Das Erste Deutsche Reich bis zum Westfälischen Frieden (Teil 4)
Kaiser Friedrich Barbarossa
(1125-1190)
Die Kaiserwahl zu Frankfurt
Dem verstorbenen Herrn, Konrad III., trauerten nicht viele Bauern und Bürger nach. Er war zu schwach gewesen. Jahrelang hatten die Kämpfe mit seinen Vettern, den Welfen, um die Herzogtümer Sachsen und Bayern gedauert. König Konrad wollte ihnen nicht beide Länder zugleich überlassen, denn er fürchtete ihre Herrschsucht. Viel edles Blut war in diesen Kriegen geflossen, und auf den Straßen hatten sich die Raubritter und Schnapphähne breit gemacht. Auch an den Ostgrenzen des Reiches wurden die Slawen wieder stark. Nun sollte Friedrich von Staufen zum Nachfolger gewählt werden. Die Bürger bewunderten die mächtigen Herren, die zur Wahl in die alte Reichsstadt einritten. Mit großer Spannung warteten alle, ob auch der Sachsenherzog Heinrich Welf, den seine Leute den "Löwen" nannten, erscheinen würde. Auch er beanspruchte Sachsen und Bayern und unterzeichnete jetzt schon trotzig alle Schriftstücke mit "Herzog von Bayern". Seine Stimme galt bei der Wahl am meisten. Die Neugierigen wurden nicht enttäuscht. In prachtvollem Zuge ritt eines Morgens der junge Welfenfürst in Frankfurt ein. Die Bürger schauten ihm ehrfurchtsvoll nach. Ohne langes Zögern ließ er sich bei Friedrich melden. Friedrich von Staufen und der Welfe waren Vettern und hatten manche frohe Jugendstunde miteinander verlebt. Aber der junge Heinrich war ehrgeizig und eigenwillig. Würde auch er Friedrich wählen? Doch die beiden Fürsten, der schlanke, rotblonde Staufe und der schwarzhaarige Welfe, einigten sich schnell. "Wenn du, Friedrich, mir gegenüber gerecht bist und mir mein Erbe Bayern zusprichst, wähle ich dich. Ich habe zu dir das Vertrauen, daß du das Reich mit starker Hand regieren wirst. Ich selbst habe an der Ostgrenze genug Arbeit." Friedrich reichte ihm mit festem Druck die Hand: "Ich danke dir, Vetter; dir soll dein Recht werden." - "Du sollst dich auf mich verlassen können, Friedrich," fuhr Heinrich der Welf fort; "auch mein Schwert wird dir in Notzeiten helfen." Beide Fürsten traten Arm in Arm vor das Tor des Hauses. Da wußten die Harrenden, daß die Wahl Friedrichs gesichert war, und daß eine neue Zeit anbrach. Der Streit zwischen dem Welf und dem Staufer schien beendet. Heil- und Jubelrufe begrüßten die beiden Männer. Schon wenige Tage später wurde Friedrich von Staufen in Aachen gekrönt.
Heinrich der Löwe kämpft um den Ostraum Durch Sumpf und wildes Buschwerk des Mecklenburgischen Landes schlichen die Geheimboten der Slawenfürsten. Vorsichtig mieden sie die Siedlungen der Deutschen und machten einen großen Bogen um deren feste Wohnhäuser, fruchtbare Felder und fette Weiden. Manchen Blick tödlichen Hasses sandten die slawischen Läufer hinüber. Mit dem eisernen Schwert und dem eisernen Pfluge hatten die Deutschen ihrem Volke in jahrelangen Kämpfen einen Fußbreit Boden nach dem anderen entrissen. Heinrich der Löwe, der gefürchtete jetzige Herr des Landes, hatte sie alle geschickt: die Krieger, Bauern und die Christenpriester. Aber jetzt war das Maß voll! Wohl war der tapfere Obotritenführer Niclot in hartem Ringen gefallen; aber seine Söhne führten den Kampf weiter. Die eiligen Boten riefen zu den Waffen. Ganz Mecklenburg stand in hellem Aufruhr. Die deutschen Siedlungen brannten. Alle Männer und Frauen wurden in die Sklaverei geschleppt oder getötet. Als diese Nachricht Heinrich den Löwen erreichte, fuhr er auf. Wie ein Sturmwind brauste er mit seinen Gepanzerten heran. Manch edles Pferd brach bei der wilden Hetze unter seinem Reiter zusammen; aber es gab kein Aufhalten. Die Slawenfürsten hatten sich in der Feste Werle verschanzt und bargen sich hinter meterdicken Wällen, die bislang noch kein Mensch erobert hatte. Aber Heinrich Welf hieß nicht umsonst der "Löwe", und er hatte viel auf seinen zahlreichen Kriegszügen gelernt. Äxte dröhnten, Bäume wurden gefällt. Bald ragten vor den Wällen riesige Kriegsmaschinen auf. Die schleuderten dicke Steine in die Burg und zerstörten die Häuser, oder sie rammten die Wälle, um sie zu erschüttern. Da - eines Morgens hörten die Eingeschlossenen ein seltsames Geräusch tief unter ihren Füßen. Herzog Heinrich hatte Bergleute aus Goslar geholt, die wie die Maulwürfe den Wallring zu untergraben begannen. Kopflosigkeit und großer Schrecken erfaßte die Slawen. Werles Tore öffneten sich, und die Fürsten erschienen, demütig das Schwert auf den Rücken gebunden. Mecklenburg mit der aufblühenden Stadt Lübeck und ein Teil der Ostseeküste waren wieder in deutscher Hand. Die Kunde von des Herzogs Heldentaten eilte durch ganz Deutschland.
Heinrich der Löwe verweigert dem Kaiser die Hilfe In Chiavenna, am Fuße der Alpen, lockte die Sonne schon alle Frühlingsblumen heraus und ließ die Welt schön und heiter erscheinen. Doch dem deutschen Kaiser Friedrich Rotbart, der seit einigen Tagen in dieser oberitalienischen Stadt weilte, war es heute nicht froh ums Herz. Mißgestimmt überdachte er seine Regierungszeit. Vierundzwanzig Jahre war er schon König der Deutschen, einundzwanzig Jahre römischer Kaiser. Wieviel Sorgen und wieviel Kämpfe hatten ihm diese beiden Jahrzehnte schon gebracht! Mit froher Zuversicht war er an den Aufbau des Reiches gegangen. In Deutschland gelang ihm alles nach Wunsch. Fast immer hatte dort Landfriede geherrscht. Doch welche Schwierigkeiten hatte er in Italien gefunden! Das widerspenstige Mailand mußte allein zwei volle Jahre belagert werden, bis sich die stolze Stadt endlich ergab. Mit grimmigem Auflachen dachte Friedrich an die Stunde zurück, in der die Stadtväter vor ihm erschienen waren, barfuß, jeder mit einem Strick um den Hals und einem blanken Schwert auf dem Rücken, um dem Kaiser die Stadtschlüssel zu übergeben. Nach den Stadtvätern waren damals die Bürger erschienen im Bußgewande, mit Asche auf dem Haupte. Ein hartes Gericht war trotz dieser Übergabe gefolgt. Er, der Kaiser, hatte Mailand zerstören lassen. Die Bewohner mußten sich in vier getrennten Dörfern neu ansiedeln.
Aber nur kurze Zeit konnte der Papst seinen Haß gegen den Kaiser zurückdrängen. Auf dem Reichstage zu Besancon war der päpstliche Kanzler Roland erschienen. Anmaßend erklärte er den Großen des Reiches, daß der Kaiser seine Würde einzig und allein dem Papst verdanke. Voller Befriedigung erinnerte sich der sinnende Kaiser daran, daß der päpstliche Gesandte nur durch sein Eingreifen dem sicheren Tode entgangen war. Und auch heute, wo er zum fünften Male in Italien weilte, war der Papst noch immer von dem Gedanken besessen, Gott habe ihm alle Macht über die Kirche und das heilige Römische Reich Deutscher Nation in die Hand gegeben. Mit dem Kirchenfürsten hatte sich nun wieder die norditalienischen Städte verbunden. Da hatte er eilige Boten in die Heimat gesandt; sie sollten Heinrich den Löwen holen. Ihn wollte der Kaiser um Hilfe bitten. Immer wieder trat der Kaiser an das Fenster, von dem aus man den Weg in die Alpen verfolgen konnte. In seinem schmalen, kühnen Gesicht hatten Kummer und Sorge scharfe Falten eingeschnitten. Durch das dichte, rotblonde Haar zogen sich graue Fäden. Wo blieb der Herzog nur? Unruhe überfiel ihn. Kämpfte der Löwe mit den Slawen? Schlug er sich wieder mit den Erzbischöfen von Bremen und Köln herum? Friedrich wußte, daß sie alle den Löwen haßten seiner wilden, herrischen Art und seiner Erfolge wegen. Wieder spähte der Kaiser nach Norden. Er strich sich über die müden Augen. Eine Erinnerung quälte ihn. Als der Welf vor einigen Jahren in Palästina weilte, ritt er durch dessen Land und ließ sich von den sächsischen und bayerischen Lehnsleuten den Treueid leisten für den Fall, daß der Vetter unterwegs stürbe. Friedrich wußte, daß der heißblütige Mann ihm das nie verziehen hatte, denn er besaß Söhne. Aber mußte ein deutscher König nicht vorsichtig sein? Der Löwe war übermächtig geworden, und sein Schwiegervater, der König von England, hätte sicher gern die Hände nach dem fetten Erbe ausgestreckt. Es war ärgerlich für den Staufenkaiser, daß er seinen Lehnsmann um Hilfe angehen mußte. Aber einen anderen Ausweg gab es heute nicht. Heinrichs Schwert war hier in Italien unersetzlich. Stunde auf Stunde verrann in bangem Warten. Da plötzlich, gegen Mittag, donnerten Hufe über die steinigen Straßen. Friedrich fuhr auf. Endlich! Sporenklirrend trat der Herzog in den Raum; er hatte unerschrocken den Weg über die verschneiten Alpenpässe gemacht, hatte sich durch Lawinengefahr und Schneestürme nicht beirren lassen. Dankbar streckte ihm der Kaiser die Hand entgegen und reichte ihm als Willkommensgruß einen Becher goldenen Weines. Geduldig gönnte er dem Vetter eine kleine Erholungspause; dann begann er: "Du weißt, Herzog, daß der Papst und die lombardischen Städte sich immer wieder gegen meine Herrschaft empören, ja, daß der Papst sogar dem Kaiser befehlen möchte. Um diesen Kampf ein für allemal zu beenden, bin ich wieder nach Italien gezogen, ich glaube zum letzten Male. Aber ich muß die Feinde erst besiegen. Zwar haben die Fürsten des Reiches diesen Kriegszug nicht beschlossen, aber du weißt, worum es geht. Komm mit deinen Mannen zu mir nach Italien und hilf mir." Die blauen Augen in dem edelgeschnittenen, männlichen Gesicht richteten sich flehend auf des Herzogs Antlitz. Der Welf schwieg. Friedrich sprang auf. Er legte ihm die Hand auf die Schulter: "Heinrich, es geht um die Würde und Macht der Kaiserkrone. Hilf mir, ich bitte dich darum!" Der Herzog atmete schwer. Noch nie hatte die Stimme des Kaisers so bittend geklungen. Der Kaiser, der mächtige Rotbart, hatte um Hilfe gebeten! Das war etwas Unerhörtes. Tausend Gefühle und Gedanken jagten durch seine Seele. Friedrich wartete atemlos. Da reckte der Welf den Kopf; langsam erhob er sich, und Friedrichs Hand glitt herab. "Wer weiß, Vetter Friedrich, wie lange du hier in Italien noch zu kämpfen hast. Im Ostland habe ich weite Gebiete gewonnen; aber sie sind noch nicht genug gesichert und gehen verloren, zöge ich jetzt meine Krieger zurück und vereinigte sie mit den deinen. Alle meine Feinde warten auf den Augenblick, um über mein Land herzufallen, wenn ich nicht da bin. Ich vermag dir keine Hilfe zu leisten." Friedrich war einen Schritt zurückgewichen; seine Hand krampfte sich in die Decke des Tisches. "Du kannst nicht, Herzog? Nein, du willst nicht! Man hat mich oft genug vor deinen ehrgeizigen Plänen gewarnt. Hoffst du, mächtiger zu werden, wenn der Kaiser schwächer wird?" Seine Stimme wurde ruhiger. "Ich bitte dich noch einmal, Welf, versage mir deine Hilfe nicht!" Heinrich der Löwe wußte, daß er die Gunst des Kaisers für alle Zeiten verlieren würde, wenn er sich wieder weigerte; trotzdem klang seine Stimme hart: "Nein, ich kann nicht helfen!" Kaiser Friedrich war bis in die Lippen blaß geworden. Dennoch verlor er keine Sekunde seine Würde. Nur über sein Gesicht legte sich eine eisige Starre. "Dann möchte ich dich, Vetter, auch keinen Augenblick länger der Heimat fernhalten." Der Löwe spürte in dem veränderten Ton den ehernen Willen seines Gegners. Eine Schelle läutete. Ein Page führte den Sachsenherzog in sein Quartier. Im leeren Raum stand Friedrich; seine Faust ballte sich, daß die Knöchel weiß hervortraten. "Diese Stunde, Welf, mußt du einst bitter bezahlen!"
Bei Legnano wurde das Heer Friedrich Rotbarts völlig geschlagen. Da schloß der Kaiser Frieden mit dem Papst. Nach Deutschland zurückgekehrt, nahm er Heinrich dem Löwen sein Land. Der sechste Römerzug war ein Weg des Triumphes. Friedrich vermählte seinen Sohn Heinrich mit Konstanze von Sizilien. Sie brachte ihrem jungen Gemahl - und damit auch dem Reiche - als Heiratsgut das normannische Unteritalien zu. Die Stadt Mailand erbat sich die Gunst, die Hochzeit aufs prächtigste ausrüsten zu dürfen. Als Kaiser Rotbart auf seinem Kreuzzuge in einem reißenden Fluß ertrank, stand sein Kaisertum auf stolzer Höhe. Es erstreckte sich von der Nordsee über Lothringen und Burgund bis tief nach Italien hinein.
Unter Barbarossa war Deutschland wieder die führende Macht in Europa. Auf dem Reichsfest zu Mainz 1184 erschienen Abgesandte aller Länder, um ihm als Schutzherrn zu huldigen. Die Erinnerung an die Größe und Blüte seines Reiches ist im deutschen Volke nie verloren gegangen. Sie findet ihren Ausdruck in der Sage vom Kyffhäuser. Friedrichs I. Nachfolger hielten sich fast nur in Italien auf. Die Geschicke des Reiches überließen sie den Fürsten. Diese machten sich unabhängig und dachten nur an ihren eigenen Vorteil. Die Macht des Reiches zerfiel. Der Osten des Reiches war dem Ansturm fremder Völker schutzlos preisgegeben. Im Westen war Frankreich geeint und mächtig geworden. Gemeinsam mit dem Papst begann es den Angriff auf deutsches Reichsgebiet.
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