SucheScriptoriumBuchversandArchiv
IndexSponsor


 
Erlebnisberichte von den Verschlepptenzügen, Teil 4
 
Tulischkow 104. Mordtaten auf dem Verschlepptenzug nach Tulischkow / Turow

Paar für Paar niedergeschossen: Von 181 Verschleppten kehrten nur 5 zurück!

Posen, den 18. November 1939.
Das Sondergericht

Gegenwärtig:
Amtsgerichtsrat Bömmels
als Richter,
Justizangestellter Miehe
als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle.

In der Ermittlungssache betr. die Verschleppung des Volksdeutschen Walter Kabsch aus Parsko erscheint der Vogt Walter Kabsch und erklärt:

Zur Person: Ich heiße Walter Kabsch, bin 27 Jahre alt, Vogt in Parsko bei Woinitz.

[176] Zur Sache: Ich bin Vogt bei dem Baron von Gersdorff auf Parsko. Am 1. September 1939 kam der Gärtner Matuczak des Gutes zu mir und erklärte mich für verhaftet. Ich wollte mich an meinen Dienstherrn wenden. Dieser stand aber schon mit dem Inspektor Golinski und dem Stellmacher Laubsch auf dem Hofe, und ich sah, daß sie ebenfalls festgenommen waren. Ich wollte Schmiegel entfliehen, aber Herr von Gersdorff erklärte mir, er komme mit und wir kämen zusammen in ein Lager. Daraufhin bin ich geblieben und habe mich auch nicht weiter darum bekümmert, wie Matuczak dazu kam, uns festzunehmen. Dieser fuhr uns auf die Polizei nach Schmiegel. Dort fragte man ihn, warum er uns bringe. Ich habe aber nicht gehört, ob und welche Antwort er darauf gegeben hat. Die Polizei brachte uns nach Schacz und übergab uns dem Militär. Dort stand bereits eine große Anzahl von Volksdeutschen. Darunter befand sich auch mein Bruder Karl aus Woinitz und mein anderer Schroda Bruder, Willi, aus Alt-Boyen. Als wir um 10 Uhr abends im Fußmarsch nach Kosten abtransportiert wurden, waren wir zu etwa 400 Mann. Wir wurden von 12 Uhr bis 3 Uhr nachts im Gericht untergebracht und dann nach Schrimm weitergeführt. Von dort brachte man uns nach Schroda. Dort war die Zivilbevölkerung damit beschäftigt, Schützengräben auszuheben. Als wir vorbeigeführt wurden, stürzten sich die Leute auf unseren Zug. Sie schlugen mit dem Spaten auf uns ein. Eine große Anzahl von uns wurde dabei verletzt und blutete fürchterlich. Ich habe einen Mann gesehen, dem die Nase und die Oberlippe glatt abgeschlagen waren. Die Wachmannschaft duldete nicht, daß die Leute verbunden wurden, sondern zwang die Verletzten zum Weitermarsch. Zu essen bekamen wir an diesem Tage ebensowenig wie an den folgenden Tagen. Wir mußten uns in das teilen, was einzelne bei sich hatten, und uns schließlich von Rüben nähren, die wir von den Feldern holten.

Am Abend dieses Tages kamen wir nach Paiser. Dort wurden wir in einem Saal untergebracht und mit den Handgelenken in Gruppen von je 6 Mann aneinandergefesselt, und zwar mit ganz dünnen Schnüren. Die Schnüre wurden so fest wie möglich angezogen, daß die Hände ganz dick anschwollen und blau wurden, weil das Blut stockte, und Tulischkow die Leute vor Schmerzen aufschrien. So ließ man uns die ganze Nacht gefesselt. Am anderen Tage mußten wir, immer noch gefesselt, nach Tulischkow marschieren, das, wie die Älteren im Zuge sagten, etwa 70 km entfernt liegt. Mir war es gelungen, auf dem Marsch die Fesseln etwas zu lockern. Die anderen waren aber immer noch so stramm gefesselt, daß sie auf dem ganzen Wege vor Schmerz schrien. In den Dörfern beschimpfte uns die Bevölkerung und bewarf uns mit Stöcken und Steinen, so daß wieder viele von uns Verletzungen davontrugen. Viele marschierten mit blutüberströmtem Gesicht weiter.

Hinter Tulischkow wurden wir auf eine Wiese geführt. Dabei stolperte Herr von Gersdorff, der etwa 65 Jahre alt war und nicht mehr recht laufen konnte, als er zu einem deutschen Flieger aufsah. Da bekam er von einem Soldaten einen Kolbenstoß, daß er taumelte. Er raffte sich auf und rief "Heil Hitler" zu dem Flieger hinauf. Darauf stieß ihn der Soldat mit der Mündung des Gewehres vor die Brust, daß er in den Graben fiel, und drückte los. Um den Toten kümmerte sich niemand. Wir durften auch nicht zu ihm hin.

Auf der Wiese gab man uns ganz schmutziges Trinkwasser aus dem Entenpfuhl und ließ uns 10 Minuten rasten. Dann marschierten wir weiter in Richtung Turek. [177] In der Nacht wurde unser Zug an einem Brunnen geteilt. Die Älteren, die vorne marschiert waren, hatten zuerst getrunken und wurden weitergetrieben. Unsere Abteilung bestand aus 181 meist jüngeren Leuten, wie sich beim Abzählen ergab.

Turek Die erste Gruppe haben wir dann nicht wieder getroffen. Die Soldaten sagten uns, als wir weiter marschierten, in Turek würden wir alle erschossen. Da ich gut polnisch kann, fragte ich die Soldaten, warum wir erschossen werden sollten, bekam aber darauf keine Antwort. In dem Dorfe riefen die Soldaten der Zivilbevölkerung zu, wir seien diejenigen, die die polnischen Frauen und Kinder ermordeten. Darauf stürzten sich die Leute natürlich auf den Zug und schlugen mit Peitschen, Stöcken und was sie sonst zur Hand hatten, wahllos in den Zug hinein. Wenn jemand von uns die Schläge abwehren oder auch nur etwas sagen wollte, schlugen die Wachen selbst mit dem Karabiner drein. Einige von uns konnten nicht mehr Schritt halten, weil sie vollkommen erschöpft waren. Die Soldaten schossen einfach auf diese Leute und schlugen sie dann mit dem Kolben gänzlich tot, wenn sie nicht gleich tödlich getroffen waren. So sind in dieser Nacht an die 20 von uns umgebracht worden.

Gegen 11, 12 Uhr mittags waren wir in Turek und marschierten gleich weiter. Kurz hinter Turek kamen wir an einem Gut vorbei, als ein deutscher Flieger erschien. Unsere Wachmannschaft ließ uns auf der Straße stehen. Die Soldaten selbst nahmen im Straßengraben und hinter Weidenbüschen Deckung. Der Flieger muß aus dieser Bewegung wohl den Schluß gezogen haben, daß es sich bei uns um einen Transport von Volksdeutschen handelte, denn er nahm sofort die Weidenbüsche unter Feuer. Von der Wachmannschaft, die sich inzwischen, je mehr wir uns der Front näherten, verstärkt hatte und ungefähr 80 bis 90 Mann betrug, wurde eine große Anzahl von Soldaten verwundet. Die Soldaten gerieten darüber in eine solche Wut, daß sie noch aus ihrer Deckung heraus wahllos mit Maschinengewehren und Karabinern in unseren Zug hineinschossen. Wer getroffen war, blieb liegen, als sie uns dann weitertrieben. Die Soldaten kümmerten sich nicht darum, ob die Leute tot oder verwundet waren. Wir waren jetzt nur noch etwa ein Viertel der ursprünglich 181 Mann starken Gruppe.

Die Soldaten trieben uns noch etwa 1½ bis 2 Stunden weiter hinter Turek auf ein Feld. Dort mußten wir uns in zwei Reihen nebeneinander aufstellen. Die Soldaten nahmen schräg links vor uns in einer Linie Aufstellung und begannen nun, ohne daß man uns noch irgend etwas gesagt hätte, Paar um Paar von uns niederzuschießen. Mein Bruder Willi stand neben mir, etwas weiter vorn mein Bruder Karl. Dieser schrie plötzlich: "Ausrücken, wer kann!" Damit lief er weg und ich mit meinem Bruder Willi ebenfalls. Die Soldaten schossen mit Maschinengewehren und Karabinern hinter uns her. Nach etwa 200 Meter stolperte ich. Als ich noch am Boden lag, bekam ich einen Streifschuß über dem Kopf. Mein Bruder Willi raffte mich sofort auf. Wir liefen weiter, wobei ich noch meinen Mantel ausgezogen habe, durch den auch noch mehrere Schüsse gegangen waren. Da die Wiesen an dieser Stelle teilweise mit Gebüsch Kolo durchsetzt waren, ist es uns gelungen, zu entkommen. Wir haben die Nacht in einem Kartoffelfeld gelegen und kamen nach zwei Tagen in Kolo an. Dort wurden wir wieder von Militär aufgegriffen und dem Militärgericht zugeführt. Dort wurde uns gesagt, wenn wir Polen wären, würde man uns laufen lassen, wenn wir aber Deutsche wären, würden wir erschossen werden. Wir haben uns aber trotzdem als Deutsche zu erkennen gegeben. Um jedoch aus der Lage herauszukommen, haben [178] wir erklärt, wir hätten requiriertes Vieh nach Paiser getrieben und uns auf dem Rückwege verlaufen, da uns ein Bauer offenbar falschen Bescheid über den Weg gegeben habe. Der Offizier schrie uns an, wir sollten zugeben, daß wir Spione seien und polnische Frauen und Kinder ermordet hätten, während deren Männer an der Front ständen. Als ich darauf sagte, das sei nicht wahr, nahm er einen Karabiner und schlug mich auf den Kopf, und zwar auf die Stelle, wo ich den Streifschuß erhalten hatte. Dieser Schlag hat die Schädeldecke zertrümmert. Später hat Dr. Theune in Schmiegel zunächst einen Splitter aus der Wunde gezogen, den ich selbst gesehen habe. Dann bin ich durch Dr. Henschke in Posen im Diakonissenhaus operiert worden. Dieser hat mir zwei Knochenstücke herausgenommen.

Auf den Schlag hin war ich zu Boden gestürzt, kam aber bald wieder zu mir und wurde ins Gefängnis gebracht, ohne daß sich jemand um die Verletzung kümmerte. Nach zwei Stunden, gegen 10 Uhr abends, wurden wir wieder mit Knutenschlägen aus dem Gefängnis getrieben und in die Stadt gebracht. Es wurde gerade wieder ein Zug Volksdeutscher durch die Stadt getrieben. In diesen Zug sind wir hineingesprungen, weil dieser Zug zu vieren marschierte und man dadurch nicht so viel von den Schlägen Lowitsch abbekam, die die Bevölkerung austeilte und denen wir bisher zu zweien weitaus stärker ausgesetzt waren. Mit diesem Zuge sind wir bis Lowitsch marschiert und kamen gegen 10 Uhr vormittags an. An diesem Tage waren die deutschen Truppen schon bis Lowitsch vorgedrungen. Die Wachmannschaft wollte uns zurücktreiben, aber schon zwei Kilometer hinter dem Ort erschienen plötzlich bei uns deutsche Panzerwagen. Die Insassen nahmen die polnische Wachmannschaft gefangen und brachten uns nach Lowitsch zurück. Von dort wurde ich von den deutschen Truppen zunächst nach Lodsch ins Krankenhaus gebracht, wo ich 5 Tage verbrachte, dann kam ich nach Strehlen ins Krankenhaus, verblieb dort etwa 8 Tage, dann kam ich nach Schmiegel zurück. Dort erfuhr ich, daß mein Bruder Karl gesund nach Hause gekommen war, und hörte dann später, daß aus unserem Zuge auch der Fleischermeister Bogsch aus Schmiegel und der Inspektor Zabke aus Woinitz zurückgekommen seien.

Wir fünf sind die einzigen, die aus der Gruppe von 181 Mann mit dem Leben davongekommen sind.

v. g. u.
Walter Kabsch.

Der Zeuge wurde darauf vorschriftsmäßig beeidigt.

gez. Bömmels       gez. Miehe

Quelle: Sd. Is. Posen 833/39


 
Tarnowa 105. Pastor Leszczynski über den Todesmarsch nach Tarnowa

Massengräber von 30 und 70 verstümmelten Deutschen aufgefunden

Pastor Leszczynski aus Kosten, der den Verschlepptenzug bis Turek-Tarnowa mitmachte, schildert den Tod der 100 Deutschen auf den Feldern bei Tarnowa.1 Die dort erschossenen und ausgeraubten Deutschen wurden in zwei Massengräbern von 30 und 70 grauenhaft verstümmelten Leichen am 14. Oktober 1939 aufgefunden (Vgl. S. 251: "Gräber über Gräber", Titelseite des "Posener Tageblatt" Nr. 236).

Kosten Es war der 1. September. Wagenkolonnen mit Flüchtlingen durchfuhren die Stadt Kosten. Sie wurden durch fliehende Post- und Bahnbeamtenfamilien sehr behindert, [179] die mit Akten zum Bahnhof eilten. In den Mittagsstunden drang eine angetrunkene Horde junger Polen in mein Haus und zerrte mich auf die Straße. Unter Gejohle und Geschrei wurde ich nach dem Polizeigefängnis gebracht. In einer Zelle traf ich Tischlermeister Böhm und Sattlermeister Schön. Am Nachmittag wurden die verhafteten Deutschen in das Haus des "Sokol" geführt, wo die Namen festgestellt wurden. Neben den aus Kosten stammenden Schön, Wegner, Bucholz (Vater und Sohn), Böhm und mir waren es hauptsächlich Schmiegeler Einwohner: Czempin Mieke, Halliand, Zugehör und Sohn u. a. Am Abend wurden wir in das Gerichtsgefängnis gebracht, wo etwas später neue Inhaftierte eingeliefert wurden, die man unter Kolbenstößen in die Zellen trieb.

Am 2. September traten wir, etwa 300 Mann, unter Führung der Wachtmeister Wawrzyniak und Schwarz den Weg über Kawczyn nach Czempin an. Dort wurden wir von einer aufgewühlten Menschenmenge mit den übelsten Schimpfworten bedacht. Gleichzeitig Schrimm setzte die Verfolgung der Czempiner Deutschen ein. Viele von ihnen, darunter auch Pastor Kienitz, wurden in unsere Gruppe eingereiht. Dann ging es weiter nach Schrimm. In Schrimm wurden wir zum erstenmal mißhandelt. Der Marsch durch die Straßen glich einem Spießrutenlaufen. Mit Kolben und Stöcken wurde unbarmherzig auf uns eingeschlagen. Ich selber erhielt mehrere Fußtritte in den Oberschenkel und ins Kreuz. Wir erhielten erst Ruhe, als man uns auf den Klosterhof gesperrt hatte.

Schroda Am nächsten Tage ging es weiter nach Schroda, wo wir in den Abendstunden eintrafen. Auch hier wurden wir durch Schläge und Steinwürfe mißhandelt. In einem Fabrikhof mußten wir uns auf den Steinen niederlassen. Der Führer des Militärkommandos, dem wir jetzt übergeben wurden, vergriff sich in der grausamsten Weise an uns. Besonders mißhandelte er Pastor Kienitz, Mieke und mich.

Miloslaw Wir setzten den Marsch am 3. September fort. Während einer Rast stießen Volksdeutsche aus Schroda zu uns. Darunter Baumeister Gewiese. In Miloslaw wurden wir von der aufgeregten Menge durch Stockschläge und Steinwürfe mißhandelt. Viele von uns bluteten aus zahlreichen Wunden. Gegen Abend erreichten wir Pyzdry, wo wir im Spritzenhaus untergebracht wurden. Schon den dritten Tag erhielten wir nichts zu trinken. In den frühen Morgenstunden des nächsten Tages wurden je zwei der Jüngeren von uns aneinandergebunden, worauf man je sechs solcher Paare zusammenkettete. Der Aufbruch erfolgte gegen 7 Uhr. Erst am Nachmittag erhielten wir etwas Wasser. Während einer Rast fiel ein Schuß, und ich erfuhr, daß Herr v. Gersdorff erschossen worden Tulischkow sei. Über Drosina heraus ging es weiter der polnischen Front entgegen. Im Abenddämmer konnten wir das Mündungsfeuer der Geschütze sehen. Alle Deutschen meiner Gruppe hatten wunde Füße, und nur mühselig schleppten sie sich fort. In Tulischkow stürzten Soldaten aus ihren Quartieren; sie schlugen auf uns ein und gaben auch Schüsse ab. Auf dem Marktplatz, wo wir uns auf dem Pflaster niederhocken mußten, wurden Maschinengewehre aufgestellt. Man bedeutete uns, daß wir erschossen werden würden. Ein Stabsarzt setzte sich für uns ein, der einem Major erklärie, daß eine solche Metzelei eine Kulturschande sei. Die Hinrichtung wurde daraufhin nicht vorgenommen.

In der Nacht ging es weiter. Als wir bei einem Gehöft Wasser tranken, entfernte [180] sich der Haupttrupp von uns. 50 Mann blieben zurück, die es nicht wagten, dem Haupttrupp nachzuziehen. Wir verbrachten die Nacht in einem kleinen Wäldchen. Am Morgen entfernten sich einzelne, darunter auch Dr. Bambauer. Als wir sahen, daß sie am Eingang zu einer Ortschaft von einem Posten festgenommen wurden, flüchteten wir in nahegelegene waldbestandene Hügel. Ich konnte mit den andern nicht Schritt halten und blieb schließlich allein zurück. Von einem Wacholdergebüsch aus, in dem ich mich versteckte, hörte ich eine Reihe von Schüssen. Ohne Zweifel waren eingefangene Volksdeutsche niedergeschossen worden. Der Wald wurde von Militär umstellt. Drei Tage blieb ich ohne Wasser und Nahrungsmittel liegen. Gegen die Kälte der Nacht schützte ich mich, indem ich mit den Händen ein Schlupfloch grub. Nachdem das Militär in der Nacht zum 8. September abgerückt war, wagte ich mich hervor. Ein älterer Bauer nahm sich meiner an und brachte mich nach Tulischkow, wo ich ins Gefängnis gebracht wurde. Bald darauf wurden zehn weitere Volksdeutsche eingeliefert, die zu unserem Konin zurückgebliebenen Trupp von 50 Mann gehörten. Die Behandlung war hier menschlicher. Am 16. September marschierten wir, nachdem sämtliche polnische Behörden abgezogen waren, nach Konin, wo wir auf deutsches Militär stießen.

Über das Schicksal des Haupttrupps, von dem sich die 50 Mann abgesondert hatten, brachten Nachforschungen folgende Einzelheiten an den Tag. Die Deutschen waren nach Turek weitergetrieben worden. In dem Dorf Tarnowa wurden etwa 150 Mann von der Hauptstraße auf einen Seitenweg geführt, wo man ihnen befahl, geschlossen über das freie Feld Tarnowa eine Anhöhe zu erklimmen. Vorher hatten die Polen auf der Anhöhe zwei Maschinengewehre in Stellung gebracht und auf der gegenüberliegenden Seite Soldaten teils im Gelände, teils in einzelnen Gehöften und Gärten postiert. Als die gehetzten Deutschen sich der Spitze der Anhöhe näherten, wurde das Feuer aus den Maschinengewehren auf sie eröffnet. Massenweise stürzten die Deutschen tot zu Boden, die übrigen warfen sich hin. Die Maschinengewehre feuerten mehrere Minuten hindurch. Während einer Feuerpause, in der wahrscheinlich neue Patronengurte eingesetzt wurden, sprangen die Überlebenden, und zwar etwa 75 Mann, auf und rannten über die Anhöhe hinweg durch eine Schlucht auf einen etwa 500 Meter entfernt liegenden Wald zu. Gegen Maschinengewehrfeuer waren sie durch die Bodenhöhe geschützt, dagegen traten jetzt die in der linken Flanke aufgestellten Soldaten in Tätigkeit. Ein wahres Kesselschießen setzte auf die um ihr Leben rennenden Deutschen ein. Die meisten von ihnen wurden erschossen, nur wenige erreichten den Wald. Gleich darauf verließ das Soldatengesindel die Verstecke. Die in Gruppen oder einzeln daliegenden toten oder schwerverwundeten Deutschen wurden mit Kolben und Bajonetten bearbeitet. Dann wurden die Leichen ausgeraubt und oberflächlich verscharrt. Fünf Tage später wurden die toten Deutschen auf Geheiß der polnischen Zivilverwaltung von überlebenden Deutschen aus Tarnowa am Friedhofszaun in Tarnowa in zwei Massengräbern von 30 und 70 Leichen beerdigt. Es handelt sich um die Massengräber, über die das Posener Tageblatt am 17. Oktober berichtete.

Die deutschen Frauen in Tarnowa erzählen, daß der größte Teil der deutschen männlichen Bevölkerung von Tarnowa bestialisch zu Tode gemartert wurde. Einem Deutschen wurden die Augen ausgestochen. Er wurde dann bis zum nächsten Dorf getrieben, wo er erschlagen wurde.


[181]
Bromberg 106. Die Patrone als Beweisstück

Mord an Krüger

Unter Eid bekundete die Zeugin Anna Krüger in Bromberg-Jägerhof, Brahestr 62, folgendes:

... Kurz nach Mittag kamen Zivilisten und Soldaten in Uniform und behaupteten, mein Mann hätte mit dem Maschinengewehr geschossen. Zuerst suchte ein Soldat in der Wohnung und dann ein Zivilist. Der Soldat fand nichts. Der Zivilist faßte auf das Spind und forderte dann den Soldaten auf, noch einmal nachzusehen. Der Soldat holte dann eine kleine Patrone vom Schrank. Auf Grund dieses Sachverhalts wurden mein Mann, mein Sohn und mein Schwiegersohn abgeführt. Sie kamen ins Auto. Am Mittwoch habe ich alle drei im Walde wiedergefunden. Frau Gutknecht hat sie zuerst gefunden. Mein Mann war ganz verstümmelt, das ganze Gesicht war eingeschlagen, es war nur ein großes Loch. Mein Mann war nicht erschossen worden, sondern erschlagen. Mein Sohn hatte ein klaffende Wunde, so, als hätten sie ihm das ganze Gesicht aufgerissen. Mein Sohn war auch nicht erschossen worden.

Quelle: WR II


 
Lissa 107. Das Blutopfer des Lissaer Deutschtums

Auszug aus dem Erlebnisbericht eines aus Lissa verschleppten Volksdeutschen, veröffentlicht im "Posener Tageblatt" vom 19. September 1939.

Wir können es noch kaum fassen, daß wir frei sind, daß wir wieder leben dürfen, daß unsere Heimat unter dem Schutze der deutschen Waffen steht. Kaum einer von uns hatte noch zu hoffen gewagt, lebend aus dieser polnischen Hölle zu entkommen. Zu viele von unseren Kameraden sind den polnischen Mordbanditen zum Opfer gefallen.

Am Sonntag, dem 17. September, haben wir die ersten vier Opfer, die gräßlich verstümmelt gefunden wurden, in Lissa in einem gemeinsamen Grab in die Heimaterde gebettet, für die sie starben (Fleischermeister Gaumer, Klempnermeister Weigt, Herr Häusler und Lehrer Jäschke). Die Angehörigen haben wir in diesem sowie in allen anderen Fällen benachrichtigt. Wer heute noch glauben sollte, daß es sich bei diesen Mordtaten um vereinzelt vorgekommene Ausschreitungen handelt, wird durch die übereinstimmenden Berichte von Kameraden aus allen Gebieten des Posener und Pommereller Landes überzeugt, daß diese Morde und Plünderungen seit langem planmäßig vorbereitet waren und auf ein durch den Warschauer Sender am 1. September früh gegebenes Stichwort überall gleichzeitig einsetzten.

Am Freitag, dem 1. September, wurde ich mit meinen Eltern gegen 11 Uhr vormittags von bewaffneten Zivilisten aus der Wohnung geholt, nachdem man bereits vorher die Schaufensterscheibe des Geschäftes eingeschlagen hatte, um zu plündern. Die Wohnung wurde durchsucht, wir mußten alle Schränke öffnen und alles offen stehen und liegen lassen. Keiner durfte einen Mantel oder Lebensmittel mitnehmen. Auf der Polizeiwache wurden wir gründlich durchsucht und nach einigen Stunden des Wartens mit vielen anderen Volksgenossen, darunter Frauen und kleine Kinder, zu einem [182] Sammelplatz vor der Stadt geführt. Storchnest Unter militärischer Bewachung trieb man uns nachmittags nach dem etwa 15 Kilometer landeinwärts gelegenen Städtchen Storchnest, wo wir am Abend im Schützenhaussaal eingesperrt wurden. Nach einigen Stunden erschienen ein Hauptmann und einige Zivilisten, die einen Teil der Frauen und einige ältere Volksgenossen nach Hause entließen und uns allen anderen erklärten, daß man uns alle vor ein Kriegsgericht stellen würde, weil in Lissa angeblich Deutsche auf polnisches Militär geschossen hätten. Tatsächlich war es so, daß am Freitag früh deutsche Artillerie die militärischen Objekte in Lissa beschossen hatte. In der Verwirrung hatten dann bewaffnete polnische Zivilisten eine wilde Schießerei begonnen, an der sich auch Maschinengewehre beteiligten, die von den Polen auf den Türmen der beiden evangelischen Kirchen in Lissa aufgestellt waren. Bereits in Storchnest wurden nun einige unserer Kameraden herausgeführt und vor das Kriegsgericht nach Schrimm gebracht, obwohl keiner von ihnen eine Waffe besessen, geschweige denn geschossen hatte. Wir haben diese Kameraden nicht mehr wiedergesehen und nur von einigen von ihnen, die man zu zehn Jahren Zwangsarbeit "begnadigt" hatte, erfahren, daß die anderen erschossen und welcher Art schließlich die Beschuldigungen waren, die die "Belastungszeugen" vorbringen konnten. Dem einen warf man vor, daß er ein Führerbild in der Wohnung aufgehängt hatte, der andere sollte bei offenem Fenster sein Radio mit deutschen Sendungen in "provozierender Weise" laut haben spielen lassen usw.

Schrimm Jedenfalls verurteilte das Kriegsgericht in Schrimm neun unserer Kameraden zum Tode. Wir anderen wurden am Sonnabend, dem 2. September, früh weitergetrieben. Nun begann ein Leidensweg, den zu beschreiben nicht möglich ist und dessen ganze Qual nur der verstehen kann, der ihn selbst mitgehen mußte. Greise, Frauen und Kinder wurden mitgetrieben, roh mit Kolbenstößen mißhandelt und besonders beim Durchmarsch durch Dörfer und Städte beschimpft, bespien, mit Steinen und Bierflaschen beworfen, geschlagen und getreten. Dabei taten sich auch polnische Offiziere besonders hervor. Irgendwelche Verpflegung gab es nicht. Wer genügend Geld hatte, durfte versuchen, durch Vermittlung der Begleitmannschaften etwas zu kaufen. Aber wie oft kam es vor, daß wir nichts erhielten und auch das Geld nicht wiedersahen. Wasser gab es nur selten, und schließlich wurde es so schlimm, daß wir das Trinkwasser flaschenweise kaufen mußten. Wir versuchten, soweit dies die Wachmannschaften gestatteten, unterwegs Mohrrüben und Kohlrüben aus den Feldern mitzunehmen, um nur den nagenden Hunger zu stillen. Dabei war es unser Glück, daß das Wetter warm und Peisern trocken bliebt denn nur ganz wenige von uns hatten Mäntel oder Decken mitnehmen dürfen. Die Taschenmesser waren gleich zu Beginn uns abgenommen worden. In Peisern wurden dem größten Teil von uns auch die Uhren und Ringe von polnischen Soldaten gestohlen. Hatten wir anfangs gehofft, daß die Mißhandlungen und Steinwürfe nachlassen würden, sobald wir erst in Mittelpolen seien, so merkten wir bald, daß die Behandlung im Gegenteil von Tag zu Tag schlechter wurde. Jetzt mußten wir Tag und Nacht marschieren, nur mit kurzen Ruhepausen im Straßengraben. Wer nicht mitkam, wurde mit Kolbenstößen weitergejagt, und wenn er schließlich zusammenbrach, kurzerhand erschossen. Einige von uns wurden als Opfer dieser Behandlung irrsinnig.

Lowitsch [183] So trieb man uns von Ort zu Ort über Schrimm, Schroda, Peisern, Slupco, Konin, Kolo, Kutno bis nach Lowitsch. Hier wurde uns erst klar, weshalb man uns so eilig forttrieb und warum der Haß gegen uns immer größer wurde. Wir waren nämlich mitten in den Rückzug des polnischen Heeres hineingetrieben worden. Dafür wollte man uns büßen lassen. Als wir kurz vor Lowitsch waren und auch dort gerade ein deutscher Fliegerangriff stattfand, trieb man uns vor der Stadt von der Straße auf das Feld, und unsere Begleitmannschaften erklärten uns, daß wir jetzt alle erschossen werden würden... Zunächst glaubten wir nicht an den Ernst dieser Drohung, denn wir hatten sie schon zu oft gehört. Als aber kurz darauf eine zweite große Gruppe von Volksdeutschen aus Nordposen und Pommerellen zu uns stieß, der man dasselbe angedroht hatte, war uns doch bewußt, in welcher Gefahr wir waren. Wir hörten aus der Unterhaltung unserer Begleitmannschaften, daß man uns bis zu einem nahen Fluß treiben und dort abschießen würde, "damit die Leichen dann nach Deutschland schwimmen könnten". Unter solchen Drohungen wurden wir etwa 6 Kilometer über das Feld gejagt. Einige unserer Kameraden versuchten zu fliehen und wurden dabei erschossen. Schließlich versuchte Dr. Staemmler aus Bromberg mit einem der Transportkommandanten zu verhandeln, wurde aber mit dem Gewehr zurückgestoßen und, als er halb im Fallen und in der Abwehr nach dem Gewehr griff, auch noch erschossen.

Einen Augenblick später lief unsere Begleitmannschaft Hals über Kopf fort, denn plötzlich kam ein deutscher Tank über das Feld auf uns zu, fuhr einmal um uns herum und die Besatzung rief uns zu, daß Lowitsch bereits von deutschen Truppen besetzt und wir gerettet seien. Wir haben es zuerst nicht glauben wollen, daß uns in letzter Minute die Rettung kam. Und wir konnten unserer eigenen Rettung noch nicht froh werden, denn vor uns lag der tote Kamerad, der eben noch vor unseren Augen gefallen war.

Was nun kam, der Einmarsch in Lowitsch, die Begrüßung durch deutsche Soldaten, das erste warme Essen, die rührende Fürsorge für uns und die Bemühungen um unsere baldige Heimbeförderung, um die sich besonders Kamerad v. Romberg verdient gemacht hat, wird keiner von uns je vergessen. Wir werden aber auch die Quälereien und die Mißhandlungen nicht vergessen! Wir wissen heute, daß es einem Volke gegenüber, das solcher Scheußlichkeiten fähig ist, nur ein Mittel gibt: schonungslose Härte und Unnachgiebigkeit. Das Wort ist nur zu wahr, das ein Kamerad uns zum Abschied in der befreiten Heimat zurief: Das Volk, das solcher Grausamkeiten und solcher brutalen Mißhandlungen wehrlosen Menschen gegenüber fähig war, hat kein Recht mehr zu existieren und hat sich damit selber aus der Reihe der Kulturvölker gestrichen! Für uns, die ein gnädiges Geschick die Heimat wiedersehen ließ, gilt in dieser Stunde aber noch ein anderes: Unsere Arbeit und Leben gehören unserem Volke mehr noch als bisher, unsere heiße Liebe und Dankbarkeit aber dem Führer, der unserer Heimat die Freiheit wiedergab!

Dies ist die Schilderung eines Lissaers, der den Leidensmarsch der Volksdeutschen bis Lowitsch mitmachte. Viele der Verhafteten sind auch heute noch nicht zurück, weil sie die Strapazen nicht aushielten, zurückgelassen und gleich an Ort und Stelle erschossen wurden. So vermißt man noch den 80jährigen Schneidermeister Tiller mit Sohn, den Photographen Juretzki, des Junglehrers Groschowski Frau und andere. Auch [184] andere Tragödien spielten sich ab. Herr Hoffmann (Posen) und Frau Hoffmann geb. Anneliese Remus, verwitwete Runge, aus Lissa haben sich kurz vor der Verhaftung gemeinsam vergiftet, da bei dem Zustand der jungen Frau, die in zwei Monaten ein Kind erwartete, ein Überstehen des Verschleppten-Fußmarsches aussichtslos schien. Trotz der nahen Grenze – nach Fraustadt sind nur 18 Kilometer – war ein Überlaufen dort ausgeschlossen, und glücklich preisen sich die wenigen, denen es rechtzeitig gelang, nach Danzig durchzukommen.


 
Bromberg 108. Verschleppt nach Brest-Litowsk

Erlebnisbericht von Karl Mielke aus Bromberg2

Als ich am 29. August von meinem Dienst nach Hause kam, stand das große Auto der polnischen Spionage-Abwehrabteilung vor meiner Wohnung. Ich wurde in mein Büro geführt, wo eben wie in meinen beiden Zimmern eine gründliche Durchsuchung vorgenommen wurde. Als verdächtiges Material wurden nicht nur die für die Arbeit der Wanderlehrer notwendigen Kreiskarten von Posen und Pommerellen angesehen und eingepackt, sondern auch völlig harmlose Schulstatistiken und Meldungen über eingegangene deutsche Schulen, Lehrerversetzungen, Monatsberichte und ähnliche Schriftstücke, die bei zahlreichen vorherigen Haussuchungen als harmlos von den Beamten unbeachtet gelassen worden waren. Dem Richter G., der mich dann bei der Kriminalpolizei verhörte, stand der Deutschenhaß auf der Stirne geschrieben: er war mit fanatischem Eifer bemüht, aus seinem Opfer das herauszubekommen, was er sich selbst zurechtkombiniert hatte. Das erste, was ich zu hören bekam, war, daß jeder Deutsche ein Spion sei. Es wurde mir weiter vorgehalten, daß die ganze kulturelle Arbeit der Schulabteilung der Deutschen Vereinigung nur eine Tarnung für die von ihr in großem Stil betriebene Spionage sei. Ich wurde gefesselt in das Polizeiarrestlokal geführt.

Siedlce Ich wurde nun nach Siedlce gebracht, mit meinem Namen als "Szpieg" – Spion – eingetragen und galt nicht mehr als Untersuchungsgefangener, sondern als bereits überführter Spion. Am 3. September hörte ich zum erstenmal die Alarmsirenen der Stadt und wußte nun, daß deutsche Flieger erwartet wurden. Die Mobilmachung war mir von den Maueranschlägen auf den Bahnhöfen bekannt. Es dauerte auch nicht lange, da krachten die ersten Bomben. Nach einigen Tagen setzte das regelmäßige Essen aus, ich wurde umquartiert, und zu sieben waren wir nun in einer kleinen Zelle, deren Zustände zu ertragen schlimmer waren als die Aussicht auf einen Volltreffer. An einem Tage bekamen wir weder Wasser noch Essen. Als eine Bombe unter vielen auch die Gefängnismauer traf, wobei ein Wärter tödlich getroffen wurde, setzte eine Panik in allen Zellen ein. Die Insassen brüllten und baten um Öffnung der Zellen, andere rissen die eisernen Füße des an der Wand befestigten Bettgestelles ab und schlugen damit gegen die eisenbeschlagenen Türen, wieder andere beteten in schreienden Tönen, und in all diesem Getöse glaubte man, daß das Gefängnis brenne, da sich das Toben an den Türen wie das Einstürzen der Mauern anhörte. In dieses [185] Chaos hinein knallten die Schüsse der Wachtmannschaften, die auf diese Weise die tobenden Gefangenen zu beruhigen suchten. Später wurden wir zu 10 Mann in eine Einzelmannzelle gepfercht.

Mit dem 7. September begann nun ein wahrer Todesmarsch für uns. Wir wurden einem Leutnant der Infanterie übergeben, der die Aufgabe hatte, uns mit etwa 100 Mann seiner Truppe in das weiter nach Osten gelegene Gefängnis Bialypodlask zu transportieren. Seine erste Anordnung bestand darin, den Soldaten den strengsten Befehl zu erteilen, uns bei dem geringsten Schritt außerhalb der Reihe und bei jedem deutsch gesprochenen Wort sofort zu erschießen. Uns 281 Gefangenen wurde dieser Befehl bekanntgegeben. Um 1 Uhr nachts begann der Marsch durch die brennende Stadt Siedlce. Ein todkranker, schon bis zum Skelett abgemagerter Deutscher mußte nackt mitgeschleppt werden; da er nicht gehen konnte, trugen ihn vier von uns, ihn an den Arm- und Fußgelenken über dem Erdboden haltend. Mein Nebenmann erhielt einen tiefen Bajonettstich in das Gesäß. Nachdem wir auf den verschiedensten Wegen bis zum Morgengrauen marschiert waren, machten wir in einem kleinen Walde halt. Hier mußten wir den Todkranken liegenlassen. Er wurde mit einem Mantel zugedeckt und hat wahrscheinlich vor unserem Weitermarsch den Gnadenschuß bekommen. Ein anderer, etwa 70jähriger Gefangener, der sich auch nicht mehr weiterschleppen konnte, wurde von den Soldaten abseits geführt, und das Aufpeitschen zweier Schüsse sagte uns, daß auch er ausgelitten hatte.

Zu essen und zu trinken hatten wir bisher noch nichts erhalten. Unser Weitermarsch wurde dauernd von Fliegeralarm aufgehalten: wir mußten dann möglichst in der Nähe von Bäumen und völlig stilliegend so lange warten, bis der Weitermarsch befohlen wurde. Wir segneten die deutschen Flieger, denn wir bekamen so wenigstens Zeit zum Ausruhen. Viele waren schon völlig erschöpft und fußkrank. Die ersten, die zurückblieben, ereilte nun das Schicksal, das uns allen bevorstand. Sie mußten niederknien, den Kopf auf die Erde legen und bekamen dann einen Schuß in den Hinterkopf. Niemand wollte mehr zurückbleiben und in den letzten Reihen marschieren. Die Älteren und Schwächeren klammerten sich an die Kräftigeren von uns an, hakten sich ein und stampften mit eiserner Willensanstrengung trotz wundgelaufener Füße und heftiger Schmerzen mit zusammengebissenen Zähnen weiter. Alle Todgeweihten starben als Männer. So schrie ein bereits Kniender vor dem Schuß seinem Mörder ein trotziges "Heil Hitler!" zu. Nachdem der erste Schuß ihn noch nicht völlig getötet hatte, rief er noch einmal mit verlöschender Stimme den Gruß an den Führer.

Biala Podlaska Als wir in Bialypodlask nachts ankamen und uns freuten, nun wieder in ein Gefängnis zu kommen, mußten wir feststellen, daß auch diese Stadt bereits geräumt wurde. Die Mitteilung, daß wir nun nach dem 40 Kilometer entfernten Brest-Litowsk laufen sollten, traf uns als der schwerste Schlag, den wir bisher erlitten hatten. Ein Beweis für die unmenschliche Haltung unserer Henker war der Umstand, daß wir sogar an einer wunderbaren wasserspendenden Pumpe vorbeimarschieren mußten und nicht die Erlaubnis erhielten, hier Wasser zu trinken. Wir mußten in dieser Nacht noch 14 Kilometer marschieren, bevor man uns Rast gönnte.

Brest Litowsk Der Marsch von Wioska nach Brest-Litowsk war die letzte und schrecklichste Etappe unseres Weges. Wir marschierten von 6 Uhr nachmittags bis morgens 3 Uhr [186] durch. Auf diesem Teil des Weges knallte es unbarmherzig in den letzten Reihen. Im ganzen wurden auf diesem Marsch rund 60 von uns erschossen. Wir atmeten auf, als wir endlich die Silhouetten unseres Zieles in der mondhellen Nacht auftauchen sahen. In der Zitadelle mußten wir endlos auf den Einlauf in das Militärgefängnis der Festung warten. Nach zweistündigem Stehen wurden wir in einem Flur zusammengepreßt und zu Fünfen abgezählt. Dabei stellte es sich heraus, daß wir nur noch 200 waren. Alles, was wir noch bei uns hatten, wurde uns abgenommen. Zu 10 Mann wurden wir in kleine Zellen gesteckt. Am nächsten Tag bekamen wir Wasser. Wir brachten jeden Tropfen auf die gerechteste Art zur Verteilung. Ein Militärzwieback und fünf kleine Birnen waren unsere letzte Nahrung, auch sie wurden "verhältnismäßig" geteilt. In den beiden nebeneinander-, nein, übereinanderstehenden Betten lagen je zwei Kameraden, während die anderen sechs quer, zum Teil unter dem Bett die Nacht verbringen mußten.

Am nächsten Tag bekamen wir dann den Besuch deutscher Flieger. In unaufhörlicher Folge krachten die Bomben auf die Befestigungswerke, in deren Mitte unser Gefängnis lag. Der Gedanke, daß ein Treffer in unserer Zelle landen könnte, war uns entsetzlich, aber wir kamen in sehr ernsten Gesprächen immer wieder zu der Überzeugung, daß wir das, wovon wir unzählige Male gesprochen hatten, nun bis zum letzten durchleben mußten: daß der einzelne nichts gilt, daß die Größe und Herrlichkeit des Reiches das Wichtigste sei. Unter diesen Umständen vergingen dann noch zwei Tage, in denen unsere Wassernot ihren Höhepunkt erreichte. Ein Hungergefühl hatten wir nicht mehr. Alle hatten wir einen Fieberausschlag auf den Lippen, die Zunge war dick und rissig, und wir konnten nur noch ganz heiser und leise sprechen. Wir hatten Angst vor dem Wahnsinn. Die Wasserverteilung wurde jetzt nur noch teelöffelweise organisiert. Auf unser flehentliches Bitten um Wasser an die Wärter bekamen wir nur noch die Antwort, daß keines da sei. Wie grausam diese sich zu den Menschen zählenden Vertreter der Polen waren, sahen wir später daran, daß sie Tonnen auf dem Hof hatten, die zum Teil dreiviertel mit Wasser gefüllt waren.

Am 16. September erreichten die Einschläge der deutschen Artillerie und die Bomben der Flieger ihren Höhepunkt. Das Gefängnis bebte und zitterte in allen Mauern. Dichter Rauch quoll durch das kleine Fenster unserer Zelle. Kein Wärter auf dem Gang. Plötzlich krachen und schlagen zwei Zellentüren. Dann hastige Schritte auf dem Flur. Eifriges Sprechen. Zwei Zellen waren von den Insassen erbrochen worden. Wir stürmten mit den Wasserkannen auf den Hof und brachten mit letzter Kraft endlich Wasser. Die Soldaten hatten sich in ihrer Todesangst vor den Einschlägen in einen bombensicheren Unterstand verzogen und uns einfach unserem Schicksal überlassen. Die Soldaten kamen aber wieder zurück, und einige Schüsse belehrten uns, wo wir hingehörten.

Und dann kam der Morgen, Sonntag, der 17. September, herauf. Der Lärm der Schlacht verstummte allmählich. Bang fragten wir uns, was das zu bedeuten habe. Ich stieg auf das Bett und sah durch das Gitterfenster auf den zerschossenen Gefängnishof hinaus. Ein deutscher Infanterist kam über den Hof auf uns zu. Das Gefühl, das mich bei diesem Anblick überkam, ist nicht auszudrücken. Wir trommelten an die Tür, schrien vor Freude, in allen anderen Zellen hörte man ein ohrenbetäubendes Rufen. [187] Endlich krachten unter den Kolbenschlägen der deutschen Infanteristen die Zellentüren zusammen. Wir waren frei! Von unseren Wärtern, die später gefangengenommen wurden, erfuhren wir, daß wir an diesem Sonntag hätten erschossen werden sollen.

Als wir dann alle im Gefängnishof standen, da fingen wir erst leise, dann immer lauter zu singen an. Als "Deutschland, Deutschland über alles" und das Horst-Wessel-Lied an dieser Stätte des Grauens und gleichzeitig des höchsten Glückes erklangen, da schämte sich keiner der Tränen, die diesem und jenem über die schmutzigen, struppigen Wangen flossen.

Quelle: "Der Volksdeutsche", Oktober-Ausgabe Nr. 19 (1939).


 
Bereza Kartuska 109. In der Hölle von Bereza-Kartuska

Erlebnisbericht des Direktors des Schicht-Konzerns Kopiera aus Warschau3

In dem polnischen Internierungslager Bereza-Kartuska waren 5786 Personen, darunter 3500 Deutsche und 1600 Ukrainer, inhaftiert, als sie in der Nacht vom 17. zum 18. September befreit wurden. Die Folterqualen, die die Inhaftierten in der Hölle von Bereza-Kartuska erdulden mußten, sind ein furchtbares Anklagematerial gegen die ehemalige polnische Regierung, nach deren Weisungen die Verschleppung und Mißhandlung der Reichs- und Volksdeutschen erfolgt sind. Über die Leiden der nach Bereza-Kartuska verschleppten Deutschen wird u. a. berichtet:

Die "mildeste Art der Mißhandlungen" war das tägliche Spießrutenlaufen unter den Gummiknüppeln der Polizisten. Schauriger waren die tägliche Prügel, die die als "Instruktoren" eingesetzten und lediglich für diesen Zweck freigelassenen polnischen Schwerverbrecher mit Zaunlatten und Keulen gegen die Deutschen austeilten. Auch deutsche und ukrainische Frauen wurden diesen Mißhandlungen unterzogen. Wer die Roheiten nicht mehr ertragen konnte und zusammenbrach, wurde "brach geschlagen", d. h. entsetzlich mit Knüppeln über den Nieren traktiert. Was man als "Widerstand" auslegte, war zumeist eine letzte Abwehrbewegung vor dem körperlichen Zusammenbruch und wurde zum Vorwand für die Erschießung genommen. 158 Deutsche wurden auf diese Weise in Bereza-Kartuska umgelegt! Methodische und unnötige Grausamkeit der Behandlung der inhaftierten Deutschen und Ukrainer waren an der Tagesordnung. Die Deutschen an die Wand zu stellen, Gewehre zu laden und auf sie anlegen zu lassen oder sie vor Maschinengewehren hinzujagen, einige zu erschießen, die anderen aber in der Vorstellung der Todesqualen martern zu lassen, auf den wehrlosen Opfern dieser sadistischen Rache der Minderwertigen mit Stiefeln herumzutrampeln und die Mißhandlungen von Tag zu Tag zu steigern, bis der Gequälte "reif" zum Abschuß war, diese polnische Roheit wurde im Internierungslager Bereza-Kartuska in unvorstellbarer Weise in Anwendung gebracht.


[188]
Bereza Kartuska 110. Pater Odilo Gerhard, O. F. M.

Ein deutscher katholischer Seelsorger in polnischer Haft

Pater Odilo Gerhard war katholischer Seelsorger der Deutschen in Krakau. Bei Ausbruch des Krieges wurde er am 1. September 1939, nachmittags 3½ Uhr, von den Polen verhaftet. Nachdem man ihm auf dem Polizeikommissariat in Kielce Uhr, Geld und Ausweispapiere abgenommen hatte, wurde er mit vielen seiner deutschen Gemeindemitglieder über Radom – Brest-Litowsk in das Internierungslager Bereza-Kartuska verschleppt. In "Die Getreuen", Zeitschrift der Katholischen Mission für das Deutschtum im Ausland (Oktoberheft 1939), hat er seine Erlebnisse geschildert.

Um ½7 Uhr abends lief der Zug in Bereza-Kartuska ein, und nach heißem Marsch von 5 Kilometer langten wir gegen 8 Uhr im Internierungslager an. Gleich entfernte man unsere zehn Mann Bedeckung. Dann hieß es Spießrutenlaufen durch eine Gasse von 200 Polizisten, die mit Gummiknüppeln, Gewehrkolben und Holzlatten auf uns einschlugen, wobei sie 70jährige Greise nicht verschonten. Auf dem Übungsplatz wurden wir abgezählt und dann in einen geheizten Raum gebracht, wo jeder mit dem Gesicht nach unten auf dem Zementboden liegen mußte. Ich schickte mich gerade an, mich hinzulegen, da schlägt mich ein Polizist mit dem Gummiknüppel und zerrte mich hinaus zum Kommissar des Lagers. Der fragte mich aus und gab Befehl, mich zu den Ärzten auf die Isolierstelle 2 zu legen und mir eine bessere Behandlung zu geben. Bei den Ärzten fiel ich halb ohnmächtig um und bat um Wasser.

Am 8. September sagten meine Leidensgefährten bei der ärztlichen Untersuchung auf dem Übungsplatz: "Man hat dich ja ganz schwarz geschlagen!" Bevor man mich ohne Ordenskleid, nur in Hemd und Hose, auf den Platz führte, verhörten mich fünf Kommandanten. Jeder sagte: "Wenn Sie römisch-katholischer Geistlicher sind, sind Sie ein Pole." Ich erwiderte: "Nein, ich bin ein Deutscher." "Ja, ein deutscher Spion", und schon bekam ich auf meine Verneinung einen Schlag mit dem Gummiknüppel. Auf dem Platz mußten wir in glühender Sonnenhitze und unerträglichen Staubwolken bis zum Abend stehen, ohne Essen und Trinken. Dann wurde uns bis auf das Geld und die notwendigste Wäsche alles abverlangt; selbst Rosenkranz, Medaillon, Breviter usw. mußten abgegeben werden, Rauchwaren, Rasierzeug, Nagelreiniger.

Dann begann der Drill. Man ließ uns Freiübungen machen mit Hinlegen, Hinsetzen, wobei ein Kommandant dauernd mit dem Gummiknüppel oder auch mit einem Holzscheit die Leute schlug, welche die Übungen nicht schnell genug ausführten. Um 8 Uhr abends wurden wir auf unseren Saal geführt: etwa 17 Meter lang, 7 Meter breit, 4 Meter hoch, mit 16  Pritschen, die übereinanderlagen. Eine Pritsche für neun Mann, wobei nur vier einigermaßen hätten liegen können. Da mit mir drei Männer von über 60 Jahren lagen, dabei ein Italiener, welcher an Lungenentzündung schwer erkrankte, legte ich mich unter die Pritsche auf den Zementboden. Einen Eimer Wasser gab man für die 140 Personen und das erst am dritten Tag, wie wir Brot auch erst am fünften Tag bekamen: vielleicht 30 Gramm pro Kopf, und dabei war es matschig, so daß ich nur die Krusten nahm, sie zwei Tage aufbewahrte und dann erst in kleinen harten Stücken genoß. Heiße Wassersuppe mit wenigen Graupen gab es verschieden: einmal früh um 8 Uhr und spät um 7 Uhr; dann wieder nur einmal gegen 11 Uhr. Von früh 4 bis spät 8 Uhr befanden wir uns auf dem Übungsplatz. Die Ärzte rieten [189] jedem, der schlapp machte, sich nicht ins Spital zu melden, weil er es kaum lebend verlassen würde, was sich bei vielen auch bewahrheitete.

So gingen die Tage dahin. Am Sonntag, dem 10. September, bat ich den Kommandanten um die Erlaubnis, gemeinsam im Saal ein Gebet sprechen zu dürfen. Die Antwort war eine Flut unflätiger Worte und Schläge mit dem Gummiknüppel. Dasselbe geschah, als ich bat, die Kranken und Sterbenden mit geistlichem Trost zu versehen.

In der Nacht vom Sonntag (17. September) zum Montag um 3 Uhr erfuhren wir, daß die Polizisten geflohen und wir frei seien. Bald standen wir auf dem Übungshof, wo ich viele deutsche Katholiken aus Krakau und der Provinz Posen, die ich seelsorgerisch betreut hatte, wiedersah. Leider fanden wir hinter dem Spital 7 deutsche gefangene Fliegeroffiziere und 16 Internierte, darunter jene, die in Dunkelhaft gesessen hatten, mit zerschmetterten Brest Litowsk Köpfen tot auf. Da man uns sagte, die Russen sind auf dem Wege nach Bereza, machten wir uns bald auf den Weg, um möglichst bald die deutsche Front zu erreichen, was uns am Dienstagnachmittag bei Kobryn gelang. Dann gingen wir weiter bis Brest-Litowsk, so daß wir in 2½ Tagen 104 Kilometer machten, dabei aber streckenweise nur 2½ bis 3 Kilometer die Stunde. Von Brest-Litowsk schafften uns unsere Soldaten auf Lastkraftwagen nach Ostpreußen, wo die NSV. sich sorgsam unserer annahm.


Über den Aufenthalt im Interniertenlager Bereza-Kartuska berichtet der protestantische Vikar Oskar Daum u. a.:4

"Die Lagerbesatzung empfing uns mit Gummiknüppeln, nahm uns alle Gebrauchsgegenstände ab; ich durfte nicht einmal mein Neues Testament behalten. Unsere Zellen waren völlig leer, zum Schlafen diente der kalte Betonboden. Die Kost war fast unerträglich; wir bekamen außer dünner Suppe ein- oder zweimal täglich zwei Löffel Wasser und ungenießbares Brot. Vom Augenblick unserer Verhaftung an gab es keine Waschgelegenheit mehr. Ausgesucht schmerzhafte und grausame Übungen wurden uns anbefohlen; wer schlapp machte, wurde mißhandelt." ...


 
Obornik 111. Der Marsch der Oborniker Internierten – Verschlepptenzug bis kurz vor Warschau

Alte Männer, die vor Schwäche hinfielen, wurden niedergeknallt

Posen, den 20. November 1939.

Slupca Sonderkommission
des Reichskriminalpolizeiamtes Posen
Tgb. V (RKPA) 1486/10.39.

Am 2. September 1939 wurden in dem nördlich Posen gelegenen Kreise Obornik etwa 600 Volksdeutsche festgenommen und zu einem Interniertenzuge zusammengestellt. Der Marsch führte über Gnesen, Slupca, Warschau Kutno bis kurz vor Warschau.

Allein aus dem Kirchsprengel Morawana-Goslyn waren bis zum 2. 10. 1939 etwa 100 Volksgenossen von diesem Marsch nicht zurückgekehrt. Die Zahl der Todesopfer steht bisher noch nicht genau fest.

[190] Als Anlage dazu die Vernehmung des Gutsstellmachers Willi Großmann, der als Überlebender an dem Marsch teilgenommen hat.

gez. Discar, Kriminalkommissar

Posen, den 2. Oktober 1939.

Sonderkommission des Chefs
der Sicherheitspolizei

Verhandelt.

Freiwillig erscheint die Ehefrau (Volksdeutsche) Elfriede Weigt und erklärt:

Mein Ehemann, Friedrich-Wilhelm W., am 26. 5. 1901 in Potarzyce geboren, war seit etwa 8 Jahren Gutsverwalter (Administrator) auf dem Gute Przependowo, Kreis Obornik (nördlich Posen). Die Gutsarbeiter sind rein polnisch. Die Gutsbesitzerin ist die Gräfin Lüttichau, eine Deutsche. Mein Mann war bei der Behörde als aufrechter Deutscher bekannt gewesen. Er war Mitglied der DV.

Am 25. 8. 1939 bekamen wir auf unserem Gut Einquartierung durch die "Obrona narodowa" (Bürgerwehr). Der Führer der Abteilung war ein Reserveoffizier der polnischen Armee namens Sigmund Rakocy aus Morawana-Goslyn.

Am 1. 9. 1939 wurde mein Mann mit sämtlichen anderen deutschen Bewohnern in Morawana festgenommen. Die Festnahme wurde von R. veranlaßt. Festnahmegrund wurde nicht genannt. Mit 23 vom Gut Festgenommenen wurde mein Mann nach Morawana geführt.

Vermerk: Der Stellmacher Großmann, der am selben Tage festgenommen wurde, wird im Anschluß über das Schicksal eingehend gehört. Von einer weiteren Befragung der Frau W. kann daher abgesehen werden.

Mein Mann war etwa 170 cm groß, bartlos, leichtgelocktes blondes Haar. Er war Brillenträger. Ein Schneidezahn im Oberkiefer war ihm halb abgebrochen und durch Gold wieder ersetzt worden, so daß er also einen halben Goldzahn hatte. Er trug bei seiner Festnahme eine grünliche Reithose mit vollem Reitbesatz, schwarze hohe Stiefel, eine perlmutterfarbene Leinen- oder Nesseljacke mit aufgesetzten Seiten- und Brusttaschen, zweireihig mit gewöhnlichen, zum Stoff passenden Hornknöpfen, Trikothemd mit Einsatz, ohne Kragen, lange Trikotunterhose. Die Wäsche ist mit FW gezeichnet. Wäschestücke zu einer eventuellen Identifizierung kann ich nicht herbeibringen, da mir sämtliche Wäsche während meiner Abwesenheit vom Gut später von entlassenen Zuchthäuslern gestohlen wurde. Ich fand nämlich bei meiner Rückkehr in unserer Wohnung eine Zuchthäuslerhose vor.

Posen, den 2. Oktober 1939.  

Sonderkommission des Chefs
der Sicherheitspolizei

Verhandelt.

Freiwillig erscheint der Volksdeutsche Gutsstellmacher Willy Großmann, 20. 5. 09 in Koblin geboren, auf Gut Przependowo, Krs. Obornik, wohnhaft, und macht folgende Angaben:

Ich bin seit 1937 auf Gut P. als Stellmacher beschäftigt. Ich habe mit den Polen in normalem Verkehrsverhältnis gestanden, Schwierigkeiten habe ich mit der polnischen Zivilbevölkerung sowie auch mit den Behörden nicht gehabt. Ich bin meinen [191] geraden Weg gegangen, ohne mich um Politik zu kümmern. Einige Wochen vor der Auseinandersetzung Deutschlands mit Polen wurde das Verhältnis zwischen uns und den Polen etwas gespannter. Besondere Ausschreitungen seitens der polnischen Gutsarbeiter sind aber nicht vorgekommen.

Obornik Wie Frau W. schon schilderte, wurden am 25. 8. 1939 Bürgerwehrmänner auf unserem Gut einquartiert. Am 1. 9. 1939 waren vom Gut alle deutschen Männer grundlos von der Bürgerwehr festgenommen – als unterste Grenze war das Lebensalter von 16 Jahren gesetzt worden – und nach Morawana-Goslyn geführt worden. Dort lagen wir in einem Gasthaus bis zum 2. 9. 1939. Aus dem Kreis Obornik stießen dort etwa 600 Volksdeutsche allen Alters und Geschlechts zu uns. Gegen 12 Uhr mittags des 2. 9. 1939 ging der Marsch Slupca weiter nach dem etwa 60 km entfernt liegenden Gnesen. Die Kinder und einige ältere Leute – insgesamt etwa 20 Personen – wurden zurückgelassen. Mit neu dazugekommenen Volksdeutschen aus Gnesen wurde der Fußmarsch in der Nacht vom Montag zum Dienstag fortgesetzt und führte uns nach Slupca, wo wir gegen Morgen ankamen. Bedeckungsmannschaft war uniformierte Polizei sowie Hilfspolizei. Leutnant R. machte den Transport nicht mit. Am selben Tage ging es in Richtung Kutno weiter, Kolo blieb rechts liegen. Wahrscheinlich am Donnerstagmorgen passierten wir Kutno. Am 9. 9. gegen Sochaczew ½11 Uhr erreichten wir den Stadtpark von Sochaczew, etwa 50 km westlich Warschau. Die Nächte während des Marsches mußten wir meistens auf freiem Felde verbringen. Verpflegung haben wir überhaupt nicht erhalten. Wir ernährten uns von Kohlrüben oder anderen Feldfrüchten. Während des ganzen Weges wurden wir sowohl von der Bewachungsmannschaft, die ständig Polizei war, als auch von der Zivilbevölkerung mißhandelt. Ich selbst habe heute noch überm rechten Auge eine Schramme, die von einem Kolbenschlag herrührt. Es kam auch vor, daß uns begegnende Kavallerie mit ihren Säbeln auf uns einschlug. Ein gewisser Baurichter aus Langoslyn, Krs. Obornik, wurde dadurch schwer am Schädel verletzt. Als er seine Hand zum Schutz hochnahm, wurde ihm fast der kleine Finger abgeschlagen. Er befindet sich heute noch in ärztlicher Behandlung. Einer Frau Baum aus unserer Gegend wurden durch einen Kolbenschlag die Gesichtsnerven gelähmt, so daß sie ein schiefes Gesicht erhielt. Es war auf keinen Fall nur Geschwulst durch Schlag. Von einem deutschen Arzt wurde uns das auch bestätigt. Der Name und Wohnort des Arztes ist mir unbekannt. Ich muß bemerken, daß es sich um einen deutschen Militärarzt handelte, dem wir auf dem Rückmarsch begegneten.

Im Stadtpark Sochaczew sollten wir das erstemal, das war also am 9. 9. gegen Mittag, Essen erhalten. Statt Verpflegung zu erhalten, wurden wir aber vom Pöbel beschossen. Einer von uns wurde angeschossen. Beim Abmarsch erschoß die Bewachungsmannschaft drei ältere Männer von uns, die Namen sind mir unbekannt. Zwei von ihnen waren vom Pöbel angeschossen worden und konnten den Marsch nicht mehr mitmachen, der dritte wollte flüchten. Er wurde eingeholt, mußte sich vor uns aufstellen und wurde durch Nahschuß von einem Polizisten erschossen. Viele von den älteren Leuten fingen während des Marsches an zu phantasieren. Wenn z. B. ein Fuhrwerk vorbeifuhr, riefen manche: "Das ist mein Fuhrwerk, wie kommt der Kerl dazu, mit meinen Pferden zu fahren." Andere wollten wieder erschossen werden. Es war ein fürchterlicher Marsch.

Warschau [192] Gegen 2 Uhr desselben Tages wurde Herr Weigt auf der Chaussee nach Warschau durch einen Knieschuß verletzt. Die Bedeckungsmannschaft sowie vorüberziehendes Militär machte sich ein Vergnügen daraus, in unseren Zug zu schießen. Herr W. mußte allein liegenbleiben. Wir durften uns nicht einmal umsehen. Ich weiß aber genau, daß Weigt einen Knieschuß hatte, weil er neben mir ging. Herr W. ist wahrscheinlich später erschossen worden. Von Sochaczew begann überhaupt der Leidenszug. Alte Männer, die vor Schwäche hinfielen, wurden niedergeknallt. Ich habe selbst gesehen, wie ein alter Mann, der sich vor Schwäche an einen Baum klammerte, von einem uns begleitenden Polizisten ganz dicht von hinten erschossen wurde. Ich sah, wie vorn das Gehirn heraustrat. Das war etwa 5 km hinter S. Nach einem Fliegerangriff, der die in den Chausseegraben flüchtende Bewachungsmannschaft unter Feuer nahm, wurde hinterher Herr Heckert, Rechnungsführer unseres Gutes, von den Polizisten erschossen. Auf dem weiteren Marsch wurden noch andere umgebracht. Näheres kann ich nicht sagen. Wir mußten aber feststellen, daß sich unsere Reihen immer mehr lichteten. Von unserem Gut fehlen jetzt noch 10 Personen, die, wenn sie erschossen worden sind, kurz vor Warschau liegen müssen. Es sind das:

    Herr Weigt, Friedrich, 38 J.
    Herr Heckert, Hans, 36 J.?
    Herr Repnack, 50 J.?
    Herr Belter, Alfred, 24 J.?
    Herr Sommer, Ferdinand, 23 J.?
    Herr Sommer, Gustav, 48 J.?
    Herr Sommer. Waldi, 20 J.?
    Herr Sydow, Gottfried, 30 J.?
    Herr Riemer, Willi, 31 J.
    Herr Riemer, Walter, 26 J.?
Willi und Walter Riemer habe ich selbst 4 km vor Warschau tot liegen sehen. Ich habe auch noch andere Tote gesehen, die ich aber nicht kannte. Sie stammten aus der Gegend von Morawana. Nach meiner Schätzung müssen ungefähr 200 Volksgenossen unseres Zuges umgebracht worden sein. Die Leichen müssen sich alle an der Chaussee Sochaczew–Warschau befinden.

In der Nacht vom 9. zum 10. 9. sind die meisten unseres Zuges entflohen, darunter auch ich. Wir wurden am nächsten Tage von deutschen Truppen aufgenommen. Ohne großen Umweg sind wir in unseren Heimatort zurückgekommen.

Gestern erfuhr ich in der Kirche, daß von unserer Gegend und aus unserem Zug noch etwa 100 Volksgenossen fehlen.

v. g. u.
gez. Willy Großmann

Großmann versicherte während der Vernehmung wiederholt, daß er nicht übertreibe. "Herr Kommissar, Sie können mir glauben, es ist keine Übertreibung, was ich Ihnen erzähle. Man kann den Frauen der Ermordeten nicht einmal alles sagen, sie sind so schon genug verzweifelt", bemerkte er mehrere Male.

gez. Discar, Kriminalkommissar






1"Ostdeutscher Beobachter" Nr. 259 vom 9. Nov. 1939. ...zurück...

2Unter dem Titel "Verhaftet, verschleppt und befreit" in der Oktober-Ausgabe Nr. 19 (1939) der Zeitschrift "Der Volksdeutsche" veröffentlicht. ...zurück...

3Da die amtliche Untersuchung der Vorfälle im Internierungslager Bereza-Kartuska bei der Drucklegung des Dokumentenmaterials noch nicht abgeschlossen war und das auf den eidlichen Zeugenaussagen beruhende Beweismaterial aktenmäßig zur Zeit noch nicht vorliegt, veröffentlichen wir diesen Augenzeugenbericht aus dem "Posener Tageblatt" vom 27. Oktober 1939. ...zurück...

4Bericht im "Gemeindeboten für das evangelisch lutherische Wien" vom 8. Oktober 1939. ...zurück...



Die polnischen Greueltaten
an den Volksdeutschen in Polen.

Im Auftrage des Auswärtigen Amtes
auf Grund urkundlichen Beweismaterials zusammengestellt.
Bearbeitet von Hans Schadewaldt.