[383]
Die echten deutschen Minderheitsgebiete (Teil
16)
Das Deutschtum in Rumänien (Teil 5)
Die Deutschen in der Dobrudscha
Am 2. November 1837 schrieb Moltke
in seinen später so berühmt
gewordenen Briefen aus der Türkei über die Dobrudscha die
folgenden, aus Varna datierten Worte:
"Dieses ganze, wohl 200
Quadratmeilen große Land zwischen dem Meere und einem schiffbaren
Strome ist eine so trostlose Einöde, wie man sich nur vorstellen kann, und
ich glaube nicht, daß es 20 000 Einwohner zählt. Soweit das
Auge trägt, siehst Du nirgends einen Baum oder Strauch; die stark
gewölbten Hügelrücken sind mit einem hohen, von der Sonne
gelb gebrannten Grase bedeckt, welches sich unter dem Winde
wellenförmig schaukelt, und ganze Stunden lang reitest Du über
diese einförmige Wüste, bevor Du ein elendes Dorf ohne
Bäume oder Gärten in irgendeinem wasserlosen Tal entdeckst. Es ist,
als ob dies belebende Element in dem lockeren Boden versänke, denn in
den Tälern sieht man keine Spur von dem trockenen Bett eines Baches; nur
aus Brunnen wird an langen Bastseilen das Wasser aus dem Grunde der Erde
gezogen."
Die Schilderung Moltkes paßt auf den südlichen und mittleren Teil
der Dobrudscha. Der nördliche ist bei weitem nicht so öde; er ist
bergig, enthält bewässerte Täler und schönen Laubwald.
Die ganze Dobrudscha ist eine stark abgetragene alte Gebirgsmasse, die von jeher
den Lauf der Donau genötigt hat, sich hier nach Norden zu wenden. Die
Römer haben das für sie wertlose Gebiet nicht mit in ihr Reich
einbezogen, sondern die Grenze etwa auf der Höhe von Konstanza durch
eine Befestigungslinie, den sogenannten Trajanswall, festgelegt. Dort lag auch
jenes Tomi, wohin der Dichter Ovid von Augustus als nach dem
äußersten und elendesten Grenzort des Reiches verbannt wurde. Die
Bevölkerung der Dobrudscha war immer und ist noch heute sehr gemischt.
Die Hauptelemente sind Tataren und Türken, Rumänen und
Bulgaren, Russen, Griechen, Armenier, Juden, zahlreiche Zigeuner und
schließlich deutsche Bauern. Gegenwärtig nimmt das
Rumänentum natürlich stark zu und steht statistisch an der
Spitze.
Die erste deutsche Ansiedlung in der damals zur Türkei gehörigen
Dobrudscha geschah im Jahre 1842, und zwar von den deutschen Siedlungen in
Südrußland aus. Ihr folgten in den nächsten Jahren noch
mehrere andere, teils durch Zuzug aus Rußland, teils durch Weitersiedlung
von den bereits bestehenden Dörfern aus. Die Kolonisten wurden von der
türkischen Regierung in aller Form aufgenommen und mußten ihr
den Eid leisten. Zu Anfang der siebziger Jahre wurde in Rußland die Lage
der deutschen Kolonisten insofern ungünstiger, als ihre Vorrechte, die
ihnen bei der Einwanderung durch Alexander I. erteilt waren, aufgehoben
wurden. Am [384] einschneidendsten
für das Gefühl der Bauern wirkte ihre Unterwerfung unter die
allgemeine Wehrpflicht. Die unmittelbare Folge davon war eine starke Bewegung
zur Auswanderung. Ein Teil davon richtete sich wiederum nach der Dobrudscha,
und während dieser Zuwanderungszeit, die etwa ein Jahrzehnt gedauert hat,
ist eine ganze Reihe der heute blühenden Niederlassungen entstanden. Die
türkischen Behörden begünstigten diese Einwanderung
besonders. Während die älteren Kolonien alle in der
Nord-Dobrudscha liegen, richtete sich die jüngere Einwanderung weiter
nach Süden. Die Kolonisten wollten, wie es scheint, sich die Arbeit des
Waldrodens sparen und gingen daher in das Steppengebiet. Dort konnte unter der
türkischen Herrschaft jedermann pflügen, soviel er Lust hatte, und
mußte nur den Zehnten bezahlen.
|
Eigentümlich ist, daß sich bis heute, wenn auch mit starkem
Vordringen der "schwäbischen" Art, eine Verschiedenheit unter den
deutschen Dobrudschasiedlern erhalten hat, nämlich die zwischen den
sogenannten "Kaschuben", die Pommersch-Platt sprechen, und den "Schwaben".
Ausführliche und sorgfältige Nachrichten über die
Deutschen in der Dobrudscha findet man in dem unter diesem Titel
erschienenen Buche von Paul Traeger (Stuttgart 1922). Um eine Vorstellung von
den Verhältnissen der deutschen Dobrudscha-Bauern zu geben, wollen wir
die Schilderung Traegers von der Kolonie Cogealac, der ausgedehntesten und
stattlichsten aller deutschen Niederlassungen in der Dobrudscha, die etwa in der
Mitte zwischen Konstanza und Babadag, nicht weit von der nach Norden
gerichteten Heerstraße liegt, hierhersetzen. Cogealac ist 1873 oder 1874
durch fünfzehn aus dem damals russischen Bessarabien einwandernde
deutsche Familien gegründet worden. Schon ein Dutzend Jahre
später zählte das Dorf gegen 500 Seelen, der Mehrzahl nach
Schwaben, außerdem "Kaschuben", Preußen und einige
Mecklenburger. Traeger schreibt:
"Es zeigt sich hier die ausgleichende
Entwicklung, die sich allmählich offenbar schon von der dritten Generation
an in den gemischten Kolonien vollzogen hat, und die wir in allen jüngeren
Ansiedlungen der Dobrudscha in gleicher Weise beobachten können. Das
süddeutsche Element hat sich dabei als das stärkere bewiesen; die
Kaschubenkinder haben schwäbeln gelernt...
Schrecken und Elend brachte der jungen Niederlassung
der russisch-türkische Krieg. Die zurückweichenden Türken
und Tscherkessen plünderten die Bauern bis aufs letzte aus, und viele
Häuser wurden zerstört. Dem vollständig verarmten Dorfe
wurden dann von 1878 an drei Freijahre gewährt. Sie durften ohne jede
Abgabe und Pachtzahlung soviel Land bebauen, wie sie wollten. Um so
härter trieben allerdings die rumänischen Behörden nach
Ablauf dieser Zeit die Steuern ein. Als Bernhard Schwarz im Jahre 1886 Cogealac
flüchtig besuchte, traf er die Bauern in trostlosester Verzweiflung. Doch
erlebten sie gleich darauf eine unerwartete freudige Überraschung. Die
rumänische Landvermessung dieses Jahres fiel für sie
merkwürdigerweise ungleich vorteilhafter aus, als wir sie in den
älteren Kolonien kennenlernten. Wahrscheinlich aus keinem anderen
Grunde, als weil hier eben herrenloses Land im Überfluß zur
Verfügung stand. Es wurden zunächst die türkischen
Besitztitel anerkannt, soweit sie in Ordnung waren. Sodann wurde der Besitz der
Familie nicht, wie in Atmagea, bloß auf 10 ha ergänzt, sondern
es wurden 10 ha pro Kopf zugeteilt, nur mit der Einschränkung,
daß keine Familie mehr als 50 ha erhielt. Von diesen 10 ha
wurden immer 8 zum Acker- [385] bau und 2 zur
Viehweide bestimmt. Außerdem erhielt jeder einen Hofplatz, zuerst von
4000 qm, später von 2000 qm. Die 10 ha nannte oder
nennt man noch heute im Dorf »das Seelenland«....
Cogealac hat sich zu einer blühenden deutschen
Ortschaft entwickelt und dürfte die wohlhabendste in der Dobrudscha sein.
Es ist Post-, Telegraphen- und Telephonstation. An dem riesigen Marktplatz
macht es mit den ansehnlichen Gebäuden der Primarie und des Gerichtes
einen fast städtischen Eindruck. Hier fand vor dem Kriege an jedem
Dienstag ein großer Markt statt, der von allen Dörfern der
näheren und weiteren Umgebung besucht wurde. Von hier gehen mehrere
große und schöne Straßen ab. In der Mitte des Marktplatzes
steht, von einem Garten umgeben, die schöne Kirche, die man mit ihrem
hohen quadratischen Turme und dem hellblauen Anstrich schon von weither aus
der grünen Masse der Gehöfte hervorleuchten sieht. Sie wurde an
Stelle des alten, 1880 errichteten Bethauses nach einem in Deutschland
ausgeführten Plan gebaut und 1908 geweiht. Ein tüchtiger, aus dem
Dorfe stammender Lehrer hatte nicht weniger als 190 Kinder zu unterrichten.
Auch vor dem Kriege war es in Cogealac um die deutsche Schulung insofern
etwas besser gestellt, als hier wenigstens erreicht worden war, daß
täglich drei Stunden, für jedes Kind 1½, der Muttersprache
vorbehalten waren; sogar eine kleine Gemeindebibliothek war geschaffen worden,
die es auf annähernd 200 Bände gebracht hatte. Seit dem Jahre 1884
feiert Cogealac, ebenso wie die deutsche Nachbargemeinde Tariverde, am 31. Mai
einen besonderen Buß- und Bettag zur Erinnerung an die Erlösung
von einer langen Trockenheit. Das Dorf zählt gegenwärtig 173
deutsche Familien mit 839 Seelen. Durch Auswanderung hat die Kolonie
ungefähr 40 Familien verloren, von denen ein paar nach Deutschland
gingen, die übrigen nach Nord- und Süddakota. Es gehören
ferner zum Dorf gegen 70 Familien Rumänen, 8 Türken und 3
Bulgaren."
Nach dieser Schilderung von Cogealac können wir uns das Aussehen und
die Geschicke auch der übrigen deutschen Kolonien, wie Tariverde, Fachria
und anderer, vorstellen. Interessant ist die Kolonie Caramurat in der
Süd-Dobrudscha, 25 km von Konstanza entfernt. Caramurat war
ursprünglich ein großes Tatarendorf. In den siebziger Jahren kamen
dazu deutsche Auswanderer aus den Siedlungsgebieten in Rußland, darunter
solche von wirklich kaschubischer Herkunft, wie die Familiennamen beweisen.
Etwas später wurden in Caramurat von der Regierung auch
siebenbürgisch-rumänische Familien angesiedelt. Traeger berichtet,
Caramurat habe sich ihm als das schönste aller deutschen
Dobrudscha-Dörfer eingeprägt, als ein Bild voll Ordnung und
Sauberkeit und lachender Farben, "das nicht bloß von Wohlstand und
Lebensfreude der Bewohner zeugt, sondern auch von einem Kulturverlangen, wie
man es gewiß nicht bei Bauern in der Dobrudscha suchen würde".
Dieses Caramurat liegt in derselben Gegend, von der Moltke vor 90 Jahren eine so
verzweifelte Schilderung gab.
Allerdings gewähren die deutschen Siedlungen in der Dobrudscha nicht
überall ein so erfreuliches Bild. Namentlich ist die Ausstattung mit Land
vielfach nicht genügend. Die rumänischen Behörden haben
zeitweilig lockende Versprechungen gemacht, diese aber nicht gehalten, wenn die
Kolonisten eintrafen. Auch private Verträge mit rumänischen
Großgrundbesitzern fielen bei dem Mangel an Rechtssicherheit oft zu ihrem
Schaden aus. Eine besondere Plage für die Kolonisten war, daß man
nachträglich auf das ihnen versprochene Land und zwischen ihre
Grundstücke [386] sogenannte Veteranen,
frühere rumänische Soldaten aus dem Kriege von 1877/78,
ansiedelte, den Rumänien an der Seite Rußlands mit gegen die
Türkei geführt hatte. Dieser Krieg machte die Kolonisten
überhaupt erst aus türkischen zu rumänischen Untertanen, da
1878 auf dem Berliner Kongreß die Dobrudscha an Rumänien kam.
Die rumänische Regierung scheute sich nicht, solchen Kolonisten, die
vielleicht schon Jahrzehnte auf ihrem Grund und Boden saßen, aber keinen
formellen Besitztitel hatten - in der türkischen Zeit wurde darauf
nicht sehr geachtet -, das Land einfach fortzunehmen. Trotzdem haben die
Deutschen mit ihrer angeborenen Tüchtigkeit auch auf unsicherem
Pachtland Erstaunliches geleistet. Einige deutsche Ansiedlungen befinden sich
auch in demjenigen Teile der Dobrudscha, der bis zum Weltkriege zu Bulgarien
gehörte, danach aber gleichfalls zu Rumänien kam.
Die deutschen Dobrudscha-Bauern sind durchweg ein geistig und
körperlich gesundes und arbeitstüchtiges Geschlecht. Auffallend ist
die streng konservative, bis zur Ablehnung von Tanz und weltlichem Gesang sich
steigernde Frömmigkeit der Kolonisten. Zum Teil geht das auf ihre
Herkunft aus dem Schwarzmeergebiet zurück. - Schon die am
Anfang des 19. Jahrhunderts dorthin auswandernden deutschen Familien
gehörten großenteils einem stark pietistischen Bekenntnis an, das sich
mitunter bis zum Sektentum steigerte. Gerade auf dieser Denkweise aber beruht
auch ein großer Teil der inneren Kraft der
Dobrudscha-Deutschen und beruht ihre Stärke gegenüber der bunten,
weniger kultivierten und sittlich haltloseren Umwelt.
|