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Deutschland nach 1648

Das allgemeine Friedensbedürfnis war während des Dreißigjährigen Krieges in Deutschland fortdauernd gewachsen. Sogar die Franzosen redeten von der Notwendigkeit, ein bleibendes Friedenswerk zu errichten, um guten Eindruck zu machen. Zu diesem Ruhebedürfnis trat die große Erschöpfung nahezu im ganzen Reiche.

Die Opfer des damaligen Krieges lassen sich schwer mit den heutigen vergleichen. Die Söldnerheere besaßen oft kaum die Stärke von zwei bis drei unserer Divisionen und ver- [12] brauchten nur einen geringen Teil der nationalen Wehrkraft. Auch wurde keine Gegend ununterbrochen heimgesucht; viele Länder waren sogar länger oder kürzer neutral. Dafür waren im 17. Jahrhundert andere Erscheinungen empfindlicher. Der Dreißigjährige Krieg spielte sich fast ausschließlich auf deutschem Boden ab. Während heute nur bestimmte Gegenden, vor allem die des Stellungskampfes, das volle Kriegsunglück nachhaltig tragen, wurden damals auch bei flüchtigen Durchzügen Städte und Dörfer härter getroffen. Selbst befreundetes, geschweige denn feindliches Land diente einer raubgierigen Soldateska. Um Menschen und Boden kümmerte sie sich wenig und verwahrloste Arbeits- und Geldkräfte, auch wo das der Krieg nicht geboten hätte. Die jetzigen sozialen und gesundheitlichen Einrichtungen fehlten. Für Kranke und Verwundete, für die Zivilbevölkerung der betroffenen, selbst der vom Feinde besetzten Gebiete, gegen ansteckende Krankheiten wird heute umfassend gesorgt. Eine strenge bürgerliche oder militärische Verwaltung regelt das Wirtschaftsleben und hält die Ordnung aufrecht. Auch wenn im 17. Jahrhundert die Erkenntnis vorhanden war, gebrach es an den Mitteln und Wegen. Ferner waren damals die Menschen viel mehr als heute an amtliche Bevormundung gewöhnt und vermißten es, daß in der deutschen Kleinstaaterei jener Tage durch den Krieg so vielfach das ganze Behördenwesen unterbrochen oder gar vernichtet war; hierdurch stockte das gesamte, vom Beamtenstaat damals weit mehr gegängelte Wirtschaftsleben.

So tiefe Unterschiede erschweren einen Vergleich zwischen dem 17. und 20. Jahrhundert. Auch lassen sich infolge der starken örtlichen Verschiedenheiten einzelne Beispiele nicht verallgemeinern. Immerhin deuten zuverlässige Nachrichten auf Kriegsschäden, welche die heutigen Verluste weit übersteigen. Augsburg sank in den ersten 14 Kriegsjahren von 80 000 auf 16 000 Einwohner, Böhmen in 19 Jahren von 3 000 000 auf 800 000. Kursachsen hatte in den zwei Jahren 1631 und 1632 eine Million Todesfälle. In der badischen Markgrafschaft Hochberg ergab 1653 eine amtliche Erhebung eine Volksabnahme um ¾ des ursprünglichen Bestandes; 3500 Joch Reben und mehr als 10 000 Äcker waren mit Gestrüpp bewachsen, Straßen und Brücken fehlten. Selbst 1683 gab es [13] dort erst 8/13 so viel Haushaltungen und 2/3 so viel Vieh als vor 70 Jahren. Viel mehr als heute war die eingesessene Bevölkerung, besonders des platten Landes, auf Nimmerwiedersehen geflüchtet und im Elend verkommen. Während heute auch verlassene Äcker möglichst zweckmäßig bewirtschaftet werden, waren sie damals fast durchweg unbestellt geblieben. Sie ließen sich nach Kriegsende nicht gleich wieder instandsetzen und fanden trotz des gesunkenen Bodenwertes keine Käufer.

Da hätte man denken sollen, daß Deutschland auf Jahrzehnte hinaus durch seelische wie durch wirtschaftliche Gründe erzwungenermaßen hätte Frieden behalten müssen, daß es zu jeder neuen Kraftanstrengung ohnmächtig und jedem noch so drückenden fremden Willen unterworfen gewesen wäre. Aber die Zeit nach dem Dreißigjährigen Kriege mit ihrer einzigartigen Erschöpfung des deutschen Volkes enthält für das heutige deutsche Geschlecht eine wichtige Lehre. Noch so zwingend erscheinende Notwendigkeiten werden von Zeitgenossen zwar tief empfunden, doch in ihrer Dauerwirkung überschätzt. Sind Interessengegensätze stark genug, um den Beteiligten als Lebensfragen zu gelten, und glaubt alsdann eine Seite sich mit Gewalt verschaffen zu können, was sie gütlich nicht erreicht, so hindert keine noch so heiße Friedenssehnsucht und keine noch so schmerzliche Kriegserinnerung den neuen blutigen Kampf.

Nun bildeten nach 1648 verschiedene ungelöste Fragen sofort einen Zankapfel. Vieles war nur in großen Zügen geregelt, zahlreiche Ergänzungs- und Übergangsbestimmungen wurden nachträglich gebraucht und waren nicht so selbstverständlich, um nicht Unklarheiten, Meinungsverschiedenheiten, jahrelangen mündlichen und schriftlichen Zank, bittere Unzufriedenheiten zu erlauben. Vor allem gab es drei lästige Erbschaften. Die jedem anderen Beruf entwöhnten Soldaten, die oft genug nicht einmal ihren schuldigen Lohn empfangen hatten, gingen nicht gutwillig auseinander, sondern setzten auf eigene Faust ihre Gewalttätigkeiten zum Schrecken der wehrlosen Bevölkerung fort. Die westfälischen Friedensunterhändler hatten sich mit der Demobilisierung, dem "Kontentement der Soldateska" viel, aber erfolglos beschäftigt. Es fehlten die finanziellen Mittel, um das Kriegsvolk abzudanken und auf- [14] zulösen. Auch besaßen die meisten Landesherren keine Schutzwehr, welche die überflüssigen Truppen auseinanderjagte oder wenigstens von ihrer Heimat fernhielt.

Zweitens entsprachen viele Westfälische Friedensbedingungen nicht dem Tatbestand, sondern waren nur beim guten Willen der verschiedenartig interessierten Beteiligten ausführbar. So war die Teilung Pommerns zwischen Schweden und Brandenburg wohl auf dem Papier verfügt, aber noch nicht vollzogen. Ebenso hatte man mechanisch bestimmt, daß diejenige Religionspartei, welche am 1. Januar 1624 ein Stift besessen, es behalten oder wieder bekommen sollte. Dieser Normaltermin wirkte indes ganz ungleichmäßig und konnte in einzelnen Fällen unbillig hart sein.

Drittens hatte sich der Friede nicht abschließen lassen, ohne daß viele Wünsche unberücksichtigt geblieben waren. Doch die unterlegenen Fürsten mochten nicht für immer auf ihre Ansprüche verzichten. Erst recht protestierten Staaten, die in Münster und Osnabrück nicht vertreten gewesen, dort aber in ihren Rechten gekränkt worden waren, gegen den ganzen Frieden.

So erlebte das Deutsche Reich nach 1648 noch keineswegs eine allgemeine Beruhigung, sondern einen jahrelangen Übergangszustand. Wiederholt und verschiedentlich loderte nochmals die Kriegsflamme empor. Die ordnungsbedürftigen Stände griffen zur Selbsthilfe oder vereinbarten einen gemeinsamen Schutz gegen raubartige Ein- und Überfälle. Allein die Mitglieder solcher Landfriedensvereine waren sich über Leistungen und Ansprüche oft nicht einig, verfolgten auch häufig unter dem Deckmantel bedrohter Allgemeininteressen eigennützige Zwecke, so daß mancher derartige Bund die Teilnehmer nicht zusammen, sondern auseinander brachte.






Deutschlands Friedensschlüsse seit 1555:
Ihre Beweggründe und ihre geschichtliche Bedeutung

Professor Dr. Gustav Wolf