XV. Die Angleichung
(Forts.)
[477]
Verwaltung
Dr. Egbert Mannlicher, Senatspräsident des
Verwaltungsgerichtshofes (Wien)
Verwaltungsorganisation Die untersten Instanzen
der allgemeinen staatlichen Verwaltung in Österreich und im
Reich Die Gemeindeverwaltungen
Verwaltungsgerichtsbarkeit Verwaltungsrecht
Nationale und internationale Rechtsangleichung
Rechtsgleichheit und Rechtsannäherung
Rechtsangleichung und Rechtsentwicklung Notwendigkeit der
Annäherung in der grundsätzlichen Einstellung zu den
allgemeinen Rechtsproblemen
Verwaltungsverfahrensgesetzgebung "Verrechtlichung" und
"Politisierung" der Verwaltung Mittel für die
Rechtsangleichung.
Es ist eine Folge der äußeren Hindernisse, die der Vereinigung
zwischen dem Reich und Österreich entgegenstehen, daß das
Problem der Angleichung ihres Rechtes und ihrer Einrichtungen überhaupt
in der Form entstehen konnte, in der es uns tatsächlich beschäftigen
muß. Bei natürlichem Verlauf der Dinge würde diese
Angleichung sich zum Teile zugleich mit der staatlichen Vereinigung vollziehen,
zum Teile der Vereinigung überhaupt erst nachfolgen. Unter dem Zwange
der gegebenen besonderen Umstände aber soll sie eine Vorstufe der
späteren staatlichen Vereinigung, in gewissem Sinne vielleicht auch
ein vorläufiger Ersatz hiefür sein. Das macht das Problem ungleich
schwieriger. An die Stelle der andernfalls bereits vorhandenen Gemeinsamkeit der
staatlichen Willensbildung muß in diesem Vorstadium der jeweilige freie
Entschluß beider Staaten treten. Für den Bereich der Verwaltung sind
die dadurch verursachten Schwierigkeiten besonders groß, denn noch mehr
als bei der Justiz spielen hier politische, kulturelle, gesellschaftliche und
wirtschaftliche Erwägungen herein, die eine übereinstimmende
Willensbildung beider Teile erschweren. Dies erklärt, warum bei der
Verwaltung – so erfreulich einzelne Ergebnisse auch sein
mögen – im allgemeinen von bedeutsameren Maßnahmen und
Bestrebungen zur Angleichung bisher leider noch nicht gesprochen werden
kann.
Wenn nun im folgenden in die nähere Besprechung der Fragen eingegangen
werden soll, die bei der Angleichung der Verwaltung hauptsächlich in
Betracht kommen, so muß von vornherein eine Trennung vorgenommen
und einerseits das Gebiet der Verwaltungsorganisation, anderseits das des
Verwaltungsrechtes ins Auge gefaßt werden. Für jedes der beiden
Gebiete sind andere Gesichtspunkte maßgebend, auf beiden hat sich das
Problem der Angleichung schon bisher abweichend gestaltet und wird es auch in
Hinkunft verschieden zu beurteilen sein.
[478] Was zunächst
die Angleichung auf dem Gebiet der Verwaltungsorganisation1 anbelangt, so hängen die Dinge,
soweit es sich um die oberen Stufen der allgemeinen
Verwaltung – die Ministerialinstanz und die
Mittelinstanzen – handelt, aufs engste mit den verfassungsrechtlichen
Problemen zusammen. Die näheren Erörterungen in dieser Hinsicht
gehören daher zur Betrachtung der Anschlußfrage vom Standpunkt
des Verfassungsrechtes, die im Rahmen des vorliegenden Werkes den Gegenstand
eines eigenen Aufsatzes bildet. Wohl aber sollen hier die Verhältnisse
rücksichtlich der unteren Stufen der allgemeinen Verwaltung, der untersten
Instanz der allgemeinen staatlichen Verwaltung und der Gemeindeverwaltung,
besprochen werden.
Die unterste Instanz der allgemeinen staatlichen Verwaltung wird im Reich (wenn
an das für den größeren Teil den reichsdeutschen Länder
typische Verwaltungssystem Preußens gedacht wird) durch die
Landratsämter, in Österreich durch die Bezirkshauptmannschaften
dargestellt. In diesem Punkte besteht der grundlegende
verwaltungsorganisatorische Unterschied gegenwärtig darin, daß im
Reich die allgemeine staatliche Verwaltung unterster Instanz organisatorisch mit
der Kommunalverwaltung verbunden ist, indem dem Träger der staatlichen
Verwaltung (dem Landrat) zugleich auch die Führung der Geschäfte
des für denselben Sprengel gebildeten Kommunalverbandes (des Kreises)
zukommt, während in Österreich eine solche Verbindung mangelt
und der Leiter der staatlichen Verwaltung (der Bezirkshauptmann)
ausschließlich auf die Aufgaben dieser Verwaltung beschränkt ist,
was auch dort gilt,
wo – wie in Niederösterreich und in
Steiermark – ausnahmsweise Ansätze zu
Kommunalverbänden, die sonst überhaupt fehlen, gegeben sind.
Dazu kommt, daß im Reich der aus der Gesamtvertretung des
Kommunalverbandes gewählte Ausschuß (der Kreisausschuß)
auch an bestimmten Aufgaben der staatlichen Verwaltung mitzuwirken hat,
wogegen in Österreich die allgemeine staatliche Verwaltung in der
untersten Stufe rein bureaukratisch eingerichtet ist. Im Zusammenhang damit steht
noch der weitere sehr wesentliche Unterschied, daß im Reich diese [479]
Ausschüsse – ähnlich überdies auch die in der
Mittelstufe bei den Regierungen bestehenden
Bezirksausschüsse – zugleich als sogenannte Verwaltungsgerichte
tätig werden und damit die Verwaltungsgerichtsbarkeit, die in
Österreich in der Gestalt eines einzigen Gerichtes, des
Verwaltungsgerichtshofes, über die ganze Verwaltung gesetzt ist,
im Reich in ihrem Unterbau in die Verwaltung eingebaut ist. Hinter der
in Rede stehenden, an und für sich organisatorischen Verschiedenheit
verbirgt sich allerdings auch eine grundsätzlich abweichende Auffassung
von dem Wesen der Verwaltungsgerichtsbarkeit, die im Reich mehr als eine
besondere Form der Erledigung bestimmter, im Wege der Enumeration aus dem
Bereich der Verwaltungstätigkeit herausgegriffener Angelegenheiten, in
Österreich hingegen als eine nach Erschöpfung des Instanzenzuges
der Verwaltung einsetzende, auf eine Generalklausel gegründete Kontrolle
der gesamten Verwaltung auf ihre Gesetzmäßigkeit durch den
unabhängigen Richter angesehen wird.2
Auch bei der Gemeindeverwaltung liegen hinsichtlich ihrer Stellung im
Organismus der Verwaltung recht erhebliche Unterschiede vor. Im Reich (vor
allem in Preußen) sind die Gemeinden viel straffer in den
Gesamtorganismus der Verwaltung eingegliedert. Die Stellung der
österreichischen Gemeinde ist demgegenüber aus historischen
Gründen, die mit den besonderen Verhältnissen des alten
Österreich zusammenhängen,3 eine viel freiere und
unabhängigere. Die Aufsichtsrechte der höheren
Verwaltungsinstanzen sind auf das Mindestmaß der unbedingt notwendigen
Einflußnahme eingeschränkt. Obwohl die Behörden der
allgemeinen staatlichen Verwaltung in den Ländern mit dem
Übergang zum Bundesstaat Landesbehörden geworden sind, kommt
der untersten staatlichen Verwaltungsbehörde, der Bezirkshauptmannschaft,
auch heute noch fast ausschließlich nur die Aufsicht hinsichtlich der
Gesetzmäßigkeit der Gemeindeverwaltung zu. Im übrigen sind
die Gemeinden, soweit eine Aufsicht über ihre Verwaltung
überhaupt vorgesehen ist, unmittelbar der höheren
Verwaltungsbehörde, der Landesregierung, unterstellt. Die leitenden
Organe der Gemeindeverwaltung werden immer nur auf [480] die gleiche Dauer wie
die Gemeindevertretung selbst (regelmäßig vier Jahre)
gewählt. Nur ganz vereinzelt enthalten die Gemeindeordnungen
Bestimmungen, die auch die Wahl anderer Personen für zulässig
erklären, sonst muß die Wahl bei sämtlichen Gemeinden aus
dem Kreise der Mitglieder der Gemeindevertretung vorgenommen werden, ohne
daß für diese Wahl irgendwelche besondere Bedingungen aufgestellt
wären. Die Besetzung der Posten der leitenden Organe der
Gemeindeverwaltung durch fachlich besonders qualifizierte
Persönlichkeiten, die auf eine längere Periode von wo immer her auf
diese Posten berufen werden, ist dem österreichischen Rechte völlig
fremd.
Obgleich die Verhältnisse, wie sie auch heute im Reich bestehen, zeigen,
daß auf dem Gebiet der Verwaltungsorganisation immerhin
größere Verschiedenheiten möglich sind, ohne die
gesamtstaatliche Einheitlichkeit in Frage zu stellen, so muß es doch als
recht bedauerlich angesehen werden, daß dieses Gebiet im Rahmen der
Rechtsannäherungsbestrebungen bisher noch so gut wie vollständig
vernachlässigt geblieben ist. Nicht einmal entsprechende Vorarbeiten durch
mündliche oder schriftliche Erörterung der gegenständlichen
Probleme liegen noch vor. Nur hinsichtlich der mit der
Verwaltungsgerichtsbarkeit zusammenhängenden Fragen hat sich
gelegentlich, und zwar beim Dritten deutschen Juristentag in der
Tschechoslowakei,4 ein schwacher Ansatz zu einem solchen
vorbereitenden Meinungsaustausch gezeigt, aber auch er ist mehr oder minder im
Sande verlaufen. Bei einer zielbewußten Rechtsangleichungsarbeit auf dem
Gebiet der Verwaltung werden jedoch die oben berührten Fragen auf die
Dauer nicht ganz beiseite gelassen werden können. Das anzustrebende Ziel
scheint ziemlich eindeutig vorgezeichnet zu sein: Die Schaffung von
Kommunalverbänden in organisatorischer Verbindung mit der untersten
Stufe der allgemeinen staatlichen Verwaltung und die Ermöglichung einer
gewissen Mitwirkung von gewählten Vertretern der Bevölkerung an
den Aufgaben der letzteren wird voraussichtlich auch in Österreich auf
längere Sicht nicht zu umgehen sein, obwohl hier die mitspielenden
finanziellen Fragen und die eigenartigen politischen Verhältnisse
hinsichtlich des [481] Zeitpunktes einer
solchen Reform zu einer besonderen Vorsicht mahnen. In dieser Richtung wird im
allgemeinen das reichsdeutsche Vorbild maßgebend sein können,
selbstverständlich auch hinsichtlich der einheitlichen Führung der
gesamten Verwaltung durch den beamteten Leiter der staatlichen Verwaltung
sowie hinsichtlich Art und Ausmaß der Mitwirkung der gewählten
Vertreter an staatlichen Verwaltungsangelegenheiten.5 Ebenso wird sich bei der Neuordnung
der Gemeindeverwaltung in Österreich die möglichste
Annäherung an die reichsdeutschen Verhältnisse angezeigt erweisen.
Hingegen dürfte, was die Verwaltungsgerichtsbarkeit betrifft, dem
österreichischen System sowohl vom rechtstheoretischen als vom
praktischen Standpunkt
aus – um die verschiedenen Funktionen im staatlichen Organismus richtig
abzugrenzen und dadurch eine Betätigung ohne gegenseitige Reibungen zu
ermöglichen – der entschiedene Vorzug zukommen. Auch im Reich
selbst werden die derzeitigen Verhältnisse auf dem Gebiet der
Verwaltungsgerichtsbarkeit allgemach als unbefriedigend befunden6 und immer mehr scheint sich die
Auffassung durchzuringen, daß der Zustand, wonach einzelne Teile der
Landesverwaltung, namentlich aber fast die ganze Reichsverwaltung sozusagen
"verwaltungsgerichtsbarkeitsfrei" sind, gegenüber den Notwendigkeiten
eines Rechtsstaates in keiner Weise gerechtfertigt werden könne. Die
Angleichung an die österreichische Auffassung und Konstruktion der
Verwaltungsgerichtsbarkeit, mit der, wie nebenbei bemerkt sei, bei
größeren staatlichen Territorien gegebenenfalls auch eine in
Instanzen geteilte Organisation vereinbar ist, wäre geeignet, mit einem
Schlage Klärung zu schaffen. Hiezu kommt, daß die
österreichische Idee der Verwaltungsgerichtsbarkeit überdies noch
den Weg zu einer Fortentwicklung im Sinne des weiteren Ausbaues der [482] Rechtsstaatlichkeit
weist, eine Entwicklung, der gerade in der heutigen Zeit eine besondere
Bedeutung beizumessen ist.7
Verhältnismäßig Günstigeres gilt, was das in der
Richtung der Rechtsangleichung bereits Erreichte oder Angebahnte anbelangt,
für das zweite hier zu besprechende Gebiet, für das
Verwaltungsrecht, das ist bezüglich der verschiedenen
materiellrechtlichen und formalrechtlichen (verfahrensrechtlichen) Vorschriften,
die für die Tätigkeit der Verwaltungsbehörden
maßgebend sind. In dieser Hinsicht sind doch schon wenigstens manche
erfreuliche Einzelerfolge zu verzeichnen. Darüber Näheres zu
bringen, soll jedoch nicht der Gegenstand der nachfolgenden Ausführungen
sein; für die wichtigsten hier in Betracht kommenden Teilgebiete des
Verwaltungsrechtes enthält das vorliegende Werk ja ohnedies besondere
Aufsätze von berufenerer Seite. Vielmehr dürfte es angezeigt sein,
einmal das ganze Problem der Angleichung des Verwaltungsrechtes von einem
allgemeinen Standpunkt aus zu behandeln.
Die Bestrebungen zur Rechtsangleichung zwischen dem Reich und
Österreich laufen in gewissem Sinne parallel mit einer Richtung, die sich
heutzutage in der Rechtsentwicklung überhaupt zeigt. Es ist unverkennbar,
daß die gesamte internationale Rechtsentwicklung seit einiger
Zeit – sowohl als Folge der Pionierarbeit der Rechtswissenschaft und der
verschiedenen Fachkongresse als auch unter dem immer mächtiger
werdenden Drucke der Bedürfnisse des
Wirtschaftslebens – einen ausgesprochenen Zug zur
Rechtsannäherung aufweist. Diese allgemeine Richtung kommt sicherlich
auch der Rechtsangleichung innerhalb der gegenwärtig staatlich getrennten
Teile des deutschen Volkes zugute. Man muß sich aber immer dessen
bewußt bleiben, daß beides strenge auseinanderzuhalten ist. Sowenig
sich das deutsche
Volk – es kann dies nicht oft und scharf genug betont
werden – auf staatspolitischem Gebiet durch Vorspiegelung entfernter
Zukunftsideen, wie "Vereinigte Staaten von Europa", "Paneuropa" u. dgl.,
irgendwie davon ablenken lassen darf, vor allem einmal und geradezu als erste
Vorbedingung für die Befassung mit solchen weiter gesteckten Zielen seine
staatliche Einheit zu suchen, ebensowenig darf [483] es sich durch den
allgemeinen Zug der Rechtsannäherung in der internationalen
Rechtsentwicklung darin beirren lassen, auch auf dem Gebiet des Rechtes
zunächst die Dinge im eigenen Hause zu bestellen, ja es muß sogar
gerade in dieser Entwicklung einen besonderen Ansporn dafür sehen, in der
Angleichung seines nationalen Rechtes möglichst rasche Fortschritte zu
machen.
Eine sehr wichtige Frage bei der Rechtsangleichung zwischen dem Reich und
Österreich ist die, welcher Weg am besten und sichersten zum Ziel
führt. Es seien in dieser Hinsicht im Interesse der Idee der
Rechtsangleichung einige ganz offene Worte gestattet, wenn sie auch vielleicht
etwas von der herrschenden Ansicht abweichen. Bisher wurde immer der Weg
beschritten, daß auf gewissen Teilgebieten des Rechtes, auf denen die
Verhältnisse für eine Rechtsangleichung besonders günstig zu
liegen scheinen, sogleich die volle Rechtsgleichheit durch Erlassung
wörtlich übereinstimmender Vorschriften angestrebt wurde. So ist
dies z. B. auf dem Gebiet des Eisenbahnverkehrsrechtes der Fall gewesen
und – um auch ein Beispiel aus dem Bereich der Justizgesetzgebung zu
nehmen, denn die nachfolgenden Ausführungen sind ganz allgemein
für das gesamte Recht
gemeint – gegenwärtig auf dem Gebiet des Strafrechtes nicht anders.
Soweit eine solche volle, gewissermaßen wortwörtliche
Rechtsgleichheit mit einem Schlage erreicht werden kann, ist dies sicherlich
besonders erfreulich. Man darf aber nicht übersehen, daß dieser
Vorgang allgemein überhaupt nicht eingehalten werden kann und auch dort,
wo er zunächst sich als durchführbar erweist, für die Zukunft
gewisse Gefahren in sich zu bergen scheint. Das Rechtssystem eines Staates ist
ein großes Ganzes, das gerade in der heutigen Zeit tausenderlei innere
Verflechtungen und Verwachsungen aufweist. Änderungen auf einem
Teilgebiet des Rechtes greifen daher immer in alle möglichen anderen
Teilgebiete über oder müssen notwendigerweise von dem auf diesen
geltenden Recht beeinflußt werden. Unter diesen Umständen ist jede
Gesetzesänderung bekanntlich heute schon immer ein schwieriges
innenstaatliches Problem. Um wieviel größer sind aber die
Schwierigkeiten, wenn es sich gleichzeitig um die verschiedenen Rechtssysteme
zweier politisch getrennter Staaten handelt! Das ist nicht eine Addition, sondern
eine Potenzierung der Schwierigkeiten. Es ist daher zu befürchten,
daß die Gebiete des Rechtes, auf denen diese Schwierigkeiten besonders in
Erscheinung treten, vorläufig von allen Rechtsangleichungsbestrebungen
überhaupt ausge- [484] schlossen bleiben, weil
eben eine volle Rechtsgleichheit gegenwärtig nicht durchführbar ist
und ein anderer Weg zur Herbeiführung der Rechtsannäherung nicht
beschritten wird. Aber auch dort, wo es mit aller Beharrlichkeit und mit allem
juristischen Scharfsinn gelingt, der geschilderten Schwierigkeiten für den
Augenblick Herr zu werden,
bleibt – abgesehen von der Möglichkeit einer verschiedenen
Rechtsauslegung und Rechtsanwendung in der Praxis der beiden
Staaten – noch immer die Gefahr, daß die mühsam erreichte
Rechtsgleichheit durch die Rückwirkungen einer einseitigen
Gesetzesänderung auf einem anderen Teilgebiet wieder in Brüche
geht und damit die Rechtsangleichung einen Rückschlag erfährt, der
sich mindestens ideologisch sehr ungünstig auswirken würde.
Deshalb möge man zwar auf einzelnen Gebieten, wo diese Gefahr vielleicht
nicht so besonders groß ist, auch
weiterhin – allerdings mit entsprechender
Vorsicht – die volle Rechtsgleichheit anstreben, im allgemeinen aber einen
anderen Weg beschreiten, der, selbst wenn er auf den ersten Blick weiter zu sein
scheint, doch der viel sicherere ist und deshalb letzten Endes am raschesten zum
Ziele zu führen vermag: der Weg, vor allem eine gleiche
grundsätzliche Einstellung, diese aber auf der ganzen Linie der
Rechtsentwicklung herbeizuführen. Maßgebend hiebei ist der
Gedanke, daß es für das Endziel aller Rechtsangleichung ungleich
wertvoller ist, eine immer fortschreitende Annäherung in der geistigen
Grundeinstellung zu sämtlichen Rechtsproblemen unserer Zeit zu erreichen,
als auf einzelnen Teilgebieten, die manchmal recht weit von den wirklich
entscheidenden Fragen liegen mögen, zu einer vollen Rechtsgleichheit zu
kommen, deren dauernder Bestand nach dem oben Gesagten, je länger es
bis zur staatlichen Vereinigung währt, um so unsicherer erscheint. Durch
die fortschreitende Annäherung in der geistigen Grundeinstellung zu den
verschiedenen Rechtsproblemen wird mittelbar, dabei aber zweifellos viel
verläßlicher das bewirkt, was bei der ganzen Frage der
Rechtsangleichung das Allerwichtigste ist: daß die gesamte
Rechtsentwicklung in beiden Staaten in der Richtung zweier konvergierender
Linien verläuft, die
sich – dieses sinnvolle Bild wurde von Ministerialrat Dr. Pfaundler
bei einem Vortrag im Rahmen der "Deutschen Vereinigung für
staatswissenschaftliche Fortbildung"
gebraucht – schon zufolge eines geometrischen Gesetzes einmal in der
Zukunft treffen müssen!
Es kann leider nicht geleugnet werden, daß es, was die Annäherung
in der grundsätzlichen Einstellung zu den verschiedenen [485] Rechtsproblemen
anbelangt, heute in vielfacher Beziehung noch sehr fehlt und gerade in dieser
Richtung eine große Arbeit zu leisten ist. Auch hier ist vor allem wieder die
Verwaltung das besondere Sorgenkind der Rechtsangleichung. Ja, es muß,
um ganz offen zu sein, gesagt werden, daß sogar in der Grundauffassung
von dem Wesen der Verwaltung ein durchgreifender Unterschied zwischen dem
Reich und Österreich zu bestehen scheint. In Österreich hat die
Verwaltung – bereits seit längerer Zeit, namentlich aber in den
letzten Jahren – eine ausgesprochene Entwicklung in der Richtung einer
ständigen Vertiefung des Rechtsstaatsgedankens genommen. Die schon in
den früheren Ausführungen erwähnte Ausgestaltung der
Verwaltungsgerichtsbarkeit, ganz besonders aber die
Verwaltungsverfahrensgesetzgebung des Jahres 1925,8 die für alle Verwaltungssachen
ohne Unterschied eine gewisse Justizförmigkeit des Verfahrens mit sich
gebracht hat, sind Marksteine auf diesem Wege. Immer mehr sieht das
österreichische Recht auch in der Verwaltung nichts anderes als konkrete
Rechtsanwendung, die sich von der Justiz nur dadurch unterscheidet, daß
sie nicht in den Händen unabhängiger
Organe – der Richter – liegt, sondern unter der Rechtskontrolle durch
die Verwaltungsgerichtsbarkeit von parlamentarisch verantwortlichen
Organen – den Ministern – und an deren Weisungen gebundenen
Organen – den Verwaltungsbeamten – besorgt wird. Infolge dieser
Entwicklung, insbesondere aber seit der ausdrücklichen gesetzlichen
Festlegung der Rechtskraft der Verwaltungsakte (§ 68 des
Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes) kann in gewissem Sinne geradezu
von einer Ebenbürtigkeit der durch die Verwaltungsgerichtsbarkeit
gekrönten Verwaltung mit der Justiz im heutigen österreichischen
Rechtssystem gesprochen werden. Das reichsdeutsche Recht steht in allen diesen
grundsätzlichen Fragen auf einem anderen Standpunkt. Bei diesem
Gegensatz muß es daher naturgemäß als die erste Vorarbeit
für eine zielbewußte Rechtsangleichung erscheinen, zunächst
einmal in den erwähnten Grundfragen die gemeinsame große
Richtlinie zu finden und dann von hier aus die Rechtsannäherung auf den
verschiedenen Teilgebieten der Verwaltung zu betreiben. Anderenfalls besteht die
Gefahr, daß sich der gegenwärtig vorhandene Gegensatz bei allen
Rechtsangleichungsaktionen auf dem Gebiet des Verwaltungsrechtes immer
wieder aufs neue im einzelnen geltend machen [486] würde. Ob der
Zug der allgemeinen verwaltungsrechtlichen Entwicklung mehr in der Richtung
liegt, die sie in Österreich genommen hat, soll an dieser Stelle nicht
näher erörtert werden. Es sei nur noch darauf hingewiesen, daß
die österreichische Entwicklung wesentlich von dem Gedanken geleitet
wurde, daß die fortschreitende "Verrechtlichung" der Verwaltung berufen
sei, ein Gegengewicht gegen die immer bedenklicher werdenden Erscheinungen
der "Politisierung" der Verwaltung zu bilden, und sie in diesem Sinne die
Aufgabe habe, eine wirksame Sicherung gegen die Gefahren des demokratischen
Systems, damit aber zugleich ein Schutz für dieses System selbst zu
sein.
Begreiflicherweise ist die Frage sehr naheliegend, mit welchen Mitteln eine solche
Annäherung in der grundsätzlichen Einstellung zu den verschiedenen
Rechtsproblemen, wie ihr im obigen als wichtigster Voraussetzung einer
zielbewußten Rechtsangleichung das Wort geredet wurde, am besten zu
erreichen ist. Die Antwort hierauf scheint nicht schwer zu sein: durch
ständige geistige und auch persönliche Fühlungnahme
aller jener, die diesseits und jenseits der Grenzen mit diesen Problemen
wissenschaftlich und praktisch befaßt sind, vor allem aber derjenigen, denen
die legislative Arbeit in den Ämtern und in den Parlamenten
zukommt. Gelingt es, auf diese Weise durch systematisches Vorgehen eine
gemeinsame Grundeinstellung in den wesentlichsten Fragen zu erzielen, dann ist
der Idee der Rechtsangleichung viel mehr gedient als durch vereinzelte gleiche
Gesetze auf mehr oder minder ausgefallenen Teilgebieten, denn dann wird, wenn
der ersehnte Tag der staatlichen Vereinigung zwischen dem Reich und
Österreich kommt, ohne Schwierigkeit der Vollzug der Rechtsgleichheit
auf der ganzen Linie möglich sein!
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