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Danzig, sein Gebiet und seine Bewohner
in
vorgeschichtlicher Zeit.
Bis gegen das Jahr 1000 n. Chr.
Wir können und müssen die Geschichte unseres Landes weiter
hinaus verfolgen über jene Zeit, von der wir im zweiten Teile unserer
vorausgegangenen Ausführungen gesprochen haben, denn sie ist für
uns nicht minder bedeutungsvoll. Wir müssen zurückgehen bis in
jene Tage, da hier der Mensch erstmalig auftrat. Zwar versagen hier die
geschichtlichen Quellen, die für unsere Zeit erst sehr spät
einsetzen, denn die geschichtliche Zeit beginnt für unser Gebiet eigentlich
erst mit dem Abschluß des ersten christlichen Jahrtausends. Aber wovon die
Blätter der Geschichte nicht reden, davon spricht der Boden, und die
Ausgrabungen sagen uns, welche Menschen hier gelebt, welchen
Stämmen sie angehört haben, wie
stark - ganz allgemein ausgedrückt - die Besiedlung war und
wo die Wohnstätten lagen. Diese prähistorischen
(vorgeschichtlichen) Forschungen gewähren uns heute ein recht klares Bild,
und eine sehr reiche Literatur unterrichtet uns über alle Einzelheiten. Wir
weisen auch da auf die eingehenden Studien der Fachgelehrten, vor allem auf die
Werke und Arbeiten von Bertram, La Baume, Freytag, Sonntag, Kossinna,
Schlüter u. a. hin.
Allem Anschein nach ist der Mensch erst nach der Eiszeit, als bereits die niederen
Teile des Landes vom Eise befreit waren, in unsere Gegend gekommen, etwa
gegen das Ende der Steinzeit, noch im zweiten vorchristlichen
Jahrtausend. Mittelsteinzeitliche Steinfunde sind in gesamt Ostdeutschland sehr
selten, in unserer Gegend bisher überhaupt nicht aufgetreten. Erst aus
der
jüngeren
Steinzeit (5000 - 2000 v. Chr.)
haben wir wie im übrigen Ostdeutschland, so auch bei uns Funde zu
verzeichnen, und zwar treten sie in auffallend großer Zahl auf, so
daß wir aus ihnen schließen müssen, daß manche
Gegenden Ostdeutschlands in dieser Zeit bereits
verhältnismäßig dicht bevölkert gewesen sein
müssen. Das gilt auch speziell für das Gebiet westlich der
Danziger Bucht. Für die Anlage der Siedlungen sind landschaftlich
günstig gelegene Stellen bevorzugt worden, vor allem die [50] Höhenränder der
Flußtäler und der Seen. Dort und an anderen Stellen sind die
Wohnstätten meist auf Innendünen oder andersartigen sandigen
Böden errichtet worden. Sicherheit gegen Überschwemmung und dauernd
trockene Lage war offenbar die Grundbedingung für die Auswahl des
Geländes. Das Tal der Weichsel und vornehmlich ihre Zuflüsse
sowie die Küste der Danziger Bucht haben damals schon die Einwanderer
angelockt, die gerade in dieser Zeit den Höhenrand besonders dicht
besiedelten.1 Die Ansiedler trieben nach allen bisher
vorliegenden Anzeichen Ackerbau und Viehzucht, daneben aber spielten auch
Fischfang und Seehundjagd eine gewichtige Rolle.2
Die Kultur dieser jüngeren Steinzeitmenschen ist gegenüber
der vorausgehenden mittleren Steinzeit (etwa 12 000 bis 5 000
v. Chr.) gekennzeichnet durch das Auftreten geschliffener Steingeräte, durch
eine bereits weit fortgeschrittene Töpferkunst sowie durch die sogenannten
Megalithgräber (Hünengräber).
Auf Grund der Funde aus der jüngeren Steinzeit nun unterscheidet man in
Europa mehrere Kulturen, von denen jede ihre ganz besonderen Kennzeichen hat.
Für die deutschen Gebiete kommen in Betracht die Kultur der
Bandkeramik, die ihr Hauptverbreitungsgebiet um die Donau hatte und
daher auch den Namen Donaukultur führt. Sie kommt für uns
hier nicht in Betracht, da sie im Osten nur bis Schlesien reicht und mit
einigen kleinen Ausläufern vielleicht bis in das südliche ehemalige
Westpreußen, etwa bis in die Gegend von Graudenz hin.3
Unsere Gegend gehört dem sogenannten nordischen Kulturkreise
an, der durch eine Reihe von Eigenarten scharf gekennzeichnet ist und die Gebiete
von Südschweden, Dänemark,
Schleswig-Holstein und ganz Nord- und Ostdeutschland umfaßt. Die
auffallendsten Kennzeichen dieser Kultur sind: die großen
Megalith- oder Steinkistengräber in verschiedenen Formen, gefällige
Tongefäße, die tief eingestochene Verzierungen aufweisen (die
sogenannte Tiefstich- oder Megalithkeramik) und eine Fülle von Waffen
und Werkzeugen aus Feuerstein, "die durch eine zur höchsten Vollendung
gebrachte Fertigkeit in Herstellung und Formenschönheit auffallen",4 Streitäxte (Axthämmer)
aus Felsgestein von "nur hier charakteristischen Formen" und schließlich
häufige Verwendung von Bernstein zu allerlei Schmuck.
Wie aus den Ausgrabungen an der Danziger Bucht hervorgeht, bildet die hier
gefundene steinzeitliche Keramik nach Form und Verzierung eine vollkommene
Parallele zu derjenigen in Dänemark, Nordwestdeutschland und
dem [51] mittleren
Norddeutschland. Das gleiche gilt von den Funden anderer Art.
Diese Erscheinung ist nicht einfach durch Handelsverbindungen, auch nicht durch
bloße Kulturbeziehungen zu erklären, sondern sie beruht, wie heute
von niemand mehr ernstlich angezweifelt werden kann, auf Wanderungen.
An Hand der steinzeitlichen Funde lassen sich die Wege genau verfolgen, die die
Besiedelung unseres Gebietes in der jüngeren Steinzeit genommen hat,5 und zwar gehen sie von Westen
nach Osten, zum Teil wohl auch von Schweden über Dänemark
her nach Süden über die Ostsee. Diese einheitliche Kultur beweist,
daß diese Gebiete auch von einem einheitlichen Volke bewohnt
gewesen sein müssen.
Dieser Kulturkreis nun muß nach den unzweifelhaften Ergebnissen der
Vorgeschichtsforschung den Germanen zugewiesen werden. Mithin waren
die Bewohner unseres Gebietes in der jüngeren Steinzeit Germanen,
und zwar handelt es sich um das sogenannte indogermanische Urvolk, dessen
Entstehung mit größter Wahrscheinlichkeit in der mittleren Steinzeit
im Ostseegebiet vor sich gegangen ist, von wo aus dann die Ausbreitung
über Europa und Vorderasien unter Aufspaltung in die bekannten
Einzelvölker (Germanen, Kelten, Italiker, Griechen, Illyrier
u. s. w.) während der jüngeren Steinzeit und in den
folgenden Zeitabschnitten erfolgte.6 Diese indogermanischen Völker,
die entgegen der früher herrschenden Meinung nicht aus Asien
eingewandert sind, sondern deren Heimat im mitteleuropäischen Gebiet zu
suchen ist, wie rassenkundliche, sprachliche und archäologische Forscher
dartun, bevölkern in dieser Zeit nicht nur die Gebiete zwischen Elbe und
unterem Weichselgebiet, sondern auch Schlesien, Posen und sogar auch Polen und
Galizien, ja sie besetzen in unaufhaltsamem Vorwärtsdrängen sogar
Wolhynien, Podolien und die Ukraine bis ins Dnjeprgebiet. Ihre
größte Dichte und höchste Kultur weist diese germanische
Besiedelung im südlichen ehemaligen Westpreußen, in der Gegend
zwischen Graudenz, Thorn und Bromberg auf. Am Ende der jüngeren
Steinzeit, also um das Jahr 2 000 v. Chr., gehört unser Gebiet wie ganz
Ostdeutschland ganz unzweifelhaft jener nordischen Kultur an, deren
Träger Germanen waren.
So ist es auch durch die ganzen späteren Jahrhunderte geblieben. Nicht nur
in der Steinzeit, so sagt La Baume,7 sondern auch in allen folgenden
vorgeschichtlichen Zeiträumen hebt sich der nordische Formenkreis in
gleicher Geschlossenheit von den benachbarten Kulturen ab, und [52] nirgends findet sich ein Kennzeichen
dafür, daß irgendwann eine Unterbrechung der Kultur stattgefunden
hätte, die auf einen Wechsel der Bevölkerung schließen
ließe. Vielmehr beweist die Stetigkeit der Kultur von der jüngeren
Steinzeit an bis in die historische Zeit hinein, daß die Bevölkerung,
welche dort ansässig war, als das erste Licht der Geschichte auf sie fiel, der
Volkszugehörigkeit nach die gleiche war, wie die steinzeitliche. Zu Beginn
der geschichtlichen Zeit aber sind dort die Germanen ansässig
gewesen; folglich waren die steinzeitlichen Bewohner des nordischen
Kulturkreises ebenfalls Germanen. Dieses auf dem Wege der neueren
archäologischen Forschung gewonnene Ergebnis, zu welchem eine Reihe
namhafter Forscher gelangt ist,8 und welches immer mehr allgemeine
Zustimmung findet, erfährt eine Bestätigung durch anthropologische
Tatsachen.
In der nun folgenden
Bronzezeit
(etwa 2000 - 800 v. Chr.)
hat eine Aufteilung der Indogermanen in die verschiedenen Völker
stattgefunden, von denen sich einzelne bis in die geschichtliche Zeit erhalten
haben. Während der älteren Bronzezeit (etwa
2000 - 1600 v. Chr.) sind in Mitteleuropa mehrere scharf von
einander getrennte Kulturen erkennbar. Im Norden nimmt eine durch sehr
hochentwickelte Bronzetechnik gekennzeichnete Kultur das südliche
Skandinavien, die dänischen Inseln, Jütland und Norddeutschland
von der Weser- bis zur Odermündung ein. "Es ist unbestritten das
germanische Gebiet, das sich auf diese Weise deutlich heraushebt".9 Dagegen lag der südliche Teil
Ostdeutschlands im Bereich einer anderen, durch die Totenbestattung in
Hockerstellung besonders gekennzeichnete Kultur, die man nach einem Fundorte
in Böhmen Aunjetitzer Kultur nennt, und die in breitem Strich von
Niederösterreich durch Böhmen, Mähren, Schlesien bis nach
Sachsen hineinreicht.
"Über die kulturelle Zugehörigkeit der Funde aus der älteren
Bronzezeit im nördlichen Ostdeutschland kann man schwer etwas sagen,
sie gehören weder der nordisch-germanischen noch der Aunjetitzer Kultur
an; sie werden auch in der älteren Bronzezeit im Vergleich zu der reichen
Hinterlassenschaft der jüngeren Steinzeit so spärlich, daß der
Eindruck entsteht, an Stelle der früher ziemlich dichten Bevölkerung
sei jetzt hier eine Bevölkerungsarmut getreten".10 Irgendwelche Tatsachen jedoch, die
vermuten ließen, daß etwa zu Beginn der Bronzezeit ein
Wechsel der Kultur eingetreten ist, liegen nicht vor. In der
mittleren [53] Bronzezeit werden die Funde noch wesentlich
geringer. Diese Tatsache ist nur durch Abwanderung erklärlich, und
zwar ist, wie Kossinna11 nachgewiesen hat, diese
Abwanderung in der Richtung nach Südosten erfolgt, und das Land an
der Weichsel wurde so allmählich von Bewohnern nahezu gänzlich
entblößt.
Zum ersten Male aber begegnet uns nun das Brandgrab. Es machen sich,
wie auch aus der spärlichen Keramik hervorgeht, Einflüsse der
sogenannten Lausitzer Kultur bemerkbar.12 Diese ist, wie Kossinna annimmt, von
Süden her (Österreich, Schlesien, Posen) in nördlicher
Richtung bis zur Ostsee vorgedrungen. Sie ist ausgezeichnet durch eine
überaus formenreiche Keramik von technischer und künstlerischer
Vollendung.13 Da die bronzezeitliche
Keramik [54] des nordischen Kreises sehr einfach und
ziemlich gleichförmig ist, steht die Keramik vom Lausitzer Typ durch ihre
Mannigfaltigkeit in starkem Gegensatz zu ihr.
Die Frage, welchem Volke die Lausitzer Kultur zuzuweisen ist, hat
besonders in den letzten Jahren die Vorgeschichtsforscher lebhaft
beschäftigt. Nachdem man zur Ansicht gekommen war, daß diese
Kultur nicht slawisch gewesen sein kann, wie man bisher meist
angenommen hatte, hat sich seit den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts
immer mehr die Auffassung durchgesetzt, daß es sich auch hier um
germanische Kultur handelt.14
[53] Ostdeutschland und Nachbargebiete
in der jüngsten Bronzezeit.
Etwa 1000 v. Chr.
(Nach "Mannus", 6, 2. Aufl. Taf. V) [Vergrößern]
|
Die jüngere Bronzezeit (etwa
1200 - 800 v. Chr.) zeigt in unserem Gebiet zunächst auch noch eine
überaus spärliche Besiedlung, aber es macht sich schon recht
deutlich eine langsame Zunahme bemerkbar. Und aus der Tatsache,
daß nun auch wieder Bronzegegenstände nordischer Herkunft
gebräuchlich werden, können wir ein erneutes Vordringen dieser
Kultur nach dem Osten feststellen, so daß ganz Hinterpommern und das
nördliche ehemalige Westpreußen von ihr eingenommen werden.
"Grenzlinie dieses neu gewonnenen Gebietes nach Süden ist im
wesentlichen die Linie, die durch die Bahnstrecke
Schneidemühl-Dirschau dargestellt wird. Im Osten bildet wesentlich die
Weichsel die Grenze. Im Gegensatz zur früheren
Bronzezeit-Periode mit ihren spärlichen Funden zeigen Hinterpommern
und das nördliche Westpreußen nunmehr eine Fülle von
Bronzefunden. Wenn wir auch aus diesem Zeitabschnitt keine Grabfunde
kennen - eine Tatsache, für die es bisher keine Erklärung
gibt - so müssen wir doch aus der großen Zahl von
Depotfunden schließen, daß der Norden unseres Gebietes dicht
bevölkert war. Die Herkunft dieser neuen Besiedlung aus dem
eigentlichen germanischen Heimatgebiete westlich der Oder, deren
Vorrücken nach dem Osten in der Bronzezeit deutlich zu verfolgen ist,
ferner die Tatsache, daß die Depotfunde durchweg die typischen
Kennzeichen des nordischen Kulturkreises aufweisen",15 lassen es als ganz sicher
erscheinen, daß die Bevölkerung des oben umgrenzten Gebietes
derartiger Funde germanisch gewesen ist. Westpreußen bildete
also in dieser Zeit einen Teil Germaniens, und zwar dessen östlichsten.
Der Zusammenhang dieses Gebietes mit Skandinavien und Dänemark und
dem nordwestlichen Norddeutschland, d. h. also mit Ländern, in
denen zur Bronzezeit ganz unbestritten Germanen ansässig waren, ist so
offensichtlich, daß an dem germanischen Charakter unserer Bewohner kein
Zweifel erlaubt ist.
[55] Die auf die Bronzezeit folgende
älteste
[55] Ostdeutschland und Nachbargebiete
am Schluß der ältesten Eisenzeit.
Etwa 500 v. Chr.
(Nach "Mannus", Bd. 16 Taf. I) [Vergrößern]
|
Eisenzeit
(etwa 800 - 500 v. Chr.)
auch die jüngere Hallstadtzeit genannt, zeigt in Norddeutschland
eine weitere Ausdehnung des Gebietes germanischer Funde sowohl
über die Weichsel hinüber in das westliche Ostpreußen hinein,
als auch nach Süden zu. Das östliche Hinterpommern und das
ehemalige nördliche Westpreußen, d. h. die Landschaft
Pommerellen einschließlich des Danziger Gebietes, bildete nun das
Hauptgebiet der germanischen Kultur in Ostdeutschland, und gleichzeitig
nimmt diese im Vergleich zu der Kultur der altgermanischen Länder eine so
eigenartige Färbung an, daß man sie der
west- oder nordgermanischen als ostgermanische gegenüberstellen
kann.
Über diesen Abschnitt der Eisenzeit sind wir weit besser
unterrichtet als über die vorhergehenden Perioden. Nun wird [56] das Stammesgebiet der Ostgermanen in der
Verbreitung deutlich erkennbar. Die im Gebiete der unteren Weichsel herrschende
Kultur ist gekennzeichnet durch die sogenannte Gesichtsurnenkeramik:
ein Teil der Urnen, in denen der Leichenbrand beigesetzt wurde, zeigt mehr oder
minder vollkommen Darstellungen eines menschlichen Gesichtes. Diese Urnen
sind, was für die Kultur dieser Zeit typisch ist, in Steinkistengräbern
beigesetzt. Unter den Grabfunden sind charakteristisch bronzene Pinzetten mit
Schiebevorrichtung, eiserne oder bronzene Schwanenhalsnadeln,
Ohrgehänge u. s. w. Diese Funde entsprechen genau denen
aus Skandinavien, Dänemark und dem mittleren Norddeutschland bzw.
sind ihnen ganz ähnlich. Das zwingt zur Annahme engster
Verwandtschaft unter diesen Völkern. Selbst nicht einmal slawische
Forscher wagen es, den germanischen Charakter dieser Kultur zu bestreiten.16
Diese sogenannten Gesichtsurnen treten in unserer Gegend in
außerordentlicher Zahl auf, die Zahl der bei uns aufgefundenen
Gräberfelder ist sehr beträchtlich und läßt auf eine
für die damalige Zeit erstaunliche Dichte der Bevölkerung
schließen. Diese Tatsache hat Kossinna17 veranlaßt, zu ihrer
Erklärung eine Einwanderung von Skandinavien her über See
anzunehmen. Später18 ist er von dieser Annahme
abgekommen und hat die Anschauung vertreten, daß sich die Ostgermanen
aus den während der Bronzezeit zwischen Oder und Weichsel
ansässig gewordenen Germanen heraus entwickelt hätten, die sich
besonders nach dem für Handel und Verkehr günstig gelegenen
Gebiet der Danziger Bucht hingezogen und sich dort, zunächst aus
sich heraus, wahrscheinlich aber auch durch Zuströmen nordischer
Insel- und Küstenbevölkerung so stark verdichtet hätten. Eine
Zuwanderung ist jedenfalls anzunehmen, und sie ist zweifellos von dem
nordisch-germanischen Gebiet aus erfolgt. Die archäologischen
Funde in Skandinavien sprechen auch sehr deutlich für diese Tatsache.
Denn während Schweden, Dänemark und Norwegen in der
jüngeren Steinzeit wie in der Bronzezeit einen außerordentlichen
Reichtum an Funden aufweisen, woraus hervorgeht, daß das Gebiet dicht
besiedelt gewesen sein muß, tritt in den meisten Gegenden Skandinaviens
beim Eintritt in die Eisenzeit eine starke und sehr deutlich erkennbare Abnahme
der vorgeschichtlichen Funde ein. Es ist also die Annahme durchaus
begründet, daß beide Erscheinungen in ursächlichem
Zusammenhang miteinander stehen.19 Durch bloße
Handelsbeziehungen vom Norden her lassen sich diese Funde unmöglich
erklären, denn dazu sind die Funde viel zu zahlreich, [57] und fast alle Museen Norddeutschlands
verdanken die Hauptmenge ihrer Bestände an vorgeschichtlichen
Altertümern den sogenannten Steinkistengräbern dieser Zeit, die uns
dank ihrer Bauart eine große Zahl von Urnen und Beigefäßen in
gutem Zustande hinterlassen haben.
Für die nun folgende Periode (etwa 500 - 1 v. Chr.), die sogenannte
Latènezeit,
welche ihren Namen von den Funden von Latène, einer Untiefe im
Neuenburger See in der Schweiz herleitet, können wir wieder mit aller
Bestimmtheit eine Einwanderung von Nordgermanen nach
Ostdeutschland nachweisen. Diese Periode ist gekennzeichnet durch die keltische
Eisenkultur, deren wichtigstes Kennzeichen eine reich entwickelte Metalltechnik
ist, in der nunmehr das Eisen im Vergleich zur Bronze überwiegt. Die
Latènekultur dringt von Süden her in den
nordgermanischen Kulturkreis ein, aber zunächst nur im Gebiete der
Westgermanen. Während diese bereits zu Beginn dieser Epoche zahlreiche
Elemente dieser Kultur aufnehmen, verhalten sich die Ostgermanen
zunächst noch ablehnend gegenüber solchen Einflüssen; denn
von den Kennzeichen der
Früh- und Mittellatènekultur ist in unserem Gebiete nichts zu
spüren, vielmehr fallen diese beiden Abschnitte im Gebiete der
Ostgermanen völlig aus, es bestand während dieser Zeit der Zustand
der vorigen Epoche hier weiter fort.
[58] Ostdeutschland und Nachbargebiete
in der vorrömischen Eisenzeit.
Etwa 100 vor Chr.
(Nach "Mannus", Bd. 16 Taf. I) [Vergrößern]
|
In der Spätlatènezeit jedoch, etwa von dem Jahre 150 v. Chr. an,
wird es anders. Nun bricht die bisherige Zivilisation plötzlich ab, um
plötzlich und ganz unvermittelt einer völlig neuen Platz zu
machen, der Spätlatènekultur. Auch aus dieser Zeit bietet unser
Gebiet wieder eine reiche Fülle von Funden. Auf Grund der
archäologischen Forschung sowohl wie auch an Hand geschichtlicher
Tatsachen können wir sicher die Frage nach dem Woher
dieser Änderung beantworten. Es ist bekannt, daß zwischen 120 und
115 v. Chr. Scharen von Kimbern und Teutonen aus Jütland, der
"Kimbrischen Halbinsel" aufbrachen und nach längeren Wanderungen mit
den Römern zusammenstießen. Jeder kennt aus der Geschichte dieser
Kämpfe von Noreja, Aquae Sextiae, Vercellae. In jener Zeit nun
müssen auch andere nordgermanische Stämme ihre Heimat verlassen
haben. Zwar gibt von deren Wanderungen keine geschriebene Urkunde Nachricht,
aber vieles spricht dafür, daß in den letzten Jahrhunderten vor
Christus eine umfangreiche Auswanderung aus Skandinavien und den
umliegenden Inseln erfolgt sein muß. An ihr waren u. a. namentlich
die Burgunder beteiligt. Am [58] frühesten erwähnt wird dieser
Name von Plinius im ersten Jahrhundert nach Christus und bald
darauf auch von Ptolomäus. Die Burgunden sind von
Bornholm, das damals Burgund geheißen, im Verein mit Teilen
benachbarter germanischer Stämme in das westliche Hinterpommern
eingewandert und haben das Gebiet zwischen Oder und Weichsel besetzt. Ihre
Einwanderung ist wahrscheinlich im zweiten Jahrhundert vor Christus erfolgt.
Wahrscheinlich um dieselbe Zeit sind die Rugier aus "Rogaland" im
südwestlichen Norwegen nach Pommern gekommen und haben mehr das
Küstengebiet der Danziger Bucht von Elbing im Osten bis Kolberg
und Neustettin an der Persante im Westen besetzt.
Aus den letzten Jahrzehnten v. Chr. stammt nun auch die genauere
geschichtliche Kunde, die das Altertum über Germanien erhielt.
Übermittelt wird uns diese Kunde durch das geographische
Handbüchlein des Cornelius Nepos, das wir aus der Benutzung in
der "Erdkunde" des Pompejus Mela kennen, weiter durch die
Weltkarte des [59] Agrippa, der im Jahre 12 v. Chr. starb,
und durch die Beschreibung dieser Weltkarte, die sein Schwiegervater, Kaiser
Augustus, später herausgab, beides nachwirkend in den Werken des
Plinius. Tacitus und Ptolomäus. Danach wußte man
in Rom vor Beginn der großen Germanenkriege des Augustus, daß die
Germanen ostwärts überall bis zur Weichsel
wohnten.
Das Ergebnis aus den Nachrichten dieser drei Schriftsteller Plinius, Tacitus und
Ptolomäus ist also, daß die Weichsel die Grenze bildete zwischen
Germanen und Slawen, daß somit im heutigen Pommerellen und
dementsprechend ganz selbstverständlich auch im Danziger Gebiet
Germanen wohnten.
In dieser Zeit ist auch die Übersiedlung der Germanenstämme der
Goten und Gepiden aus dem alten Götaland nach dem
Weichselmündungsgebiet erfolgt. Die Goten unterwarfen die
bereits im Gebiet der Danziger Bucht vorhandenen gleichfalls germanischen
Rugier ihrer Herrschaft, während die Westrugier im Küstengebiet des
Putziger Wieks und des östlichen Hinterpommerns es vorzogen, das Land
aufzugeben und westwärts zu ziehen. Der gotische Geschichtsschreiber
Jordanes meldet ganz allgemein, die Goten wären unter dem König
Berich aus "Skandinavien" nach den Inseln des
Weichselmündungsgebietes gekommen und hätten dort die
Holm- (d. h. Insel-) Rugier unterworfen.
Im Vergleich zu der Lage während des letzten Jahrhunderts vor Christus
bringt nun die folgende
Römische
Kaiserzeit (etwa 1 - 400 n. Chr.)
[60] Ostdeutschland und Nachbargebiete
am Schluß der Römischen Kaiserzeit.
Etwa 400 nach Chr.
(Nach "Mannus", Bd. 16 Taf. I) [Vergrößern]
|
zunächst verhältnismäßig wenig Veränderungen
im ganzen ostgermanischen Gebiet. Gräber der Spätlatènezeit setzten
sich ohne Unterbrechung auch in der Kaiserzeit fort. Doch deuten mancherlei
Anzeichen darauf hin, daß auch noch während der älteren
Kaiserzeit Nachschübe von Nordgermanen nach Ostdeutschland gelangt
sind. Fest steht für diese Zeit, daß die Goten im Gebiet der
unteren Weichsel ansässig waren, und ebenso steht fest, daß
einer ihrer Stämme, die Gepiden, im Mündungsdelta der
Weichsel wohnten. Nun mehren sich auch die geschichtlichen
Nachrichten über die weiteren Schicksale der Ostgermanen, die vom
zweiten Jahrhundert an in lebhafter Bewegung sind. Mit den nun anhebenden
schriftlichen Überlieferungen stimmt völlig überein, was wir in den
Altertumsfunden jener Zeit beobachten können: etwa vom zweiten
Jahrhundert an nehmen viele kaiserzeitliche Friedhöfe im ostgermanischen
Gebiet allmählich ab, andere hören schon im dritten
Jahr- [60] hundert ganz auf, und nur wenige sind
während des vierten und fünften Jahrhunderts belegt worden. Von
den Goten, den bedeutendsten Vertretern der Ostgermanen, erfahren wir,
daß sie bereits im zweiten christlichen Jahrhundert aus dem Gebiet der
unteren Weichsel nach Südosten abwandern. Die westlichen
Nachbarn der Goten, die Rugier, erscheinen im fünften Jahrhundert
in Niederösterreich an der Donau. Die Burgunden wählen
den Weg nach dem Westen, ziehen gegen Ende des dritten Jahrhunderts durch das
mittlere Deutschland dem Main und Rhein zu.
Wie diese geschichtlichen Nachrichten erkennen lassen, ist die Abwanderung aus
unserer Gegend nicht mit einem Mal erfolgt, sondern nach und nach. Das spiegelt
sich auch in den Gräberfunden wider. Auch der Abzug eines und
desselben Stammes hat sich noch durch Jahrzehnte, ja vielleicht durch
Jahrhunderte, erstreckt. Aber es darf auch angenommen werden, daß die
Abwanderung nicht ganz
all- [61] gemein war,
daß vielmehr vereinzelte Familien bzw. Sippen zurückblieben, die
dann auch die Namen von Gegenden und Gegenständen auf die neuen
Ankömmlinge vererbten.
Die germanischen Völkerschaften an der unteren Weichsel sind also, wie
auch anderswo, in diesen ersten Jahrhunderten der christlichen Zeitrechnung in
recht lebhafter Bewegung, sie brechen auf und verlassen die Gebiete, die dadurch,
da einstweilen kein Nachschub kommt, immer leerer werden. "Um 350 n. Chr. ist
das ganze Gepidenland der Weichsel so gut wie verödet".20 Geschichtliche Nachrichten aus der
nun folgenden sogenannten
Völkerwanderungszeit
(5. und 6. Jahrhundert)
besitzen wir nicht, wir sind ausschließlich auf das angewiesen, was uns die
Bodenfunde bieten, oder richtiger nicht bieten. Denn die bereits
gekennzeichnete Entwicklung bringt es naturgemäß mit sich,
daß in dieser Zeit nach dem Abzüge der germanischen
Völkerschaften eine außerordentliche Armut an Altertumsfunden
herrscht. Außer ganz wenigen Münzen sind Funde aus dieser Zeit in
unserer Gegend überhaupt nicht bekannt. Gleichwohl lassen diese
spärlichen Funde aus dem fünften, und die noch spärlicheren
aus dem sechsten Jahrhundert erkennen, daß noch einige Ostgermanen im
Lande zurückgeblieben waren.21 Diese, wenn auch wenigen Funde
erbringen aber auch mit Sicherheit den Beweis, daß wirklich nie das ganze
Volk ausgewandert ist. "Diese ausgesprochen germanischen Funde,
vielfach von skandinavischer Art, beweisen aber auch, daß weder an eine
Einwanderung der Wenden in unsere Ostmarken vor etwa 600, noch an ihre
gewaltsame, also dann doch rasch erfolgte Eroberung durch die Wenden... zu
denken ist".22
Dann aber,
vom sechsten bis zum achten
Jahrhundert,
folgt bei uns tatsächlich ein Nichts, sowohl an geschichtlichen
Nachrichten wie an archäologischen Funden. Wir haben nichts, das auf eine
Besiedelung Ostdeutschlands hindeutet. "Keine Tatsache kann auffälliger
die Unsinnigkeit der Behauptung slawischer Forscher beweisen, die Slawen seien
von uralter Zeit hier in Ostdeutschland ansässig gewesen, als diese
Fundleere in frühmittelalterlicher Zeit... Vielmehr beweist die Fundleere,
daß die Slawen in das verödete Land zunächst nur vereinzelt
und zögernd von Südosten her eingerückt sind. Erst vom 10.
Jahrhundert ab weisen Gräber und Siedelungsstellen auf eine zahlreiche
slawische Besiedelung hin".23
[62] Wie sich
die Einwanderung der
Slawen
vollzogen hat, ist noch unklar. Keinesfalls kann sie durch gewaltsame Eroberung
geschehen sein, dann müßten sie in größerer Zahl
aufgetreten sein, und eine solche Zahl hätte irgendwie Spuren
zurückgelassen.
Diese sogenannte slawische oder wendische Zeit (7. bis 12. Jahrhundert) beginnt
für unseren Osten sogar noch später als im 7. Jahrhundert, etwa erst
mit dem Ende des 8. oder dem Anfange des 9. Jahrhunderts, also eigentlich erst
mit dem Spätabschnitt der slawischen Zeit überhaupt. Erst aus dieser
Zeit haben wir auch wieder im Gebiet der unteren Weichsel Funde. Im 7. und 8.
Jahrhundert ist kein Fund zu verzeichnen, in ihnen können höchstens
die ersten slawischen Vorposten bis in unsere Gegend gelangt sein. Diese Slawen
werden in Ostdeutschland Wenden genannt und waren wohl schon in
Stämme gespalten, als sie hierher kamen, oder sie teilten sich auf in
Landsmannschaften mit verschiedenen Namen. Die an der Ostseeküste
ansässig wurden, nannten sich "die am Meere" (po mora), woraus der Name
Pommerellen bzw. Pommern entstanden ist. Zum Bereich dieser wendischen
Pommern gehörte auch das Mündungsgebiet der Weichsel,
während weiter südlich die Polen saßen. Was an Resten
slawischer Kultur in Ostdeutschland bekannt ist, stammt ausschließlich aus
dem 9. bis 12. Jahrhundert. Die letzten Jahrhunderte dieser Zeit aber reichen
bereits in die geschichtliche Zeit, und da beginnt sofort die germanische
Rückeroberung.
Schlussfolgerungen für die vorgeschichtliche
Zeit
Ziehen wir nach diesen kurzen Darlegungen für diese Periode, die wir
für unsere Gegend als die vorgeschichtliche Zeit bezeichnen müssen,
die mit der ältesten Zeit beginnt und etwa bis zum Abschluß des
ersten Jahrtausends reicht, die Schlußfolgerungen, so können wir
feststellen, daß die Ergebnisse der vorgeschichtlichen Forschung
unwiderleglich dartun, daß die ersten und ältesten Bewohner unserer
Gebiete nicht Slawen, sondern Germanen waren, und daß sich ihr
ununterbrochenes Vorhandensein, und zwar ihr alleiniges Vorhandensein, bis
etwa zum Jahre 600 nach Christus, also über einen Zeitraum von
mindestens zwei Jahrtausenden vor der slawischen Einwanderung unzweifelhaft
nachweisen läßt, daß also Germanen die Ureinwohner
dieses Landes waren. Will man daher von einem historischen Recht auf diese
Gebiete sprechen, so muß man feststellen, [63] daß dies unzweifelhaft
germanischen, nicht slawischen Volksstämmen zukommt, denn die
Besiedelung durch die Slawen bedeutet angesichts dieser langen Jahrhunderte
germanischer Herrschaft nur eine kleine Episode.
Und weiter muß festgestellt werden, daß sich die erste Kultur von
Westen und Norden her, also aus dem heutigen Deutschland, Schweden,
Norwegen und Dänemark, also von Germanien aus, in unsere Lande
ergossen hat, daß die innigsten Wechselbeziehungen zwischen dem Lande
an der Weichselmündung und den Gebieten des Westens bestanden, soweit
in jener Zeit von solchen überhaupt gesprochen werden kann. Von
Westen her ist der
Völker- und Kulturstrom gekommen, dorthin ist er wieder
zurückgeflutet in der Zeit der Völkerwanderung. Es hebt sich aus
allem klar heraus, daß die völkischen Beziehungen der Lande um den
Unterlauf der Weichsel von den ältesten Zeiten an nach Westen und
Norden, nicht aber nach Osten und Süden hinweisen. Der nordische
Kulturkreis war für diese Gebiete allezeit das Quellgebiet, aus dem ihm
neue Kräfte zuflossen, von dort her kam die Bevölkerung und
mit ihr die Kultur.
Andererseits zeigt die vorgeschichtliche Forschung unzweifelhaft, daß von
einem "historischen Recht" der Slawen und mit ihnen der Polen auf unser Gebiet
keine Rede sein kann, soweit die vorgeschichtliche Zeit in Frage kommt.
Daß die Slawen erst ganz spät, erst etwa im 8. christlichen
Jahrhundert hierhergekommen sind, daß sie dem Lande keine Kultur
gebracht und auch kein eigenes slawisches Gepräge aufgedrückt
haben. Vielmehr treten sie auf zu einer Zeit, als auch schon das Ende der
slawischen Herrschaft auf dem alten Germanenboden herannahte, denn bereits
unter Kaiser Karl dem Großen beginnt ja im Herzen Deutschlands die
Wiedergewinnung des damals von den Slawen besetzten urgermanischen Landes,
und auch an der Weichsel sollte es nicht lange mehr dauern, bis dies geschah.
Aber auch zu der Zeit, da unser Land noch unter slawischen Herrschern stand und
die slawische Bevölkerung in der Mehrzahl war, beginnt schon die
Wiedergermanisierung, und zwar auf Wunsch und
Veranlassung dieser slawischen Herrscher selbst, weil sie erkannt hatten,
daß ihre Stammesgenossen nicht in der Lage waren, dem Lande Kultur,
Zivilisation und Christentum zu bringen, weshalb sie die Deutschen als
Kulturträger herbeiriefen, und diese sich nun zu dem
ursprünglichen geschichtlichen Recht auch noch das Anrecht auf diesen
Boden erwarben durch Schaffung einer neuen Kultur, die durch und durch
germanischen, und zwar spezifisch deutschen Charakter trägt, so
daß nun dies Gebiet auch kulturell ein echt deutsches wurde.
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