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XV. Die Angleichung   (Forts.)

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Verwaltung
Dr. Egbert Mannlicher, Senatspräsident des Verwaltungsgerichtshofes (Wien)

Verwaltungsorganisation • Die untersten Instanzen der allgemeinen staatlichen Verwaltung in Österreich und im Reich • Die Gemeindeverwaltungen • Verwaltungsgerichtsbarkeit • Verwaltungsrecht • Nationale und internationale Rechtsangleichung • Rechtsgleichheit und Rechtsannäherung • Rechtsangleichung und Rechtsentwicklung • Notwendigkeit der Annäherung in der grundsätzlichen Einstellung zu den allgemeinen Rechtsproblemen • Verwaltungsverfahrensgesetzgebung • "Verrechtlichung" und "Politisierung" der Verwaltung • Mittel für die Rechtsangleichung.

Es ist eine Folge der äußeren Hindernisse, die der Vereinigung zwischen dem Reich und Österreich entgegenstehen, daß das Problem der Angleichung ihres Rechtes und ihrer Einrichtungen überhaupt in der Form entstehen konnte, in der es uns tatsächlich beschäftigen muß. Bei natürlichem Verlauf der Dinge würde diese Angleichung sich zum Teile zugleich mit der staatlichen Vereinigung vollziehen, zum Teile der Vereinigung überhaupt erst nachfolgen. Unter dem Zwange der gegebenen besonderen Umstände aber soll sie eine Vorstufe der späteren staatlichen Vereinigung, in gewissem Sinne vielleicht auch ein vorläufiger Ersatz hiefür sein. Das macht das Problem ungleich schwieriger. An die Stelle der andernfalls bereits vorhandenen Gemeinsamkeit der staatlichen Willensbildung muß in diesem Vorstadium der jeweilige freie Entschluß beider Staaten treten. Für den Bereich der Verwaltung sind die dadurch verursachten Schwierigkeiten besonders groß, denn noch mehr als bei der Justiz spielen hier politische, kulturelle, gesellschaftliche und wirtschaftliche Erwägungen herein, die eine übereinstimmende Willensbildung beider Teile erschweren. Dies erklärt, warum bei der Verwaltung – so erfreulich einzelne Ergebnisse auch sein mögen – im allgemeinen von bedeutsameren Maßnahmen und Bestrebungen zur Angleichung bisher leider noch nicht gesprochen werden kann.

Wenn nun im folgenden in die nähere Besprechung der Fragen eingegangen werden soll, die bei der Angleichung der Verwaltung hauptsächlich in Betracht kommen, so muß von vornherein eine Trennung vorgenommen und einerseits das Gebiet der Verwaltungsorganisation, anderseits das des Verwaltungsrechtes ins Auge gefaßt werden. Für jedes der beiden Gebiete sind andere Gesichtspunkte maßgebend, auf beiden hat sich das Problem der Angleichung schon bisher abweichend gestaltet und wird es auch in Hinkunft verschieden zu beurteilen sein.

[478] Was zunächst die Angleichung auf dem Gebiet der Verwaltungsorganisation1 anbelangt, so hängen die Dinge, soweit es sich um die oberen Stufen der allgemeinen Verwaltung – die Ministerialinstanz und die Mittelinstanzen – handelt, aufs engste mit den verfassungsrechtlichen Problemen zusammen. Die näheren Erörterungen in dieser Hinsicht gehören daher zur Betrachtung der Anschlußfrage vom Standpunkt des Verfassungsrechtes, die im Rahmen des vorliegenden Werkes den Gegenstand eines eigenen Aufsatzes bildet. Wohl aber sollen hier die Verhältnisse rücksichtlich der unteren Stufen der allgemeinen Verwaltung, der untersten Instanz der allgemeinen staatlichen Verwaltung und der Gemeindeverwaltung, besprochen werden.

Die unterste Instanz der allgemeinen staatlichen Verwaltung wird im Reich (wenn an das für den größeren Teil den reichsdeutschen Länder typische Verwaltungssystem Preußens gedacht wird) durch die Landratsämter, in Österreich durch die Bezirkshauptmannschaften dargestellt. In diesem Punkte besteht der grundlegende verwaltungsorganisatorische Unterschied gegenwärtig darin, daß im Reich die allgemeine staatliche Verwaltung unterster Instanz organisatorisch mit der Kommunalverwaltung verbunden ist, indem dem Träger der staatlichen Verwaltung (dem Landrat) zugleich auch die Führung der Geschäfte des für denselben Sprengel gebildeten Kommunalverbandes (des Kreises) zukommt, während in Österreich eine solche Verbindung mangelt und der Leiter der staatlichen Verwaltung (der Bezirkshauptmann) ausschließlich auf die Aufgaben dieser Verwaltung beschränkt ist, was auch dort gilt, wo – wie in Niederösterreich und in Steiermark – ausnahmsweise Ansätze zu Kommunalverbänden, die sonst überhaupt fehlen, gegeben sind. Dazu kommt, daß im Reich der aus der Gesamtvertretung des Kommunalverbandes gewählte Ausschuß (der Kreisausschuß) auch an bestimmten Aufgaben der staatlichen Verwaltung mitzuwirken hat, wogegen in Österreich die allgemeine staatliche Verwaltung in der untersten Stufe rein bureaukratisch eingerichtet ist. Im Zusammenhang damit steht noch der weitere sehr wesentliche Unterschied, daß im Reich diese [479] Ausschüsse – ähnlich überdies auch die in der Mittelstufe bei den Regierungen bestehenden Bezirksausschüsse – zugleich als sogenannte Verwaltungsgerichte tätig werden und damit die Verwaltungsgerichtsbarkeit, die in Österreich in der Gestalt eines einzigen Gerichtes, des Verwaltungsgerichtshofes, über die ganze Verwaltung gesetzt ist, im Reich in ihrem Unterbau in die Verwaltung eingebaut ist. Hinter der in Rede stehenden, an und für sich organisatorischen Verschiedenheit verbirgt sich allerdings auch eine grundsätzlich abweichende Auffassung von dem Wesen der Verwaltungsgerichtsbarkeit, die im Reich mehr als eine besondere Form der Erledigung bestimmter, im Wege der Enumeration aus dem Bereich der Verwaltungstätigkeit herausgegriffener Angelegenheiten, in Österreich hingegen als eine nach Erschöpfung des Instanzenzuges der Verwaltung einsetzende, auf eine Generalklausel gegründete Kontrolle der gesamten Verwaltung auf ihre Gesetzmäßigkeit durch den unabhängigen Richter angesehen wird.2

Auch bei der Gemeindeverwaltung liegen hinsichtlich ihrer Stellung im Organismus der Verwaltung recht erhebliche Unterschiede vor. Im Reich (vor allem in Preußen) sind die Gemeinden viel straffer in den Gesamtorganismus der Verwaltung eingegliedert. Die Stellung der österreichischen Gemeinde ist demgegenüber aus historischen Gründen, die mit den besonderen Verhältnissen des alten Österreich zusammenhängen,3 eine viel freiere und unabhängigere. Die Aufsichtsrechte der höheren Verwaltungsinstanzen sind auf das Mindestmaß der unbedingt notwendigen Einflußnahme eingeschränkt. Obwohl die Behörden der allgemeinen staatlichen Verwaltung in den Ländern mit dem Übergang zum Bundesstaat Landesbehörden geworden sind, kommt der untersten staatlichen Verwaltungsbehörde, der Bezirkshauptmannschaft, auch heute noch fast ausschließlich nur die Aufsicht hinsichtlich der Gesetzmäßigkeit der Gemeindeverwaltung zu. Im übrigen sind die Gemeinden, soweit eine Aufsicht über ihre Verwaltung überhaupt vorgesehen ist, unmittelbar der höheren Verwaltungsbehörde, der Landesregierung, unterstellt. Die leitenden Organe der Gemeindeverwaltung werden immer nur auf [480] die gleiche Dauer wie die Gemeindevertretung selbst (regelmäßig vier Jahre) gewählt. Nur ganz vereinzelt enthalten die Gemeindeordnungen Bestimmungen, die auch die Wahl anderer Personen für zulässig erklären, sonst muß die Wahl bei sämtlichen Gemeinden aus dem Kreise der Mitglieder der Gemeindevertretung vorgenommen werden, ohne daß für diese Wahl irgendwelche besondere Bedingungen aufgestellt wären. Die Besetzung der Posten der leitenden Organe der Gemeindeverwaltung durch fachlich besonders qualifizierte Persönlichkeiten, die auf eine längere Periode von wo immer her auf diese Posten berufen werden, ist dem österreichischen Rechte völlig fremd.

Obgleich die Verhältnisse, wie sie auch heute im Reich bestehen, zeigen, daß auf dem Gebiet der Verwaltungsorganisation immerhin größere Verschiedenheiten möglich sind, ohne die gesamtstaatliche Einheitlichkeit in Frage zu stellen, so muß es doch als recht bedauerlich angesehen werden, daß dieses Gebiet im Rahmen der Rechtsannäherungsbestrebungen bisher noch so gut wie vollständig vernachlässigt geblieben ist. Nicht einmal entsprechende Vorarbeiten durch mündliche oder schriftliche Erörterung der gegenständlichen Probleme liegen noch vor. Nur hinsichtlich der mit der Verwaltungsgerichtsbarkeit zusammenhängenden Fragen hat sich gelegentlich, und zwar beim Dritten deutschen Juristentag in der Tschechoslowakei,4 ein schwacher Ansatz zu einem solchen vorbereitenden Meinungsaustausch gezeigt, aber auch er ist mehr oder minder im Sande verlaufen. Bei einer zielbewußten Rechtsangleichungsarbeit auf dem Gebiet der Verwaltung werden jedoch die oben berührten Fragen auf die Dauer nicht ganz beiseite gelassen werden können. Das anzustrebende Ziel scheint ziemlich eindeutig vorgezeichnet zu sein: Die Schaffung von Kommunalverbänden in organisatorischer Verbindung mit der untersten Stufe der allgemeinen staatlichen Verwaltung und die Ermöglichung einer gewissen Mitwirkung von gewählten Vertretern der Bevölkerung an den Aufgaben der letzteren wird voraussichtlich auch in Österreich auf längere Sicht nicht zu umgehen sein, obwohl hier die mitspielenden finanziellen Fragen und die eigenartigen politischen Verhältnisse hinsichtlich des [481] Zeitpunktes einer solchen Reform zu einer besonderen Vorsicht mahnen. In dieser Richtung wird im allgemeinen das reichsdeutsche Vorbild maßgebend sein können, selbstverständlich auch hinsichtlich der einheitlichen Führung der gesamten Verwaltung durch den beamteten Leiter der staatlichen Verwaltung sowie hinsichtlich Art und Ausmaß der Mitwirkung der gewählten Vertreter an staatlichen Verwaltungsangelegenheiten.5 Ebenso wird sich bei der Neuordnung der Gemeindeverwaltung in Österreich die möglichste Annäherung an die reichsdeutschen Verhältnisse angezeigt erweisen. Hingegen dürfte, was die Verwaltungsgerichtsbarkeit betrifft, dem österreichischen System sowohl vom rechtstheoretischen als vom praktischen Standpunkt aus – um die verschiedenen Funktionen im staatlichen Organismus richtig abzugrenzen und dadurch eine Betätigung ohne gegenseitige Reibungen zu ermöglichen – der entschiedene Vorzug zukommen. Auch im Reich selbst werden die derzeitigen Verhältnisse auf dem Gebiet der Verwaltungsgerichtsbarkeit allgemach als unbefriedigend befunden6 und immer mehr scheint sich die Auffassung durchzuringen, daß der Zustand, wonach einzelne Teile der Landesverwaltung, namentlich aber fast die ganze Reichsverwaltung sozusagen "verwaltungsgerichtsbarkeitsfrei" sind, gegenüber den Notwendigkeiten eines Rechtsstaates in keiner Weise gerechtfertigt werden könne. Die Angleichung an die österreichische Auffassung und Konstruktion der Verwaltungsgerichtsbarkeit, mit der, wie nebenbei bemerkt sei, bei größeren staatlichen Territorien gegebenenfalls auch eine in Instanzen geteilte Organisation vereinbar ist, wäre geeignet, mit einem Schlage Klärung zu schaffen. Hiezu kommt, daß die österreichische Idee der Verwaltungsgerichtsbarkeit überdies noch den Weg zu einer Fortentwicklung im Sinne des weiteren Ausbaues der [482] Rechtsstaatlichkeit weist, eine Entwicklung, der gerade in der heutigen Zeit eine besondere Bedeutung beizumessen ist.7

Verhältnismäßig Günstigeres gilt, was das in der Richtung der Rechtsangleichung bereits Erreichte oder Angebahnte anbelangt, für das zweite hier zu besprechende Gebiet, für das Verwaltungsrecht, das ist bezüglich der verschiedenen materiellrechtlichen und formalrechtlichen (verfahrensrechtlichen) Vorschriften, die für die Tätigkeit der Verwaltungsbehörden maßgebend sind. In dieser Hinsicht sind doch schon wenigstens manche erfreuliche Einzelerfolge zu verzeichnen. Darüber Näheres zu bringen, soll jedoch nicht der Gegenstand der nachfolgenden Ausführungen sein; für die wichtigsten hier in Betracht kommenden Teilgebiete des Verwaltungsrechtes enthält das vorliegende Werk ja ohnedies besondere Aufsätze von berufenerer Seite. Vielmehr dürfte es angezeigt sein, einmal das ganze Problem der Angleichung des Verwaltungsrechtes von einem allgemeinen Standpunkt aus zu behandeln.

Die Bestrebungen zur Rechtsangleichung zwischen dem Reich und Österreich laufen in gewissem Sinne parallel mit einer Richtung, die sich heutzutage in der Rechtsentwicklung überhaupt zeigt. Es ist unverkennbar, daß die gesamte internationale Rechtsentwicklung seit einiger Zeit – sowohl als Folge der Pionierarbeit der Rechtswissenschaft und der verschiedenen Fachkongresse als auch unter dem immer mächtiger werdenden Drucke der Bedürfnisse des Wirtschaftslebens – einen ausgesprochenen Zug zur Rechtsannäherung aufweist. Diese allgemeine Richtung kommt sicherlich auch der Rechtsangleichung innerhalb der gegenwärtig staatlich getrennten Teile des deutschen Volkes zugute. Man muß sich aber immer dessen bewußt bleiben, daß beides strenge auseinanderzuhalten ist. Sowenig sich das deutsche Volk – es kann dies nicht oft und scharf genug betont werden – auf staatspolitischem Gebiet durch Vorspiegelung entfernter Zukunftsideen, wie "Vereinigte Staaten von Europa", "Paneuropa" u. dgl., irgendwie davon ablenken lassen darf, vor allem einmal und geradezu als erste Vorbedingung für die Befassung mit solchen weiter gesteckten Zielen seine staatliche Einheit zu suchen, ebensowenig darf [483] es sich durch den allgemeinen Zug der Rechtsannäherung in der internationalen Rechtsentwicklung darin beirren lassen, auch auf dem Gebiet des Rechtes zunächst die Dinge im eigenen Hause zu bestellen, ja es muß sogar gerade in dieser Entwicklung einen besonderen Ansporn dafür sehen, in der Angleichung seines nationalen Rechtes möglichst rasche Fortschritte zu machen.

Eine sehr wichtige Frage bei der Rechtsangleichung zwischen dem Reich und Österreich ist die, welcher Weg am besten und sichersten zum Ziel führt. Es seien in dieser Hinsicht im Interesse der Idee der Rechtsangleichung einige ganz offene Worte gestattet, wenn sie auch vielleicht etwas von der herrschenden Ansicht abweichen. Bisher wurde immer der Weg beschritten, daß auf gewissen Teilgebieten des Rechtes, auf denen die Verhältnisse für eine Rechtsangleichung besonders günstig zu liegen scheinen, sogleich die volle Rechtsgleichheit durch Erlassung wörtlich übereinstimmender Vorschriften angestrebt wurde. So ist dies z. B. auf dem Gebiet des Eisenbahnverkehrsrechtes der Fall gewesen und – um auch ein Beispiel aus dem Bereich der Justizgesetzgebung zu nehmen, denn die nachfolgenden Ausführungen sind ganz allgemein für das gesamte Recht gemeint – gegenwärtig auf dem Gebiet des Strafrechtes nicht anders. Soweit eine solche volle, gewissermaßen wortwörtliche Rechtsgleichheit mit einem Schlage erreicht werden kann, ist dies sicherlich besonders erfreulich. Man darf aber nicht übersehen, daß dieser Vorgang allgemein überhaupt nicht eingehalten werden kann und auch dort, wo er zunächst sich als durchführbar erweist, für die Zukunft gewisse Gefahren in sich zu bergen scheint. Das Rechtssystem eines Staates ist ein großes Ganzes, das gerade in der heutigen Zeit tausenderlei innere Verflechtungen und Verwachsungen aufweist. Änderungen auf einem Teilgebiet des Rechtes greifen daher immer in alle möglichen anderen Teilgebiete über oder müssen notwendigerweise von dem auf diesen geltenden Recht beeinflußt werden. Unter diesen Umständen ist jede Gesetzesänderung bekanntlich heute schon immer ein schwieriges innenstaatliches Problem. Um wieviel größer sind aber die Schwierigkeiten, wenn es sich gleichzeitig um die verschiedenen Rechtssysteme zweier politisch getrennter Staaten handelt! Das ist nicht eine Addition, sondern eine Potenzierung der Schwierigkeiten. Es ist daher zu befürchten, daß die Gebiete des Rechtes, auf denen diese Schwierigkeiten besonders in Erscheinung treten, vorläufig von allen Rechtsangleichungsbestrebungen überhaupt ausge- [484] schlossen bleiben, weil eben eine volle Rechtsgleichheit gegenwärtig nicht durchführbar ist und ein anderer Weg zur Herbeiführung der Rechtsannäherung nicht beschritten wird. Aber auch dort, wo es mit aller Beharrlichkeit und mit allem juristischen Scharfsinn gelingt, der geschilderten Schwierigkeiten für den Augenblick Herr zu werden, bleibt – abgesehen von der Möglichkeit einer verschiedenen Rechtsauslegung und Rechtsanwendung in der Praxis der beiden Staaten – noch immer die Gefahr, daß die mühsam erreichte Rechtsgleichheit durch die Rückwirkungen einer einseitigen Gesetzesänderung auf einem anderen Teilgebiet wieder in Brüche geht und damit die Rechtsangleichung einen Rückschlag erfährt, der sich mindestens ideologisch sehr ungünstig auswirken würde. Deshalb möge man zwar auf einzelnen Gebieten, wo diese Gefahr vielleicht nicht so besonders groß ist, auch weiterhin – allerdings mit entsprechender Vorsicht – die volle Rechtsgleichheit anstreben, im allgemeinen aber einen anderen Weg beschreiten, der, selbst wenn er auf den ersten Blick weiter zu sein scheint, doch der viel sicherere ist und deshalb letzten Endes am raschesten zum Ziele zu führen vermag: der Weg, vor allem eine gleiche grundsätzliche Einstellung, diese aber auf der ganzen Linie der Rechtsentwicklung herbeizuführen. Maßgebend hiebei ist der Gedanke, daß es für das Endziel aller Rechtsangleichung ungleich wertvoller ist, eine immer fortschreitende Annäherung in der geistigen Grundeinstellung zu sämtlichen Rechtsproblemen unserer Zeit zu erreichen, als auf einzelnen Teilgebieten, die manchmal recht weit von den wirklich entscheidenden Fragen liegen mögen, zu einer vollen Rechtsgleichheit zu kommen, deren dauernder Bestand nach dem oben Gesagten, je länger es bis zur staatlichen Vereinigung währt, um so unsicherer erscheint. Durch die fortschreitende Annäherung in der geistigen Grundeinstellung zu den verschiedenen Rechtsproblemen wird mittelbar, dabei aber zweifellos viel verläßlicher das bewirkt, was bei der ganzen Frage der Rechtsangleichung das Allerwichtigste ist: daß die gesamte Rechtsentwicklung in beiden Staaten in der Richtung zweier konvergierender Linien verläuft, die sich – dieses sinnvolle Bild wurde von Ministerialrat Dr. Pfaundler bei einem Vortrag im Rahmen der "Deutschen Vereinigung für staatswissenschaftliche Fortbildung" gebraucht – schon zufolge eines geometrischen Gesetzes einmal in der Zukunft treffen müssen!

Es kann leider nicht geleugnet werden, daß es, was die Annäherung in der grundsätzlichen Einstellung zu den verschiedenen [485] Rechtsproblemen anbelangt, heute in vielfacher Beziehung noch sehr fehlt und gerade in dieser Richtung eine große Arbeit zu leisten ist. Auch hier ist vor allem wieder die Verwaltung das besondere Sorgenkind der Rechtsangleichung. Ja, es muß, um ganz offen zu sein, gesagt werden, daß sogar in der Grundauffassung von dem Wesen der Verwaltung ein durchgreifender Unterschied zwischen dem Reich und Österreich zu bestehen scheint. In Österreich hat die Verwaltung – bereits seit längerer Zeit, namentlich aber in den letzten Jahren – eine ausgesprochene Entwicklung in der Richtung einer ständigen Vertiefung des Rechtsstaatsgedankens genommen. Die schon in den früheren Ausführungen erwähnte Ausgestaltung der Verwaltungsgerichtsbarkeit, ganz besonders aber die Verwaltungsverfahrensgesetzgebung des Jahres 1925,8 die für alle Verwaltungssachen ohne Unterschied eine gewisse Justizförmigkeit des Verfahrens mit sich gebracht hat, sind Marksteine auf diesem Wege. Immer mehr sieht das österreichische Recht auch in der Verwaltung nichts anderes als konkrete Rechtsanwendung, die sich von der Justiz nur dadurch unterscheidet, daß sie nicht in den Händen unabhängiger Organe – der Richter – liegt, sondern unter der Rechtskontrolle durch die Verwaltungsgerichtsbarkeit von parlamentarisch verantwortlichen Organen – den Ministern – und an deren Weisungen gebundenen Organen – den Verwaltungsbeamten – besorgt wird. Infolge dieser Entwicklung, insbesondere aber seit der ausdrücklichen gesetzlichen Festlegung der Rechtskraft der Verwaltungsakte (§ 68 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes) kann in gewissem Sinne geradezu von einer Ebenbürtigkeit der durch die Verwaltungsgerichtsbarkeit gekrönten Verwaltung mit der Justiz im heutigen österreichischen Rechtssystem gesprochen werden. Das reichsdeutsche Recht steht in allen diesen grundsätzlichen Fragen auf einem anderen Standpunkt. Bei diesem Gegensatz muß es daher naturgemäß als die erste Vorarbeit für eine zielbewußte Rechtsangleichung erscheinen, zunächst einmal in den erwähnten Grundfragen die gemeinsame große Richtlinie zu finden und dann von hier aus die Rechtsannäherung auf den verschiedenen Teilgebieten der Verwaltung zu betreiben. Anderenfalls besteht die Gefahr, daß sich der gegenwärtig vorhandene Gegensatz bei allen Rechtsangleichungsaktionen auf dem Gebiet des Verwaltungsrechtes immer wieder aufs neue im einzelnen geltend machen [486] würde. Ob der Zug der allgemeinen verwaltungsrechtlichen Entwicklung mehr in der Richtung liegt, die sie in Österreich genommen hat, soll an dieser Stelle nicht näher erörtert werden. Es sei nur noch darauf hingewiesen, daß die österreichische Entwicklung wesentlich von dem Gedanken geleitet wurde, daß die fortschreitende "Verrechtlichung" der Verwaltung berufen sei, ein Gegengewicht gegen die immer bedenklicher werdenden Erscheinungen der "Politisierung" der Verwaltung zu bilden, und sie in diesem Sinne die Aufgabe habe, eine wirksame Sicherung gegen die Gefahren des demokratischen Systems, damit aber zugleich ein Schutz für dieses System selbst zu sein.

Begreiflicherweise ist die Frage sehr naheliegend, mit welchen Mitteln eine solche Annäherung in der grundsätzlichen Einstellung zu den verschiedenen Rechtsproblemen, wie ihr im obigen als wichtigster Voraussetzung einer zielbewußten Rechtsangleichung das Wort geredet wurde, am besten zu erreichen ist. Die Antwort hierauf scheint nicht schwer zu sein: durch ständige geistige und auch persönliche Fühlungnahme aller jener, die diesseits und jenseits der Grenzen mit diesen Problemen wissenschaftlich und praktisch befaßt sind, vor allem aber derjenigen, denen die legislative Arbeit in den Ämtern und in den Parlamenten zukommt. Gelingt es, auf diese Weise durch systematisches Vorgehen eine gemeinsame Grundeinstellung in den wesentlichsten Fragen zu erzielen, dann ist der Idee der Rechtsangleichung viel mehr gedient als durch vereinzelte gleiche Gesetze auf mehr oder minder ausgefallenen Teilgebieten, denn dann wird, wenn der ersehnte Tag der staatlichen Vereinigung zwischen dem Reich und Österreich kommt, ohne Schwierigkeit der Vollzug der Rechtsgleichheit auf der ganzen Linie möglich sein!


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1Einen sehr anschaulichen Vergleich der Organisation der Verwaltung, wie sie im Reich und in Österreich gegenwärtig besteht, enthält die treffliche Arbeit von Gebhard: Deutsche und Österreichische Organisation der inneren Verwaltung, Denkschrift des Rechtsausschusses der Deutsch-Österreichischen Arbeitsgemeinschaft (J. Schweitzer Verlag, München 1927). ...zurück...

2Vgl. hiezu die näheren Ausführungen in der Abhandlung von Mannlicher: "Die österreichische Verfassung und Verwaltung," im 1. Sonderheft der Zeitschrift Reich und Länder, S. 27 und 28. ...zurück...

3Diese Gründe sind in der in Anmerkung 2 bezeichneten Abhandlung auf Seite 5 angedeutet. ...zurück...

4Siehe die Verhandlungen des Dritten deutschen Juristentages in der Tschechoslowakei zu Pfingsten 1927 (im Druck erschienen im Sudetendeutschen Verlag bei Franz Kraus in Reichenberg, 1927) zur Frage der "Reform der Verwaltungsgerichtsbarkeit", insbesondere die Referate von Drews (S. 214 bis 228) und Mannlicher (S. 228 bis 242). ...zurück...

5Vgl. hiezu die derzeit noch nicht durchgeführten Bestimmungen der Art. 115 ff. des österreichischen Bundes-Verfassungsgesetzes, Bundesgesetzblatt Nr. 1 von 1930, sowie die Regierungsvorlage betreffend den Entwurf für ein Bezirksvertretungsgesetz (Nr. 196 der Beilagen zu den Verhandlungen des österreichischen Nationalrates, I. Gesetzgebungsperiode, 1921), womit bis zum Inkrafttreten der vorerwähnten Bestimmungen des Bundes-Verfassungsgesetzes ein Provisorium, im wesentlichen nach reichsdeutschem Muster, geschaffen werden sollte. ...zurück...

6In dieser Hinsicht ist u. a. auf die eingehende Aussprache über das Thema: Der Schutz des öffentlichen Rechts durch ordentliche und durch Verwaltungsgerichte, bei der Tagung der deutschen Staatsrechtslehrer in Leipzig im Jahre 1925 zu verweisen (Veröffentlichungen der Vereinigung der deutschen Staatsrechtslehrer, Heft 2, erschienen bei Walter de Gruyter & Co., Berlin 1925). ...zurück...

7Siehe hiezu die Ausführungen von Mannlicher im Referat auf dem in Anmerkung 4 erwähnten Dritten deutschen Juristentag in der Tschechoslowakei (S. 233 bis 235), aber auch schon im Aufsatz: "Die österreichische Verwaltungsreform des Jahres 1925," in der Zeitschrift für öffentliches Recht, Band V, 1926 (S. 387 bis 390). ...zurück...

8Siehe hiezu den bereits in Anmerkung 7 bezogenen Aufsatz in der Zeitschrift für öffentliches Recht. ...zurück...

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Die Anschlußfrage
in ihrer kulturellen, politischen und wirtschaftlichen Bedeutung

Friedrich F. G. Kleinwaechter & Heinz von Paller