SucheScriptoriumBuchversandArchiv IndexSponsor


 
Teil III: Die Durchführung der Hungerblockade bis zum Herbst 1915   (Forts.)

K. Die Verhandlungen über ein schwedisches Abkommen

"Wie bereits in einem früheren Kapitel erwähnt wurde, war die erste Streitigkeit zwischen unseren Regierungsstellen und der schwedischen Regierung von Politik und politischen Sympathien unbeeinflußt. Sie entstand lediglich, weil der Banngutausschuß die Zurückhaltung einer großen Zahl Ladungspartien Kupfer angeordnet hatte. Die Angelegenheit wurde in einer langen Weisung Sir Eyre Crowes geklärt, die im wesentlichen darlegte, wir könnten den Durchgang von Banngutladungen nicht erlauben, falls nicht die schwedische Regierung die Liste ihrer Ausfuhrverbote so erweiterte, daß keine Art von Banngutwaren wiederausgeführt werden könne. Nach Empfang dieser Note machten die schwedischen Regierungsstellen sogleich sehr erhebliche Zusätze zu ihren Verordnungen, so daß bis Ende Januar der Streit mit ihnen weder der Form noch der Sache nach von den Streitigkeiten mit anderen europäischen Neutralen abwich. Nach diesem Zeitpunkt unterschied sich der englisch-schwedische Streit von allen anderen aus Gründen, die jetzt erklärt werden sollen."170


a) Die Gründe für die Schwierigkeiten der Verhandlungen mit Schweden

Schon lange vor Ausbruch des Krieges zeigte sich in Schweden eine so starke Parteinahme für die deutsche Gruppe unter den Großmächten, daß von uns im Kriegsfalle ein aktives Eingreifen des Landes zugunsten Deutschlands befürchtet wurde. Diese Befürchtung wurde in den ersten Monaten des Krieges keineswegs zerstreut. Das Ministerium Hammarskjöld wünschte zwar, die Neutralität aufrechtzuerhalten. Es hatte aber als Zugeständnis an die Kriegspartei schon während der dem Krieg vorausgehenden diplomatischen Krise eine drohende Erklärung über eine mögliche schwedische Intervention abgegeben. Man mußte deshalb auch weiterhin damit rechnen, daß es in Zeiten großer Erregung der Kriegspartei gelingen könnte, Schweden von dem Neutralitätskurs abzubringen. In London prüfte man infolgedessen alle Berichte über die politische Stimmung in Schweden sehr sorgfältig und ließ sie sogar im Kabinett zirkulieren.

"Die erste Interventionsdrohung wurde jedoch bald zurückgezogen und es wurde klar, daß sie die Hammarskjöld-Regierung nur ausgesprochen hatte, weil sie sich damals noch über die Stärke der die Intervention [297] und der die Neutralität wünschenden Parteien nicht im klaren gewesen war. Sie hatte nämlich ganz zu Unrecht, wie sich später herausstellte, angenommen, sie könne nur im Amt bleiben, wenn sie sich der zum Kriege treibenden Partei anschlösse. Seitdem war der Stand der schwedischen Stimmung klarer geworden, und die Regierung war in der Lage gewesen, dementsprechend ihren Kurs einzuschlagen."171

"Die größte Schwäche der den Krieg wünschenden Partei war vielleicht das Fehlen eines guten Kriegsvorwandes. Außer der Aalandfrage gab es keine offene noch nicht beigelegte Streitigkeit zwischen Schweden und Rußland. Die Aalandfrage gehörte aber nicht zu jenen dringenden Streitigkeiten, die einen Krieg hervorrufen können. Die Bewohner der Aalandinseln waren ein Volk von schwedischen Fischern und Milchviehhaltern, die seit 1809 glücklich unter russischer Herrschaft gelebt hatten, denn nach ihrer Abtretung wurden sie ein Teil des Großfürstentums Finnland und nahmen an dessen verfassungsmäßigen Freiheiten Anteil. Die Bewohner waren auch zu arm und hatten ein zu hartes Leben, um sich viel darum zu kümmern, ob sie unter fremder Herrschaft standen... Die Inseln bildeten jedoch eine Art Brücke zwischen Westfinnland und Schweden, und die russische Regierung war durch ein Abkommen von 1856 verpflichtet, sie nicht zu befestigen.

Dieses alte Abkommen setzte die Russen etwas in Verlegenheit. Würden doch bei einem Versuch der deutschen Flotte, in dem finnischen Meerbusen zu operieren, deren Befehlshaber alles getan haben, um sich in den Besitz der Inseln zu setzen und sie als vorgeschobene Basis zu benutzen. Die Russen waren deshalb verpflichtet, Vorsichtsmaßregeln zu ergreifen, die bei sehr enger Auslegung ein Bruch des Abkommens genannt werden konnten, denn sie bauten Schanzen, Geschützstellungen und trafen alle zur Zurückweisung eines seewärtigen Angriffs notwendigen Maßnahmen. Die russische Regierung verpflichtete sich jedoch, nach Kriegsende diese Feldstellungen zu schleifen und es kann als ziemlich sicher angenommen werden, daß der schwedische Generalstab und die schwedische Regierung wußten, daß ein Ausbau der Inseln zu einem Arsenal oder regelrechten Waffenplatz, vor dem das Abkommen schützen sollte, nicht beabsichtigt war..."

"Weit stärker... war derjenige Teil des schwedischen Volkes, der durch die Hammarskjöld-Regierung vertreten wurde: die Kaufleute, die Mittelklassen und die gebildeten Landwirte. Patriotisch und liberalen Meinungen zugeneigt, verabscheuten sie die russische Regierung. Infolge vieler Verbindungen mit deutschen Universitäten und Handelskreisen waren sie dem deutschen Volk freundlich gesinnt. Aber diese allgemeine Sympathie machte diese Teile des schwedischen Volkes nicht zu Abenteuern auf deutscher Seite geneigt. Sie hofften, und die Hammarskjöld-Regierung hoffte es mit ihnen,172 daß der Krieg mit keinem entscheidenden Vorteil für eine der beiden Seiten enden würde. Sie würden sich wahrscheinlich der 'Kriegspartei' angeschlossen haben, wenn das Deutsche Reich durch die russischen Heere ernsthaft gefährdet gewesen wäre, denn es ist bezeichnend, [298] daß die Hammarskjöld-Regierung immer unruhig und besorgt wurde, wenn die Koalition gegen Deutschland an Stärke zu gewinnen schien. Als Herr Wallenberg zuerst mit der Intervention auf der deutschen Seite drohte, entschuldigte er die Drohung damit, daß Großbritannien im Begriffe sei, gegen Deutschland die Waffen zu ergreifen und daß die schwedische Regierung nicht neutral bleiben könne, wenn Deutschland zerschmettert werde. Als es sicher schien, daß die italienische Regierung sich den Ententemächten anschließen würde, wurden Herr Hammarskjöld und seine Minister wieder unruhig und rieten dem König von Schweden, eine zweifelhafte und zweideutige Botschaft an den König von Italien zu senden. Die Botschaft verursachte uns damals einigen Kummer. Es ist deshalb eine der Merkwürdigkeiten der politischen Geschichte, daß jene Niederlagen der russischen Heere, die für die alliierte Sache so nachteilig waren, diese Mittelpartei in Schweden in ihrer Einstellung, das Land neutral zu halten, bestärkten, denn sie enthoben die Partei der einzigen Sorge, die sie zum Kriegsentschluß hätte veranlassen können.

Neben der Mittelpartei gab es Arbeiter und Sozialisten, die zwischen zwei gleich starken Haßgefühlen schwankten: Haß gegen ihre eigene Armee und gegen ihren eigenen Adel und Haß gegen das russische Regierungssystem. Diese Partei scheint stark zu den Alliierten geneigt zu haben. Unser Gesandter besprach sich oft mit ihrem Führer Herrn Branting und die Parteivertreter im Riksdag kritisierten heftig die Hammarskjöld-Regierung, weil sie zugelassen habe, daß die Streitigkeit mit Großbritannien so hitzig wurde und so lange fortdauerte."173

Bei diesem Hintergrund nahmen die Banngutstreitigkeiten mit Schweden allmählich einen gefährlicheren Charakter an als diejenigen mit den übrigen Randneutralen. "Angeblich handelte es sich nur um Streitfälle über die Berechtigung dieser oder jener Zurückhaltung und über die genügende Weite der Wiederausfuhrverbote von Banngutwaren. Tatsächlich war die Regierung, die den Streit führte, von den ihr eigentümlichen Vorurteilen beeinflußt. Die Dänen, Norweger, Holländer und Schweizer wünschten ohne Vorbehalt und Einschränkung, neutral zu bleiben und ihre Regierungen gehorchten diesem nationalen Auftrag am besten, indem sie sich von Streitigkeiten über Blockade und Banngut fernhielten und ihre Kaufleute und Handelskammern ermutigten, solche Vereinbarungen mit den kriegführenden Regierungen zu treffen, die die Versorgung der nationalen Industrie mit Rohmaterialien und der Gesamtbevölkerung mit Lebensmitteln sicherten. Die schwedische Regierung wünschte auch neutral zu bleiben, aber die von ihr vertretene Nation wünschte die Neutralität nicht so unzweideutig wie sie die Holländer, die Dänen und Schweizer wünschten. Denn Schweden konnte am Kriege teilnehmen, ohne unmittelbar einem Einfall ausgesetzt zu sein. Es war dem schwedischen Volk deshalb möglich, seine Sympathien ohne Gefahr für sich selbst auszudrücken, und die schwedische Regierung stand in einer Zeit besonderer Sorgen unter dem Auftrag, die Sympathien und Vorurteile der sie an der Macht haltenden Wählerschaft zu achten. Aus Gründen, die sie allein abzuschätzen [299] in der Lage waren, entschieden Herr Hammarskjöld und seine Minister, sie könnten sich die Unterstützung der ganzen Nation dadurch am besten sichern, daß sie die leidenschaftlichen Vorurteile der Hofpartei achtungsvoll behandelten, mit ihr die Beziehungen aufrechterhielten und bei Erörterung streitiger Fragen stolzer und steifer auftraten als die übrigen nördlichen Neutralen."174

Es ist deshalb kein Wunder, daß, wie "die Berichte der Agenten unseres Handelsnachrichtendienstes bewiesen, in Schweden eine Lage bestand, die sich radikal von der in anderen Ländern hergestellten unterschied. Unsere Regierungsstellen hatten Grund zu der Annahme, daß Güter über alle neutralen Grenzen geschmuggelt wurden, aber keinen Grund zu dem Verdacht, daß die Regierungen ihre Ausfuhrverbote nicht streng einhielten. Die Berichte aus Schweden in den Wochen vor und nach Erlaß der März-Order waren ein überzeugender Beweis für eine beträchtliche Wiederausfuhr von Speck und Metallen. Mehr noch, unser sachverständiger Beobachter war überzeugt, daß dieser Wiederausfuhrhandel unter stillschweigender Duldung des schwedischen Zolls stattfand. Es wäre natürlich eine übereilte Annahme, daß alle seine Anschuldigungen vor einem Gericht hätten verteidigt werden können. Die von ihm bezeugten Tatsachen waren jedoch so zahlreich und so übereinstimmend, daß den mit der Durchführung des Wirtschaftsfeldzugs Beauftragten keine andere Wahl blieb als zu handeln."175

"Man muß sich überdies daran erinnern, daß dieselben Zustände wie in Schweden einige Monate vorher in Dänemark bestanden hatten, denn Schweden wurde offensichtlich von den Chikagoer Fleischpackern als Basis benutzt. Wenn man dies berücksichtigt, zeigt es sich, daß von einem verhältnismäßig frühen Zeitpunkt an der englisch-schwedische Streit über den Bannguthandel sich von allen anderen unterschied. Als die Chikagoer Fleischpacker zuerst den dänischen Markt überschwemmten, gaben die dänischen Regierungsstellen offen zu, was vor sich ging und ergriffen abwehrende Maßnahmen. Unsere Klagen gegen sie richteten sich gegen ihre Hilflosigkeit, aber niemals gegen ihr zweideutiges Verhalten und das Unterlassen von Erklärungen. Die schwedische Haltung war anders. Von Anfang an lehnten es die schwedischen Regierungsstellen ab, anzuerkennen, daß die Handhabung ihrer Gesetze und Verordnungen mit Vertretern eines fremden Staates erörtert werden könnte und sie weigerten sich folgerichtig, uns genaue Angaben über die unter Lizenz aus ihrem Lande ausgeführten Banngutmengen zu machen. Hier lag der große Unterschied zwischen dem Verhalten der Schweden und dem Verhalten der anderen europäischen Neutralen."176

"Es ist verständlich, daß der Banngutausschuß sich verpflichtet fühlte, gegen Ladungen, die einen Teil eines so verdächtigen Handels bildeten, mit Strenge vorzugehen. In der Tat hätte er kaum den Anspruch erheben können, seine Pflicht getan zu haben, wenn er so ungeheuere Verschiffungen von Speck und Fleisch unbehindert hätte passieren lassen. Es muß jedoch gesagt werden, daß der allgemeine Beweis für einen unerlaubten Handel [300] zwischen Schweden und Deutschland weit stärker war als der Beweis für die Bestimmung der einzelnen Ladungen."177 "Die Zurückhaltungen, die die beginnende Streitigkeit am meisten verbitterten, waren die Zurückhaltungen der Schiffe Balto, Grekland, New Sweden und Nike, die einen großen Teil ihrer Ladung löschen mußten. Die so angehaltenen Partien waren meistens amerikanische Fleischwaren. Der Vorwand war der Verdacht der Feindbestimmung. Wie stand es aber mit den Verdachtsgründen, abgesehen von der allgemeinen Kenntnis, daß zwischen Schweden und Deutschland ein großer Wiederausfuhrhandel im Gange war. Es muß zugegeben werden, daß der Beweis gegen die einzelnen Empfänger schwach war. Außerdem scheint es sicher, daß in manchen Fällen der Banngutausschuß die Löschung von Ladungspartien lediglich deshalb anordnete, weil sie ihrer Natur nach absolutes Banngut darstellten."178

"Wenn man hiernach die Streitpunkte in der ersten Phase der englisch-schwedischen Streitigkeit unparteiisch prüft, so scheint der Schluß angemessen zu sein, daß 1. nach den ihm vorliegenden Beweisen über einen großen Wiederausfuhrhandel zwischen Schweden und Deutschland der Banngutausschuß zur Anordnung der Zurückhaltungen den Umständen nach gezwungen war, daß aber 2. viele der angeordneten Löschungen von einem Gerichtshof nicht als berechtigt anerkannt worden wären. Es muß auch hinzugefügt werden, daß diese Anordnungen von Zurückhaltungen in terrorem schlecht der politischen Lage angepaßt waren, denn die Schweden hatten zwei machtvolle Vergeltungswaffen zur Benutzung bereit: ihr Grubenholz und ihre hochgradigen Erze, die beide für uns wichtig waren, und die Kontrolle des Durchgangsverkehrs nach Rußland."179

"Diese aufeinanderfolgenden Zurückhaltungen waren der Gegenstand einer Anzahl Verwahrungen einlegender und rechtfertigender Mitteilungen, die sich alle mehr mit den besonderen Umständen als mit den ihnen zugrunde liegenden allgemeinen Grundsätzen beschäftigten. Aber während diese Mitteilungen ausgetauscht wurden, legten sich die schwedischen Regierungsstellen auf eine Handlungsweise fest, die den Unterschied zwischen ihrer Politik und der Politik der übrigen nördlichen Neutralen noch nachdrücklicher betonte. Es ist gezeigt worden, daß diese Zurückhaltungen und Ausladungen sich zunächst ziemlich gleichmäßig auf alle skandinavischen Reeder verteilten, daß aber mehrere große dänische Gesellschaften uns freiwillig Versprechungen gaben, verdächtige Ladungspartien nicht auszuliefern und daß diese Abmachungen die der neutralen Schiffahrt auferlegten Beschränkungen milderten. Nun erklärte sich verhältnismäßig früh ein großer schwedischer Reeder Herr Axel Johnson bereit, ähnliche Versprechungen zu geben wie Kapitän Cold, Herr Andersen und Herr Mygdal. Die Verhandlungen über eine Vereinbarung waren fast abgeschlossen, als die schwedische Regierung eingriff und Herrn Johnson verbot, die Angelegenheit weiterzubetreiben. Dies war ein anderer sehr wichtiger Unterschied zwischen der Haltung der schwedischen und der Haltung der dänischen, norwegischen und niederländischen Regierung. Diese letzteren hat- [301] ten aktiv alle privaten Vereinbarungen zur Erleichterung des Handels ermutigt, die schwedische Regierung verbot sie ausdrücklich.

Abgesehen hiervon weigerte sich die schwedische Regierung ungefähr zur gleichen Zeit, ihre Liste der verbotenen Ausfuhren zu erweitern und legte dem Durchfuhrhandel nach Rußland Einschränkungen auf. Sie ordnete an, daß nach Rußland bestimmte Güter nur dann das Land verlassen dürften, wenn eine Ausfuhrlizenz angefordert und bewilligt worden sei und weigerte sich, die Ausfuhr von Waffen und Munition nach Rußland überhaupt zuzulassen. Die schwedischen Regierungsstellen deuteten an, daß jede für die Warendurchfuhr nach Rußland erteilte Lizenz durch eine Lizenz für die Wiederausfuhr einer entsprechenden Menge Güter nach Deutschland ausgeglichen werden müsse. Bei dieser Lage der Dinge wurde der mit einer Ladung schwedischen Magneteisenerzes nach Rotterdam bestimmte Dampfer Ernest Cassel eingebracht. Da nicht verheimlicht wurde, daß die Ladung für Deutschland bestimmt sei, erging die Anordnung, das Prisengerichtsverfahren auf Grund der März-Order einzuleiten. Die schwedische und die britische Regierung beharrten nun auf zwei entgegengesetzten Behauptungen, die nur durch Verhandlungen ausgesöhnt werden konnten. Die schwedische Regierung weigerte sich zuzugeben, daß auf Grund der März-Order irgendein Schiff angehalten oder irgendeine Ladung gelöscht werden könne, da die Order an sich rechtswidrig sei. Sie behauptete außerdem, die Zurückhaltung sei völlig ultra vires, da wir Magneteisenerz nicht zum Banngut erklärt hätten und die heimischen Ausfuhren Schwedens nicht anhalten dürften. Wir konnten unsererseits nicht ein Tüttelchen dieser Behauptungen anerkennen. Abgesehen hiervon wirkten die Anschuldigungen, die jede Partei seit Jahresbeginn gegen die andere erhoben hatte, streitverschärfend. Die Schweden behaupteten, selbst wenn wir Empfänger in Verdacht hätten, hätten wir noch kein Recht, deshalb Ladungen zurückzuhalten, denn die schwedischen Verordnungen würden so angewandt, daß unehrliche Kaufleute sie nicht umgehen könnten. Wir antworteten darauf, wir hätten so viel Gründe für unsere Kenntnis von der Umgehung der schwedischen Verordnungen, daß wir verdächtigen Empfängern nicht gestatten könnten, ihre Güter abzunehmen. Der einzige Punkt, über den sich die beiden Regierungen einig waren, war der Zusammenbruch des Dezemberabkommens."180


b) Die Verhandlungen in Stockholm

Ungefähr zur selben Zeit, in der Graf Wrangel sich in London um die Beilegung eines Zwischenfalls in Mexiko City bemühte, schlug Herr Wallenberg vor, die beiden Regierungen sollten in einigen dringenden Angelegenheiten zu einer vorläufigen Einigung kommen und dann Verhandlungen über eine Generalregelung eröffnen. "Die damals besonders zur Erörterung stehenden Fragen waren: unser Vorkauf einer großen Zahl für Schweden bestimmter Baumwolladungen auf Grund des Baumwollabkommens mit den Vereinigten Staaten und unsere konsequente Verwei- [302] gerung von Lizenzen für Gummi und Gummiwaren, durch die Tennisbälle in Schweden praktisch unerhältlich geworden waren. Sogar der König war gezwungen gewesen, das Tennisspielen aufzugeben, was ihn gegen uns aufgebracht zu haben scheint. Das Ergebnis dieser versöhnlicheren Unterhaltung war die Freigabe einer erheblichen Menge Baumwolle und Gummi durch uns und die Gewährung schwedischer Lizenzen für die Durchfuhr der von dem russischen Militärattaché listenmäßig zusammengestellten Güter."181

Zu einer Gesamtregelung aller Streitfragen wurde Ende Juni eine Delegation unter Führung Mr. Vansittarts nach Stockholm entsandt. Die vereinbarten Diskussionsbasen für die Stockholmer Verhandlungen waren folgende: "Beseitigung aller Hindernisse des freien Handelsaustauschs zwischen dem Vereinigten Königreich und Schweden für ihre jeweiligen Erzeugnisse, Beseitigung aller Hindernisse für den Brief- und Telegrammverkehr zwischen Schweden und den neutralen Ländern, Freiheit der Einfuhren nach Schweden aus neutralen Ländern in den für den heimischen Verbrauch in Schweden erforderlichen Mengen. Sicherheiten dafür, daß die auf Grund eines solchen Abkommens nach Schweden eingeführten Güter nicht nach Deutschland wiederausgeführt werden, solange ihre Ausfuhr verboten ist, Transithandel zwischen Großbritannien und Rußland durch Schweden."182

Der Kardinalpunkt der Verhandlungen war die Verringerung der neutralen Einfuhren auf den Normalumfang. "Auf Grund der damals in Bern geführten Verhandlungen und der Bereitwilligkeit des Niederländischen Trusts zur Handhabung des Systems bestand für uns die Gewißheit, daß Handelsvereinigungen, Trusts und Gilden stets bereitwilliger und auch geeigneter sein würden, das System anzunehmen und zu handhaben als Regierungen und deren Ressorts. Die Politik, diese Vereinigungen zu fördern, hatte zwar durch die Einwendungen der dänischen und norwegischen Magnaten einen Rückschlag erfahren, und man hatte einen zeitweiligen Ersatz in den Abkommen mit den Schiffahrtsgesellschaften gefunden. Aber die Politik war nichtsdestoweniger wieder im Vordringen, weil keine andere zufriedenstellende Möglichkeit entdeckt worden war. Auf diese beiden Punkte: Beschränkung der Einfuhren auf den Normalumfang und Errichtung einer Vereinigung für den Empfang und die Verteilung der Einfuhren legte deshalb Mr. Vansittart in seinen einleitenden Darlegungen den größten Nachdruck. Er wies darauf hin, daß Herr Wallenberg selbst eingewilligt habe, daß das Ziel der Verhandlungen die Beseitigung der Hindernisse für die freie Einfuhr der für heimischen Verbrauch in Schweden erforderlichen Güter aus neutralen Ländern sein sollte, und erklärte dann, daß ähnliche Hindernisse in Holland in wirksamer Weise durch den niederländischen Trust beseitigt worden seien. Die schwedische Baumwollspinnervereinigung habe vor kurzem mit uns ein Abkommen getroffen,183 das uns über die von der Vereinigung benötigten Mengen an Rohbaumwolle unterrichte und die Sicherheit für den Verbrauch der bearbeiteten Baumwolle in Schweden gäbe. Wenn es deshalb unmöglich oder unzweckmäßig sein [303] sollte, einen zentralen Empfangs- und Verteilungstrust in Schweden zu errichten, würde es dann nicht möglich sein, getrennte Vereinigungen jener Handels- und Industriezweige zu bilden, die Nahrungsmittel, Textilien, Metalle und Treibstoffe einführten? Der ihm aus der schwedischen Presse bekannte Einwand, diese Abkommen seien Anschläge auf die Freiheit des neutralen Handels, wurde von Mr. Vansittart sehr sorgfältig im voraus abgeschnitten:

      Ich möchte auf folgenden Punkt bestehen: unter dem gegenwärtigen System gewähren wir z. B. im Monat März Lizenzen für verschiedene Ladungspartien einer Ware an A, B und C usw., bis die Ausfuhr über den Normalumfang steigt und wir nicht mehr in der Lage sind, weitere Lieferungen abzugeben. Das scheint uns vom schwedischen Standpunkt nicht zufriedenstellend zu sein, denn es bedeutet wahrscheinlich, daß einige schwedische Kaufleute nicht ihren Anteil erhalten. So wurden A, B und C zufriedengestellt, weil sie im März, als noch keine Verknappung oder Anormalität eingetreten war, ihren Antrag stellten, während D, ein ebenso trefflicher Antragsteller, der am 1. April an uns herantrat, nicht mehr befriedigt werden konnte. Das läuft darauf hinaus, daß wir unter dem gegenwärtigen System in gewissem Umfang und fast unfreiwillig die Verteilung der Güter in Schweden und nicht nur die Ausfuhr nach diesem Land kontrollieren. Im Gegensatz dazu würde der Vorschlag, den wir Ihnen jetzt zu machen haben werden, bedeuten, daß die Verteilung der Güter, die wir nach Schweden schicken, völlig in schwedische Hände gelegt würde. Das scheint uns gerechter und wahrscheinlich weit befriedigender für Sie zu sein. Wir hoffen, daß Sie unseren Vorschlag über die Bildung von Vereinigungen in diesem Lichte prüfen werden."184

"Es scheint sicher, daß die schwedischen Regierungsstellen diese Vorschläge vorhergesehen und sich entschlossen hatten, sie nicht anzunehmen, denn schon bevor sie tatsächlich vorgelegt wurden, brachten die führenden Zeitungen Stockholms die Öffentlichkeit dagegen auf. Das Stockholms Dagblad stellte den schwedischen Einfuhrtrust als ein Instrument bin, das England die absolute Kontrolle über den schwedischen Handel einräumte. Dann fuhr der Verfasser des Leitartikels nach einer Schilderung des Niederländischen Trusts fort: Es ist anscheinend Englands Wunsch, Schweden und die anderen neutralen Länder einer solchen inquisitorischen Kontrolle zu unterwerfen. Es braucht kaum gesagt zu werden, daß das unwürdig wäre, es würde eine Übergabe sein. Das Svenska Dagblad und die Nya Daglight Allehanda veröffentlichten ähnliche Artikel. Von Anfang an wurden also die Verhandlungen durch einen von außen kommenden störenden Lärm begleitet, daß die Streitpunkte in einer dem Nationalstolz Rechnung tragenden Weise beigelegt werden müßten und daß sie nicht als bloße Fragen des Geschäfts und der Zweckmäßigkeit behandelt werden dürften. Zwei Tage später weigerten sich die Schweden, die britischen Vorschläge in Betracht zu ziehen. Ihre Weigerung war so unbedingt und ihre Gegenvorschläge waren so hart und entschieden, daß die ganze Verhandlung gefähr- [304] det war. Erstens weigerten sich die Schweden zuzugeben, daß eine Ladung, die nicht Banngut sei, auf Grund der März-Order zurückgehalten werden könne, infolgedessen, so erklärten sie, könnten sie einer Erweiterung der in dem sich nur auf Banngut beziehenden Dezemberabkommen gegebenen Versprechungen nicht zustimmen. Zweitens stellten sie fest, daß sie niemals eine andere Garantie gegen die Wiederausfuhr geben könnten, als die Garantie ihrer Gesetze und Verordnungen und daß keine Verhandlung ohne unser förmliches Anerkenntnis der angemessenen Handhabung ihrer Verordnungen und Verzicht auf jede weitere Prüfung der Angelegenheit möglich sei. Bezüglich der Durchfuhrfrage erklärten sie, daß ein striktes neutrales Verhalten sie verpflichte, keinem Kriegführenden eine Vergünstigung zu gewähren, die nicht durch eine gleichwertige Vergünstigung des anderen Kriegführenden ausgeglichen würde. Infolgedessen, so teilten sie uns mit, müßte die Menge der nach Rußland durchgelassenen Waren und der nach Deutschland wiederausgeführten Güter auf gleicher Höhe gehalten werden. Sie erkannten unsere wichtigste Behauptung, Einfuhren müßten auf das zum heimischen Verbrauch Erforderliche beschränkt werden, an, aber sie erhoben den Anspruch, sie allein seien für die Bestimmung des heimischen Verbrauchs und zur Berechnung der normalen Einfuhrziffern zuständig. Sie teilten unseren Vertretern sehr nachdrücklich mit, daß weder diese Bestimmung noch die entsprechenden Statistiken mit fremden Diplomaten diskutiert werden könnten."185 Da dieses vage Anerkenntnis einer Normaleinfuhr der einzige verbindende Punkt der Vorschläge beider Staaten war, konzentrierte Mr. Vansittart die Diskussion hierauf und wies nach, daß ohne vorherige Berechnung der Mengen und ohne genaue Kontrolle der monatlichen Zufuhren die Beschränkung der Einfuhren auf das Normalmaß nicht möglich sein würde. Bei jedem anderen System stellten sich abnorme Einfuhren erst lange nach dem Überschreiten des Durchschnittsbetrages heraus. Die Schweden vermieden jedoch sorgfältig jede "Erörterung praktischer Einzelheiten und erklärten es für eine Frage des Nationalstolzes, daß der schwedische Handel allein von der schwedischen Regierung geordnet würde".186

Die britische Delegation erkannte nunmehr, daß ein weiteres Beharren auf ihren ursprünglichen Forderungen die Verhandlungen zum Scheitern bringen würde. Dies mußte jedoch auf jeden Fall vermieden werden, da die russischen Niederlagen im Mai und Juni 1915 ein Fortbestehen des für die Dauer der britisch-schwedischen Verhandlungen abgeschlossenen modus vivendi über die Durchfuhr nach Rußland dringend wünschenswert erscheinen ließen, und da innenpolitische Rückwirkungen nachteiliger Art, insbesondere ein England unerwünschter Wechsel des Außenministers die Folge gewesen wären. Mr. Vansittart ließ deshalb den Plan eines Einfuhrtrustes fallen und arbeitete einen neuen Plan aus, der auf der Grundlage des Anerkenntnisses der schwedischen Ausfuhrverbote als hinreichende Garantie gegen Wiederausfuhren in bestmöglichster Weise die beiden wichtigsten Punkte: Beschränkung der schwedischen Einfuhren auf das Normalmaß und Sicherung des russischen Durchfuhrhandels, regelte. "Der Ab- [305] kommensentwurf, den die britischen Abgesandten neu ausarbeiteten, war von den mit einer Gilde oder Kaufmannsvereinigung abgeschlossenen Abkommen durchaus verschieden.187 Da die Besonderheiten des Abkommens wahrscheinlich ein Zeugnis dafür sind, was eine neutrale Regierung im Gegensatz zu einer Kaufmannsvereinigung zu versprechen bereit war, verdienen sie eine Prüfung. Jedenfalls hätten, wie später gezeigt werden wird, die schwedischen Regierungsstellen Mr. Vansittarts Kompromiß zugestimmt.

Was erstens den russischen Durchfuhrhandel anbetrifft, so hatte es sich während der langen Streitereien, die den Verhandlungen vorausgingen, herausgestellt, daß einige von Schweden aus Großbritannien eingeführte Waren trotz ihres geringen Wertes und ihrer geringen Menge von großer Bedeutung für die schwedische Industrie waren. Herr Wallenberg hatte sich sehr besorgt darüber geäußert, daß Lizenzen für Hanf, Jute, Gummi und gewisse Gerbstoffe, deren Zufuhr wir kontrollierten, verweigert werden könnten und hatte darauf bestanden, daß während des für die Dauer der Verhandlungen in Kraft gesetzten zeitweiligen Übereinkommens Lizenzen freigiebig gewährt werden sollten. Mit anderen Worten, Kohle war nicht unser einziges Druckmittel. Mr. Vansittart schlug deshalb vor, daß der russische Durchfuhrhandel durch ein System verhältnismäßiger Lizenzen für britische Ausfuhren nach Schweden und für Durchfuhren nach Rußland gesichert werden sollte. Die britische Abordnung war sich darüber im klaren, daß dieses System zu einem unablässigen Feilschen und Aushandeln führen werde. Aber das mußte in Kauf genommen werden, hatte doch bei Beginn der Verhandlungen der norwegische Gesandte ausfindig gemacht, die Schweden würden in der Frage der russischen Durchfuhr so geringe Zugeständnisse wie möglich machen, da sie durch Versprechungen gegenüber der deutschen Regierung gebunden seien. Später gaben die schwedischen Delegierten das sogar selbst zu. Solche Durchfuhren nach Rußland, die überhaupt durchgesetzt werden konnten, konnten demnach nur durch wirtschaftlichen Druck erzielt werden.

Zweitens waren Mr. Vansittart und seine Kollegen überzeugt, daß kein Abkommen und nicht einmal eine Verhandlung möglich sei, wenn sie nicht zugäben, daß die schwedische Regierung allein für die Durchführung aller Klauseln und Bedingungen verantwortlich sei, denn sie erhielten zahlreiche Andeutungen, daß es den Kaufleuten nicht einmal in Fragen geringerer Bedeutung erlaubt werden würde, mit ihnen zu verhandeln. Da dies als unvermeidlich anerkannt werden mußte, so ergab sich die Notwendigkeit, die schwedischen Ausfuhrverordnungen, die schwedischen Berechnungen der Normaleinfuhr und die Garantien der schwedischen Regierung für den heimischen Verbrauch als volle und ausreichende Sicherheit für die Bedingungen hinzunehmen, denen wir die größte Bedeutung beimaßen. Das war natürlich keineswegs zufriedenstellend. Doch die britischen Abgesandten meinten, man könne die Garantie durch ein besonderes Abkommen verstärken. Sie schlugen deshalb die Einteilung der der schwedischen Regierung zu garantierenden Einfuhren in zwei Klassen vor. Für die erste Klasse sollten keinerlei Lizenzen erteilt werden. Güter der zweiten Klasse sollten [306] in Normalmengen eingeführt werden. Zur ersten Warenklasse wurden Waffen, Munition, militärische Ausrüstungsgegenstände, für Munitionsfabriken besonders wichtige Metalle, Leder, Wollgarne und Mineralöle, zur zweiten Banngutwaren, die Artikel des allgemeinen Handels waren, gerechnet."188

Die Nachteile dieses Plans bestanden erstens darin, daß Güter der ersten Warenklasse nur über den, einen großen Teil des Jahres hindurch durch Eis geschlossenen Hafen Archangelsk nach Rußland gesandt werden konnten, zweitens darin, daß die alleinige Zuständigkeit der schwedischen Regierung zur Berechnung der Normaleinfuhren zu einem Zeitpunkt anerkannt wurde, in dem die schwedischen Einfuhren aus den Vereinigten Staaten für die dem April 1915 vorangehenden Monate auf 72 Millionen Dollar gegenüber 17 Millionen in der entsprechenden Zeit des Vorjahres geschätzt wurden. "Schließlich war es ein besonders von Mr. Findlay betonter Nachteil, daß die schwedischen Regierungsstellen durch ihre steife, zänkische und unfreundliche Haltung sich bessere Bedingungen sichern wollten, als die neutralen Regierungen, die entgegenkommend gewesen waren. Niemand konnte sich dieser Nachteile bewußter sein als Mr. Vansittart, aber seine letzten Weisungen gingen dahin, die Verhandlungen am Leben zu erhalten und seinen Plan, wenn auch nur als Vorschlag ad referendurn, zu überreichen."189

"Bei der Übergabe seines Plans legte Mr. Vansittart die Bedeutung dar, die wir einer ungefähren Kenntnis der von den schwedischen Regierungsstellen anzuwendenden Prüfungsarten für die Normaleinfuhr und den heimischen Verbrauch beilegten. Die Schweden antworteten so steif wie vorher, sie könnten uns niemals erlauben, Tatsachen und Zahlen mit ihnen zu erörtern, und sie würden niemals einwilligen, daß Durchschnittswerte der Statistiken von Normaljahren zur Grundlage der Berechnung gemacht würden. Sie versprachen, daß ein staatlicher Ausschuß in jedem Einzelfall darüber entscheiden solle, was heimischer Verbrauch sei und was nicht. In Wahrheit scheinen die Schweden, die inzwischen erkannt hatten, daß die Kriterien des heimischen Verbrauchs der Zentralpunkt der Verhandlungen sein würden, den Widerstand gegen das Rationierungsprinzip als solches vorbereitet zu haben, denn ungefähr um diese Zeit erteilten sie ihrem Gesandten in Washington die Weisung, der amerikanischen Regierung vorzuschlagen, sich gemeinsam mit ihnen der britischen Forderung zu widersetzen. In seiner ersten Antwort antwortete der Staatssekretär, seine Regierung werde in Betracht zu ziehen haben, ob der schwedische Handel mit Zustimmung der schwedischen Regierung beschränkt werden würde oder ob die Beschränkung einseitig von den Briten auferlegt werde. Im letzteren Fall, gab er zu, sei die Lage so, daß sie eine Erwägung durch die Regierung der Vereinigten Staaten erfordere. Der schwedische Gesandte legte daraufhin seine Sache noch einmal in der abstrakten Form dar, deren sich die Regierung der Vereinigten Staaten gewöhnlich in Protestnoten bedient:

      Ich zweifle nicht daran, daß die von England vorgeschlagenen Mengen dem Normalen entsprechen, aber nach meiner Auffassung [307] ist das nicht der streitige Punkt: Hat ein Kriegführender das Recht, den Handelsverkehr zwischen zwei Neutralen zu beschränken? Die Theorie einer solchen Handlungsweise scheint abstoßend zu sein, selbst wenn die Beschränkung tatsächlich keine Beschränkung ist.

Hierauf antwortete der Staatssekretär sehr behutsam und der Schritt verlief ergebnislos. Der Schriftwechsel bleibt jedoch als Beweis für die schwedischen Absichten interessant. Mitte Juli hatte die britische Abordnung ihre Aufgabe, die Verhandlungen hinzuziehen, insoweit erfolgreich erfüllt, als zwei Entwürfe, ein schwedischer und ein britischer, von den Delegationen geprüft wurden. Die beiden Listen und die für diese gegebenen Garantien waren beiden Entwürfen gemeinsam. Die Schweden fügten jedoch die neue Bedingung hinzu, daß Schiffe, deren Papiere in Ordnung seien, nicht länger als 48 Stunden zurückgehalten werden dürften. Sie erklärten ferner, daß ihre Forderungen in der Post- und Telegrammfrage befriedigt werden müßten. Hier hatten wir einen festen Stand. Wir zensierten allerdings die Post von neutralen nach neutralen Ländern, aber nur, wenn sie durch unser Gebiet befördert wurde. Das war aber keinerlei Verletzung des Abkommens über die Unverletzlichkeit der Post auf hoher See. Es war in der Tat eine unabweisliche Pflicht jedes kriegführenden Staates, zu verhindern, daß keine dem Feinde förderliche Mitteilung sein Gebiet passierte. Die Zensur der Telegramme war aus dem gleichen Grunde notwendig..."190

Die Verhandlungen wurden weiter erschwert durch die Annahme gesetzlicher Maßnahmen für den Kriegsfall im Riksdag und durch öffentliche Äußerungen des Ministerpräsidenten, die auf die Möglichkeit einer Intervention zugunsten Deutschlands anspielten. "Um mit Mr. Vansittart zu sprechen, war jedes Wort ein Hindernis. Die Schweden maßen den Worten Nationalehre und Nationalstolz eine so große Bedeutung bei, daß sie entschieden Einwendungen gegen die Worte: reasonable quantities erhoben, die für sie einen Eingriff in die schwedische Souveränität darstellten."191


c) Der Abkommensentwurf und seine Ablehnung durch die britische Regierung

Bei dem Anfang August erfolgenden Abschluß der Verhandlungen kam uns die Feststellung unserer Sachverständigen sehr zugute, daß der Wert unserer Jahreseinfuhren nach Schweden den Wert der schwedischen Güter, die, wie Roheisen, Stahl und Grubenholz, für unsere Wirtschaft wichtig waren, erheblich überstieg. "Dank dieser günstigen Bilanz in den wichtigsten Handelszweigen gelang es den britischen Vertretern durch ein zu Beginn jeden Monats im gegenseitigen Einvernehmen neu festzusetzendes System des Güteraustausches den russischen Durchfuhrhandel und die Zufuhren schwedischer Güter zu sichern (Art. 1 und 2). In der Frage, die bei unseren Vertretern so viele Befürchtungen hervorgerufen hatte, ob Durchfuhrlizenzen nach Rußland und Wiederausfuhrlizenzen nach Deutschland gleichmäßig erteilt werden sollten, konnten die Abgesandten [308] keine befriedigende Lösung erzielen. Admiral Lindmann leugnete, daß seine Regierung beabsichtige, beide gleichzusetzen und seine Verneinung wurde zu Protokoll genommen. Die britischen Abgesandten waren jedoch überzeugt,192 daß der Admiral bei dieser Erklärung erhebliche innere Vorbehalte machte und wußten deshalb nicht, welcher Wert ihr beizumessen war. Der wesentlichste Teil des Abkommens war der dritte Artikel, der Mr. Vansittarts erstes Kompromiß enthielt, nach welchem die nicht auszuführenden Güter auf zwei Listen gesetzt werden sollten. Für Güter der ersten Liste sollten in keinem Falle Ausfuhrlizenzen erteilt werden. Güter der zweiten Liste sollten auf die Liste der Ausfuhrverbote gesetzt und nur für den schwedischen inneren Verbrauch eingeführt werden. Die beiden großen Zugeständnisse an die Schweden bestanden darin, daß keine Bestimmungen über die Abschätzung oder Anzeige der Zahlen des Normalverbrauchs vorgesehen waren und daß die britische Regierung eine Bescheinigung der 'Handelskommission' als genügenden Beweis dafür betrachten sollte, daß die für den schwedischen heimischen Verbrauch notwendigen Mengen nicht überschritten werden würden. Die britischen Abgesandten hatten jedoch einen Punkt durchgesetzt. Die Güter, für die die Bescheinigung der Handelskommission erteilt werden sollte, sollten vor der Abfahrt des Schiffes deklariert werden. Es ist möglich, daß diese Bedingung uns ein Recht auf Vorstellungen gegeben haben würde, falls Bescheinigungen in unrichtiger Weise erteilt worden wären. Die Abgesandten erklärten niemals unzweideutig, welchen Wert sie den schwedischen Versprechungen auf die Beschränkung der Einfuhren auf das Normalmaß beilegten. Da sie in den vergangenen Wochen darüber Klarheit erlangt hatten, daß andere Garantien nicht erhältlich waren, hielten sie es wahrscheinlich für fruchtlos, über ihren Wert nachzudenken. Die übrigen Artikel waren weniger wichtig. Ein Kompromiß wurde in der Frage der Zurückhaltungen durch die Zusage von Liegegeldern für Schiffe erzielt, die länger als drei Tage zurückgehalten wurden. Die Schweden erklärten sich zur Anerkennung unseres Rechts zur Zurückhaltung von Ladungen bereit, falls klare Beweise für deren feindliche Bestimmung vorlagen. Keine Zugeständnisse wurden den schwedischen Forderungen in der Frage der Post und Telegramme gemacht."193

"Dieser Abkommensentwurf war von den in Bern und im Haag verhandelten und von dem mit der dänischen Gilde beabsichtigten so verschieden, daß er mit Recht als eine Ausnahme unseres im Ausbau befindlichen allgemeinen Kontrollsystems bezeichnet werden konnte. Das Abkommen würde als solches für das ganze neutrale Europa die Ankündigung einer Schlappe unserer Politik gewesen sein. Das war aber nicht die einzige Gefahr. Die Beschränkung neutraler Einfuhren auf das Normalmaß war inzwischen als der einzige praktische Weg zur Durchsetzung der März-Order in Council erkannt worden. Selbst dann aber, wenn die Neutralen den Grundsatz anerkannt hatten und wenn sie ihre eigenen Schätzungen des Normalverbrauchs uns offen und unzweideutig mitteilten, war eine Einigung erst nach mühsamen Verhandlungen und Diskussionen über Ein- [309] zelfragen erreicht worden. Es war deshalb so gut wie sicher, daß die schwedischen Regierungsstellen, nachdem sie sich in dieser wesentlichen Frage, was für den heimischen Verbrauch notwendig sei und was nicht, zu Richtern gemacht hatten, Berechnungen und Schätzungen aufgestellt hätten, die selbst bei Mitteilung an uns von unseren Sachverständigen für zweifelhaft gehalten worden wären."194 Der aus der allgemeinen Haltung der Schweden sich ergebende Verdacht würde wahrscheinlich durch Untersuchungen über besonders hohe Einfuhrziffern und über zweifelhafte Ausfuhren nach Deutschland bestärkt worden sein.

Gleichwohl glaubte das Außenamt, aus diesen Gründen allein ein Abkommen nicht verwerfen zu können. War es doch vielleicht das Besterreichbare in einem Lande, das durch die Siege unserer Gegner sichtlich beeindruckt war. Die Auffassung des Außenamts bringen die folgenden, den Abgesandten erteilten Weisungen am besten zum Ausdruck:

      "Auch ich sehe es als für uns wichtig an, über die nächsten Wochen und sogar Monate hinwegzukommen, in denen wir besonders vermeiden müssen, daß Schweden einen Vorwand erhält, zu den Waffen zu greifen. Ich bin nicht davon überzeugt, daß der bloße Fehlschlag, zu einem Abkommen zu gelangen, tatsächlich solch einen Vorwand bieten oder Schweden zu einem Kriege oder zu einem noch unfreundlicheren Verhalten als das jetzige veranlassen würde. Aber wenn Sie und der Gesandte Seiner Majestät eine solche Möglichkeit befürchten, mag es notwendig werden, irgendein Abkommen zu schließen. Wenn jedoch jedes Abkommen, das erhältlich ist, sicher unbefriedigend ist, und wenn, was möglich erscheint, eine Änderung der politischen Lage auf dem Balkan und an den Dardanellen binnen kurzem unsere Stellung verbessert, dann wird es um so besser sein, je enger der Umfang des Abkommens ist, je geringer die Punkte sind, in denen wir Zugeständnisse machen und je länger die Verhandlungen bis zur Unterzeichnung fortgeführt werden. Wenn wir ein seinem Wesen nach schlechtes Abkommen haben müssen, bloß weil es gefährlich erscheint, keines zu schließen, so wird es gut sein, unsere Verpflichtungen soviel wie möglich auf allgemeine Grundsätze zu beschränken und die Schwierigkeiten bestimmter und ausgedehnter Zugeständnisse durch Formulierungen zu vermeiden, deren Unbestimmtheit es erlaubt, die Punkte, über die eine Einigung sich als unmöglich erweist, zu übergehen und ungeregelt zu lassen. Ich empfehle Ihnen deshalb, als den unter den gegebenen Umständen am wenigsten zu Bedenken Anlaß gebenden Weg, nach besten Kräften die schwedischen Vorschläge auf der bisher befolgten Linie in allgemeiner Form zu erörtern und dabei die erreichbaren Zugeständnisse zu erwirken und im Falle einer drohenden Stockung Ihre Zuflucht zu einer allgemeinen Formel zu nehmen. Es erscheint wünschenswert, klarzustellen, daß Sie weder die Regierung Seiner Majestät bestimmt verpflichten, noch deren besondere Ermächtigung haben, einzelne Vor- [310] schläge zu machen oder vorläufig anzunehmen. Ihre allgemeine Haltung sollte auf die Paraphierung eines Abkommensentwurfes ad referendum gerichtet sein, das Seiner Majestät Regierung in der Hoffnung, wie Sie es ausdrücken können, unterbreitet werden soll, daß die vollständigeren Erläuterungen, die Sie bei Überbringung des Entwurfs mündlich vorbringen werden, sie schließlich zu seiner Annahme bewegen wird.
      Dieses Verfahren würde es gestatten, die Abordnung gegebenenfalls ohne den Anschein eines Bruchs zurückzurufen, und würde uns instand setzen, nach Rücksprache mit Ihnen zu entscheiden, ob letzten Endes die von Schweden geforderten großen Zugeständnisse gemacht werden sollen.
      In der Zwischenzeit steht es in unserer Macht, echte schwedische Wünsche mit derjenigen Großzügigkeit zu befriedigen, die die Lage in Rußland und unsere eigenen Bedürfnisse schwedischer Waren erfordern."195

Da die militärische Lage im Spätsommer 1915 immer noch undurchsichtig erschien, so war ein weiterer Zeitgewinn dringend erwünscht. Das Außenamt entschloß sich daher, die Delegation zu einer Besprechung über die bisherigen Ergebnisse nach London zurückzurufen. Der schwedischen Regierung wurde mitgeteilt, daß man sich nicht vor Mitte September über die Annahme des Abkommens äußern könne.

"Als der vollständige Text des Abkommens im Außenamt vorlag, sprach sich Mr. Parker von der Banngutabteilung entschieden gegen seine Annahme aus. Dem wurde zugestimmt, denn Sir Edward Grey zeichnete Mr. Parkers Aufzeichnung gegen und ließ sie dem Kabinett im Umlauf vorlegen. Inzwischen zeigte es sich, daß das System des gegenseitigen Austausches wesentlicher Güter und des Aushandelns des russischen Durchfuhrhandels mit Lizenzen für Kohle, Gummi, Gerbstoffe, Zinn und Wolle - ein System, um dessen Ausarbeitung sich die Abordnung so bemüht hatte - auch ohne Abkommen funktionierte. Eine Reihe von zeitweiligen Abmachungen wurden zwischen Herrn Wallenberg und Mr. Howard vereinbart, und Herr Wallenberg deutete an, er ziehe einem Abkommen, das von beiden Seiten verschieden ausgelegt würde, einen vertraglosen Zustand vor und sei bereit, die Handelsbeziehungen zwischen den beiden Ländern durch dieses periodisch erneuerbare Aushandeln zu regeln. Diese vorläufigen Aushilfen, die von Zeit zu Zeit nach hartem Feilschen aber doch ohne ernste Schwierigkeiten erneuert wurden, bestärkten Sir Eyre Crowe in seiner in der ersten Phase der Verhandlungen ausgedrückten Meinung, daß Schweden nicht beabsichtige, in den Krieg einzutreten und daß wir ohne Abkommen die Möglichkeit hätten, die Anhäufung großer Vorräte in dem Lande zu verhindern.

      Die Vorteile eines Abkommens (schrieb er) hören in dem Augenblick auf, in dem die angebotenen Sicherungen in der Praxis als nicht verläßlich befunden werden. Das hat sich in einem früheren [311] Stadium bei Schweden gezeigt... Von diesem Gesichtspunkt aus werden wir besser ohne als mit einem Abkommen fahren. Wir werden auch überlegen müssen, wie bisher ohne ein Abkommen mit der Schweiz auszukommen... Ich stimme deshalb mit dem schwedischen Außenminister darin überein, daß es im ganzen genommen vorzuziehen ist, kein Abkommen mit Schweden zu haben. Ich sehe nicht voraus, daß das die Beziehungen mit Schweden schwieriger als jetzt gestalten wird. Es ist uns nicht gelungen, sie zu verbessern. Das ist alles.

Beide Seiten sahen also voraus, daß die Lage in den auf die Zurückberufung unserer Abordnung folgenden Wochen durch kein Abkommen geregelt sein würde. In diesen selben Wochen wurde ferner ein Überblick über die militärische Lage, die so zweifelhaft gewesen war und das Außenamt so beeinflußt hatte, leichter. Die alliierten Heere hatten zwar keinen der vom Außenamt bei Absendung der letzten Weisung erhofften Erfolge erzielt. Die britischen Heere waren in Suvla gehemmt und in Helles angehalten worden. Auf dem westlichen Kriegsschauplatz hatten die französischen und britischen Heere die deutschen Linien angegriffen, waren aber zurückgeschlagen worden. Andererseits wurden die großen Sorgen über die russischen Heere langsam zerstreut, denn Ende September standen sie auf einer Linie, die sie bis zum Ende des Jahres hielten. Maßnahmen zur Wiederbewaffnung und Ausrüstung der Russen nahmen unaufhörlich ihren Fortgang und es bestand kein Zweifel mehr, daß die russischen Heere im kommenden Frühjahr noch im Felde stehen würden. Unter diesen Umständen entschloß sich die Banngutabteilung unter voller Zustimmung Sir Eyre Crowes, ein neues Abkommen nach dem Muster der anderenorts verhandelten Abkommen auszuarbeiten und es den Schweden mit dem Hinweis zu übermitteln, es enthielte alles, was wir vielleicht bewilligen könnten. Eine Abänderung könne nicht erwogen werden. Dieser Entwurf wurde am 10. Oktober überreicht. Herr Wallenberg, der einsah, daß jede Hoffnung auf Abschluß eines förmlichen Abkommens vorüber sei, antwortete, daß man die Dinge ohne großen Schaden wie bisher weiterlaufen lassen solle. Die Verhandlungen wurden bald darauf in einem Notenaustausch für beendet erklärt."196







170S. 327. ...zurück...

171S. 332. ...zurück...

172S. 334. ...zurück...

173S. 334. ...zurück...

174S. 335. ...zurück...

175S. 327. ...zurück...

176S. 328. ...zurück...

177S. 328. ...zurück...

178S. 329. ...zurück...

179S. 329. ...zurück...

180S. 330. ...zurück...

181S. 331. ...zurück...

182S. 331. ...zurück...

183S. 335. ...zurück...

184S. 336. ...zurück...

185S. 336. ...zurück...

186S. 337. ...zurück...

187S. 337. ...zurück...

188S. 338. ...zurück...

189S. 339. ...zurück...

190S. 339. ...zurück...

191S. 340. ...zurück...

192S. 340. ...zurück...

193S. 341. ...zurück...

194S. 340 [Scriptorium merkt an: richtig S. 341]. ...zurück...

195S. 342. ...zurück...

196S. 343. ...zurück...






Die englische Hungerblockade im Weltkrieg 1914-15.
Nach der amtlichen englischen Darstellung der Hungerblockade
von A. C. Bell.
Bearbeitet und eingeleitet durch Dr. Viktor Böhmert,
Professor an der Universität Kiel.