[Anm. d. Scriptorium:
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der deutschen Kolonien
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Kolonien, unsere zweite Heimat (Teil
2)
Deutsch-Ostafrika
Flaggenhissung in Deutsch-Ostafrika
Dr. Carl Peters
Wir fuhren nach Ostafrika ab immerhin mit der Möglichkeit, daß die
Regierung wohlwollend der Unternehmung gegenüberstehe. Aber selbst
dieser kleine Lichtblick am Horizont unserer Aussichten sollte uns in
Sansibar genommen [229] werden. Der damalige
deutsche Konsul, Herr William O'Swald aus Hamburg, ersuchte mich,
ihn aufzusuchen, da er mir ein amtliches Schreiben mitzuteilen habe. Ich begab
mich mit Dr. Jühlke zu ihm, und hier gab er uns Einsicht in
einen Erlaß des Reichskanzlers, der in Vertretung vom Grafen
Hatzfeld, dem damaligen Staatssekretär des Äußeren,
in Berlin gezeichnet war. Der Erlaß hatte folgenden Inhalt: Es sei der
Regierung zu Ohren gekommen, daß ein gewisser
Dr. Peters sich nach Sansibar begeben habe, um im Gebiet Seiner
Hoheit des Sultans von Sansibar eine deutsche Kolonie zu
gründen. Falls der "p. p. Peters" wirklich in Sansibar
eintreffen solle, so wolle der deutsche Konsul ihm eröffnen, daß er
dort Anspruch weder auf Reichsschutz seiner Kolonie, noch auch Gewähr
für sein eigenes Leben habe. Gehe er dennoch mit seinem Plane vor, so
geschehe dies lediglich auf seine eigene Gefahr und Verantwortung.
Am Nachmittag des 8. November 1884 war uns die niederschmetternde
Eröffnung auf dem deutschen Konsulat gemacht worden. Als wir das
O'Swald'sche Haus verließen, legte Jühlke seinen Arm um meine
Schulter und sagte: "Dann laß uns zusammen sterben, Peters!" Ich erwiderte
ihm: "Das wollen wir erst noch sehen!" Zunächst beantwortete ich das
amtliche Schreiben noch am selben Abend etwa dahin, daß ich mir nicht
bewußt sei, um deutschen Reichsschutz an der
Sansibarküste nachgesucht zu haben, und bitte, in Zukunft mit dem
Abschlagen einer Sache zu warten, bis ich um etwas bitte.
Weiß Gott, es waren keine ermutigenden Eindrücke, denen wir
ausgesetzt waren, und wohl konnte man Herz und Mut
verlieren. - Es kam dazu, daß ich in afrikanischen Dingen ein
völliger Neuling war, für alle technischen Fragen demnach auf den
Rat Dritter angewiesen.
Wir hatten die Absicht, am Sonntag, dem 9. November, mittags 12 Uhr, nach
Saadani überzusetzen, wo der Hindu mit den Trägern unser
wartete. Eine Windstille zwang uns, den ganzen Sonntag noch in Sansibar zu
bleiben. Erst am Montagmorgen bei sinkender Flut konnten wir hoffen zu fahren.
Ich befahl also unseren Dienern, Montag um 3 Uhr morgens sich
einzufinden. Indes kamen einzelne derselben erst nach 6 Uhr, und den
einen von ihnen mußte ich mit dem freundlichen Beistand eines deutschen
Sultankapitäns noch persönlich aufspüren und heranholen. So
wurde es gegen 8 Uhr, bis wir an Bord unseres gebrechlichen Fahrzeugs
gehen konnten. Es war ein herrlicher Morgen; über uns das kristallblaue
Himmelszelt, unter uns das kristallblaue Meer. Eine leichte Brise schwellte unsere
Segel. Am Ufer standen mehrere deutsche Herren, mit ihren
Taschentüchern uns nachwinkend, und dahin sank allmählich der
weiße Häuserkranz von Sansibar. Mit eigentümlichen
Gefühlen sahen wir sie entschwinden. Unsere Landsleute da drüben,
das wußten wir, gaben uns auf, - und wir selbst? Durften wir hoffen,
die europäische Welt, deren letzte Vertreter wir soeben verlassen hatten, je
wiederzusehen? Konnten wir hoffen, das große Werk, zu dem wir zogen,
auszuführen?
[231] Langsam stiegen
inzwischen die Umrisse des geheimnisvollen Erdteils an der
anderen Seite empor, auf dem ernste Fragen ihre Beantwortung finden sollten.
Etwa 4 Uhr nachmittags nach günstiger Fahrt kam Saadani in Sicht. Der
Hafen von Saadani ist flach und für große Schiffe nicht zu
gebrauchen. Da Ebbe war, lief unsere kleine Dau mit einer Wucht auf, daß
sie in ihren Fugen krachte und ich, offen gestanden, fürchtete, sie
würde entzweibrechen, um so mehr, da wir schon unterwegs uns nur durch
fortwährendes Wasserschöpfen hochgehalten hatten. Vom Ufer
waren wir noch etwa 300 Schritte entfernt, mich hielt meine Ungeduld
nicht länger, und ich bestieg den Rücken eines meiner Diener, um
mich persönlich sofort an Land tragen zu lassen. Das hatte das
Unbequeme - da der Boden des Meeres ziemlich uneben war, wodurch
mein Diener plötzlich unter mir ganz
verschwand -, daß ich völlig durchnäßt im
schwarzen Erdteil ankam. Mein Diener fiel obendrein noch einmal auf dem
schlüpfrigen Boden hin. Ich benutzte diese Gelegenheit, um "nach
berühmten Mustern" die Sache als ein gutes Omen umzudeuten. "Hier bin
ich, und hier bleibe ich!" rief ich aus in einer Lage, die mir übrigens selbst
ziemlich lächerlich erschien.
In Saadani wurden die mitgebrachten Vorräte in die üblichen
Trägerbündel umgepackt und so die kleine Kolonne
marschfähig gemacht. Man wird sich nicht leicht vorstellen können,
mit welcher Ungeduld ich dem Ende der Verpackung entgegensah. Am Mittwoch
nachmittag, als diese Arbeit beendet war, beschloß ich, sofort in das Innere
abzumarschieren trotz der Warnung des Hindu, der mir riet, bis zum folgenden
Morgen zu warten, da gerade zu Anfang einer derartigen Expedition die Gefahr
des Davonlaufens der Leute am größten sei.
Vorher badete ich noch mit meinem Freunde Jühlke in der See, kaufte
alsdann für unseren Diener 200 Pfund Reis, einen Kochkessel und
sechs Patronentaschen und ließ nachmittags 4 Uhr die ganze
Mannschaft antreten. Ich hatte an diesem Tage 36 Träger mit
Speeren bewaffnet, sechs persönliche Diener mit Vorderladern und die drei
europäischen Herren mit modernen doppelläufigen Schrotflinten. Ich
selbst führte eine Büchse mit 500 Patronen Munition.
Außerdem hatten wir jeder einen guten Revolver, Jühlke und Pfeil
recht gute Dolchmesser.
So marschierten wir von Saadani gegen 5 Uhr ab; voran ich mit meinen zwei
persönlichen, bewaffneten Dienern, dann Dr. Jühlke mit
seinem Diener, dann die Träger und schließlich Herr Graf
Pfeil und Herr Otto mit Graf Pfeils Diener und dem Koch. Unser sechster
Diener, der Dolmetsch, hielt sich meist in der Front auf bei dem Kidongosi, dem
eigentlichen Wegführer, seinem Freunde.
Ich werde niemals die eigentümliche Schönheit dieses ersten
Marschtages vergessen. Wir stiegen vom Meere aus langsam bis auf eine
Höhe von 300 Fuß. Das Meer hinter uns begann sich
allmählich in jene unsagbar reizvollen Farbentöne der Tropenwelt zu
kleiden, und vor uns flammte der westliche Himmel nach und nach in der Glut der
untergehenden Sonne. Am fernsten Horizont im Westen lagerte dunkles
Gewölk, hinter dem die Sonne etwa um 6 Uhr zu verschwinden
begann. Die Luft war warm und durchsättigt von all den
eigen- [232] tümlich
berauschenden Düften der Tropen. Bunte, hellschimmernde Blumen aller
Art und von allen Farben strömten fortwährend das
süße, aber gefährliche Gift dieser Dünste aus.
Dazwischen wiegten sich nie gesehene Schmetterlinge und Käfer von
glühender Farbenpracht. Fremdartige, bizarre und oft groteske Baumformen
traten links und rechts aus dem tiefen Schatten hervor, und über alle empor
ragte von den größeren Erhebungen die stolze, melancholische
Palme. Dazu das Schnurren, Pfeifen, Zischen, kurz alle die unbezeichenbaren
Töne der Vogelwelt, die eigentümlichen Zurufe der Neger. Der
Abend sank tiefer herab und nun begann es in den Büschen zu funkeln und
zu leuchten. Tausende und aber Tausende von glühenden
Leuchtkäfern schwirrten und sausten an uns vorüber. Ein seltsam
beklemmendes Gefühl überkam mein Herz, ungewohnt all solcher
Eindrücke. Ich fühlte mich wie hinausgeworfen auf einen anderen
Planeten, wo das Leben noch glühender durch die Natur pulsiert. Ein
unaussprechliches Sehnen und eine tiefe Melancholie überkamen mich.
Nach dreistündigem Marsch langten wir auf unserer ersten Station, einem
wohlbefestigten Kral, Muduni an.
Am Freitag, dem 14. November, brachen wir wieder von Muduni auf. Die Reise
folgte zunächst dem Nordufer des Wanu. Da ich nicht in Kollision mit den
Rechtsansprüchen des Sultans von Sansibar geraten wollte, lag mir daran,
zunächst den Küstengürtel hinter mir zu lassen, in dem er
durch seine Walis (= Statthalter) wenigstens eine Art von Oberhoheit
ausüben ließ. Ich wußte, daß eine Verletzung dieser
Schattenautorität mir ohne weiteres die ganze internationale Politik auf den
Hals hetzen mußte. Indes hatten wir nicht lange zu warten, bis wir in ganz
unabhängiges Negergebiet kamen. Bereits
2 - 3 Tagemärsche hinter Saadani hatte auch der Schein
der Hoheit des Said Bargasch (des Sultans von Sansibar) ein Ende, und nun
begann ich, zunächst wenigstens formell, deutsche Rechtsansprüche
zu schaffen. Man hat sich über die Form dieser Besitzergreifung hernach in
Deutschland weidlich aufgehalten. Das war so recht etwas für diese
politischen Kindsköpfe, die Kalauerfritzen und Possenreißer in
Berlin: "Ha, ha, ha, Verträge mit den Schwarzen! Die werden gerade
wissen, was Verträge bedeuten; die werden Verträge gerade halten!
Das ist ja der größte Schwindel, den es gegeben hat."
Daß solche Besitzergreifung von Landgebieten durch Vertrag im
wesentlichen überall und stets eine Fiktion ist, wußte ich 1884
natürlich so gut, wie ich dies heute weiß. Aber es war mir auch
bekannt, daß Briten und Holländer, ja alle kolonisierenden
Völker bis zu den Phönikern hinauf ihre Besitzrechte
gegenüber den Eingeborenen in genau derselben Art begründet
hatten. Die Geschichte von der Kuhhaut der Dido, der Karthago sein Entstehen
verdanken sollte, hatte ich bereits in meiner Vorschule kennengelernt. Es ist mir
ebenso bekannt, daß in unserer modernen Zeit derartige Verträge
immer nur ein gewisses Vorrecht für den Staat des europäischen
Kontrahenten gegenüber anderen Kulturstaaten schaffen, und dies
auch nur dann, wenn der betreffende Staat sich
sol- [233-234=Fotos] [235] ches
Vorrechtes bedienen will. Aber weiter konnte unsere Expedition
naturgemäß da draußen überhaupt nichts erreichen. Das
Wesentliche mußte den folgenden Verhandlungen in Europa
überlassen bleiben. Ich durfte meine Aufgabe als gelöst betrachten,
wenn ich vorläufig ein einigermaßen umfassendes Gebiet in solcher
Weise erworben hatte, daß die deutsche Regierung, wenn sie dies wollte,
die geschaffene Rechtsgrundlage in Verhandlungen mit Großbritannien und
anderen Mächten verwerten konnte. Dazu genügten Vertrag und
Flaggenhissen durch einen Deutschen.
Wenn ich heute nach 22 Jahren auf diese Expedition mit ihren Ergebnissen
zurückblicke, so kann ich wohl einzelne jugendliche Extravaganzen und
Unvorsichtigkeiten daran tadeln, aber ich glaube, auch meine Gegner werden
zugeben müssen, daß wir uns im großen und ganzen der
gestellten Aufgabe mit Umsicht und Hingabe entledigt haben. In fünf
Wochen - und alles kam gerade auf diese Schnelligkeit
an - hatten wir den Grund gelegt zu einem deutschen Kolonialreich in
Ostafrika, einen Grund, der böswilligen Kritikern zwar Veranlassung zu
Witzen und Schäkereien bot, der sich aber doch als fest genug erwiesen hat,
um unser ostafrikanisches Schutzgebiet und weit mehr darauf zu bauen. Dies war
mit Einsetzung unserer ganzen moralischen und physischen Kraft geschehen. Als
wir am 4. Dezember in Muinin Sayara (in Usagara) anlangten, waren wir
aufs äußerste erschöpft; die Expedition war im wahren Sinne
des Wortes abgehetzt.
(Nach Dr. Carl
Peters, Die Gründung von Deutsch-Ostafrika.)
Marktleben am Fuße des
Kilimandscharo
Aufsatz eines eingeborenen Seminarschülers aus
Marangua (Arbeitsgebiet der Leipziger Missionen am
Kilimandscharo)
Gestern machten wir uns auf, wir, die Schüler des Seminars, zum Markte
zu gehen, damit wir dann schrieben, was wir gesehen haben.
Als wir zum Unabach kamen, begann ich zu sehen, was wert ist zu schreiben. Zur
Linken sah ich da einen jungen Mann, der dafür bekannt ist, daß er
das Europäertum nachzuahmen sucht. Sein Aussehen war so: Auf dem
Kopf trug er einen europäischen Hut, am Leibe hatte er ein Hemd, an den
Beinen hatte er schwarze Hosen, und über das Ganze hatte er ein
weißes Tuch geworfen. Am Wege stand er und kaufte sich eine
Maniokwurzel zum Essen. Da dachte ich: das ist ein gutes Beispiel, um die Dinge
aufzuzeigen. Er ist ein Zwitterwesen, zur Hälfte ein Europäer, zur
Hälfte ein Wadschagga.
Weiter ging ich meinen Weg und kam in die Nähe des indischen Ladens.
Da sah ich drei, die sich sehr liebten und eine Kameradschaft bildeten. Ihre
Kameradschaftlichkeit zeigten sie an einem Zuckerrohr. Mit großer
Genauigkeit teilten sie das Zuckerrohr, das zehn Knoten hatte, so daß jeder
ein genau gleich großes [236] Stück bekam.
Ich freute mich sehr über diese drei Kinder und dachte: Wenn doch die
Menschen der Erde alle sich so liebten, wie diese Kinder!
Ich ging über die Missionsstation. Als ich in die Nähe der Station
kam, oh, was war das für eine Notl Ein armes Huhn hatte sich in
Bananenfasern gefangen, eine Katze aber schlich heran und wollte ihm an die
Kehle. Als ich mich näherte, um den Streit zu schlichten, damit die Katze
das Huhn nicht fräße, da stellte die Katze an mich ärgerliche
Fragen: "Nguru, Nguru?" Ich aber machte das Huhn los, und es schlug die
Flügel und eilte davon.
Ehe ich zum Markt kam, traf ich einen tapferen Helden von einem
Lastträger. Er trug eine Nähmaschine auf seinem Kopfe, lief schnell
damit und machte von Zeit zu Zeit einen Luftsprung. Dabei kommandierte er
immer englisch: "Left, right, left, right!" Die Frauen, die zu Markte
gingen, lachten aber, und eine sagte zu uns: "Ist das euer Offizier, ihr
Seminaristen?" - Es ist aber ein Mann namens Masuki, der nicht ganz bei
Verstand ist.
Nun sahen wir einen Knaben, der sehr tüchtig war. Er war auf dem
Schulweg. Aber er hatte sich einen kleinen Wagen gemacht, darauf hatte er seine
Schiefertafel gebunden, die zog er nun zur Schule. Als wir ihn sahen, lachten wir
und freuten uns, daß er einen so schönen Wagen gemacht hatte. Als
er uns sah, fuhr er noch schneller mit seinem Wagen, und als wir ihm Platz
machten, vorbeizufahren, freute er sich sehr.
Wir setzten unsern Weg fort bis zum Markt. Am Eingang sahen wir den
Essenaufkäufer des Seminars stehen, wie er Bananen und Milch kaufte. Die
Frauen standen um ihn herum, und von allen Seiten riefen sie seinen Namen:
"Ndesamburo, Ndesamburo!" Wir fragten ihn: "Was kostet ein ganzes
Bündel Bananen?" "Einen bis einundeinhalb Schilling", sagte er. "Und die
Milch?" "Eine Kalebasse einen Schilling und mehr." Als wir das hörten,
bedrückte es uns, daß unser Essen so viel Geld kostet.
Auf dem Markte trafen wir die Dinge jeglicher Art an. 18 Zeughändler
hatten ihren Stand aufgeschlagen. Zum Teil hatten sie gleich Nähmaschinen
mitgebracht, an denen saßen Schneider. Wenn einer Zeug kaufte, so wurde
ihm in Schnelligkeit gleich das Kleidungsstück genäht.
Dann schauten wir uns die Seite an, auf der die Frauen die Nahrungsmittel
verkaufen. Da war eine Fülle von Bananen, Mais, Bohnen, Milch,
Natronsalz, Negerkorn und vieles andre. Wapare waren gekommen aus Ugueno,
weit her, die verkauften Töpfe.
Es gefiel mir alles, aber an einem hatte ich keine Freude. Eine Frau wollte wissen,
ob die saure Milch, die sie kaufen wollte, gut sei oder nicht. Sie goß etwas
davon in die Handfläche, leckte daran und tat sie wieder zurück in
die Kalebasse. Das verdarb mir meine Freude.
So machten wir uns eilig auf, nahmen die Bananen, die Ndesamburo für
uns gekauft hatte, auf den Kopf und gingen heim.
Fanueli Kaleya (aus Rother: Afrika
lernt.)
[237]
Der schwarze
Wächter
D. Bruno Gutmann / Moschi
Die Wadschagga am Kilimandscharo haben aus dem Schatten einen Miterzieher
gemacht und in das Hirtenamt über ihre Kinder eingesetzt. Das taten sie
aber nicht als heimliche Schälke, wie wir es sind, wenn wir etwa unseren
Kindern noch vom schwarzen Mann erzählen und mit diesem
Schreckgebilde drohen, wenn sie nicht artig sind.
Sondern auch der erwachsene Dschagga schaute ja noch mit Scheu auf seinen
Schatten, wie er am Morgen sich so lang erstreckte, am Mittag so eng um seine
Füße sammelt und bis zum Abend wieder wächst. Er
weiß, das hängt mit der Sonne zusammen, und in ihrem Tun erkennt
er Gott. Der gibt ihm damit den Rückhalt seines Lebens. Was er in der
frühsten Kindheit von der Mutter oder Großmutter erfuhr, das bleibt
ihm zeitlebens eine gewisse Wahrheit. Und was erfuhr er wohl von der Mutter
über seinen Schatten? Das war etwa an jenem Tage, als ihm die Ziegen zum
ersten Male zur alleinigen Hut anvertraut wurden. Da schärfte ihm die
Mutter ein: "Laß die Ziegen ja nicht auf die Felder der Leute und von den
Äckern fressen und auch nicht in einen Bananenhain laufen. Gib
schön acht auf alles, wie der es tut, der hinter dir geht. Der ist schon mit
deinem Großvater und mit deinem Vater auf die Weide gegangen und hat
auf sie geschaut. Nimm ja nichts weg von jemandem. Denke nicht: ich bin allein!
Du bist nicht allein. Der an der Seite schaut auf dich." Und dabei deutet die
Mutter auf den Schatten des Kindes. Aber es geht schon auf den Mittag zu. Das
Kind nimmt den Schatten vielleicht überhaupt nicht wahr an der Stelle, wo
es steht, oder er scheint ihm nicht so eindrucksvoll zu sein, daß es sich vor
ihm fürchten müßte. Oder es versteht den Hinweis
überhaupt noch nicht und fragt: "Du Nährmütterlein auf dem
Hofe, wer soll denn das sein, der mir zur Seite geht?" Und die kluge Mutter
antwortet: "Warte bis morgen früh, wenn Ruwa kommt, dann sollst du
hinter dich schauen, und du wirst den schwarzen Wächter in seiner wahren
Größe sehen und wie er Arme und Beine hat gleich dir und einen
Kopf wie du, und Ohren und Augen zu hören und zu sehen, damit du nicht
dahinflackerst, sondern dich zusammennimmst." Am andern Morgen führt
sie ihr Kind beim Aufgang der Sonne vor die Hütte und heißt es
gegen den Himmel speicheln, und dabei betet sie ihm vor: "Herr, du mein
Stützer, stütze mich, damit ich nicht falle. Geleite mich
glücklich und behüte mich vor dem Ausgleiten. Sende mir den, der
heute mit mir geht. Oh, du mein Begleiter, komm und führe mich und halte
mich wohl in acht, daß ich den Topf nicht zerbreche beim Wasserholen,
daß ich in keinen Dorn trete beim Futterholen, daß ich an keinen Stein
stoße beim Ziegenhüten." Während nun die Sonne voll empor
gestiegen ist, sagt die Mutter zu dem Kinde: "Dreh dich um [238] und schau hinter dich."
Da steht sein Schatten riesengroß hinter ihm und ernst spricht die Mutter:
"Da steht dein Hirte! Der geht mit dir den ganzen Tag und hütet dich, wie
du deine Ziegen hütest."
Auf der Weide aber trafen sich die Knaben und sprachen auch wohl einmal
über das, was die Mütter ihnen gesagt hatten. Und es machte sich der
Fürwitz geltend, der immer über die Menschlein kommt, wenn sie
gleichalterig beieinander sind. Und es warf einer die Frage auf: ob es wohl wahr
sei, daß der schwarze Begleiter Obacht gäbe. Und während der
eine Teil seinen Unglauben äußerte, der andere unschlüssig
schwankte, sprang einer auf und rief: "Es ist doch wahr! Wer sollte uns wohl vor
Dornen und Steinen behüten, wenn er es nicht tut?" Und beschämt
schwiegen alle. Ihr Glaube richtete sich wieder in ihren Herzen auf, und
behutsamer hielt sich wieder jeder in der Hut seines schwarzen Wächters.
Einen anderen aber plagte der Fürwitz in der Einsamkeit, und er dachte:
wenn der schwarze Wächter Dienste tut, dann sollte er auch Gesellschafter
sein und mit einem reden können. Und auf seine Weise suchte das Kind die
Anknüpfung. Es schlug nach ihm und meinte, nun wird er etwas sagen oder
schreien. Aber der Schatten blieb stumm, und das wunderte den kleinen
Fürwitz nicht wenig. Er fragte die Mutter. Die sagte: "Der wird niemals
reden. Er ist ja dein Hirte und redet nicht mit dir. Der Mann Gottes hat ihn dir
gegeben, damit er dich weide. Bitte ihn vielmehr, daß er dich ordentlich
behüte und dir deinen Schatten nicht nehme, denn dann mußt du
sterben."
Viele werden denken: was sind diese Neger doch für törichte Leute!
Aber wie ist mir denn? Sagt man ihnen sonst nicht nach, sie könnten ihre
Kinder überhaupt nicht erziehen und ließen sie als Wildlinge
aufwachsen?
Nun aber sehen wir sie bemüht, ihren Kindern einen Halt zu geben, auch
für die Einsamkeit, wenn sie kein Menschenauge zu fürchten
haben.
Aber freilich den schwarzen Wächter müssen wir ersetzen, wenn er
gleich der Sonne Gegenzeichen ist. Wir müssen die braunen Afrikaner samt
ihren Kindern dem lichten Wärter übergeben, dem Hüter, der
von alters her nicht schläft noch schlummert, der uns in seinem Wort ein
Licht geschenkt hat, das im Herzen leuchtet und die einsamen Stunden zu den
heiligsten wandeln kann.
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