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Die echten deutschen Minderheitsgebiete (Teil
14)
Das Deutschtum in Rumänien (Teil 3)
Die Sathmarer Schwaben
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Die am meisten isolierte Gruppe deutscher Ansiedler in Rumänien sind die
Schwaben im früheren Komitat Sathmar, das durch den
Friedensschluß fast ganz rumänisch geworden ist. Nachdem Ungarn
den Türken abgenommen war, fielen große Besitztümer im
Sathmarer Gebiet an den Grafen Károlyi. Dieser griff, um aus dem
verödeten Lande Einkünfte zu ziehen, zu demselben Mittel wie die
Regierung und ließ Ansiedler im Reich werben. Infolge der Isolierung und
des hier besonders starken Druckes der Geistlichkeit hatten das deutsche
Bewußtsein und teilweise auch schon die deutsche Sprache beim Sathmarer
Schwabentum bis zum Weltkriege starke Rückschritte gemacht, so
daß die gänzliche Madjarisierung nur noch eine Frage kurzer Zeit zu
sein schien. Merkwürdig war es, wie der Durchmarsch deutscher Truppen
auch diese Bauern, von denen niemand mehr deutsch zu lesen und zu schreiben
verstand, aufrüttelte. Sie erlebten es, daß "herrisch" auch soviel
bedeuten konnte, wie deutsch, und dadurch wurde ihre nationale Einstellung mit
einem Male erschüttert.
Durch die Annexion an Rumänien haben sich die Verhältnisse
geändert. Zwar die Madjarisierungstendenz der Geistlichen ist geblieben,
aber von seiten des Banater Schwabentums hat man angefangen, sich der
Landsleute im Gebiete von Sathmar anzunehmen und unter ihnen wieder
Deutschtumsarbeit zu treiben. Die ungarische Bevölkerung in dieser
Gegend ist durchweg reformiert, die schwäbische katholisch. Wenn sich
also bei der letzten ungarischen Volkszählung in Sathmar über
57 000 Personen als katholisch eintragen ließen, so können
diese ohne weiteres als schwäbisch oder ursprünglich
schwäbisch angesehen werden. Wie bei den ungarischen
Volkszählungen verfahren wurde, möge z. B. daraus
entnommen werden, daß in einer schwäbischen Gemeinde im Jahre
1900 nur 108 Madjaren und 316 Deutsche gezählt wurden, im Jahre 1910
aber 422 und 2; in einer anderen im Jahre 1900 an Madjaren 137, an Deutschen
1212; im Jahre 1910 aber 1455 Madjaren und kein Deutscher! Jetzt gibt es, dank
der von Temesvar aus geleiteten Banater Arbeit, im Sathmarer Gebiet schon 18
organisierte schwäbische Ortsgemeinschaften, einen schwäbischen
Frauenverein und einen Sathmarer deutsch-schwäbischen Volksrat. Die
deutschen Gemeinden fangen an, Volksschulen mit deutscher Unterrichtssprache
zu fordern, wozu sie nach dem rumänischen Unterrichtsgesetz berechtigt
sind. Der Klerus widerstrebt, hat aber in der Schulfrage schon mehrfach
nachgeben müssen. Die Schule [380] ist das Entscheidende.
Sobald es wieder eine Generation gibt, die deutsch lesen und schreiben kann, die
durch deutsche Zeitungen und ein deutsches Vereinsleben in Verbindung mit der
übrigen deutschen Kulturwelt steht, ist auch diese fast schon verschlungene
deutsche Insel im östlichen Völkermeer gerettet.
[Wikipedia]
Rathaus von Nagykároly, moderne Ansicht.
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Der städtische Hauptort des Sathmarer Schwabengebiets ist
Nagykároly. Dort wurde um die Jahreswende 1925/26 für die
schwäbische Lehrerschaft ein Lehrgang veranstaltet, von dem einer der
Mitwirkenden den folgenden aufschlußreichen Bericht erstattet hat:
"Unsere Hauptfeststellung ist,
daß das Madjarische - mehr oder weniger zur Umgangssprache
geworden - doch den innern Kern dieses Bauerntums nicht getroffen hat.
Nach dem äußeren Bilde der sauberen reichen Gemeinden, nach der
Lebensführung, nach der ganzen Sinnes- und Gemütsart sind sie
deutsch geblieben. Fast möchte man glauben, daß sie etwas
Deutsch-Bäuerlicheres behalten haben als die Banater Schwaben, die der
Drang zum ungarischen Gentrytum, zum »herrischen« Wesen,
innerlich mehr den Lockungen madjarischer Gemütskultur und deren
Äußerungen verfallen ließ.
Ich glaube einen Grund für das stärkere
Beharren im Bäuerlich-Volkhaften bei den Sathmarern auch in der Mundart
suchen zu dürfen. Diese Mundart, im Südalemannischen wurzelnd,
ist kernhafter, geschlossener geblieben als im allgemeinen die der Banater, die
viel stärker dem Hochdeutschen angeglichen erscheint, während der
Sathmarer, der noch seine Mundart beherrscht, aber keinen deutschen Unterricht
genossen hat, das Hochdeutsche noch besonders lernen muß. Sprachlich
befindet sich das Sathmarer Deutschtum also in einer denkbar verwirrten Lage:
Das Madjarische ist in manchen Orten schon die fast ausschließliche
Umgangssprache geworden, wenn es auch - ausdrücklich
betont - mehr etwas Angeflogenes, als den deutschen Kern wirklich
Treffendes scheint. In diesen Gemeinden singt und betet die Großmutter
wohl noch aus den deutschen Gesangbüchern, in denen ich deutsche
Aufzeichnungen bis 1750 zurück verfolgen konnte. Der Sohn spricht meist
wohl noch schwäbisch und beim k. u. k. Militär hat er
vielfach auch hochdeutsch gelernt; aber der Enkel lebt nur noch in der
madjarischen Sprache und die Verständigungsmöglichkeit mit den
Großeltern ist gering.
So ist es nicht in allen Gemeinden. Um Erdöd z. B.
wird noch schwäbisch gesprochen. Aber überall wird die
Verdrängung des Ungarischen als Umgangssprache noch die
allergrößten Schwierigkeiten machen. Gerade die geistig
Führenden (Pfarrer und Lehrer), die ihre Ausbildung ausschließlich
ungarisch genossen haben, wären gar nicht in der Lage, deutsches Wesen
zu verbreiten, da die Lehrer z. B. größtenteils nicht deutsch
unterrichten können, selbst wenn der Staat es wünscht. Trotzdem
setzen wir unsere Zukunftshoffnung, abgesehen von dem gesunden deutschen
Bauernkern des Sathmarer Deutschtums, auf die noch ungarisch sprechende, aber
gut deutsch gesinnte Lehrerschaft. Von den 45 deutschen Lehrern und
Lehrerinnen, die am Kurs in Nagykároly teilnahmen, haben wir ziemlich
durchgängig die Überzeugung gewinnen können, daß sie
der deutschen Sache innerlichst zugeneigt sind und daß sie in dem
Augenblick, wo deutsche Kulturwerte geistig und gemütlich auf sie
einwirken, die bereitesten Aufnahmegefäße darstellen. Wer miterlebt
hat, wie die Lehrerinnen zum ersten Male in ihrem Leben deutsche Volkslieder in
sich aufnahmen, wie sie sie immer wieder zu hören wünschten, wie
da in diesen Augen eine ganz neue und doch ihnen ureigenste Welt aufblitzte; wie
die Schilderung der deutschen Kleinwelt - entwickelt aus Schillers Glocke
(den Namen Schiller
hörten sie zum erstenmal) - wie die dichterische
Verklärung menschlich-deutscher Grundgefühle
(Ordnungs-, Gesetzesliebe usw.) die Seele des Bauernlehrers
aufwühlte -, der glaubt an dies Volk und seine deutsche
Zukunft."
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