[337] IX. Die
großdeutsche Wirtschaftseinheit
Dr. Herbert Kniesche, Volkswirt R. D. V.
(Wien)
Verschiedenheiten der Auffassung von Kultur-, Staats-
und Wirtschaftseinheit Versuch einer Begriffsbestimmung
und ‑klarstellung großdeutscher Wirtschaftseinheit Die
Beengtheit merkantilistischer Auffassung Die erhöhte
Beachtung des Volklichen Wechselbeziehung von Volk, Staat
und Raum zur Wirtschaft Die Auswirkung der
spezifisch-ökonomischen Strukturelemente Die
großdeutsche Wirtschaftseinheit als natürliches
Kräftefeld Die
österreichisch-deutsche Strukturhomogenität
Fehlschlüsse sonderstaatlicher Einstellung
Ganzheitliche Erfassung der Realität gesamtdeutscher
Wirtschaftseinheit Der notwendige Schritt von der
bloßen
Handels- zur allgemeinen Wirtschaftspolitik Das Gesetz des
Handelns.
Die großdeutschen Einheitsbestrebungen, die heute in ihrem Kern unter
dem Begriff, mehr noch der Forderung "Anschluß" die Wiedervereinigung
Deutschösterreichs mit dem Deutschen Reich umschließen,
erstrecken sich gleichmäßig auf alle Äußerungen des
gesellschaftlichen Lebens. Gleichmäßig, doch nicht
gleichförmig. So bereitet gewiß
die – zunächst
gedankliche – Erfassung des kulturellen und des
politisch-staatlichen Lebenskreises die allergeringste Mühe. In der
deutschen Kultureinheit, die als Einheit von Volk, Sprache und
Bildungsgut im wesentlichen naturgegeben ist, sind letztlich auch die
Triebkräfte aller Einheitsbestrebungen überhaupt verwurzelt,
wenngleich vielleicht da und dort Verflechtungen mit anderen
Kulturstämmen freigelegt und unter Umständen gerodet werden
müssen. Die deutsche Staatseinheit hinwieder hebt sich als
politisches Ziel von den augenblicklichen Verhältnissen sichtbar ab, ist
staats- und völkerrechtlich klar umrissen, ist ganz Gegenstand aller aktiven,
politischen Bewegungen und Handlungen, wie sie einem gesunden Volke von
selbst aus einem letzten Endes durchaus nicht von
Nützlichkeitsüberlegungen bestimmten Trieb zur Selbstbehauptung
innewohnen. Gegenüber dem unüberhörbar lebendigen
Pulsschlag in diesen Lebenskreisen stellt sich die Schwierigkeit begrifflicher
Fassung erst bei dem wirtschaftlichen ein.
Zweckmäßigkeitserwägungen, die in der Sphäre des
politischen Denkens und Handelns schließlich doch nur
Begleitumstände bestimmter anschaulicher Grundhaltungen darstellen,
werden für den eigentlichen Kreis der Wirtschaft vielfach geradezu zum
Um und Auf gemacht. Über der Erörterung, ob die wirtschaftliche
der staatlichen Vereinigung [338] voranzugehen oder zu
folgen habe, ob Wirtschaftseinheit als Vorstufe von Staatseinheit zu
ermöglichen und fördern sei oder ob sie von dieser etwa erst
begründet werden könne und dürfe, ist die an sich doch recht
naheliegende Überlegung fast völlig zurückgetreten, ob nicht
gerade die großdeutsche Wirtschaftseinheit als ein Lebenskreis,
der auch den kulturellen vielfach schneidet, überhaupt schon eine
Realität ist; eine Wirklichkeit vielleicht mit
Unvollkommenheiten, aber doch eben eine Tatsache mit durchaus wirksamen
Folgeerscheinungen, deren gemeinsame Erfassung und Auswertung sich nurmehr
erübrigte. So darf der Versuch einer Begriffsbestimmung
und ‑klarstellung immerhin geboten und nicht nutzlos erscheinen.
Die verbreitete Anschauung, daß
Wirtschafts- und Staatseinheit einfach identisch, daß also jene mit dieser
ohnehin beziehungsweise erst gegeben und so eigentlich auch weiter kein
Problem sei, wurzelt zutiefst in einer Wirtschaftsauffassung, die als
Merkantilismus ihre Theorien aus der durch ihre frühe Einheitlichkeit
gekennzeichneten und ununterbrochenen französischen Entwicklung
geschöpft hat. Namentlich seit dem Beginn einer neuzeitlichen Zollpolitik
und Industrieförderung mußte der Staat auch als
wirtschaftliche Einheit machtvoll in Erscheinung treten; aber doch nur da, wo er
gewissen Anforderungen an eine organische Struktur zu entsprechen vermochte.
Der Kameralismus und Merkantilismus der deutschen Kleinstaaterei des
18. Jahrhunderts konnte nur Zerrbilder wirtschaftlicher Einheiten zur Folge
haben, wovon auch Preußen bis 1819 keine Ausnahme machte,
während in den habsburgischen Ländern schon etwas früher
eine gewisse Vereinheitlichung der äußeren Wirtschaftsbedingungen
eingetreten war. So erweist sich der Staat zunächst nur im
günstigsten Falle gleichzeitig auch als Inbegriff einer höheren
wirtschaftlichen Einheit, bald aber zu weit wie etwa in Preußen vor seiner
zollpolitischen Zusammenfassung, bald auch als völlig unzureichend da,
wo etwa der Staat nur Farce eines einigermaßen ausgeglichenen
Gemeinwesens ist, ebenso aber auch dort, wo wirtschaftliche
Gemeinschaftsbildungen schließlich mehrere Staaten umfassen wie im
Deutschen Zollverein oder im Verhältnis von Österreich zu Ungarn.
Auf der Hand liegt freilich, daß eine staatliche Realität wohl die
festeste Klammer für jene Formen des Wirtschaftslebens darzustellen
vermag, die über die Einzelwirtschaften hinaus höhere
Gesellungsverbindungen eingegangen sind und als das, [339] was man gemeinhin
unter "Volkswirtschaft" versteht, notwendig gewisser Organe zur einheitlichen
Regelung mannigfacher Bedingungen und Umstände des
Wirtschaftsprozesses – vor allem rechtlicher
Art – bedürfen. Immerhin sind Rechtssätze, Zolltarife,
Handelsverträge und dergleichen Äußerungen staatlicher
Tätigkeit nur Hilfsmittel des Wirtschaftslebens, die erst seinen
Bedürfnissen folgen und allein gewiß noch nicht konstitutiv sind. Die
staatliche kann daher das Wesen der wirtschaftlichen Einheit nicht
genügend umfassen und bestimmen.
Der in der Theorie zwar immer wieder hart umstrittene, in der Praxis aber
schlechthin unentbehrliche und nur meist nicht klar genug umrissene Begriff der
"Volks"wirtschaft leitet von selbst auf einen Faktor über, dem auch im
Wirtschaftsleben neben dem Staate allerhöchste, ja grundlegende
Bedeutung zukommt. Die erhöhte Beobachtung des Volklichen in
der wirtschaftlichen Lehre und Politik mußte geradezu mit innerer
Zwangsläufigkeit besonders in jenem Deutschland entwickelt werden, das
in seiner grotesken staatlichen und wirtschaftlichen Zerrissenheit in so
schreiendem Gegensatz zu den nationalen und ökonomischen Einheiten im
Westen Europas stand und deren Anschauungen nur zu seinem Nachteil auf sich
zu übertragen versucht war. So mußte sich durch List als
Binsenweisheit erst wieder offenbaren, daß die Äußerungen des
Volkstums in gleicher Weise die stärksten Triebfedern staatlicher
Bildungen, wie die produktiven Kräfte höherer ökonomischer
Einheiten darstellen. Wenn es List nach seinem eigenen
Zeugnis – in Vorahnung der Krise rein materialistischen
Denkens – auch "schwer" fiel, "zu sagen, ob die materiellen Kräfte
mehr auf die geistigen, oder die geistigen Kräfte mehr auf die materiellen,
ob die gesellschaftlichen Kräfte mehr auf die individuellen Kräfte,
oder diese mehr auf jene wirken", so viel war ihm "aber gewiß, daß
beide in gewaltiger Wechselwirkung stehen, daß das Wachstum der einen
das Wachstum der anderen fördert". Und ganz außer Zweifel stellte er
mit seiner Lehre, daß das Volkstum an sich bereits die organische
Grundlage, das Ausgangszentrum für eine gemeinsame geistige
Grundhaltung in der Vergesellschaftung und Rechtsschöpfung, aber auch
für die gleiche Ausrichtung ökonomischer Zielsetzungen jeder Art
nach innen und außen darstelle. Das "nationale System der politischen
Ökonomie" wurde so zu einer Konzeption, in die erstmals auch der Begriff
einer volklich umrissenen Wirtschaftseinheit einzugliedern war, [340] die mehr darstellt als
eine zumeist nur schematisch dem Wirtschaftskreise eines mehr oder minder
zufällig abgegrenzten Staatswesens gleichgesetzte "Volkswirtschaft".
Freilich wollte auch List gewiß und ausdrücklich das
ökonomische nationale System von staatlicher Autonomie gekrönt
sehen, glaubte selbst es sogar
noch – wogegen ihm die Entwicklung des Deutschen Zollvereines unrecht
gegeben
hat – von ihr abhängig. In einem anderen Sinn kann allerdings des
Staates auch für eine volkliche Wirtschaftseinheit nicht gut entbehrt
werden.
Mit der Feststellung einer durch Volkseinheit gegebenen, auch ökonomisch
wirksamen Einheitlichkeit der geistigen Grundhaltung und der praktisch
wirtschaftlichen Zielsetzung einer bestimmten Menschengruppe allein ist das, was
hier unter Wirtschaftseinheit verstanden werden soll, jedenfalls noch nicht
genügend umrissen. Damit die in einer solchen Einheit lebendig wirkende
Kraft nicht nur nach außen in einen größeren,
weltwirtschaftlichen Zusammenhang ausstrahlen, sondern viel bedeutsamer noch
zu steter Erneuerung auf ihren Ursprung zurückwirken kann, bedarf es auf
alle Fälle gleichwie bei der
staatlich-politischen Organisation einer Bindung an Boden und unmittelbarer
Zusammenfassung im Raum, deren hingegen die kulturelle
Verbundenheit als primär geistige Erscheinung weitgehend entraten kann.
Gewiß gehen auch die spezifischen wirtschaftlichen Fähigkeiten
eines Volkes je nach der Stärke ihrer Ausprägung und Besonderheit
unter anderen Völkern nicht schlechthin verloren, aber sie dienen doch in
der Regel und dort, wo es nicht zu ausgesprochenen Koloniebildungen gekommen
ist, nun neben den individuellen vor allem den Interessen jener wirtschaftlicher
Einheiten, in die sie versetzt sind. Als hervorragendsten Beispieles darf hiebei des
jüdischen Elements Erwähnung getan werden, das nach Sombart
einer der wesentlichsten Mitbegründer kapitalistischen Wirtschaftens in
aller Welt geworden ist. Unzweifelhaft vermag hinwiederum auch der Raum
infolge seiner natürlichen Gegebenheiten in wirtschaftlicher Hinsicht
einheitbildend in Erscheinung zu treten, wie etwa in Nordamerika, und dann dort,
wo ursprüngliche volkliche Gegensätze und Verschiedenheiten sich
einigermaßen angeglichen haben, selbst staatsbegründend sich
auszuwirken; – ein Prozeß, auf den heute manche auch ihre
paneuropäischen Erwartungen aufbauen zu dürfen glauben. Am
stärksten wirkt allerdings auch in räumlicher Beziehung Volkstum
zusammenfassend, im ureingeborenen Drange, sich einen Platz [341] an der Sonne zu
sichern und zu behaupten, was wieder politisch eigenstaatliche Organisation am
besten erfüllt. Die freilich ist in ihrer Geschlossenheit weitgehend
von un- und außerwirtschaftlichen Künstlichkeiten, ja Zufällen
geschichtlicher Entwicklung abhängig und kann unter äußerem
Zwang auch Einbußen erleiden, die wirtschaftliche Einheitswirkungen
ernstlich in Frage stellen und besondere Maßnahmen einer entsprechend
ausgleichenden Wirtschaftspolitik nötig machen; so
etwa – bei Aufrechterhaltung der
Staatseinheit – zwischen dem Deutschen Reich und dem räumlich
abgetrennten
Ostpreußen, – bei staatlicher Trennung trotz räumlicher
Geschlossenheit – zwischen dem Reich auf der einen und Danzig, in
ähnlicher Weise auch dem Saargebiet, vor allem aber
Deutschösterreich auf der anderen Seite. So stehen Staat, Volk und Raum
in Wechselbeziehungen wie untereinander auch zu dem Wirtschaftlichen, dessen
Einheit selbst durchaus nicht als etwas starr Gegebenes, sondern nur als etwas
lebendig Funktionelles erfaßt werden kann.
Schließlich besitzt der wirtschaftliche Lebenskreis auch noch eigene
Strukturelemente, die auf seine innere Festigkeit und Geschlossenheit von
bedeutsamem Einfluß sind. Insoweit es sich dabei um die im Raume
dargebotenen natürlichen Gegebenheiten handelt, ist die strukturbildende
Kraft für spezifische Wirtschaftscharaktere der Gesamteinheiten in der
geschichtlichen Entwicklung bis an den Rand der Neuzeit außerordentlich
gering. Seit der fortschreitenden Erschließung der anorganischen Welt, der
grundstürzenden Erweckung und Befriedigung neuer Bedürfnisse
mußten dann aber auch die staatlich politisch unterstützten
Ansprüche der Völker an Ernährungsspielraum im Sinne der
Schaffung möglichst autarker Wirtschaftseinheiten eine wesentliche
Verstärkung erfahren. Freilich müssen sich diese
Wirtschaftskomplexe nun oft hart im Raume stoßen, vielfach einer
optimalen Abgrenzung und Erfüllung mit Naturkräften entbehren
und sich zum Teil überschneiden, letzten Endes daher im Verkehr
untereinander ergänzen. Wie namentlich die alte Welt keine "idealen"
Staaten hervorgebracht hat, so sind auch ihre im echten Sinn "volks"wirtschaftlich
bestimmten ökonomischen Einheiten gewiß keine völlig
ausgeglichenen Organismen, vielmehr nur Systeme mannigfaltigster Beziehungen,
die sich in mehr oder weniger glücklicher Weise und Stärke
gegenseitig verflechten, ausgleichen und fördern. Hier muß dann
wieder praktische
Wirt- [342]
schafts- auch als Handelspolitik ihre Rechte und Pflichten antreten. Es ist
gewiß ein ungemein bestechender und einer inneren Folgerichtigkeit nicht
entbehrender Gedanke, aus dem erst durch die Nachkriegsneu"ordnung" in seiner
Zerrissenheit weiter geschwächten Europa eine einzige besondere
wirtschaftliche Einheit herauszukonstruieren, die allen übrigen
Wirtschaftsmächten der Erde in ihrer Geschlossenheit kraftvoll
gegenübertreten könnte. Solange aber jene geschichtlich gewordenen
Einheiten, zu denen Völker ihren Lebensraum vermöge ihrer
gesellschaftlichen und politischen Fähigkeiten und ihrer wirtschaftlichen
Kraftreserven ausgestaltet haben, tatsächlich zuerst immer noch auf sich
selbst angewiesen sind, werden sie schon aus sich heraus
größtmögliche Kraftentfaltung und unbedingte
Selbstbehauptung auch weiterhin anstreben müssen.
Als ein solches Gebilde stellt sich nach allen bisher in großen Zügen
umrissenen Bestimmungselementen auch jenes wirtschaftliche Kraftfeld dar, das
hier unter großdeutscher Wirtschaftseinheit verstanden werden soll und das
in einem konsequenteren Sinn, als ihn gewisse Budapester und Prager
Bestrebungen zeigen, auch weitgehend mit einer mitteleuropäischen
identifiziert werden kann. Das Grundelement gleichen Volkstums ist
hier unverkennbar und unleugbar. Auch die Ausweitung des
mitteleuropäischen Raumes, seine Erfüllung mit den lebendigen
Kräften gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Gestaltung vollzieht sich im
großen und ganzen im gleichen Schritt mit der Ausdehnung des
Deutschtums, für die wieder die räumlichen Gegebenheiten
von entscheidender Bedeutung waren. Im Süden durch die Alpen stark
natürlich begrenzt, stand das Deutschtum im Westen von Anbeginn einem
dichten, frühzeitig zu kultureller und politischer Individualität und
Macht gelangten romanischen Völkerkomplex gegenüber,
wohingegen sich nach dem rassisch zunächst wohl nahezu einheitlich
slawischen, aber großer und mächtiger gesellschaftlicher Bildungen
völlig entbehrenden Osten nicht nur die Möglichkeiten der
Erschließung weiter Strecken so gut wie jungfräulichen Bodens,
sondern auch die einer Assimilierung seiner Bevölkerung eröffneten.
So war dem Deutschtum die Richtung der Betätigung seines
natürlichen Ausdehnungsdranges klar vorgezeichnet. Der so überaus
eindeutige und übersichtliche Vorgang der räumlichen Ausdehnung
und Einordnung des Deutschtums in Mitteleuropa, der schon vor rund
1000 Jahren die Länder des heutigen Deutschösterreich
unauflöslich mit dem übrigen deutschen
Volks- [343] boden verband und der
ungefähr um 1400 im wesentlichen beendet war, hat namentlich im
weiteren Verlauf der Geschichte politisch nicht jene entsprechend
glückliche Ergänzung erfahren, die einen deutschen
Einheitsstaat wie etwa in Frankreich ein für allemal gesichert
hätte. Aber schließlich war die gliedstaatliche Zerreißung des
Deutschtums doch auch wieder nicht so verhängnisvoll, daß es
über die volkliche Verselbständigung des nördlichen und die
staatliche Unabhängigmachung des südlichen Westens hinaus zu
gewollten dauernden Absplitterungen gekommen wäre. Vor allem ist doch
selbst die staatliche Trennung des österreichischen Deutschtums vom
übrigen Reich trotz der engeren Verbindung mit nichtdeutschen
Völkern im Habsburgerstaat erst eine so junge Erscheinung, daß die
heute im Vordergrunde stehenden Wiedervereinigungsbestrebungen
überhaupt keine neue Zielsetzung darstellen, sondern auf der geraden Linie
einer nie erloschenen Aktivität liegen, deren Hauptepochen seit der
Abrundung des Deutschen Zollvereines in der Politik unter dem Freiherrn von
Bruck, dem Grafen Rechberg und während der im Weltkrieg
geführten Verhandlungen gerade hervorragend von wirtschaftlichen
Gesichtspunkten getragen waren. Ist so auch das politisch staatliche Element, das
neben Volk und Raum als einer der Hauptfaktoren bestimmt worden ist, für
die Ausbildung der deutschen Wirtschaftseinheit nicht zu jeder Zeit gleich
förderlich, so ist es ihr doch auch nie so abträglich gewesen,
daß ebendiese Wirtschaftseinheit nun etwa erst künstlich konstruiert
werden müßte, nicht vielmehr durchaus lebensvoll aus der
Wirklichkeit erfaßt werden könnte. Wenn hier auch keine
Vorrangverhältnisse erörtert, vielmehr alle Elemente in ihren
Wechselbeziehungen gesehen werden sollen, so darf
eben – wenigstens zu
Zeiten – die Bedeutung
staatlich-politischer Kultur unbedenklich hinter jene der wirtschaftlichen Kultur
zurückgesetzt werden, was z. B. Günther für die
Entwicklung seiner "Alpenländischen Gesellschaft" überhaupt
für angemessen erachtet hat.
Bis zum Beginn einer neuzeitlichen, erstmals territorialstaatsbezogenen
Handels- und Wirtschaftspolitik darf auch der geschlossene Lebensraum des
deutschen Volkes gewiß ohne weiteres als wirtschaftliche Einheit im Sinne
einer Homogenität der wirtschaftlichen Kultur seiner einzelnen Teile
betrachtet werden. Eine trotz verschiedenen, landschaftlich bedingten
Entwicklungstypen weitgehende Übereinstimmung der planvollen
Siedlungsgründung, die frühe
Er- [344] fassung und sinnvolle
Ausbildung der
Dreifelder- und Fruchtwechselwirtschaft finden sich in allen Teilen des
ältesten Deutschen Reiches, wie auch gewerbliche Fähigkeiten, etwa
im Bergbau, in sämtliche Gebiete des deutschen Lebensraumes sich
verpflanzten. Vor allem aber war es in eigentlich
kulturell-wirtschaftlicher Verflechtung die rechtliche Verfassung, das "deutsche
Recht", das jedem deutschen Gemeinwesen, in der Dorfflur ebenso wie in der
ständischen Gliederung der Stadtbürgerschaften, seine Eigenart
aufdrückte, aber auch gegenüber allem Fremden namentlich im
Osten einen wirtschaftlich bedeutsamen Vorsprung gewährte, der sich
Anerkennung verschaffte und vielfach auch Nacheiferung fand. Gerade hieraus
ergaben sich dann auch friedliche Strahlungsauswirkungen der deutschen
Volkseinheit auf fremdvolkliche
Nachbar- und Einschlußgebiete; so ist erst jüngst von tschechischer
Seite (Krofta) ausdrücklich dem deutschen Einfluß "ein
beträchtliches Verdienst um die Hebung des Bauernstandes in den
böhmischen Ländern" und "die glänzende Entwicklung des
böhmischen Bergwesens" zuerkannt worden, Einwirkungen, deren
wirtschaftliche Folgeerscheinungen, wenn sie auch nicht zur Assimilierung
ausreichten, selbst durch politische Wandlungen nicht ganz ausgelöscht
werden konnten. Unterstützt wurde die allseitige Erfüllung des
deutschen Volksbodens mit den gleichen produktiven Volkskräften durch
eine ständige räumliche Bevölkerungsbewegung, die auch zu
Zeiten stärkster persönlicher
Freizügigkeitsbeschränkungen in der weitsichtigen
Ansiedlungspolitik einzelner Landesherren eine verständnisvolle
Unterstützung fand, so bei der Aufnahme Salzburger und Zillertaler
Protestanten in preußischen Gebieten, bei der Verpflanzung von den
Franzosen vertriebener Pfälzer und anderer Südwestdeutschen durch
Prinz Eugen in die "schwäbische Türkei". Nahezu schrankenlos
vollzog sich der Einsatz der einzelnen unternehmerischen Initiative in Handel und
Gewerbe an jedem aussichtsreichen Ort innerhalb des weiten Deutschland, selbst
unter dem schroffsten Merkantilsystem, das der Aufnahme produktiver
Kapitalkraft freilich nicht undienlich war. Gerade die sudetendeutschen und die
heutigen deutschösterreichischen Länder sind zu allen Zeiten,
besonders aber seit dem 18. Jahrhundert, bis auf unsere Tage das Ziel
unmittelbar unternehmerischer und kapitalistischer Befruchtung aus dem engeren
Deutschland, und vornehmlich ist es wieder der Zuzug neuer Kräfte aus
dem überentwickelten Rheinland, der am stärksten für das
Gefühl der Verbundenheit mit den Ländern an der
südöst- [345] lichen deutschen
Achse, der Donau, mit dem Gesamtdeutschtum spricht.
Es könnte kaum eine wirklichkeitsfernere Einstellung geben, als wollte man
den hier nur kurz skizzierten Entwicklungslinien der Vergangenheit
Fort- und Auswirkung in unsere Tage absprechen. War auch die neuzeitliche
wirtschaftliche Entwicklung im alten Österreich etwas langsamer und
weniger kapitalintensiv, dabei stark mitbeeinflußt durch die
Rücksicht auf die nichtdeutschen Gebiete und auf Ungarn, so hat sie doch
im wesentlichen den gleichen Lauf genommen wie im engeren Deutschland und
stets eine weitgehende Übereinstimmung in der Ausprägung der
gesellschaftlichen und rechtlichen Formen des Wirtschaftslebens bewahrt.
Namentlich das heutige Deutschösterreich, um dessen völlige
Wiedervereinigung mit dem Reich es jetzt geht, hat schließlich auch eine
nahe Verwandtschaft in der rein ökonomischen Struktur
aufzuweisen. Die wesentlichsten Besonderheiten, die in den spezifischen Formen
der Alpenwirtschaft
(Almvieh- und Milchwirtschaft, hydroelektrische Energiegewinnung) zu sehen
sind, stellen sich gleichzeitig als glücklichste Ergänzung der
reichsdeutschen (überwiegend flachländischen
Agrar- und auf Kohle aufgebauten
Energie-) Wirtschaft dar. So günstig für den
vollständigen Zusammenschluß die Homogenität der
hauptsächlichsten deutschösterreichischen und reichsdeutschen
Wirtschaftsfaktoren also eigentlich aufgenommen werden sollte, so muß
jedoch gerade sie oft den Vorwand für eine kleinliche Betrachtung und
Behandlung wichtiger Aufgaben staatlicher Wirtschaftspolitik abgeben. Hierin
äußert sich vor allem in bedauerlicher Weise die Tatsache, daß
die
österreichisch-deutschen Wirtschaftsbeziehungen überwiegend
immer noch sonderstaatlich unter dem Gesichtswinkel eines Gegenstandes
bloßer handelsvertraglicher Regelungen gesehen werden, daß dann
die so vielfach gleichgerichteten Interessen der Landwirtschaft (an innerem
Marktschutz) und die der Industrie (an größtmöglicher
Exportförderung) zwischen den beiden Ländern gegeneinander
ausgespielt, statt in wahrhaft ganzheitlicher Erfassung der Realität
gesamtdeutscher Wirtschaftseinheit gemeinsam gegenüber der
Außenwelt eingesetzt werden. Ein Schulbeispiel für die noch
vorherrschende Gesichtsenge sind die offiziösen Stimmen (UTA) aus dem
Reich, die den deutschösterreichischen Kritiken der dürftigen
Ergebnisse der letzten
österreichisch-deutschen Handelsvertragsverhandlungen mit dem Hinweis
auf die Homogenität der beiderseitigen [346] Interessen als angeblich
erschwerendes Faktum Genüge zu leisten glauben, so wie man rein
handelspolitische Mißerfolge auch gern mit der Rücksicht auf die
Auswirkungen der Meistbegünstigung abtut.
Derartige mehr oder weniger bureaukratische Blickrichtungen übersehen in
ihrer Beengtheit ganz, daß sich gerade die
österreichisch-deutschen Wirtschaftsbeziehungen schon seit jeher in einem
Rahmen entfaltet haben, der mit Handelspolitik allein gar nicht erfaßt
werden kann, der in Anbetracht der starken unmittelbar unternehmerischen und
kapitalistischen Verflechtungen von seiten der beiden Staaten auch eine konforme
allgemeine
Wirtschafts-, insbesondere aber auch Verkehrspolitik verlangt, eine
bewußte Ausprägung der ja gerade durch diese Verflechtungen
verstärkten Homogenität nach innen und Aktivierung nach
außen. Was an neuen Organisationsformen in dieser Richtung bereits
geschaffen worden ist, entspringt nahezu gänzlich privatwirtschaftlicher
Initiative, deren Bedürfnissen Gesetzgebung und Verwaltung nur folgen.
Und doch ist in Deutschösterreich vorerst nur ein Bruchteil jener
materiellen Kräfte eingesetzt worden, die aus der reichsdeutschen
Wirtschaft und zum Teil mit Reichshilfe auf die Verständigung mit dem
Westen und das Geschäft mit Rußland, vielfach opfervoll, verwendet
worden sind, trotzdem auch die Bonität des österreichischen
Geschäftes bei wirklicher Sachkenntnis nicht mehr angezweifelt werden
kann. Wie immanent Homogenität dem Wesen und der Wirklichkeit
wirtschaftlicher Einheit, wie abträglich dieser das Fehlen jener ist,
dafür liefert übrigens die Kleine Entente das beste Beispiel, deren
Versuche einer engeren wirtschaftlichen Gemeinorganisation bisher an der
Verschiedenheit der Struktur der einzelnen Länder ebensosehr wie an der
Ungestalt ihres räumlichen Zusammenhanges gescheitert sind. Gerade dort
empfindet man denn auch die gesamtdeutsche Wirtschaftseinheit vielfach
ungleich stärker, die deutschösterreichische, ganz besonders etwa in
der Elektro- und in der Eisenindustrie, oft tatsächlich nur als Vorposten der
gesamtdeutschen Wirtschaft; ein Vorgang, der denn auch eine noch wesentliche
Verstärkung wird erfahren können und müssen, wenn der
endgültige Fortfall der Reparationssachlieferungen
die jeweilige Einsetzung
der deutschen Expansivkräfte gegenüber diesen namentlich auch von
Westen stark umworbenen Märkten aus den am günstigsten
gelegenen Standorten nicht mehr behindert.
Es ist in dieser grundsätzlichen Betrachtung nicht der Platz, im einzelnen
ein System einer gesamtdeutschen
Handels- und Wirt- [347] schaftspolitik zu
entwerfen, den Wegen der Praxis unmittelbar vorzuspüren. Worauf es
vielmehr ankam, war die Anhaltspunkte und die innere Notwendigkeit einer
einheitlichen geistigen Grundhaltung gegenüber der
geschichtlichen Entwicklung und der heutigen Realität einer
großdeutschen Wirtschaftseinheit wenigstens zu umreissen, einer
Einstellung, die auch in der Tat über den engen Gesichtskreis
einzelstaatlich begrenzter Volkswirtschaften hinaus aus der ganzheitlichen
Erfassung von Volk und Lebensraum auch wirtschaftlich das ihrer Einheit
entsprechende Gesetz des Handelns aufzunehmen vermag, ohne sich erst hinter
staatlicher Einheit verschanzen zu müssen. Mit einer neumerkantilistischen
Einstellung und Praxis kann man heute weder den weltwirtschaftlichen, schon gar
nicht aber den
österreichisch-deutschen Wirtschaftsbeziehungen untereinander gerecht
werden. So wie aber auch das System des reinen Freihandels durch die neuen
Tendenzen einer wirtschaftlichen Neuorganisation der alten Welt auf dem Wege
einzelner zwischenstaatlicher Gruppenbildungen modifiziert wird, so erscheint
dabei das deutsche Mitteleuropa als ein organischer Teilfaktor, dessen optimale
Ausbildung nunmehr endlich erst abgeschlossen werden muß. Je klarer die
eigene deutsche Einstellung hierauf ohne kleinliche Bedenken erfolgt, um so eher
und um so weniger zweiflerisch wird sie auch von der Umwelt anerkannt
werden.
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