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Teil III: Die Durchführung der Hungerblockade bis zum Herbst 1915   (Forts.)

H. Die Erklärung der Baumwolle zum Banngut

Die Einbeziehung des Baumwollhandels zwischen Amerika und Nordeuropa in das Rationierungssystem war eine selbständige Kriegsmaßnahme. Aus den verschiedensten Gründen war es nicht möglich, einen Hauptausfuhrartikel des größten Ausfuhrlandes der Welt ebenso zu behandeln wie die Stoffe, die in den Abkommen mit den nördlichen Neutralen geregelt worden waren.

"Als die Frage zuerst dringend wurde, waren die Beamten der Banngutabteilung nicht alle darüber einig, ob man das Banngutrecht als ein nützliches Hilfsmittel des Rationierungssystems ansehen solle. Die Frage stand so: insofern die März-Order eine Order zur Anhaltung des gesam- [279] ten Feindhandels war und insofern ein Rationierungssystem als zweckmäßigste Methode zur Durchführung der Order angesehen wurde, bestanden gute Gründe dafür, Artikel des allgemeinen Handelsverkehrs ohne Rücksicht darauf, ob sie Banngut waren oder nicht, in den Bereich des Systems einzubeziehen. Dagegen wurde allerdings geltend gemacht: was für Abkommen auch immer mit den Neutralen geschlossen würden und wieviel Artikel man auch immer auf die Rationierungslisten setzen werde, die Anhaltung von Schiffen und Ladungen auf bloßen Verdacht hin und in terrorem werde immer ein Teil des Systems sein und könne glaubwürdiger entschuldigt werden, wenn die zurückgehaltenen Ladungen Banngut seien. Diese beiden Systeme wurden die Blockade- und die Banngutpolitik genannt. Aber wenn auch die Meinungen über beide sehr geteilt waren, so waren sich doch alle verantwortlichen Beamten darüber im klaren, daß Baumwolle zum Banngut erklärt werden müsse, bevor der Handel damit reguliert werden könne. Diese Erklärung konnte jedoch nur nach sorgfältiger diplomatischer Vorbereitung erlassen werden, denn in den ersten Kriegsmonaten, als der Wirtschaftsfeldzug kaum begonnen hatte, hatte die britische Regierung Versprechungen gegeben, die schwer umzustoßen waren. Die Gründe für die Abgabe dieses Versprechens waren folgende:

Als die ersten Presseangriffe auf die Regierung erfolgten, weil sie Baumwolle nicht zum Banngut erklärte, hatte, wie bereits erwähnt, Sir Edward Grey einen Ausschuß technischer Sachverständiger aus der Admiralität und dem Kriegsamt einberufen. Diese hatten berichtet, daß keine vernünftigen sachlichen Gründe dafür bestünden, Baumwolle zum Banngut zu erklären. Sie fügten eine Anzahl dagegen sprechender politischer Gründe hinzu, z. B. daß die Vereinigten Staaten dadurch verärgert, die Lancashirespinner dadurch beunruhigt würden usw. Diese Sachverständigen dachten wahrscheinlich mehr an Politik als an militärische Operationen, als sie ihren Rat gaben, der vielleicht der seltsamste war, den jemals berufliche Sachkenner über einen ihnen beruflich vertrauten Gegenstand abgaben. Losgelöst von technischen Einzelheiten kann die Verbindung zwischen Baumwolle und Sprengstoffen so geschildert werden: Ein Stoff, den die Chemiker Zellulose nennen, ist das Grundgewebe aller pflanzlichen Gewächse,152 die in Textilien, Textilersatz, Textilpulpe und Zelluloidfilme umgewandelt werden können. Vor allen diesen Gewächsen enthält Baumwolle die meiste Zellulose (90%). Zellulose an sich ist nur brennbar, wird aber bei Nitrierung, d. h. bei Behandlung mit starker Salpeter- oder Schwefelsäure, der Grundstoff für eine große Zahl von Spreng- und Treibstoffen. Ungefähr vier Zehntel Pfund Baumwolle werden zur Herstellung von einem Pfund Cordite und ungefähr ein Viertelpfund Baumwolle zur Herstellung von einem Pfund Ballistite gebraucht. Baumwollabfall ist gewiß die in den Munitionsfabriken am leichtesten zu verwendende Form von Baumwolle, aber bei zusätzlichen Betriebsanlagen ist Baumwolle in jeder Form verwendbar. Die von den Munitionsfabriken einer kriegführenden Nation verbrauchten Mengen können aus folgenden Tatsachen entnommen werden: Im Frühsommer 1915 eröffnete das Munitionsministerium Ver- [280] handlungen mit einem als Britische und ausländische Versorgungsgesellschaft bekannten Baumwollkonzern. Als Ergebnis der Verhandlungen wurden alle Spinnereien des Konzerns der Regierung zur Verfügung gestellt. Nach dem Programm des Ministeriums sollten die Spinnereien den Fabriken jährlich 15 000 Tonnen Abfälle liefern und nach Einrichtung zusätzlicher Anlagen diese Mengen auf 40 000 Tonnen jährlich erhöhen.

Als die Regierung im Oktober 1914 entschied, daß Baumwolle nicht zum Banngut erklärt werden sollte, wurde Sir Cecil Spring-Rice angewiesen, dem amerikanischen Staatssekretär in dieser Frage Zusicherungen abzugeben. Er führte diese Weisung durch ein an Mr. Bryan gerichtetes Schreiben aus, das eine im Namen Sir Edward Greys selbst gegebene Zusicherung enthielt:

      Baumwolle ist nicht auf irgendeine von unseren Banngutlisten gesetzt worden. Wie Ihr Ministerium aus dem in Ihrem Besitz befindlichen Proklamationsentwurf wissen muß, wird nicht beabsichtigt, sie in unsere neue Banngutliste aufzunehmen. Sie steht, soweit es Deutschland betrifft, auf der Freiliste und wird dort bleiben."

Hierdurch gegen jedes Risiko gesichert, verschifften die amerikanischen Baumwollmakler in den ersten fünf Monaten des Jahres 1915 3 353 638 Zentner Baumwolle nach Skandinavien und Holland, während ihre Normaleinfuhren in diese Länder nur rund 200 000 betrugen. Auch die City beteiligte sich lebhaft an diesem gewinnbringenden Geschäft, ohne daß die Presse, die einen heftigen Kampf gegen die Haltung der Regierung führte und täglich nachwies, daß Baumwolle für den Munitionsfabrikanten dasselbe bedeute wie Ziegel für den Bauhandwerker, den geringsten Anstoß daran nahm. Zwischen Januar und Mai 1915 führten wir 504 000 Zentner Baumwolle nach den Randneutralen aus, ungefähr das Fünfzehnfache der normalen Ausfuhr für fünf Monate. Ein großer Teil unserer Lieferungen erfolgte sogar nach dem Erlaß der März-Order, also nach der Erklärung des unbeschränkten Wirtschaftskriegs.

Die Zahlen für April und Mai sind folgende:

    Norwegen:   Gesamteinfuhr an Baumwolle 2 237 Tonnen,
    Britische Einfuhr 1 183 Tonnen,
    Normaleinfuhr 650 Tonnen.
    Schweden: Gesamteinfuhr an Baumwolle   17 331 Tonnen,
    Britische Einfuhr 1 500 Tonnen,
    Normaleinfuhr 3 900 Tonnen.
    Holland: Gesamteinfuhr an Baumwolle 16 217 Tonnen,
    Britische Einfuhr 5 352 Tonnen,
    Normaleinfuhr 9 000 Tonnen.

Nach dem Erlaß der März-Order unterlagen Baumwolladungen derselben Behandlung wie jede andere Ladung, d. h. sie konnten beschlagnahmt werden, wenn der Empfänger keine Garantie gegen die Wiederausfuhr gab. Die Regierung erklärte sich jedoch bereit, die vor dem 31. März verschiffte Baumwolle aufzukaufen, falls die Kauf- und Frachtverträge vor dem 2. März abgeschlossen worden waren, und gab in den nächsten Monaten einige zwei Millionen Pfund Sterling für den Ankauf von Baum- [281] wolle aus. Die Aufkäufe trugen dazu bei, daß die amerikanische Regierung keine Schritte in dieser Frage unternahm.

Als sich die neue Baumwollernte näherte, reichten Übergangsmaßnahmen nicht aus. Eine Generalbereinigung war unerläßlich. Das Kabinett ernannte deshalb einen interministeriellen Ausschuß, um die Entscheidung herbeizuführen. Dem Ausschuß war die Auffassung Sir Eyre Crowes und der Beamten der Banngutabteilung bekannt, welche überzeugt waren, daß der ihrer Auffassung nach unvermeidliche Streit mit Amerika über die Handelssperre durch unsere Erklärung der Baumwolle zum Banngut eher gemildert als verschärft werden würde. "Was für Proteste die amerikanische Regierung in der Folgezeit auch immer erheben würde, so konnte doch wenigstens angenommen werden, daß sie geneigter war, in die Beschlagnahme und Zurückhaltung einer Ladung einzuwilligen, weil sie Banngut war, als deswegen, weil sie auf Grund einer Order in Council, deren Rechtmäßigkeit sie nicht anerkannt hatte, der Beschlagnahme unterlag. Niemand weder in Amerika noch in Europa konnte noch darüber im Zweifel sein, daß Baumwolle nach dem strengen Völkerrecht absolutes Banngut war."153 In den Kreisen des Kabinetts machten sich jedoch auch starke Einflüsse gegen die Erklärung von Baumwolle zum Banngut geltend.

Lord Grey hat in seinen Erinnerungen dargelegt, wie sehr er fürchtete, daß unsere Handelsbeschränkungen allmählich einen aktiven Widerstand der Vereinigten Staaten hervorrufen könnten, und hatte deshalb die Frage der Baumwolle sich und dem Kabinett vorbehalten.

Offenbar in der Absicht, sich die amerikanische Regierung zu verpflichten, bot er in seinen Unterredungen mit Oberst House diesem zweimal eine Lockerung der britischen Blockade an, zunächst bei der Erklärung des deutschen U-Bootkrieges und später während des Streits zwischen der Union und Deutschland über die Versenkung der Lusitania. Am 14. Juni, dem Tage der Rückkehr des Obersten House nach Amerika, sandte er aus dem Urlaub einen Brief an seinen Stellvertreter, Lord Crewe, in dem er eine allgemeine Lockerung verlangte. In ihm heißt es:

      "...ich glaube, die Regierung sollte darüber einen Entschluß fassen, ob es nicht in Zukunft zu unserem Vorteil sein wird, dem, was man Freiheit der Meere nennt, zuzustimmen. Wir sind mehr davon abhängig, als jemals ein anderes Land gewesen ist, daß das Meer für unseren Handel frei bleibt. Es ist wahrscheinlich, daß die Entwicklung der U-Bootwaffe es uns in wenigen Jahren unmöglich machen wird, jemals wieder die See für einen Feind zu schließen und für uns offen zu halten. Wenn dem so ist, so sollten wir uns entschließen, in den endgültigen Friedensbedingungen am Ende dieses Krieges der Unverletzlichkeit des Seehandels für die Zukunft zuzustimmen. Wenn diese Voraussetzung und Schlußfolgerung richtig sind, dann steht die praktische Frage zur Entscheidung, welche Konzessionen, Bedingungen und Garantien wir als Gegenleistung für unsere Zustimmung zu der künftigen Freiheit der Meere fordern sollen, wenn diese uns entweder durch oder seitens der Vereinigten Staaten vorgeschlagen wird.
[282]   Eine andere praktische Frage ist, ob wir irgend etwas Wesentliches verlieren würden, wenn wir aufhörten, die Einfuhr aller Nahrungsmittel nach Deutschland über neutrale Häfen zu verbieten und, soweit Nahrungsmittel in Frage stehen, zu den gewöhnlichen Regeln über bedingtes Banngut zurückkehrten.
      Wenn wir uns dafür entscheiden, daß eine Änderung unserer Politik und Haltung in diesen beiden Fragen wünschenswert ist, können wir m. E. leicht erreichen, daß die Friktion zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten nicht auf uns überwälzt wird. Wir würden dann unsere jetzige vorteilhafte Stellung in den Vereinigten Staaten aufrechterhalten und wahrscheinlich verbessern. Wenn wir uns andererseits dafür entscheiden, eine starre und unbeugsame Haltung in diesen beiden Fragen von überragender Bedeutung zu bewahren, müssen wir als Folge der Möglichkeit von Unannehmlichkeiten mit den Vereinigten Staaten entgegensehen.
      Es ist wichtig, ohne Aufschub zu entscheiden, welche von diesen beiden politischen Möglichkeiten den Interessen des Landes entspricht. Wir müssen es vermeiden, in eine Lage hineinzutreiben, in der wir die Nachteile der letzteren Möglichkeit spüren und dann später entdecken, daß die erstere Möglichkeit die bessere Politik gewesen wäre. Und wenn die erstere Möglichkeit, wie ich glaube, die bessere Politik ist, so sollte die Entscheidung dafür so bald wie möglich getroffen werden, denn wir können sie dann in unseren Verhandlungen mit den Vereinigten Staaten zu großen diplomatischen Vorteilen ausmünzen. Ich würde es begrüßen, wenn der Brief Asquith vorgelegt würde."154

Der Eindruck, den dieser Brief auf Herrn Asquith und das Kabinett machte, ist aus den Akten nicht ersichtlich. Jedenfalls wurde keinerlei Anordnung über eine Auflockerung der Blockade und eine Einstellung der Banngutverhandlungen erlassen. Sir Edward Grey kam kurz darauf, als die Vereinigten Staaten gegen die Zurückhaltung der Neches protestierten, die Anilinfarben deutschen Ursprungs von Holland nach Amerika beförderte, auf seine Bedenken gegen unsere Blockadepolitik zurück. "In seiner üblichen Weise stützte das Staatsdepartement seine Behauptung, daß die Neches nicht habe aufgebracht werden dürfen, auf eine in scharfer, herausfordernder Weise geltend gemachte, abstrakte Rechtsregel:

      Das Departement wünscht, daß Sie dem Außenamt höflich aber nachdrücklich davon Kenntnis geben, daß die Rechtmäßigkeit der Beschlagnahme nicht anerkannt werden kann und daß sie nach Meinung dieser Regierung das Recht der Bürger einer Regierung, mit denen einer anderen Handel zu treiben, und zwar auch mit denen der Kriegführenden, abgesehen vom Bannguthandel und dem Bruch der rechtmäßigen Blockade eines Feindhafens verletzt. Das Departement muß auf dem Recht amerikanischer Eigentümer bestehen, ihre Waren zu gegebener Zeit auf neutralen Schiffen aus Holland zu ver- [283] senden, selbst wenn solche Güter aus dem Gebiet der Feinde Großbritanniens stammen sollten.

Wenn die buchstäbliche Bedeutung dieser Worte dem inneren Sinn der Note entsprochen hätte, so hätte das Staatsdepartement sicherlich damit der März-Order offenen Kampf angesagt. Aber Sir Cecil Spring-Rice überzeugte sich durch Sondierungen davon, daß das nicht vom Staatsdepartement beabsichtigt war. Das Telegramm nach London war ihm zwar zur Kenntnis gegeben worden, stammte aber von einem untergeordneten Ministerium, das sich im allgemeinen nicht mit diesen Dingen befaßte. Sir Cecil Spring-Rice teilte dem Rechtsberater des Staatsdepartements, der ihm das Telegramm zeigte, mit, daß Entscheidungen des obersten Bundesgerichts zur Widerlegung der in der Note vertretenen Doktrin angeführt werden könnten, und das Staatsdepartement verfolgte die Sache nicht weiter."155

Obgleich durch die Versicherungen der amerikanischen Regierungsstellen die Harmlosigkeit des Protestes klargestellt war, verfaßte Sir Edward Grey einen besonderen Bericht an das Kabinett über diesen Zwischenfall, in dem er warnend auf die drohenden Schwierigkeiten mit den Vereinigten Staaten im Falle der starren Aufrechterhaltung unserer bisherigen Politik hinwies. Das Schreiben bezog sich zwar nicht auf Baumwolle, war aber dazu angetan, die Bedenken gegen eine Erweiterung der Banngutliste auf Baumwolle innerhalb des Kabinetts zu stärken.

Die entgegengesetzte Auffassung fand einen starken Rückhalt an der französischen Regierung, die sich gegen jede Lockerung der Blockade aussprach und darauf hinwies, daß sie in der Welt den Eindruck einer allgemeinen alliierten Niederlage hervorrufen würde. Man würde sicherlich überall erklären, nach der Niederlage der Russen sei nun auch die Seefront unter dem Druck des deutschen U-Bootkrieges und der Neutralen ins Wanken geraten.

Unter dem Drängen der Befürworter der Maßnahme, zu denen außer Sir Eyre Crowe - der in einem Memorandum darauf hinwies, daß inzwischen die Baumwollindustrie in Deutschland unter Regierungskontrolle gestellt worden sei - noch Lord Crewe und Lord Robert Cecil gehörten, wäre die Entscheidung wahrscheinlich schon im Juli zugunsten einer Erklärung der Baumwolle zum Banngut gefallen, wenn nicht plötzlich Sir Cecil Spring-Rice alarmierende Berichte aus Washington gesandt hätte.

Dieser hatte sich in seinen ersten Berichten ziemlich optimistisch geäußert (6. und 7. Juli). Die Erklärung würde zwar die Erregung im Süden sehr verstärken und die meisten südlichen Kongreßmitglieder veranlassen, sich gegen die Waffenausfuhr nach den Alliierten auszusprechen. Wenn jedoch der Baumwollpreis durch eine Auffanggesellschaft gehalten und eine bestimmte Ausfuhrmenge nach den neutralen Staaten garantiert werden könne, so sei die Erklärung durchführbar.

In einem späteren Bericht warnte er jedoch dringend vor übereilten Maßnahmen (14. Juli).

[284]   "Lage wird hier sehr ernst. Wir sind wenigstens noch anderthalb Jahre lang von den Kriegslieferungen dieses Landes abhängig. Ein von verschiedenen Organisationen unterstützter Feldzug, von denen einige nicht mit Deutschland sympathisieren, aber auf paralleler Linie handeln, wird gegen die Munitionsausfuhr geführt und die Bewegung ist im Wachsen. Unter diesen Umständen ist es notwendig, daß wir die öffentliche Meinung durch jede erdenkliche Maßnahme beschwichtigen, wo das möglich ist, durch materielle Interessen. Baumwollinteressen, welche den Süden und die Verwaltung beherrschen. Fleischinteressen, die die mittleren Staaten beherrschen. Standard Oil-Konzern, der große Macht in New York besitzt, sympathisiert eben so wie eine angesehene Persönlichkeit mit uns. Aber sie nehmen zu Recht oder Unrecht an, daß ihre Interessen nicht geachtet werden. Ich erlaube mir, Sie daran zu erinnern, daß der mir als Berater in diesen Fragen zugeteilte Crawford, dessen Eifer und großes Können außer Frage steht, vollkommen meine und aller mit uns Sympathisierenden Meinung teilt,156 daß etwas geschehen und zwar bald geschehen muß, um die mächtigen Interessen, die sich verletzt fühlen, zu beschwichtigen... Mit größtem Nachdruck bitte ich Sie, die Angelegenheit in ernsteste Erwägung zu ziehen und dem Kabinett vorzulegen. (15. Juli.)"157

Zu gleicher Zeit brachten auch die bei dem Staatssekretär vorgenommenen Sondierungen unbefriedigende Ergebnisse. Lansing erklärte, die Angelegenheit mache ihm Sorgen und wies Page an, Sir Edward Grey an sein im Oktober gegebenes Versprechen zu erinnern. Hierdurch sah sich Grey, der sich inzwischen grundsätzlich für die Erklärung der Baumwolle zum Banngut ausgesprochen hatte, zu der Antwort gezwungen, daß zunächst keine Entscheidung getroffen werden solle.

"Die Absendung der ersten Weisungen für Mr. Page war jedoch nur ein Manöver des Staatssekretärs, um Zeit zu gewinnen, gewesen, denn zwei Tage später empfing er unseren Gesandten und sagte ihm im Beisein Mr. Chandler Andersons, die Erklärung der Baumwolle zum Banngut sei vermutlich der beste Weg. Dies kann als die entscheidende Anregung angesehen werden, denn nach Empfang dieser Zusicherung hatten unsere Regierungsstellen freie Hand, um die Erklärung zu erlassen, sobald sie ihre Pläne zur Aufrechterhaltung des Preises vollendet hatten.

Seit den ersten Empfehlungen Sir Cecil Spring-Rices in dieser Frage war die Aufrechterhaltung des Preises vom Handelsamt geprüft worden, das auf den Rat seines Sachverständigen Rose dem Plan zuneigte, erheblich mehr als die von dem Botschafter empfohlenen zwei Millionen Ballen aufzukaufen. Sir Richard Crawfords Ermittlungen überzeugten ihn jedoch, daß das nicht nötig sei, denn dieser war kurz vorher mit158 dem Leiter des Baumwollausschusses des Federal Reserve Board, Mr. Harding, in Verbindung getreten, der überzeugt war, daß keine Gefahr eines Preissturzes bestehe und daß die britische Regierung beim Fallen der Notierungen durch [285] gelegentliche Käufe zu 8 Cents pro Pfund den Preis stetig erhalten könnte. Das wurde tatsächlich von Mr. Rose getan, der im Herbst nach Amerika reiste. Nach diesen Unterredungen konnte Sir Cecil Spring-Rice berichten, daß Präsident Wilson sich ganz befriedigt über unsere Vorkehrungen ausgesprochen habe. Rohbaumwolle, Baumwollabfall und Baumwollgarn wurden daraufhin am 20. August zum Banngut erklärt und die Erklärung wurde in ganz Amerika mit Ruhe aufgenommen."159

Die Erklärung für die Schwierigkeiten in Amerika war eine künstlich erzeugte Erregung in der amerikanischen Hauptstadt. "Die Sperre der deutschen Ausfuhren hatte unerwartet den Streit angefacht, weil er eine große Anzahl von Personen verärgerte. Deutsche Spielzeugwaren werden z. B. zu Weihnachten an Millionen von Amerikanern verteilt und die Ladeninhaber des ganzen Landes verkündeten, daß es in diesem Jahre keine geben würde. Dieser ziemlich unbedeutende Umstand spornte die Färbereien, die dringend Anilinfarben benötigten, zu Klagen an und gab Senator Hoke Smith, der sich inzwischen zum Führer der mit unserer Politik Unzufriedenen aufgeschwungen hatte, eine außergewöhnliche Gelegenheit, mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln die Südstaaten aufzustacheln. Im Juni hielt er eine große Versammlung im Hotel Biltmore ab und erreichte die Annahme einer aufhetzenden Entschließung, die dem Staatsdepartement übermittelt wurde. Durch Verstärkung seiner Agitation in den Südstaaten erreichte er sodann, daß beide Häuser der gesetzgebenden Versammlung in Georgia Entschließungen annahmen: den Präsidenten aufzufordern, die Aufhebung der englischen Blockade durch diplomatischen Protest und notfalls durch Vergeltung und Repressalien zu erzwingen."160 Seine Agitation fand jedoch in der Baumwollfachpresse selbst Widerspruch, die nachwies, daß Deutschland und Österreich im Jahre 1914 mehr Baumwolle als vorher in den Vereinigten Staaten gekauft hätten und demnach also die britische Blockade für den Rückgang des Baumwollpreises nicht verantwortlich sein könne. Diese Argumente, die von den Washingtoner Zeitungen aufgegriffen wurden, waren an sich jedoch nicht zur Beruhigung der Pflanzer geeignet, sondern im Gegenteil dazu angetan, sie weiter zu alarmieren, weil sie bei Schließung der deutschen und österreichischen Märkte ein weiteres Sinken des Preises erwarten ließen. Doch hier griff wiederum die Fachpresse mit entscheidender Wirkung ein, denn sie wies nach, daß die Amerika erteilten Munitionsaufträge den heimischen Verbrauch an Baumwolle so gesteigert hätten, daß sich der Verlust des deutschen und österreichischen Marktes nicht fühlbar machen werde. Das war in der Tat der Fall, denn im Oktober lag der Durchschnittspreis für Baumwolle über der 8-Cent-Grenze, auf der wir ihn zu halten versprochen hatten.







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Die englische Hungerblockade im Weltkrieg 1914-15.
Nach der amtlichen englischen Darstellung der Hungerblockade
von A. C. Bell.
Bearbeitet und eingeleitet durch Dr. Viktor Böhmert,
Professor an der Universität Kiel.