Teil II: Die Anfänge der Hungerblockade im Herbst 1914 (Forts.) C. Die ersten Banngutstreitigkeiten mit den Vereinigten Staaten a) Die politischen und wirtschaftlichen Voraussetzungen des Streits Die durch die Order in Council vom 29. Oktober 1914 den Vereinigten Staaten gemachten Zugeständnisse hatten nicht den von Sir Eward Grey erhofften Erfolg, denn Anfang November 1914 begannen die diplomatischen Streitigkeiten mit den Vereinigten Staaten über die Beschränkung der Rechte der Neutralen. "Der Streit... dauerte drei lange Jahre und wirkte auf die Führung des wirtschaftlichen Feldzuges mehr als irgendein anderer politischer Einfluß ein. Jeden Augenblick lastete in diesen drei Jahren auf jedem Beamten, sei er hoch oder niedrig, die Befürchtung, die Arbeit, mit der er beschäftigt war, würde durch amerikanischen Widerstand zunichte gemacht werden."82 Bei der Wichtigkeit dieser Streitigkeiten erscheint es erforderlich, ihrer Darstellung eine eingehende Würdigung der Einflüsse voranzuschicken, die zu der Wendung der amerikanischen Politik gegen Großbritannien beitrugen. Was zunächst die Neigungen und Sympathien der amerikanischen Staatsmänner angeht, so ergibt sich, wie oben bereits ausgeführt worden ist, aus den Äußerungen des Präsidenten Wilson zu Kriegsbeginn, "daß er mehr mit den Alliierten als mit den Zentralmächten sympathisierte".83 Der ihn völlig beherrschende Gedanke, die Vermittlerrolle zwischen den Kriegführenden zu übernehmen, veranlaßte ihn jedoch, den Anhängern der Zentralmächte entgegenzukommen. Nach den Berichten des englischen Botschafters war die Lage folgende: "Die Geschlossenheit, Energie und Geschicklichkeit der mit den Zentralmächten sympathisierenden Amerikaner teilte die amerikanische Gesellschaft tiefer als jemals seit einem halben Jahrhundert. Dieser Teil der amerikanischen Nation wurde zwar an Zahl von den mit Großbritannien Sympathisierenden weit übertroffen, war aber nichtsdestoweniger mächtig genug, Wahlen zu entscheiden, den Kongreß zu beeinflussen und Unruhen zu verursachen. Selbst ein so kühler Kopf wie Senator Root hielt die deutsche Partei für fähig, das Land in bürgerkriegsähnliche Zustände zu stürzen. Wenn aber diese Partei nicht die Vermittlung des Präsidenten unterstützte oder wenigstens in sie einwilligte, war jeder Versuch dazu für ihn vergeblich. Gerade in den letzten Monaten des Jahres verlangte die deutsche Partei beharrlich einen sicht- [140] baren und greifbaren Beweis der Unparteilichkeit von dem Präsidenten. Die Annahme, daß Präsident Wilson streitsüchtigen und zänkischen Noten an die englische Regierung seine Genehmigung gab,84 um sich die deutschen Wahlstimmen zu sichern, würde unfair sein, aber es ist schwer einzusehen, wie er die deutsche Partei auf seine Seite hätte bringen können, ohne offen die amerikanische Mißbilligung der dem neutralen Handel von einem Kriegführenden auferlegten Beschränkungen zu erklären. Das Geschrei dieser Partei war daher neben vielen anderen ein Einfluß, der den Präsidenten in den Streit mit Großbritannien hineinzwang."85 "Man muß außerdem berücksichtigen, daß Oberst House, der Sondergesandte des Präsidenten für Europa, angewiesen war, den Entente- und Zentralmächten eine als Freiheit der Meere bekannte Doktrin dringend anzuempfehlen. Der Sinn dieser Doktrin hat in jedem Jahrhundert geschwankt. Sie ist in der Tat mehr ein volkstümlicher Aufschrei der Entrüstung über irgendeine Übung der Kriegführenden als ein Rechtsgrundsatz im eigentlichen Sinn. Der ihr von Oberst House beizulegende Sinn war jedoch, daß beide Teile der Kriegführenden versprechen sollten, neutrale Schiffe und Ladungen praktisch von der prisenrechtlichen Aufbringung auszunehmen und diese Zusicherung auch in die Friedensregelung aufzunehmen. Ein unmittelbarer Streit mit der britischen Regierung war zwar nicht eine notwendige Folge dieser Politik des Präsidenten, es war jedoch für ihn fast unmöglich, allem was zur Verschärfung des Wirtschaftsfeldzuges gegen Deutschland geschah, zuzustimmen und dann später, ohne Warnung auf Annahme seiner weitreichenden und umstürzenden Pläne seitens der kriegführenden Mächte zu dringen. Sein Entschluß, den neutralen Handel von nahezu allen ihm jemals auferlegten Beschränkungen zu befreien, ließ deshalb eine einleitende Opposition gegen die bestehende Praxis vorhersehen, möglicherweise nicht gerade die schließlich angenommene Art der Opposition, aber jedenfalls Opposition."86 Wenn so die Pläne des Präsidenten ihn in einen Streit mit Großbritannien hineinsteuerten, so führten die von dem Staatssekretär Bryan verfolgten Ziele auf einem noch direkteren Wege dahin. "Mr. Bryan war ein Mann geringer Belesenheit und Erziehung, der sich durch Beherrschung der Sprache der Bibel zu einem guten Volksredner ausgebildet hatte und soviel von ihrem Text beherrschte, daß er niemals um ein Zitat aus den Psalmen, den Propheten und der Offenbarung verlegen war. Die Doktrin, zu der sich Mr. Bryan bekannte, war Weltfriede und Nächstenliebe und es unterliegt keinem Zweifel, daß er Krieg, Blutvergießen und Gewalt ehrlich verabscheute. In allem was jedoch politische Manöver betraf, war Mr. Bryan der verschlagenste Mensch. Es war ihm klar, daß die Masse der amerikanischen Nation mit den Alliierten sympathisierte, und daß diese Sympathie seiner Volkstümlichkeit schadete, die er durch seine Behauptung erlangt hatte, alle Kriegsparteien seien gleich tadelnswert. Um dieses parteiische Gefühl zu bekämpfen, tat Mr. Bryan fortgesetzt seiner eigenen Vernunft und der klaren Logik der Tatsachen Gewalt an und versuchte in [141] jeder aufkommenden Streitfrage den Tadel auf beide Seiten gleich zu verteilen. Dabei war es im allgemeinen für ihn vorteilhaft, den Nachdruck auf alle die Fragen zu legen, in denen seiner Meinung nach die Alliierten zu tadeln waren, denn die amerikanische Sympathie für die Alliierten hielt er für sehr gefährlich für seinen Ruf."87 Diese Einstellung wurde wahrscheinlich durch seine Abneigung gegen den britischen Botschafter noch verstärkt, denn dieser widerlegte in den Unterredungen mit dem Staatssekretär häufig dessen gefühlvolle Ansprachen mit den Tatsachen des Vertragsrechts und der Geschichte. "Das muß sehr erbitternd für den nur an Beifall gewöhnten Mr. Bryan gewesen sein, und man darf deshalb wohl annehmen, daß der in seiner Eitelkeit Verletzte empfindlich wurde und im gleichen Verhältnis Gründe und Argumente zu entdecken suchte, die jedem von Sir Cecil vorgebrachten Fall nachteilig waren."88 "Es war deshalb für die Alliierten ein Glück, daß der einzige Streit zwischen ihren Regierungen und derjenigen der Vereinigten Staaten sich darum drehte, ob Großbritannien das Völkerrecht einhielt oder nicht. Hier für hatte der Präsident wenig Interesse und Mr. Bryan fehlte die Sachkenntnis. Die Folge war, daß diese Angelegenheiten dem Rechtsberater des Staatsdepartements, Mr. Lansing, überlassen wurden, der sehr viel weniger als der Präsident und Mr. Bryan mit politischen Manövern beschäftigt war. Wie alle hohen Beamten des Staatsdepartements war er sehr ehrerbietig gegenüber Kongreßmitgliedern und Senatoren, aber er hatte sein Ansehen mehr seinem Beruf als der Politik zu verdanken, und war mehr an der rechtlichen Seite als an politischen Manövern interessiert."89 "In seiner Eigenschaft als Privatmann sympathisierte Mr. Lansing mit den Alliierten und wünschte nicht, daß sich ein Streit mit ihnen zu einem politischen Zank entwickelte. Seine Energie und seine scharfsinnige Beweisführung plagten sicherlich die alliierten Minister sehr, aber es steht heute fest, daß er ein kluger und versöhnlicher Mann war und nicht nur ein bloß für einen Mandanten plädierender Anwalt, wie man damals oft annahm."90 Der unmittelbare Anlaß der Streitigkeiten mit Großbritannien war die Rückwirkung des Krieges auf den amerikanischen Außenhandel, der im ersten Kriegsjahr beträchtlich zurückging. Am meisten wurde dadurch die Baumwollausfuhr betroffen. Wenn auch für deren Rückgang in Wahrheit nicht der Krieg, sondern ein schon vorher bestehendes Überangebot auf dem Weltmarkt verantwortlich war, so schob doch die Bevölkerung der Südstaaten die Schuld an der Baumwolldepression auf die Tätigkeit der britischen Flotte und kritisierte diese in Presse und Kongreß auf das schärfste. Die Bevölkerung der Kupferstaaten hatte ebenfalls zu leiden, denn das Gesamteinkommen aus Kupfer und Kupfererzeugnissen war stark gesunken. Dagegen war die Ausfuhr an Weizen und überhaupt an allen zur Herstellung von Brot dienenden Stoffen um 107 Millionen Dollar gestiegen. Gleichwohl waren sogar die Getreidefarmer den englischen Seekriegsmaßnahmen gegenüber mißtrauisch. "Man konnte zwar allerlei zur [142] Verteidigung unserer Abkommen mit den Neutralen sagen, aber nichts konnte verschleiern, daß sie tatsächlich die alten Unterscheidungen zwischen bedingtem und unbedingtem Banngut aufhoben, indem sie eine gleiche Schranke gegen beide erhoben. Die amerikanischen Farmer und Viehzüchter und deren Vertreter im amerikanischen Kongreß standen naturgemäß einer Politik, die Lebensmittel den anderen Klassen des Bannguts gleichstellte, außerordentlich kritisch gegenüber."91 Andererseits hatten die Munitionsfabriken und die chemischen Industrien ihren Absatz vergrößert. Aber gerade diese Gewinne riefen bei der übrigen unter den Kriegsfolgen leidenden Bevölkerung die größte Entrüstung hervor. Drei Gesetzentwürfe über das Verbot der Ausfuhr von Waffen und Munition wurden im Kongreß eingebracht und die Vorstellungen des englischen Botschafters, daß durch diese Verbote die besser gerüsteten Zentralmächte begünstigt würden, machten nur geringen Eindruck. Große Teile der amerikanischen Nation waren für Durchführung der Gesetzentwürfe, "aus der ehrlichen Empörung heraus, daß menschliches Leiden zu einer Quelle von Handelsgewinnen gemacht wurde und ihre eigenen Landsleute die Gewinner waren".92 Diesen Beschwerden vieler Gruppen der amerikanischen Gesellschaft konnte Großbritannien nur Rechtsargumente entgegenstellen. "Wir konnten zeigen, und zweifellos bewies es Sir Cecil Spring-Rice unermüdlich, daß unsere Handelsabkommen mit neutralen Ländern in politische Verträge umgewandelte amerikanische Auslegungen des Völkerrechts waren. Wir konnten deshalb mit Recht den Anspruch erheben, daß wir im Grunde im Interesse des neutralen Handels verhandelt hatten, da die Verhandlungen die schnelle Unterscheidung zwischen Banngutladungen, die wir rechtmäßig beschlagnahmen konnten und solchen Ladungen, die durch unsere Überwachungsstreitkräfte frei durchgelassen werden konnten, bezweckten. Diese Rechtfertigungen waren jedoch für die Handelsmagnaten, deren Jahreseinnahmen gefallen waren, wenig tröstlich."93 Gleichwohl verdient festgestellt zu werden, daß das Verfahren des britischen Banngutausschusses, neutrale Schiffe auf Grund eines allgemeinen Verdachts zurückzuhalten, von den Amerikanern selbst im Bürgerkrieg zuerst angewendet worden ist. Damals erhielten die vor den Bermuden und Bahamainseln kreuzenden amerikanischen Streitkräfte die Anweisung, alle Schiffe, die als Blockadebrecher oder als Zubringer von Banngut verdächtig waren, zu überwachen. Die Namen der verdächtigen Schiffe waren in einer ihnen zugleich mit der Weisung übergebenen Liste zusammengestellt. Die amerikanischen Kommandanten legten diese Anweisung als einen Befehl aus, jedes auf der Liste stehende Schiff aufzubringen. "Es würde überflüssig sein, die Analogie dieser Schiffslisten und ihrer Geschichte mit der Liste der verdächtigen Firmen in der Banngutabteilung zu vertiefen. In beiden Fällen hatten die für das Abfangen von Banngut zuständigen Behörden eine Gesamtheit von Tatsachen vor sich, die einen starken Verdacht rechtfertigte, aber die keinen Beweis für den wirklichen Zweck jeder einzelnen Reise erbrachte. Die Analogie endet hier jedoch noch nicht, denn [143] die Seeoffiziere der Union handelten auf ihren Verdacht hin ebenso wie der Banngutausschuß auf den seinigen, und die vorgesetzten Behörden rechtfertigten sie mit genau denselben Argumenten, die das Außenamt zur Verteidigung seines Verfahrens vorbrachte."94 Das ergibt sich z. B. klar aus der diplomatischen Korrespondenz anläßlich der am 1. 2. 1862 erfolgten Aufbringung des englischen nach Matamoros bestimmten Handelsschiffes Labuan. Dennoch "kann es nicht zweifelhaft sein, daß im Dezember 1914 das Verfahren viel lästiger war als ein halbes Jahrhundert früher. Die Seeoffiziere der Union handelten damals sozusagen gegen eine geschlossene Gruppe von Blockadebrechern, unsere Behörden überwachten und beaufsichtigten einen ständigen Verkehrsstrom zwischen zwei Kontinenten".95 Es war deshalb unvermeidlich, daß auf bloßen allgemeinen Verdacht hin ein neutrales Handelsschiff von dem Banngutausschuß längere Zeit zu Unrecht zurückgehalten wurde, wodurch Reedern und Ladungsbeteiligten ungeheuere Schäden entstanden. "Unsere Behörden bestritten niemals, ja sie erklärten es sogar wiederholt, daß jedem Exporteur oder Reeder, der beweisen konnte, daß sein Eigentum rechtswidrig zurückgehalten sei, Schadenersatz gezahlt würde. Diese Erklärung konnte jedoch nach den Umständen die Geschädigten nicht befriedigen, die als Ausgleich für den erlittenen unmittelbaren Verlust ein Versprechen erhielten, das von dem Ausgang eines, in einem fremden Lande zu führenden Rechtsstreits abhängig war. Keine fremde Regierung, am wenigsten die amerikanische, konnte diese Versprechungen als eine befriedigende Entschädigung betrachten."96 "Eine unparteiische Prüfung der Umstände führt deshalb zu einer Milderung der bitteren Urteile, die so viele Engländer über Präsident Wilson und seine Verwaltung gefällt haben. Es ist richtig, daß der Präsident und seine Ratgeber mit uns einen Streit zur Verteidigung von Handelsinteressen begannen, aber es ist ebenso richtig, daß sie die erwählten Beauftragten einer über Störungen erregten Nation waren, die ein auf das Erwerbsleben eingestelltes Volk, dessen Handel ungewöhnlichen Beschränkungen unterworfen worden ist, besonders treffen. Keine aus öffentlichen Wahlen hervorgegangene Regierung kann Besorgnisse außer acht lassen, die so weithin gefühlt wurden und so viele politische Erschütterungen hervorbringen konnten. Aber waren die von dem Präsidenten Wilson verteidigten Interessen so schwer verletzt, daß er zu einem offenen Streit mit einem Staat berechtigt war,97 der nach seinem eigenen Eingeständnis für jeden politischen Grundsatz kämpfte, den er heilig hielt? Das war eine Frage, die nur er und seine Berater zu entscheiden berechtigt waren."98 Man wird annehmen dürfen, daß die ihnen zu Gebote stehenden umfangreichen "Instrumente zur Messung des Drucks der öffentlichen Meinung feiner und genauer waren als die eines fremden Botschafters".99 "Schließlich muß man sich daran erinnern, daß Präsident Wilson von dem Augenblick an, in dem er die Unvermeidbarkeit eines offenen Streits erkannte, entschlossen war, er solle harmlos bleiben. Er war immer [144] so behutsam, daß viele seiner Absichten nur durch Schlußfolgerungen zu ahnen sind, aber über seine Entschlossenheit, daß der angloamerikanische Streit niemals etwas Gefährlicheres würde als ein Austausch von Argumenten, kann wenig Zweifel bestehen. Das läßt sich aus Dokumenten, die später geprüft werden, beinahe beweisen."100
"Es ist merkwürdig und für den Geschichtsschreiber bedeutsam, daß die amerikanische Regierung von Anbeginn an eine Eigentümlichkeit offenbarte, die für uns ein großer Schutz war: den Entschluß, allein zu handeln. Der erste Hinweis hierauf wurde sehr früh und unter den folgenden Umständen gegeben: Als die Oktober-Order in Council herauskam, erfaßte Sir Cecil Spring-Rice sogleich, daß sie den Streit nicht gemildert hatte. Der Kongreß würde sich in kritischer, ärgerlicher Stimmung versammeln und das Staatsdepartement könnte infolgedessen entscheiden, der volkstümlichste Kurs würde die Behinderung der Verhandlungen sein, die Großbritannien mit den Randneutralen zu führen beabsichtigte. Zweifellos wäre es dazu in der Lage gewesen, denn wenn irgend etwas sicher ist, so ist es das, daß ein bloßes Geflüster der amerikanischen Gesandten in Europa die neutralen Regierungen sehr steif und schwierig gemacht hätte. In Erkenntnis dieser Gefahr, beschloß der britische Botschafter sogleich, sie zu sondieren:
Ich betonte ausdrücklich, schrieb er, daß es den Vereinigten Staaten unbenommen sei, sich ihre völkerrechtlichen Rechte vorzubehalten, daß sie aber, wenn sie weitergingen und einen förmlichen Protest gegen die Proklamation erhöben, es Seiner Majestät Regierung unmöglich machen würden, mit den neutralen Regierungen Abkommen zu schließen. Der Botschafter wiederholte das mit noch größerer Eindringlichkeit in einem persönlichen Brief an den Präsidenten."101 Daß die von dem Botschafter vorausgeahnte Gefahr wirklich bestand, ergibt sich daraus, daß sein Schritt mit zwei Anfragen neutraler Regierungen über ein gemeinsames Vorgehen der Neutralen zusammenfiel, und zwar einer Anfrage der skandinavischen Staaten wegen der britischen Nordseeproklamation und einer Anfrage Venezuelas wegen Einberufung eines Kongresses zur Erklärung der Rechte der Neutralen. Beiden Anfragen wurde nicht stattgegeben, "und als ob man die Absicht allein zu handeln noch scharfer hätte betonen wollen, wurde der amerikanische Botschafter in London scharf gerügt, weil er einige technische Fragen über Beschlagnahme von Banngut mit den skandinavischen Gesandten in London diskutiert hatte".102 "Es würde natürlich eine Annahme sein, zu der niemand berechtigt wäre, wollte man sagen, daß die amerikanischen Regierungsstellen, mit die- [145] sen Möglichkeiten einer Wahl vor sich, ihre Entscheidung auf Grund einer feststehenden Politik, allein zu handeln, trafen. Wir wissen nicht, ob die Antworten auf diese Vorschläge von dem Präsidenten auf eigene Verantwortung oder vom Präsidenten und Staatssekretär nach gemeinsamer Beratung oder von dem ganzen amerikanischen Kabinett gegeben wurden. Es kann lediglich gesagt werden, daß die Antworten so schnell gegeben wurden, daß eine Kabinettsberatung darüber unwahrscheinlich erscheint. Die Bedeutsamkeit der Entscheidung ist jedoch unabhängig von der Wichtigkeit, die der Präsident und seine Ratgeber ihr damals beimaßen. Sie mögen die Entscheidung bloß für einen Vorfall der täglichen Geschäfte des Staatsdepartements gehalten haben. Wenn sie sie so ansahen, dann ist sie für einen ausländischen Bearbeiter amerikanischer Staatspapiere besonders wichtig, da sie zeigt, wie leicht ein für nebensächlich gehaltener Vorfall amerikanische Staatsmänner zu ihrem traditionellen Verhalten, keine Bindungen mit fremden Mächten einzugehen, veranlassen wird. Das Staatsdepartement wich in der Folgezeit niemals von der einmal eingeschlagenen Linie ab. Alle Vorschläge zur Bildung eines neutralen Bundes, die später an Washington ventiliert wurden, waren Vorschläge zur Vermittlung zwischen den Kriegführenden, - ihre Vermengung mit streitigen Fragen des Banngut- und Neutralitätsrechts wurde niemals gestattet."103 Dadurch wurde der Streit auf Großbritannien und die Vereinigten Staaten begrenzt, denn die englischerseits zuweilen erfolgte Beiziehung der französischen Regierung war im Grunde nur von formaler Bedeutung. Diese Begrenzung hatte den Nachteil, daß die besonderen zwischen beiden Nationen bestehenden Gegensätze zu seiner Verschärfung beitrugen, was sich insbesondere in den sich häufenden Anklagen und Gegenanklagen in den gewechselten Noten auswirkte. Andererseits war die Isolierung des Streits ein Vorteil. "Ein Zwist zwischen den Vereinigten Staaten und Großbritannien ist ein Zwist, den das Nationalgefühl notwendigerweise mindern wird, - und dieser mildernde und lindernde Einfluß - den kein Staatspapier analysiert und der sich gleichwohl ständig zeigt - war die wirkliche Erklärung dafür, warum ein Streit, der so gefährlich zu sein und so viel Zündstoff zu enthalten schien, niemals die praktische Handhabung der Blockade behinderte, warum die Streitigkeit tatsächlich ein rotes Licht, ein Warnungssignal, aber niemals ein Hindernis war. Bei allen folgenden Erörterungen muß deshalb davon ausgegangen werden, daß eine Analyse oder eine historische Überschau des langen Streites zwischen der amerikanischen und britischen Regierung notwendigerweise unvollkommen ist, weil dieser mildernde und lindernde Einfluß niemals analysiert werden kann."104
Die im Oktober erfolgte Anhaltung von drei mit amerikanischem Öl nach Kopenhagen bestimmten Dampfern bildete den Anlaß zu dem ersten [146] amerikanischen Angriff auf das britische Kontrollverfahren. In einer Note vom 8. November erklärte das Staatsdepartement, der Ablader von Banngutwaren sei nur dafür verantwortlich, daß sie in einem neutralen Hafen ausgeladen würden.
"Die Behandlung solcher Güter nach ihrer Auslieferung an den Empfänger im neutralen Staat ist eine zwischen der die Ladung untersuchenden kriegführenden Regierung und der betreffenden neutralen Regierung zu regelnde Angelegenheit, deretwegen der bona fide-Ablader nicht leiden sollte."105 Außerdem sei eine Beschlagnahme nur auf Grund von Beweisen, die bei der Untersuchung der Schiffspapiere gesammelt seien, gerechtfertigt.
"Nach Ansicht dieser Regierung erfordert das Recht der Anhaltung und Durchsuchung, daß die Untersuchung während der Anhaltung auf hoher See vorgenommen wird und daß die Schlußfolgerungen aus der Durchsuchung auf dem Beweis beruhen müssen, der auf dem untersuchten Schiff beigebracht ist und nicht auf Umständen, die aus äußeren Quellen ermittelt werden."106 Wenn diese Behauptungen einer gerichtlichen Entscheidung unterbreitet worden wären, so wären sie nur von geringer Bedeutung gewesen. "Ablader und Reeder genießen die für sie von dem stellvertretenden Staatssekretär geforderte Freiheit nicht, denn sie sind offensichtlich verpflichtet, die von einem Kriegführenden gegen ihre Ladungen gesammelten Beweise zu widerlegen oder zu ihnen Stellung zu nehmen. Was die Beweise selbst anlangt, so macht es, falls sie nur gut sind, nichts aus, auf welche Weise sie gesammelt worden sind. Während des Bürgerkrieges legten die amerikanischen Gerichtshöfe in durchaus angemessener Weise großes Gewicht auf die Geschichte der wegen Bannguthandels zurückgehaltenen Schiffe und auf die Geschäfte, mit denen die Beteiligten sich früher befaßt hatten. Die Note war deshalb als politische Darlegung eine ernstere Herausforderung als sie es als rechtliche Darlegung war, denn die verkündete Doktrin hätte in einen allgemeinen Angriff auf die von uns gerade geführten Verhandlungen und die von uns gewünschten Abkommen verwandelt werden können. Der Grundsatz, den wir aufzustellen versuchten, war der, daß an Neutrale adressierte Ladungen drei Prüfungen unterworfen werden sollten: ob die neutrale Regierung die Ausfuhr verboten hatte, ob etwas Verdächtiges über die Beteiligten bekannt war und ob besondere Garantien auf Verlangen gegeben wurden. Die amerikanische Note griff diese ganze Praxis an. Es schien außerdem so, als ob die Regierungsstellen der Herausforderung Nachdruck zu geben wünschten, denn sie verboten gleichzeitig ihren Zollbeamten, Auskünfte über Schiffsmanifeste früher als dreißig Tage nach Abfahrt zu geben."107 Eigenartigerweise schlugen die Vereinigten Staaten nur zehn Tage nach dieser Note ein mit dieser in diametralem Widerspruch stehendes Arrangement vor, das leicht zu einem allgemeinen Banngutabkommen hätte ausgeweitet werden können. Auf Drängen der um Rohstoffzufuhren be- [147] sorgten amerikanischen Textil- und Gummiindustrien regte die amerikanische Botschaft an, allen Firmen, die Garantien für den Inlandsverbrauch geben würden, Ausfuhrlizenzen für Wolle, Jute, Gummi und einige andere Waren zu gewähren. Die Vereinigten Staaten sollten die Firmen empfehlen und Auskünfte über die Durchführung der Garantien erteilen. Das Arrangement sollte durch ein anderes über die Regelung der Kupfer- und Ölausfuhren ergänzt werden. Dieser Vorschlag bedeutete dem Wesen nach einen Widerruf der Note. Das Außenamt beantwortete ihn sehr entgegenkommend. Es verlangte von den Vereinigten Staaten nicht etwa eine mengenmäßige Begrenzung der Verschiffungen von Kupfer und anderen Banngutwaren an die europäischen Neutralen oder den Ausschluß verdächtiger Firmen, sondern nur ihren Beistand bei der Entdeckung betrügerischer Manifeste und versteckter Kupfer- und Gummiladungen. Gleichwohl wäre das Arrangement für uns vorteilhaft gewesen, wenn uns sein Abschluß ermächtigt hätte, amerikanische Ladungen einigen der damals angewandten Prüfungen zu unterwerfen. Zu seinem Abschluß kam es indessen nicht, denn als die Entwürfe dem Staatsdepartement unterbreitet wurden, erklärte Lansing dem englischen Botschafter, das Staatsdepartement, das durch den bevorstehenden Zusammentritt des Kongresses beunruhigt war, habe keine Hoffnung mehr auf eine Einigung. Statt dessen wurde wieder der Standpunkt der Note vom 8. November vertreten und dem Botschafter mitgeteilt, daß die Vereinigten Staaten das englische System der Schiffszurückhaltungen nicht dulden könnten und an der Regel festhielten, daß Gegenstände zweifelhaften Gebrauchs nur der Beschlagnahme unterworfen seien, falls der Beweis ihrer Bestimmung für die Land- oder Seestreitkräfte eines Kriegführenden erbracht werde. Der Botschafter berichtete deshalb:
"Diese Doktrin wird niemals von den Vereinigten Staaten aufgegeben werden, und wenn der Handel mit Neutralen auf Grund der Vermutung angehalten wird, er werde die Bevölkerung Deutschlands erreichen, so können wir uns einer ernsten Krisis unserer Beziehungen mit diesem Lande gegenübersehen."108 Trotz dieser Ablehnung der englischen Wünsche hofften die Vereinigten Staaten, England werde durch Aufhebung der Ausfuhrbeschränkungen auf Gummi und Jute das Abkommen wenigstens teilweise abschließen. "Das Außenamt antwortete jedoch, daß die Vereinbarung über britische Ausfuhren untrennbar mit dem Übereinkommen über amerikanisches Kupfer verbunden sei. Da die amerikanischen Regierungsstellen es ablehnten, irgendeine Kontrolle über ihre Banngutausfuhren auszuüben, so erhob das britische Außenamt den Anspruch, daß unsere Seestreitkräfte und Regierungsstellen die Rechte der Kriegführenden ohne Lockerung wahrnehmen würden."109 Das Verhalten des Präsidenten und seiner Ratgeber macht die unsererseits gegen sie erhobenen Beschuldigungen verständlich. "Nachdem sie wiederholt ihre Sympathie mit unserer Sache bekundet hatten, wählte der [148] Präsident und seine Regierung unter allen kriegführenden Mächten gerade die britische Regierung zum Gegenstand seines Tadels; nachdem sie ausdrücklich erklärt hatten, sie sähen die Londoner Deklaration als ein aufgehobenes Abkommen an, führten sie deren zweifelhafteste Regeln heimlich wieder in den Streit ein; schließlich weigerten sie sich, ein von ihnen selbst vorgeschlagenes allgemeines Arrangement zu erwägen. Es ist nicht überraschend, daß Sir Eyre Crowe fast zweifelte, ob das Staatsdepartement ehrenhaft handele. Gegenüber dieser Auffassung muß daran erinnert werden, daß Sir Cecil Spring-Rice, der die Beweggründe am besten beurteilen konnte, niemals erklärte, dieses widerspruchsvolle Verhalten und das Umstoßen der einmal getroffenen Entscheidung sei die Folge eines doppelten Spiels. Er änderte niemals seine Meinung, daß die amerikanische Verwaltung freundlich gesinnt sei und führte ihre schlimmsten Ungereimtheiten auf berufsmäßige Unfähigkeit und Furcht vor dem Kongreß zurück.
Der Zustand im Staatsdepartement ist chaotisch, da der Staatssekretär keine Kontrolle auszuüben und auch kein Interesse an technischen Fragen zu haben scheint. Letztere sind in den Händen verschiedener Stellen, über deren Verfahren der Staatssekretär und sogar der Berater nichts wissen. Überdies sind sie Politiker, deren Interessen sich auf den Kongreß und die Neuwahl konzentrieren."110
Die Beratungen des Kongresses zeigten, daß der Druck der deutschfreundlichen Kreise weit geringer war als es die Regierung erwartet hatte. Zwar war der Kongreß mit zahlreichen Petitionen der betroffenen Wirtschaftskreise überschwemmt worden, es fand jedoch niemals eine Generaldebatte darüber statt. Die englandunfreundlich gesinnten Elemente konzentrierten vielmehr ihr Hauptinteresse auf die Gesetzentwürfe über das Verbot der Waffenausfuhr, ohne doch deren Beratung durchsetzen zu können. Auch der vom Präsidenten selbst unterstützte Gesetzentwurf über den Ankauf der in den amerikanischen Häfen liegenden deutschen Handelsschiffe wurde vertagt. Die dagegen von Senator Lodge vorgebrachten entscheidenden Argumente entsprachen im wesentlichen den britischen Einwendungen, "daß die Briten ein unzweifelhaftes Recht auf Wegnahme der erworbenen Schiffe haben würden, und daß selbst im Falle der Nichtausübung dieses Rechts es eine leichtsinnige Herausforderung sein würde, im Staatseigentum stehende Schiffe mit Banngut zu beladen und in die Kriegszone zu senden, in der sie der Aufbringung durch einen Kriegführenden unterliegen würden".111 Sogar die Senatsdebatte über die Petitionen der Kupferinteressenten, die am schwersten durch die britischen Maßnahmen betroffen worden waren, verlief ohne scharfe Ausfälle gegen England. Der Wortführer der Petenten, Senator Walsh aus Montana erkannte an, daß die britischen Orders in Council der amerikanischen Praxis im Bürgerkrieg entsprächen. [149] Dieselbe Mäßigung zeigte sich im Kongreß und der öffentlichen Meinung auch bei der Behandlung zweier während dieser kritischen Kongreßtagung sehr geschickt ins Werk gesetzten Unternehmungen, welche die Volksstimmung gegen England aufreizen und den Streit um die Londoner Deklaration wieder anfachen sollten. Während der ersten Wochen der Tagung lief der Dampfer Wilhelmina mit einer für eine amerikanische Firma in Hamburg bestimmten Ladung Getreide und anderer Lebensmittel aus den Vereinigten Staaten aus. "Augenscheinlich war das Experiment gut vorbereitet: Hamburg ist ein so ausgesprochener Handelshafen, daß die Forts an der Mündung des Flusses es nicht zu einer Marine- oder Heeresbasis machen. Die Lebensmittelladung der Wilhelmina unterlag deshalb nicht der Beschlagnahme als Banngut, falls sie an die Zivilbevölkerung verteilt wurde. Große Handelsinteressen waren mit dem Ergebnis verknüpft, denn überall im Lande erkannten die Getreidemakler, daß der Ausgang der Angelegenheit entscheidend dafür sein würde, ob amerikanisches Getreide und Lebensmittel während des Krieges nach Deutschland versandt werden könnten. Unsere Gewährsmänner berichteten uns, daß große Vorräte in New York und Buffalo pendente lite zurückgehalten würden. Nichtsdestoweniger wären die Leiter dieses Unternehmens gut beraten gewesen, wenn sie es früher versucht hätten, denn als sie es versuchten, wurden die Rechtsfragen verwirrt. Als die Wilhelmina Falmouth erreichte und dort mit Beschlag belegt wurde (9. Februar), hatte die deutsche Regierung ihre erste Verordnung zur Kontrolle und Verteilung von Getreide und Mehl erlassen. Diese Verordnung machte tatsächlich alles nach Deutschland adressiertes Getreide zu Banngut, denn es verwandelte alle Inhaber und Empfänger von Getreidevorräten in staatliche Agenten.112 Es ist wahr, daß der deutsche Bundesrat hastig aus Amerika eingeführtes Getreide von der Anwendung des Gesetzes ausnahm, aber die den Lokalbehörden übertragenen Befugnisse waren so groß und die ihnen gegebenen Weisungen so umfassend, daß zum mindesten eine gewichtige Vermutung dafür bestand, daß nach Hamburg gesandte Getreideladungen tatsächlich an den Staat adressiert waren, denn Hamburg war ein durch seinen eigenen Senat regierter souveräner Staat. Die richtige Definition eines befestigten Platzes war überdies nach der deutschen Beschießung von W[h]itby und Scarborough sehr zweifelhaft geworden. Schließlich war es, wenn wir auch keine genauen Nachrichten hatten, fast sicher, daß die Hamburger Garnison seit Kriegsbeginn durch reguläre Truppen und Ausbildungslager erheblich verstärkt worden war."113 Diese in den veröffentlichten Staatspapieren dem englischen und amerikanischen Volk unterbreiteten zweifelhaften Rechtsfragen erscheinen jedoch heute von geringerem Interesse als die politischen Hintergründe des Falles. Die britische Botschaft in Washington war von Anbeginn an überzeugt, daß es sich hier nicht um ein reguläres Handelsgeschäft, sondern um ein von einer politischen Partei finanziertes Unternehmen handelte. Während der britische Gewährsmann den Verdacht äußerte, die Hintermänner des Befrachters, der Firma Messrs. Green in St. Louis, seien in der Ann- [150] häuser Buschbrauerei zu suchen, war Sir Cecil Spring-Rice der festen Meinung, Dr. Dernburg habe die Sache arrangiert. "Obgleich das Staatsdepartement es für richtig hielt, in einer amtlichen Note den Rechtsstandpunkt der Eigentümer zu vertreten, stand es dem ganzen Geschäft ebenso mißtrauisch wie unsere Behörden gegenüber. Es leitete eine Untersuchung ein, über die es uns privatim unterrichtete. Es überzeugte sich davon, daß Messrs. Green nur die Strohmänner und Agenten einer zum Zweck der Finanzierung der Wilhelmina und ihrer Ladung gebildeten Gesellschaft seien. Die Leiter dieser Gesellschaft konnten nicht entdeckt werden, aber die ermittelten Tatsachen verstärkten den Verdacht, daß Dr. Dernburg das Unternehmen organisiert hatte. Wer auch immer die Organisatoren gewesen sein mögen, so scheint jedenfalls ziemlich sicher zu sein, daß sie auf eine starke Unterstützung durch den Kongreß rechneten. Denn während die Angelegenheit erörtert wurde, begann eine von Mr. Stone geführte Gruppe von Senatoren auf die Regierung einen Druck auszuüben, Mr. Stone traf Vorbereitungen, einen von ihm an Mr. Bryan geschriebenen Brief zu veröffentlichen, in dem er versicherte, daß die amerikanische Regierung beide Gruppen der Kriegführenden nicht unparteiisch behandelte. Sir Cecil Spring-Rice war überzeugt, daß diese ziemlich prahlerische Veröffentlichung des Stone-Briefes ein Teil eines allgemeinen Manövers sei. Binnen kurzem wurde es jedoch offenbar, daß diese sorgfältig vorbereitete Aufreizung des Kongresses fehlgeschlagen war. Die Streitfrage wurde in beiden Häusern mit derselben Mäßigung diskutiert, wie die Banngutfrage einige Zeit vorher diskutiert worden war. Nichts Aufreizenderes wurde gesagt, als daß die britische Regierung zur Entschädigung der Eigentümer verpflichtet sei. Nachdem er lange genug gewartet hatte, um sich über das Ergebnis zu vergewissern, verlor Mr. Bryan das Interesse an der Sache und das Staatsdepartement ging sogar so weit, ein Versprechen abzugeben, daß der Fall sich nicht wiederholen würde. Auch die geheimnisvollen Eigentümer erkannten den Fehlschlag an und erklärten sich plötzlich mit der Feststellung des Preises für die Ladung durch Schiedsspruch einverstanden."114 Das zweite Manöver war sogar noch gefährlicher als das erste, weil es eng mit dem von der Regierung unterstützten Schiffsankaufsgesetzentwurf verbunden war, der eine Staatshandelsflotte durch Ankauf der deutschen und österreichischen Zufluchtsschiffe schaffen sollte. Nach dem Recht der Londoner Deklaration hätten die Kriegführenden einen Flaggenwechsel nicht anerkennen brauchen, während die Entscheidung nach dem älteren Admiralitätsrecht zweifelhaft gewesen wäre. Weit wichtiger als die reine Rechtsfrage war jedoch die politische. Die Gefahr bestand, daß man eine Aufbringung eines an Amerika verkauften deutschen Schiffes als eine Herausforderung des Kongresses hinstellen würde. Sir Cecil Spring-Rice empfahl deshalb ein Kompromiß, um einen gegen England gerichteten Ausbruch der öffentlichen Meinung zu verhindern. Gerade diese Aussicht einer heftigen Reaktion der öffentlichen Meinung in den Vereinigten Staaten auf die Aufbringung eines unter ameri- [151] kanischer Flagge fahrenden ehemals deutschen Handelsschiffes und die daraus sich ergebende Möglichkeit eines englischen Nachgebens veranlaßte einen amerikanischen Großkapitalisten namens Edward Breitung, dem man übrigens keine Verbindung mit Deutschland nachweisen konnte, zum Ankauf des deutschen Schiffes Dacia, das in Galveston mit einer Baumwolladung nach Rotterdam abgefertigt wurde. Die Presse beider Länder bemächtigte sich der Angelegenheit, die in England für so ernst angesehen wurde, daß Sir Edward Grey sie dem Kabinett vorlegte. Das Kabinett sprach sich für eine unnachgiebige Haltung aus, weil sonst ein allgemeiner Flaggenwechsel der in Amerika liegenden Schiffe und die Fortsetzung des deutschen Handels unter amerikanischer Flagge zu befürchten sei. Die englischen Sorgen erwiesen sich jedoch als grundlos. In der Debatte um das Schiffsankaufsgesetz wurde der Fall Dacia von den Senatoren Lodge und Root aufgegriffen, die das Unternehmen scharf verurteilten. Das Staatsdepartement ließ deshalb Herrn Breitung fallen und erhob keinen Protest, als die Dacia von einem französischen Hilfskreuzer aufgebracht und später vom Conseil des Prises eingezogen wurde. "Das war das Ergebnis der beiden Versuche, den Parteigeist zu entfachen. Jedes Experiment war sorgfältig berechnet und vorbereitet worden. Wenn die vor dem Zusammentritt des Kongresses so heftig diskutierten Fragen der Banngutlisten, der Orders in Council, der Behandlung bedingten Bannguts und der Regel der fortgesetzten Reise Fragen gewesen wären, die das Nationalgefühl wirklich bewegt hätten, so ist es unvorstellbar, daß diese Experimente so kläglich gescheitert wären. Obwohl es für jeden Europäer höchst riskant ist, sich eine Meinung über amerikanische Politik zu erlauben, so kann man doch mit ziemlicher Sicherheit feststellen, daß die Parteipolitiker, das Staatsdepartement und sogar unser Botschafter die Stärke des Parteigeistes, der ihnen im Herbst des Jahres soviel Sorge bereitet hatte, überschätzt und die Macht derjenigen Kreise des amerikanischen Volkes zu gering gewertet hatten, die sich durch das Geschrei nicht beeinflussen ließen und entschlossen waren, daß es ihre natürlichen Sympathien nicht erkalten lassen und ihr Gerechtigkeitsgefühl nicht verdrehen sollte. Die Dacia und die Wilhelmina waren in der Tat Prüfsteine, aber bei der Prüfung bekundeten die Proben die Schwäche und nicht die Stärke der Leidenschaften, zu deren Entzündung sie bestimmt waren."115
"Möglicherweise, weil die Schwäche der Parteien, die begierig waren, Streit zwischen Amerika und Großbritannien zu erregen, erst in einem späteren Zeitpunkt der Tagung zutage trat, hielten sich der Präsident und der Staatssekretär für verpflichtet, einen förmlichen Protest einzulegen. Die Note wurde in Whitehall am 28. Dezember übergeben. Ihre Verfasser verstanden es, sie freundlich zu gestalten. Sie glich mehr einer Klage über eine bestehende Praxis als einer Herausforderung, denn sie [152] war ein weit vernünftigeres und gemäßigteres Dokument als die frühere unbeantwortete Note vom 7. November. Ihr wesentliches Vorbringen war, daß Zurückhaltungen und Beschlagnahmen auf bloßen Verdacht hin angeordnet würden, und daß Zweideutigkeiten in der Ausfuhrverbotsliste fremder Staaten nicht einmal die zeitweilige Beschlagnahme einer Ladung rechtfertigten."116 "Außerdem lehnte die amerikanische Regierung unsere Behandlung des bedingten Bannguts ab. Sie erklärte, daß, wie es in der Tat auch der Fall war, unter dem bestehenden System nicht zwischen bedingtem und absolutem Banngut unterschieden würde, und daß wir nicht mehr den geringsten Versuch machten, um festzustellen, ob nach Deutschland adressierte Nahrungsmittel für die bewaffnete Macht des Feindes bestimmt seien oder nicht. Wie schon gesagt, war die Sprache der Note außerordentlich freundlich. Sie enthielt mehrere zuvorkommende Absätze und schloß mit einer Erinnerung an die traditionelle Freundschaft zwischen den beiden Ländern. Nichtsdestoweniger lehnte sie in gewissem Maße unser ganzes System ab. Sie wandte sich allgemein gegen die Rechtsmäßigkeit sowohl der neutralen Ausfuhrverbote als auch der von den Neutralen gegebenen Zusicherungen über die Aufrechterhaltung der Verbote und der von uns in zweifelhaften Fällen verlangten Garantien, die alle drei ebensosehr Teile unserer Maschinerie zum Auffangen von Banngut waren, wie unsere Kontrollstreitkräfte."117 "Es erscheint jedoch wohl begründet, daß die amerikanische Regierung nicht beabsichtigte, uns zu behindern und daß die scharfen Absätze in der Note von untergeordneten Beamten verfaßte Referatsaufzeichnungen waren, die man in die Note ohne jene sorgfältige Überarbeitung aufgenommen hatte, die allein ihre Sprache in Einklang mit den Absichten des Präsidenten und Staatssekretärs gebracht hätte. Sir Cecil Spring-Rice war jedenfalls überzeugt, daß die amerikanische Regierung die Note für ein Manöver und nicht für eine Herausforderung hielt. Seine Urteile, aus denen sich die Stimmung der amerikanischen Regierung besser abschätzen läßt als aus dem bloßen Text einer von so vielen Personen zusammen gestellten Note, sollten der Reihe nach und in seinen eigenen Worten angeführt werden:
Einige ernste Proteste werden gegen Handlungen erhoben werden müssen, die man den amerikanischen Interessen für abträglich hält. Aber die allgemeine Stimmung innerhalb und außerhalb der Verwaltung ist sympathisch, und begreift allgemein die wahre Natur des Kampfes. Unseres Botschafters Abschätzungen wurden noch durch zwei Äußerungen des Präsidenten selbst bestätigt. Das war in der Tat das Eigenartige der Lage. Die entschiedensten Herausforderungen und die provozierendsten Dokumente wurden wiederholt von einer Regierung überreicht, die uns möglicherweise freundlicher als irgendeine andere neutrale Regierung in der Welt gegenüberstand. Am 11. November im Verlauf einer ziemlich schwierigen Unterhaltung über Handelsschiffe, die vermutlich im Begriff standen, amerikanische Häfen zu verlassen, um die Handelswege des Atlantiks anzufallen, teilte der Präsident unserem Botschafter mit: neunzig Prozent der Bevölkerung unterstützten die Alliierten. Wenn man sich daran erinnert, daß der Präsident so unendliche Mühe darauf verwandte, daß seine Politik eine bloße Konsequenz, oder praktische Anwendung der öffentlichen Meinung, so wie er sie verstand, sei, so ist seine Behauptung nicht ohne Bedeutung.118 Man kann natürlich sagen, daß diese Äußerung des Präsidenten nur eine Zufallsbemerkung war. Aber es scheint ganz unmöglich, die Wichtigkeit des Privatbriefs so zu verkleinern, den er einige Tage vor Übergabe der Protestnote in Whitehall an Sir Cecil Spring-Rice richtete, denn dieser Privatbrief ist tatsächlich ein Eingeständnis, daß der Präsident dem amtlichen Streit wenig Bedeutung beimaß.
Ich hoffe und glaube, schrieb er, daß wir diese Angelegenheiten, wenn wir sie in dieser freimütigen und vernünftigen Weise behandeln, ohne ernste und dauernde Verlegenheiten bearbeiten werden. Wenn die Fäden sich verwickeln, so müssen wir sie geduldig entwirren."119 "Diese Zusicherungen einer freundlichen Stimmung befriedigten jedoch Sir Edward Grey und Sir Eyre Crowe nicht, die beide entrüstet darüber waren, daß die amerikanische Verwaltung von allen kriegführenden Mächten die britische Regierung als die einzige ausgewählt hatte, die ihren Tadel verdiene, und daß sie einen Streit mit Großbritannien in einem der gefährlichsten Augenblicke der britischen Geschichte begonnen hatte. Denn als die amerikanische Note übergeben wurde, hatten die alliierten Heere in Flandern und Nordfrankreich gerade einen Angriff von beispielloser Heftigkeit und Wut angehalten und waren davon noch vollständig betäubt. Während wir die Antwort verfaßten, erlitten die russischen Heere in Ostpreußen bei den masurischen Seen ein vernichtendes Unglück. Das schien uns ein schlechter Zeitpunkt, um einen unverhüllten Streit mit einem Staat zu eröffnen, der nach des Präsidenten eigenen Worten für jeden Grund- [154] satz focht, den er heilig hielt. Was die Note selbst anging, so waren ihre ernstesten Teile diejenigen, die unsere bevorstehenden Abkommen mit den Neutralen ablehnten, denn wenn die amerikanische Regierung zu ihren Behauptungen stand, daß Verdachtsgründe gegen die Empfänger und Unzulänglichkeiten der neutralen Ausfuhrverbote keine Gründe für die Zurückhaltung von Schiffen und Ladungen waren, dann waren unsere Verhandlungen mit den Neutralen gefährdet. Das Außenamt verlor deshalb keine Zeit, um dieses Verfahren zu rechtfertigen. Ein von Sir Eyre Crowe vorbereitetes Memorandum wurde Mr. Page am 31. Dezember übergeben. In diesem Schriftstück bewies Sir Eyre, daß neutrale Ausfuhrverbote den unschuldigen neutralen Handel in Banngutwaren nicht behinderten, sondern erleichterten, und daß die vorhandenen Schwierigkeiten auf Unvollkommenheiten beruhten, um deren Abstellung wir uns bemühten."120 "Zum Schluß deutete Sir Eyre Crowe an, ohne es ausdrücklich auszusprechen, daß, falls das vorherrschende System unwirksam gemacht werde, an seine Stelle für den neutralen Handel sehr viel lästigere Verfahren treten würden. Er war in der Tat überzeugt, daß es unnütz sei, den Versuch zu machen, die amerikanische Regierung versöhnlich zu stimmen, solange ihre Protestnoten und Kritiken lediglich Bewegungen in einem Parteispiel waren. Nur wenige Tage vorher hatte er eine nachdrückliche Aufzeichnung zu diesem Zweck verfaßt:
Man kann sich nicht darauf verlassen, schrieb er, daß das Staatsdepartement, und ich fürchte auch der Präsident, uns anständig behandeln. Sie glauben, es mache sich besser bezahlt, dieses Land in der rechtmäßigen Ausübung seiner Rechte als Kriegführender zu behindern als die rechtswidrigen Praktiken der deutsch-amerikanischen Bannguthändler zu stören, weil sie sich daran gewöhnt haben, daß dieses Land ihnen jedesmal nachgibt, wenn sie ihre behaupteten Schwierigkeiten mit der öffentlichen Meinung ins Treffen führen, während die Deutschen, weil sie die bestechlichen Geldinteressen für sich einfangen und die Waffe des deutsch-irischen Wählers ausspielen, für wert gehalten werden, auf unsere Kosten in jeder Weise versöhnt zu werden. Unter diesen Umständen ist die entschlossene Durchführung unserer unzweifelhaften Rechte vor unseren Prisengerichten der richtige Kurs. Ich bin überzeugt, daß das Staatsdepartement, wie es auch immer toben und drohen mag, die amerikanische Meinung nicht mit sich fortreißen wird, wenn es in einem Augenblick, in dem wir um unser Leben kämpfen, versucht, uns Doktrinen und Theorien aufzunötigen, die seine eigene Regierung immer abgelehnt hat... Wir müssen die Rechte unserer Prisengerichte gegen den Versuch des Staatsdepartements verteidigen, durch diplomatischen Druck eine ihm günstige Beilegung jeden Falles außerhalb der Prisengerichte zu erreichen."121
Die endgültige Antwort wurde durch zwei Noten vom 7. Januar und
11. Februar erteilt, die im Außenamt vorbereitet und vor Abgang dem
[155] Kronanwalt und der
Admiralität vorgelegt worden waren. Sir Eyre Crowes Ansicht,
daß wir fest bleiben müßten, wurde im wesentlichen
angenommen. Jeder einzelne der amerikanischen Vorwürfe wurde darin
sehr sorgfältig widerlegt. Zunächst wurde an Hand der
Handelsstatistik nachgewiesen, daß die britische Banngutkontrolle nicht
ursächlich für den Rückgang der amerikanischen Ausfuhr sei.
Im zweiten Teil der Note wurde die weit bedeutsamere Frage erörtert: "Ob
das sorgfältig ausgearbeitete Verfahren zum Abfangen von Banngut durch
Untersuchungen im Hafen, Vergleich der Manifeste mit den neutralen
Ausfuhrverboten und das Verlangen von Sondergarantien eine zu rechtfertigende
Methode der Anwendung des alten Rechts der fortgesetzten Reise sei. Das
Außenamt hielt seine Meinung aufrecht, daß dieses Verfahren nichts
weiter als eine Anpassung der alten Gewohnheiten an neue Umstände
sei."122
82S. 119. ...zurück... 83S. 119. ...zurück... 84S. 120. ...zurück... 85S. 121. ...zurück... 86S. 121. ...zurück... 87S. 121. ...zurück... 88S. 122. ...zurück... 89S. 121. ...zurück... 90S. 122. ...zurück... 91S. 123. ...zurück... 92S. 124. ...zurück... 93S. 124. ...zurück... 94S. 126. ...zurück... 95S. 126. ...zurück... 96S. 127. ...zurück... 97S. 127. ...zurück... 98S. 128. ...zurück... 99S. 128. ...zurück... 100S. 128. ...zurück... 101S. 128. ...zurück... 102S. 129. ...zurück... 103S. 129. ...zurück... 104S. 129. ...zurück... 105S. 130. ...zurück... 106S. 130. ...zurück... 107S. 130. ...zurück... 108S. 131. ...zurück... 109S. 131. ...zurück... 110S. 132. ...zurück... 111S. 133 s. Congressional Record 63 Congress 3. Sess. 11. Februar 1915 Senat. ...zurück... 112S. 136 [Scriptorium merkt an: richtig S. 135]. ...zurück... 113S. 137 [Scriptorium merkt an: richtig S. 136]. ...zurück... 114S. 136. ...zurück... 115S. 138. ...zurück... 116S. 138. ...zurück... 117S. 139. ...zurück... 118S. 139. ...zurück... 119S. 140. ...zurück... 120S. 140. ...zurück... 121S. 141. ...zurück... 122S. 141. ...zurück...
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