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Bd. 2: Teil 2: Die politischen Folgen des Versailler Vertrages

IV. Sondereinrichtungen und Arbeiten des Völkerbundes   (Teil 1)

A) Die Kulturpolitik des Völkerbundes

Universitätsprofessor D. Dr. Georg Schreiber
Prälat, Mitglied des Reichstags

Die weltgeschichtliche Entwicklung um die Zeit der letzten Jahrhundertwende stand im Zeichen der Vertiefung internationaler Beziehungen der Völker. Ihr Schwerpunkt lag allerdings stark auf dem Gebiete weltwirtschaftlicher Verflechtung. Doch vom Weltanschaulichen und vom Sozialbewegten her kam es ebenfalls zu stärkeren Verknüpfungen. Aber auch das spezifisch wissenschaftlich und künstlerisch ausmündende Leben der Nationalkulturen drängte um diese Zeitenwende aus inneren Gesetzen aus dem nationalen Lebensraum heraus und erstrebte kulturbedeutsame Verbindungen mit anderen Volksindividualitäten. So ist auch der Vorkriegszeit der Begriff internationalen kulturellen Lebens durchaus geläufig, ohne sich zum Begriff einer Auslandskulturpolitik und einer internationalen Kulturpolitik formell zu erheben.

Eine Frucht dieser Bestrebungen "geistiger Zusammenarbeit" waren eine Reihe von Organisationen und Instituten, deren Namen bereits einen überstaatlichen Konzernwillen bedeuten: so das Berner Büro für geistiges Eigentum, die Internationale Assoziation der Akademien, der Internationale literarische und künstlerische Verband, das Internationale bibliographische Institut in Brüssel u. a. m. Auch auf hygienischem Gebiete finden sich entsprechende Ringbildungen, wie die internationale Tätigkeit des Roten Kreuzes, geboren aus den Tragödien leidvoller Völkerschicksale.

Trotzdem darf man sagen, daß der überstaatliche Charakter dieser Träger kultureller Tätigkeit ein sehr begrenzter war; denn sie waren doch mehr oder minder auf die Interessen eines bestimmten Landes oder einer kleinen Ländergruppe abgestellt. Der Akzent fiel also stärker auf das Nationale und der bewußte Wille zum überstaatlich Kulturpolitischen war organisatorisch nur schwach entwickelt. Jedenfalls soweit die staatlichen Träger dieser Kulturpolitik in Frage kamen.

Deutschland hatte an diesen Bestrebungen immer hervorragenden Anteil. Die Initiative des Kartells der Deutschen Akademien [246] (Leipzig, München, Göttingen, Wien, dann auch Berlin und später Heidelberg) war es, die auf Anregung der Royal Society in London im Jahre 1899 den Anstoß zur Bildung der internationalen Assoziation der Akademien gab, durch welche auch gemeinsame Publikationen, vor allem für die historischen und philologischen Disziplinen und für die Sozialwissenschaften, eingeleitet wurden. Es ist nicht möglich, hier im einzelnen alle internationalen Gemeinschaftsbildungen aufzuführen, an denen die deutsche Wissenschaft unter starker sachlicher Mitarbeit beteiligt war. Es will jedoch besonders bemerkt sein, daß nicht bloß staatliche Faktoren sich interessierten, sondern daß vor allem auch einzelne Wissenschaftspersönlichkeiten kamen und erfolgreich Völkerzusammenhänge gestalteten, zum Teil in überpersönlicher und institutsmäßiger Dauerwirkung (Deutsches Archäologisches Institut, Zoologisches Institut in Neapel). Vielleicht hätte eine ungestörte Entwicklung allmählich einen planmäßigen Anstieg geschaffen, in einem natürlichen, organischen Wachstum und aus zwangsläufigen Gesetzen einer gesteigerten Mitteilsamkeit, in der Befruchtung eines sich stets erneuernden Lebens. Aber gerade hier hat der Weltkrieg unendlich viel unterbrochen und zerstört. All diese vielfältigen und hoffnungsreichen Ansätze fanden durch das Völkerringen fast ausnahmslos ihr Ende. Man erinnere sich nur daran, was angesichts der Weltgeltung deutscher Wissenschaft, Kunst und Technik der geistige Krieg gegen Deutschland dem internationalen Kulturleben für Wunden geschlagen hat. Schützengräben, spanische Reiter, ein Vorfeld von Stacheldrähten, zerrissene Telephonverbindungen kennzeichneten auch auf dem kulturpolitischen Schlachtfeld die Lage der internationalen Wissenschaft am Ausgang des Weltkriegs.

Aus der Kriegspsychose entstand die Bildung einer neuen geistigen Koalition, die nicht international-verbindend, sondern grundsätzlich-trennend bestimmten Nationen gegenüber eingestellt sein wollte. Die Machtpolitik der Tanks und Dreadnoughts wurde um einen kulturellen Militarismus gemehrt. Seit dem Jahre 1917 war unter den Akademien der alliierten Länder die Gründung einer neuen wissenschaftlichen Organisation unter Ausschluß der Mittelmächte vorbereitet. In einer Londoner Entschließung vom Oktober 1918 wurde die Zusammenarbeit mit den Gelehrten der Mittelmächte für unmöglich erklärt. Dieser Feststellung erfolgte die Gründung des Conseil International des Recherches auf dem Fuße. Er sollte die - zu diesem Zweck vielfach erst gebildeten - naturwissenschaftlichen Institutionen bzw. Regierungen der einzelnen Länder umfassen. An seine Seite trat als Parallelaktion die Internationale Union der Akademien als eine zweckhafte Zusammenfassung der geisteswissenschaftlichen Institutionen. Mit diesen Gründungen wurde der geistige Krieg und die kulturelle Blockade gegen Deutschland zunächst jahre- [247] lang fortgesetzt. Später hat sich unter Einwirkung der Neutralen, vor allem der Holländer und Schweden, sowie auch der Engländer, eine gemäßigte Richtung auf wirkliche Internationalität und damit auf Einbeziehung Deutschlands durchgesetzt. Doch ist es bei den Verhandlungen hierüber leider noch nicht gelungen, alle älteren Spannungen auszuräumen. Noch arbeitet die zivilisierte Welt mit wissenschaftspolitischen und kulturpolitischen Ressentiments.

Um so stärkere Bedeutung gewann für Deutschland die Tatsache, daß in der Nachkriegszeit der Völkerbund die Fragen geistiger Zusammenarbeit in seinen Tätigkeitsbereich einbezog. Er hat sich von Anfang an von jener kriegerischen Einstellung zu diesen kulturellen Fragen ferngehalten. Man hat dort auch, längst ehe Deutschland selbst in den Völkerbund eintrat, auf deutsche Beteiligung Wert gelegt. Die Kulturpolitiker bauen eben die Verbindungswege schneller als die Diplomaten. Heute nach Ablauf einer gewissen Zeit darf man in der Tat feststellen, daß die kulturpolitische Aufmerksamkeit der Société des Nations verdienstlich war, um geistig-kulturelle Strömungen in das einheitliche Bett einer Menschheitsallianz zu überführen. Jedenfalls war der Versuch dazu an sich bedeutend und von einem starken Ethos erfüllt, wenn auch noch vieles zu tun bleibt.

Der Völkerbund gab sich in der Kleinarbeit manche Mühe, um von sich aus bestehende Gegensätze zu mildern. Er schuf mit Mitteln einer neuen geistigen Verkehrstechnik lebensstarke Kontakte, die selbst die friedliche Vorkriegszeit noch nicht kannte. Er führte praktisch zusammen, ohne daß es zu formellen kulturellen Friedensschlüssen zwischen den Ländern kam. Heute nach Abschluß des ersten Jahrzehnts seiner Geschichte darf man dem Völkerbund bezeugen, daß er nicht vergebens Neukolonisationen des Geistes einleitete.

Im Mittelpunkt seiner kulturpolitischen Tätigkeit stand organisatorisch die "Kommission für geistige Zusammenarbeit" und als deren Ausführungsorgan das "Internationale Institut für geistige Zusammenarbeit". Im Generalsekretariat des Völkerbundes besteht überdies eine besondere Abteilung für internationale geistige Zusammenarbeit, an deren Spitze ein Deutscher, der Untergeneralsekretär Gesandter a. D. Dufour-Féronce steht.

Die näheren kulturellen Geburtsdaten sind schnell festgehalten. Die Anregung zur Bildung der Kommission gab eine Entschließung der Völkerbundsversammlung vom 28. September 1920. Die Gründung selbst erfolgte zwei Jahre später. Diese Kommission bestand anfänglich aus 12 Mitgliedern, wurde aber später auf 15 erhöht Unter dem Vorsitz des französischen Philosophen Bergson begann sie ihre Tätigkeit. Für diese Arbeitsgemeinschaft hatte der Völkerbund zunächst ein Budget von nur ungefähr 100 000 Goldfranken [248] bewilligt. Das allerdings nur nach Überwindung mancher Widerstände. Die Aufgabe dieser stark humanitär empfundenen Kommission wurde ganz allgemein dahin umschrieben: "Die Mittel zur Vereinfachung, Klärung und Ausdehnung der schon bestehenden internationalen geistigen Beziehungen zu studieren."1 Also ein weitgefaßtes Programm, dem der Wille zur Universalität innewohnte. Aber es fehlte an Überlieferungen, an Erfahrungen, an der Praxis. Auch an einer voll ergriffenen Unterstützung von der politischen Seite des Völkerbundes, denn diese lag damals noch stark im Ungewissen. Angesichts des von Oswald Spengler getragenen Pessimismus und gegenüber mancher niederdrückenden politischen Erscheinungen der Nachkriegszeit stritt man jedenfalls in Deutschland darüber, ob dieser Bund ehemals verfeindeter Nationen einer Götterdämmerung oder einer hoffnungsvollen Morgenröte entgegenging.

Die Durchführung der praktischen Arbeit war angesichts der geringen Mittel und bei dem Fehlen eines ständigen Büros fast unmöglich. Die Kommission wäre zur Untätigkeit gezwungen gewesen, wenn man ihr nicht die notwendigen technischen Voraussetzungen für erfolgreiches Arbeiten geschaffen hätte. Da erbot sich die französische Regierung 1924 in kluger Erkenntnis der Bedeutung kultureller Faktoren im internationalen Austausch, die Kosten für ein als ständiges Ausführungsorgan gedachtes Institut zu übernehmen, allerdings unter der Bedingung, daß es seine Residenz in Paris aufschlage und unter Leitung eines Franzosen stehen solle. Die uralte und schöpferische Idee des lateinisch-kulturellen Protektorats wurde in dem Gedanken eines geistig-kulturellen Patronats umgebogen. Die völkerverbindende Philosophie von August Comte und die stark nationalbetonte Kulturpolitik van Maurice Barrès empfing damit einen inhaltschweren und zugleich lebensvollen Kommentar.

Die Völkerbundsversammlung vom September 1924 nahm den französischen Vorschlag an und im Januar 1926 wurde "das Institut für geistige Zusammenarbeit" im Palais Royal zu Paris eröffnet, nachdem die rechtliche Stellung dieser internationalen Einrichtung zwischen dem Völkerbund und der französischen Regierung geregelt war. Nicht alle Kreise des Völkerbundes waren mit dem Pariser Domizil einverstanden. In Genf war dem formellen Beschluß eine lange und heftige Debatte vorausgegangen. Gegen die Annahme dieses französischen Geschenkes an den Völkerbund legte vor allem der Vertreter Australiens Verwahrung [ein]. Anglosächsische und französische Kulturpolitik stießen damit zusammen. Bei der anglosächsi- [249] schen Gruppe mehr in reiner Opposition als in positiv herausstellender Gestaltung. Wer die Dinge lediglich vom Standpunkt der Zukunftsentwicklung des Instituts sah, konnte sich dahin äußern, daß die räumliche Trennung von Genf gewiß manche Nachteile heraufführte. Aber sie brachte für diese Anstalt zugleich den taktischen Gewinn, daß die diplomatische Energie der französischen Regierung der Sachaufgabe dieser Einrichtung zugute kam. Als Rückhalt und als Elan.

An der Spitze der Kommission für geistige Zusammenarbeit steht heute der Engländer Professor Gilbert Murray. Sein Name verkörpert die innere Anteilnahme des anglosächsischen Kulturkreises. Direktor des Pariser Instituts ist der frühere Generalsekretär des französischen Unterrichtswesens Luchaire, der geistig bewegliche Erbe jenes Historikers, der wie wenige andere Kenner des mittelalterlichen Frankreichs den Werdegang des französischen Kulturbewußtseins aufdeckte. Dem Direktor Luchaire tritt der Conseil d'Administration zur Seite, der aus den Mitgliedern der Kommission für geistige Zusammenarbeit unter dem Vorsitz des französischen Mitglieds besteht. Dieser wählt ein Comité de Direction aus 6 Mitgliedern, das gewissermaßen als Ausschuß des Conseil den Arbeitsplan und Haushalt des Instituts in regelmäßigen Zeitabständen durchspricht.

Die einzelnen Länder - es sind zur Zeit achtundvierzig - entsenden neben den Vertretern der Völkerbundskommission auch Staatsdelegierte in das Institut, für das sie die Verbindungsleute mit den Verwaltungsbehörden ihres Heimatstaates sein sollen.

Die internationale Kommission für geistige Zusammenarbeit gliedert sich in sachliche Unterkommissionen, die zu ihren Arbeiten wieder besondere Sachverständige hinzugezogen haben. Im Institut entsprechen diesen Unterkommissionen - allerdings mit einigen Abweichungen - wieder besondere Abteilungen. Es sind dies folgende: Wissenschaft, Literatur, Kunst, Unterricht, Rechtslage der Geistesarbeiter, Information. Letztere mit der Aufgabe, die Ergebnisse geistiger Arbeit zu verbreiten. Der Sinn für Auswirkung, für Propaganda, für einen breiteren Zuschnitt ist in den romanischen Völkern immer sehr stark entwickelt gewesen, während in Deutschland die Individualaristokratie der Gelehrten immer stärker betont war. Mit einigem Nutzen, aber auch mit manchen Schäden für deutsche eine mit dem zwanzigsten Jahrhundert weit ausgreifende Sozialentwicklung.

Der organisatorische Aufbau der internationalen Kommission für geistige Zusammenarbeit ist auch regional ausgestaltet worden. Vierunddreißig Staaten, darunter auch Deutschland, haben bisher diesem Wunsche entsprochen. Die Zusammensetzung ist allerdings in den einzelnen Ländern sehr unterschiedlich geregelt. Es ergab sich nach Abschluß der Wahlen und der Auslese eine kulturelle Pyramide, [250] deren Spitze in die Funkstation des Pariser Eiffelturms ausläuft, deren Basis jedoch gleichzeitig national und gleichzeitig kosmisch gehalten ist. Man strebte also organisatorisch nach einem stärkeren Unterbau. Aber auch nach einer kräftigen Verankerung in der öffentlichen Weltmeinung.

So ist die "Organisation der geistigen Zusammenarbeit" ein ziemlich verwickeltes Gebilde, das durch folgende Skizze veranschaulicht werden kann:2 (Siehe Skizze auf nächster Seite.) [Scriptorium merkt an: in unserem online-Nachdruck gleich hier nachfolgend:]

Die Aufgabe dieser Organisation ist es nicht, wissenschaftliche Arbeit im engeren Sinne der Forschung zu leisten, sondern sie will sich nur mit Organisationsfragen befassen, um die internationale Zusammenarbeit zu erleichtern. Sie will Wegbereiter sein, ohne selbst die Intuition des Forschers und die Problemstellung des Laboratoriums aufzugreifen.

Die praktische Arbeit des Institutes befaßt sich zunächst mit einer ausgedehnten Materialsammlung aus Zeitungen und Zeitschriften aller Länder. Man müht sich also um die Schaffung eines weitgedehnten wissenschaftspolitischen und kulturpolitischen Pressearchivs. Man vollzieht eine umfängliche Registraturarbeit ähnlich jener, mit der Harms in Kiel sein Weltwirtschaftliches Institut aufbaute. Die derart gesammelten Rohstoffe werden wieder in den periodischen Veröffentlichungen des Instituts ausgewertet. Als solche gaben sich bis Ende 1928 das vierteljährlich erscheinende Bulletin des Relations Universitaires, das Bulletin des Relations Scientifiques und das monatlich erscheinende Bulletin de la section d'information et de documentation. Diese drei Veröffentlichungen sind vom 1. Januar 1929 zu der Monatsschrift: Die geistige Zusammenarbeit als dem Publikationsorgan des Instituts vereinigt.3 Das internationale Museumsamt des Instituts hat sich allerdings ein eigenes Organ unter dem Titel Musaion geschaffen. Alljährlich erscheint auch eine Liste von Büchern, die für Geschmack und Sinnesrichtung der einzelnen Länder bemerkenswert sind. Es ist das ein bemerkenswerter sozialpsychologischer Versuch, an dem Deutschland nicht beteiligt ist. Aber man wird sich hüten müssen, aus solchen Gelegenheitsstatistiken zu weitgehende Schlüsse zu ziehen. Geistige und irrationale Strömungen lassen sich nicht restlos durch Kolumnen und Tabellen erfassen.

[251=Abbildung s. oben] [252] Die Universitätsabteilung des Instituts veröffentlichte sodann mit Hilfe eines Zuschusses des American Council on Education ein übersichtliches Handbuch über Akademischen Austausch in Europa. Dieses Nachschlagswerk erschien in drei Sprachen und enthält viel Wissenswertes über Austausch- und Stipendienorganisationen und sonstige Studienerleichterungen, ohne den weitgelagerten Stoff ganz zu erschöpfen. In der gleichen Linie liegt die brauchbare Übersicht über Akademische Ferienkurse in Europa 1928.

Ein weiterer Zweig der Institutstätigkeit sind sehr zahlreiche Enquêten, so über die augenblickliche Lage der Geistesarbeiter in den einzelnen Ländern, über Universitätsverhältnisse und Stipendienwesen, ferner Erhebungen betreffend Übersetzungsfragen literarischer Werke und über die Fülle jener Hindernisse, die der Verbreitung des Buches entgegenstehen. Die Umfragen sind anregend, aber sie sind schon in der Fragestellung nicht immer erschöpfend gehalten. Auch ihre literarische, erst recht ihre praktische Auswirkung läßt zu wünschen übrig. Eine Begrenzung des sachlichen Umfanges der Fragestellung, sowie eine Verfeinerung ihrer Methodik würde nicht nur bessere Ergebnisse sichern, sondern auch die Bereitwilligkeit der Gelehrtenkreise zur Mitarbeit fördern.4

Ein sehr wichtiges und wirksames Mittel der Kulturpolitik des Völkerbundes liegt in der Förderung und Unterstützung privater internationaler Organisationen, wie internationaler Kongresse und Tagungen. Das Pariser Institut gewährt einer Anzahl dieser Verbände in seinen Räumen für die geschäftsführenden Büros Gastrecht, stellt ihnen Material und Büropersonal zur Verfügung. Auch gibt es ihnen unter Umständen finanzielle Zuschüsse. Allerdings scheint diese Auslese sich nach Zufall und Willkür zu vollziehen. Jedenfalls sind die Motive der Einbeziehung nicht für alle Welt durchsichtig. So kristallisieren sich um den Palais Royal eine Fülle internationaler geistiger Beziehungen, die naturgemäß auch vom Institut entsprechend beeinflußt werden können. Es ist nicht zu übersehen, daß diese organisatorische Konzentrationspolitik manche und eine nicht immer unberechtigte Kritik gefunden hat. Gerade der Freund der kulturpolitischen Tätigkeit des Völkerbundes möchte dem Institut auch hier eine kluge Selbstbeschränkung wünschen.

Dieses hat sich übrigens nicht nur darauf beschränkt, die bestehenden Verbände an sich heranzuziehen (was übrigens nur zum Teil gelungen ist), sondern in mehreren Fällen hat es die Initiative ergriffen, um bestimmte Zusammenschlüsse internationaler Art zuwege [253] zu bringen. Es sei hier der unter dem Patronat des Völkerbundes stehende Internationale Kongreß für Volkskunde in Prag (1928) erwähnt, aus dem eine ständige internationale Kommission für Volkskunde erwachsen ist.5 Ihr Büro befindet sich in dem Pariser Institut.

Die Zusammenarbeit mit den großen internationalen wissenschaftlichen Organisationen, vor allem mit dem Forschungsrat und der internationalen Akademien-Union ist allerdings über ein bescheidenes Anfangsstadium noch nicht hinausgekommen. Ein erster Schritt ist die im Jahre 1927 vom Institut und der Akademien-Union gemeinsam in Angriff genommene Bibliographie der geisteswissenschaftlichen Bibliographien. Von weiteren Organisationen ist das "Comité d'Entente des grandes associations internationales" zu erwähnen, welches die Aufgabe hat, in den einzelnen Ländern die "Grundsätze des Völkerbundes im Unterricht" zu verbreiten. Ihm gehören eine große Zahl internationaler Verbände an, insbesondere Lehrer-, Frauen- und Jugendorganisationen. Tatsächlich ist ja die Frage der "Erziehung der Jugend im Geiste der Völkerverständigung" eine Angelegenheit, die für die zukünftige politische und kulturelle Weltgestaltung wichtig genug erscheint. Die Bemühungen der Völkerbundskommission für geistige Zusammenarbeit, die sich auf dieses Gebiet erstrecken, verdienen sicherlich vollste Unterstützung. Die achte Völkerbundsversammlung (Sept. 1927) gab den Regierungen der dem Völkerbund angeschlossenen Staaten überdies besondere Empfehlungen, die sich auf die Unterweisung der Jugend über das Wesen und die Ziele des Völkerbundes beziehen.6 Im Verlauf des Jahres 1928 haben auch einzelne Regierungen (die kanadische, niederländische, dänische Regierung und die Regierung der südafrikanischen Union7) über besondere Maßnahmen in dieser Richtung an den Völkerbund berichtet. Unter den Völkerbundligen (Weltverband der Völkerbundsgesellschaften) war es besonders die englische und die deutsche Liga (Gräfin Dohna, Margarete Rotbarth), die ihr sozialpädagogisches Interesse zum Ausdruck brachten. Im ganzen genommen sind die praktischen Erfolge wohl noch nicht allzuhoch zu bewerten, aber die Sinnesrichtung selbst büßt darum an ihrer Bedeutsamkeit nichts ein. Zur Förderung des Völkerbundsunterrichtes wurde übrigens eine besondere "Nachrichtenstelle für Schulfragen", die ihren Sitz zum Teil in Genf, zum Teil aber auch in Paris hat, gegründet.8

[254] In diesem Zusammenhange sei übrigens bemerkt, daß in Preußen der Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung am 28. Mai 1927 einen Erlaß herausgegeben hat, in dem unter Hinweis auf Deutschlands Eintritt in den Völkerbund angeordnet wird, "daß in den oberen Klassen der Volksschulen, in den Mittelschulen, den höheren Lehranstalten, den pädagogischen Akademien sowie bei der Ausbildung der Studienreferendare Fragen des Völkerbundes an geeigneter Stelle behandelt werden". Es war ein Jahr später, daß Geheimrat Schellberg auf Grund von Berichten der preußischen Schulverwaltung das Urteil über den Fortschritt des Völkerbundsunterrichtes in preußischen Schulen dahin umschreiben kann: "Wenn auch bei der Kürze der Zeit natürlich sichtbare Auswirkungen des V.-B.-Unterrichtes weder vorliegen noch zu erwarten sind, so ist die Arbeit doch über alles Erwarten vorwärts gekommen".9 Gleichzeitig wurde in Preußen ein Preisausschreiben über den Völkerbund an den preußischen pädagogischen Akademien gestellt, dessen Ergebnisse am 1. Juli 1929 bekannt gegeben werden.

Auf der gleichen Linie, nämlich, den "Völkerfrieden durch die Schule" vorzubereiten, bewegen sich übrigens auch die sehr bedeutsamen internationalen pädagogischen Tagungen und die Tätigkeit des "Bureau International d'Education" (B. I. E.).10 In den Ring dieser sozialpädagogischen Verbundenheiten treten auch die von dem Generalsekretariat der Völkerbundsgesellschaften in französischer und deutscher Sprache in Genf abgehaltenen Sommerschulen. Auch der Weltbund für Erwachsenenbildung (Kongreß in Cambridge 1929) wirkte in dieser Richtung.

Von den übrigen internationalen Zusammenschlüssen kultureller Art, die auf Betreiben des Pariser Instituts zustandegekommen sind, seien - ohne in der Aufzählung Vollständigkeit zu beanspruchen - noch erwähnt: die Internationale Kommission des Lehr- und Kulturfilms, eine internationale Zusammenarbeit der politischen Bildungsanstalten und eine Fühlungnahme der einzelnen nationalen Universitätsauskunftsämter.

Die erste Zusammenkunft der politischen Bildungsanstalten fand 1928 in der Berliner Hochschule für Politik statt. Sie ist als ein Bekenntnis dahin zu sehen, daß Politik auch als Methode der Völkerannäherung empfunden wird.

Sehr bedeutsam gibt sich für die Kulturpolitik des Völkerbundes auch die Zusammenarbeit mit studentischen Organisationen. [255] Die Confédération Internationale des Etudiants, kurz C. I. E. genannt, bezeichnet den wichtigsten Verband dieser Art. Er hat ebenfalls sein Büro in dem Pariser Institut aufgeschlagen. Leider besitzen wir trotz jahrelanger Verhandlungen eine deutsche Verbindung mit diesem Verbande nicht. Wenn auch einige Schuld der deutschen Studentenschaft zuerkannt werden muß, so hat doch der Konflikt des von den deutschen Studenten aller Richtungen vertretenen großdeutschen Gedanken mit dem vor allem von den Franzosen verfochtenen reinen Staatsgedanken eine grundsätzliche Bedeutung. Dagegen arbeiten deutsche Gruppen aller politischen Richtungen in der F. U. L. (Fédération Universitaire Internationale pour la Société des Nations) mit. Allerdings sind die Tagungen dieser Organisation, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, "für den Völkerbundgedanken werbend einzutreten und die Kenntnisse der Völkerbundarbeit in den Universitätskreisen zu verbreiten", vom deutschen Standpunkt aus gesehen noch recht kritikwürdig.11 Die Arbeit der deutschen Gruppe, um deren Geschäftsführung sich die Deutsche Liga für Völkerbund kümmert, darf weitere Aufmerksamkeit beanspruchen; allerdings steckt diese Arbeit außerhalb Berlins noch in den Anfängen.

Ein weiteres sehr wichtiges Feld der Tätigkeit ist ferner die Schöpfung internationaler wissenschaftlicher Organisationen rein technischer Natur. Besondere Bedeutung haben für Deutschland die einschlägigen Bestrebungen und Konferenzen des Völkerbundes auf bibliographischem Gebiet, die eine Zusammenarbeit und Ergänzung der Organe der einzelnen Länder zum Ziele haben. Diese ist angebahnt u. a. auf dem Gebiete der Wirtschaftswissenschaft, der Physik und Biologie und der klassisch-philologischen Disziplinen. Dieser Punkt verdient die besondere Aufmerksamkeit der deutschen Wissenschaft, deren Referatenorgan eine große Summe von Erfahrung gesammelt haben. Bedeutsam ist ferner der in Angriff genommene Aufbau einer internationalen Organisation der Bibliotheken. Überdies besteht seit Anfang 1927 ebenfalls im Palais Royal das Internationale Museumsamt.

Auch einige internationale Abkommen sind auf dem Gebiete geistiger Zusammenarbeit erzielt worden, so z. B. im Jahre 1924 die Annahme eines neuen Textes der Konventionen von Brüssel aus dem Jahre 1886 über den internationalen Austausch amtlicher Drucksachen und 1928 ein internationales Abkommen der Gipswerkstätten.

Die Finanzierung dieses in seiner Tätigkeit so ausgedehnten Institutes wird in der Hauptsache von Frankreich getragen, das einen jährlichen Beitrag von zweiundeinhalb Millionen Franken zahlt. Wenn [256] man die ausgedehnte Tätigkeit des Instituts in Rechnung stellt, ist dieser Betrag eigentlich bescheiden. Mit Rücksicht auf diesen engen finanziellen Spielraum hat die Völkerbundsversammlung im Jahre 1927 auch die übrigen Staaten aufgefordert, freiwillige Beiträge zu leisten. Diesem Wunsche haben bisher folgende 12 Länder entsprochen, die allerdings im Verhältnis zum französischen Anteil nur kleine Zuschüsse leisten, nämlich: Ägypten, Belgien, Ecuador, Italien, Luxemburg, Monako, Österreich, Polen, Portugal, Schweiz, Ungarn, Tschechoslowakei. Die Großmächte üben also eine kulturpolitische Zurückhaltung. Sie ist wohl nicht immer als grundsätzliche Ablehnung zu deuten, und wohl mehr als zuwartende Haltung zu bezeichnen. Zudem macht sich angesichts der Weltwirtschafts-Krisis die Verengung des finanzpolitischen Spielraums für kulturelle Zwecke weithin geltend. So hat man im Deutschen Reichsetat 1929 mehrere Millionen für kulturpolitische Zwecke gestrichen, darunter eine Million für unbedingt lebenswichtige Zwecke der Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft (Deutsche Forschungsgemeinschaft, Präsident Staatsminister Friedrich Schmidt-Ott), deren auslandkulturelle Wirksamkeit für Zusammenhänge der internationalen Kulturpolitik völlig unentbehrlich ist. Die gleiche Wirksamkeit ist der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zuzubilligen, die über dreiviertel Million im Etat verloren hat. Der Haushalt des Instituts wird für 1929 nahezu drei Millionen französische Franken ausmachen,12 von denen nicht ganz eine halbe Million außerhalb Frankreichs aufgebracht wird.

Die Beteiligung Deutschlands an den Arbeiten der Völkerbundskommission für geistige Zusammenarbeit ist eine recht lebendige. Sie ist um so höher zu veranschlagen, als sie in den ersten Jahren gegen starke Inlandsströmungen erkämpft werden mußte. Schon vor unserem Eintritt in den Völkerbund hatten wir einen deutschen Vertreter im Sachverständigen-Komitee. Nach erfolgtem Beitritt wurden die schon bestehenden Verbindungen weiter ausgebaut. Als deutsches Mitglied der Genfer Kommission und des Direktionskomitees des Pariser Instituts wirkt Professor Albert Einstein; ständiger Stellvertreter ist der Generaldirektor der preußischen Staatsbibliothek, Geheimrat Krüß.13 Die Zahl der deutschen Mitglieder der von der Kommission gebildeten Unterkommissionen ist im Steigen begriffen. Auch an Sachverständigen-Konferenzen der Kommission und des Institutes hat eine wachsende Zahl von deutschen Gelehrten teilgenommen. Deutsche Sachverständige beteiligten sich ferner an Besprechungen über die Fragen der Übersetzung von literarischen Werken in [257] fremde Sprachen, der Statistik auf dem Gebiete geistiger Arbeit, der internationalen Zusammenarbeit der Museen und bei der Gründung eines internationalen Museumsamtes beim Pariser Institut, sowie bei der Zusammenarbeit der Bibliotheken der Einzelländer. Auch die deutschen Universitäten, die lange abseits gestanden haben, sind im Jahre 1927 mit dem Pariser Institut in Verbindung getreten. Dort liegt die Leitung der Universitätsabteilung in den Händen eines Deutschen (Picht) und in der Informationsabteilung hat eine Deutsche (Rothbarth) die allgemeine Aufgabe, die Beziehungen des Instituts zu den deutschen wissenschaftlichen Stellen zu pflegen. Der Leiter der kulturpolitischen Abteilung des Auswärtigen Amtes Abteilung IV, Gesandter Freytag, ist als deutscher Regierungsvertreter beim Institut bestellt worden. Gerade an dieser Stelle arbeitet sich die internationale Fernwirkung dieser Kulturabteilung scharf heraus, die übrigens mit Etatsmitteln unzureichend ausgerüstet ist. Die deutsche Wissenschaft hat in der Tat gleichen Anspruch auf Vertretung ihrer Interessen durch das Auswärtige Amt wie die Wirtschaft, die durch das Auswärtige Amt weithin gestützt wird. Man erwäge zu allem, daß die gesamten Völkerbundseinrichtungen für geistige Zusammenarbeit dem deutschen Untergeneralsekretär unterstehen.

Auch die Gründung einer deutschen Nationalkommission für geistige Zusammenarbeit ist, wie angedeutet, nach Überwindung mancher Schwierigkeiten geglückt. Sie erfolgte am 26. März 1928 in Berlin. Zu Vorsitzenden wurden Harnack und Planck gewählt. Etwa 50 Mitglieder aus den Kreisen der Hochschulen und der Wissenschaft haben ihre Mitwirkung zugesagt. Auch die literarisch und künstlerisch schaffenden Kräfte können sich in diesem Ausschuß vertreten lassen.14 Eine Ergänzung des Komitees nach dieser Richtung hin wäre in der Tat zu wünschen.

Die Beurteilung der Tätigkeit der Völkerbundskommission und des Instituts für geistige Zusammenarbeit wird zunächst den positiven Wert des Geleisteten durchaus anerkennen müssen. Immerhin ist auch mancher Ansatzpunkt für die Kritik vorhanden, und zwar einmal in politischer Beziehung, dann aber auch in bezug auf die Organisation.

Zunächst muß bei allem anzuerkennenden Streben der Beteiligten nach Objektivität natürlich der überragende französische Einfluß in Rechnung gestellt werden. Dieser ist zunächst durch den Sitz des Instituts bedingt. Freilich ist Paris, wie bereits angedeutet, ein besseres Rendezvous internationaler geistiger Beziehungen als der Sitz des Völkerbundes in Genf. Zumal da die reiche Apparatur der Hochschuleinrichtungen, der Institute und Museen, aber auch die unterstützende Hilfe französischer Wissenschaftspersönlichkeiten stets [258] einen wirkungsvollen Unterbau zu geben vermag. Die französische Einflußnahme kommt ferner in der Art der Finanzierung stark zum Ausdruck. Die Franzosen werden sich daher große Zurückhaltung auferlegen müssen, um nicht den Verdacht aufkommen zu lassen, daß das Pariser Institut als Instrument französischer Kulturpolitik dient. Bekanntlich ist auf der Völkerbundstagung im September 1926 die Anregung der nichtfranzösischen Mitglieder der Völkerbundskommission, daß die Völkerbundsstaaten ein absolutes Kontrollrecht ausüben, von Briand abgelehnt worden. Eine gesunde geistige Zusammenarbeit ist aber nur auf politisch neutraler Grundlage möglich.

Auch manche Schwächen der Organisation darf man nicht übersehen. Das Verhältnis der Kommission zu ihrem ausführenden Organ, dem Institut, ist nicht frei von Spannungen und bedarf zweifellos in mancher Beziehung einer Stärkung der Stellung der Kommission. Eine kluge Institutsleitung wird sich bewußt sein, daß eine möglichst reibungslose Unterstützung dieser Tätigkeit durch die nach Besetzung und Ort völlig internationale Kommission eine nachdrückliche moralische Stärkung ihres Ansehens in allen Ländern bedeutet. Das Institut selbst leidet aber vor allem unter einer gewissen Überorganisation. Seine Durchschlagskraft würde durch Konzentrierung der Arbeit auf bestimmte Gebiete mit Abstoßung aller nicht notwendigen Nebenorganisationen nur gestärkt werden. Der Versuch, die internationale Zusammenarbeit auf alle nur möglichen geistigen Gebiete beim Institut auszudehnen, muß naturnotwendig zu Widerständen und Reibungen führen und läßt es nicht zu einer vollen Auswirkung an den entscheidenden Punkten kommen.

Das hat der hier scharfblickende Ausschuß für geistige Zusammenarbeit auf seiner zehnten Tagung (vom 25. bis 31. Juli 1928) mit nicht zu verkennender Deutlichkeit ausgesprochen.

"Nach seiner Ansicht muß man darauf achten, daß dieses Institut nicht mehr Arbeit bekommt, als es mit den vorhandenen Mitteln bewältigen kann. Zu diesem Zweck soll das Institut auf der nächsten Tagung eine Aufstellung sämtlicher Entschließungen vorlegen, die bisher vom Ausschuß für geistige Zusammenarbeit angenommen wurden. In dieser Denkschrift soll zu jeder einzelnen Entschließung die bereits vollbrachte sowie die noch zu leistende Arbeit angegeben werden. Alsdann sollen die Entschließungen revidiert werden, damit die Tätigkeit des Instituts zusammengefaßt und vereinheitlicht werden kann."15 Die unbedingt notwendige Reorganisation der Institutstätigkeit wird eine der Hauptvoraussetzungen für eine gesunde Zukunftsentwicklung sein.

Das französische Beispiel, im Völkerbund ein internationales wis- [259] senschaftliches Institut zu stiften und zu unterhalten, hat übrigens auch Nachfolger gefunden. Italien hat dem Völkerbund sogar zwei internationale Institute zur Verfügung gestellt, nämlich das "Internationale Institut für Vereinheitlichung des Privatrechtes" und ein "Weltlehrfilminstitut".

Das Erstgenannte geht auf ein Angebot Italiens im Jahre 1924 zurück, das einen jährlichen Betrag von 1 Million Lire zu diesem Zweck zur Verfügung stellte. Die Gründung erfolgte im Mai 1928. Sein Verhältnis zum Völkerbund beruht auf ähnlichen Abmachungen wie mit dem Pariser Institut, mit dem es auch in engem Kontakt steht. Die Leitung hat stets ein Italiener inne. Gegenwärtig ist Scialoja Präsident; ihm steht ein Komitee von vierzehn Mitgliedern zur Seite. Als Aufgabe des Instituts wurde bezeichnet: "Die Prüfung der Maßnahmen für die Angleichung und Zusammenfassung des Privatrechts in den einzelnen Staaten oder Staatsgruppen und in der Vorbereitung einer einheitlichen Privatrechtsgesetzgebung, die nach und nach von den einzelnen Staaten angenommen werden soll." Das neue Institut hat seinen Sitz in der Villa Aldobrandini in Rom.16

Darüber hinaus hat sich im September 1927 Italien erboten, ein "Weltlehrfilminstitut" des Völkerbundes zu gründen. Auch dieser Vorschlag wurde angenommen. Es wurde am 5. November 1928 in Rom eröffnet. Seinen Sitz hat es in der Villa Falconieri. Vorsitzender des Verwaltungsrats ist der Justizminister Rocco.17 Für das Jahr 1929 hat die italienische Regierung dem Institut einen ordentlichen Zuschuß von 600 000 Lire bewilligt. Darüber hinaus stellte sie noch einen weiteren Beitrag in der Höhe von 200 000 Lire für Repräsentationszwecke des Direktors und des Verwaltungsrates zur Verfügung.18

Diese Neugründungen gaben dem Völkerbundsrat Veranlassung, "Grundsätze zur Regelung der etwaigen Aufnahme internationaler Körperschaften durch den Völkerbund" aufzustellen. Es sind dies folgende:

  1. Das Ziel der Anstalt muß zum allgemeinen Tätigkeitsgebiet des Völkerbundes gehören;
  2. die Rechtslage der Körperschaft muß die Unabhängigkeit von den örtlichen Behörden bedingen;
  3. die Errichtung der Anstalt muß dergestalt erfolgen, daß eine Kontrolle durch die Völkerbundsorgane möglich ist.19

[260] Im Interesse der internationalen geistigen Beziehungen würde es liegen, wenn der Völkerbund es verstünde, diese Regeln auch wirklich durchzuführen.

Von besonderer kultureller Bedeutung ist die Tätigkeit einer zweiten Kommission des Völkerbundes, nämlich des Hygienekomitees und der ihr angegliederten Hygieneorganisation.

Bei dieser Gründung war der Gedanke maßgebend, die Organisation internationaler Beziehungen, die im Völkerbund realisiert wird, auch auf das Gebiet des öffentlichen Gesundheitswesens auszudehnen. Schon im Jahre 1920, in der Zeit der bedrohlichen Flecktyphus- und Rückfallsfieberepidemien in Osteuropa, trat auf Veranlassung des Völkerbundsrates eine internationale Hygienikerkonferenz zusammen. Sie schuf den Plan einer Hygieneorganisation des Völkerbundes, der auch von der Völkerbundsversammlung im November 1920 angenommen wurde. Er baute sich im allgemeinen auf das schon bestehende "Internationale Amt für öffentliche Gesundheitspflege" auf. Die Vereinigten Staaten aber, die Mitglied jenes Amtes sind, widersetzten sich diesem Plan und so konnte er nicht zur Ausführung gelangen. Die III. Völkerbundsversammlung schuf ein gemischtes Komitee, das einen neuen Plan ausarbeitete; so kam es erst auf der IV. Völkerbundsversammlung 1923 zur eigentlichen Gründung.

Gegenwärtig setzt sich die Hygieneorganisation aus drei Faktoren zusammen, einem Beirat, dem eigentlichen Hygienekomitee und einer Hygienesektion als Dienstabteilung des Völkerbundssekretariats. Als Beirat fungiert der Vorstand des Internationalen Amtes für öffentliche Gesundheitspflege, der sich ohnehin aus Vertretern der einzelnen Regierungen zusammensetzt. Das Hygienekomitee selbst besteht aus 16 Mitgliedern, nämlich dem Präsidenten des Vorstandes des internationalen Amtes für öffentliche Gesundheitspflege, neun von diesem Vorstand bezeichneten Mitgliedern und weiteren sechs Mitgliedern, die vom Völkerbundsrat im Einvernehmen mit dem Hygienekomitee ernannt werden. Dazu kann der Rat noch vier außerordentliche Beisitzer ernennen, die als ordentliche Mitglieder zu betrachten sind. Die Amtsdauer aller Mitglieder ist auf drei Jahre beschränkt. An den Arbeiten des Komitees haben vielfach auch Vertreter der Vereinigten Staaten und der Sowjet-Union, die dem Völkerbund nicht angehören, teilgenommen. Das Hygienekomitee amtet als ein ratgebendes Organ des Völkerbundsrates und der Bundesversammlung in allen Hygienefragen. Es hat 10 Unterkommissionen, nämlich:

1. Ausbildung von Beamten der öffentlichen Gesundheitspflege; 2. der ferne Osten; 3. Malaria; 4. Krebs; 5. Krebsstatistik; 6. Tuberkulose; 7. Standardisierung der Seren und biologischen Produkte mit einem Unterausschuß für Tuberkulin; 8. Opium; 9. Milzbrand; [261] 10. Budget. - Das Budget beträgt eine Million Schweizer Franken."20

Der Präsident des Hygienekomitees ist der Däne Dr. Th. Madsen. Deutsche Mitglieder sind: Dr. C. Hamel, Präsident des Reichsgesundheitsamtes in Berlin und Prof. B. Nocht, Hamburg, Sekretär des Komitees ist der Pole Dr. L. Reijchmann, Direktor der Hygieneabteilung des Völkerbundssekretariats.21 In den Unterausschüssen arbeiten ebenfalls eine Reihe angesehener Gelehrter der deutschen medizinischen Wissenschaft mit.

Die Hygieneorganisation des Völkerbundes hat im allgemeinen die Aufgabe, "in allen internationalen Fragen des öffentlichen Gesundheitswesens den Völkerbundsrat und die Versammlung zu beraten, zwischen den Sanitätsbehörden der verschiedenen Länder engere Beziehungen zu knüpfen, überhaupt als eine Art zentraler Informationsstelle in allen Hygienefragen zu wirken".22

Die praktische Arbeit, die von der Hygienekommission und der ihr angeschlossenen Organisation durch Studienkommissionen, internationale Ausbildungskurse, den Ausbau des internationalen Nachrichtendienstes sowie Veranstaltung internationaler Konferenzen und Studienreisen geleistet wurde, ist eine sehr erfolgreiche, ja vielleicht die fruchtbarste von allen Völkerbundskommissionen. Auch die Heranziehung deutscher Gelehrter ist in beachtlichem Umfange erfolgt. Ebenso wurde bei Studienreisen und Untersuchungen Deutschland auch als Objekt in den Kreis der Betrachtung gezogen. Wenn auch das Ziel dieser Wirksamkeit in erster Linie der praktische Erfolg auf sanitärem Gebiete ist, so wird doch zugleich ein sehr wertvoller internationaler Kontakt medizinischer Gelehrter geschaffen, der ein nicht zu unterschätzender Faktor internationaler Kulturpolitik ist.

Die kulturpolitische Arbeit des Völkerbunds greift in weltweite Sphären. Oft mehr andeutend als ausführend. Oft mehr Praxis als eigentliches Programm. Immerhin verbindend, verknüpfend, befriedend. Freilich wird alle diese Wirksamkeit Höchstleistung nur dann sehen, wenn sich diese universalen Fernblicke mit den nationalen, aus dem individuellen Volkstum flutenden Energien harmonisch vereinigen. Diese Arbeit wird überdies nur dann zum Ziele führen, wenn der Völkerbundsrat die politische Bedeutung der von ihm in Angriff genommenen kulturellen Arbeiten stärker als bisher zur Geltung bringt.

So starke Beachtung die kulturpolitische Tätigkeit des Völkerbundes auch verdient, so muß abschließend hervorgehoben werden, daß [262] neben ihr Möglichkeiten geistiger Wiederannäherung bestehen, die von deutscher Seite mit Erfolg ausgebaut und entwickelt werden könnten. Abseits von den organisatorischen Neukonstruktionen des Völkerbundes und abseits von den als Ausschlußorganisationen gegen die Mittelmächte begründeten Institutionen ist es der deutschen Wissenschaft gelungen, vielfach die Fühlungnahme mit ausländischen und internationalen Kreisen aus eigener Kraft zu gewinnen. Besonders verdient hier die Tätigkeit der Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft, so auf dem Gebiete der Beziehungen zu Rußland und der gemeinsamen Arbeit mit ausländischen Gelehrten, hervorgehoben zu werden. Diese wertvollen Beziehungen, die von einzelnen Vertretungen deutschen Geistes im Ausland wie von Ausländern in Deutschland geknüpft werden, bilden mit der Kulturpolitik des Völkerbundes Bausteine zu dem gleichen Gebäude der internationalen Geistesrepublik, in der manche der alten Welt geschlagenen Wunden hoffentlich zu heilen vermögen.

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1"Das internationale Institut für geistige Zusammenarbeit." Völkerbundspublikation, Genf 1927, S. 6. ...zurück...

2Siehe dazu die ausgezeichneten Darlegungen von Margarethe Rothbarth im Artikel "Internationale geistige Zusammenarbeit" bei Karl Strupp, Wörterbuch des Völkerrechts und der Diplomatie, III, Spalte 873-884. ...zurück...

3Vgl. Die Tätigkeit des Völkerbundes im Januar 1919. Bd. IX. Nr. 1. S. 18. ...zurück...

4Siehe auch die Sammelschrift v. Biegeleben, Hensel, Popitz, Schreiber, Kultur und Steuergesetzgebung (Schriften zur deutschen Politik, Heft 15/16), Freiburg i. Br. 1926. ...zurück...

5Siehe dazu G. Schreiber, "Das Auslandsdeutschtum als Kulturfrage." (Sammlung: Deutschtum und Ausland, Heft 17 und 18.) Münster 1929, S. 99 u. 114. ...zurück...

6Die Tätigkeit des Völkerbundes im Sept. 1927. Bd. VII. Nr. 9. S. 349. ...zurück...

7Die Tätigkeit des Völkerbundes im Jan. 1928. Bd. VIII. Nr. 1. S. 8 und Febr. 1928. Bd. VIII. S. 58/59. ...zurück...

8Die Tätigkeit des Völkerbundes im Sept. 1928. Bd. VII. Nr. 9. S. 307. ...zurück...

9W. Schellberg, Der Völkerbund im Unterricht der preußischen Schulen. Ebenda Nr. 4/5: "Der Erziehungsausschuß der Deutschen Liga für Völkerbund". ...zurück...

10Vgl. hierzu v. F. M. Gräfin zu Dohna, "Völkerbund und Schule", in Völkerbund. 2. Jahrgang. Nr. 3. März 1929. ...zurück...

11Vgl. hierzu: Dr. Otto Friedländer, "Völkerbundsarbeit Studentischer Jugend" in Völkerbund. 1. Jahrgang. Nr. 2. Nov. 1928. ...zurück...

12Vgl. hierzu: Die Tätigkeit des Völkerbundes im Sept. 1928. Bd. VII. Nr. 9. Seite 307. ...zurück...

13Vgl. Krüß, Deutschland und die internationale wissenschaftliche Zusammenarbeit, Kgl. Ungarische Universitätsdruckerei Budapest 1928. ...zurück...

14Vgl. Tätigkeit des Völkerbundes im April 1928. Bd. VII. Nr. 4. Seite 143. ...zurück...

15Die Tätigkeit des Völkerbundes im August 1928. Bd. VIII. Nr. 8. Seite 268. ...zurück...

16Die Tätigkeit des Völkerbundes im Mai 1928. Bd. VIII. Nr. 5. Seite 170/71. ...zurück...

17Die Tätigkeit des Völkerbundes im November 1928. Bd. VIII. Nr. 11. ...zurück...

18Die Tätigkeit des Völkerbundes im Dezember 1928. Bd. VIII. Nr. 12. ...zurück...

19Die Tätigkeit des Völkerbundes im Juni 1928. Bd. VIII. Nr. 6. Seite 203. ...zurück...

20Die Hygieneorganisation des Völkerbundes (Nachrichtenabteilung des Völkerbundes). Seite 11/12. ...zurück...

21Die Tätigkeit des Völkerbundes im Januar 1918. Bd. IX. Nr. 1. Seite 41/42. ...zurück...

22Die Hygieneorganisation des Völkerbundes. Seite 14. ...zurück...

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Zehn Jahre Versailles
in 3 Bänden herausgegeben von
Dr. Dr. h. c. Heinrich Schnee und Dr. h. c. Hans Draeger