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Teil III: Die Durchführung der Hungerblockade bis zum Herbst 1915   (Forts.)

G. Die Verhandlungen mit der Schweiz

Wie schon früher ausgeführt, wurden die wichtigsten Ausfuhrgüter der Schweiz, verfeinerte Nahrungsmittel wie kondensierte Milch, Schokolade und Käse, feine Seiden und Baumwollartikel sowie billige Uhren aus Banngut oder mit Hilfe von Banngut hergestellt. Der größte Teil der zur Herstellung aller dieser Güter erforderlichen Kohle stammte aus Deutschland. Die Hauptlieferanten für Seide waren Italien und Frankreich, für Baumwolle England und Deutschland und für Wolle Deutschland und das britische Reich. Die meisten Metalle wurden auf dem deutschen Wiederausfuhrmarkt gekauft.

"Hieraus ergibt sich, daß die Anwendung des in unsere ersten Abkommen mit den Neutralen aufgenommenen Prinzips des derivativen Bannguts auf die Schweiz es notwendig gemacht hätte, entweder alle auf dem deutschen Markt verkauften Nahrungsmittel, Textilien und Uhren zu kaufen und gleichzeitig das Land mit Kohle, Metallen, Wolle, Seide und Baumwolle zu versorgen oder aber das Land als Feind zu behandeln. Da keine dieser Alternativen denkbar war, so mußte man die große Masse der schweizer Ausfuhren außerhalb jedes Abkommens lassen. Es blieben noch die Maschinenindustrie und die chemische Industrie."140

Auch diese Industrien wiesen Besonderheiten auf, die eine logische Regelung behinderten. Erstens wurden sie mit deutscher Kohle betrieben. Ein Ersatz durch britische Kohle erwies sich wegen der hohen Kosten und der Schwierigkeiten des Transports seineaufwärts nach Besançon als nicht durchführbar. Der deutschen Regierung blieb dadurch die Möglichkeit, auf Lieferung eines gewissen Anteils der Erzeugung zu bestehen. Zweitens war eine starke Verflechtung mit der fremden, besonders der deutschen und [272] französischen Industrie vorhanden. Die wichtigsten schweizer Unternehmungen hatten zahlreiche Tochterunternehmungen in den benachbarten Industriestaaten, z. B. die Brown Bowery Comp. Ein Vorgehen gegen das Mutterhaus konnte also unerwünschte finanzielle und betriebsmäßige Auswirkungen auf wichtige Firmen in den alliierten Ländern haben. Die meisten der großen schweizer Werke führten ferner Kriegslieferungen für beide Kriegsparteien aus, so daß Maßnahmen gegen die nach Deutschland gehenden Lieferungen gleichzeitig diejenigen nach den Alliierten zum Stillstand gebracht haben würden. Aus der europäischen Verflechtung der schweizer Industrien ergab sich drittens der "trafic de perfectionnement". Dieser beruhte auf einer mit der deutschen Großindustrie vereinbarten Arbeitsteilung, nach der diese die Verarbeitung der von der schweizer Industrie gekauften Rohstoffe zu Halbfabrikaten (passif de perfectionnement) übernahm, während umgekehrt die schweizer Industrie für die deutsche Großindustrie die feinere Verarbeitung der ihr von dieser gelieferten Rohstoffe und Halbfabrikate ausführte (actif de perfectionnement). Die Folge war, daß ein ständiger Strom von Metalladungen nach beiden Richtungen über die schweizer Grenze strömte. "Unsere Regierungsstellen waren sehr an dem passif interessiert, denn die schweizer Industriemagnaten verhehlten niemals, daß von den Alliierten erhaltene Metalladungen nach Deutschland zur Aufarbeitung gesandt werden würden. Die Schweizer behaupteten zwar, daß ihre mit den deutschen Firmen geschlossenen Verträge eine genügende Garantie für die Rücksendung seien. Unsere Behörden, die Kenntnis von der Metallknappheit in Deutschland hatten, befürchteten aber naturgemäß, daß diese Metalle nach dem Überschreiten der Grenze von der deutschen Regierung requiriert werden würden."141

Nach Abschluß des Banngutabkommens vom Dezember 1914, in dem die schweizer Regierung die Aufrechterhaltung ihrer Ausfuhrverbote versprochen hatte, waren beide Teile im wesentlichen auf ihrem unvereinbaren Standpunkt stehengeblieben. "Die Schweizer konnten geltend machen und taten es auch, daß das Haager Abkommen neutrale Regierungen nicht zum Verbot der Ausfuhr von Banngut zwänge. Der Bundesrat habe also bereits mehr getan als ihm durch die Pflichten der Regeln des internationalen Brauchs vorgeschrieben sei und könne nach Belieben Ausfuhrerlaubnisse erteilen. Andererseits konnte die britische Regierung geltend machen, sie habe ein anerkanntes Recht, Banngut am Erreichen des Feindes zu verhindern. Durch die Erklärungen der schweizer Regierung wurden tatsächlich alle Banngutladungen mit schweizer Bestimmung verdächtig. Fügten doch die Schweizer ihren Vorbehalten in der Frage der verbotenen Ausfuhren bald die Erklärung hinzu: La possibilité d'importer des matières premières n'a de valeur pratique pour l'industrie suisse que si elle peut disposer de ses produits. Zu diesem allgemeinen Verdacht kam der Verdacht gegen zahlreiche Firmen mit deutschen Verbindungen, die wir für verdächtige Adressaten hielten, die die schweizer Regierung aber als nationale Konzerne betrachtete, die zum Empfang von Gütern aus allen Teilen der Welt berechtigt und allein der schweizer Regierung zur Rechenschaft über [273] ihre Transaktionen verpflichtet seien."142 Die Folgen dieses Gegensatzes waren nachteilig.

"Von Anfang an erkannten die Beamten des Außenamts, wie gefährlich es sein würde, das Recht, Ladungen abzufangen, ohne Lockerung auszuüben, denn da auf den meisten schweizer Ladungen ein Verdacht lastete, so würde wenigen oder gar keinen die Weiterreise gestattet worden sein:

      Die Alternative zu einem Abkommen, schrieb Mr. O'Malley in einem Überblick über die Gesamtlage, besteht in der Aushungerung der Schweiz und der Ruinierung vieler ihrer Industrien... Die Aushungerung der Schweiz ist eine sichtbare und lärmende Ausübung der Seeherrschaft. Nach meiner bescheidenen Meinung wird ein Ergebnis des Krieges ein Aufstand der Landmächte gegen die britische Seeherrschaft sein, der weit entschiedener als alle bisher von uns erlebten sein wird. Aus diesem Grund wird alles, was die Ausübung dieser Herrschaft wenigstens teilweise verhüllt, sehr wünschenswert sein."143

Die Verschlechterung der Lage der Industrie und das Anwachsen der Arbeitslosigkeit hatten einen so ungünstigen Einfluß auf die Stimmung der schweizer Bevölkerung, daß es nach Angaben des schweizer Gesandten, M. Carlin, der schweizer Regierung immer schwerer fiel, eine strikte Neutralität zu bewahren. Auf Drängen M. Carlins fand sich deshalb das Außenamt bereit, für den dringendsten Bedarf der schweizer Industrie eine Einfuhrerlaubnis für 1385 Tonnen Kupfer zu bewilligen. Diese Lizenz wurde von der Admiralität jedoch scharf kritisiert, die an Hand von Statistiken behauptete, die Einfuhren der Empfängerfirmen lägen weit über der normalen Menge. Selbst nachdem die Unrichtigkeit dieser Behauptungen nachgewiesen war, stieß die Durchführung der Kupferlieferung auf endlose Schwierigkeiten.

Der Widerstand der Admiralität gegen jedes Zugeständnis an die Schweiz nahm aber noch viel grundsätzlichere Form an. Ihre Handelsabteilung warnte die großen Schiffahrtslinien des Atlantiks vor der Beförderung von Banngutwaren mit schweizer Bestimmung. Die italienische Linienschiffahrt verweigerte daraufhin die Annahme von schweizer Ladungen. "Während der ersten Monate des Jahres wurden so die schweizer Regierungsstellen mit einer Hemmung der Güterzufuhr bedroht, die einer Blockade geähnelt hätte, wenn sie fortgesetzt worden wäre. Aus einem besonderen Grund erwies sich das für unser Ansehen sehr nachteilig. Die Admiralität hatte das Außenamt von ihrer Warnung an die Schiffahrtslinien nicht benachrichtigt. Als der schweizer Gesandte gegen die allgemeine Verweigerung der Annahme schweizer Ladungen protestierte, antwortete deshalb das Außenamt in gutem Glauben, die britische Regierung habe damit nichts zu tun. Das Außenamt hatte sich so durch eine Erklärung kompromittiert, deren Unwahrheit die schweizer Regierung bald gewahr wurde, denn im Laufe ihrer langen Korrespondenz mit den Schiffahrtsgesellschaften kann ihr der Brief der Admiralität nicht unbekannt geblie- [274] ben sein. Es ist also nicht überraschend, daß wir die schweizer Regierungsstellen, als wir einige Wochen später die Verhandlungen mit ihnen aufnahmen, verschwiegen, wachsam und sehr besorgt fanden, daß unsere wirklichen und unsere erklärten Absichten ganz verschieden seien."144

Der starke britische Druck trieb nach den Berichten des Handelsattachés in Bern, Mr. Shipworth, die schweizer Maschinenindustrie in die Arme des deutschen Wirtschaftssystems.

      "Es würde geradezu ein Verhängnis sein, schrieb Mr. Shipworth, wenn die größten schweizer Maschinenfabriken zum Feinde übergingen. Nichts kann sie daran verhindern, wann sie nicht veranlaßt werden, entweder neutral zu bleiben oder für die Alliierten zu arbeiten... Der Betrieb der oben genannten Werke kann mit den im Lande befindlichen Rohstoffen nicht aufrechterhalten werden... Deutschland ist offenbar in der Lage, zu jedem Preise Stahl in beliebiger Menge zu liefern, was die fast täglich hier ankommenden oder nach Italien weitergehenden Ladungen beweisen. Wenn diese Werke die zur Fortsetzung ihrer normalen Tätigkeit notwendigen Materialien nicht erhalten, so werden sie in ihrem eigenen Interesse genötigt sein, ihre Werke mit anderen Arbeiten zu beschäftigen, die fast mit Sicherheit die Form der Munitionsherstellung für Deutschland mittels der von diesem gelieferten Rohstoffe annehmen werden."145

Mr. Shipworth wies dann mit ernsten Worten darauf hin, daß Symptome dieser Tendenz schon sichtbar würden und zahlreiche Firmen sich um deutsche Aufträge bemühten. Unglücklicherweise erzielten diese Berichte zunächst die entgegengesetzte Wirkung, denn die Ausschüsse in Whitehall empfahlen, sobald sie die Namen dieser Firmen erfuhren, alle an sie gerichteten Metalladungen anzuhalten. Nur dadurch, daß die deutschen Regierungsstellen die günstige Gelegenheit verpaßten, aus unseren Fehlern Nutzen zu ziehen, konnte die Lage wiederhergestellt werden.

Die deutschen Regierungsstellen "waren sich ebenso wie wir bewußt, daß die schweizer Industrien eine mehr mitteleuropäische als eine rein schweizer Angelegenheit waren und sie wie wir waren besonders darauf bedacht, daß die von ihnen nicht benötigten Mengen an Metallen, Chemikalien und Farben von Industrien, die ihre Märkte belieferten, verarbeitet würden.

Die deutsche Regierung war deshalb die erste, die von der schweizer Regierung Garantien verlangte. Nach Verhandlungen, über die wir keine Unterlagen besitzen, gelang es den schweizer Regierungsstellen die Deutschen davon abzubringen, die Kohlenzufuhren zum Aushandeln zu verwenden. Wie die Deutschen überredet werden konnten, auf ein so machtvolles Druckmittel zu verzichten, ist rätselhaft. Der Plan, auf den man sich schließlich einigte, war eine Mischung des deutschen Austauschsystems und eines starren unelastischen Systems besonderer Garantien. Die schweizer Regierung errichtete ein bureau fiduciaire, das Sachverständige zu jeder Firma sandte, die um Lizenzen zur Einfuhr von Metallen aus Deutsch- [275] land einkam. Diese Sachverständigen prüften die Bücher der Firma und berichteten über ihre Geschäfte. Außerdem erhielt das bureau fiduciaire Garantien und Sicherheiten für die Erfüllung der Bedingungen. Das bureau war der deutschen Lizenzstelle gegenüber dafür verantwortlich, daß die Garantien gegen die Wiederausfuhr eingehalten und die zum Tausch für die Lizenzgewährung geforderten Waren geliefert wurden. Wir wissen wenig über das Funktionieren dieses Systems, aber das Wenige ist bezeichnend genug. Die deutschen Regierungsstellen waren berechtigt, bei jeder Lizenzerteilung zu bestimmen, welche Güter dafür nach Deutschland ausgeführt werden mußten und wie über die aus deutschen Metallen hergestellten Güter verfügt werden dürfte. Die Deutschen scheinen auf sehr drückenden Bedingungen bestanden zu haben, denn eine große und repräsentative Abordnung schweizer Magnaten machte eine besondere Reise nach Berlin, um dort um eine Lockerung des Systems und um größere Berücksichtigung der Bedürfnisse des schweizer Markts zu bitten.146 Wir haben keine Nachrichten über den dieser Delegation gegebenen Empfang, aber wir können trotzdem mit Sicherheit sagen, daß die Deutschen durch Härte und Unbeugsamkeit eine außerordentliche Gelegenheit verpaßten. Acht ganze Monate hindurch war durch Reibungen und Mißbräuche die wirtschaftliche Verbindung zwischen der Schweiz und den Alliierten so geschwächt worden, daß ein unternehmender und geschickter deutscher Minister sie vollständig hätte zerschneiden und durch ein von ihm selbst geschmiedetes Bindeglied hätte ersetzen können. Statt dessen errichteten die Deutschen ein so willkürliches inquisitorisches und verärgerndes System der Handelskontrolle, daß es alle Handelsbeziehungen zwischen Deutschland und der Schweiz behinderte und zum großen Teil sogar gefährdete.

Um den von beiden Kriegführenden ausgeübten Druck zu mildern, errichteten die Schweizer einen Metalltrust. Obgleich unsere Vertreter sich sehr kritisch über diese Körperschaft in ihrer damaligen Gestalt äußerten, zogen sie doch in Betracht, daß sie ein unvollkommenes, probeweises Muster für einen allgemeinen Empfangstrust sein könnte. Sir Francis Oppenheimer wurde deshalb angewiesen, nach Bern zu gehen und über einen Ausgleich zu verhandeln.

Während der nun folgenden Verhandlungen wurden drei Entwürfe geprüft. Der erste war von Sir Francis Oppenheimer kurz nach seiner Ankunft in Bern hergestellt und wurde von der schweizer Regierung grundsätzlich gebilligt, der zweite enthielt einige von den französischen Regierungsstellen stammenden Zusätze, der dritte ähnelte dem ersten. Das endgültig angenommene System war allen drei Entwürfen gemeinsam. Es wird zweckmäßig sein, es sogleich zu erklären.

Der wichtigste Teil war die Liste derjenigen Gewerbezweige, die als national bezeichnet wurden, denn die Erzeugnisse dieser Industrien wurde ohne Rücksicht auf die Herkunft der Rohstoffe als heimisches Erzeugnis angesehen. In dem endgültigen Entwurf waren diese Gewerbezweige in die folgenden Klassen eingeteilt: Schokolade, kondensierte Milch, Seide roh und halb verarbeitet, Uhren und Taschenuhren, Baumwoll- und Seiden- [276] artikel, Bänder, Wollwaren, Frauenkleidung. Ein beträchtlicher Teil des schweizer Handels wurde also nur beiläufig und im Wege der Rückwirkung von dem allgemeinen Abkommen berührt. Es wurde ferner festgesetzt, daß alle von der deutschen Lizenzstelle angeforderten Güter von diesen nationalen Industrien hergestellte Güter oder solche Güter sein müßten, die in der Schweiz aus Stoffen hergestellt würden, die aus dem Lande stammten, dessen Regierung den Austausch verlange. Die Industrien, die unter die Regelung des Plans fielen, sollten ihre Materialien von einem allgemeinen Einfuhrtrust empfangen, der aus dem Ausland alle von den schweizer Industrien benötigten Rohstoffe, Halbfabrikate und Fertigwaren erhielt. Diese Überwachungsgesellschaft sollte die Verpflichtung eingehen, daß alle von ihr empfangenen Rohmaterialien nur gemäß den mit dem Herkunftsland der Materialien vereinbarten Bedingungen ausgeführt oder wiederausgeführt würden. Obgleich die Überwachungsgesellschaft in keiner Weise ein Regierungsorgan war, sollte sie doch in allen Fragen der Ausfuhrverbote als sachverständige Beraterin des Bundesrats angesehen werden. Mehr noch, der Bundesrat sollte der Überwachungsgesellschaft das Recht einräumen, durch Unterbreitung von Anklagematerial vor den schweizer Gerichten Strafverfahren einzuleiten. Syndikate einzelner Industrien sollten mit dem Überwachungstrust zusammenarbeiten und nach Empfang der für sie bestimmten Zufuhren diese unter die einzelnen Firmen verteilen.

Der trafic de perfectionnement wurde durch eine Definition der Vervollkommnungsverfahren und durch Zuweisung einer bestimmten Metallmenge für diesen Verkehr geregelt. Gießen, Walzen, Schmieden und Pressen zu Platten waren die erlaubten Verfahren. Die diesem Verkehr zugeteilten Metallmengen betrugen: Kupfer 300, Zink 300, Zinn 100, Blei 100 und Nickel 100 Tonnen im Jahr. Es wurde überdies vereinbart, daß alle Ladungen dieses Verkehrs die Grenze nur bei Waldshut, Bingen und Romannshorn überschreiten und dort kontrolliert werden sollten. Sir Francis Oppenheimer war überzeugt, daß der Verkehr gestattet werden müsse und daß die Gefahr eines Lecks nicht groß sei. Die deutschen Firmen seien so mit Munitionsaufträgen beschäftigt,147 daß sie immer weniger geneigt sein würden, für die schweizer Industrien zu walzen und zu pressen. Auch seien die schweizer Zollbehörden an diesen Verkehr gewöhnt und würden Mißbräuche sofort melden. Schließlich wurde, was vielleicht am wichtigsten war, die Menge der an die Überwachungsgesellschaft adressierten Rohstoffe und Güter nach den normalerweise in das Land eingeführten Mengen berechnet. Das waren die wesentlichen Punkte des im April dem Bundesrat vorgelegten Plans. Sie wurden mit sehr geringen Änderungen angenommen, so daß es ziemlich überraschend ist, daß die Verhandlungen erst spät im Herbst abgeschlossen wurden."148

Diese Verzögerung hatte ihre Ursachen in politischen Widerständen schwerwiegender Art. Der schweizer Generalstab verlangte eine Einbeziehung der schweizer Industrie in das deutsche Wirtschaftssystem, weil die schweizer Armee mit deutschen Waffen ausgerüstet war und er deshalb [277] die Zusammenarbeit der schweizer mit der deutschen Industrie im Interesse der schweizer Rüstung für notwendig hielt. Er fürchtete außerdem, daß Deutschland Gegenmaßnahmen gegen den Abschluß eines Abkommens mit den Alliierten ergreifen und durch ein Kohlenausfuhrverbot die schweizer Industrie zum Erliegen bringen könne. Diese Befürchtungen, die der schweizer Unterhändler Herr Frey, der die alliierten Diplomaten durch sein Zögern und seine Bedenken oft zur Verzweiflung brachte, sowie auch der Außenminister Herr Hoffmann geteilt zu haben scheinen, wurden durch die deutschen Erfolge im Sommer 1915 an der Ostfront und die Mißerfolge der Alliierten an der Westfront bestärkt. "Soweit bekannt ist, ergriff die deutsche Regierung aber niemals Vergeltungsmaßnahmen gegen die Schweiz wegen des Abschlusses eines Abkommens mit den Alliierten. Das beweist an sich jedoch noch nicht, daß die Befürchtungen der Schweizer unvernünftig waren. Es darf daran erinnert werden, daß sogar in den Schreiben, die die deutschen Regierungsstellen untereinander austauschten, hohe und verantwortliche Staatsbeamte behaupteten, unsere Banngutabkommen, ja unser ganzes System seien ein flagranter Bruch des Völkerrechts. Da sie ehrlich davon überzeugt waren, kann man nur annehmen, daß ihre diplomatischen Vertreter angewiesen wurden, hart und unnachgiebig zu sein... Wenn Herr Loudon jedes Wort und jeden Satz daraufhin prüfte, ob sie nicht möglicherweise seine Regierung kompromittieren könnten, wenn Herr Wallenberg zugab, daß seine Schwierigkeiten mit unserer Regierung im Vergleich zu den Schwierigkeiten mit der deutschen nichts bedeuteten, wenn der deutsche Gesandte in Bukarest mit Entschiedenheit protestierte, so ist das nur ein Echo oder eine Wiederholung der Drohungen, die wiederholt an alle neutralen Kanzleien gerichtet wurden."149

Da das endgültige Abkommen zwischen der englischen und französischen Regierung einerseits und der Überwachungsgesellschaft andererseits geschlossen werden sollte, fuhr Sir Francis Oppenheimer, nachdem die schweizer Regierung dem ersten Entwurf grundsätzlich zugestimmt hatte, nach Paris. Die französischen Regierungsstellen änderten den Entwurf zwar nur durch wenige Sätze. Diese waren jedoch sehr bedeutsam, weil sie dem Bundesrat zusätzliche Verantwortlichkeiten auferlegten.

"Erstens wurde festgestellt, daß die alliierten Regierungen selbst bestimmen sollten, welche Artikel an die Überwachungsgesellschaft adressiert werden müßten, zweitens wurden die Klauseln, die festsetzten, daß die bewilligten Zufuhren nicht die normalen Einfuhrmengen übersteigen dürften, neu und genauer gefaßt. Drittens verlangten die Alliierten, daß sie vor der Ernennung des Präsidenten und Generalsekretärs befragt werden sollten. Wichtiger waren jedoch zwei Klauseln der Mantelnoten, die zwischen den alliierten Vertretern und dem Bundesrat ausgetauscht werden sollten. Durch die erste garantierte der Bundesrat, daß alle in den beigefügten Urkunden eingegangenen Verpflichtungen genauestens erfüllt werden würden. In der zweiten versprachen die schweizer Regierungsstellen, daß sie nach Deutschland adressiertes Aluminium beschlagnahmen würden, [278] wenn deutsche Behörden Metalle des trafic de perfectionnement requirierten.

Die Bundesbehörden teilten uns mit, daß diese Änderungen un changement radical de tout le système bedeuteten und erklärten emphatisch, sie könnten nur für die Errichtung des Überwachungsorgans verantwortlich sein, würden aber niemals für dessen Handlungen Garantie leisten.

      Während der Trust bisher als ein Privatverein errichtet werden sollte und so die Bundesregierung neutral und unabhängig ließ, wird durch das Verlangen, sie solle die von dem Trust übernommenen Verpflichtungen garantieren, nun die Regierung hineingezogen.150

Die schweizer Regierung fuhr fort, daß die öffentliche Meinung des Landes kein Abkommen dulden werde, das als ein Anschlag auf die Unabhängigkeit des Landes angesehen würde:

      Wenn der Bundesrat die Errichtung einer Gesellschaft mit so ausgedehnten Befugnissen, wie sie auf die S.S.E. übertragen sind, unterstützt, so kann er nicht zustimmen, daß von den Vertretern fremder Mächte eine zusätzliche Kontrolle ausgeübt wird."151

Zu gleicher Zeit wurde eine neue Forderung von den schweizer Regierungsstellen vorgebracht, der wir unmöglich zustimmen konnten, nämlich das Verlangen, eine große Menge von überseeischem Mais und Reis als Austauschgut zur Ausfuhr nach Deutschland freizugeben. Dieses wurde damit begründet, daß es der Schweiz schwer falle, für die Einfuhr von Metallen, Farben und Zucker aus Deutschland und Österreich diesen Ländern genehme Austauschgüter zu finden. Schließlich ließen die Schweizer ihre neue Forderung fallen, während wir alle von ihnen beanstandeten Sätze aus dem Abkommen entfernten. Außerdem setzten wir einen zusätzlichen Banngutartikel auf die Liste der Austauschgüter und stimmten zu, daß etwa viertausend Waggonladungen gemischter Güter, die von den Regierungen der Zentralmächte gekauft waren, in den Austauschverkehr einbezogen wurden.







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Die englische Hungerblockade im Weltkrieg 1914-15.
Nach der amtlichen englischen Darstellung der Hungerblockade
von A. C. Bell.
Bearbeitet und eingeleitet durch Dr. Viktor Böhmert,
Professor an der Universität Kiel.