Noch vor der Einleitung: ein Blick auf die Karte als Orientierungshilfe für Leser, die mit dem hier behandelten Kriegsschauplatz nicht vertraut sind. (Von Scriptorium eingefügt.)
Das Hochgebirge galt in den Kriegen früherer Zeiten meist nur als Durchzugsland. Die Kämpfe spielten sich an den Paßstraßen und auf den sie unmittelbar begleitenden Höhen ab. Ein längeres Verweilen inmitten des Gebirges fand selten statt. In diesen Verhältnissen hat der Weltkrieg gründlich Wandel geschaffen. Einerseits war das Hochgebirge dem allgemeinen Verkehr besser erschlossen oder an den Grenzen durch militärische Wegeanlagen zugänglicher gemacht worden. Andererseits hatte die Entwicklung des Alpinismus dazu geführt, daß es unzugängliche Stellen selbst in den höchsten, schroffsten und unter ewigem Eis liegenden Gebirgsteilen so gut wie gar nicht mehr gab. Ferner hatte sich auch die militärische Technik und Bewaffnung, vornehmlich bei der Artillerie, in den Staaten, die gebirgige Grenzen besaßen, immer mehr den Bedingungen des Hochgebirges angepaßt. Früher konnten nur ganz leichte Geschütze im Gebirge verwendet werden; jetzt konnte, vermöge der Unabhängigkeit des Schußbeobachters von der Feuerstellung der Geschütze mittels neuer Richt-, Beobachtungs- und Verkehrsmittel, und infolge der Verbesserung des Steilfeuers, auch im Gebirge, auf den Bergen wie vom Tale aus, Artillerie bis zu den schwersten Kalibern und in großer Zahl fast an jeder Stelle zur Wirkung gebracht werden. Hatte es früher genügt, zum Grenzschutz die wichtigsten Paßstraßen durch Sperrbefestigungen in nächster Umgebung der Straßen zu verrammeln, so konnte nunmehr auch das zwischen den Pässen liegende Hochgebirge keinen genügenden Schutz mehr bieten. Je leichter sich solche Sperren seitwärts umgehen und von dorther unter Feuer nehmen ließen, desto mehr mußte sich der Krieg auch nach der Seite in die früher für unbetretbar erachteten Gebirgsteile ausdehnen und schließlich das ganze Gebirge in seinen Bereich ziehen. Länder mit gebirgigen Grenzen mußten daher in kommenden Kriegen mit dauernden Kämpfen innerhalb ihrer ganzen Hochgebirge rechnen. In Österreich-Ungarn hatte man diese Entwicklung für den Fall eines Krieges mit Italien vorausgesehen und sich im allgemeinen, wenn auch nicht vollständig genug, dar- [X] auf eingerichtet. Tirol mußte im Weltkrieg als Nebenfront gelten, weil zu erwarten war, daß ein italienischer Angriff seine Ziele mehr im Osten und Nordosten suchen werde, und die Benützung Südtirols als österreichisches Ausfalltor gegen Italien zunächst nicht in Frage stand. Das Land wurde daher im ersten Jahre des Weltkrieges, als Italien noch in der zweifelhaften Neutralität verharrte, von schlagfähigen Truppen fast vollständig entblößt. Man begnügte sich damit, im Laufe dieser Frist längs der Grenze, unter teilweiser Preisgabe eigenen Gebietes, eine durchlaufende befestigte Stellung auszubauen und auch einige rückwärtige Sperrlinien zu schaffen. Alle diese Anlagen erforderten in Fels und Eis die mühevollste Arbeit und waren bis zum Kriegsausbruch mit Italien, da die Arbeitskräfte und ‑mittel knapp waren, nur bis zu einer einzigen schwachen Grabenlinie gediehen, die an für schwer zugänglich erachteten Stellen noch bedeutende Lücken aufwies. Daneben fehlte es auch ernstlichst an Verteidigern. Die hierzu berufenen Söhne des Landes, die Kaiserjäger und Landesschützen (später Kaiserschützen), verbluteten ferne von der Heimat auf den galizischen Schlachtfeldern. Die Not an Verteidigungstruppen für Tirol und der Waffenmangel waren so groß, daß man schließlich dazu schritt, die Stellungsarbeiter-Bataillone (alte Jahrgänge, Halbtaugliche und Unausgebildete) in Kampfbataillone umzuwandeln und sie mit deutschen Gewehren zu bewaffnen. Trotz dieser Aushilfen standen, als der Krieg vor der Türe war, längs der 500 Kilometer langen Grenze Tirols neben der gut kampffähigen Besatzung der ständigen Grenzsperren nur 22 der obengeschilderten "Landsturmbataillone" und 7½ Ersatzbatterien, alle zweifelhaften Kampfwertes, der erdrückenden Übermacht des sprungbereiten italienischen Heeres gegenüber!
Zur Ergänzung dieses ganz ungenügenden Grenzschutzes verfügte Österreich vorerst nur noch über die sogenannten "Standschützen",1 etwa 30 000 Mann, – eine Art Tiroler "Letztes Aufgebot", nur ganz junge, noch nicht militärpflichtige und alte, dieser Pflicht längst entwachsene Leute, die flüchtig militärisch organisiert, uniformiert und bewaffnet wurden, aber erst aufgeboten werden mußten. Neben ihrer glühenden Heimatliebe, zornigem Tiroler Kampfesmut und einiger Schießfertigkeit brachten sie ihre Vertrautheit mit dem Gebirge mit. Die Zeiten der ruhmreichen Landesverteidigung Andreas Hofers feierten hierin ihre Auferstehung. Diesen Umständen war es zuzuschreiben, daß auch Deutschland sich zu einer begrenzten Waffenhilfe für Tirol bereit erklärte, so lange Österreich die geeigneten Verteidiger nicht selbst aus dem Osten heranzuführen vermochte. Dem stand aber die Schwierigkeit im Wege,
Fürs erste gewährte diese Zufuhr der Verteidigung von Tirol den festen Kern und eine, insbesondere auch von der Bevölkerung mit Erleichterung begrüßte moralische Hilfe. Aber diese wäre wohl zu spät gekommen, wenn die Italiener, ihren Vorsprung ausnützend, überraschend mit der Kriegseröffnung auf allen Wegen gleichzeitig nach Tirol einmarschiert wären. Diese hätten dann unschwer schon damals das ganze Land bis zum Brenner in ihre Gewalt bringen können. Hatte doch das Alpenkorps von der deutschen Heeresleitung zur Vorsorge den ersten Auftrag erhalten, möglichst die Gebirgslinie nördlich des Inns zu behaupten! Aber die Italiener gingen zögernd vor und nach dem Eintreffen des Alpenkorps wurde ihnen überall völlig Halt geboten. So kam es auch im Tiroler Hochgebirge längs der vorbereiteten Abwehrlinie zum langewährenden Stellungskrieg. Neben dem Heldenmut der österreichischen Verteidiger hat also auch die deutsche Hilfe der Verteidigung Tirols mit über die ersten Schwierigkeiten hinweggeholfen. Damit war aber diese Hilfeleistung nicht erschöpft. Noch waren die Stellungen sehr unvollständig, die Unterkünfte ganz unzureichend, es galt, die deutschen Truppen an das Gebirge zu gewöhnen, die Tiroler Standschützen als Kämpfer auszubilden, das mangelhafte Verkehrsnetz zu erweitern und den Nachschub zu organisieren – neben der Kampflast der Verteidigung war auf allen diesen Gebieten eine Riesenarbeit zu leisten. Hier haben die Deutschen überall mitgeholfen und viele grundlegende Anregungen gegeben. Die Eigenart des Gebirgskrieges brachte es mit sich, daß einzelne besonders beherrschende und wegesperrende Punkte zu Brennpunkten der Kämpfe wurden (Col di Lana, Tofana-Gebiet, Sextener Berge). Überall dort haben auch die Deutschen an der Ausgestaltung mitgearbeitet und in harten Kämpfen, im brüderlichen Verein mit den stammverwandten Verbündeten, hat mancher deutsche Streiter sein Leben gelassen und schläft dort den langen Schlaf auf einem der poesievollen Kriegerfriedhöfe inmitten der herrlichen Bergwelt oder in vergessenem Winkel. Bald verband die Kämpfer beider Heere die innigste aus der Notgemeinschaft geborene Kameradschaft, aus der jeder dem anderen viel zu geben hatte: der Österreicher dem Deutschen seine langjährige alpine Erfahrung und Organisation für den Gebirgskrieg, der Deutsche dem Österreicher seine kriegerische Zuversicht, seine Kampferfahrung und umsichtige Ordnung der gesamten Führung und [XII] aller Einrichtungen zur Erhaltung der Schlagfertigkeit. Das Alpenkorps verkörperte gewissermaßen ganz Deutschland im Kleinen, umschloß Angehörige fast aller deutschen Stämme, die bei dem gemeinsamen Werke das schöne Tiroler Land und sein Volk lieben lernten und die dort verbrachten Monate zu ihren schönsten Kriegserinnerungen zählen. So schlang sich auch ein festes Band um die teilweise so verschiedenen Stämme deutscher Zunge in beiden Heeren und brachte sie einander nahe. Aus dem edlen Wetteifer, dem Feinde keinen Fußbreit von dem verteidigten Tiroler Boden zu überlassen, erwuchs bald das stolze, sieghafte Vertrauen, daß hier dem Feinde niemals ein wesentlicher Erfolg blühen könne. Gemeinsam wurden, als der Sommer sich neigte, auch noch alle Vorsorgen für den Winter getroffen, die es möglich machen sollten – was bisher unerhört war – auch die höchsten Bergstellungen über den Winter unverändert zu behaupten, und dafür reiche Hilfsmittel aus dem Deutschen Reiche herangezogen. Bis zum Herbst 1915 war es Österreich möglich geworden, seine eingeborenen Tiroler Truppen von den östlichen Kriegsschauplätzen in die Heimat zurückzuführen und nun konnte die Landesverteidigung in ihre hierzu am nächsten berufene Hand gelegt, das Alpenkorps herausgezogen werden. Dieses konnte ihnen in dem Dolomitenabschnitt die unversehrte und in jeder Hinsicht verbesserte und für den Winter gut vorbereitete Stellung übergeben, die nun eine sichere Stütze der Verteidigung bildete.
Wie Unvergleichliches, Unerhörtes, Niedagewesenes in diesen Kämpfen geleistet worden ist, in Fels und Eis, im Ertragen von Mühen und Anstrengungen, im unaufhörlichen Kampf verbunden mit unaufhörlicher schwerster Arbeit, in Hunger und Entbehrung auf den von eisigen Stürmen umtosten Höhen, in all den tausend Gefahren der winterlichen Bergwelt, ja im Bauche der Gletscher, in nieversagender Findigkeit im Kampfe mit der Natur und allen technischen Listen des Feindes – davon geben die in ihrer Schlichtheit so eindrucksvollen Berichte der Mitkämpfer in diesem schönen Buche im Verein mit dem einzigartigen Bildwerk das erhabenste Zeugnis. Sie singen das Lied [XIII] vom braven, treuen Mann, der das Unmögliche möglich macht – wer hätte vordem es für möglich gehalten, daß Menschen es vermocht hätten, selbst auf den höchsten eisumpanzerten Alpengipfeln den todbringenden Winter zu überdauern und dazu zu kämpfen?! – sie richten auch den vielen "unbekannten Soldaten", die dort oben in Felsklüften und Abgründen, unter der tödlichen Last der Lawinen und im blutigen Heldenkampfe ihr würdigstes, oft unauffindbares Grab gefunden haben, das hehrste Denkmal auf: das Denkmal im Herzen aller Überlebenden, die dort ihren "guten Kameraden" zurückgelassen haben und bei allen denen, denen diese Blätter beredte Kunde hievon zutragen. Ewige Ehre ihrem Andenken! Neben dem Verfasser und seinen Mitarbeitern hat sich auch der Verlag Bruckmann durch die vortreffliche Ausstattung des Buches ein großes Verdienst erworben. Möge daher dieses Buch ein Gemeinbesitz des Volkes werden, soweit die deutsche Sprache klingt, so weit als man die Berge liebt! Möge das dort im schönen Land Tirol gemeinsam vergossene Blut aller deutschen Stämme die nie zur Ruhe kommende Mahnung sein, daß dereinst ein größeres Reich alle Stämme deutschen Blutes als gemeinsame Heimat, frei von jeder Fremdherrschaft, umschlingen soll. Das walte Gott! München, im Oktober 1932.
Tausendfach verschieden war das Gesicht der Fronten, die im Weltkrieg an die 9000 km lang durch Europa und Asien, vom Strand der Nordsee bis zum Wüstensand Arabiens und in dem Busch der deutschen Kolonien in Afrika lagen. Keine Front war vielleicht merkwürdiger, als die im weiten Bogen über die Hochgipfel der Alpen gespannte. Dieses Buch soll vom Leben und Kampf an dieser unwahrscheinlichsten aller Fronten erzählen. Frei von aller filmischen Verfärbung und Verfälschung bringen die Bilder dieses Buches unwirklich scheinende klare Wirklichkeit, als getreue Zeugen phantastisch scheinender Tatsachen. Die Bühne des Krieges im Hochgebirge war das Ödland der Alpen, das Land über jener Grenze, an der fast alles Leben erstorben ist, das Land, das allem Leben und auch dem Menschen feindlich ist. Dieses Ödland beginnt dort, wo die Berge über 2000 m allmählich felsig und eisig in den Himmel wachsen. Es war nicht möglich, diese Grenze scharf zu ziehen, es war auch nicht die gestellte Aufgabe, umfassend und chronistisch ein vollständiges Werk über den Hochgebirgskrieg zu schaffen. Dieses Buch sollte nur eine Auswahl bunter, lebendiger Bilder aus dem typischen Krieg in Fels und Eis der Alpen bringen. Höchster Friede und höchste Gewalt der Natur sind das wunderbare und das furchtbare Merkmal dieser Alpenhöhen. Das eine wurde den Soldaten des Hochgebirges zum versöhnenden Geschenk gegen den Krieg, das andere stellte übermenschliche Anforderungen an ihre Tugend der Pflichterfüllung. In diesem heldenmütigen Kampf gegen zwei Fronten, gegen den Feind und die Natur, erlebte der Hochgebirgskrieg den Gipfel seiner Eigenart.
Der Krieg ist so alt wie die Liebe und der Hunger. Mit ihnen wird er immer sein und vergehen. Ein Buch, das vom Krieg erzählt, soll nicht künden und werben für zukünftige Kämpfe der Völker, die unaufhaltsam kommen werden. Es soll ein Denkmal sein für das heroische Leid einer Nation, in deren Leben vom Anfang bis zum Ende der Kampf stehen muß, so naturnotwendig wie das Leben und der Tod. So soll dieses Buch Denkmal und Dank sein für die Kämpfer des Hochgebirges.
Dr. Gunther Langes
2Bayr. Inf.-Leib.-Rgr., ein Rgt. Bayr. Jäger, ein Rgt. preußische und mecklenburgische Jäger und ein zur Hälfte bayerisches und preußisches Schneeschuh-Jäger-Rgt. mit vielen Maschinengewehrabteilungen und starker Artillerie. ...zurück...
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