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Bd. 2: Teil 2: Die politischen
Folgen des Versailler Vertrages
IV. Sondereinrichtungen und Arbeiten des
Völkerbundes (Teil 1)
A) Die Kulturpolitik des Völkerbundes
Universitätsprofessor D. Dr. Georg Schreiber
Prälat, Mitglied des Reichstags
Die weltgeschichtliche Entwicklung um die Zeit der letzten Jahrhundertwende
stand im Zeichen der Vertiefung internationaler Beziehungen der Völker. Ihr
Schwerpunkt lag allerdings stark auf dem Gebiete weltwirtschaftlicher
Verflechtung. Doch vom Weltanschaulichen und vom Sozialbewegten her kam es
ebenfalls zu stärkeren Verknüpfungen. Aber auch das spezifisch
wissenschaftlich und künstlerisch ausmündende Leben der
Nationalkulturen drängte um diese Zeitenwende aus inneren Gesetzen aus
dem nationalen Lebensraum heraus und erstrebte kulturbedeutsame Verbindungen
mit anderen Volksindividualitäten. So ist auch der Vorkriegszeit der Begriff
internationalen kulturellen Lebens durchaus geläufig, ohne sich
zum Begriff einer Auslandskulturpolitik und einer internationalen Kulturpolitik
formell zu erheben.
Eine Frucht dieser Bestrebungen "geistiger Zusammenarbeit" waren eine Reihe
von Organisationen und Instituten, deren Namen bereits einen
überstaatlichen Konzernwillen bedeuten: so das Berner Büro
für geistiges Eigentum, die Internationale Assoziation der Akademien, der
Internationale literarische und künstlerische Verband, das Internationale
bibliographische Institut in Brüssel u. a. m. Auch auf hygienischem Gebiete
finden sich entsprechende Ringbildungen, wie die internationale Tätigkeit
des Roten Kreuzes, geboren aus den Tragödien leidvoller
Völkerschicksale.
Trotzdem darf man sagen, daß der überstaatliche Charakter dieser
Träger kultureller Tätigkeit ein sehr begrenzter war; denn sie waren
doch mehr oder minder auf die Interessen eines bestimmten Landes oder
einer kleinen Ländergruppe abgestellt. Der Akzent fiel also stärker auf
das Nationale und der bewußte Wille zum überstaatlich
Kulturpolitischen war organisatorisch nur schwach entwickelt. Jedenfalls soweit
die staatlichen Träger dieser Kulturpolitik in Frage kamen.
Deutschland hatte an diesen Bestrebungen immer hervorragenden Anteil. Die
Initiative des Kartells der Deutschen Akademien [246] (Leipzig, München, Göttingen,
Wien, dann auch Berlin und später Heidelberg) war es, die auf Anregung der
Royal Society in London im Jahre 1899 den Anstoß zur Bildung der
internationalen Assoziation der Akademien gab, durch welche auch gemeinsame
Publikationen, vor allem für die historischen und philologischen Disziplinen
und für die Sozialwissenschaften, eingeleitet wurden. Es ist nicht
möglich, hier im einzelnen alle internationalen Gemeinschaftsbildungen
aufzuführen, an denen die deutsche Wissenschaft unter starker sachlicher
Mitarbeit beteiligt war. Es will jedoch besonders bemerkt sein, daß nicht
bloß staatliche Faktoren sich interessierten, sondern daß vor allem
auch einzelne Wissenschaftspersönlichkeiten kamen und
erfolgreich Völkerzusammenhänge gestalteten, zum Teil in
überpersönlicher und institutsmäßiger Dauerwirkung
(Deutsches Archäologisches Institut, Zoologisches Institut in Neapel).
Vielleicht hätte eine ungestörte Entwicklung allmählich einen
planmäßigen Anstieg geschaffen, in einem natürlichen,
organischen Wachstum und aus zwangsläufigen Gesetzen einer gesteigerten
Mitteilsamkeit, in der Befruchtung eines sich stets erneuernden Lebens. Aber
gerade hier hat der Weltkrieg unendlich viel unterbrochen und
zerstört. All diese vielfältigen und hoffnungsreichen Ansätze
fanden durch das Völkerringen fast ausnahmslos ihr Ende. Man erinnere
sich nur daran, was angesichts der Weltgeltung deutscher Wissenschaft, Kunst und
Technik der geistige Krieg gegen Deutschland dem
internationalen Kulturleben für Wunden geschlagen hat.
Schützengräben, spanische Reiter, ein Vorfeld von
Stacheldrähten, zerrissene Telephonverbindungen kennzeichneten auch auf
dem kulturpolitischen Schlachtfeld die Lage der internationalen Wissenschaft am
Ausgang des Weltkriegs.
Aus der Kriegspsychose entstand die Bildung einer neuen geistigen Koalition, die
nicht international-verbindend, sondern grundsätzlich-trennend bestimmten
Nationen gegenüber eingestellt sein wollte. Die Machtpolitik der Tanks und
Dreadnoughts wurde um einen kulturellen Militarismus gemehrt. Seit dem Jahre
1917 war unter den Akademien der alliierten Länder die Gründung
einer neuen wissenschaftlichen Organisation unter Ausschluß der
Mittelmächte vorbereitet. In einer Londoner Entschließung vom
Oktober 1918 wurde die Zusammenarbeit mit den Gelehrten der
Mittelmächte für unmöglich erklärt. Dieser Feststellung
erfolgte die Gründung des Conseil International des Recherches auf dem
Fuße. Er sollte die - zu diesem Zweck vielfach erst
gebildeten - naturwissenschaftlichen Institutionen bzw. Regierungen der
einzelnen Länder umfassen. An seine Seite trat als Parallelaktion die
Internationale Union der Akademien als eine zweckhafte Zusammenfassung der
geisteswissenschaftlichen Institutionen. Mit diesen Gründungen wurde der
geistige Krieg und die kulturelle Blockade gegen Deutschland zunächst
jahre- [247] lang fortgesetzt.
Später hat sich unter Einwirkung der Neutralen, vor allem der
Holländer und Schweden, sowie auch der Engländer, eine
gemäßigte Richtung auf wirkliche Internationalität und damit
auf Einbeziehung Deutschlands durchgesetzt. Doch ist es bei den Verhandlungen
hierüber leider noch nicht gelungen, alle älteren Spannungen
auszuräumen. Noch arbeitet die zivilisierte Welt mit
wissenschaftspolitischen und kulturpolitischen Ressentiments.
Um so stärkere Bedeutung gewann für Deutschland die Tatsache,
daß in der Nachkriegszeit der Völkerbund die Fragen
geistiger Zusammenarbeit in seinen Tätigkeitsbereich einbezog. Er hat sich
von Anfang an von jener kriegerischen Einstellung zu diesen kulturellen Fragen
ferngehalten. Man hat dort auch, längst ehe Deutschland selbst in den
Völkerbund eintrat, auf deutsche Beteiligung Wert gelegt. Die
Kulturpolitiker bauen eben die Verbindungswege schneller als die Diplomaten.
Heute nach Ablauf einer gewissen Zeit darf man in der Tat feststellen, daß
die kulturpolitische Aufmerksamkeit der Société
des Nations verdienstlich war, um
geistig-kulturelle Strömungen in das einheitliche Bett einer
Menschheitsallianz zu überführen. Jedenfalls war der Versuch dazu
an sich bedeutend und von einem starken Ethos erfüllt, wenn auch noch
vieles zu tun bleibt.
Der Völkerbund gab sich in der Kleinarbeit manche Mühe, um von
sich aus bestehende Gegensätze zu mildern. Er schuf mit Mitteln einer
neuen geistigen Verkehrstechnik lebensstarke Kontakte, die selbst die friedliche
Vorkriegszeit noch nicht kannte. Er führte praktisch zusammen, ohne
daß es zu formellen kulturellen Friedensschlüssen zwischen den
Ländern kam. Heute nach Abschluß des ersten Jahrzehnts seiner
Geschichte darf man dem Völkerbund bezeugen, daß er nicht
vergebens Neukolonisationen des Geistes einleitete.
Im Mittelpunkt seiner kulturpolitischen Tätigkeit stand organisatorisch die
"Kommission für geistige Zusammenarbeit" und als deren
Ausführungsorgan das "Internationale Institut für geistige
Zusammenarbeit". Im Generalsekretariat des Völkerbundes besteht
überdies eine besondere Abteilung für internationale geistige
Zusammenarbeit, an deren Spitze ein Deutscher, der Untergeneralsekretär
Gesandter a. D. Dufour-Féronce steht.
Die näheren kulturellen Geburtsdaten sind schnell festgehalten. Die
Anregung zur Bildung der Kommission gab eine Entschließung der
Völkerbundsversammlung vom 28. September 1920. Die Gründung
selbst erfolgte zwei Jahre später. Diese Kommission bestand
anfänglich aus 12 Mitgliedern, wurde aber später auf 15 erhöht
Unter dem Vorsitz des französischen Philosophen Bergson begann sie ihre
Tätigkeit. Für diese Arbeitsgemeinschaft hatte der Völkerbund
zunächst ein Budget von nur ungefähr 100 000 Goldfranken [248] bewilligt. Das allerdings nur nach
Überwindung mancher Widerstände. Die Aufgabe dieser stark
humanitär empfundenen Kommission wurde ganz allgemein dahin
umschrieben: "Die Mittel zur Vereinfachung, Klärung und Ausdehnung
der schon bestehenden internationalen geistigen Beziehungen zu
studieren."1
Also ein weitgefaßtes Programm, dem der Wille zur Universalität
innewohnte. Aber es fehlte an Überlieferungen, an Erfahrungen, an der
Praxis. Auch an einer voll ergriffenen Unterstützung von der politischen
Seite des Völkerbundes, denn diese lag damals noch stark im Ungewissen.
Angesichts des von Oswald Spengler getragenen Pessimismus und
gegenüber mancher niederdrückenden politischen Erscheinungen der
Nachkriegszeit stritt man jedenfalls in Deutschland darüber, ob dieser Bund
ehemals verfeindeter Nationen einer Götterdämmerung oder einer
hoffnungsvollen Morgenröte entgegenging.
Die Durchführung der praktischen Arbeit war angesichts der
geringen Mittel und bei dem Fehlen eines ständigen Büros fast
unmöglich. Die Kommission wäre zur Untätigkeit gezwungen
gewesen, wenn man ihr nicht die notwendigen technischen Voraussetzungen
für erfolgreiches Arbeiten geschaffen hätte. Da erbot sich die
französische Regierung 1924 in kluger Erkenntnis der Bedeutung kultureller
Faktoren im internationalen Austausch, die Kosten für ein als
ständiges Ausführungsorgan gedachtes Institut zu übernehmen,
allerdings unter der Bedingung, daß es seine Residenz in Paris aufschlage
und unter Leitung eines Franzosen stehen solle. Die uralte und schöpferische
Idee des lateinisch-kulturellen Protektorats wurde in dem Gedanken eines
geistig-kulturellen Patronats umgebogen. Die völkerverbindende
Philosophie von August Comte und die stark nationalbetonte Kulturpolitik van
Maurice Barrès empfing damit einen inhaltschweren und zugleich lebensvollen
Kommentar.
Die Völkerbundsversammlung vom September 1924 nahm den
französischen Vorschlag an und im Januar 1926 wurde "das Institut
für geistige Zusammenarbeit" im Palais Royal zu Paris eröffnet,
nachdem die rechtliche Stellung dieser internationalen Einrichtung zwischen dem
Völkerbund und der französischen Regierung geregelt war. Nicht alle
Kreise des Völkerbundes waren mit dem Pariser Domizil einverstanden. In
Genf war dem formellen Beschluß eine lange und heftige Debatte
vorausgegangen. Gegen die Annahme dieses französischen Geschenkes an
den Völkerbund legte vor allem der Vertreter Australiens Verwahrung [ein].
Anglosächsische und französische Kulturpolitik stießen damit
zusammen. Bei der
anglosächsi- [249] schen Gruppe mehr in
reiner Opposition als in positiv herausstellender Gestaltung. Wer die Dinge
lediglich vom Standpunkt der Zukunftsentwicklung des Instituts sah, konnte sich
dahin äußern, daß die räumliche Trennung von Genf
gewiß manche Nachteile heraufführte. Aber sie brachte für
diese Anstalt zugleich den taktischen Gewinn, daß die diplomatische Energie
der französischen Regierung der Sachaufgabe dieser Einrichtung zugute
kam. Als Rückhalt und als Elan.
An der Spitze der Kommission für geistige Zusammenarbeit steht heute der
Engländer Professor Gilbert Murray. Sein Name verkörpert
die innere Anteilnahme des anglosächsischen Kulturkreises. Direktor des
Pariser Instituts ist der frühere Generalsekretär des
französischen Unterrichtswesens Luchaire, der geistig bewegliche
Erbe jenes Historikers, der wie wenige andere Kenner des mittelalterlichen
Frankreichs den Werdegang des französischen Kulturbewußtseins
aufdeckte. Dem Direktor Luchaire tritt der Conseil d'Administration zur
Seite, der aus den Mitgliedern der Kommission für geistige Zusammenarbeit
unter dem Vorsitz des französischen Mitglieds besteht. Dieser wählt
ein Comité de Direction aus 6 Mitgliedern, das gewissermaßen als
Ausschuß des Conseil den Arbeitsplan und Haushalt des Instituts in
regelmäßigen Zeitabständen durchspricht.
Die einzelnen Länder - es sind zur Zeit
achtundvierzig - entsenden neben den Vertretern der
Völkerbundskommission auch Staatsdelegierte in das Institut, für das
sie die Verbindungsleute mit den Verwaltungsbehörden ihres Heimatstaates
sein sollen.
Die internationale Kommission für geistige Zusammenarbeit gliedert sich in
sachliche Unterkommissionen, die zu ihren Arbeiten wieder besondere
Sachverständige hinzugezogen haben. Im Institut entsprechen diesen
Unterkommissionen - allerdings mit einigen Abweichungen - wieder
besondere Abteilungen. Es sind dies folgende: Wissenschaft, Literatur, Kunst,
Unterricht, Rechtslage der Geistesarbeiter, Information. Letztere mit der Aufgabe,
die Ergebnisse geistiger Arbeit zu verbreiten. Der Sinn für Auswirkung,
für Propaganda, für einen breiteren Zuschnitt ist in den romanischen
Völkern immer sehr stark entwickelt gewesen, während in
Deutschland die Individualaristokratie der Gelehrten immer stärker betont
war. Mit einigem Nutzen, aber auch mit manchen Schäden für
deutsche eine mit dem zwanzigsten Jahrhundert weit ausgreifende
Sozialentwicklung.
Der organisatorische Aufbau der internationalen Kommission für geistige
Zusammenarbeit ist auch regional ausgestaltet worden.
Vierunddreißig Staaten, darunter auch Deutschland, haben bisher diesem
Wunsche entsprochen. Die Zusammensetzung ist allerdings in den einzelnen
Ländern sehr unterschiedlich geregelt. Es ergab sich nach Abschluß
der Wahlen und der Auslese eine kulturelle Pyramide, [250] deren Spitze in die Funkstation des Pariser
Eiffelturms ausläuft, deren Basis jedoch gleichzeitig national und
gleichzeitig kosmisch gehalten ist. Man strebte also organisatorisch nach einem
stärkeren Unterbau. Aber auch nach einer kräftigen Verankerung in
der öffentlichen Weltmeinung.
So ist die "Organisation der geistigen Zusammenarbeit" ein ziemlich
verwickeltes Gebilde, das durch folgende Skizze veranschaulicht werden
kann:2 (Siehe Skizze auf nächster
Seite.) [Scriptorium merkt an: in unserem
online-Nachdruck gleich hier nachfolgend:]
Die Aufgabe dieser Organisation ist es nicht, wissenschaftliche Arbeit im engeren
Sinne der Forschung zu leisten, sondern sie will sich nur mit Organisationsfragen
befassen, um die internationale Zusammenarbeit zu erleichtern. Sie will
Wegbereiter sein, ohne selbst die Intuition des Forschers und die Problemstellung
des Laboratoriums aufzugreifen.
Die praktische Arbeit des Institutes befaßt sich zunächst mit
einer ausgedehnten Materialsammlung aus Zeitungen und Zeitschriften aller
Länder. Man müht sich also um die Schaffung eines weitgedehnten
wissenschaftspolitischen und kulturpolitischen Pressearchivs. Man vollzieht eine
umfängliche Registraturarbeit ähnlich jener, mit der Harms
in Kiel sein Weltwirtschaftliches Institut aufbaute. Die derart gesammelten
Rohstoffe werden wieder in den periodischen Veröffentlichungen des
Instituts ausgewertet. Als solche gaben sich bis Ende 1928 das
vierteljährlich erscheinende Bulletin des Relations Universitaires, das
Bulletin des Relations Scientifiques und das monatlich erscheinende Bulletin de
la section d'information et de documentation. Diese drei
Veröffentlichungen sind vom 1. Januar 1929 zu der Monatsschrift: Die
geistige Zusammenarbeit als dem Publikationsorgan des Instituts
vereinigt.3 Das internationale Museumsamt des
Instituts hat sich allerdings ein
eigenes Organ unter dem Titel Musaion geschaffen. Alljährlich erscheint
auch eine Liste von Büchern, die für Geschmack und Sinnesrichtung
der einzelnen Länder bemerkenswert sind. Es ist das ein bemerkenswerter
sozialpsychologischer Versuch, an dem Deutschland nicht beteiligt ist. Aber man
wird sich hüten müssen, aus solchen Gelegenheitsstatistiken zu
weitgehende Schlüsse zu ziehen. Geistige und irrationale Strömungen
lassen sich nicht restlos durch Kolumnen und Tabellen erfassen.
[251=Abbildung s. oben] [252] Die Universitätsabteilung
des Instituts veröffentlichte sodann mit Hilfe eines Zuschusses des American
Council on Education ein übersichtliches Handbuch über
Akademischen Austausch in Europa. Dieses Nachschlagswerk erschien in drei
Sprachen und enthält viel Wissenswertes über
Austausch- und Stipendienorganisationen und sonstige Studienerleichterungen,
ohne den weitgelagerten Stoff ganz zu erschöpfen. In der gleichen Linie liegt
die brauchbare Übersicht über Akademische Ferienkurse in Europa
1928.
Ein weiterer Zweig der Institutstätigkeit sind sehr zahlreiche
Enquêten, so über die augenblickliche Lage der Geistesarbeiter in
den einzelnen Ländern, über Universitätsverhältnisse
und Stipendienwesen, ferner Erhebungen betreffend Übersetzungsfragen
literarischer Werke und über die Fülle jener Hindernisse, die der
Verbreitung des Buches entgegenstehen. Die Umfragen sind anregend, aber sie
sind schon in der Fragestellung nicht immer erschöpfend gehalten. Auch
ihre literarische, erst recht ihre praktische Auswirkung läßt zu
wünschen übrig. Eine Begrenzung des sachlichen Umfanges der
Fragestellung, sowie eine Verfeinerung ihrer Methodik würde nicht nur
bessere Ergebnisse sichern, sondern auch die Bereitwilligkeit der Gelehrtenkreise
zur Mitarbeit fördern.4
Ein sehr wichtiges und wirksames Mittel der Kulturpolitik des
Völkerbundes liegt in der Förderung und Unterstützung
privater internationaler Organisationen, wie internationaler Kongresse und
Tagungen. Das Pariser Institut gewährt einer Anzahl dieser Verbände
in seinen Räumen für die geschäftsführenden
Büros Gastrecht, stellt ihnen Material und Büropersonal zur
Verfügung. Auch gibt es ihnen unter Umständen finanzielle
Zuschüsse. Allerdings scheint diese Auslese sich nach Zufall und
Willkür zu vollziehen. Jedenfalls sind die Motive der Einbeziehung nicht
für alle Welt durchsichtig. So kristallisieren sich um den Palais Royal eine
Fülle internationaler geistiger Beziehungen, die naturgemäß
auch vom Institut entsprechend beeinflußt werden können. Es ist nicht
zu übersehen, daß diese organisatorische Konzentrationspolitik
manche und eine nicht immer unberechtigte Kritik gefunden hat. Gerade der
Freund der kulturpolitischen Tätigkeit des Völkerbundes
möchte dem Institut auch hier eine kluge Selbstbeschränkung
wünschen.
Dieses hat sich übrigens nicht nur darauf beschränkt, die bestehenden
Verbände an sich heranzuziehen (was übrigens nur zum Teil gelungen
ist), sondern in mehreren Fällen hat es die Initiative ergriffen, um bestimmte
Zusammenschlüsse internationaler Art zuwege [253] zu bringen. Es sei hier der unter dem Patronat
des Völkerbundes stehende Internationale Kongreß für
Volkskunde in Prag (1928) erwähnt, aus dem eine ständige
internationale Kommission für Volkskunde erwachsen ist.5 Ihr Büro
befindet sich in dem Pariser Institut.
Die Zusammenarbeit mit den großen internationalen wissenschaftlichen
Organisationen, vor allem mit dem Forschungsrat und der internationalen
Akademien-Union ist allerdings über ein bescheidenes Anfangsstadium
noch nicht hinausgekommen. Ein erster Schritt ist die im Jahre 1927 vom Institut
und der
Akademien-Union gemeinsam in Angriff genommene Bibliographie der
geisteswissenschaftlichen Bibliographien. Von weiteren Organisationen ist das
"Comité d'Entente des grandes associations internationales" zu
erwähnen, welches die Aufgabe hat, in den einzelnen Ländern die
"Grundsätze des Völkerbundes im Unterricht" zu verbreiten. Ihm
gehören eine große Zahl internationaler Verbände an,
insbesondere Lehrer-, Frauen- und Jugendorganisationen. Tatsächlich ist ja die Frage der
"Erziehung der Jugend im Geiste der Völkerverständigung" eine
Angelegenheit, die für die zukünftige politische und kulturelle
Weltgestaltung wichtig genug erscheint. Die Bemühungen der
Völkerbundskommission für geistige Zusammenarbeit, die sich auf
dieses Gebiet erstrecken, verdienen sicherlich vollste Unterstützung. Die
achte Völkerbundsversammlung (Sept. 1927) gab den Regierungen der dem
Völkerbund angeschlossenen Staaten überdies besondere
Empfehlungen, die sich auf die Unterweisung der Jugend über das Wesen
und die Ziele des Völkerbundes beziehen.6 Im Verlauf des Jahres 1928
haben auch einzelne Regierungen (die kanadische, niederländische,
dänische Regierung und die Regierung der südafrikanischen Union7)
über besondere Maßnahmen in dieser Richtung an den
Völkerbund berichtet. Unter den Völkerbundligen (Weltverband der
Völkerbundsgesellschaften) war es besonders die englische und die deutsche
Liga (Gräfin Dohna, Margarete Rotbarth), die ihr sozialpädagogisches
Interesse zum Ausdruck brachten. Im ganzen genommen sind die praktischen
Erfolge wohl noch nicht allzuhoch zu bewerten, aber die Sinnesrichtung selbst
büßt darum an ihrer Bedeutsamkeit nichts ein. Zur Förderung
des Völkerbundsunterrichtes wurde übrigens eine besondere
"Nachrichtenstelle für Schulfragen", die ihren Sitz zum Teil in
Genf, zum Teil aber auch in Paris hat, gegründet.8
[254] In diesem Zusammenhange sei übrigens
bemerkt, daß in Preußen der Minister für
Wissenschaft, Kunst und Volksbildung am 28. Mai 1927 einen Erlaß
herausgegeben hat, in dem unter Hinweis auf Deutschlands Eintritt in den
Völkerbund angeordnet wird, "daß in den oberen Klassen der
Volksschulen, in den Mittelschulen, den höheren Lehranstalten, den
pädagogischen Akademien sowie bei der Ausbildung der Studienreferendare
Fragen des Völkerbundes an geeigneter Stelle behandelt werden". Es war ein
Jahr später, daß Geheimrat Schellberg auf Grund von Berichten der
preußischen Schulverwaltung das Urteil über den Fortschritt des
Völkerbundsunterrichtes in preußischen Schulen dahin umschreiben
kann: "Wenn auch bei der Kürze der Zeit natürlich sichtbare
Auswirkungen des
V.-B.-Unterrichtes weder vorliegen noch zu erwarten sind, so ist die Arbeit doch
über alles Erwarten vorwärts gekommen".9 Gleichzeitig wurde in
Preußen ein Preisausschreiben über den Völkerbund an den
preußischen pädagogischen Akademien gestellt, dessen Ergebnisse am
1. Juli 1929 bekannt gegeben werden.
Auf der gleichen Linie, nämlich, den "Völkerfrieden durch die
Schule" vorzubereiten, bewegen sich übrigens auch die sehr bedeutsamen
internationalen pädagogischen Tagungen und die Tätigkeit
des "Bureau International d'Education" (B. I. E.).10 In den Ring dieser
sozialpädagogischen Verbundenheiten treten auch die von dem
Generalsekretariat der Völkerbundsgesellschaften in französischer
und deutscher Sprache in Genf abgehaltenen Sommerschulen. Auch der Weltbund
für Erwachsenenbildung (Kongreß in Cambridge 1929) wirkte in
dieser Richtung.
Von den übrigen internationalen Zusammenschlüssen kultureller Art,
die auf Betreiben des Pariser Instituts zustandegekommen sind,
seien - ohne in der Aufzählung Vollständigkeit zu
beanspruchen - noch erwähnt: die Internationale Kommission des
Lehr- und Kulturfilms, eine internationale Zusammenarbeit der politischen
Bildungsanstalten und eine Fühlungnahme der einzelnen nationalen
Universitätsauskunftsämter.
Die erste Zusammenkunft der politischen Bildungsanstalten fand 1928 in der
Berliner Hochschule für Politik statt. Sie ist als ein Bekenntnis dahin zu
sehen, daß Politik auch als Methode der Völkerannäherung
empfunden wird.
Sehr bedeutsam gibt sich für die Kulturpolitik des Völkerbundes auch
die Zusammenarbeit mit studentischen Organisationen. [255] Die Confédération Internationale
des Etudiants, kurz C. I. E. genannt, bezeichnet den wichtigsten Verband dieser
Art. Er hat ebenfalls sein Büro in dem Pariser Institut aufgeschlagen. Leider
besitzen wir trotz jahrelanger Verhandlungen eine deutsche Verbindung mit
diesem Verbande nicht. Wenn auch einige Schuld der deutschen
Studentenschaft zuerkannt werden muß, so hat doch der Konflikt des von
den deutschen Studenten aller Richtungen vertretenen großdeutschen
Gedanken mit dem vor allem von den Franzosen verfochtenen reinen
Staatsgedanken eine grundsätzliche Bedeutung. Dagegen arbeiten deutsche
Gruppen aller politischen Richtungen in der F. U. L.
(Fédération
Universitaire Internationale pour la Société des
Nations) mit. Allerdings sind die
Tagungen dieser Organisation, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, "für den
Völkerbundgedanken werbend einzutreten und die Kenntnisse der
Völkerbundarbeit in den Universitätskreisen zu verbreiten", vom
deutschen Standpunkt aus gesehen noch recht kritikwürdig.11 Die Arbeit der
deutschen Gruppe, um deren Geschäftsführung sich die Deutsche Liga
für Völkerbund kümmert, darf weitere Aufmerksamkeit
beanspruchen; allerdings steckt diese Arbeit außerhalb Berlins noch in den
Anfängen.
Ein weiteres sehr wichtiges Feld der Tätigkeit ist ferner die
Schöpfung internationaler wissenschaftlicher Organisationen rein
technischer Natur. Besondere Bedeutung haben für Deutschland die
einschlägigen Bestrebungen und Konferenzen des Völkerbundes auf
bibliographischem Gebiet, die eine Zusammenarbeit und Ergänzung der
Organe der einzelnen Länder zum Ziele haben. Diese ist angebahnt
u. a. auf dem Gebiete der Wirtschaftswissenschaft, der Physik und Biologie
und der klassisch-philologischen Disziplinen. Dieser Punkt verdient die besondere
Aufmerksamkeit der deutschen Wissenschaft, deren Referatenorgan eine
große Summe von Erfahrung gesammelt haben. Bedeutsam ist ferner der in
Angriff genommene Aufbau einer internationalen Organisation der Bibliotheken.
Überdies besteht seit Anfang 1927 ebenfalls im Palais Royal das
Internationale Museumsamt.
Auch einige internationale Abkommen sind auf dem Gebiete geistiger
Zusammenarbeit erzielt worden, so z. B. im Jahre 1924 die Annahme eines
neuen Textes der Konventionen von Brüssel aus dem Jahre 1886 über
den internationalen Austausch amtlicher Drucksachen und 1928 ein internationales
Abkommen der Gipswerkstätten.
Die Finanzierung dieses in seiner Tätigkeit so ausgedehnten
Institutes wird in der Hauptsache von Frankreich getragen, das einen
jährlichen Beitrag von zweiundeinhalb Millionen Franken zahlt. Wenn
[256] man die ausgedehnte Tätigkeit des
Instituts in Rechnung stellt, ist dieser Betrag eigentlich bescheiden. Mit
Rücksicht auf diesen engen finanziellen Spielraum hat die
Völkerbundsversammlung im Jahre 1927 auch die übrigen Staaten
aufgefordert, freiwillige Beiträge zu leisten. Diesem Wunsche haben bisher
folgende 12 Länder entsprochen, die allerdings im Verhältnis zum
französischen Anteil nur kleine Zuschüsse leisten, nämlich:
Ägypten, Belgien, Ecuador, Italien, Luxemburg, Monako, Österreich,
Polen, Portugal, Schweiz, Ungarn, Tschechoslowakei. Die
Großmächte üben also eine kulturpolitische
Zurückhaltung. Sie ist wohl nicht immer als grundsätzliche
Ablehnung zu deuten, und wohl mehr als zuwartende Haltung zu bezeichnen.
Zudem macht sich angesichts der
Weltwirtschafts-Krisis die Verengung des finanzpolitischen Spielraums für
kulturelle Zwecke weithin geltend. So hat man im Deutschen Reichsetat 1929
mehrere Millionen für kulturpolitische Zwecke gestrichen, darunter eine
Million für unbedingt lebenswichtige Zwecke der Notgemeinschaft der
Deutschen Wissenschaft (Deutsche Forschungsgemeinschaft, Präsident
Staatsminister Friedrich
Schmidt-Ott), deren auslandkulturelle Wirksamkeit für
Zusammenhänge der internationalen Kulturpolitik völlig
unentbehrlich ist. Die gleiche Wirksamkeit ist der
Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zuzubilligen, die über dreiviertel Million im
Etat verloren hat. Der Haushalt des Instituts wird für 1929 nahezu drei
Millionen französische Franken ausmachen,12 von denen nicht ganz eine
halbe Million außerhalb Frankreichs aufgebracht wird.
Die Beteiligung Deutschlands an den Arbeiten der
Völkerbundskommission für geistige Zusammenarbeit ist eine recht
lebendige. Sie ist um so höher zu veranschlagen, als sie in den ersten Jahren
gegen starke Inlandsströmungen erkämpft werden mußte. Schon
vor unserem Eintritt in den Völkerbund hatten wir einen deutschen Vertreter
im Sachverständigen-Komitee. Nach erfolgtem Beitritt wurden die schon
bestehenden Verbindungen weiter ausgebaut. Als deutsches Mitglied der Genfer
Kommission und des Direktionskomitees des Pariser Instituts wirkt Professor
Albert Einstein; ständiger Stellvertreter ist der Generaldirektor der
preußischen Staatsbibliothek, Geheimrat Krüß.13 Die
Zahl der deutschen Mitglieder der von der Kommission gebildeten
Unterkommissionen ist im Steigen begriffen. Auch an
Sachverständigen-Konferenzen der Kommission und des Institutes hat eine
wachsende Zahl von deutschen Gelehrten teilgenommen. Deutsche
Sachverständige beteiligten sich ferner an Besprechungen über die
Fragen der Übersetzung von literarischen Werken in [257] fremde Sprachen, der Statistik auf dem Gebiete
geistiger Arbeit, der internationalen Zusammenarbeit der Museen und bei der
Gründung eines internationalen Museumsamtes beim Pariser Institut, sowie
bei der Zusammenarbeit der Bibliotheken der Einzelländer. Auch die
deutschen Universitäten, die lange abseits gestanden haben, sind im Jahre
1927 mit dem Pariser Institut in Verbindung getreten. Dort liegt die Leitung der
Universitätsabteilung in den Händen eines Deutschen (Picht) und in
der Informationsabteilung hat eine Deutsche (Rothbarth) die allgemeine Aufgabe,
die Beziehungen des Instituts zu den deutschen wissenschaftlichen Stellen zu
pflegen. Der Leiter der kulturpolitischen Abteilung des Auswärtigen
Amtes Abteilung IV, Gesandter Freytag, ist als deutscher
Regierungsvertreter beim Institut bestellt worden. Gerade an dieser Stelle arbeitet
sich die internationale Fernwirkung dieser Kulturabteilung scharf heraus, die
übrigens mit Etatsmitteln unzureichend ausgerüstet ist. Die deutsche
Wissenschaft hat in der Tat gleichen Anspruch auf Vertretung ihrer Interessen
durch das Auswärtige Amt wie die Wirtschaft, die durch das
Auswärtige Amt weithin gestützt wird. Man erwäge zu allem,
daß die gesamten Völkerbundseinrichtungen für geistige
Zusammenarbeit dem deutschen Untergeneralsekretär unterstehen.
Auch die Gründung einer deutschen Nationalkommission für geistige
Zusammenarbeit ist, wie angedeutet, nach Überwindung mancher
Schwierigkeiten geglückt. Sie erfolgte am 26. März 1928 in Berlin.
Zu Vorsitzenden wurden Harnack und Planck gewählt.
Etwa 50 Mitglieder aus den Kreisen der Hochschulen und der Wissenschaft haben
ihre Mitwirkung zugesagt. Auch die literarisch und künstlerisch schaffenden
Kräfte können sich in diesem Ausschuß vertreten lassen.14 Eine
Ergänzung des Komitees nach dieser Richtung hin wäre in der Tat zu
wünschen.
Die Beurteilung der Tätigkeit der Völkerbundskommission und des
Instituts für geistige Zusammenarbeit wird zunächst den positiven
Wert des Geleisteten durchaus anerkennen müssen. Immerhin ist auch
mancher Ansatzpunkt für die Kritik vorhanden, und zwar einmal in
politischer Beziehung, dann aber auch in bezug auf die Organisation.
Zunächst muß bei allem anzuerkennenden Streben der Beteiligten
nach Objektivität natürlich der überragende
französische Einfluß in Rechnung gestellt werden. Dieser ist
zunächst durch den Sitz des Instituts bedingt. Freilich ist Paris, wie bereits
angedeutet, ein besseres Rendezvous internationaler geistiger Beziehungen als der
Sitz des Völkerbundes in Genf. Zumal da die reiche Apparatur der
Hochschuleinrichtungen, der Institute und Museen, aber auch die
unterstützende Hilfe französischer
Wissenschaftspersönlichkeiten stets [258] einen wirkungsvollen Unterbau zu geben
vermag. Die französische Einflußnahme kommt ferner in der Art der
Finanzierung stark zum Ausdruck. Die Franzosen werden sich daher große
Zurückhaltung auferlegen müssen, um nicht den Verdacht
aufkommen zu lassen, daß das Pariser Institut als Instrument
französischer Kulturpolitik dient. Bekanntlich ist auf der
Völkerbundstagung im September 1926 die Anregung der
nichtfranzösischen Mitglieder der Völkerbundskommission,
daß die Völkerbundsstaaten ein absolutes Kontrollrecht
ausüben, von Briand abgelehnt worden. Eine gesunde geistige
Zusammenarbeit ist aber nur auf politisch neutraler Grundlage möglich.
Auch manche Schwächen der Organisation darf man nicht
übersehen. Das Verhältnis der Kommission zu ihrem
ausführenden Organ, dem Institut, ist nicht frei von Spannungen und bedarf
zweifellos in mancher Beziehung einer Stärkung der Stellung der
Kommission. Eine kluge Institutsleitung wird sich bewußt sein, daß
eine möglichst reibungslose Unterstützung dieser Tätigkeit
durch die nach Besetzung und Ort völlig internationale Kommission eine
nachdrückliche moralische Stärkung ihres Ansehens in allen
Ländern bedeutet. Das Institut selbst leidet aber vor allem unter einer
gewissen Überorganisation. Seine Durchschlagskraft würde
durch Konzentrierung der Arbeit auf bestimmte Gebiete mit Abstoßung aller
nicht notwendigen Nebenorganisationen nur gestärkt werden. Der Versuch,
die internationale Zusammenarbeit auf alle nur möglichen geistigen Gebiete
beim Institut auszudehnen, muß naturnotwendig zu Widerständen und
Reibungen führen und läßt es nicht zu einer vollen Auswirkung
an den entscheidenden Punkten kommen.
Das hat der hier scharfblickende Ausschuß für geistige
Zusammenarbeit auf seiner zehnten Tagung (vom 25. bis 31. Juli 1928) mit nicht
zu verkennender Deutlichkeit ausgesprochen.
"Nach seiner Ansicht muß man darauf achten, daß dieses Institut nicht
mehr Arbeit bekommt, als es mit den vorhandenen Mitteln bewältigen kann.
Zu diesem Zweck soll das Institut auf der nächsten Tagung eine Aufstellung
sämtlicher Entschließungen vorlegen, die bisher vom Ausschuß
für geistige Zusammenarbeit angenommen wurden. In dieser Denkschrift
soll zu jeder einzelnen Entschließung die bereits vollbrachte sowie die noch
zu leistende Arbeit angegeben werden. Alsdann sollen die Entschließungen
revidiert werden, damit die Tätigkeit des Instituts zusammengefaßt
und vereinheitlicht werden kann."15 Die unbedingt notwendige
Reorganisation der
Institutstätigkeit wird eine der Hauptvoraussetzungen für eine
gesunde Zukunftsentwicklung sein.
Das französische Beispiel, im Völkerbund ein internationales
wis- [259] senschaftliches Institut
zu stiften und zu unterhalten, hat übrigens auch Nachfolger gefunden. Italien
hat dem Völkerbund sogar zwei internationale Institute zur Verfügung
gestellt, nämlich das "Internationale Institut für Vereinheitlichung
des Privatrechtes" und ein "Weltlehrfilminstitut".
Das Erstgenannte geht auf ein Angebot Italiens im Jahre 1924 zurück, das
einen jährlichen Betrag von 1 Million Lire zu diesem Zweck zur
Verfügung stellte. Die Gründung erfolgte im Mai 1928. Sein
Verhältnis zum Völkerbund beruht auf ähnlichen
Abmachungen wie mit dem Pariser Institut, mit dem es auch in engem Kontakt
steht. Die Leitung hat stets ein Italiener inne. Gegenwärtig ist Scialoja
Präsident; ihm steht ein Komitee von vierzehn Mitgliedern zur Seite. Als
Aufgabe des Instituts wurde bezeichnet: "Die Prüfung der
Maßnahmen für die Angleichung und Zusammenfassung des
Privatrechts in den einzelnen Staaten oder Staatsgruppen und in der Vorbereitung
einer einheitlichen Privatrechtsgesetzgebung, die nach und nach von den einzelnen
Staaten angenommen werden soll." Das neue Institut hat seinen Sitz in der Villa
Aldobrandini in Rom.16
Darüber hinaus hat sich im September 1927 Italien erboten, ein
"Weltlehrfilminstitut" des Völkerbundes zu gründen. Auch dieser
Vorschlag wurde angenommen. Es wurde am 5. November 1928 in Rom
eröffnet. Seinen Sitz hat es in der Villa Falconieri. Vorsitzender des
Verwaltungsrats ist der Justizminister Rocco.17 Für das Jahr 1929
hat die italienische Regierung dem Institut einen ordentlichen Zuschuß von
600 000 Lire bewilligt. Darüber hinaus stellte sie noch einen weiteren
Beitrag in der Höhe von 200 000 Lire für
Repräsentationszwecke des Direktors und des Verwaltungsrates zur
Verfügung.18
Diese Neugründungen gaben dem Völkerbundsrat Veranlassung,
"Grundsätze zur Regelung der etwaigen Aufnahme internationaler
Körperschaften durch den Völkerbund" aufzustellen. Es sind
dies folgende:
- Das Ziel der Anstalt muß zum allgemeinen Tätigkeitsgebiet des
Völkerbundes gehören;
- die Rechtslage der Körperschaft muß die Unabhängigkeit von
den örtlichen Behörden bedingen;
- die Errichtung der Anstalt muß dergestalt erfolgen, daß eine
Kontrolle durch die Völkerbundsorgane möglich ist.19
[260] Im Interesse der internationalen geistigen
Beziehungen würde es liegen, wenn der Völkerbund es
verstünde, diese Regeln auch wirklich durchzuführen.
Von besonderer kultureller Bedeutung ist die Tätigkeit einer zweiten
Kommission des Völkerbundes, nämlich des
Hygienekomitees und der ihr angegliederten
Hygieneorganisation.
Bei dieser Gründung war der Gedanke maßgebend, die Organisation
internationaler Beziehungen, die im Völkerbund realisiert wird, auch auf das
Gebiet des öffentlichen Gesundheitswesens auszudehnen. Schon im Jahre
1920, in der Zeit der bedrohlichen
Flecktyphus- und Rückfallsfieberepidemien in Osteuropa, trat auf
Veranlassung des Völkerbundsrates eine internationale Hygienikerkonferenz
zusammen. Sie schuf den Plan einer Hygieneorganisation des Völkerbundes,
der auch von der Völkerbundsversammlung im November 1920
angenommen wurde. Er baute sich im allgemeinen auf das schon bestehende
"Internationale Amt für öffentliche Gesundheitspflege" auf. Die
Vereinigten Staaten aber, die Mitglied jenes Amtes sind, widersetzten sich diesem
Plan und so konnte er nicht zur Ausführung gelangen. Die III.
Völkerbundsversammlung schuf ein gemischtes Komitee, das einen neuen
Plan ausarbeitete; so kam es erst auf der IV. Völkerbundsversammlung 1923
zur eigentlichen Gründung.
Gegenwärtig setzt sich die Hygieneorganisation aus drei Faktoren
zusammen, einem Beirat, dem eigentlichen Hygienekomitee
und einer Hygienesektion als Dienstabteilung des
Völkerbundssekretariats. Als Beirat fungiert der Vorstand des
Internationalen Amtes für öffentliche Gesundheitspflege, der sich
ohnehin aus Vertretern der einzelnen Regierungen zusammensetzt. Das
Hygienekomitee selbst besteht aus 16 Mitgliedern, nämlich dem
Präsidenten des Vorstandes des internationalen Amtes für
öffentliche Gesundheitspflege, neun von diesem Vorstand bezeichneten
Mitgliedern und weiteren sechs Mitgliedern, die vom Völkerbundsrat im
Einvernehmen mit dem Hygienekomitee ernannt werden. Dazu kann der Rat noch
vier außerordentliche Beisitzer ernennen, die als ordentliche Mitglieder zu
betrachten sind. Die Amtsdauer aller Mitglieder ist auf drei Jahre
beschränkt. An den Arbeiten des Komitees haben vielfach auch Vertreter der
Vereinigten Staaten und der
Sowjet-Union, die dem Völkerbund nicht angehören, teilgenommen.
Das Hygienekomitee amtet als ein ratgebendes Organ des Völkerbundsrates
und der Bundesversammlung in allen Hygienefragen. Es hat 10
Unterkommissionen, nämlich:
1. Ausbildung von Beamten der öffentlichen Gesundheitspflege; 2. der
ferne
Osten; 3. Malaria; 4. Krebs; 5. Krebsstatistik;
6. Tuberkulose; 7. Standardisierung
der Seren und biologischen Produkte mit einem Unterausschuß für
Tuberkulin; 8. Opium; 9. Milzbrand; [261] 10.
Budget. - Das Budget beträgt eine Million Schweizer Franken."20
Der Präsident des Hygienekomitees ist der Däne Dr. Th.
Madsen. Deutsche Mitglieder sind: Dr. C. Hamel, Präsident des
Reichsgesundheitsamtes in Berlin und Prof. B. Nocht, Hamburg, Sekretär
des Komitees ist der Pole Dr. L. Reijchmann, Direktor der Hygieneabteilung des
Völkerbundssekretariats.21 In den Unterausschüssen
arbeiten ebenfalls eine Reihe angesehener Gelehrter der deutschen medizinischen
Wissenschaft mit.
Die Hygieneorganisation des Völkerbundes hat im allgemeinen die
Aufgabe, "in allen internationalen Fragen des öffentlichen
Gesundheitswesens den Völkerbundsrat und die Versammlung zu beraten,
zwischen den Sanitätsbehörden der verschiedenen Länder
engere Beziehungen zu knüpfen, überhaupt als eine Art zentraler
Informationsstelle in allen Hygienefragen zu wirken".22
Die praktische Arbeit, die von der Hygienekommission und der ihr
angeschlossenen Organisation durch Studienkommissionen, internationale
Ausbildungskurse, den Ausbau des internationalen Nachrichtendienstes sowie
Veranstaltung internationaler Konferenzen und Studienreisen geleistet wurde, ist
eine sehr erfolgreiche, ja vielleicht die fruchtbarste von allen
Völkerbundskommissionen. Auch die Heranziehung deutscher
Gelehrter ist in beachtlichem Umfange erfolgt. Ebenso wurde bei Studienreisen
und Untersuchungen Deutschland auch als Objekt in den Kreis der Betrachtung
gezogen. Wenn auch das Ziel dieser Wirksamkeit in erster Linie der praktische
Erfolg auf sanitärem Gebiete ist, so wird doch zugleich ein sehr wertvoller
internationaler Kontakt medizinischer Gelehrter geschaffen, der ein nicht zu
unterschätzender Faktor internationaler Kulturpolitik ist.
Die kulturpolitische Arbeit des Völkerbunds greift in weltweite
Sphären. Oft mehr andeutend als ausführend. Oft mehr Praxis als
eigentliches Programm. Immerhin verbindend, verknüpfend, befriedend.
Freilich wird alle diese Wirksamkeit Höchstleistung nur dann sehen, wenn
sich diese universalen Fernblicke mit den nationalen, aus dem individuellen
Volkstum flutenden Energien harmonisch vereinigen. Diese Arbeit wird
überdies nur dann zum Ziele führen, wenn der Völkerbundsrat
die politische Bedeutung der von ihm in Angriff genommenen kulturellen Arbeiten
stärker als bisher zur Geltung bringt.
So starke Beachtung die kulturpolitische Tätigkeit des Völkerbundes
auch verdient, so muß abschließend hervorgehoben werden, daß
[262] neben ihr Möglichkeiten geistiger
Wiederannäherung bestehen, die von deutscher Seite mit Erfolg
ausgebaut und entwickelt werden könnten. Abseits von den
organisatorischen Neukonstruktionen des Völkerbundes und abseits von den
als Ausschlußorganisationen gegen die Mittelmächte
begründeten Institutionen ist es der deutschen Wissenschaft gelungen,
vielfach die Fühlungnahme mit ausländischen und internationalen
Kreisen aus eigener Kraft zu gewinnen. Besonders verdient hier die
Tätigkeit der Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft, so auf dem
Gebiete der Beziehungen zu Rußland und der gemeinsamen Arbeit mit
ausländischen Gelehrten, hervorgehoben zu werden. Diese wertvollen
Beziehungen, die von einzelnen Vertretungen deutschen Geistes im Ausland wie
von Ausländern in Deutschland geknüpft werden, bilden mit der
Kulturpolitik des Völkerbundes Bausteine zu dem gleichen Gebäude
der internationalen Geistesrepublik, in der manche der alten Welt
geschlagenen Wunden hoffentlich zu heilen vermögen.
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