Unter der Herrschaft des Deutschen
Ritterordens.
Von 1308 - 1454. (Teil 2)
4. Die kulturellen Beziehungen Danzigs zu
Deutschland in der Deutsch-Ordenszeit
Daß die Herrschaft des Deutschen Ordens und der ungemein rege Verkehr
der Danziger mit allen Gauen des deutschen Mutterlandes auch auf die Gestaltung
des Danziger Stadtbildes und des Danziger geistigen und
künstlerischen Lebens von entscheidendem Einfluß gewesen
ist, braucht nicht besonders betont zu werden, wenn sich die Beziehungen oft auch
nicht mehr in allen Einzelheiten näher nachweisen lassen.
[114] "Kiek in de Kök", zur mittelalterlichen
Wehranlage der Stadt gehörig.
|
Die Ordensritter waren aus allen Gauen des weiten Deutschen Reiches vertreten,
sie hatten ein gut Stück der Welt gesehen, sie waren vertraut mit der
Bildung des Morgenlandes wie mit der Pracht Venedigs, und an den Ufern der
Nogat errichteten sie in ihrem Ordenshaupthause, der Marienburg, ein leuchtendes
Denkmal der Kulturmission, welche sie zu erfüllen bestimmt waren.
Auch der Danziger Kaufmann war weit herumgekommen in deutschen und
anderen Landen und hatte die dortige Kultur, die dortige Kunst geschaut und trug
nun das Verlangen, seine Stadt ähnlich auszugestalten und
auszuschmücken, namentlich auch ähnliche Gotteshäuser zu
errichten, wie sie die westdeutschen Städte aufwiesen, denn der
religiöse Geist stand damals noch im Vordergrunde, nahm die erste Stelle
ein.
So gingen die Bestrebungen des Ordens und der Stadt vollkommen Hand in Hand,
beide ergänzten und förderten sich. Die rege Bautätigkeit, die
der Orden überall in Stadt und Land entfaltete, mußte sich so ganz
naturgemäß auch besonders in Danzig auswirken und das Stadtbild
beeinflussen, wenn allerdings auch aus dieser baulichen Gestaltung nur sehr
wenige Reste auf uns gekommen sind, so vor allem die noch vereinzelt
auftauchenden Festungstürme, deren verwittertes Backsteinmauerwerk die
Jahrhunderte [114] nur fester zusammengeschmiedet haben. Aber
sie zeigen, wie sehr es der Orden verstand, die vielfachen Kräfte des
Bürgertums, das seinem Rufe in das Ostland gefolgt war, in den Dienst der
großen Sache zu stellen, wie er es auch besonders verstand, die Schlichtheit
und Zweckmäßigkeit seiner Bauten künstlerisch zu beleben
und zu adeln.
Die Danziger Sakralarchitektur hat die Entwicklung des deutschen Westens
mitgemacht, ist durch sie bestimmt worden und hat hier den Typus angenommen,
in dem wir jetzt das eigentliche Ziel des gotischen Wollens in Deutschland
erkennen: die Hallenkirche. Alle Sakralbauten Danzigs sind Hallenkirchen, und
wo sie es nicht von Anfang an waren, [115] sind sie im Laufe des 15. Jahrhunderts dazu
umgewandelt worden.26
Aus der Ordenszeit stammen, teilweise später umgebaut und mit
Erweiterungen versehen, der Ankerschmiedeturm und der
Stockturm
in ihrem unteren Teile; in seiner ursprünglichen Gestalt
[116] Die "Lange
Brücke" von der
"Speicherinsel" gesehen.
Im Vordergrunde das (1443 an Stelle eines alten erbaute) Krantor,
eines der Wahrzeichen Danzigs.
Die "Große Mühle",
vom Deutschen Ritterorden um 1350 erbaut,
eines der ältesten
Bauwerke Danzigs. Heute noch im Betrieb. [117]
|
erscheint noch der schlanke, achteckige "Kiek in de Kök" und der
Strohturm. Jener Zeit gehören auch die engen, sogenannten
Wassertore
(Häker-, Johannes-, Hl. Geist-, Kuhtor usw.) an, durch die die alten parallel
laufenden Danziger Gassen in rechtem Winkel auf die Mottlau und die sich
längs derselben hinziehende "Langen Brücke" ausmünden.
Nicht minder verdankt sein Entstehen der Bautätigkeit des Ritterordens das
Wahrzeichen für Danzigs Handel, das einst zum Einsetzen der
Schiffsmasten erstmalig 1411 erbaute, etwas später umgebaute
Krantor, dessen Bau massiv und imposant mit seinen wulstigen runden
Seitenteilen aus der Häuserflucht hervorschaut und mit seinem riesigen
vorspringenden Dache die ganze malerische Aussicht des Mottlauufers beherrscht.
Noch steht die bereits früher erwähnte große
Ordensmühle auf der Radauneinsel und flußabwärts
bei St. Katharinen noch eine kleinere ähnliche Anlage.
Der stolzeste und mächtigste Danziger Bau ist aber zweifellos der
vermutlich 1340 begonnene Bau der Danziger Ordensburg selbst, die
für vierzig Ritter bestimmte Komturei, gewesen, die sich an der Stelle der
ehemaligen Burg der pommerellischen Herzöge erhob und die beim Abfall
Danzigs vom Orden zerstört wurde. Nach allem, was wir von diesem Bau
wissen,27 ist er ganz nach dem Muster der
Marienburg, nur kleiner, gewesen.
Auch sind unter der Herrschaft des Deutschen Ritterordens die Grundsteine zu
allen älteren Danziger Kirchen gelegt worden, die die besonderen
Merkmale der baltischen Gotik zeigen. Ernst und prunklos, mit sparsamen
Wandgliederungen und in einfacher Weise durch die Stellung der Backsteine
gebildeten Zierleisten ausgestattet, üben diese Gotteshäuser wie
St. Katharinen, St. Johann, St. Peter und Paul, St. Brigitten, St. Elisabeth,
die Trinitatiskirche u. a. schon
durch den warmen dunklen Ton
ihres Gemäuers einen würdigen Eindruck aus. Die
größte und vornehmste der zahlreichen Danziger Kirchen ist die
Oberpfarrkirche zu St. Marien. Eine kleinere, schon 1343 vom
Hochmeister Ludolf König von Weitzau gegründete Marienkirche
mußte zu Beginn des 15. Jahrhunderts dem jetzigen gewaltigen Neubau
weichen, der allerdings erst kurze Zeit nach dem [116] Abfall vom Orden fertig wurde. Alle diese
Bauten tragen den Stempel des deutschen Ordensgeistes. Das gilt nicht nur
für die kirchlichen, das gilt auch für die Profanbauten. Wir
brauchen nur darauf hinzuweisen, daß bei dem heute noch stehenden
[118] St. Petri- und Paulikirche (erbaut
1424 - 1514)
(Nach einer Zeichnung von Julius Gottheil
im Jahre 1849.)
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berühmten Artushof, der nach dem Brande des alten im Jahre 1476
begonnen wurde, also schon in einer Zeit nach der Ordensherrschaft, ganz
unverkennbar die Rem- [117=Foto] [118] terbildung des Ordens
vorgeschwebt hat, wie wir sie heute noch in der Marienburg bewundern
können.
Daß auch Kunst und Volksbildung unter dem Deutschen Ritterorden, soweit
die damaligen Verhältnisse in Betracht kommen, eine Pflegstatt fanden, ist
bekannt und dies hat sich natürlich auch in Danzig auswirkt, wo schon an
und für sich ein guter Boden dafür vorhanden war. Der Deutsche
Ritterorden begünstigte die Anlage von Schulen nicht nur in
[119] den Städten, sondern auch auf dem
Lande. Die urkundlich erhaltenen Tatsachen bezeugen uns, daß es im
Ordenslande schon im 14. Jahrhundert Dorfschulen gegeben hat.
Daß in Danzig solche Schulen bestanden, und zwar schon getrennt nach
Geschlechtern, ist urkundlich erhärtet.
Vom Brigittinnenkloster in Danzig28 hören wir, daß es beim
Unterricht drei Abteilungen hatte, die 1. für die Sünderinnen, die 2.
für die Novizinnen und die 3. für die Mädchen aus der Stadt.
Für die 1. Abteilung hatte der Bischof von Pomesanien im Jahre 1416 ein
Gutachten abgefaßt, dahinzielend, zwei gelehrte Jungfrauen und einen
wissenden Mann aus Wadstena in Schweden, dem Mutterhause der
Brigittinnennonnen, kommen zu lassen, um durch diese die
Büßerinnen teilweise an ein dem Jugendunterricht gewidmetes Leben
gewöhnen zu lassen.
8 - 10 der fähigsten Sünderinnen sollten angehalten werden, die
häuslichen Arbeiten, sodann lesen und singen zu lernen, um dies dann den
anderen Mädchen beizubringen. Das Kloster hatte einen bedeutenden Ruf
erlangt, so daß der polnische König Wladislaw Jagiello im Jahre
1428 den Hochmeister des Deutschen Ordens um die Erlaubnis bat, dieses
berühmte Kloster besuchen zu dürfen. Die Hochmeister waren
dem Kloster äußerst wohlwollend gesinnt, sie haben es bis in die
unglücklichsten Zeiten des Ordens hinein, sogar noch 1449, mit
Geschenken unterstützt.
Auch dieses Kloster war deutsch und es blieb auch deutsch, das sei hier
wieder kurz vorweggenommen, in der folgenden polnischen Zeit. In der
Bibliothek des Priesterseminars zu Pelplin befindet sich noch das
Totenbuch dieses Klosters. Der Nekrolog ist zur Zeit der Äbtissin
Barbara Wichmann im Jahre 1644 angelegt worden und reicht noch über
die Zeit der Aufhebung des Klosters im Jahre 1835 hinaus. Es finden sich aber
auch Eintragungen aus früherer Zeit, die vielleicht einem älteren
Totenbuche des Mutterklosters Wadstena in Schweden entlehnt sind. Die
Eintragungen sind samt und sonders deutsch, die Mitglieder tragen zum
weitaus größten Teil ausgesprochen deutsche Namen.29
Auch das höhere Schulwesen fand seine Beachtung durch den Orden.30 Wenn auch die Bestrebungen
Winrichs von Kniprode zur Hebung des wissenschaftlichen Lebens in
Preußen noch nicht eine Blüte der Wissenschaft erzeugen konnten, so
darf doch nicht übersehen werden, daß der Ritterorden seine Aufgabe
auch nach dieser Seite nicht außer acht gelassen hat, dabei von den anderen
maßgebenden [120] Faktoren im Lande, den Bischöfen und
den Städten, redlich unterstützt. Dementsprechend sehen wir auch
auf diesem Gebiete immerhin schon recht tüchtige Anfänge. Als
Mittelpunkt dieser Bestrebungen galt das Ordenshaupthaus, die Marienburg,
wohin Winrich von Kniprode ausgezeichnete Rechtslehrer aus Deutschland und
Italien berufen haben soll, so daß dort eine Art Rechtsschule entstand, die
auch außerhalb Preußens sich eines guten Rufes und wegen der
Zuverlässigkeit und Gründlichkeit ihrer Urteile sich auch hohen
Ansehens erfreute.31 Ihren Abschluß sollte die ganze
Organisation des Unterrichtswesens im Jahre 1386 erhalten durch die Stiftung
einer Hochschule in Kulm. Am 9. Februar dieses Jahres bestätigte
Papst Urban VI. die Gründung einer preußischen
Landesuniversität in Kulm nach dem Muster der Universität zu
Bologna. Leider ist sie niemals ins Leben getreten.32
Daß der Deutsche Ritterorden für die Bildung gesorgt hat,
bestätigen uns auch die Nachrichten über
Büchersammlungen in dieser Zeit. Das Ordenshaupthaus
verfügte über eine für jene Zeit immerhin recht ansehnliche
Bibliothek, und auch die Danziger Komturei hatte eine solche kleineren
Umfanges. Auch bei den Kirchen werden mehr oder weniger umfangreiche
Bibliotheken bestanden haben, wie uns dies von der Danziger
Marienkirche bezeugt ist, die 1413 bereits über eine
solche verfügte.33
Die geistige Nahrung aber schöpfte man für dies alles wieder zum
allergrößten Teile aus Deutschland und von den deutschen
Universitäten neben den italienischen, und so fand eine innige
Wechselbeziehung statt. Vorerst besuchten die preußischen und auch die
Danziger Studenten die damals in Frage kommenden Hochschulen zu
Bologna, Padua und Paris. Ganz anders aber wurde es, als 1348
die Universität Prag gegründet wurde, der dann 1364 Wien
und im folgenden Jahre Krakau folgten. Prag hat einen recht
großen Einfluß ausgeübt. Daran vermochte auch
zunächst das Entstehen von Universitäten auf deutschem Boden zu
Heidelberg (1386), Köln (1388) und Erfurt (1392)
nichts zu ändern, vielmehr blieb Prag die einflußreichste
Universität für Preußen, bis ihr 1409 in ihrer Tochter
Leipzig eine siegreiche Rivalin erstand. In diesem Jahre erfolgte der
Auszug der Deutschen von der Universität Prag, und von den die neue
Universität Leipzig begründenden 44 Magistern und 400
Bakalaurearen und Scholaren waren fast ein Zehntel, nämlich fünf
Magister, drei Bakalaurearen und 32 Studenten Kinder des Preußenlandes,
obwohl nicht einmal alle [121=Foto] [122] Preußen den Auszug
mitgemacht hatten. Wie Perlbach34 nachgewiesen hat, haben in den
zweihundert Jahren von
1325-1525 etwa 4000 Studenten aus dem Gebiet des Deutschen Ritterordens die
verschiedenen Universitäten besucht, von denen uns die meisten,
über 1200, in Leipzig begegnen. Sehr besucht waren auch Krakau
(damals noch deutsch), Prag, Wien, Köln und später
Wittenberg und Frankfurt an der Oder.
Daß Danzig unter diesen Studenten reichlich vertreten war, ist
selbstverständlich. Finden wir doch in dieser Zeit annähernd 1000
Danziger Studenten auf den Universitäten. Auch erfahren wir gelegentlich
von Unterstützungen und Beihilfen durch den Orden oder die Stadt Danzig.
So hören wir z. B., daß im Jahre 1437 ein Stephanus Neumann
aus Danzig in Leipzig immatrikuliert war, der vom Hochmeister unterstützt
wurde, daß 1435 ein Jakobus Westfal aus Danzig gleichfalls in Leipzig
immatrikuliert war, der ein Stipendiat des Rates von Danzig war35 usw.
Diese Andeutungen mögen hier einstweilen genügen, wir werden
später noch auf die Beziehungen Danzigs zur Universität Leipzig und
zu den übrigen deutschen Universitäten näher
zurückkommen. Abschließend kann gesagt werden, daß alles,
was nach der baulichen, künstlerischen und geistigen Seite in der
Ordenszeit in Danzig geschaffen worden ist, auch ausschließlich
deutsches Gepräge trägt und von Westdeutschland her
bestimmend beeinflußt worden ist.
5. Das Danziger Landgebiet zur Zeit des
Ritterordens
Untersuchen wir kurz, was die Herrschaft des Deutschen Ritterordens für
das Danziger Land bedeutet. Hier erstreckt sich die Arbeit des
Ritterordens vornehmlich auf das Gebiet der Niederung und des
Werders. In welchem Zustande sich diese weiten Flächen am Ende
des 13. Jahrhunderts befanden, haben wir einleitend bereits kurz dargelegt. Gerade
hier aber hat der Orden in seiner anderthalb Jahrhunderte währenden
Tätigkeit Unvergleichliches geschaffen, er hat das Land urbar gemacht
und besiedelt. Auch hier wieder wurden Träger der Kultur unter dem
mächtigen Schutze und der tätigen Hilfe und Anleitung des
Ritterordens die überaus zahlreichen deutschen Bauern, die vom Orden in
das Land gerufen waren. Unter dem Pflug des deutschen Bauern und durch seine
unermüdliche Arbeit wan- [123] delten sich die bisher unzugänglichen
Moor- und Waldgebiete in grünende fruchtbare Felder; blühende
Dörfer entstanden. Mit der Tatkraft und Arbeitsenergie der Deutschen
hielten auch deutsche Sitten und Gebräuche ihren Einzug in dies Land. Der
Orden ließ nichts unversucht, um die Ansiedler herbeizuziehen, und ein
riesiger Strom deutscher Ansiedler ergoß sich in diese Lande.
Bereits unter der Herrschaft der Pommerellenherzöge waren
ununterbrochen Siedler und Kaufleute hierher gekommen, aber der Zuzug erfolgte
doch immer nur einzeln und langsam. Das wurde nun anders. Nun strömten
die Kolonisten für Stadt und Land in großen Scharen herbei
aus allen Gauen Deutschlands. Daß dem so war, lag zum guten Teil in den
wirtschaftlichen Notwendigkeiten und in dem Zuge der Zeit begründet. Der
Zug nach dem Osten geht bald stärker, bald schwächer durch die
ganze deutsche Geschichte, er tritt in der Deutschordenszeit nur mit ganz
besonderer Wucht auf. Der mächtigste Antrieb dazu lag in der starken
Bevölkerungszunahme, für die man Kulturboden zu gewinnen
suchen mußte. Dazu kam, daß damals durch die jahrzehntelangen
kirchenpolitischen Kämpfe, die ihren deutlichsten Ausdruck in den
Massenheeren der Kreuzfahrer gerade aus deutschen Landen fanden, die
Massen überall aufgerüttelt und in heftige Bewegung gekommen
waren, so daß die Lösung von der heimischen Scholle nicht schwer
fiel, zumal man damals allgemein weit universelleren Zielen zustrebte und die
nationalen Aufgaben und Gebundenheiten in moderner Ausprägung nicht
kannte.
Diese Wanderbewegung begann im Westen Deutschlands und pflanzte sich
immer weiter und weiter nach dem Osten fort. Um das Jahr 1100 etwa konnten
die Gebiete des Niederrheins nach damaligen Begriffen schon als
einigermaßen übervölkert gelten. Dazu kam, daß die
zerstörenden Fluten des Nordmeeres viele Bewohner
heimat- und obdachlos machten, so daß sie zur Auswanderung in die
dünner bevölkerten östlichen Gegenden genötigt waren.
So brachen sie in Scharen auf, um ostwärts zu ziehen, teils, soweit es sich
um ländliche Bevölkerung handelte, zur Suche nach neuen
bäuerlichen Siedlungen, teils, soweit Städter und Handwerker in
Frage kamen, um sich in den Städten des Ostens niederzulassen. Vielleicht
erklang damals in diesen Auswandererkreisen zuerst das altvlämische
Auswandererlied, das wir für den Zug nach dem Osten in allen
Jahrhunderten und auf allen Gebieten als völlig zu Recht bestehend
erkennen können:
[124] Naer Oostland willen wy ryden,
Naer Oostland willen wy mêe,
Al over die groene heiden,
Frisch over die heiden!
Daer ißer en betere stêe.
So begann um die Mitte des 12. Jahrhunderts im Westen sich der Strom lebhaft
ostwärts zu bewegen. In der norddeutschen Ebene und in Mitteldeutschland
fand sich reichlich unbebautes, unkultiviertes Land. Auch dort gab es wüste
Strecken, Brüche, Sümpfe und Moore, die der Kultur zu
erschließen waren.
Nach und nach kamen die Siedler dann auch in unsere Lande, auch
hierher, wie anderswo, systematisch herangezogen. Der Ritterorden hatte
ja seine engsten Verbindungen mit allen Gauen Deutschlands, aus allen Gegenden
waren die Ritter her, überall zerstreut lagen des Ordens Balleien, so
daß ihm die Werbetätigkeit für den Osten nicht schwer fallen
konnte, und es ist sicher
anzunehmen - wenn sich dies bisher auch noch nicht hat
aktenmäßig erweisen
lassen - daß er Zuzöglinge auch durch Aufrufe und
besondere Versprechungen geworben hat, wie es andere geistliche und weltliche
Fürsten jener Zeit für ihre Gebiete auch taten. Der früheste uns
bekannte Aufruf dieser Art zum Ansiedeln in den slawischen Grenzlanden stammt
von den Bischöfen von Magdeburg etwa aus dem Jahre 1108,
vermutlich aus der Feder eines auf altmärkischen Boden tätigen
vlämischen Geistlichen, der seine Landsleute anspornte, in diese Lande zu
kommen.36
So kamen sie auch in unsere Weichselgegend. In die Niederungsgebiete
vornehmlich die Niederdeutschen, die vlämischen und
holländischen Bauern, arbeitsfroh und wirtschaftskundig, von
hochentwickeltem technischem Können. An Eindeichungen,
Entwässerungsarbeiten und Moorkulturen in ihrer Heimat gewöhnt,
trugen sie Verlangen nach ähnlichem Ackerboden und friedlicher
Beschäftigung, um sich unter den gewohnten Bedingungen, aber mit
erweiterter Ellenbogenfreiheit, eine neue Heimat zu schaffen. Hier im
Weichselmündungsgebiet fanden sie sie, aber sie mußten sie erst
im buchstäblichen Sinne des Wortes erobern, zwar nicht durch
gewaltsamen Kampf mit Schwert und Blut, wohl aber durch unablässiges
vieljähriges Ringen mit den Gewalten der Natur, vor allem mit dem
Element des Wassers. Mit den Vlamen kamen niederfränkische
Rheinländer, Westfalen, Sachsen und Abkömmlinge dieser
deutschen Volksstämme, die bereits in Mitteldeutschland weite Strecken
ur- [125] bar gemacht hatten. Den Oberdeutschen
sagten mehr die höher gelegenen Gebiete der Danziger Höhe zu, wo
sie Boden-, Arbeits- und Lebensbedingungen vorfanden, die gleichfalls denen in ihrer
Heimat ähnlich waren. So entwickelte sich nun unter der deutschen
Ordensherrschaft in allen Landgebieten des heutigen Freistaates
Danzig - und selbstverständlich im ganzen Ordensstaate, was wir
hier als über den Rahmen dieser Arbeit weit hinausgehend völlig
unberücksichtigt lassen
müssen - ein überaus reges kulturelles Leben; die Siedlungen
mehrten sich gewaltig, die Zahl der deutschen Zuzöglinge wurde immer
größer. Und so empfingen nun endlich alle jene Gebiete, die nicht
vorher bereits durch die Zisterzienser von Oliva kultiviert worden waren, ihre
Kultur und Zivilisation.
Es war für die im Danziger und Marienburger Werder sich Ansiedelnden
ein kühnes und lohnendes Bemühen, mit dem gewaltigen Element
des Wassers zu kämpfen und ihm durch Eindämmen die Sicherung
seiner reichen und schönen Landbesitztümer abzuzwingen; aber ein
recht mühsames und leider oft genug auch vergebliches.
Vorerst mußte die Weichsel künstlich ausgeweitet, die
zahlreichen größeren und kleineren Mündungsarme
vereinheitlicht, das Wasser zurückgedrängt und die
Sumpflandschaft trocken gelegt werden. Das konnte nur geschehen durch
Aufrichten riesiger Dämme und Ziehen zahlreicher
Entwässerungsgräben, aus denen das Wasser, da das Land ja
tiefer lag als der Normalstand der Ostsee, nur durch Schöpfwerke in
die See befördert werden konnte.
Schon 1321 begann unter der Leitung des Ordens nachweislich energisch diese
Tätigkeit der Urbarmachung. Die Weichseldämme wurden angelegt,
hohe und breite, viele Kilometer lange Dämme oder Deiche, die das Land
vor den verheerenden Wirkungen des andrängenden Stromes
schützen sollten und die sich in der gleichen Weise, wenn auch
verstärkt und moderner ausgebaut, bis heute erhalten haben und auch heute
noch die gleichen unentbehrlichen Dienste versehen müssen wie damals.
Bis zum Jahre 1350 war die gesamte Eindeichung vollendet, aber
trockengelegt war damit das ganze Werder noch lange nicht. Es
geschah auch etappenmäßig. In seinem nordwestlichen Teile
bestanden 1353 erst zwei Ortschaften, Neuendorf (seit 1346) und
Plehnendorf (seit 1353). Beide Dörfer lagen zudem auf den
höchsten Stellen, die sich etwas über den mittleren
Ostseewasserstand erhoben. Alle übrigen Ortschaften wurden erst
später gegründet, nachdem weitere gewaltige Trockenlegungsarbeit
[126-127=Fotos] [128] geleistet war. Es dürfte
vielleicht nicht immer leicht gewesen sein, hierfür Ansiedler zu finden, die
sich an die unendlich schwere, mühselige Arbeit wagten, so tiefliegende
Landschaften mit den Mitteln der damaligen Technik trocken zu legen. Dem
Auspumpen des Wassers mußten in jedem Falle Schüttung von
Dämmen und Wallungen zur Trennung der Polder von den
Hauptkanälen vorausgehen. Man muß staunen, wie
verhältnismäßig schnell und gründlich
die Siedler ihr Werk vollbracht haben.
[126] Denkmal
ordenszeitlicher Baukunst:
Die Riedwand bei Herrengrebin. Die Kladau über die Mottlau
geleitet.
Seitenblick. Entnommen mit Genehmigung des Deichverbandes:
Bertram - La Baume - Kloeppel, "Das
Weichsel-Nogat-Delta."
Die Riedwand bei Herrengrebin.
Blick von oben auf die übergeleitete Kladau.
Ergänzung zum vorhergehenden Bild.
Entnommen mit Genehmigung des Deichverbandes:
Bertram - La Baume - Kloeppel, "Das
Weichsel-Nogat-Delta." [127]
|
Weiter erfuhren zwei Flüsse, die Belau und die Kladau, sehr
schnell grundlegende Veränderungen. Erstere wurde von der heutigen
Hohenstein- Rosenberger Grenze als Radaunekanal an der Westseite des
Bruches entlang geleitet, um dieses später nutzbar machen zu
können. Diese Anlage ist auch noch im 14. Jahrhundert geschaffen worden,
wie aus den Handfesten des im heutigen Kriefkohl gelegenen
untergegangenen Dorfes Freiwalde und der in der gleichen Gegend
gelegenen, ebenfalls nicht mehr vorhandenen Dörfer
Schönwiese und Osterwick hervorgeht. Die Kladau wurde
auf einem Damm über das Bruch und auf einer Brücke über
die Mottlau geleitet, um die Wasserkraft für die Herrengrebiner
Schloßmühle zu erhalten. Die Herstellung dieses für die
damaligen Verhältnisse geradezu gewaltigen Bauwerks erfolgte in
den Jahren 1342-47.37 Die Grabung des anderthalb deutsche
Meilen langen Radaunekanals und die Umleitung des Flusses haben wir bereits
früher näher erwähnt.
Unter dem Schutz dieser nach und nach entstandenen Dämme und auf dem
dem nassen Element abgerungenen Boden entstand unter Leitung des Ordens eine
Siedlung nach der anderen, und der Orden sorgte auch, daß sicherlich schon
im 14. Jahrhundert das
Deich- und Entwässerungswesen geordnet war und blieb, wenn uns aus
dieser Zeit auch noch keine Satzung hierfür erhalten geblieben ist. Die
ältesten für das
Deich- und Entwässerungswesen erlassenen erhaltenen
Verordnungen, die die Bezeichnung "Die gemeine Landtafel" tragen, stammen
aus den Jahren 1407 und 1422 und sind von den Hochmeistern Konrad von
Jungingen und Paul von Rußdorf erlassen.38 Auf diesen beiden grundlegenden
Verordnungen fußen alle der späteren Jahrhunderte bis auf den
heutigen Tag. Den sich unter dem Schutze der Deiche ansiedelnden
Dörflern wurden mit der Handfeste zugleich jedesmal auch ganz bestimmte
Pflichten zur Instandhaltung der Dämme auferlegt. So heißt es
z. B. in der Handfeste von Brunau
(Neu-Scharfau), daß die Bewohner sollen "tempmen und teichen bynnen
iren grenizzen vor iczlicher huben 7 [129] Ruthen, und damit ledig seyn, es waere denn,
daß ein bruch wuerde, so sollen sie gleiche thun, iren nakeburen".
[132] Vorlaubenhaus fränkischer Bauart
im Kreise Danziger Niederung.
Haus niedersächsischer Bauart aus dem Jahre 1600
im Großen Werder. [133]
|
Es entstanden auch nach und nach zahlreiche neue Ortschaften oder es
wurden alte Siedlungen, die wohl wegen Überschwemmungen verlassen worden
waren, neu ausgegeben, und auch aus ihnen erblühten neue deutsche
Ortschaften, wie dies die überaus zahlreichen Handfesten ausweisen, deren
Ausstellungsjahr zwar nicht immer erst das Jahr der Gründung ist, die aber
ihren besonderen Wert dadurch erhalten, daß uns heute durch sie noch
bestätigt wird, daß zur Zeit ihrer Ausstellung Deutsche die
Ortschaft bewohnten, es sei denn, daß dies ausdrücklich verneint
würde.
Der Orden ging bei diesen Gründungen bzw. Neugründungen in der
Weise vor, daß er einem tüchtigen Manne, dem Lokator
(Gründer) eine bestimmte Anzahl von Hufen übertrug, die den
Landbesitz des Dorfes ausmachen sollten und den Lokator verpflichtete, Bauern
zur Besiedelung heranzuziehen. Dafür erhielt dieser das
Schulzenamt und einen
Teil - gewöhnlich den zehnten - zinsfrei sowie ein Drittel der
einkommenden Strafgelder. Zugleich wurde für die Kirche, falls
eine solche für das Dorf vorgesehen war, ein gewisses
Landgebiet - gewöhnlich vier Hufen - ausgeworfen. Diese
Unternehmer holten sich dann aus den Gebieten Altdeutschlands mit Hilfe und
Unterstützung des Ordens Ansiedler. Um zur Ansiedlung anzureizen,
gewährte der Orden den ankommenden und sich ansiedelnden Bauern eine
Anzahl von Freijahren für alle Leistungen. Ihre Rechte und
Pflichten legte er in einer Urkunde, der Handfeste, fest. Nicht alle dieser
Handfesten sind uns erhalten, viele kennen wir nur aus Abschriften und
späteren Bestätigungen, auf den Inhalt anderer können wir aus
den Zinsregistern schließen. Aber sie sind äußerst wertvoll,
u. a. auch für die Bestimmung der Nationalität der Siedler.
Die meisten der heutigen Ortschaften des Freistaates Danzig sind in dieser Zeit
durch den Deutschen Ritterorden entstanden. Laut den uns erhaltenen Nachrichten
und Privilegien sind hier, wie Thomaschewski39 im einzelnen darlegt, folgende
Ortschaften neu gegründet oder bestehende neu vergeben und besiedelt
worden:
Im Danziger Werder kommen als Neuvergebungen und
Wiederbesiedlungen in Frage: Trutenau (1330), Wossitz (1343), Wotzlaff (1384),
Letzkau (1454), Weßlinken, Hochzeit, Osterwick (1345), Schönau,
Scharfenberg, Sperlingsdorf, Zugdam (1357), Gottswalde (1330), Gemlitz
[130] (1358), Kriefkohl (1363), Güttland
(1353), Krampitz (etwa 1425), Langenau, Landau, Stüblau,
Herrengrebin.
Als völlige Neugründungen können, soweit sich aus
dem urkundlichen Material beurteilen läßt, angesehen werden:
Schönwiese (1345) (nicht mehr vorhanden), Neuendorf (1346),
Käsemark (1349), Schönrohr (1354), Gr. Zünder (1350),
Müggenhahl (1378), Nassenhuben (1384), Quadendorf (1399), Herzberg
(1454), Reichenberg (1547), Plehnendorf (etwa 1454).
Auf der Danziger Nehrung sind auf altslawische oder preußische
Wohnstätten neu gegründet: Krakau, Prinzlaff, Grebinchen,
Bohnsack, Wördel, Engwater. Von neuen Dörfern finden sich
erwähnt: Stutthof (1465), Kobbelgrube (1465), Nickelswalde (1393) und
Steegen.
Im Großen Werder sind folgende Siedlungen mit Deutschen neu
besetzt worden: Ließau (1317), Mierau, Tannsee (1318), Barendt (1321),
Groß- und Klein-Lichtenau (1327), Mielenz (1321), Gnojau (1338),
Ladekopp (1341), Gr. Montau (1341/46), Palschau (1344), Biesterfelde (1344),
Orloff (1349), Prangenau (1350), Gr. und Kl. Lesewitz (1350), Damerau (1352),
Parschau (1355), Brodsack (1381). Ohne daß wir von einer Neubesetzung
aus den erhaltenen Urkunden etwas erfahren, sind noch die Dörfer
slawischen oder preußischen Ursprungs erhalten: Leske, Bröske,
Diebau, Tralau, Scharpau.
Von anscheinend völligen Neugründungen im Großen
Werder berichten uns die Urkunden wie folgt: Neuteichsdorf (1316), Lindenau
(1321), Schönau, Marienau, Rückenau (1321),
Alt-Münsterberg (1323), Irrgang (1325), Stadt Neuteich (1329),
Schöneberg (1330), Fürstenau, Gr. und Kl. Mausdorf (1332),
Schönsee (1334), Kunzendorf, Altweichsel (1338), Wernersdorf (1340),
Neukirch (1341/46), Tiege (1345), Schönhorst (1349), Halbstadt (1351),
Eichwalde (1351), Schadwalde, Neumünsterberg, Fürstenwerder
(1352), Simonsdorf (1353), Niedau (1356), Neuscharfau (1356), Lupushorst
(1361), Wiedau (1356), Krebsfelde (1395), Bärwalde (1342), Petershagen
(1328), Tiegenort, Tiegenhagen (1349).
Verfolgen wir diese Siedlungstätigkeit des Ritterordens, der zugleich
bewußte
Kolonisierungs- und Nationalisierungspolitik trieb, treiben mußte,
genau, so können wir feststellen, daß er nicht planlos vorging,
daß er nicht ansiedelte, wie es eben gerade die Gelegenheit mit sich brachte,
sondern daß er nach ganz bestimmten Grundsätzen vorging, so
daß einzelne Gegenden in bestimmter Zeit dicht mit deutschen [131] Dörfern besiedelt waren. Ein dichtes
Netz ausschließlich deutscher Dörfer war so in unserer Gegend
geschaffen, das zwischen dem stark emporblühenden Danzig, dem
Haupthause Marienburg und der nicht minder wichtigen Ordensstadt
Elbing lag. An diesen drei Stützpunkten hatten die deutschen
Ansiedler ihren stärksten Rückhalt. Dazu kam, daß sich
nördlich von Danzig die weiten, gleichfalls mit deutschen Ansiedlern
bevölkerten Besitzungen des Klosters Oliva ausdehnten, an welche sich
dann weiter nach Pommerellen hinein die Besitzungen der ebenso deutschen
Klöster Zuckau und Pelplin, dazwischen die Güter
des deutschen Klosters Karthaus anschlossen. So war unser ganzes Gebiet
ausschließlich deutsch mit nur ganz wenigen slawischen
Streusiedlungen auf der Nehrung, nämlich den Fischerdörfern
Bohnsack und Krakau mit polnischem Recht, und es war
eingeschlossen gleichfalls von einer der Hauptsache nach deutschen
Bevölkerung. Die ganz verschwindend kleine Zahl von Slawen ging sehr
schnell in der kulturell und wirtschaftlich weit höher stehenden deutschen
Bevölkerung ganz auf, ohne daß irgendwie Gewaltmaßnahmen
zur Anwendung gekommen wären.
Wir müssen noch kurz die Frage erörtern, woher die Ansiedler in
unser ländliches Gebiet gekommen sind. Es kann dies hier nur ganz
summarisch geschehen, denn nach dieser Richtung birgt das Danziger
Staatsarchiv noch reiches ungehobenes Material, das erst für ganz wenige
Ortschaften ausgewertet ist, aber aus dem, was bis jetzt gefördert ist,
können wir bereits ein einigermaßen klares Bild erlangen.
Aus allen Gegenden Deutschlands und des Koloniallandes kamen die Siedler
herbeigeströmt, doch gehören sie zum weitaus größten
Teil, aber doch nicht ausschließlich, zu dem niederdeutschen Strom,
der nach Osten zog.40 Es waren hauptsächlich
niederdeutsche und niederrheinische Kräfte. Bis über die Weichsel
hinaus gilt das ganze Gebiet im Mittelalter als "Sachsenland''. Doch auch
Schlesier bauten sich im Werder an.41 Aber es fehlte auch nicht an
Zuzöglingen aus Süddeutschland, aus Franken, Schwaben, Bayern,
woher zahlreiche Ordensritter, ja sogar die Mehrzahl derselben, stammten, so
daß sie auch die meisten Ordensämter inne hatten. Das bewirkte
natürlich auch die Einwanderung einer größeren Zahl von
Siedlern aus diesen Gegenden, so daß der Chronist42 bemerkt: "Wie aber im Großen
Werder, also in der Stadt Thorn gebraucht man sich der hochdeutschen Sprache".
Diese oberdeutschen Elemente [132] werden sich in höher gelegenen und
schon einigermaßen urbar gemachten Gegenden angebaut haben, wie sich
das zum Teil noch in der ganzen Anlage der Dörfer und am Bau einzelner
Häuser feststellen läßt. Die Friesen und
Holländer dagegen kolonisierten die eigentlichen Niederungen.
Man erkennt auch heute noch in der Niederung hier und da an Tracht, Sitte und
Häuserbau, daß die Niederdeutschen, speziell die
Holländer, hier kolonisiert haben. Auch Namen und Redensarten
erinnern daran. Allerdings darf man dabei nicht übersehen, daß hier
noch eine zweite niederländische Kolonisation eingesetzt hat, auf
die wir später eingehender zu sprechen kommen werden.
Charakteristisch und für den Ursprung der Bevölkerung bezeichnend,
die obigen Ausführungen nur bestätigend, sind auch die sogenannten
Hofmarken43 die heute zwar sehr im Schwinden
sind, die sich aber doch bis in die neuere Zeit erhalten haben und einst in den
deutschen Bauerndörfern innerhalb des Weichseldeltas und auf den zu
beiden Seiten desselben gelegenen Gebieten der Städte Danzig, Elbing und
etwa noch der ehemaligen Klöster Oliva und Pelplin beschränkt zu
sein scheint. Die Hofmarken haften im Gegensatz zu den Hausmarken in
den Städten - an dem Grundbesitz, nie an der Person, und ihr
Zeichen hat nie eine [133] Veränderung erfahren. Auf jedem
Schulzenamte war eine Tafel mit sämtlichen Hofmarken der Gemeinde
aufgestellt, bei deren jeder die von dem Besitzer des entsprechenden Hofes
geleisteten Scharwerksdienste u. dgl. vermerkt wurden. Die Dörfer
der Danziger Höhe, die einst zum Orden, unter der Polenherrschaft aber zu
Danzig gehörten, nämlich Zipplau, Praust, Gischkau,
Kemnade, Löblau, Müggau, Kowall, Wonneberg, Ohra,
Guteherberge, Petershagen und der Hof Wartsch bedienten sich noch am Anfange
des 17. Jahrhunderts sämtlich der Hofmarken. In der Nehrung
waren diese Marken in der sogenannten
Binnen- und Hinternehrung, nämlich in den Dörfern Steegen,
Kobbelgrube, Fischerbabke, Glabitz und den anliegenden "Kampen", auch
in der südlich anliegenden Scharpau, namentlich in Tiegenort und dessen
Umgebung. Dagegen sind sie anscheinend in der sogenannten
Außen- oder Vordernehrung von Weichselmünde bis zur
östlichen Grenze des Bohnsacker Kirchspiels völlig unbekannt
gewesen. Im Danziger Werder wurden diese Hofmarken nicht
nur - mit Ausnahme der erst in der Mitte des 16. Jahrhunderts
angelegten Dörfer Schönrohr und Proitenfelde, wo sie gar nicht
gebräuchlich gewesen zu sein
scheinen -, in sämtlichen später der Stadt Danzig
gehörigen Dörfern, sondern auch in den mitten unter ihnen [134] gelegenen ehemals anderen Besitzern zugeteilt
gewesenen Gebieten, namentlich in Mönchengrebin (zum Kloster Oliva
gehörig), Quadendorf (den Karthäusern gehörig) sowie
Hochzeit und Nassenhuben (adligen Gütern) angewandt. Im späteren
sogenannten Bauamte der Stadt Danzig endlich gebrauchte man die Hofmarken
in Neuendorf, Kl. Walddorf und Gr. Plehnendorf; unbekannt scheinen sie
gewesen zu sein in Bürgerwiesen, Gr. Walddorf und Kl. Plehnendorf,
welche aus ursprünglichem Mietslande erst nach der Ordenszeit in
Erbzinsdörfer umgewandelt wurden. Auch im sogenannten Großen
Werder waren die Hofmarken allgemein im Gebrauch.
Es ist nun erwiesen, daß diese Hofmarken nur in freien Bauernhöfen,
niemals in den Grundstücken der Eigenkätner und anderer zur Miete
wohnender Leute gefunden sind. Weiterhin haben nur Deutsche, niemals
Polen, die Hofmarke angewandt, und ferner, es hatten nur die Kolonisten der
Ordenszeit ein lebhaftes Bewußtsein von der Bedeutung dieser Zeichen,
während sich die späteren Zuwanderer des 16. und 17. Jahrhunderts
ohne innere Teilnahme für dieselben nur teilweise der vorgefundenen Sitte
anbequemten.
Schauen wir rückblickend auf Stadt und Land Danzig am Ende der
Ordensherrschaft, d. h. um die Mitte des 15. Jahrhunderts, so erkennen wir,
daß wir hier jetzt ein kerndeutsches Gebiet vor uns haben, dessen
Bewohner zum weit überwiegenden Teil eingewanderte Deutsche sind, die
Kultur und Zivilisation in diese Lande gebracht, die die Stadt Danzig
bevölkert und aufgebaut, die das ganze weite Landgebiet erst urbar und
bewohnbar gemacht haben. Unter der Herrschaft des Ritterordens ist im Werder
überhaupt erst der Grund gelegt worden für seine spätere
Entwicklung. Die ansässige slawische Bevölkerung ist in einer
verschwindenden Minderheit vorhanden und ist bereits vom Deutschtum
durchdrungen, so daß sie fast durchweg schon eingedeutscht ist.
Deutschland hat die hier wirksam gewordenen Kräfte ausnahmslos
geliefert. Wenn also jemand einen Anspruch auf diese Gebiete erheben darf, so
kann und darf es nach allem nur Deutschland sein. An dieser geschichtlich
feststehenden Tatsache ist nicht zu rütteln. Und wenn andererseits die hier
ansässige Bevölkerung wiederum ein Anrecht auf Verbindung mit
einem anderen Volke hat, so kann es wiederum nur das deutsche sein, mit
dem es nicht nur durch die Bande der Sprache, sondern auch des
Blutes und der Kultur, der Zivilisation und der
Gesinnung aufs allerengste verknüpft ist.
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