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Bd. 2: Teil 2: Die politischen
Folgen des Versailler Vertrages
IV. Sondereinrichtungen und Arbeiten des
Völkerbundes (Teil 2)
B) Völkerbund und Presse
Dr. Kurt Häntzschel
Ministerialrat im Reichsministerium des Innern
Wenn in einem kleinen Ort das Gemeindeparlament tagt, so wird die
Öffentlichkeit und die öffentliche Anteilnahme des Publikums schon
in gewissem Grade dadurch gesichert, daß eine Anzahl von Bürgern
der Gemeinde den Verhandlungen beiwohnt und dann in größerem
oder kleinerem Kreise ihren Mitbürgern Bericht erstattet. Die wirksamste
Berichterstattung erfolgt zwar auch hier meist durch die Presse, aber eine
Öffentlichkeit ohne sie ist in so engen Verhältnissen wenigstens
denkbar. Weit schwieriger wird die Frage der Öffentlichkeit bei
Körperschaften mit größerem Aktionsradius, z. B. dem
Parlament eines Staates. Hier ist die Mitwirkung der Presse bereits
unumgänglich, weil sonst der Zweck der ganzen Einrichtung, eine
Wechselwirkung zwischen Regierung und Regierten zu vermitteln und zwischen
ihnen etwa bestehende Spannungen auszugleichen, mangels der erforderlichen
öffentlichen Resonanz bereits nicht mehr erreichbar wäre. Handelt es
sich vollends um eine weltumspannende Organisation wie den Völkerbund,
so besteht die Öffentlichkeit der Verhandlungen praktisch überhaupt
nur noch in der Berichterstattung durch die Presse, da die paar zufällig
anwesenden Hörer auch nicht entfernt ausreichen, um dem, was da
verhandelt und entschieden wird, die nötige Verbreitung und das
erforderliche Echo in der Welt zu sichern.
Der Völkerbund ist also mehr als jede andere Organisation auf die Mitarbeit
der Presse, und zwar der Presse aller Länder, angewiesen. Wo immer er in
Erscheinung tritt, muß neben ihm auch die Presse in Tätigkeit treten,
um das, was er will, der Welt nahe zu bringen, es ihr verständlich zu machen
und um ihre Sympathie und Unterstützung zu werben. Man mag über
den Völkerbund denken, wie man will, sicher ist, daß er ohne die
Unterstützung, die ihm heute die Presse mit den ihr zur Verfügung
stehenden technischen Möglichkeiten gewährt, überhaupt nicht
lebensfähig wäre.
Wenn man auf jemand angewiesen ist, so pflegt man sich um ihn zu
kümmern und nach Möglichkeit auch etwas für ihn zu tun. In
welchem Grade der Völkerbund mit der Presse zu rechnen hat, das [264] haben auch die verantwortlichen Leiter seiner
Geschäfte sehr schnell erkannt. Sie haben sich nicht darauf
beschränkt, die Presse in möglichst weitem Umfange an allen
Beratungen teilnehmen zu lassen und die Tätigkeit ihrer Berichterstatter
durch technische Erleichterungen und Einräumung anderer
Bequemlichkeiten zu unterstützen, sondern haben darüber hinaus
besondere Sorgfalt auf die vollständige Unterrichtung der Presse gelegt, um
sie durch Wort und Schrift über die gesamte Tätigkeit des
Völkerbundes und seiner vielfachen Kommissionen ständig auf dem
laufenden zu halten. Nicht genug damit, wurde bald eine besondere Abteilung des
Völkerbundsekretariats, die sogenannte Informationsabteilung
gegründet, eigens zu dem Zweck, um den Verkehr mit der Presse
sorgfältig zu organisieren und zu pflegen. Diese Abteilung ist nicht etwa
eine einfache Pressestelle, wie wir sie heute bei allen größeren
Amtsstellen kennen und die lediglich die Aufgabe hätte, abwechselnd
amtliche Verlautbarungen und Dementis zu verteilen. Sie hat darüber hinaus
dafür zu sorgen, daß die bekannte, auch den
Völkerbundsdelegierten nicht fremde Scheu vor der Presse nach
Möglichkeit überwunden und die Presse, soweit als irgend
möglich, bei allen Beratungen des Völkerbundes zugelassen wird. Sie
hat weiter die Aufgabe, die Presse über alles das, was etwa im Wege des
Notenaustauschs den Verhandlungen des Völkerbundes vorbereitend
vorausgegangen ist, rechtzeitig ins Bild zu setzen, damit sie in völliger
Kenntnis der gesamten Verhandlungslage den Beratungen des Völkerbundes
verständnisvoll zu folgen vermag. Um dieser Aufgabe gerecht werden zu
können, hat das Völkerbundssekretariat in den Hauptstädten
von fünf Ländern, nämlich in Berlin, Paris, London, Rom und
Tokio Zweigstellen seiner Informationsabteilung errichtet und unterhält
außerdem im Haag bei den Sitzungen des ständigen Internationalen
Gerichtshofes sowie bei sonstigen den Völkerbund betreffenden
internationalen Verhandlungen regelmäßig einen eigenen Pressedienst
am Verhandlungsort.
Noch einen Schritt weiter ging der Völkerbund, als er auch die Aufgabe
übernahm, sich der allgemeinen Nöte der Presse in allen
Ländern anzunehmen, um sie insoweit, als sie internationaler Natur sind und
für eine internationale Regelung geeignet erscheinen, im Wege gemeinsamer
Zusammenarbeit des Völkerbundes mit den Zeitungsverlegern, Journalisten
und Nachrichtenbüros aller Kulturstaaten der Erde einer Lösung
zuzuführen. Um hierfür neben den nationalen Organisationen der
Presse in den einzelnen Ländern auch sachverständige Berater in Genf
selbst zur Seite zu haben, hat der Völkerbund zunächst die Schaffung
einer eigenen Organisation der Völkerbundsjournalisten in die Wege
geleitet. Dieser "Organisation der beim Völkerbund beglaubigten
Journalisten" können alle Pressevertreter beitreten, die einmal als
Berichterstatter bei einer Tagung [265] des Völkerbundes zugelassen waren, aber
das Rückgrat der Vereinigung bilden natürlich die in Genf selbst
ansässigen Korrespondenten der Presse aller Länder und die
Journalisten, die als Spezialisten für die Völkerbundsberichterstattung
gewissermaßen gewohnheitsmäßig bei jeder irgendwie
bedeutsamen Tagung immer wieder in Genf erscheinen. Nachdem man so durch
Schaffung einer eigenen Informationsabteilung und Zusammenfassung der
Völkerbundsjournalisten zu einer eigenen Organisation die nötigen
Voraussetzungen geschaffen hatte, ging man im Völkerbund
schließlich auch dazu über, nunmehr planmäßig auf eine
richtiggehende Interessenverbindung zwischen Völkerbund und Weltpresse
hinzuarbeiten, indem man sich der fachlichen und beruflichen Nöte der
Presse annahm. Das alles natürlich mit dem politischen Ziel, bei dieser
Gelegenheit Mittel und Wege zu finden, um auch die Presse noch mehr als bisher
in den Dienst des Völkerbundsgedankens und der
Völkerverständigung zu stellen.
Es war der Vertreter von Chile, Yanez, der am 16. September 1925 der
Völkerbundversammlung den Antrag vorlegte, die Frage der Einberufung
einer internationalen Pressesachverständigenkonferenz zu prüfen.
Diese Konferenz sollte einmal die Frage erörtern, mit welchen Mitteln eine
leichtere und billigere Nachrichtenübermittlung bewerkstelligt und dadurch
die Gefahr von internationalen Mißverständnissen durch die Presse
verringert werden könnte. Sie sollte ferner sich aller Berufsfragen der Presse
annehmen, deren Lösung geeignet sein könnte, zur Beruhigung der
öffentlichen Meinung der Welt beizutragen. Wie der Berichterstatter, das
belgische Ratsmitglied Hymans, bei der Beratung dieses Antrags ausführte,
könne es nicht die Absicht des Völkerbundes sein, die
Unabhängigkeit der Presse anzutasten und sich in einer irgendwie
unerwünschten Weise in ihre äußeren Verhältnisse
einzumischen. Aber die Presse hänge doch andererseits auch in so hohem
Maße sowohl bei der Übermittlung ihrer Nachrichten von den
Telegraphenverwaltungen wie bei der Beförderung ihrer Zeitungen von den
Postverwaltungen der Länder und hinsichtlich des Schutzes des Abdruckes
ihrer Nachrichten von den gesetzgebenden Faktoren der Staaten ab, daß der
Völkerbund durch eine freundschaftliche Mitwirkung an der Lösung
der damit verknüpften Schwierigkeiten vielleicht doch einen
wohltätigen Einfluß ausüben könnte. Die
Völkerbundsversammlung nahm den Antrag an und der
Völkerbundsrat beschloß am 26. September, den
Generalsekretär zu beauftragen, bei den Berufsverbänden der Presse
Erhebungen darüber anzustellen, ob 1. die Presse die Einberufung einer
Sachverständigenkonferenz für
angebracht halte und 2. welche Fragen
nach ihrer Ansicht zur Erörterung auf einer solchen Konferenz geeignet
wären. Nachdem fast alle Länder zustimmend geantwortet [266] hatten, gründete man drei vorbereitende
Ausschüsse, die die Tagesordnung der Konferenz technisch vorbereiten
sollten. Mit der Tätigkeit dieser Ausschüsse begann bereits die
praktische Arbeit. Der erste Ausschuß setzte sich aus den Direktoren der
großen Nachrichtenbüros Europas, Amerikas und Asiens zusammen,
der zweite aus den Pressechefs der Regierungen der kleineren Staaten, in denen
infolge der noch rückständigen Entwicklung der Presse selbst deren
Interessen noch von den Regierungen wahrgenommen wurden. Der dritte
Ausschuß bestand aus Journalisten, die allerdings nicht von den nationalen
journalistischen Berufsverbänden vorgeschlagen, sondern vom
Völkerbund selbst mit Hilfe und vornehmlich aus den Reihen seiner eigenen
Genfer Journalistenorganisation ausgewählt wurden.
Nach Abschluß der vorbereitenden Arbeiten trat endlich am 24. August 1927
in Genf die erste Internationale Pressesachverständigenkonferenz des
Völkerbundes zusammen. Als ihren Vorsitzenden hatte der
Völkerbundsrat den damaligen Verleger des Daily Telegraph, Lord
Burnham, bestimmt. An dieser Konferenz nahmen 118 Sachverständige teil,
die 38 Staaten aus allen fünf Erdteilen angehörten. Die
Verhandlungen, die im Reformationssaal, dem Tagungsort der
Völkerbundsversammlung, stattfanden, dauerten fast eine Woche und
entsprachen durchaus den Erwartungen, die man daran geknüpft hatte. In
sehr sachlicher Form, die wohl quer durch alle Länder laufende
Interessengegensätze, aber keine nationalen Gegensätzlichkeiten
zutage treten ließ, wurde eine äußerst umfangreiche
Tagesordnung in einer Weise erledigt, die für die zukünftige
Fortsetzung dieser Tätigkeit des Völkerbundes nur Gutes erhoffen
läßt. Neben zahllosen beruflichen und Fachfragen wurden auch
politische Probleme, wie insbesondere das des ungehinderten und unzensurierten
Zeitungsbezugs der nationalen Minderheiten aus ihren kulturellen
Mutterländern erörtert, ohne daß dadurch irgendein
Mißton in die Konferenz getragen worden wäre. Und doch wurden die
Sorgen der bedrückten Minderheiten von ihren Vertretern oft mit
großer Deutlichkeit und noch größerem Temperament zum
Vortrag gebracht. Man hatte den Eindruck, daß gerade hier auch die
politische Wirkung eine außerordentlich starke war.
Als Ergebnis der Konferenz wurden zehn verschiedene Entschließungen
angenommen, die teils technische Verbesserungsvorschläge für den
internationalen Nachrichtendienst und Zeitungsversand, teils Vorschläge
für die gesetzliche Verbesserung des internationalen Nachrichtenschutzes,
teils die verschiedenartigsten Wünsche für die Erleichterung der
journalistischen Tätigkeit der ausländischen Korrespondenten
betrafen. Eine weitere Entschließung bezeichnet die Zensur in Friedenszeiten
als ein Hindernis für den internationalen Nachrichtenaustausch und spricht
den Wunsch nach ihrer schnellen [267] und endgültigen Abschaffung aus. In den
Ländern, wo trotzdem die Aufrechterhaltung der Zensur
unumgänglich erscheine, fordert sie eine Milderung ihrer Ausübung
durch Einräumung gewisser Garantien. Der Anlaß für die
Entschließung war die Tatsache, daß in einer Reihe von Ländern
die nationalen
Minderheiten noch heute daran gehindert werden, unzensurierte
Zeitungen in ihrer eigenen Sprache herauszugeben oder aus dem Ausland zu
beziehen. Eine weitere Entschließung, die ebenfalls politisches Interesse
beansprucht, wendet sich gegen Falschmeldungen und tendenziöse
Berichterstattung und fordert die allgemeine Einführung eines
internationalen Berichtigungszwangs. Ferner wird in ihr die Frage ventiliert,
inwieweit die Presse an der moralischen Abrüstung der Völker
mitzuwirken berufen ist, und schließlich die Forderung aufgestellt, der Rat
möge die Einführung periodischer internationaler Pressekonferenzen
des Völkerbundes prüfen. Die wörtliche Wiedergabe aller
dieser Entschließungen würde einen zu breiten Raum einnehmen.
Aber die einleitende Formel, mit der diese Entschließungen dem
Völkerbund vorgelegt wurden, sei doch im Wortlaut wiedergegeben, weil
sie am besten den Geist erkennen läßt, in welchem diese erste
internationale Pressesachverständigenkonferenz gearbeitet hat:
"Die Konferenz würdigt in hohem Maße
die Tatsache, daß Völkerbundversammlung und Völkerbundrat
durch die Einberufung der Konferenz die Bedeutung der Presse anerkannt und die
Gelegenheit zu weitgehenden Erhebungen geboten und daß die Organe des
Völkerbundes wiederholt ihrem Bestreben Ausdruck verliehen haben, die
Unabhängigkeit der Presse zu achten;
die Konferenz spricht die Hoffnung aus, daß Rat und
Versammlung den verschiedenen technischen Organen des Völkerbundes,
deren Mitarbeit für die Durchführung der technischen
Konferenzentschließungen wünschenswert ist, die hierzu notwendigen
Anweisungen erteilen mögen;
die Konferenz äußert den Wunsch, daß
Rat und Versammlung weiterhin der Entwicklung dieser Probleme ihre
Aufmerksamkeit schenken, damit, wenn die verschiedenen auf dieser Konferenz
vertretenen Kreise später neue Erhebungen oder eine neue Konferenz
anregen sollten, auch Versammlung und Rat von neuem die technischen
Erleichterungen, über die der Völkerbund verfügt, der Presse
zur Verfügung stellen können;
die Konferenz erklärt: die Journalisten
müssen alle denkbaren Erleichterungen genießen, um in den einzelnen
Ländern Aufenthalt zu nehmen, zu reisen, Informationen zu sammeln und
ihre beruflichen Kenntnisse zu vertiefen; der Nachricht muß
gesichert sein: Freiheit bei ihrer Entstehung, Schnelligkeit bei ihrer
Übermittlung, Schutz vor und nach ihrer Veröffentlichung gegen
unlautere Aneignung sowie weitgehende Verbreitung, damit die Presse, deren
Aufgabe darin besteht, genau und gewissenhaft die öffentliche Meinung zu
unterrichten und damit zur Erhaltung des Friedens und zum Fortschritt der Kultur
beizutragen, ihre hohe und schwere Mission wirksam erfüllen
kann."
Mit dem Ergebnis der Konferenz beschäftigte sich zunächst der
Völkerbundsrat, dann die Völkerbundsversammlung, die in einer
Ent- [268] schließung den Erfolg der Konferenz
feststellte, um dann die Zuversicht auszudrücken,
"daß der Rat in seiner Dezembertagung die
geeigneten Maßnahmen ergreifen wird, um die wohlwollende
Aufmerksamkeit der Regierungen auf die anderen von der Konferenz
angenommenen Entschließungen zu lenken, damit auch ihnen Folge gegeben
wird. Sie nimmt ferner mit Befriedigung von der Tatsache Kenntnis, daß der
Rat, in Verwirklichung des von der Konferenz ausgesprochenen Wunsches, sich
grundsätzlich bereit erklärt hat, falls eines Tages die Notwendigkeit
hierzu fühlbar werden und die Entwicklung der internationalen technischen
Presseprobleme es den Beteiligten als wünschenswert erscheinen lassen
sollte, die Mitwirkung der Völkerbundorgane zur Prüfung dieser
Probleme zur Verfügung zu stellen und gegebenenfalls zu diesem Zweck
eine neue Befragung zu veranstalten und eine neue Konferenz
einzuberufen."
Die weiteren Folgen und Maßnahmen technischer und gesetzgeberischer
Natur, welche die Konferenz gezeitigt hat, dürften hier im einzelnen nicht
interessieren. Schließlich ist ja auch die Unterstützung der Presse in
ihren fachlichen und beruflichen Nöten für den Völkerbund
nicht Selbstzweck, sondern nur Mittel zum Zweck, nämlich zur Entgiftung
der öffentlichen Meinung der Welt und der Schaffung einer
Atmosphäre gegenseitigen Vertrauens unter den Völkern. Es bleibt als
wichtigste die Frage zu erörtern, ob dieses Ziel im Rahmen des
Völkerbundes erreichbar ist und welche Mittel ihm dafür in Frage
kommen.
Die Beantwortung hängt in nicht unwesentlichem Maße davon ab,
welche Stellung man überhaupt zum Völkerbund einnimmt. Wer dem
ganzen Völkerbundsgedanken von Grund auf skeptisch
gegenübersteht, wird sie rundweg verneinen, und wer den Völkerbund
und sein Programm als den Beginn und den Schlüssel des Weltfriedens
ansieht, wird sie ebenso vorbehaltlos bejahen. Aber es gibt doch noch ein Drittes,
was von der Bejahung oder Verneinung unabhängig ist. Selbst dann, wenn
man nicht die Auffassung der optimistischen Enthusiasten teilt, wenn man im
Gegenteil der Ansicht zuneigt, daß der Völkerbund zunächst
eine Gründung der Siegerstaaten des Versailler Vertrages ist und er den
Weltfrieden zwischen den auch heute und gerade heute noch schwerbewaffneten
Großmächten schon deshalb nicht zu garantieren vermag, weil er ohne
den Willen dieser Großstaaten jeder kraftvollen Exekutive bar ist, so darf
man doch die geistigen Kräfte nicht unterschätzen, die in ihm
lebendig sind und mit denen man dann, wenn man sie richtig zu lenken weiß,
aus dem Völkerbund der Siegerstaaten evtl. doch noch einen richtigen
Völkerbund machen kann. Im Zeitalter der drahtlosen Telephonie, der
Flugzeuge, Zeppeline
und sonstigen Verkehrswunder werden zugleich mit den
Grenzen von Raum und Zeit auch die geistigen Klüfte zwischen den
Völkern in immer schnellerem Maße überbrückt. Bei
aller Unmoral und Tyrannei, die die Welt regiert, gibt es doch [269] auch eine Völkermoral, die man nicht
ungestraft verletzen darf, der gegenüber auch die schwerst bewaffnete
Großmacht mindestens das Gesicht wahren muß, wenn sie nicht
Gefahr laufen will, sich zugleich mit den Sympathien der Weltmeinung auch die
materielle Unterstützung aller Staaten zwangsläufig zu verscherzen.
Um heute einen Krieg zwischen Kulturstaaten mit einiger Aussicht auf Erfolg vom
Zaune zu brechen, dazu gehört auch für eine starke Großmacht
zunächst eine geistige Vorbereitung des eigenen und der sonst interessierten
Nachbarvölker, und diese geistige Vorbereitung wird
regelmäßig nicht davor zurückschrecken können, mit
tendenziösen oder lügnerischen Nachrichten die öffentliche
Meinung irrezuführen und die Völker gegenseitig zu verhetzen. Dazu
aber bedarf es der Presse, und wenn es gelingen sollte, diese gegen solche
Versuche einer skrupellosen Regierung auch nur teilweise zu immunisieren, so
wäre tatsächlich schon ein Schritt auf dem Wege zur Erhaltung des
Weltfriedens getan. Nur wenn man über der Fülle technischer und
beruflicher Fragen, die auf der Pressekonferenz des Völkerbundes
erörtert wurden, sich immer wieder dieses eigentliche Ziel der
Zusammenarbeit von Völkerbund und Presse vor Augen hält, vermag
man die Bedeutung dieser ersten Konferenz, der bald weitere folgen sollen, zu
erkennen. Ihr erstes praktisches Ergebnis war, daß sich die Fédération
Internationale des Journalistes in Paris, die zur Zeit unter dem Präsidium
Georg Bernhard stehende internationale Spitzenorganisation der journalistischen
Berufsverbände von mehr als 30 Staaten, auf Anregung der Vereinigung der
Völkerbundjournalisten in Genf zunächst im Jahre 1928 in Dijon
ernsthaft mit dem Gedanken der Schaffung eines internationalen journalistischen
Ehrengerichts beschäftigte. Im weiteren Verfolg dieses Plans wurde dann im
Frühjahr 1929 auf der Tagung der Fédération Internationale des
Journalistes in Prag endgültig die Bildung eines solchen internationalen
Ehrengerichts beschlossen. In seinem Bericht über die Notwendigkeit und
den Zweck eines solchen internationalen Ehrengerichts führte der eine der
Berichterstatter, der Franzose M. Francis Delaisi, nachdem er zuvor an Hand
konkreter Beispiele auf die Gefahr internationaler Verwicklungen durch
lügnerische Pressemeldungen hingewiesen hatte, u. a. folgendes
aus:
"Solche Vorkommnisse erhitzen die
öffentliche Meinung und bringen durch die politischen Spannungen, die sie
zwischen den Ländern erzeugen, den Frieden in Gefahr. Es ist darum
notwendig, so schnell wie möglich den Begriff eines internationalen
Preßvergehens abzugrenzen, und
es wird Sache der Fédération Internationale
des Journalistes sein, sich dieser Aufgabe zu unterziehen.
Soll das heißen, daß nichts mehr
veröffentlicht werden dürfte, was den Frieden bedroht? Eine solche
Auffassung würde die Freiheit der Presse beeinträchtigen! Auch das
Hauptziel unserer Fédération ist ja gerade das, die
Frei- [270] heit, die für die Presse ein unbedingtes
Erfordernis ist, zu verteidigen. Es versteht sich also von selbst, daß jeder
Journalist das Recht hat, selbst die extremsten, nationalistischen, imperialistischen
und militaristischen Ansichten zu vertreten und daß er, wenn er es für
richtig hält, auch den Krieg gegen dies oder jenes Land predigen darf. Aber
darüber muß man sich einig sein: daß solche Thesen nicht mit
wissentlich falschen Tatsachen oder gefälschten Dokumenten
begründet werden dürfen.
Die internationale Diskussion muß frei sein, aber sie
muß nach den Regeln des guten
Glaubens und des »fair play« geführt
werden. Aufgabe des internationalen Ehrengerichts darf es nicht sein, über
Ansichten zu urteilen. Nicht die Ideen, sondern nur die Art und Weise, wie sie
vertreten werden, unterliegen der Kompetenz des internationalen
Ehrengerichts."
Das internationale Ehrengericht der Fédération Internationale des
Journalistes wird voraussichtlich schon Ende dieses oder zu Anfang des
nächsten Jahres ins Leben treten. Wie seine Arbeit ausfallen wird und ob
und in welchem Grade es sich durchzusetzen vermag, wird man der Zukunft
überlassen müssen. Aber es sind schon wieder weitere
Vorschläge nach der gleichen Richtung zum Gegenstand der
Erörterungen gemacht worden. In Genf soll ein internationaler
Berichtigungsdienst eingerichtet werden, um überall da, wo die Presse mit
offenbar unrichtigen Meldungen den Weltfrieden bedroht, mit einer Berichtigung
des Völkerbundes einzugreifen.
Mir scheint, daß die Zeit hierfür noch nicht reif ist, jedenfalls
dürfte es aussichtslos sein, ohne gesetzlichen Zwang, der seinerseits
wiederum eine Konvention der in Betracht kommenden Staaten voraussetzt, hier
etwas auszurichten. Und bis eine solche Konvention zustande kommt und
praktisch verwirklicht wird, dürften noch viele Jahre, wenn nicht Jahrzehnte
vergehen. Immerhin hat die Arbeit des Völkerbundes schon den Erfolg
gehabt, daß in den verschiedenen internationalen Verbänden der
Presse allen Ernstes nach Mitteln gesucht wird, um durch Reinhaltung der Presse
von solchen Elementen, die bewußt im trüben fischen, einer
Vergiftung der öffentlichen Meinung vorzubeugen und den Frieden zu
erhalten. Und wir Deutschen, die wir uns wohl mit am wenigsten von allen
Völkern auf geschickte Inszenierung internationaler Lügenkampagnen
durch die Presse verstehen und die wir gerade heute nur das eine Interesse haben,
daß die in langen
Kriegs- und auch noch Nachkriegsjahren gegen uns verhetzte Welt endlich die
Wahrheit erfährt, wir können diese Bestrebungen des
Völkerbundes nur wärmstens begrüßen und
tatkräftig fördern. Jeder Erfolg, der ihnen zuteil wird, kann nur dazu
beitragen, uns zunächst moralisch und dann hoffentlich auch machtpolitisch
wieder die Stellung im Rat der Völker zu geben, die das deutsche Volk
verdient und die uns auch alle aufgeklärten und ehrlichen Kreise des
Auslandes mindestens innerlich nicht absprechen. Mögen sie sie uns aus
einem [271] begreiflichen Egoismus heraus auch noch so
sehr mißgönnen! Völkerbund und
Presse, sie sind beide zwei sehr empfindliche, fast schließlich
auf geistige und moralische Wirkungen berechnete Instrumente. Je besser wir sie
zu spielen verstehen, je kürzer wird der Weg zur Wiederaufrichtung Deutschlands
sein!
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