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Bd. 2: Teil 2: Die politischen Folgen des Versailler Vertrages

IV. Sondereinrichtungen und Arbeiten des Völkerbundes   (Teil 2)

B) Völkerbund und Presse

Dr. Kurt Häntzschel
Ministerialrat im Reichsministerium des Innern

Wenn in einem kleinen Ort das Gemeindeparlament tagt, so wird die Öffentlichkeit und die öffentliche Anteilnahme des Publikums schon in gewissem Grade dadurch gesichert, daß eine Anzahl von Bürgern der Gemeinde den Verhandlungen beiwohnt und dann in größerem oder kleinerem Kreise ihren Mitbürgern Bericht erstattet. Die wirksamste Berichterstattung erfolgt zwar auch hier meist durch die Presse, aber eine Öffentlichkeit ohne sie ist in so engen Verhältnissen wenigstens denkbar. Weit schwieriger wird die Frage der Öffentlichkeit bei Körperschaften mit größerem Aktionsradius, z. B. dem Parlament eines Staates. Hier ist die Mitwirkung der Presse bereits unumgänglich, weil sonst der Zweck der ganzen Einrichtung, eine Wechselwirkung zwischen Regierung und Regierten zu vermitteln und zwischen ihnen etwa bestehende Spannungen auszugleichen, mangels der erforderlichen öffentlichen Resonanz bereits nicht mehr erreichbar wäre. Handelt es sich vollends um eine weltumspannende Organisation wie den Völkerbund, so besteht die Öffentlichkeit der Verhandlungen praktisch überhaupt nur noch in der Berichterstattung durch die Presse, da die paar zufällig anwesenden Hörer auch nicht entfernt ausreichen, um dem, was da verhandelt und entschieden wird, die nötige Verbreitung und das erforderliche Echo in der Welt zu sichern.

Der Völkerbund ist also mehr als jede andere Organisation auf die Mitarbeit der Presse, und zwar der Presse aller Länder, angewiesen. Wo immer er in Erscheinung tritt, muß neben ihm auch die Presse in Tätigkeit treten, um das, was er will, der Welt nahe zu bringen, es ihr verständlich zu machen und um ihre Sympathie und Unterstützung zu werben. Man mag über den Völkerbund denken, wie man will, sicher ist, daß er ohne die Unterstützung, die ihm heute die Presse mit den ihr zur Verfügung stehenden technischen Möglichkeiten gewährt, überhaupt nicht lebensfähig wäre.

Wenn man auf jemand angewiesen ist, so pflegt man sich um ihn zu kümmern und nach Möglichkeit auch etwas für ihn zu tun. In welchem Grade der Völkerbund mit der Presse zu rechnen hat, das [264] haben auch die verantwortlichen Leiter seiner Geschäfte sehr schnell erkannt. Sie haben sich nicht darauf beschränkt, die Presse in möglichst weitem Umfange an allen Beratungen teilnehmen zu lassen und die Tätigkeit ihrer Berichterstatter durch technische Erleichterungen und Einräumung anderer Bequemlichkeiten zu unterstützen, sondern haben darüber hinaus besondere Sorgfalt auf die vollständige Unterrichtung der Presse gelegt, um sie durch Wort und Schrift über die gesamte Tätigkeit des Völkerbundes und seiner vielfachen Kommissionen ständig auf dem laufenden zu halten. Nicht genug damit, wurde bald eine besondere Abteilung des Völkerbundsekretariats, die sogenannte Informationsabteilung gegründet, eigens zu dem Zweck, um den Verkehr mit der Presse sorgfältig zu organisieren und zu pflegen. Diese Abteilung ist nicht etwa eine einfache Pressestelle, wie wir sie heute bei allen größeren Amtsstellen kennen und die lediglich die Aufgabe hätte, abwechselnd amtliche Verlautbarungen und Dementis zu verteilen. Sie hat darüber hinaus dafür zu sorgen, daß die bekannte, auch den Völkerbundsdelegierten nicht fremde Scheu vor der Presse nach Möglichkeit überwunden und die Presse, soweit als irgend möglich, bei allen Beratungen des Völkerbundes zugelassen wird. Sie hat weiter die Aufgabe, die Presse über alles das, was etwa im Wege des Notenaustauschs den Verhandlungen des Völkerbundes vorbereitend vorausgegangen ist, rechtzeitig ins Bild zu setzen, damit sie in völliger Kenntnis der gesamten Verhandlungslage den Beratungen des Völkerbundes verständnisvoll zu folgen vermag. Um dieser Aufgabe gerecht werden zu können, hat das Völkerbundssekretariat in den Hauptstädten von fünf Ländern, nämlich in Berlin, Paris, London, Rom und Tokio Zweigstellen seiner Informationsabteilung errichtet und unterhält außerdem im Haag bei den Sitzungen des ständigen Internationalen Gerichtshofes sowie bei sonstigen den Völkerbund betreffenden internationalen Verhandlungen regelmäßig einen eigenen Pressedienst am Verhandlungsort.

Noch einen Schritt weiter ging der Völkerbund, als er auch die Aufgabe übernahm, sich der allgemeinen Nöte der Presse in allen Ländern anzunehmen, um sie insoweit, als sie internationaler Natur sind und für eine internationale Regelung geeignet erscheinen, im Wege gemeinsamer Zusammenarbeit des Völkerbundes mit den Zeitungsverlegern, Journalisten und Nachrichtenbüros aller Kulturstaaten der Erde einer Lösung zuzuführen. Um hierfür neben den nationalen Organisationen der Presse in den einzelnen Ländern auch sachverständige Berater in Genf selbst zur Seite zu haben, hat der Völkerbund zunächst die Schaffung einer eigenen Organisation der Völkerbundsjournalisten in die Wege geleitet. Dieser "Organisation der beim Völkerbund beglaubigten Journalisten" können alle Pressevertreter beitreten, die einmal als Berichterstatter bei einer Tagung [265] des Völkerbundes zugelassen waren, aber das Rückgrat der Vereinigung bilden natürlich die in Genf selbst ansässigen Korrespondenten der Presse aller Länder und die Journalisten, die als Spezialisten für die Völkerbundsberichterstattung gewissermaßen gewohnheitsmäßig bei jeder irgendwie bedeutsamen Tagung immer wieder in Genf erscheinen. Nachdem man so durch Schaffung einer eigenen Informationsabteilung und Zusammenfassung der Völkerbundsjournalisten zu einer eigenen Organisation die nötigen Voraussetzungen geschaffen hatte, ging man im Völkerbund schließlich auch dazu über, nunmehr planmäßig auf eine richtiggehende Interessenverbindung zwischen Völkerbund und Weltpresse hinzuarbeiten, indem man sich der fachlichen und beruflichen Nöte der Presse annahm. Das alles natürlich mit dem politischen Ziel, bei dieser Gelegenheit Mittel und Wege zu finden, um auch die Presse noch mehr als bisher in den Dienst des Völkerbundsgedankens und der Völkerverständigung zu stellen.

Es war der Vertreter von Chile, Yanez, der am 16. September 1925 der Völkerbundversammlung den Antrag vorlegte, die Frage der Einberufung einer internationalen Pressesachverständigenkonferenz zu prüfen. Diese Konferenz sollte einmal die Frage erörtern, mit welchen Mitteln eine leichtere und billigere Nachrichtenübermittlung bewerkstelligt und dadurch die Gefahr von internationalen Mißverständnissen durch die Presse verringert werden könnte. Sie sollte ferner sich aller Berufsfragen der Presse annehmen, deren Lösung geeignet sein könnte, zur Beruhigung der öffentlichen Meinung der Welt beizutragen. Wie der Berichterstatter, das belgische Ratsmitglied Hymans, bei der Beratung dieses Antrags ausführte, könne es nicht die Absicht des Völkerbundes sein, die Unabhängigkeit der Presse anzutasten und sich in einer irgendwie unerwünschten Weise in ihre äußeren Verhältnisse einzumischen. Aber die Presse hänge doch andererseits auch in so hohem Maße sowohl bei der Übermittlung ihrer Nachrichten von den Telegraphenverwaltungen wie bei der Beförderung ihrer Zeitungen von den Postverwaltungen der Länder und hinsichtlich des Schutzes des Abdruckes ihrer Nachrichten von den gesetzgebenden Faktoren der Staaten ab, daß der Völkerbund durch eine freundschaftliche Mitwirkung an der Lösung der damit verknüpften Schwierigkeiten vielleicht doch einen wohltätigen Einfluß ausüben könnte. Die Völkerbundsversammlung nahm den Antrag an und der Völkerbundsrat beschloß am 26. September, den Generalsekretär zu beauftragen, bei den Berufsverbänden der Presse Erhebungen darüber anzustellen, ob 1. die Presse die Einberufung einer Sachverständigenkonferenz für angebracht halte und 2. welche Fragen nach ihrer Ansicht zur Erörterung auf einer solchen Konferenz geeignet wären. Nachdem fast alle Länder zustimmend geantwortet [266] hatten, gründete man drei vorbereitende Ausschüsse, die die Tagesordnung der Konferenz technisch vorbereiten sollten. Mit der Tätigkeit dieser Ausschüsse begann bereits die praktische Arbeit. Der erste Ausschuß setzte sich aus den Direktoren der großen Nachrichtenbüros Europas, Amerikas und Asiens zusammen, der zweite aus den Pressechefs der Regierungen der kleineren Staaten, in denen infolge der noch rückständigen Entwicklung der Presse selbst deren Interessen noch von den Regierungen wahrgenommen wurden. Der dritte Ausschuß bestand aus Journalisten, die allerdings nicht von den nationalen journalistischen Berufsverbänden vorgeschlagen, sondern vom Völkerbund selbst mit Hilfe und vornehmlich aus den Reihen seiner eigenen Genfer Journalistenorganisation ausgewählt wurden.

Nach Abschluß der vorbereitenden Arbeiten trat endlich am 24. August 1927 in Genf die erste Internationale Pressesachverständigenkonferenz des Völkerbundes zusammen. Als ihren Vorsitzenden hatte der Völkerbundsrat den damaligen Verleger des Daily Telegraph, Lord Burnham, bestimmt. An dieser Konferenz nahmen 118 Sachverständige teil, die 38 Staaten aus allen fünf Erdteilen angehörten. Die Verhandlungen, die im Reformationssaal, dem Tagungsort der Völkerbundsversammlung, stattfanden, dauerten fast eine Woche und entsprachen durchaus den Erwartungen, die man daran geknüpft hatte. In sehr sachlicher Form, die wohl quer durch alle Länder laufende Interessengegensätze, aber keine nationalen Gegensätzlichkeiten zutage treten ließ, wurde eine äußerst umfangreiche Tagesordnung in einer Weise erledigt, die für die zukünftige Fortsetzung dieser Tätigkeit des Völkerbundes nur Gutes erhoffen läßt. Neben zahllosen beruflichen und Fachfragen wurden auch politische Probleme, wie insbesondere das des ungehinderten und unzensurierten Zeitungsbezugs der nationalen Minderheiten aus ihren kulturellen Mutterländern erörtert, ohne daß dadurch irgendein Mißton in die Konferenz getragen worden wäre. Und doch wurden die Sorgen der bedrückten Minderheiten von ihren Vertretern oft mit großer Deutlichkeit und noch größerem Temperament zum Vortrag gebracht. Man hatte den Eindruck, daß gerade hier auch die politische Wirkung eine außerordentlich starke war.

Als Ergebnis der Konferenz wurden zehn verschiedene Entschließungen angenommen, die teils technische Verbesserungsvorschläge für den internationalen Nachrichtendienst und Zeitungsversand, teils Vorschläge für die gesetzliche Verbesserung des internationalen Nachrichtenschutzes, teils die verschiedenartigsten Wünsche für die Erleichterung der journalistischen Tätigkeit der ausländischen Korrespondenten betrafen. Eine weitere Entschließung bezeichnet die Zensur in Friedenszeiten als ein Hindernis für den internationalen Nachrichtenaustausch und spricht den Wunsch nach ihrer schnellen [267] und endgültigen Abschaffung aus. In den Ländern, wo trotzdem die Aufrechterhaltung der Zensur unumgänglich erscheine, fordert sie eine Milderung ihrer Ausübung durch Einräumung gewisser Garantien. Der Anlaß für die Entschließung war die Tatsache, daß in einer Reihe von Ländern die nationalen Minderheiten noch heute daran gehindert werden, unzensurierte Zeitungen in ihrer eigenen Sprache herauszugeben oder aus dem Ausland zu beziehen. Eine weitere Entschließung, die ebenfalls politisches Interesse beansprucht, wendet sich gegen Falschmeldungen und tendenziöse Berichterstattung und fordert die allgemeine Einführung eines internationalen Berichtigungszwangs. Ferner wird in ihr die Frage ventiliert, inwieweit die Presse an der moralischen Abrüstung der Völker mitzuwirken berufen ist, und schließlich die Forderung aufgestellt, der Rat möge die Einführung periodischer internationaler Pressekonferenzen des Völkerbundes prüfen. Die wörtliche Wiedergabe aller dieser Entschließungen würde einen zu breiten Raum einnehmen. Aber die einleitende Formel, mit der diese Entschließungen dem Völkerbund vorgelegt wurden, sei doch im Wortlaut wiedergegeben, weil sie am besten den Geist erkennen läßt, in welchem diese erste internationale Pressesachverständigenkonferenz gearbeitet hat:

      "Die Konferenz würdigt in hohem Maße die Tatsache, daß Völkerbundversammlung und Völkerbundrat durch die Einberufung der Konferenz die Bedeutung der Presse anerkannt und die Gelegenheit zu weitgehenden Erhebungen geboten und daß die Organe des Völkerbundes wiederholt ihrem Bestreben Ausdruck verliehen haben, die Unabhängigkeit der Presse zu achten;
      die Konferenz spricht die Hoffnung aus, daß Rat und Versammlung den verschiedenen technischen Organen des Völkerbundes, deren Mitarbeit für die Durchführung der technischen Konferenzentschließungen wünschenswert ist, die hierzu notwendigen Anweisungen erteilen mögen;
      die Konferenz äußert den Wunsch, daß Rat und Versammlung weiterhin der Entwicklung dieser Probleme ihre Aufmerksamkeit schenken, damit, wenn die verschiedenen auf dieser Konferenz vertretenen Kreise später neue Erhebungen oder eine neue Konferenz anregen sollten, auch Versammlung und Rat von neuem die technischen Erleichterungen, über die der Völkerbund verfügt, der Presse zur Verfügung stellen können;
      die Konferenz erklärt: die Journalisten müssen alle denkbaren Erleichterungen genießen, um in den einzelnen Ländern Aufenthalt zu nehmen, zu reisen, Informationen zu sammeln und ihre beruflichen Kenntnisse zu vertiefen; der Nachricht muß gesichert sein: Freiheit bei ihrer Entstehung, Schnelligkeit bei ihrer Übermittlung, Schutz vor und nach ihrer Veröffentlichung gegen unlautere Aneignung sowie weitgehende Verbreitung, damit die Presse, deren Aufgabe darin besteht, genau und gewissenhaft die öffentliche Meinung zu unterrichten und damit zur Erhaltung des Friedens und zum Fortschritt der Kultur beizutragen, ihre hohe und schwere Mission wirksam erfüllen kann."

Mit dem Ergebnis der Konferenz beschäftigte sich zunächst der Völkerbundsrat, dann die Völkerbundsversammlung, die in einer Ent- [268] schließung den Erfolg der Konferenz feststellte, um dann die Zuversicht auszudrücken,

      "daß der Rat in seiner Dezembertagung die geeigneten Maßnahmen ergreifen wird, um die wohlwollende Aufmerksamkeit der Regierungen auf die anderen von der Konferenz angenommenen Entschließungen zu lenken, damit auch ihnen Folge gegeben wird. Sie nimmt ferner mit Befriedigung von der Tatsache Kenntnis, daß der Rat, in Verwirklichung des von der Konferenz ausgesprochenen Wunsches, sich grundsätzlich bereit erklärt hat, falls eines Tages die Notwendigkeit hierzu fühlbar werden und die Entwicklung der internationalen technischen Presseprobleme es den Beteiligten als wünschenswert erscheinen lassen sollte, die Mitwirkung der Völkerbundorgane zur Prüfung dieser Probleme zur Verfügung zu stellen und gegebenenfalls zu diesem Zweck eine neue Befragung zu veranstalten und eine neue Konferenz einzuberufen."

Die weiteren Folgen und Maßnahmen technischer und gesetzgeberischer Natur, welche die Konferenz gezeitigt hat, dürften hier im einzelnen nicht interessieren. Schließlich ist ja auch die Unterstützung der Presse in ihren fachlichen und beruflichen Nöten für den Völkerbund nicht Selbstzweck, sondern nur Mittel zum Zweck, nämlich zur Entgiftung der öffentlichen Meinung der Welt und der Schaffung einer Atmosphäre gegenseitigen Vertrauens unter den Völkern. Es bleibt als wichtigste die Frage zu erörtern, ob dieses Ziel im Rahmen des Völkerbundes erreichbar ist und welche Mittel ihm dafür in Frage kommen.

Die Beantwortung hängt in nicht unwesentlichem Maße davon ab, welche Stellung man überhaupt zum Völkerbund einnimmt. Wer dem ganzen Völkerbundsgedanken von Grund auf skeptisch gegenübersteht, wird sie rundweg verneinen, und wer den Völkerbund und sein Programm als den Beginn und den Schlüssel des Weltfriedens ansieht, wird sie ebenso vorbehaltlos bejahen. Aber es gibt doch noch ein Drittes, was von der Bejahung oder Verneinung unabhängig ist. Selbst dann, wenn man nicht die Auffassung der optimistischen Enthusiasten teilt, wenn man im Gegenteil der Ansicht zuneigt, daß der Völkerbund zunächst eine Gründung der Siegerstaaten des Versailler Vertrages ist und er den Weltfrieden zwischen den auch heute und gerade heute noch schwerbewaffneten Großmächten schon deshalb nicht zu garantieren vermag, weil er ohne den Willen dieser Großstaaten jeder kraftvollen Exekutive bar ist, so darf man doch die geistigen Kräfte nicht unterschätzen, die in ihm lebendig sind und mit denen man dann, wenn man sie richtig zu lenken weiß, aus dem Völkerbund der Siegerstaaten evtl. doch noch einen richtigen Völkerbund machen kann. Im Zeitalter der drahtlosen Telephonie, der Flugzeuge, Zeppeline und sonstigen Verkehrswunder werden zugleich mit den Grenzen von Raum und Zeit auch die geistigen Klüfte zwischen den Völkern in immer schnellerem Maße überbrückt. Bei aller Unmoral und Tyrannei, die die Welt regiert, gibt es doch [269] auch eine Völkermoral, die man nicht ungestraft verletzen darf, der gegenüber auch die schwerst bewaffnete Großmacht mindestens das Gesicht wahren muß, wenn sie nicht Gefahr laufen will, sich zugleich mit den Sympathien der Weltmeinung auch die materielle Unterstützung aller Staaten zwangsläufig zu verscherzen. Um heute einen Krieg zwischen Kulturstaaten mit einiger Aussicht auf Erfolg vom Zaune zu brechen, dazu gehört auch für eine starke Großmacht zunächst eine geistige Vorbereitung des eigenen und der sonst interessierten Nachbarvölker, und diese geistige Vorbereitung wird regelmäßig nicht davor zurückschrecken können, mit tendenziösen oder lügnerischen Nachrichten die öffentliche Meinung irrezuführen und die Völker gegenseitig zu verhetzen. Dazu aber bedarf es der Presse, und wenn es gelingen sollte, diese gegen solche Versuche einer skrupellosen Regierung auch nur teilweise zu immunisieren, so wäre tatsächlich schon ein Schritt auf dem Wege zur Erhaltung des Weltfriedens getan. Nur wenn man über der Fülle technischer und beruflicher Fragen, die auf der Pressekonferenz des Völkerbundes erörtert wurden, sich immer wieder dieses eigentliche Ziel der Zusammenarbeit von Völkerbund und Presse vor Augen hält, vermag man die Bedeutung dieser ersten Konferenz, der bald weitere folgen sollen, zu erkennen. Ihr erstes praktisches Ergebnis war, daß sich die Fédération Internationale des Journalistes in Paris, die zur Zeit unter dem Präsidium Georg Bernhard stehende internationale Spitzenorganisation der journalistischen Berufsverbände von mehr als 30 Staaten, auf Anregung der Vereinigung der Völkerbundjournalisten in Genf zunächst im Jahre 1928 in Dijon ernsthaft mit dem Gedanken der Schaffung eines internationalen journalistischen Ehrengerichts beschäftigte. Im weiteren Verfolg dieses Plans wurde dann im Frühjahr 1929 auf der Tagung der Fédération Internationale des Journalistes in Prag endgültig die Bildung eines solchen internationalen Ehrengerichts beschlossen. In seinem Bericht über die Notwendigkeit und den Zweck eines solchen internationalen Ehrengerichts führte der eine der Berichterstatter, der Franzose M. Francis Delaisi, nachdem er zuvor an Hand konkreter Beispiele auf die Gefahr internationaler Verwicklungen durch lügnerische Pressemeldungen hingewiesen hatte, u. a. folgendes aus:

      "Solche Vorkommnisse erhitzen die öffentliche Meinung und bringen durch die politischen Spannungen, die sie zwischen den Ländern erzeugen, den Frieden in Gefahr. Es ist darum notwendig, so schnell wie möglich den Begriff eines internationalen Preßvergehens abzugrenzen, und es wird Sache der Fédération Internationale des Journalistes sein, sich dieser Aufgabe zu unterziehen.
      Soll das heißen, daß nichts mehr veröffentlicht werden dürfte, was den Frieden bedroht? Eine solche Auffassung würde die Freiheit der Presse beeinträchtigen! Auch das Hauptziel unserer Fédération ist ja gerade das, die Frei- [270] heit, die für die Presse ein unbedingtes Erfordernis ist, zu verteidigen. Es versteht sich also von selbst, daß jeder Journalist das Recht hat, selbst die extremsten, nationalistischen, imperialistischen und militaristischen Ansichten zu vertreten und daß er, wenn er es für richtig hält, auch den Krieg gegen dies oder jenes Land predigen darf. Aber darüber muß man sich einig sein: daß solche Thesen nicht mit wissentlich falschen Tatsachen oder gefälschten Dokumenten begründet werden dürfen.
      Die internationale Diskussion muß frei sein, aber sie muß nach den Regeln des guten Glaubens und des »fair play« geführt werden. Aufgabe des internationalen Ehrengerichts darf es nicht sein, über Ansichten zu urteilen. Nicht die Ideen, sondern nur die Art und Weise, wie sie vertreten werden, unterliegen der Kompetenz des internationalen Ehrengerichts."

Das internationale Ehrengericht der Fédération Internationale des Journalistes wird voraussichtlich schon Ende dieses oder zu Anfang des nächsten Jahres ins Leben treten. Wie seine Arbeit ausfallen wird und ob und in welchem Grade es sich durchzusetzen vermag, wird man der Zukunft überlassen müssen. Aber es sind schon wieder weitere Vorschläge nach der gleichen Richtung zum Gegenstand der Erörterungen gemacht worden. In Genf soll ein internationaler Berichtigungsdienst eingerichtet werden, um überall da, wo die Presse mit offenbar unrichtigen Meldungen den Weltfrieden bedroht, mit einer Berichtigung des Völkerbundes einzugreifen.

Mir scheint, daß die Zeit hierfür noch nicht reif ist, jedenfalls dürfte es aussichtslos sein, ohne gesetzlichen Zwang, der seinerseits wiederum eine Konvention der in Betracht kommenden Staaten voraussetzt, hier etwas auszurichten. Und bis eine solche Konvention zustande kommt und praktisch verwirklicht wird, dürften noch viele Jahre, wenn nicht Jahrzehnte vergehen. Immerhin hat die Arbeit des Völkerbundes schon den Erfolg gehabt, daß in den verschiedenen internationalen Verbänden der Presse allen Ernstes nach Mitteln gesucht wird, um durch Reinhaltung der Presse von solchen Elementen, die bewußt im trüben fischen, einer Vergiftung der öffentlichen Meinung vorzubeugen und den Frieden zu erhalten. Und wir Deutschen, die wir uns wohl mit am wenigsten von allen Völkern auf geschickte Inszenierung internationaler Lügenkampagnen durch die Presse verstehen und die wir gerade heute nur das eine Interesse haben, daß die in langen Kriegs- und auch noch Nachkriegsjahren gegen uns verhetzte Welt endlich die Wahrheit erfährt, wir können diese Bestrebungen des Völkerbundes nur wärmstens begrüßen und tatkräftig fördern. Jeder Erfolg, der ihnen zuteil wird, kann nur dazu beitragen, uns zunächst moralisch und dann hoffentlich auch machtpolitisch wieder die Stellung im Rat der Völker zu geben, die das deutsche Volk verdient und die uns auch alle aufgeklärten und ehrlichen Kreise des Auslandes mindestens innerlich nicht absprechen. Mögen sie sie uns aus einem [271] begreiflichen Egoismus heraus auch noch so sehr mißgönnen! Völkerbund und Presse, sie sind beide zwei sehr empfindliche, fast schließlich auf geistige und moralische Wirkungen berechnete Instrumente. Je besser wir sie zu spielen verstehen, je kürzer wird der Weg zur Wiederaufrichtung Deutschlands sein!

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Zehn Jahre Versailles
in 3 Bänden herausgegeben von
Dr. Dr. h. c. Heinrich Schnee und Dr. h. c. Hans Draeger