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Die wirtschaftlichen und kulturellen Verhältnisse Böhmens. – Zur mährischen Universitätsfrage.

Nach der Volkszählung von 1900 bekannten sich von 25 632 805 österreichischen Staatsbürgern zur deutschen Umgangssprache 9 170 939 (35,78%), zur tschechischen 5 955 397 (23.23%), zur polnischen 4 259 152 (16.62%), zur ruthenischen 3 105 221 (13,17%), zur slowenischen 1 192 780 (4.65%), zur serbisch-kroatischen 711 380 (2,77%), zur italienisch-latinischen 727 102 (2,84%), zur rumänischen 230 963 (0,90%), zur madjarischen (nur in der Bukowina) 9 516 (0.04%). Die stärksten Volksstämme in Österreich sind also die Deutschen und die Tschechen mit insgesamt 15 126 336 (59,01%) Angehörigen. Sie bilden die absolute Mehrheit im Staatswesen. Die Zunahme der Bevölkerung erfolgt bei Deutschen und Tschechen ziemlich gleichmäßig. Wie groß aber ist der Unterschied zwischen beiden Stämmen, wenn man ihre wirtschaftliche Lage, die direkte Steuerleistung in Betracht zieht!

In ganz Österreich liefen nach Rauchbergs jüngster Statistik 324 179 529 K direkter Steuern ein, davon zahlten die Deutschen ungefähr zwei Drittel, nämlich 205 583 280 K, die Tschechen dagegen bloß 62 326 551 K, die Polen gar nur 22 835 512 K.

Wenn man die nationale Berufsgliederung in Böhmen und Mähren ins Auge faßt, so gibt es in Böhmen in der Land- und Forstwirtschaft 647 425 deutsche, 1 604 194 tschechische Berufstätige (samt den Familienangehörigen und Dienenden), in der Industrie 1 162 822 deutsche, 1 457 969 tschechische, im Handel und Verkehr 262 411 deutsche, 404 858 tschechische, im öffentlichen Dienst und in freien Berufen 264 355 deutsche, 463 072 tschechische. In Mähren hinwieder sind tätig in der Land- und Forstwirtschaft 228 581 Deutsche, 891 589 Tschechen, in der Industrie 260 905 Deutsche, 550 024 Tschechen, im Handel und Verkehr 80 392 Deutsche und 120 390 Tschechen, im öffentlichen Dienst und in freien Berufen 105 677 Deutsche, 165 267 Tschechen.

Am stärksten also ist die Teilnahme der Deutschen in Böhmen an der Industrie (43,92%), in Mähren am Handel und Verkehr (40,04%). Daß die Deutschen Mährens im öffentlichen Dienst relativ stärker vertreten sind als die Deutschen Böhmens, rührt wohl daher, weil die mährische Landesverwaltung bis vor kurzem sich in deutschen Händen befand. Dagegen sind in [75] beiden Ländern die Tschechen am stärksten an der Land- und Forstwirtschaft beteiligt (in Böhmen mit 71,63%, in Mähren gar mit 79,60%).

An Volkskraft sind die Deutschen Österreichs den Slawen gegenüber nicht zurückgeblieben, die stetige Zunahme der deutschen Bevölkerung beweist dies. An wirtschaftlicher Kraft haben sie den anfänglichen Vorsprung gewaltig erweitert und sind auch in sozialpolitischer Hinsicht am weitesten vorgeschritten. Trotzdem haben sie die Führung der übrigen österreichischen Volksstämme eingebüßt und werden mit künstlichen Mitteln in ihrer politischen Geltung immer mehr zurückgedrängt.

In Böhmen allein besitzen die Deutschen 51,08% des steuerpflichtigen Bodens. Das deutsche Sprachgebiet umfaßt nämlich 39% der gesamten Landesbodenfläche, hinzu kommt noch der Besitz deutscher Großgrundbesitzer im tschechischen Sprachgebiet mit 12,08%. Der Unterschied zwischen der deutschen und tschechischen Grund-, Gebäude-, Erwerb- und Personaleinkommensteuer steht in gar keinem annähernden Verhältnis zur Kopfzahl.

Die Deutschen sind diejenigen, die den Wirtschaftshaushalt Böhmens vorwiegend bestreiten, dagegen sind von den 540 Landesbeamten nicht weniger als 515 Tschechen. Bei einer gerechten Aufteilung nach der Bevölkerungsziffer müßten jedoch anstatt zehn 273 deutsche Landesangestellte sein. Würde man jedoch die Steuerleistung heranziehen, so müßten über 60% der Beamten und Diener deutsch sein. Wo bleibt nun die von den Tschechen so viel gerühmte und stets ausgerufene "Gleichberechtigung"? Die dem Land unterstehenden Bankinstitute (Landesbank und Hypothekenbank) haben 245 Beamte und 34 Diener, von denen zusammen nur acht dem deutschen Volksstamm angehören. Wie erst würden die Tschechen schalten und walten, wenn ihr "Staatsrecht" im Nationalstaat durchgeführt wäre!

Infolge der unaufhörlichen nationalen Kämpfe, noch mehr aber wegen ihrer, die öffentliche Meinung herausfordernden Verwaltung, sind die böhmischen Landesfinanzen schon seit vielen Jahren arg zerrüttet. Der große Naturalreichtum des Landes kommt dem Gemeinwohl leider nicht zugute.

Statt der vielen tschechischen Trutzvereine, denen die Deutschen notgedrungen ihre Schutzgenossenschaften, vor allem den verdienstvollen deutschen Volksrat unter J. Tittas Leitung entgegenstellen mußten, wäre es wichtiger, wirtschaftliche Organisationen zu schaffen und in sozialer Hinsicht mit den Deutschen zu wetteifern.

[76] Nicht minder wichtig als die wirtschaftlichen sind die kulturellen Verhältnisse Böhmens. Das Land verfügt über eine Jahrhunderte alte Blüte seines Geisteslebens. In Prag besteht die älteste von Deutschlands hohen Schulen.

Über das niedere und mittlere Schulwesen des Landes steht uns eine ausgezeichnete Orientierungstafel zu Gebote, Franz Perkos "Schulkarte von Böhmen" (mit einer Erläuterung in der Deutschen Arbeit, V. Jahrgang, 2. Bd., 1906, aber auch einzeln erschienen).

Abgesehen von Österreich unter der Enns mit Wien besitzt kein österreichisches Kronland ein so vollkommenes und weitverzweigtes Schulwesen wie gerade Böhmen.

Im ganzen gibt es hier 115 Schulbezirke für das Volks- und Bürgerschulwesen, von denen 81 mit den Grenzen der Verwaltungsbezirke nahezu zusammenfallen. Diese 115 Bezirke umfassen 51 deutsche und 64 tschechische und verteilen sich einschließlich der autonomen Städte Prag und Reichenberg auf 97 Verwaltungsbezirke. Prag sowie die Bezirke Braunau, Budweis (Stadtschulbezirk deutsch, Landschulbezirk tschechisch), Deutschbrod, Klattau, Königinhof, Kralowitz, Krumau, Landskron, Leitomischl, Neuhaus, Policka, Prachatitz, Schüttenhofen, Senftenberg, Taus und Trautenau zerfallen in je einen deutschen und tschechischen Schulbezirk. Endlich wurde für Reichenberg-Stadt und Reichenberg-Land je ein deutscher Schulbezirk errichtet, da Reichenberg gleich der Landeshauptstadt ein eigenes Statut besitzt, wonach der Stadtmagistrat die Tätigkeit eines Bezirksschulrates ausübt. Jede Volks- und Bürgerschule des Landes gehört so zu einem deutschen oder tschechischen Schulbezirk. Auf die nationale Scheidung ist möglichst Rücksicht genommen. Nur einige wenige Schulen nationaler Minderheiten machen da eine Ausnahme, indem sie den sonst regelmäßig durchgeführten Grundsatz einsprachiger Schulbezirke durchbrechen.

Der Landesschulrat, der als höhere Instanz über den Orts- und Bezirksschulräten steht, hat zwei gesonderte nationale Abteilungen, aber einen gemeinsamen Vorsitzenden. Die deutsche Abteilung besorgt das deutsche Schulwesen einschließlich der Gymnasien, Realgymnasien, Realschulen und Lehrerbildungsanstalten, ebenso die tschechische Abteilung ihre konnationalen Anstalten. Nur die meisten Fachschulen, also Handels-, Gewerbe-, Landwirtschafts- und Fortbildungsschulen stehen unter gemischter Aufsicht von Staats- und Landesbehörden.

[77] 1904 zählte man 210 deutsche Bürger- und 2312 deutsche Volksschulen, denen 299 tschechische Volks- und 3158 tschechische Bürgerschulen gegenüberstanden.

Im Mittelschulwesen, das im tschechischen Teil Böhmens noch vor wenigen Jahrzehnten fast durchaus utraquistisch angelegt war, erfolgte die reinliche Scheidung in deutsche und tschechische Anstalten bereits vor 1880. Doch trat in der letzten Zeit durch die Errichtung der Strakaschen Akademie in Prag ein zweisprachiges Gymnasium hinzu.

1905 gab es in ganz Böhmen 53 Gymnasien, 9 Realgymnasien, 35 Realschulen, 17 Lehrer- und 7 Lehrerbildungsanstalten. Den größten Aufschwung nahm indes das Fachschulwesen.

Während in Prag eine deutsche und eine tschechische Universität mit je vier vollständig ausgebauten Fakultäten, sowie eine deutsche und eine tschechische technische Hochschule mit je fünf Abteilungen bestehen, bis auf die gemeinsamen Bibliotheken der Universitäten und der technischen Hochschulen national gesondert, blieben die Prager Kunstakademie und die montanistische Hochschule zu Přibram mit drei Abteilungen utraquistisch. Doch studieren an diesen beiden Lehranstalten fünf- bis achtmal soviel Tschechen als Deutsche, auch gehören Neuernennungen deutscher Professoren daselbst immer mehr zu den Seltenheiten.

In den Bischofsstädten Budweis, Königgrätz und Leitmeritz sind zu drei Viertel von Tschechen besuchte theologische Lehranstalten (Seminare) utraquistischen Charakters eingerichtet.

Hatte der Kampf der Tschechen ursprünglich der Errichtung einer rein tschechischen Universität in Prag gegolten, so fordern sie jetzt eine zweite in Brünn und suchen die einzige deutsche Universität in Prag planmäßig zu vernichten.

Der gewalttätige Guerillakrieg gegen deutsche Professoren und Studenten in Prag findet kein Ende. Vor allem die Sonn- und Feiertage, an denen der städtische Mob freie Zeit hat, werden dazu benutzt, um durch die rohesten Straßenexzesse die Vertreter der deutschen Kultur einzuschüchtern und ihnen den letzten Schatten von Bewegungsfreiheit zu rauben.

Nicht mit den Steinen in der Hand, aber mit den Pfeilen einer vergifteten Journalistik arbeitet leider auch die höhere tschechische Intelligenz auf das gleiche Ziel hinaus. In französischer Sprache sucht man selbst die europäische Öffentlichkeit irrezuführen und entblödet sich nicht, die in ihrem Dasein be- [78] drohten Prager Deutschen als die wahrhaften Unruhestifter hinzustellen.

Ein solches "tschechisches Kulturdokument", die vom 4. tschechischen Naturforscher- und Ärztekongreß in Prag am 10. Juni 1908 gefaßte Resolution, wurde von dem tatkräftigen Vorkämpfer des geistigen Lebens im deutschen Volke Böhmens, von August Sauer in der Deutschen Arbeit (Jahrgang VIII, Heft 1) mit Recht an den Pranger gestellt. In dieser Resolution wird die Errichtung einer zweiten tschechischen Universität, und zwar in der deutschen Landeshauptstadt Mährens, in Brünn, gefordert. Charakteristisch sind die folgenden Sätze:

"Wir wollen die Universität nicht, um zu tschechisieren, sondern um unsere wissenschaftliche Produktion zu heben und der Jugend das Studium der Naturwissenschaften und der Medizin zu erleichtern. Wir wollen geistig arbeiten und das in den größten Verhältnissen, um unsere Existenzberechtigung als Kulturvolk zu verteidigen, und wir betrachten unsere Forderung als eine Sache, welche die ganze zivilisierte Menschheit angeht. Die Wissenschaft verlöre ihren universellen Charakter, wenn sie das alleinige Eigentum der Starken werden sollte, und ebenso verlören die Universitäten ihren erhabenen Charakter, wenn sie nur in der Gewalt der Mächtigen blieben.

Ebenso wie man seinerzeit die Richtigkeit der Forderung nach einer zweiten technischen Hochschule anerkannt hat, die in Brünn errichtet wurde, ebenso verlangen wir, daß es mit einer zweiten tschechischen Universität geschehe. Diese Universität wollen wir in Mähren. Denn das ist ein Land, das zu drei Viertel aus Tschechen besteht, in Brünn, weil das die Hauptstadt ist und ein Ort, der durch seine sozialen Bedingungen vollkommen die Entwicklung und das Gedeihen dieser zweiten Hochschule verbürgt.

Das Versprechen, parallele Lehrkanzeln (in Prag) zu errichten, kann uns nicht mehr befriedigen, da wir in dieser Hinsicht schon schlechte Erfahrungen gemacht haben.

Wir wenden uns ganz zuerst einhellig und eindringlich an alle diejenigen, die das Gefühl der Gerechtigkeit und der Kultur haben und die das Bewußtsein besitzen von der Bedeutung der Wissenschaft und des Unterrichts überhaupt; an diejenigen auch, die wünschen, daß der nationale Kampf umgewandelt werde in einen Kampf und Wettstreit auf dem Felde der Wissenschaft und Kultur, und wir bitten Sie, unsere Sache zu der Ihrigen zu machen, damit man nicht eine Frage des politischen Interesses [79] mache aus einer Frage des Intellekts und der Kultur, damit ferner jede Nation alle Mittel erhalte, um an ihrer Kultur arbeiten zu können und besonders wissenschaftlich, und damit es endlich jedem möglich werde, sein Scherflein beizutragen zur geistigen und wissenschaftlichen Hebung seines Volkes und zum Fortschritt der Bildung überhaupt."

August Sauers Entgegnung in seiner Eigenschaft als Rektor der deutschen Universität Prag wies würdig und sachlich die unhaltbaren Grundlagen jener Ausführungen nach. Lebten wir in geordneten Zuständen, wie wir sie alle ersehnen, würde jedes Volk und jeder Volksstamm alle Auslagen für kulturelle Einrichtungen aus Eigenem decken, ohne die Mittel des anderen in Anspruch zu nehmen, und wäre jeder Übergriff des einen Volkes in die Machtsphäre des anderen ausgeschlossen, dann könnte man sagen: Je mehr geistige Zentren das tschechische Volk in den von ihm besetzten Landesteilen zu errichten, zu erhalten und auszugestalten in der Lage ist, ein desto größerer Gewinn ist dies für das ganze Reich, für die ganze Menschheit, also auch für uns, die wir in engster Verbindung mit ihm zu leben gezwungen sind. So liegen aber eben die Dinge nicht. Die zu gründende Universität müßte aus gemeinsamen Mitteln aller Völker Österreichs, also auch aus den Mitteln des deutschen Volkes erhalten werden. Die Behauptung also, daß uns Deutsche die rein kulturellen Forderungen anderer Völker nichts angehen, obwohl das deutsche Volk mehr als zwei Drittel der gemeinsamen Steuerlasten Österreichs trägt, ist grundfalsch. Überdies gibt es am wenigsten in Österreich keine rein kulturellen und intellektuellen Fragen, sondern jeder kulturelle und intellektuelle Fortschritt einer Nation hat auch einen höchst bedeutsamen politischen für sie zur Folge, und um diesen vor allem handelt es sich bei den Tschechen.

Seit Jahrzehnten ist die deutsche Universität Prag zugunsten der tschechischen stiefmütterlich behandelt worden. Da viele deutsche Landeskinder infolge der für sie höchst traurigen Verhältnisse an andere österreichische Universitäten gingen und dann in anderen Kronländern sich eine zweite Heimat suchten, konnte die Studentenzahl der deutschen Universität Prag in den letzten Jahren keine wesentliche Steigerung erfahren. Dagegen wurde die der tschechischen durch Schaffung zahlreicher Stipendien, leichtere Prüfungen an den Mittelschulen und die stets wachsende Nachfrage nach tschechischen Beamten zur Tschechisierung deutscher Gegenden künstlich erhöht. In allen Studienfächern, selbst unter den Theologen, [80] sorgte der nationale Chauvinismus dafür, daß der Deutsche den Kürzeren zog.

Die mährischen Verhältnisse sollen nun näher herangezogen werden. Auch in Mähren verfolgte man auf tschechischer Seite nach Prager Muster die gleiche Taktik. Seit Jahrzehnten tschechisiert man hier auf allen Gebieten. Selbst die kirchlichen Matrikeln wurden mitunter dazu benutzt, um ein deutsches Kind gleich nach seiner Geburt, und sollte es eine Namensfälschung kosten, um die Sprache seiner Väter zu bringen.

Nun soll Mähren auch mit einer tschechischen Universität beglückt werden, wohlgemerkt, nicht etwa im tschechischen Sprachgebiet des Landes, sondern in der seit einem Jahrtausend nachweisbar deutschen Stadt Brünn, in dessen Gemeindevertretung nicht ein einziger Tscheche sitzt und nie gesessen hat.

Den Deutschen Brünns soll das Schicksal der Deutschen Prags bereitet werden. Darauf läuft die tschechische Universitätsforderung hinaus. Und das möge, wenn er es kann, Professor Ottokar Srdínko, der Sauers Ausführungen in seiner Flugschrift "Zhýčkaná česká universita" ("Die verhätschelte tschechische Universität" 1908) zu entkräften suchte, widerlegen. Er ist auf seine Zahlenbelege sehr stolz. Die folgenden mögen ihm zu denken geben.

Es ist klar, daß für eine tschechische Universität in Mähren in erster Linie Angehörige der Länder Mähren und Österreichisch-Schlesien in Betracht kämen. Wie groß nun war die Anzahl derjenigen Studenten aus Mähren und Schlesien, die in dem letzten Jahrzehnt die Prager tschechische Universität besuchten? Die Statistik gibt hierüber Auskunft:

Jahr       Mährer       Schlesier
1899 447 11
1900 484 16
1901 500 20
1902 558 32
1903 584 29
1904 652 35
1905 755 35
1906 779 46
1907 777 42
1908 759 42

Aus dieser Aufstellung geht deutlich hervor, daß der Besuch der tschechischen Universität Prag, was die mährischen und schlesi- [81] schen Studenten anbelangt, seit 1906 nicht etwa stagniert, sondern beständig zurückgeht.

Die deutsche Universität Prag dagegen weist folgende Statistik auf:

Jahr       Mährer       Schlesier
1899 48  5
1900 59  4
1901 55  2
1902 57  4
1903 56 10
1904 67 12
1905 83 18
1906 97 20
1907 104  19
1908 108  27

Das bedeutet also eine beständige Zunahme (innerhalb eines Jahrzehnts weit über eine Verdoppelung), die noch mehr ins Gewicht fällt, wenn man die Zahl der Mährer und Schlesier an der Universität Wien in Betracht zieht, wo nur in deutscher Sprache gelehrt wird, ebenso wie an der Prager deutschen Universität. In Wien studierten:

Jahr       Mährer       Schlesier
1899 743 190
1900 780 195
1901 768 192
1902 809 198
1903 845 207
1904 865 217
1905 898 251
1906 882 275
1907 910 274
1908 904 184

An der Wiener Universität studierten aus Mähren etwa doppelt so viel Studenten wie aus Böhmen und Galizien zusammengenommen, aus dem kleinen Schlesien allein so viel wie aus Österreich ob der Enns, ja sogar mehr.

Addieren wir die Zahlen der Mährer und Schlesier an der Universität Wien mit denen der Mährer und Schlesier an der deutschen Universität Prag, so ergeben sich folgende Summen:

[82]

Jahr       Mährer       Schlesier
1899 791 195
1900 839 199
1901 823 194
1902 866 202
1903 901 217
1904 932 229
1905 981 229
1906 979 295
1907 1014  293
1908 1012  211

Im ganzen studierten also im letzten Sommer-Semester 1223, im Sommer-Semester 1907 sogar 1307 Mährer und Schlesier in deutscher Sprache, wobei außer Prag und Wien andere Universitäten gar nicht berücksichtigt erscheinen, während an der Prager tschechischen Universität gleichzeitig bloß 801 Angehörige dieser Länder insgesamt immatrikuliert waren.

Es kann somit kein Zweifel sein, welche Universität in Mähren zuerst errichtet werden müßte, eine deutsche oder eine tschechische.

Die Deutschen in Mähren waren stets bereit, solange die übrigen Universitäten des Reiches aus materiellen Gründen manchen reichsdeutschen gegenüber zurückstünden, ihre eigenen kulturellen Wünsche hintanzusetzen. Sollte aber die Errichtung einer tschechischen Universität in Mähren unabwendbar sein, so ist es selbstverständlich, daß die 1223 Mährer und Schlesier, die deutsche Vorlesungen hören wollen, nicht zugunsten der 801 Tschechen benachteiligt werden dürfen. Der § 19 des Staatsgrundgesetzes ist nicht dazu da, um von den Tschechen mißbraucht zu werden.

Fragen wir nun nach dem Standort der geforderten tschechischen Universität, so darf dies nie und nimmer Brünn sein. Die deutsche Volksseele, so gutmütig sie auch ist, empört sich, wenn man ihr einen fremden Stachel ins eigene Fleisch setzt. Ein Sturm der Empörung würde die tschechische Universität aus Brünn hinwegfegen.

Während die Deutschen in Prag in dieser Stadt seit Jahrhunderten heimisch sind als ihre Erbauer, ihre Verteidiger, ihre wichtigsten Steuerzahler und Kulturträger, sind die Tschechen in Brünn eingewanderte Dienstboten, Arbeiter und Handwerker, die von deutschem Gelde leben und erst in den letzten Jahren um einige hundert tschechische Lehrer, Beamte, Advokaten zugenommen [83] haben, die zu Tschechisierungszwecken die Stadt und ihre Umgebung, wenn es ginge, am liebsten überfluten möchten.

Der kulturelle Mittelpunkt für die Tschechen Mährens ist Kremsier mit dem benachbarten geheiligten Wallfahrtsort Welehrad. Hier war die Residenz der heiligen Cyrillus und Methodius, der großen Slawenapostel. Kremsier mit gegen 15 000 Einwohnern hat eine bedeutende geschichtliche Vergangenheit. Die Stadt ist autonom, besitzt also ein eigenes Statut, ist Sommerresidenz der Olmützer Fürsterzbischöfe, hübsch an der March gelegen, verfügt über reiche Bibliotheksschätze (darunter 133 Inkunabeln und 131 Handschriften). Eine wertvolle Münzsammlung und zahlreiche Schulen aller Art tragen dazu bei, das geistige Bild der Stadt zu vervollkommnen. Die Tschechen, die ja immer den hohen Wert der historisch-individuellen Tradition zu schätzen vorgeben, hätten alle Ursache, bei der Errichtung einer zweiten Universität an diesen geistigen Mittelpunkt, wo auch Palacký und Rieger auf dem Reichstag von 1848–49 die Rechte ihres Volkes proklamierten, zuerst zu denken.

Für die Deutschen aber ergibt sich vor allem Olmütz als die Stadt, die für die Errichtung einer deutschen Universität geeignet wäre. Olmütz ist die ursprüngliche Hauptstadt des Landes und besitzt wie Brünn ein eigenes Statut. Für Olmütz spricht ebenfalls seine Tradition.

Olmütz besaß bereits in alten Zeiten eine Universität (vgl. hierüber die handschriftlich auf der Olmützer Studienbibliothek vorhandene Historia Universitatis Olomucensis). An die ursprünglich vier-, später fünf- und sechsklassige Jesuitenschule daselbst war 1574 das philosophische und 1582 das theologische Studium angeschlossen worden. Den Rang einer Universität erhielt die Schule schon 1574 durch das Privilegium Maximilians vom 22. Dezember. Es wurde darin ausdrücklich zugestanden, daß alle an der Universität Studierenden, sofern sie würdig und tauglich befunden wurden, zu den akademischen Graden und Ehren befördert werden und so angesehen sein sollten, als ob sie auf was immer für einer Universität Deutschlands, Spaniens, Italiens oder Frankreichs promoviert worden wären. Die erste Immatrikulation fand im Oktober 1576 statt.

1670 wurde von den mährischen Ständen die Einrichtung des juristischen Studiums in Olmütz beschlossen, das allerdings den bereits bestehenden zwei Fakultäten erst 1731 gleichgestellt wurde.

1773 wurde der Jesuitenorden aufgehoben und dadurch der Einfluß der Staatsgewalt auf die Olmützer Universität un- [84] beschränkt. 1778 erfolgte deren Übersiedlung nach Brünn. Joseph II. verwandelte die mährische Landeshochschule in ein akademisches Lyzeum und befahl, es am 1. November 1782 wieder nach Olmütz zurückzuversetzen. Die Lyzealverfassung der Olmützer Universität bestand mit mehr oder weniger Abänderungen bis 1827, in welchem Jahr Kaiser Franz I. am 12. März über Verwenden des Erzherzogs und Fürsterzbischofs Rudolf den alten Rang der Universität wiederherstellte. Sie wurde jetzt nach dem Namen des Erneuerers Franzens-Universität geheißen und bestand als solche bis 1855 (vgl. auch Julius Wallner, "Geschichte des Konvikts von Olmütz von der Gründung bis zur Vereinigung mit der Theresianischen Akademie in Wien 1566 bis 1782" in der Zeitschrift des deutschen Vereins für die Geschichte Mährens und Schlesiens 1902, sowie Christian Ritter d'Elvert, "Geschichte der Studien-, Schul- und Erziehungsanstalten in Mähren und Österreichisch-Schlesien, insbesondere der Olmützer Universität in den neueren Zeiten" 1857).

Als Überrest jener Universität in Olmütz ist die heute noch bestehende k. k. theologische Fakultät geblieben.

Aber auch sonst gehörte Olmütz zu denjenigen Stätten, an denen das geistige Leben besonders blühte. Die von Josef Freiherrn von Petrasch gegründete "Societas (conditorum) incognitorum in terris austriacis" war die erste gelehrte Gesellschaft in Österreich überhaupt. Ihr erster Sekretär, der Benediktiner Maynoaldus Ziegelbauer, redigierte im Auftrag der Gesellschaft die Monatlichen Auszüge alter und neuer gelehrter Sachen. Es ist dies das älteste Literaturblatt Österreichs (1747).

Maria Theresia hatte in einem Reskript vom 16. März 1747 die neue Gesellschaft sanktioniert und jede mögliche Unterstützung von seiten des Staates zugesagt.

Außer der Zeitschrift plante die Gesellschaft auch die Herausgabe einer "Bibliotheca scriptorum Bohemicorum". Leider war jedoch dieser ersten österreichischen Akademie der Wissenschaften kein langer Bestand beschieden (vgl. Willibald Müller, Geschichte der kgl. Hauptstadt Olmütz 1882).

Warum nun, könnte eingewendet werden, wäre nicht Brünn als Standort der künftigen deutschmährischen Landesuniversität vorzuziehen?

Die Wissenschaft hat mit dem Studienbetrieb in politischen Zentren Österreichs die traurigsten Erfahrungen gemacht, denn hier gibt es stets Reibungsflächen, die bei der Lebhaftigkeit des österreichischen Naturells, vor allem aber infolge der großen Völkermischung oft die unerquicklichsten Streitigkeiten ermög- [85] lichen, in welche die akademische Jugend naturgemäß leichter hineingezogen wird als irgend ein anderer Stand. Die Studentenschaft wurde zum Werkzeug gewissenloser Politiker und ließ sich oft sogar als tonangebendes Instrument gebrauchen.

In einer kleineren, dem politischen Treiben ferner stehenden Stadt (Olmütz hat 22 000 Einwohner) dagegen wird das wissenschaftliche Leben nie derart beeinträchtigt werden können wie an Orten, in denen eine parlamentarische Körperschaft tagt, demagogische Parteien ein großes Industrieproletariat auf ihre Seite zu ziehen wissen und so ein lebhaft pulsierendes politisches Leben entfalten.

Der Student ist da, um zu studieren, nicht um Politik zu treiben. Die akademischen Verbindungen sollen die Freundschaft pflegen, nicht die Drachensaat politischen Hasses von der Straße in den Hörsaal verpflanzen.

Und dann noch eins! Wo hat man denn im Mittelalter Universitäten mit Vorliebe errichtet, wo blühen sie noch heute? Nicht in der Residenz Hannover, sondern in Göttingen, nicht in Karlsruhe, sondern in Heidelberg und Freiburg, nicht in Stuttgart, sondern in Tübingen, nicht in Darmstadt, sondern in Gießen, ja, in dem winzigen Jena standen und stehen Hochburgen deutschen Geisteslebens.

Wenden wir den Blick von den mährischen Verhältnissen noch einmal zurück dahin, von wo wir unseren Ausgang nahmen, nach Prag. Fünf Jahrhunderte sind eben verflossen, seitdem deutsche Professoren und Studenten hussitischer Verfolgungswut gewichen sind und in Leipzig eine neue Universität begründet haben. Noch einmal erfolgte dann im 17. Jahrhundert eine Wiedergeburt der alma mater Carolo-Ferdinandea, wie sie seitdem geheißen wurde. Einen ersten blühenden Ast hatte man abgesägt, nun will man den altehrwürdigen Stamm völlig entwurzeln. Wichtiger noch als die Gründung einer neuen Hochschule, muß uns daher die Erhaltung der ältesten erscheinen.

"Das Recht unserer Studenten auf die freie Betätigung ihrer Nationalität wird mit Füßen getreten, das Leben der Angehörigen unserer Universität ist bedroht, sie sind schutzlos dem aufgehetzten Pöbel preisgegeben. Vergebens rufen wir an allen maßgebenden Stellen des Staates um Hilfe. Entrüstet und erbittert sehen wir uns zur Ohnmacht verurteilt. Sollten die österreichischen Regierungen weder den Willen noch die Macht haben, die älteste deutsche Universität in der Hauptstadt des doppelsprachigen Landes ausgiebig zu schützen, sollten sich die Angriffe auf unsere Universität in immer geringeren Zwischenräumen wiederholen, [86] dann müßte selbst der ruhigste und besonnenste Beurteiler der unhaltbar gewordenen Verhältnisse an ihrer gedeihlichen Zukunft in diesem feindlichen Milieu irre werden, dann müßte selbst der eifrigste Verfechter der historischen Kontinuität sich fragen, ob aus dem Samenkorn, das man in diesen durch die politische Drachensaat vergifteten Boden als friedliche Verheißung für die Jahrhunderte einsenken will, jemals wieder mehr wird verwachsen können als ein verkrüppelter Baum."

Diese flammenden Worte August Sauers, des scheidenden Rektors der Prager deutschen Universität beim Ausbruch der jüngsten tschechischen Feindseligkeiten im Spätherbst 1908 haben in den weitesten Kreisen des deutschen Volkes ihr Echo gefunden. Wir sind ruhig und unverzagt. Das gesamte deutsche Volk Österreichs hat die Prager Universität in ihren Schutz genommen. Sie kann und darf nicht untergehen.

 
Schlußwort

In einem offenen Brief an den Kremsierer Reichstag, geschrieben im Februar 1849, hat der konservative Staatsmann Karl Ernst Jarcke unter dem Titel "Freiheit und Souveränität in Österreich" den die "Volkssouveränität" verteidigenden Abgeordneten die "Staatssouveränität" gegenübergestellt: "Die Millionen, welche Österreich bewohnen, haben sich in der Wirklichkeit keineswegs auf einem großen Blachfelde versammelt, um dort zuerst ihren Assoziationskontrakt zu schließen und dann nach erfolgter Abstimmung 'einen Abkömmling des Hauses Habsburg' zu ihrem Geschäftsträger und Güterdirektor zu bestellen. Es wäre auch wirklich unglaublich, wie Oberösterreicher und Ungarn, Italiener und Polen, Tiroler und Serben usw. sich zu solchem Ende sollten zusammengefunden haben. Noch rätselhafter wäre die Art ihrer Verständigung, und wie es ihnen eigentlich gelungen, eines einhelligen Sinnes zu werden. – Nein, meine Herren, das Haus Österreich bestand vor der österreichischen Monarchie. Im Laufe einer Reihe van Jahrhunderten hat es mit seinem guten Schwerte und seinem guten Rechte jene einzelnen Länder und Gebiete, die ihm heute als Stücke seiner eigenen Macht gehören, aus rein privatrechtlichen Titeln erworben, und [87] dadurch erst zu einer Monarchie gemacht. Sollten Sie davon niemals reden gehört, sollten Sie niemals Ottokars Glück und Ende gesehen haben? Denn durch eine ganz besondere Ungunst des Zufalls, die Ihnen (unwissend, wie?) widerfuhr, ist gerade dieses aus so vielen Nationen und Sprachen bunt zusammengewürfelte Reich die schlagendste Widerlegung der Fiktion, die Sie von der Schulbank mitgebracht haben." Diese Worte sollten heutzutage vor allem die Tschechen beherzigen, die ihre Nationalstaatsgelüste über die Interessen des Gesamtstaates Österreich stellen, ja sogar jene auf Kosten dieser befriedigen wollen.

Die Deutschösterreicher aber mögen sich Bismarcks Worte ins Gedächtnis rufen: "Was sollte an die Stelle Europas gesetzt werden, welche der österreichische Staat von Tirol bis zur Bukowina heute ausfüllt? Neue Bildungen auf dieser Fläche könnten nur dauernd revolutionärer Natur sein. Deutsch-Österreich könnten wir weder ganz noch teilweise brauchen, eine Stärkung des preußischen Staates durch Erwerbung von Provinzen wie Österreich-Schlesien und Stücken von Böhmen nicht gewinnen, eine Verschmelzung des deutschen Österreichs mit Preußen würde nicht erfolgen, Wien als ein Zubehör von Berlin aus nicht zu regieren sein" (Bismarck, Gedanken und Erinnerungen. Volksausgabe 1905, II. Bd., S. 64 ff.).

Wie soll sich Österreichs Zukunft gestalten? Auch hierüber können wir von Bismarck lernen. Er sagt: "Es ist natürlich, daß die Bewohner des Donaubeckens Bedürfnisse und Pläne haben, die sich über die heutigen Grenzen der österreichisch-ungarischen Monarchie hinaus erstrecken; und die deutsche Reichsverfassung zeigt den Weg an, auf dem Österreich eine Versöhnung der politischen und materiellen Interessen erreichen kann, die zwischen der Ostgrenze des rumänischen Volksstammes und der Bucht von Cattaro vorhanden sind... Die Erhaltung der österreichisch-ungarischen Monarchie als einer unabhängigen starken Großmacht ist für Deutschland ein Bedürfnis des Gleichgewichts in Europa..." (II, 281).

Bismarck hat die Deutschösterreicher deshalb scheinbar aufgeopfert, damit sie die Unabhängigkeit und Großmachtstellung der alten Habsburgischen Monarchie behaupten und so einen Schutzwall bilden helfen fürs Deutsche Reich. Österreichs "Drang nach dem Osten" soll von ihnen gefördert werden, wenn auch die Altliberalen vom Schlage Leopold von Hasners anders dachten. Dieser nämlich meint halb richtig, halb unrichtig in seinen Denkwürdigkeiten (S. 114 ff.), die Okkupation Bosniens und der Herzegowina könne, wenn sie einen weiteren Sinn haben solle, [88] nur der erste Schritt zu einer mit Rußland konkurrierenden Orientalpolitik sein. "Für die Folge waren wir in jeder solchen Frage mit unserer Ehre engagiert. Man darf aber seine Ehre nicht engagieren, wo man die Macht nicht besitzt, sie aufrechtzuerhalten. Da wird die Mission zur Velleität."

Aus diesen Worten Hasners spricht der ganze, leider noch immer nicht begrabene österreichische Kleinmut. Warum soll Österreich nicht mit Rußland konkurrieren dürfen, warum sollte Österreich nicht stärker als Rußland sein? Von der Revolution und in seinem innersten Mark zerfressen, ist dieser tönerne Koloß heute kaum ein ernster Rivale Österreichs mehr. Österreich-Ungarn im Bunde mit dem Deutschen Reich hat gerade in den letzten Tagen bewiesen, daß es durch einen Diplomaten wie Alois Freiherrn von Ährenthal ganz Europa in Schach zu halten vermag.

Österreich darf sich weder zu einem slawischen Staat entwickeln, noch auch zu einem deutschen zurückverwandelt werden. Die Geschichte Europas zeigt deutlich, daß zwei gleich oder ähnlich nationalorganisierte Staaten nebeneinander nicht bestehen können. Der Kampf zwischen Österreich und Preußen bis 1866 war lehrreich genug. Wollte Österreich slawisch werden, so käme es entweder in Rußlands Schlepptau als eine Art Vasallenstaat, oder aber es müßte Rußland in seine Abhängigkeit bringen. Wegen der kolossalen territorialen Ausdehnung allein wäre der letzte Fall ausgeschlossen. Welchen Beruf also soll Österreich in sich fühlen und sollen vor allem die Deutschösterreicher nach Bismarcks Tendenz verfolgen? Dieser Beruf ist so einfach und klar allen österreichischen Regierungen vorgezeichnet, daß man sich nur wundern kann, ihn nicht schon langst ausgesprochen und erfüllt zu wissen. Wie die Schweiz im Westen soll Österreich im Osten eine polyglotte Brücke bilden zwischen den einzelnen Staaten, Völkerschaften und Kulturen. Die kleineren Territorien des Westens benötigen nur eine kleine Brücke, die gewaltigen des Ostens dagegen eine große und mächtige. Das ist Österreichs Aufgabe, Bedeutung und Zukunft.

Um ihr gerecht zu werden braucht die zahlreiche Völkergemeinschaft eines Kittes, der alle einigt durch seine wahrhaft kosmopolitische, seine Weltkultur, das ist das deutsche Element.

Werden die Tschechen diese Staatsnotwendigkeit begriffen haben, und sie müssen es einmal, dann wird Frieden werden, früher nicht.

[89] Jahrhunderte hindurch hat es zwischen Deutschen und Tschechen einen modus vivendi gegeben. Sie sind mitunter sogar familiär geworden. Warum sollte dieser ruhigere Zustand nicht wiederkehren? Im Kindesalter leben die Volksstämme patriarchalisch nebeneinander, in schäumender Jugendkraft toben sie aus. Wir Deutsche wünschen den Tschechen das reife Mannesalter. Dann werden wir uns finden.

Die vorstehenden Ausführungen hat ein Deutschösterreicher geschrieben, der unbeschadet seiner treu nationalen Gesinnung in seinem Leben auch die Vorzüge des tschechischen Volkscharakters kennen und schätzen gelernt hat, seine materielle Anspruchslosigkeit, seinen beharrlichen Fleiß, seine dienstwillige Bereitschaft und nicht zuletzt seine wahrhaft poetische oder besser gesagt musikalische Seele. Diese Eigenschaften zu fördern und zu stärken mögen die Tschechen nie verabsäumen, sie erkennen so vielleicht eher, was wir Deutsche ihnen geboten haben und noch immer bieten.

Nicht um die Hilfe des mächtigen Deutschen Reiches zu gewinnen, suchen diese Zeilen ihre Leser. Denn ein Stamm, der sich selbst nicht mehr helfen kann, ist wert, daß er zugrunde gehe. Die Deutschen in Österreich aber sind immer noch stark genug, wenn sie die Einigkeit erlernen. Darum sei noch einmal wiederholt: Die trennenden Fragen der Weltanschauung dürfen einen in seiner Sprache, in seinem innersten Lebensnerv bedrohten Stamm nicht auseinanderbringen. Ob liberal oder konservativ zu regieren sei, ist in dem Augenblick nebensächlich, wo es sich um das Dasein eines ganzen Volkes, des staatserhaltenden Grund- und Ecksteins von ganz Österreich handelt. Es ist höchste Zeit, daß diese Ansicht Gemeingut aller deutschen Wähler und Abgeordneten dieses Reiches werde.

Antidynastische Bierbankpolitiker haben in den Reihen der deutschösterreichischen Volksvertreter auf die Dauer keinen Platz. Der Wille des Volkes, das allgemeine Wahlrecht fegt sie hinweg. Der Deutsche in Österreich ist Österreicher und will es bleiben. Aber ebenso eingedenk ist er des Spruches: "Deutsch sein, heißt treu sein, treu sich selbst und treu seinem Volke!"


[Anm. d. Scriptorium: auf Seiten 90-92 erscheint im Original dieses Buches ein Personenregister, welches wir in diesem online-Nachdruck weglassen, da Namen viel leichter über unsere Suchmaske zu finden sind.]






Die Deutschen in Österreich
und ihr Ausgleich mit den Tschechen

Dr. Wilhelm Kosch