheiten des neutralen Handels wie irgendeiner der in den letzten drei Jahrhunderten versuchten - doch ein Grundsatz war, den Kriegführende und Neutrale bekräftigten und den sie ohne jene vorhergehende Anpassung streitiger Meinungen und Interessen, die die Unterhandlung hervorruft, durchführten.
Es ist jedoch bezeichnend, daß diese bereitwillige unbedingte Zustimmung
nur gegeben wurde, wenn die neutralen Unterhändler Vertreter von
Handelsgilden und ähnlichen Gesellschaften waren, d. h.
Männer, die nur darauf bedacht waren, sich ihre Einkünfte zu sichern
und Käufe und Verkäufe zu tätigen und abzuwickeln. Das
Prinzip wurde weniger leicht ertragen, wenn eine neutrale Regierung
Verhandlungsgegner war, denn dann wurden die gegebenen oder abverlangten
Versprechen einer politischen Prüfung unterzogen, und den abstrakten
Grundsätzen der Neutralität, der nationalen Freiheit und der
Nationalehre gegenübergestellt. Das war in Bern der Fall, wo die schweizer
Regierung sich zwar nicht dem bloßen Rationierungsprinzip entgegenstellte,
wohl aber in schärfster Form jede Verantwortung für seine
Durchführung ablehnte, weil sie entschlossen sei, unabhängig und
neutral zu bleiben und niemals die Überwachung ihrer Verwaltung durch
Vertreter auswärtiger Mächte erlauben werde. Die Verhandlungen in
Bern zeigten deshalb, daß das Rationierungssystem nur dann annehmbar
und durchführbar war, wenn es zu einer rein geschäftlichen
Angelegenheit gemacht wurde und daß es von [296] einer
Körperschaft mit politischen Verantwortlichkeiten nicht leicht zu
handhaben war. Diese in Bern erhaltene ziemlich unbestimmte Warnung wurde
mit größerem Nachdruck während der Verhandlungen in
Stockholm wiederholt. Obwohl diese denselben Zwecken wie die anderswo
geführten Verhandlungen dienten, blieben sie doch erfolglos, weil das
Geschäft durchaus einer Politik untergeordnet wurde, die jede Anpassung
unmöglich machte."169
161S. 317. ...zurück... 162S. 320. ...zurück... 163S. 321. ...zurück... 164S. 323. ...zurück... 165S. 324. ...zurück... 166S. 324. ...zurück... 167S. 325. ...zurück... 168S. 325. ...zurück... 169S. 327 [Scriptorium merkt an: richtig S. 326.] ...zurück...
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