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Von Taaffe bis Bienerth
(1893–1909).
Taaffes Erbe übernahm Alfred Fürst Windischgrätz. Er leitete
den Zeitabschnitt der tollsten parlamentarischen und politischen Gärungen
ein, die Österreich an den Rand des Abgrunds brachten, im deutschen Volk die
verschiedenartigsten Parteien aufkommen ließen und ihm eine Zukunft vor
Augen rückten, [57] wie sie die Deutschen in
den Ostseeprovinzen genießen, die aber auch ein großes Heilmittel
entdecken lehrten, das allgemeine gleiche und direkte Wahlrecht.
Das Ministerium Windischgrätz stellte sich als eine Koalition des
Feudaladels, der Polen und der Vereinigten deutschen Linken dar. Nicht nur die
Tschechen, sondern auch die Deutschnationalen, Christlichsozialen und
demokratisch gerichteten deutschen Konservativen der Alpenländer
brachten der neuen Regierung ein scharfes Mißtrauen entgegen.
Abgeordneter Kramář kündigte die Obstruktion an. Der über
Prag verhängte Ausnahmszustand dauerte fort.
Im deutschen Lager Böhmens gingen indes die Meinungen stärker als
je auseinander. Nach dem Tod des allverehrten langjährigen Führers
Schmeykal 1894 trennte man sich in die drei Gruppen der Liberalen, der
Deutschen Volkspartei und der Radikalen.
Die deutschnationalen Abgeordneten gründeten zur besseren Verteidigung
des Deutschtums einen nichtpolitischen Schutzverein. An die Spitze dieses
"Bundes der Deutschen in Böhmen" traten Ernst Bareuther, Franz
Kindermann und Heinrich Prade.
Endlich erkannte man auf deutscher Seite auch die Notwendigkeit, die
tschechische Sprache trotz ihrer großen Schwierigkeit und der
verhältnismäßig geringen Ausdehnung des tschechischen
Sprachgebiets zu erlernen. Hermann Hallwich war einer der ersten, der auf ein
Jahrzehnte altes Versäumnis hinwies, infolgedessen die Deutschen der
Beamtenlaufbahn in den Sudetenländern immer mehr entfremdet worden
waren. Leider sollte es noch schlimmer kommen müssen, bis man dieser
Anregung in Wirklichkeit Folge zu leisten begann.
Während sich die tschechischen Fraktionen des Reichsrats
zusammenschlossen, trug die bisher stärkste deutsche Partei, die
"Vereinigte Linke" bereits den Todeskeim in sich. Ihr letzter Halt, die Regierung
Windischgrätz, scheiterte, die größere Zahl ihrer ehemaligen
Wähler hatte sie längst verlassen.
In der deutschen Stadt Cilli sollte das Gymnasium zu Slawisierungszwecken
slowenische Parallelklassen erhalten. Das Ministerium stand zwischen zwei
Feuern. Die Koalition brach zusammen.
Am 19. Juni 1895 übernahm der Statthalter von Niederösterreich,
Erich Graf Kielmansegg, provisorisch das Präsidium des Ministerrats.
Um diese Zeit hatte sich ein für die Zukunft des deutschen Volks in
Österreich wichtiges Ereignis vollzogen, die Eroberung [58] Wiens durch die
Christlichsozialen. Einer ihrer Führer, Alois Prinz Liechtenstein,
erklärte ausdrücklich: "Die Deutschkonservativen der
Landgemeinden, bei denen infolge jahrzehntelanger, wirtschaftlicher
Bedürfnisse das nationale Moment in den Hintergrund getreten ist, und die
Deutschnationalen, bei denen das religiöse Moment für die
Wiedergeburt unseres Volkes als nebensächlich gilt, werden vielleicht an
unserem Beispiel... erkennen, daß die wirtschaftliche Reformbewegung,
deren Programm uns drei Gruppen gemeinsam ist, einen um so mächtigeren
Widerhall in den Geistern und in den Herzen erweckt, wenn sie Hand in Hand
geht mit dem lebendigen Nationalgefühl und mit der treuen
Anhänglichkeit an den Glauben unserer Väter. Vielleicht werden
diese Erwägungen alle deutschen Abgeordneten einander nähern, die
der Idee der sozialen Reform treu ergeben sind." Gleichzeitig kündigte
Liechtenstein das Bündnis mit den Slawen, deren Gegnerschaft solange der
"Vereinigten Linken" einen falschen nationalen Nimbus verliehen hatte. Je mehr
die christlichsoziale Partei im deutschen Sprachgebiet an Boden gewann, desto
stärker mußte sich naturgemäß auch ihr nationales Interesse
entwickeln.
Die Post Cilli, die aus dem Nachlaß des Fürsten Windischgrätz
übrig geblieben, erst unter der provisorischen Regierung Kielmansegg zur
Abstimmung im Abgeordnetenhaus gelangte, war eine nationale Gewissensfrage.
Sie wurde mit 173 gegen 143 Stimmen angenommen. Ein Teil der
Deutschklerikalen und Christlichsozialen stand bereits auf seiten der
deutschbewußten Minderheit, losgelöst vom ehemaligen "eisernen
Ring".
Der slowenische Geistliche Karl Klun rief daher entrüstet den sich endlich
einmal einigenden Deutschen ironisch zu: "Die Deutschnationalen...
können stolz sein, daß sie sich ohne besondere Anstrengung auch die
Christlichsozialen unterworfen haben."
Der Haß der nationalen Gegner ist stets der beste Beweis, daß die
Deutschen auf rechten Wegen wandeln.
Im Herbst 1895 war das Provisorium Kielmansegg zu Ende. Der polnische
Statthalter von Galizien, Kasimir Graf Badeni, übernahm die Regierung.
Seit 1848 hat es keine unglücklichere gegeben.
Zunächst freilich schien Badeni eine glückliche Hand zu besitzen. Es
gelang ihm, die längst vorbereitete Wahlreform durchzuführen,
indem er zu den bisherigen Kurien des Großgrundbesitzes, der
Handels- und Gewerbekammern, der
Stadt- und Landgemeinden, eine allgemeine Kurie, zu der jeder unbescholtene
Staatsbürger vom 24. Lebensjahr an gehören sollte,
hinzufügte. Das
darauf- [59] hin gewählte neue
Abgeordnetenhaus zählte 425 Mitglieder, davon gehörten 199 dem
deutschen Volksstamm an (die deutschen Konservativen und Sozialdemokraten
mitgerechnet). Wahrend früher, wenn alle deutschsprechenden Vertreter
zusammenhielten, eine deutsche Mehrheit möglich gewesen wäre,
war sie jetzt ein für allemal ausgeschlossen. Dies bedeutete jedoch nicht
den härtesten Schlag gegen die Deutschen. Jede Erweiterung des
Wahlrechts mußte sie ja schwächen.
Viel verhängnisvoller waren Badenis Sprachenverordnungen für
Böhmen und Mähren vom 5. April 1897. Sie führten zu
einem Aufruhr im ganzen Reich.
In dem geographischen Atlas Badenis gab es kein geschlossenes deutsches
Sprachgebiet mehr. Seine Sprachenverordnungen zwangen dem deutschen
Volksstamm in Böhmen und Mähren ein tschechisches Sprachrecht
auf, nicht nach dem Gesetz des natürlichen Gebrauches, sondern in einem
Umfang, als ob das tschechische Reich der Wenzelskrone bereits bestände
und Böhmen sowie Mähren nicht österreichische
Kronländer wären. Natürlich fanden sie den Beifall der
Tschechen.
Am 4. Juli 1897 erklärte der tschechisch-feudale Prinz Friedrich
Schwarzenberg im ersten Siegesrausch: "Es läßt sich nicht
leugnen, daß diese Sprachenverordnungen ein Erfolg unserer Politik sind,
daß die Regierung wirklich die Bereitwilligkeit und Energie zeigt, gerecht
zu sein, und daß das wichtigste Moment dieser Sprachenverordnungen die
Anerkennung der Einheit dieses Königreichs und die Durchbrechung des
geschlossenen deutschen Sprachgebiets ist. Es ist damit die Unteilbarkeit des
Königreichs Böhmen anerkannt worden, das heißt, daß
jeder Tscheche in ganz Böhmen zu Hause ist... Die Sprachenverordnungen
sind das Minimum von dem, was wir wollen. Wir können von denselben
unter keinen Umständen ablassen. Bei allem und jedem aber muß
über uns das Banner des Staatsrechts wehen. Das Staatsrecht muß das
hehre Ziel sein, das wir nie aus den Augen verlieren dürfen, dem wir
unentwegt zuschreiten müssen. Der Weg ist gebahnt. Schreiten wir
vorwärts auf dem uns von den Vätern vorgezeigten Wege." Diese
Worte eines böhmischen Edelmanns, dessen Ahnen Deutsche waren, lassen
an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig.
Die Badenischen Sprachenverordnungen erregten aber auch bei den Deutschen
einen mächtigen Widerhall, freilich ganz anderer Art. In Eger, Reichenberg
und anderen
deutsch-böhmischen Städten kam es zu stürmischen
Protestkundgebungen. Die radikalen Deutschen, an ihrer Spitze Karl Hermann
Wolf, [60] zogen die Mehrheit der
deutschen Wähler auf ihre Seite. Jede Unterhandlung mit den Tschechen
galt als Hochverrat an der heiligen, nationalen Sache. Vor allem die akademische
Jugend in ganz
Deutsch-Österreich jubelte Wolf und seinem damaligen engsten
Parteigenossen Schönerer zu.
Das unheimliche Gären im deutschen Volke Böhmens wurde von der
Staatsgewalt als eine revolutionäre Anwandlung, die mit blanker Waffe
niederzuhalten sei, gebrandmarkt. Die tschechischen Überfälle
dagegen, die natürlich selbst die Reichsdeutschen tief erregen mußten
(vgl. z. B. Fr. Fr. Leitschuh,
"Deutsch-Böhmisches" in der Straßburger Post vom
19. August 1897), wurden von der Regierung nicht verhindert, sondern
höchstens vertuscht. Dadurch fühlten sich die siegreichen Tschechen
nur noch mehr aufgemuntert und so wagten sie in ihrem gewalttätigen
Treiben das Äußerste, die Deutschen mit Brachialgewalt aus Prag zu
vertreiben. Es kam zu den blutigen Schreckenstagen des Dezembers 1897, die
stets einen Schandfleck in der böhmischen Geschichte bilden werden.
370 von Deutschen bewohnte Häuser wurden teils demoliert, teils furchtbar
zugerichtet, 51 Läden ausgeraubt und geplündert. Tausende von
Deutschen in Prag wurden beschimpft, mißhandelt und an ihrem Leben
bedroht, so daß schließlich Paul Freiherr von Gautsch, Badenis
Nachfolger, über Prag den Belagerungszustand verhängen
mußte. Der Sturz des ominösen Ministerpräsidenten war am
28. November erfolgt, nachdem große Straßendemonstrationen
bis vor die kaiserliche Hofburg Badenis Entlassung beschleunigt hatten.
Die Sprachenverordnungen gaben im böhmischen Landtag Anlaß zu
den heftigsten Szenen. Zum erstenmal trat damals auch ein deutscher Priester
offen für die nationalen Rechte seines Volks ein. Der Landtagsabgeordnete
Ambros Opitz beleuchtete in mehreren Reden die Unhaltbarkeit der
böhmischen Zustände und bewirkte, daß die christlichsoziale
Partei im ganzen Reich die Berechtigung der deutschen Forderungen
grundsätzlich vollauf anerkannte. Opitz wies ausdrücklich darauf
hin, daß Deutsche und Tschechen in Böhmen nicht untermischt,
sondern zum größten Teil territorial geschieden nebeneinander
wohnten. Der Beweis dafür sei durch die nationale Scheidung des
Schulwesens in Böhmen praktisch erbracht worden.
Schlesinger und Eppinger, die nach Schmeykals Tod die Führung der
böhmischen Deutschliberalen übernommen hatten, brachten im
Landtag einen Antrag ein, der sich mit der Beseitigung der Badenischen
Sprachenverordnungen beschäftigte. Es [61] wurde geltend gemacht,
es könnte danach auf dem Boden des geschlossenen deutschen
Sprachgebiets der Fall eintreten, daß in einem Bezirk, wo neben hundert
Deutschen nur ein Tscheche wohnt, dieser einzige Tscheche die
Durchführung eines ihn angehenden Prozesses in tschechischer Sprache
fordere. Die Folge davon wäre notwendig die, daß einheimische
Deutsche bei einer solchen Gerichtsverhandlung im rein deutschen Gebiet
gezwungen würden, sich durch einen Dolmetsch über den Gang der
Verhandlung verständigen zu lassen.
Selbstverständlich gingen die Tschechen sowohl über den Antrag
wie über diese Argumente rücksichtslos zur Tagesordnung
über, stellten aber ihrerseits durch die Abgeordneten Josef Herold und
Friedrich Pacák den Antrag auf Erlassung eines Landesgrundgesetzes, die
Einheit Böhmens betreffend. Dies gab neuerdings zu staatsrechtlichen
Erörterungen Anlaß. Die Deutschen stellten sich einmütig auf
den Boden der bestehenden Verfassung von 1867. Autonomie und Staatsrecht
seien zweierlei. Der Landtagsautonomie, namentlich in wirtschaftlichen
Angelegenheiten, seien sie durchaus nicht abgeneigt.
Nach stürmisch bewegten Auftritten verließen am 26. Februar
1898 die deutschen Abgeordneten den böhmischen Landtag.
Nicht viel ruhiger ging es im mährischen und schlesischen Landtag zu. Da
waren die Slawen in der Minderheit, und so ließ sich der energische
Beschluß des schlesischen Landtags erklären: "Der Landtag weist
zurück die von außen erhobenen und in das Land Schlesien
hereingetragenen, den Frieden seiner Bewohner störenden Ansprüche
und Bestrebungen einer bundesstaatlichen Organisierung unseres Vaterlandes und
die Errichtung eines tschechischen Sonderstaates innerhalb desselben. Der
Landtag weist zurück eine weder in der für die Rechtslage
maßgebenden Verfassung, noch in den tatsächlichen
Verhältnissen begründete Angliederung tschechischer Landesteile,
sei es an Böhmen, sei es an Galizien. Der Landtag hält daher auch
die sofortige Zurücknahme der diese Zwecke fördernden, die
Zukunft des Staates in Frage stellenden und die Rechte des deutschen Volkes
schädigenden Sprachenverordnungen für Böhmen und
Mähren vom 5. April 1897 nicht nur für geboten, sondern
auch für das einzig richtige Mittel zur Wiederherstellung geordneter
parlamentarischer Zustände und einer ersprießlichen Tätigkeit der
Reichsvertretung. Der schlesische Landtag hält die gesetzliche Normierung
der deutschen Sprache als Staatssprache für eine Lebensbedingung des
österreichischen Staates und eine notwendige Voraussetzung zur
Beseitigung der den Staat erschütternden Kämpfe."
[62] In ähnlichem
Sinne sprachen sich auch alle übrigen Landtage, in denen die Deutschen die
Mehrheit hatten, aus.
Endlich sah sich die Regierung gezwungen, die Badenischen
Sprachenverordnungen zurückzuziehen. Was aber sollte an ihre Stelle
treten, um dem staatsgefährlichen nationalen Hader ein Ende zu bereiten?
Ein Ministerium nach dem andern scheiterte an diesem Problem. Franz Graf
Thun, Gautschens Nachfolger, fand die parlamentarische Obstruktion, die vor
keinem Gewaltakt zurückschreckte, bereits in erprobter vollster
Entwicklung und konnte sich nur mit Notverordnungen (§ 14) weiterhelfen. 1899
gab Thun die Regierung an Heinrich Ritter von Wittek ab, der nach ganz kurzer
Zeit dem Grafen Manfred
Clary-Aldringen Platz machte. Ihm folgten Ernst von Körber, Richard Paul
Freiherr von Gautsch (zum zweitenmal), Konrad Prinz Hohenlohe, Max Freiherr
von Beck und im Spätherbst 1908 Richard Freiherr von Bienerth.
In Prag hörten die Straßenexzesse nicht auf. Ihr drohendster
Ausbruch seit 1897 erfolgte 1908 und 1909, indem zunächst der sogenannte
"Bummel" (Sonntagspromenade) der deutschen Studenten auf dem Graben, eine
althergebrachte Einrichtung, durch blutige Gewaltakte ausgemerzt werden sollte.
Die Exzesse haben bis heute noch nicht ihr Ende gefunden, sie bedrohen vielmehr
jeden deutsch sprechenden Passanten. Wie sehr diese Tatsache dem
Fremdenverkehr in dieser sonst so herrlichen Stadt schadet und sie zu einer
abseits von der Völkerstraße gelegenen, von allen gemiedenen
Ruinenstätte macht, scheint den aufständischen Fanatikern niemals
klar werden zu wollen.
Den wichtigsten Einschnitt im öffentlichen Leben dieser Periode bildete die
Becksche Wahlreform. Die Vorlage wurde am 23. Februar 1906 dem
Abgeordnetenhaus unterbreitet und am 26. Januar 1907 Gesetz. Sie beruhte
auf dem allgemeinen gleichen und direkten Wahlrecht.
Die Wahlberechtigung setzt voraus männliches Geschlecht, das
zurückgelegte 24. Lebensjahr, das österreichische
Staatsbürgerrecht und einjährigen Wohnsitz in der Wahlgemeinde.
Wählbar ist jeder 30 Jahre alte, seit mindestens drei Jahren im Besitz der
österreichischen Staatsbürgerschaft befindliche Wahlberechtigte. Die
Wahlen zu den Landtagen der Kronländer werden dadurch nicht
berührt. Diese bilden nach wie vor Interessenvertretungen
(Kurienwahlrecht). Für Mähren wurden nach dem Vorgang der
jüngsten Landtagswahlordnung eigene tschechische und deutsche
Wahlkreise vorgesehen. Diese Landtagswahlordnung war eine Frucht des
mährischen Ausgleichs, der zwischen den beiden
Volks- [63] stämmen 1905
geschlossen wurde. (Vgl. Rudolf von Herrnritt, "Die mährischen
Ausgleichsgesetze und das Nationalitätsrecht" in der Österreichischen
Rundschau Bd. VI, Heft 4.)
Der mährische Ausgleich ist in mehr als einer Hinsicht vorbildlich. In den
national nicht geteilten Kurien des Großgrundbesitzes, sowie der
Handels- und Gewerbekammern erscheint das Proportionalwahlrecht
durchgeführt, wodurch auch der Minderheit eine entsprechende Vertretung
gesichert ist. Noch wertvoller gestaltet sich die Organisation des Landtags nach
nationalen Kurien. Für die Städte, die Landgemeinden und die
allgemeine Wählerklasse gibt es getrennte Wahlkataster. Jeder
Wähler hat zu entscheiden, ob er zum deutschen oder zum tschechischen
Wahlkataster gehören will. Andererseits werden im Landtag für die
Wahlen innerhalb dieser Körperschaft (Landesausschuß und
Vertretung der Landesanstalten) neben der Kurie der
Großgrundbesitz-Abgeordneten zwei nationale Kurien für die
übrigen Abgeordneten gebildet.
Nach dem Muster des böhmischen Gesetzes von 1890, das die Trennung
des Landesschulrats verfügte, sind die mährischen
Schulaufsichtsbehörden zum Teil aus Vertretern der beiden
Volksstämme zusammengesetzt, also zur Wahrung der nationalen
Interessen da. Das Gesetz über die Geschäftssprache der autonomen
Behörden endlich ordnet, unbeschadet des Selbstbestimmungsrechtes, das
den autonomen Körperschaften zusteht, den sprachlichen Verkehr im
allgemeinen nach dem Grundsatz: Die Sprache der Eingabe ist für diejenige
der Erledigung maßgebend. Dieses Gesetz könnte nun freilich in ganz
Böhmen nicht angewendet werden, denn Böhmen hat ein
geschlossenes deutsches Sprachgebiet, während Mähren fast
überall, vor allem in den Städten, eine Mischung beider
Volksstämme aufweist.
Die Becksche Wahlreform war den Tschechen auf den Leib geschnitten. Von den
516 Wahlkreisen gehörten 107 dem tschechischen Sprachgebiet an, den
Deutschen in ganz Österreich dagegen fielen bloß 233 Mandate zu, so
daß die Deutschen auch bei vollständiger Geschlossenheit nie mehr
die Mehrheit besitzen können.
Ferner erschienen die Landbezirke zum Vorteil der Industriebezirke
zurückgesetzt. Das hatte die Folge, daß die internationale
Sozialdemokratie zu größerem Einfluß kam als der
erbgesessene deutsche Bauernstand. Dieser wurde überhaupt
möglichst an die Wand gedrückt. Und so erhielten von den 233
deutschen Mandaten die Sozialdemokraten 50 und die mehr oder minder national
gesinnten deutschen Parteien 180, der Rest, [64] drei Wiener
Demokraten, ist mehr zur sozialdemokratischen Partei zu zählen als zum
deutschen Block. Von diesen 180 deutschen Abgeordneten gehören 96 der
christlichsozialen Partei, die übrigen dem deutschfreiheitlichen
Nationalverband an. Die Tschechen verfügen über 28 Agrarier, 17 Klerikale,
26 Jung- und Alttschechen und 9 radikale tschechischnationale Sozialisten,
abgesehen von den Sozialdemokraten.
Böhmen hat 55 deutsche und 75 tschechische, zusammen 130 Wahlbezirke;
Mähren hat 19 deutsche und 30 tschechische, zusammen 49 Wahlbezirke;
Schlesien hat 9 deutsche, 2 tschechische und 4 polnische, zusammen 15 Wahlbezirke.
In Böhmen wurden abgegeben 425 136 deutsche (davon 173 120
sozialdemokratische) und 678 493 tschechische (davon 278 132
sozialdemokratische) Stimmen.
In Mähren wurden abgegeben 131 304 deutsche (davon 43 308
sozialdemokratische) und 326 344 tschechische (davon 101 524
sozialdemokratische) Stimmen.
In Schlesien wurden abgegeben 49 928 deutsche (davon 21 509
sozialdemokratische), 26 252 tschechische (davon 20 243 sozialdemokratische)
und 29 547 polnische (davon 13 377 sozialdemokratische) Stimmen.
Faßt man das gesamte deutsche Volk Österreichs ins Auge, so
verfügen die Christlichsozialen über die größte
Wählermasse, nämlich über 719 655 Stimmen, ihnen folgen im
weiten Abstand die folgenden Parteien, die Sozialdemokraten mit 507 805, die
Deutschnationalen mit 151 385, die Agrarier mit 146 131, die
Deutschfortschrittlichen mit 116 524, die Deutschradikalen mit 85 560, die Wilden
(Demokraten) mit 19 228 und die Freisozialisten mit 6 207 Wählern.
Die Christlichsozialen als überhaupt stärkste Partei des Parlaments
haben denn auch in den Abgeordneten Richard Weiskirchner und Robert Pattai
die ersten Präsidenten des neuen Volkshauses gestellt. Beide sind Wiener
und deutschgesinnte Männer.
Im allgemeinen kann man sagen, daß der deutschfreiheitliche
Nationalverband die deutschen Gebiete der Sudetenländer beherrscht,
wahrend die Christlichsozialen über die deutschen Alpenländer (mit
Wien) verfügen.
Die Regierungen seit Badeni bemühten sich, den verfahrenen Staatskarren
ins rechte Geleise zu bringen. Über ihre Versuche, [65] die nationale Frage zu
lösen, schrieb kürzlich Ferdinand Erbgraf von und zu
Trauttmannsdorff einen allgemein orientierenden vortrefflichen Aufsatz, "Zur
Sprachenfrage" (Österreichische Rundschau Bd. XVIII, Heft 5).
Nach der Aufhebung der Badenischen Sprachenverordnungen war Gautsch mit
solchen hervorgetreten, aber auch diese wurden zurückgezogen, und so
besteht heute nur die Stremayrsche Verordnung von 1880 zu Recht. In
Wirklichkeit allerdings haben sich die Verhältnisse zugunsten der
Tschechen verschoben, daher diese von der 1880er Verordnung gar nichts mehr
wissen wollen, während die Deutschen an den ihrer Nationalität
darin zugesicherten Rechten festhalten. Die tschechische Gewaltpolitik via facti
schreckt vor keiner noch so unberechtigten Forderung zurück, und die
deutschen Ideologen geraten so immer mehr ins Hintertreffen.
Badeni hatte die deutsche Amtssprache auf die landesfürstlichen Kassen
und Ämter, die mit Geld gebaren, hinsichtlich der Kassenjournale,
Kassenausweise und aller sonstigen Kassenbehelfe, die von Zentralorganen zur
Ausübung der Kontrolle oder Zusammenstellung periodischer Nachweise
benutzt werden, sowie auf den innern Dienstgang der
Post- und Telegraphenämter und der unmittelbar der Zentralleitung
unterstellten ärarischen Anstalten beschränken wollen. Hierbei war
die Sprache der Ureingabe bestimmend für die ganze weitere
Behandlung.
In Gautschens Verordnung wurde zwischen Verkehrssprache einerseits und
innerer und äußerer Amtssprache andererseits zu unterscheiden
gesucht. Gautsch erkannte sprachlich getrennte Bezirke an und suchte
festzustellen, wann ein Amtsbezirk sprachlich einheitlich oder sprachlich
gemischt sei. In sprachlich einheitlichen Amtsbezirken sollte die
ortsübliche Umgangssprache als Amtssprache gelten, in sprachlich
gemischten dagegen sowohl die deutsche, als auch die tschechische. Die von
Badeni den Tschechen zugestandene innere tschechische Amtssprache nahm
Gautsch also nicht zurück, er beschränkte sie jedoch auf das
tschechische und gemischtsprachige Gebiet.
Die Deutschen gaben die innere deutsche Amtssprache, die ja noch von Stremayr
beibehalten worden war, denn nur im Verkehr mit Parteien und autonomen
Behörden ließ er die beiden Landessprachen gleichmäßig
gelten, weder den tschechischen Wünschen, noch der Regierung ohne
weiteres preis. Sie setzten Gautsch heftigen Widerstand entgegen, so daß
nach Aufhebung seiner Sprachenverordnung theoretisch wieder der Stremayrsche
Erlaß in Kraft trat. Praktisch dagegen war der deutsche Widerstand
erfolglos. Denn die tschechischen Beamten kümmerten sich nicht
darum.
[66] Ministerpräsident
Körber legte 1900 je ein Sprachengesetz für Böhmen und
Mähren, sowie einen Gesetzentwurf, betreffend die Kreiseinteilung
Böhmens, dem Abgeordnetenhaus vor. Danach sollte es in den sprachlich
einheitlichen Bezirken nur eine äußere und innere Amtssprache
geben. Die Verhandlungssprache sollte die des Amtes sein, dagegen Aussagen
von Zeugen zum Unterschied von den letzten Verordnungen nicht in der Sprache
des Vernommenen, sondern in der Amtssprache protokolliert werden, auf Grund
der Übersetzung, die ein anwesender, sprachlich befähigter Beamter
anzufertigen hätte. Ebenso wären Eintragungen in öffentliche
Bücher im Gegensatze zu den erwähnten Verordnungen in der
Amtssprache zu vollziehen gewesen. Schließlich hätten die
staatlichen Behörden im Verkehr mit den autonomen sich ihrer eigenen
Sprache bedienen können, während nach den letzten Erlassen die
Sprache der autonomen Behörden maßgebend war.
Wichtig in Körbers Gesetzentwurf ist die Neuerung, daß nur Parteien,
die nicht durch einen Advokaten oder Notar vertreten sind, bei Eingaben die der
Amtssprache des einsprachigen Bezirks abweichende Landessprache gebrauchen
dürfen. Die tschechischen Advokaten sollten in Zukunft bei rein deutschen
Ämtern zu Tschechisierungszwecken keine tschechischen Eingaben mehr zu
machen berechtigt sein.
Für die politische Landesstelle galt nach Körber überall da, wo
keine sprachlich gesonderten Abteilungen vorhanden waren, die gleiche
Anwendung beider Sprachen. Weitgehender war die sprachliche Scheidung beim
Oberlandesgericht, wo für jedes der beiden einsprachigen Gebiete je eine
Abteilung gebildet werden sollte. Die Vorschriften für Kassen,
Post- und Telegraphenämter blieben aufrecht.
Körber dachte diese Bestimmungen nicht im Verordnungsweg
durchzuführen, sondern als Gesetze ein für allemal festzulegen. Auch
hierin kam er den deutschen Forderungen am nächsten von allen seinen
Vorgängern. Die Tschechen erklärten Körbers
Vorschläge für unannehmbar. Und mit ihrem Schöpfer fielen
auch sie in die Versenkung.
Die jüngsten Vorlagen des Ministeriums Bienerth vom 3. Februar
1909 betrafen 1. die Regelung des Sprachengebrauches bei den staatlichen
Behörden im Königreiche Böhmen und 2. die
Errichtung von Kreisregierungen im Königreiche Böhmen und die
hierdurch notwendigen Änderungen in der Organisation der politischen
Verwaltung. Sie sollten von beiden Häusern beraten und genehmigt werden
und später Gesetzeskraft erlangen. Un- [67] erhörte
tschechische Exzesse führten jedoch zum vorzeitigen Schluß der
Session, so daß die Entwürfe heute noch unerledigt sind.
Die Regierung legte ihren Vorlagen einen eingehenden Motivbericht bei, von dem
der Hauptteil im Wortlaut folgen möge:
Die Regelung des Sprachengebrauches
bei den staatlichen Behörden Böhmens.
Der erstgenannte Gesetzentwurf umfaßt 38 Paragraphen. Er trägt dem
Zuge nach Verminderung der nationalen Reibungsflächen durch
möglichste territoriale Scheidung der nationalen Interessensphären
Rechnung, sieht aber gleichzeitig vor, daß jeder Bewohner des Landes in
seiner Sprache mit allen Behörden mündlich und schriftlich
verkehren kann und in der von ihm angewandten Landessprache beschieden
wird.
Im Wege genauer Arrondierung national
geschlossener – einsprachiger – Verwaltungsgebiete erhält die Vorlage 139 einsprachig
böhmische, 95 einsprachig deutsche und 5 zweisprachige
Bezirksgerichtssprengel; die Prager Bezirksgerichte gelten ebenfalls als
zweisprachig. Dadurch wird die Abänderung einer Anzahl von Sprengeln,
sowie die Errichtung von 14 neuen Bezirksgerichten notwendig. Die neuen
Bezirksgerichte werden sein: Bauschowitz,
Böhmisch-Rothwasser, Groß-Zdikau, Krems, Platz, Stankau,
Wällischbirken und Welleschin (einsprachig böhmisch); Abtsdorf,
Buchen, Gießhübel, Gradlitz, Neumark und Schönbrunn
(einsprachig deutsch). Die Bezirksgerichtssprengel sind bestimmend für
den sprachlichen Charakter der Verwaltungsbezirke. Erstreckt sich der
Wirkungskreis einer Behörde nicht über den Sprengel eines
Bezirksgerichtes hinaus, so ist die sprachliche Eigenschaft des Bezirksgerichtes
auch für diese Behörden maßgebend. Behörden, deren
Wirksamkeit sich auf die Sprengel mehrerer Bezirksgerichte erstreckt, sind
zweisprachig, wenn eins dieser Gerichte anderssprachig oder zweisprachig ist. Die
Bestimmungen des Gesetzes gelten für die
Gerichts- und staatsanwaltschaftlichen, sowie für die den Ministerien des
Innern, der Finanzen, des Handels, des Ackerbaues und der öffentlichen
Arbeiten unterstehenden Behörden.
Die Prager Polizeidirektion gilt als zweisprachig.
Einsprachige Behörden.
Die einsprachigen Behörden bedienen sich in der Regel ihrer Amtssprache;
um aber auch den anderssprachigen Parteien die Möglichkeit unmittelbaren
Verkehres mit der Behörde zu [68] geben, ist es vorgesehen,
daß sie Anbringungen in ihrer Sprache machen können. Die
Erledigung erfolgt sodann in der Sprache der Eingabe. So weit sich bei
mündlichen Verhandlungen eine Partei der anderen Landessprache bedient,
hat die Verhandlung in der Art vor sich zu gehen, daß der Partei, und zwar
womöglich durch den Verhandlungsleiter selbst, das volle
Verständnis der Verhandlung und eine die volle Wahrung ihrer Rechte und
Interessen verbürgende Mitwirkung daran gesichert werde. Verhandlung
und Verhandlungsprotokoll werden in der Sprache der Behörde
geführt. Anderssprachige Äußerungen der Parteien, Zeugen,
Sachverständigen und Auskunftspersonen werden, soweit es auf den
Wortlaut ankommt, auf Antrag oder von Amts wegen in der Sprache der
abgegebenen Erklärung beurkundet und dem Protokolle beigelegt.
Entscheidungen, Beschlüsse und Verfügungen, die auf Grund einer
solchen Verhandlung ergehen, sind der Partei auf ihr Ansuchen in ihrer Sprache
auszufertigen. Das gleiche gilt auch für das strafgerichtliche Verfahren,
insbesondere für Anklageschriften, die dem Beschuldigten stets in der von
ihm gebrauchten Landessprache auszufertigen sind. Die Eintragungen in die
öffentlichen Bücher und Register werden in der Amtssprache
vollzogen; im Falle eines anderssprachigen Ansuchens ist auch in dieser Sprache
der Inhalt der Eintragung beizufügen und die Intabulationsklausel auf
Urkunden beizusetzen. In Auszüge aus den öffentlichen
Büchern sind auch diese Eintragungen auf Verlangen der Partei
aufzunehmen. Die amtlichen Bekanntmachungen ergehen in der Regel in der
Amtssprache, haben aber in Gemeinden, welche sich der anderen Landessprache
als Amtssprache bedienen, auch in der anderen Sprache zu erfolgen. Aufschriften,
Amtssiegel und Stampiglien richten sich nach der Amtssprache.
Zweisprachige Behörden.
Bei den zweisprachigen Behörden erfolgt der mündliche und
schriftliche Verkehr mit den Parteien in deren Sprache. Bei mündlichen
Verhandlungen, an denen mehrere sich nicht derselben Landessprache bedienende
Parteien beteiligt sind, ist ein Abkommen der Parteien über die Sprache
zulässig, in der die Verhandlung zu führen ist und die
Entscheidungen auszufertigen sind. Wird ein solches Einverständnis nicht
erzielt, dann ist in beiden Landessprachen zu verhandeln und zu protokollieren.
Die Entscheidungen und Beschlüsse kommen in der Sprache des ersten
Anbringens ins Protokoll. Zeugenaussagen und ähnliche Auskünfte
sind in der Landessprache, in der sie abgegeben worden, [69] zu protokollieren. Die
gleichen Bestimmungen finden sinngemäß auch auf das
strafgerichtliche Verfahren Anwendung. Bei Amtshandlungen, die von der
Behörde spontan eingeleitet werden, hat die Sprache zur Anwendung zu
gelangen, welche die jeweils berührten Personen sprechen. Ist diese
Sprache nicht bekannt, so hat die Behörde die Sprache zu gebrauchen, die
von der Mehrheit der Bevölkerung im Aufenthaltsorte der Partei
gesprochen wird. Die Partei kann übrigens innerhalb dreier Tage eine
neuerliche Ausfertigung in der anderen Landessprache verlangen. Die Tage vom
Anbringen dieses Begehrens bis zur Zustellung der neuen Ausfertigung sind in die
laufenden Fristen nicht einzurechnen und vor der Zustellung der verlangten
Übersetzung darf keine Verhandlung in der Sache stattfinden. Amtliche
Bekanntmachungen, Aufschriften, Siegel und Stampiglien sind zweisprachig; an
erster Stelle gelangt die Sprache der nationalen Mehrheit des Sprengels zur
Anwendung. Eintragungen in die öffentlichen Bücher und Register,
sowie die Auszüge daraus erfolgen in der Sprache des Anbringens.
Zweisprachige Behörden, deren Amtsbezirk die Sprengel mehrerer
Bezirksgerichte und darunter auch solche einsprachiger Gerichte umfaßt,
haben bei Amtshandlungen, die nach der örtlichen Zuständigkeit
dem Sprengel eines einsprachigen Gerichtes angehören, im
äußeren Dienstverkehre nach den für den einsprachigen Bezirk
geltenden Normen vorzugehen.
Innere Dienstsprache.
Im inneren Dienste gebrauchen die einsprachigen Behörden ihre
Amtssprache, die zweisprachigen in Parteisachen die im äußeren
Dienstverkehr in der gleichen Angelegenheit ausschließlich oder
vorwiegend zur Verwendung gekommene Sprache, in allen Nichtparteisachen die
der Beschaffenheit des Falles angemessene Sprache. Das gleiche gilt von
Eintragungen in das Einreichungsprotokoll und in die Register und Vormerke.
Ausgenommen sind hier wie überhaupt in allen Stücken die in
Angelegenheiten der bewaffneten Macht geführten Aufzeichnungen, sowie
der gesamte Dienstverkehr mit den militärischen Behörden und der
Gendarmerie; bei diesen wie in den zur Vorlage an die Zentralstellen bestimmten
staatspolizeilichen Berichten hat es bei der Anwendung der deutschen Sprache zu
verbleiben. Im Verkehre mit allen im Lande befindlichen nichtmilitärischen
Staatsbehörden bedienen sich die einsprachigen Behörden ihrer
Amtssprache, die zweisprachigen jedoch im Verkehre mit einsprachigen
Behörden deren Amtssprache, die zweisprachigen Behörden deren
Amts- [70] sprache, im Verkehre
mit zweisprachigen Behörden der Sprache, in der die Angelegenheit
behandelt wird, sonst der der Beschaffenheit des Falles angemessenen Sprache.
Mit Gemeinden innerhalb des Amtssprengels verkehren die Behörden in
deren Amtssprache; gegenüber auswärtigen autonomen Organen
bedienen sich die einsprachigen Behörden der Amtssprache, die
zweisprachigen Behörden der Amtssprache der autonomen Organe. Im
Verkehre mit den Behörden außerhalb Böhmens hat es bei der
Anwendung der deutschen Sprache zu verbleiben. Das gilt insbesondere vom
Verkehre zwischen den Landesstellen des Königreiches Böhmen und
den Zentralstellen, sowie von dem in Ausnahmsfällen sich ergebenden
unmittelbaren Verkehre zwischen diesen Stellen und den Behörden der
ersten Instanz.
Die Landesbehörden.
Für die Landesbehörden gelten die für zweisprachige
Behörden aufgestellten Grundsätze. Den untergeordneten
Behörden gegenüber ist deren Amtssprache, bei zweisprachigen
Behörden die dem betreffenden Falle angemessene Sprache
anzuwenden.
Beim Oberlandesgericht in Prag sind die Angelegenheiten der einsprachigen
Behörden in besonderen einsprachigen Senaten zu erledigen, denen auch
die in erster Instanz nur in einer Sprache verhandelten Angelegenheiten der
zweisprachigen Behörde zuzuweisen sind. Alle anderen Fälle sind
Senaten zuzuweisen, die aus Mitgliedern der einsprachigen Senate, die beider
Landessprachen kundig sind, zusammengesetzt werden.
Für alle Personal- und Disziplinar-Angelegenheiten der Beamten, Notare
und Diener sind in gleicher Weise gesonderte Senate bzw. Kommissionen zu
bestellen. In den Kommissionen für die einsprachig böhmischen und
für die einsprachig deutschen Gerichte sind auch die Vorschläge zur
Besetzung der Ratsstellen beim Oberlandesgerichte zu beraten. Entsprechend
diesen beiden Gruppen sind zwei Vizepräsidenten zu bestellen. Bei
Verhandlung und Entscheidung in
Partei-Angelegenheiten hat sich das Oberlandesgericht nach den Vorschriften zu
richten, die für die Verhandlung in der ersten Instanz maßgebend
waren; in Sachen, die beim Oberlandesgericht in erster Instanz anhängig
werden, ist nach den für die zweisprachigen Behörden aufgestellten
Vorschriften zu verfahren.
Die sprachliche Befähigung der
Beamten.
Bei den einsprachigen Behörden dürfen nur Beamte angestellt
werden, welche die Amtssprache in Wort und Schrift [71] beherrschen und von
denen mit Rücksicht auf die Umgangssprache der Mehrheit der
Bevölkerung eine allen Anforderungen des Dienstes entsprechende
Verwendung zu erwarten ist. Für die im Gesetz vorgesehene Anwendung
der anderen Landessprache bei einsprachigen Behörden soll durch Beamte
vorgesorgt werden, die diesen Anforderungen entsprechen und überdies der
anderen Landessprache mächtig sind. Bei den zweisprachigen
Behörden ist für eine dem Dienstbedarf entsprechende Zahl von
Beamten, die beider Landessprachen mächtig sind, Sorge zu tragen.
Aufteilung der Stellen nach dem nationalen
Schlüssel.
Als Grundsatz hat zu gelten, daß das Verhältnis der Volkszahl der
beiden das Königreich Böhmen bewohnenden Volksstämme
für die Aufteilung der Gesamtzahl der staatlichen Beamten
maßgebend sein soll. Zu diesem Zwecke sind die alljährlich für
die einzelnen Verwaltungszweige erforderlichen Beamten mit Beachtung der
für den Eintritt in den Staatsdienst vorgeschriebenen Bedingungen in
diesem Verhältnisse aufzunehmen. Diese Bestimmung gilt auch bei der
Aufnahme von Bewerbern um eine Anstellung im Staatseisenbahndienste. Die
Vorstände der Landesbehörden haben darauf zu sehen, daß
auch innerhalb der einzelnen Dienstzweige die Aufnahme der Beamten nach dem
angegebenen Grundsätze erfolge. Sind diese Vorschriften aus Mangel an
geeigneten Bewerbern nicht durchführbar, so kann eine entsprechende
Ausgleichung in einem der nächsten Jahre vorgenommen werden.
Weiter verbreitet sich der ministerielle Motivenbericht über die
Prüfung der sprachlichen Befähigung durch einsprachige
Kommissionen, erklärt dann besondere Bestimmungen für den
Kassen-, Rechnungs- und Postdienst und wendet sich schließlich den
geplanten Kreisregierungen zu. Besonders erfolgreich dürfte sich das
Studium der zweiten Landessprache durch Einführung von
Diensteszulagen erweisen, ein Moment, das allein schon den
staatsmännischen Weitblick und Wirklichkeitssinn der Bienerthschen
Vorlagen bekundet.
Der Gesetzentwurf, betreffend die Kreisregierungen, bestimmt nach dem Wortlaut
des Motivenberichtes, daß in Böhmen für den Bereich der
politischen Verwaltung in unmittelbarer Unterordnung unter die Statthalterei
zwanzig Kreisregierungen errichtet werden, und zwar zehn einsprachig
tschechische in Časlau, Choudim, Gitschin, Jungbunzlau, Klattau,
Königgrätz, Pisek, [72] Prag (Umgebung),
Schlan und Tabor, sechs einsprachig deutsche in Eger, Krumau, Leitmeritz,
Reichenberg, Saaz und Trautenau und vier zweisprachige in Brüx,
Budweis, Landskron und Pilsen. Die Hauptstadt Prag ist von der Kreiseinteilung
ausgenommen. An der Spitze jedes Kreises steht der Kreisgerichtspräsident
(5. Rangklasse), dem ein Statthaltereirat als Stellvertreter zugeteilt ist.
Ferner ist den Kreisregierungen nach Bedarf das nötige
Konzepts-, Fach-, Kanzlei- und Dienerpersonal zuzuweisen. Es wird also eine
außerordentliche Vermehrung der Beamtenstellen eintreten.
Die Kreisregierungen erhalten alle bisher der Statthaltern zugewiesenen Agenden,
die nicht ausdrücklich der Statthalterei vorbehalten werden.
Außerdem überwacht die Kreisregierung die ihr unterstehenden
politischen Bezirksbehörden und regelt deren
Geschäftsführung. Sie entscheidet über Berufungen gegen die
im politisch-administrativen Wirkungsbereiche getroffenen Entscheidungen und
Verfügungen der ihr unterstehenden politischen Bezirksbehörden,
sofern eine Berufung zulässig und nicht ausdrücklich der
Statthalterei vorbehalten ist; gegen Straferkenntnisse, welche die Kreisregierungen
im Punkte der Schuld bestätigt, ist eine weitere Berufung nicht
zulässig, sofern nicht ein Landesgesetz eine gegenteilige Vorschrift enthält.
Überdies sind Entscheidungen der Kreisregierungen in denjenigen
Fällen endgültig, in denen bisher die Statthalterei endgültig zu
entscheiden hatte. Die Entscheidungen der Statthalterei in dritter Instanz, sowie in
zweiter Instanz, wenn die erste Entscheidung von Kreisregierungen gefällt
wurde, sind endgültig. Die Ministerien behalten ihren bisherigen
Wirkungskreis.
Die Bienerthschen Vorlagen erkennen wohl die nationale Abgrenzung, aber nicht
die von den Deutschen geforderte nationale Zweiteilung Böhmens an. Die
Tschechen erhalten eine Reihe von Zugeständnissen auf dem Gebiet der
inneren tschechischen Amtssprache, vor allem bei den
Post- und Telegraphenanstalten. Doch hat ja die Regierung den Deutschen nicht
zugemutet, die Vorlagen in Bausch und Bogen anzunehmen, sondern will sie nur
als Grundlage weiterer Beratungen betrachtet wissen. Diese sind infolge des
staatsrechtlichen Chauvinismus innerhalb der tschechischen Parteien bis heute
unmöglich gewesen, obwohl die Deutschen gern bereit sind, im Dienste des
gemeinsamen österreichischen Vaterlandes vieles von dem zu opfern, was
ihre Väter als unveräußerliches Recht verteidigt haben. Sie
sind in ihren Hoffnungen und Wünschen so bescheiden geworden,
daß sie sich schon mit dem Grundsatz der nationalen Abgrenzung zu
be- [73] freunden geneigt sind,
um nur ihre Sprache und ihre Scholle im geschlossenen Sprachgebiet zu
retten.
Die Tschechen mögen bedenken, daß kecker Übermut immer
noch seinen Rächer in der Geschichte gefunden hat. Ein allzu straff
gespannter Bogen bricht. Ihre maßlosen Forderungen können sie
leicht eines Tages vor die Notwendigkeit stellen, einen Ausgleich zu
schließen, der ihnen von jemand anderem diktiert wird als von einer ihnen
wohlgesinnten Regierung.
Die Deutschen aber müssen in der gegenwärtigen Zeitlage alles
Trennende beiseite schieben. In diesem Sinn haben sich der jetzige deutsche
Landsmannminister Gustav Schreiner, der deutschnationale Führer Karl
Freiherr von Chiari und andere hervorragende Abgeordnete mehr als einmal
ausgesprochen. Und der gewesene Ackerbauminister Alfred Ebenhoch, der den
Anschluß der deutschen Konservativen an die Christlichsozialen zustande
gebracht hat, fand in dem jüngsten offenen Brief an seine Wähler die
rechten Worte: "Leider zeigt es sich, daß die slawischen Parteien immer
mehr den Kampf um ihr Recht in einen Kampf gegen die Rechte der Deutschen in
Österreich verwandeln. Die Einsprachigkeit der öffentlichen
Ankündigungen in Prag, nunmehr auch in Laibach, die Bedrückung der
Deutschen in Prag und anderen böhmischen Städten, der Kampf
gegen die deutsche Vermittlungssprache im Parlamente, das zielbewußte
Vordrängen der Tschechen in Wien und anderwärts beweisen das zur
Genüge. Diesen das allgemeine Wohl unterwühlenden Bestrebungen
gegenüber ist es natürlich, daß sich die Deutschen ohne Unterschied
der Partei zusammenscharen, um unter gemeinsamer Flagge diesen Ansturm
abzuschlagen und die Rechte des deutschen Volkes in Österreich
ungeschwächt zu erhalten."
Für die Deutschen in Österreich gibt es nur ein Mittel, sich selbst zu helfen
und den Feinden Achtung einzuflößen, die Einigung aller
Volksgenossen, welche Weltanschauung auch immer sie teilen mögen, zu
einem gemeinsamen starken Bunde, dem deutschen Block.
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