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[259-260]
XI. Sammelbestrafungen.

("Rapport", Uebersicht 17.)

Der "Rapport" wirft, wie es in Abschnitt A 1 wiedergegeben ist, den deutschen Behörden vor, "die ganze Familie verantwortlich gemacht zu haben, wenn ein militärpflichtiger Belgier nach Holland entwich".

Diese Maßregel ist tatsächlich an einzelnen Stellen von den militärischen Behörden verhängt worden. Sie war aus zwingenden militärischen Gründen notwendig. Im Jahre 1915 häuften sich die Fälle, in denen aus anerkennenswertem vaterländischen Pflichtgefühl belgische Wehrpflichtige versuchten, auf dem Wege über Holland ihre in Nordfrankreich kämpfenden Truppenteile zu erreichen.

Aus diesem Kraftzuwachs der belgischen Armee erwuchs der deutschen Kriegführung allmählich eine erhebliche Gefahr.

Die deutsche Heeresleitung suchte dieser Gefahr zunächst durch eine allgemeine Kontrolle der Ortsbewohner zu begegnen, traf also eine sehr milde Maßnahme. Aber diese Maßnahme brachte nicht den gewünschten Erfolg.

Unter ausgesprochener Beihilfe ihrer Familien und der belgischen Bevölkerung gelang es sehr vielen Wehrpflichtigen, sich der Kontrolle zu entziehen und nach Holland zu entweichen.

Nachdem diese Kontrollmaßnahmen versagt hatten, blieb der deutschen Heeresleitung nichts anderes übrig, als die Familien für die Anwesenheit ihrer gesamten gemeldeten Mitglieder verantwortlich zu machen.

Kein Einsichtiger wird den Behörden wegen dieser aus zwingendster militärischer Notwendigkeit getroffenen Anordnung einen Vorwurf machen können. Am wenigsten aber Frankreich, das in seinen Feldzügen vor dem Weltkriege aus viel weniger gerechtfertigten Gründen zu viel härteren Strafen griff.

Napoleon drohte, ganze Dörfer plündern oder niederbrennen zu lassen, um die Bevölkerung seinen Wünschen gefügig zu machen oder die Vergehen einzelner zu ahnden.

Auch im Weltkriege ist die Maßnahme der Sammelbestrafung für die Straftaten einzelner auf seiten der Entente sehr häufig zur Anwendung gelangt.

[261-262] Rennenkampff drohte nach seinem Einfall in Ostpreußen 1914 ebenso wie seinerzeit Napoleon, ganze Dörfer niederzubrennen, wenn nur das kleinste Vergehen begangen würde. General Sievers kündigte 1914 in Ostpreußen den Städten die Auferlegung hoher Kontributionen an, außer der Bestrafung der Schuldigen.

Auch von den französischen Behörden sind Sammelbestrafungen für ein einzelnes Vergehen in den Gefangenlagern oft verhängt worden.

Wenn aber, wie es nach Abschluß des Waffenstillstandes, also in friedlichen Zeiten, in zahlreichen Fällen im besetzten deutschen Gebiet vorgekommen ist, für das Vergehen eines einzigen die Gesamtheit seiner Mitbürger, die an dem Vorfall gänzlich unschuldig ist, mit den härtesten Strafen belegt wird, so hat

die Entente um so weniger ein Recht, die deutschen Behörden wegen einer aus zwingenden militärischen Gründen verhängten Maßregel anzuklagen.

[263-264]
Anlage zu XI

A 1.
Deutschen Truppen vorgeworfene Vergehen.

26. 1. 15 Belgien. Deutsche Militärbehörden:
      Die ganze Familie wurde verantwortlich gemacht, wenn ein militärpflichtiger Belgier nach Holland entwich.

A 2.
Gleichgeartete von den Truppen der Entente begangene Vergehen.
Vor dem Weltkriege.

1830–44 Algerien. Französische Truppen:
      Enfantin: "Colonisation de l'Algérie":
      "Man hat Razzien durchgeführt, um zu strafen."
      Der Abbé Raguenet gibt in seiner "Histoire de Turenne" folgende Darstellung:
      "Als die Engländer die Leichen einiger ihrer verstümmelten Kameraden fanden, gerieten sie so außer sich über diese Roheit, daß sie wie die Rasenden die ganze Umgegend in Brand steckten und eine Menge Flecken, Dörfer und selbst einige kleinere Städte niederbrannten."

1807 Deutschland. Napoleon:
      Napoleon schrieb im Januar 1807 an den General Legrange, Gouverneur von Cassel:
      "Die Einwohner von Hersfeld scheinen schuldig. Dorthin ist ein Streifkorps von 4000 Mann zu schicken, um die Stadt für die Beleidigung, die sie 60 meiner Soldaten angetan hat, von oben bis unten zu plündern.
      Die Stadt-Wacht ist schuldig. Entweder liefert sie die 4 Haupträdelsführer der Revolte aus, oder sie wird niedergebrannt.
      Ebenso sind in Eschwege die Schuldigen auszuliefern, oder die Stadt ist niederzubrennen."

1808 Santander. Napoleon:
      1808 schreibt Napoleon dem Marschall Bessières:
      "In der Tat ist es meine Absicht, auf die Meldung der geringsten Unruhen die Stadt (Santander) dem Erdboden gleichzumachen."

1813 Preußen:
      Noch im März 1813 schreibt er ferner dem Prinzen Eugen Beauharnais:
      "Zeigt eine preußische Stadt die geringste Neigung zur Widersetzlichkeit, so lassen Sie sie niederbrennen."

1813 Amerika. Englische Truppen.
      Auch die Engländer befolgten die gleiche Taktik.
      Channing führt in der Betrachtung des Krieges 1813/14 in Amerika aus:
      "Beim geringsten Anlaß wurden Häuser und Dörfer niedergebrannt und aller Besitz zerstört."

1900 Südafrika. Englische Truppen:
      De Wet schreibt über den Burenkrieg:
      "Lord Roberts erließ eine Bekanntmachung, daß jedes Gebäude innerhalb 10 Meilen beiderseits der Eisenbahn, dort wo die Buren diese gesprengt oder unterbrochen hatten, niederzubrennen sei."

1900 Südafrika. Englische Behörden:
      Ganze Familien wurden in Konzentrationslager fortgeschleppt, weil die Väter und Söhne kämpften.

19. 6. 1900 Südafrika. Französische Behörden:
      Am 19. 6. 1900 erließ General Roberts nachstehende Proklamation:
      "Wenn irgend ein Schaden an Eisenbahnlinien, Brücken, Tunnels oder Kunstbauten, an Telegraphenlinien pp. in der Orange-Kolonie stattfindet, werden folgende Strafen verhängt werden:
      1. Die Verwaltungsorgane der Stadtdistrikte werden für den Schaden persönlich verantwortlich gemacht.
      2. Außer dem Ersatz des Schadens wird jedem Bürger des entsprechenden Distrikts eine Geldstrafe auferlegt. Ferner werden alle Requisitionsscheine, die in dem betreffenden Distrikt ausgegeben sind, annulliert."

1904/5 Asien, japanische Truppen:
      Auch im russisch-japanischen Kriege wurden derartige Geldstrafen ganzen Städten und Gemeinden angedroht.
      Der Oberstleutnant Kouratsouja erließ nachstehende Proklamation:
      1. Für die Erhaltung der Telegraphenlinie dieser Gegend werden die gesamten Einwohner der Gegend verantwortlich gemacht.
[265-266]   2. In jeder Gemeinde wird ein Komitee gebildet, das die Verantwortlichkeit übernimmt.
      Wenn der Täter nicht gefaßt werden kann, werden die Mitglieder dieses Komitees gezüchtigt und eingesperrt.
      Wenn im Wiederholungsfall der Täter nicht festgestellt wird, wird der ganze Ort rücksichtslos bestraft werden.

A 3.
Gleichgeartete von den Truppen der Entente begangene Vergehen.
Während des Weltkrieges.

5. 8. 14 Ostpreußen. Russische Truppen:
      Proklamation des russischen Generals Rennenkampfs an die Ostpreußen:
      "...... 2) Orte, in denen auch der kleinste Anschlag auf das russische Heer verübt wird, oder in denen den Verfügungen desselben Widerstand geleistet wird, werden sofort niedergebrannt."

1914 Ostpreußen. Russische Truppen:
      Bekanntmachung des Generals Sievers, Oberbefehlshabers der 10. russischen Armee:
      "Für die Aufbewahrung von Gewehren, Pulver und anderen Explosionsgegenständen, für Aufbewahrung von Brieftauben, telephonischen, telegraphischen und anderen Apparaten, die zur Uebermittlung von Nachrichten dienen können, und überhaupt für jede kleinste feindliche Tätigkeit werden die Schuldigen dem Feldkriegsgericht übergeben, ihr Hab und Gut wird vernichtet, außerdem werden die Bewohner der Städte, Dörfer und Gemeinden, denen der Schuldige angehört, mit höchster Kontribution belegt."

9. 9. 14 Wehlau. Russische Truppen:
      Am 9. 9. 14 wurde in Wehlau folgender Erlaß der Militärverwaltung des kaiserlich russischen Heeres veröffentlicht:
      "In dieser Nacht sind an zwei Stellen die russischen Telephonleitungen zerschnitten worden. Für die Sicherheit dieser Leitungen sind die betreffenden Hauseigentümer mitverantwortlich. Täter, sowie die betreffenden Hauseigentümer werden streng bestraft."

9. 9. 14 Gumbinnen. Russische Behörden:
      Die Etappen-Kommandantur macht am 9. 9. 14 folgendes bekannt:
      "Es ist vorgekommen, daß von ruchlosen Leuten die Eisenbahn beschädigt wurde. Deshalb mache ich bekannt:
      Alle Dörfer, welche längs der Eisenbahn liegen, werden, wenn noch einmal eine Beschädigung der Bahngleise oder Durchschneiden der Telegraphendrähte vorkommt, verbrannt und die Männer werden zum Tode verurteilt."

11. 9. 14 Insterburg. Russische Behörden:
      Am 11. 9. 14 wurde in Insterburg folgender Erlaß angeschlagen:
      "Es ist festgestellt, daß gestern aus der Brascheschen Fabrik Revolverschüsse von den Einwohnern Insterburgs abgegeben sind. Se. Exzellenz General v. Rennenkampff hat mir befohlen, bekanntzugeben, daß im Wiederholungsfalle die betreffenden Häuser und Straßen ebenso in Brand gesteckt werden, wie die augenblicklich noch brennende Braschesche Fabrik."

März 16 Clergoux-Sedières. Französischer Lager-Kommandant:
      Im Gefangenlager Clergoux-Sedières wird im März 1916 nach einem Fluchtversuch von 5 Offizieren der Major von L., der zu der Flucht in keinerlei Beziehungen stand, als Lagerältester mit 14 Tagen Arrest bestraft. Bücher und Rauchen werden ihm gleichzeitig verboten, keine Bewegung im Freien gewährt.
      Der Gesamtheit wird anläßlich dieses Fluchtversuchs eine Zeitlang die einzigste erlaubte Zeitung entzogen und der Speiseraum außer der Essenszeit gesperrt. Musik und Gesang werden verboten.

1916 Chagnat-Gerzat. Französischer Kommandant Morroux:
      Im Gefangenlager Chagnat-Gerzat (Puy de Dome) wird der Belegschaft einer Stube 8 Tage lang verboten, die Stube zu verlassen, weil 3 in ihr wohnende Kriegsgefangene entflohen sind. Der Posten schießt auftragsgemäß auf jeden, der sich am Fenster zeigt.

1916 Dinan. Französischer Lager-Kommandant:
      Im Lager Dinan (Côtes du Nord) wurden für einen an Brechdurchfall leidenden Mann zu jeder Nachtstunde 5 Kameraden geweckt. Eine ganz sinnlose schikanöse Maßnahme.
      Wegen der Verfehlung eines einzelnen wurde den Gefangenen 6 Monate lang jede Lektüre entzogen. Der Vorsitzende des französischen
[267-268] Roten Kreuzes Constant d'Estournelles erklärte bei seinem Besuch 1916 diese Maßnahme für berechtigt.

Afrika. Englische u. französische Behörden:
      Als eine Sammelbestrafung ganz unerhört brutaler, unmenschlicher und ungerechtfertigter Art muß schließlich das Vorgehen der Engländer und Franzosen in den deutschen Kolonien betrachtet werden.

1914–18 Afrika. Englische und französische Truppen:
      In Afrika wurde fast die gesamte deutsche Zivilbevölkerung von ihrem Hab und Gut vertrieben, ihr Besitz größtenteils geplündert und zerstört, lediglich aus dem Grunde, weil sie Deutsche waren.

A 4.
Gleichgeartete von den Truppen der Entente begangene Vergehen.
Nach dem Waffenstillstand.

28. 3. 19 Solingen. Englischer Generalleutnant Jacob:
      Durch Anordnung des Generalleutnants und des kommandierenden Generals des II. britischen A.-K. Jacob vom 28. 3. 19 ist der Stadt Solingen eine Geldstrafe in Höhe von 25 000 Mark auferlegt worden.
      Als Grund hierfür wurde angegeben, daß in der Nacht vom 14. 3. ein englischer Offizier von einem unbekannten Täter überfallen worden sei. Diese Geldstrafe ist lediglich auf eine kurze Meldung des angeblich überfallenen Offiziers hin verhängt worden. Irgendwelche Beweise dafür, daß der Ueberfall von einer Zivilperson verübt worden ist, liegen nicht vor. Im Gegenteil ist trotz eingehender Untersuchung keinerlei Tatsache festgestellt worden, welche die Behauptung der britischen Behörde als zutreffend erscheinen läßt.

1919 Saarbrücken. Französische Behörden:
      In Saarbrücken schoß ein französischer Unterleutnant auf den kriegsverletzten Mann einer von ihm belästigten Frau, der ihn abwehrte und ihn kampfunfähig machte. Der Mann mußte fliehen, die Frau wurde verhaftet. Der Stadt Saarbrücken wurde eine Buße von 10 000 Mark auferlegt.

11. 7. 19 Berlin. Französische Regierung:
      Am 11. 7. 19 griffen in Berlin deutsche Regierungssoldaten die französischen Sergeanten Manheim und Trivier, die sich wegwerfend über die Deutschen geäußert hatten, tätlich an, wobei der Sergeant Manheim erstochen wurde. Als Buße für diese Tat forderte die französische Regierung..... 4) eine Entschädigung von 100 000 Francs in Gold für die Familie des Sergeanten Manheim, 5) Die Stadt Berlin hat eine Million Francs zu zahlen. Marschall Foch kündigt an: Wenn innerhalb 15 Tagen nicht eine Genugtuung in vorstehendem Sinne gewährt sei, würde er diejenigen Zwangsmaßnahmen anwenden, die er für nötig hielte.
      Die deutsche Regierung kam der Forderung, den Verwandten eine Entschädigung zu zahlen, sofort nach, erklärte jedoch die Buße von einer Million Francs für die Stadt Berlin als in keiner Weise gerechtfertigt. Sie wies darauf hin, daß eine solche Forderung weder in den allgemeinen Grundsätzen des Völkerrechts, noch in den sonst bei derartigen Fällen beobachteten Regeln eine Stütze fände. Die Stadt Berlin sei keine besetzte Stadt, und ihre Bevölkerung sei in ihrer Gesamtheit an dem Vorfall völlig unbeteiligt.
      Trotzdem wurde die Bezahlung der Summe erzwungen.

1919 Saarbrücken. Französische Behörden:
      Der Stadt Saarbrücken wurde eine Geldstrafe von 1000 Francs auferlegt. Als Grund dafür mußte der Umstand herhalten, daß ein Fahrrad abhanden gekommen und eine Fensterscheibe am Automobil angeblich zertrümmert worden war. Der Täter war völlig unbekannt.

1919 Saarbrücken. Französische Behörden:
      General Andlauer, der oberste Verwalter des Saargebietes, fordert von der Stadt Saarbrücken Entschädigung für die bei den Unruhen im Oktober getöteten französischen Militärpersonen. In dem diesbezüglichen Schreiben an den Oberbürgermeister heißt es:
      "Was die getöteten Militärpersonen betrifft, so mache ich keinen Unterschied zwischen denjenigen, die durch die Kugel eines Plünderers getroffen sind und denjenigen, die eine verirrte Kugel eines französischen Soldaten getroffen hat!"
[269-270]   Zwei von den 3 erschossenen Franzosen wurden durch ihre eigenen Leute getötet. Bei dem dritten nahm man nach seiner eigenen vor seinem Tode erfolgten Aussage an, daß ihn die Revolverkugel eines Zivilisten getroffen habe.
      Auf diese vage Annahme hin mußte die Stadt eine Entschädigung von 450 000 Francs = fast 2 Millionen Mark zahlen. Die ganze Bevölkerung mußte also darunter leiden.

Für den durch eigenes Verschulden hervorgerufenen Tod des Sergeanten Manheim läßt sich Frankreich außer den 100 000 Francs in Gold für die Familie des Sergeanten von der Stadt Berlin eine Buße von 1 Million Francs zahlen. Der in Not zurückgebliebenen Familie des von einem Franzosen in Aachen erschossenen Arbeiters Köppen überweist der kommandierende General der Besatzungstruppen großmütig lediglich den Betrag von 1000 Mark.






Die Wahrheit über die deutschen Kriegsverbrechen:
Die Anklagen der Verbandsmächte
in Gegenüberstellung zu ihren eigenen Taten.

Otto v. Stülpnagel