Vom Westfälischen Frieden bis zum Ausscheiden Österreichs aus dem Deutschen Reich (Teil 2) Friedrich Wilhelm I. (1713-1740)
Der Regierungsanfang
Das leise Murmeln der vielen prunkvoll gekleideten Hofdamen verstummte jäh. Die weißgepuderten Perücken senkten sich tief. Die Seide der kostbaren Uniformen knisterte; die zierlichen Degen funkelten. Friedrich Wilhelm, der neue König, blickte stumm über alle hinweg. Er ließ ihnen gar keine Zeit, ihm ihr Beileid auszusprechen. "Man warte!" und durch das Gedränge der Höflinge ging der König in sein Arbeitszimmer. Hier atmete er tief auf. Endlich konnte er jetzt in die verbummelte Wirtschaft Ordnung bringen! Der Hofmarschall wurde von dem Kammerdiener herbeigerufen und brachte den Plan des königlichen Haushaltes mit. "Erkläre Er!" befahl der König. Mit geschmeidiger Stimme las der elegante Herr die Reihe der Hofbeamten herunter: Kammerherren, Hofjunker, Pagen, Herolde, Lakaien, Schweizergardisten, Bratenwender, Haarkräusler... die Liste wollte kein Ende nehmen. Das Gesicht des Königs verfinsterte sich immer mehr. "Kosten?" Zögernd wies der Hofmarschall auf eine lange Zahl in der Spalte. "Wie? Fast eine Million Mark?" Die blauen Augen funkelten so wütend, daß der Marschall erbleichte. Energisch tauchte Friedrich Wilhelm die Gänsefeder in ein großes Tintenfaß und machte durch alle Namen einen dicken Strich. "Brauche diese Müßiggänger nicht! Steht bloß einer dem anderen im Wege. Sind alle entlassen!" Von den Hofbeamten schlief in dieser Nacht kein einziger. Seinen Vater ließ der neue König noch mit allem Prunk bestatten. Doch schon am nächsten Morgen ging es an die Arbeit. Als der Hofmarschall nach einigen Tagen die Liste der neuen Hofbediensteten holte, traute er seinen Augen kaum. Nur zwanzig Personen erlaubte der König! Und die Gehälter? Besorgt suchte er die Zahlen. Vor Schreck mußte er sich setzen. Sein eigenes Gehalt war von 2.000 Talern auf 400 herabgesetzt worden. Es war nur ein Trost, daß es allen anderen auch so erging! Inzwischen prüfte Friedrich Wilhelm ein Rechnungsbuch nach dem anderen, und seine Stimmung wurde dabei nicht besser. Sein seliger Herr Vater war ein prachtliebender, freigebiger Herr gewesen; aber dafür fand er jetzt Schulden über Schulden! Es mußte an allen Ecken gespart werden.
Eine Inspektionsreise Vor dem königlichen Schlosse hielt der Wagen. Noch war die Sonne nicht aufgegangen. Friedrich Wilhelm wollte eine mehrtägige Besichtigungsreise durch sein Land unternehmen. Die Pferde zogen an, und die königliche Karosse rollte über das holperige Pflaster der Hauptstadt. Neben dem Wagen ritten einige Soldaten und ein Offizier. Ein Beamter des Hofes saß dem Herrscher gegenüber. "Reiche Er mir den Plan über das Havelländische Luch," sagte der König nach einiger Zeit, "ein Oberjägermeister hat behauptet, das Sumpfgebiet ließe sich entwässern. Will sehen, wie der Kerl sich das denkt!" Als der Beamte seinem König alles näher erklärte, nickte der befriedigt mit dem Kopf. "Der Plan gefällt mir. Wird gemacht; wird zwar tüchtig Geld kosten; aber bei wichtigen Dingen soll man nicht knausern. Guter Ackerboden fehlt mir." Er ließ seinen Blick durch das Fenster gleiten über den gelben Sand der Mark, über die kargen Kiefern. Seine Gedanken wanderten von da nach Ostpreußen, wo vor Jahren die Pest viele Menschen dahingerafft hatte. "Hat Er den Bericht über die Ansiedlung der vertriebenen Salzburger Protestanten mitgenommen?" Eilig suchte der Beamte in dem dicken Aktenbündel. "Vorlesen!" befahl der König. "An Saatgut an die vertriebenen Emigranten geliefert..." es folgte eine hohe Zahl. "Gut, weiter!" - "An Ackergerät geliefert, an Vieh, an Holz, an Bausteinen..." Als der Beamte schließlich endete, nannte er eine riesige Summe. "Bin mit allem bestens zufrieden. Dafür haben sie mir auch zwölf Städte und 300 Dörfer neu aufgebaut,"" bemerkte er, "tüchtige Leute sind darunter. Bauern und Handwerker kann ich gut gebrauchen." Plötzlich hielt der Wagen. Die Reisenden standen vor dem Tore einer märkischen Stadt. Der König steckte seinen Kopf zum Fenster hinaus. Vor dem Stadttor hielten viele Bauern mit Wagen und Karren; auch eine elegante Kutsche wartete geduldig. Als die Leute den König erblickten, rissen sie ehrfurchtsvoll die Kappen vom Kopf. "Herr Leutnant, erkundige Er sich, warum wir alle hier warten müssen!" Der Leutnant ritt davon. "Majestät," meldete er nach kurzer Weile, "das Stadttor ist noch geschlossen, und der Stadtschreiber, der es öffnen soll...," er stockte. "Nun?" fuhr ihn Friedrich Wilhelm barsch an. "Der Stadtschreiber schläft noch." Des Königs Gesicht färbte sich dunkelrot. Er riß die Wagentür auf und war trotz seiner Dicke erstaunlich schnell am Tor. Mit seinem Krückstock donnerte er dagegen. Von jenseits antwortete eine zänkische Frauenstimme, ein Schlüssel quietschte, und das Tor öffnete sich langsam. Die Frau des Stadtschreibers, noch in der Nachthaube und den Pantoffeln, sank zitternd in die Knie. "Der König", stammelte sie entsetzt. Aber König Friedrich Wilhelm stampfte schon zornbebend die Stiege zur Pförtnerwohnung empor, und ehe der verdutzte Schreiber noch recht zur Besinnung kam, prügelte ihn der König blau und braun. "Ich werde Ihm Pünktlichkeit und Fleiß schon beibringen", schrie er dazwischen. Wie der Blitz hatte sich die Kunde von der Anwesenheit des Landesfürsten in der Stadt verbreitet. Der Bürgermeister flog nur so in seine Kleider. Sein Blick ging zur Uhr. Sieben Uhr morgens; gottlob, seine Bücher waren in Ordnung. Der König, immer noch ärgerlich, begrüßte ihn kurz und ließ sich sämtliche Rechnungen und wichtigen Akten vorlegen. Seite für Seite prüfte er haargenau. "Ich lese da: Vorschuß
Friedrich Wilhelm rieb und zerrte den Fetzen kräftig zwischen den Fingern. Er hielt schön. "Gut so," lobte er, "im Laufe der Zeit sollen noch mehr Webstühle aufgestellt werden. Ich will kein Geld für ausländische Ware ausgeben; wir können das selber noch besser." Dem Bürgermeister fiel ein Stein vom Herzen. "Wenn ich Majestät zu einem kleinen Frühstück einladen dürfte", wagte er nach einiger Zeit zu sagen. "Wenn wir fertig sind, meinetwegen; aber daß Er mir nicht das teure ausländische Zeug, den Kaffee oder den Tee, auf den Tisch bringt", brummte er. Nun, die Bürgermeisterin war klug. Auf dem Tisch standen goldgelber Honig, frische Butter, kräftiges Landbrot und ein guter Humpen Bier. Der König langte kräftig zu; es schmeckte ihm sichtlich. Lange hielt er sich jedoch nicht auf. "Ich will mal sehen, ob die Rangen in der Schule ihre Pflicht tun." Dem Lehrer blieb beinahe die Sprache weg. Die Schulkinder rissen die Augen auf; aber sie schnurrten ihre Sprüchlein und Gesangbuchverse ordentlich herunter. Das kleine Einmaleins saß auch. Der König wurde zusehends guter Stimmung. "Na, Junge, was willst du denn später einmal werden?" fragte er den längsten. "Soldat, Herr König!" schmetterte der Junge. "Bravo, mein Sohn! Wenn du so weiter wächst, kommst du zu meiner Riesengarde. - Na, ihr habt eure Sache gut gemacht. Immer fleißig sein, sonst...!" Er hob ein wenig den Stock. "Na, guten Tag!" - "Guten Tag!" schrien die Kinder aus vollem Halse. "Nun zeige Er mir, wo in der Stadt gebaut wird!" Voller Stolz wies der Bürgermeister auf einige stattliche Gebäude. Neben dem Haus des Apothekers lag ein wüster, freier Platz. "Nächstes Jahr steht dort ein Haus. Der Kerl von Pillendreher hat Geld, muß bauen." - "Zu Befehl!" erwiderte der Bürgermeister. Die neue Straße wurde auch noch begutachtet. "Halte Er mir die Juden kurz!" ermahnte der König schließlich noch. Dann fuhr er ab; und alle sahen ihm erleichtert nach. Der König aber war schon wieder mit neuen Arbeiten beschäftigt.
Der Soldatenkönig "Stillgestanden!" Wie eine Mauer war das Regiment der langen Kerle in Potsdam ausgerichtet. Langsam schritt der König über den Exerzierplatz, neben sich den Kronprinzen, hinter sich das Gefolge. Dem Obersten schlug das Herz. Er eilte heran und erstattete Meldung. Der König trat vor die Front, stemmte die Arme in die Hüften und blickte wohlgefällig, beinahe liebevoll seine "lieben blauen Kinder" an. Sein Herz lachte beim Anblick der riesigen Männer. Nicht einer unter ihnen war kleiner als 1,80 Meter. Dann begann die genaue Musterung. Gehorsam schritt der junge Kronprinz nebenher. Die scharfen Augen des Königs glitten prüfend an jedem einzelnen hinab. Gut, die hohe Blechmütze saß richtig über den sorgsam gedrehten Locken. Auf der Montierung, dem blauen Rock mit roten Aufschlägen, an denen die Silberlitze funkelte, lag kein Stäubchen. Die gelben Westen und Beinkleider sahen wie neu gewaschen aus. Das war alles in Ordnung. Und die weißen Gamaschen? Der König bückte sich ein wenig ächzend. Auch die Knöpfe daran blitzten blankgeputzt. Kerzengerade, unbeweglich standen die Soldaten. Glied für Glied musterte der Herrscher. Er fand nichts zu tadeln. Seine Potsdamer Riesengarde war im Schuß. "Nun zeige Er mir, was die Kerle können!" befahl er. Kommandos gellten über den Platz. Mit einem Schlage setzten sich die 2.400 Mann in Bewegung. Nicht einer wich auch nur einen Zoll aus der Reihe. Die Beine flogen gleichmäßig wie am Schnürchen. "Halt!" Ein Ruck. Alle standen auf die Sekunde. "Laden!" Schlag auf Schlag folgten die Bewegungen, haargenau. Zum Schluß zeigten die Soldaten einen Bajonettangriff. Wie eine eherne Mauer, das Bajonett mit beiden Fäusten vor sich gestreckt, marschierte das Regiment über den Platz, unaufhaltsam, unbeirrbar! Der König war begeistert. Derb schlug er den Kronprinzen auf die Schulter. "Da sehe Er hin! Mit solchen Soldaten kann Er die Welt erobern." Der Kronprinz schrak zusammen. Er war mit seinen Gedanken bei seiner Flöte gewesen und fand die ganze Besichtigung höchst langweilig. Aber er stotterte eilig: "Zu Befehl!" Als Friedrich Wilhelm nachher einige Soldaten ausfragte, ob sie mit der Wohnung und dem Essen zufrieden wären, hörte der Kronprinz etwas aufmerksamer zu. Ehe der König fortreiten wollte, bat noch einmal der Oberst um Gehör. "Majestät, ich könnte im Braunschweigischen wieder einen langen Menschen anwerben, aber..." Blitzschnell überlegte der König; im vergangenen Monat 1.300 Taler für einen Hessen! Ach was, bei seinen langen Kerlen sparte er grundsätzlich nicht. "Lasse Er sich 1.300 Taler auszahlen; aber, daß mir bei der Herbeischaffung nicht wieder Dummheiten gemacht werden. Versteht Er? Guten Morgen!" Aufatmend wandte sich der Oberst. Er wollte dieses Mal schon aufpassen. Der Schreck vom vergangenen Winter saß ihm noch in den Knochen. Im Anhaltischen waren seine Werber in ein Dorf gekommen, in dem ein mächtig langer Tischlergeselle lebte. Aber trotz aller Versprechungen und des vielen Geldes, das ihm der Korporal bot, wollte er auf keinen Fall in Potsdam Soldat werden. Da hatten seine verschlagenen Werber List angewandt. "Gut, mein Sohn, dann bleibe hier," erklärte der Korporal gleichmütig, "aber paß in Zukunft besser auf deine Arbeit auf. Der Sarg, den du hier gleich fertig hast, ist ja viel zu lang." - "Oho," wehrte sich der ahnungslose Gehilfe, "der Sarg ist schon nicht zu groß." Aber die Werber reizten ihn weiter mit spöttischen Reden, bis dem Tischler schließlich die Geduld riß und er sich zur Probe hineinlegte. Wie die Raben stürzten sich da die Werber auf den Sargdeckel und schlossen schleunigst damit den Sarg zu, schleppten ihn auf ihren Wagen und jagten der Grenze zu. Der Eingeschlossene mochte toben und schreien, wie er wollte. Aber, oh Schrecken. Als sie den Sarg, in Preußen angekommen, öffneten - Gottsdonner, der Oberst fluchte leise vor sich hin - da war der große Kerl tot, mausetot. Dieser Krach! So etwas sollte nicht mehr geschehen. Das schwur er sich. Zehn Minuten später jagte er das Regiment schon wieder hin und her, daß den langen Kerlen die Puste wegblieb.
Friedrich Wilhelm erwarb von den Schweden Stettin, Vorpommern bis zur Peene und die Inseln Usedom und Wollin. Damit kam endlich die so wichtige Odermündung in preußischen Besitz. Bei seinem Tode hinterließ er seinem Nachfolger einen geordneten Staat mit einem starken Heere einer mustergültigen Verwaltung, einem pflichttreuen Beamtentum, einem sparsamen, fleißigen Volke und einer gefüllten Staatskasse.
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