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Bd. 1: A. Der Rechtsanspruch
auf Revision
II. Die moralische Ächtung des deutschen Volkes
als Mittel zur Unterhöhlung der
Rechtsgrundlage (Teil 1)
a) Die Auslieferung der deutschen
"Kriegsverbrecher"
Freiherr von Lersner
vormals Präsident der deutschen Friedensdelegation von
Versailles
Das Verlangen unserer Kriegsgegner nach Auslieferung des Deutschen Kaisers und
der sogenannten "deutschen Kriegsverbrecher" ist nichts anderes als der Versuch
der Ententestaaten gewesen, das geschlagene Deutschland mit dem Fluch von
himmelschreienden Schandtaten zu belasten. Hiermit sollte der "moralische"
Grund für die unmoralischen Bedingungen gefunden werden, die unsere
Feinde uns in dem Friedensdiktat von Versailles aufzwingen wollten. Durch die
ganzen Verhandlungen sowohl über die Kriegsschuld, als vor allem
über die Auslieferungsfrage zieht sich diese Politik sichtbar wie ein roter
Faden hindurch: Jedesmal wenn wir ein unparteiisches Gericht gefordert hatten,
wurde diese Forderung abgeschlagen, weil wir "in den Augen aller Welt
Verbrecher" seien.
Clemenceau sagte 1919 nach der Unterzeichnung des Versailler Diktats zum
finnischen General Mannerheim:
"Niemals hätten wir eine große Nation,
wie die deutsche, so wie
im Versailler Vertrage behandelt, wenn die Deutschen sich nicht
nachgewiesenermaßen der abscheulichsten Verbrechen gegen die
geheiligsten Menschenrechte schuldig gemacht hätten."
Schon Mitte November 1918 erklärte der englische Minister Churchill in
einer Rede in Dundee:
"Die deutsche Nation als Ganzes war an diesem
Angriffskrieg schuldig.
Jeder einzelne Deutsche, der bestimmter Brüche des Kriegsrechts zu Lande
und zur See überführt werden kann, oder der nachweislich Gefangene
grausam mißhandelt hat, sollte vor Gericht gestellt und als Verbrecher
bestraft werden, wie hoch gestellt er auch sei. Die juristischen Berater der Krone
sind beschäftigt, diese Frage zu prüfen, damit wir imstande sind,
unsere Anklagen gegen die Schuldigen vorzubereiten."
Am 29. November 1918 führte der englische Ministerpräsident Lloyd
George in New Castle aus:
"Die Personen, die die Gefangenen in so
unmenschlicher Weise behandelt
haben, müssen unbedingt zur Verantwortung gezogen werden. Durch einen
in Großbritannien eingesetzten Obersten Gerichtshof muß die
gerichtliche Untersuchung und endgültige Abrechnung mit den Schuldigen
erfolgen. Vor allem muß der Feind für die Räubereien seiner
Tauchboote und die Verwüstungen anderer Länder bestraft
werden."
[16] Weiter sagte Lloyd George damals bei einer
Frauenversammlung in London zur Frage der Friedensbedingungen:
"Die für die Schrecken des Krieges
Verantwortlichen müssen
zur Verantwortung gezogen werden. Dies ist um so notwendiger, je höher
sie stehen. Ohne sie wäre es nicht zum Kriege gekommen. Unser Urteil
muß derart ausfallen, daß Könige, Kaiser und Kronprinz
für alle Ewigkeit wissen, daß die Strafe, wenn sie Verruchtheiten
dieser Art über die Erde bringen, unausbleiblich auf ihr Haupt fallen
wird."
Diesen vorbereitenden englischen Gedankengängen folgten gar bald weitere
energische französische Schritte.
Am 14. Dezember 1918 hielt der amerikanische Präsident
Wilson, - der Vater der berühmten 14 Punkte, auf Grund deren am 11.
November 1918 der Waffenstillstand abgeschlossen war und die einen Frieden "auf
der Grundlage von Freiheit und Glück all der zahlreichen Nationen" bringen
sollten, - seinen Einzug in Frankreichs Hauptstadt. Mit
außerordentlichem Geschick verstand es der Präsident der
Französischen Republik, Poincaré, schon in seiner
Begrüßungsrede dem hohen Gaste Frankreichs die vermeintlichen
Verbrechen Deutschlands im Kriege vor Augen zu führen:
"Bei ihrer Ankunft waren die amerikanischen
Soldaten der abscheulichen
Verbrechen der Deutschen unkundig. Es war notwendig, sie wissen zu lassen, wie
die deutschen Armeen Krieg führen, auf welche Weise sie Städte
systematisch dem Erdboden gleichmachten, wie sie Fabriken in Ruinen
umwandelten, Kathedralen beschossen und nationales Eigentum vernichteten.
Ihrerseits, Herr Präsident, sollen Sie in der Lage sein, mit eigenen Augen
den Umfang dieser Katastrophe zu ermessen. Die Französische Regierung
wird Ihnen von den authentischen Dokumenten Kenntnis geben, in denen
der deutsche Generalstab mit erstaunlichem Zynismus das Programm von
Plünderung und Verwüstung angibt. Ihr edles Gewissen soll
über diese Tatsachen ein Urteil sprechen. Wenn diese Verbrechen ungestraft
blieben, wenn sie erneuert werden könnten, wäre der schönste
Sieg vergebens..."
Solche geschickt vorgetragenen Reden verfehlten ihren Eindruck auf den arbiter
orbis, den Präsidenten Wilson, nicht. Allerlei Akten wurden ihm vorgelegt;
das durch die Kriegsfurie und den jahrelangen beiderseitigen Artilleriekampf
zerstörte Nordfrankreich wurde ihm wiederholt gezeigt. Allmählich
nahm Wilson die suggestiven Darstellungen Poincarés und Clemenceaus
völlig in sich auf und machte sich ihre Auffassungen zu eigen.
Am 25. Januar 1919 stand auf der Tagesordnung der Friedenskonferenz: "Die
Verletzungen der Kriegsgesetze." Nach der gründlichen Vorbereitung durch
die französischen und englischen Staatsmänner wurde alsbald
folgende Entschließung einstimmig angenommen:
"Eine Kommission, bestehend aus je zwei Vertretern
von fünf
Großmächten und fünf Vertretern anderer noch
auszuwählender Mächte, ist dazu bestimmt, über folgendes
Erhebungen anzustellen und Bericht zu erstatten:
[17] 1. Verantwortlichkeit der Urheber des
Krieges;
2. Verletzungen der Kriegsgesetze und
Kriegsgebräuche, die von den Streitkräften des Deutschen Reiches
und seiner Verbündeten zu Lande, zur See und in der Luft während
des Krieges begangen wurden;
3. die Abstufungen der Verantwortlichkeit für diese
Verletzungen, insofern sie sich auf einzelne Angehörige der feindlichen
Streitkräfte einschließlich der Mitglieder der Generalstäbe und
andere Personen, so hoch sie auch stehen mögen, beziehen;
4. Zusammensetzung und Verfahren des Gerichtshofes, um
derartige Verletzungen festzustellen;
5. alle anderen Angelegenheiten, die dem Obigen verwandt
oder untergeordnet sind und im Laufe der Untersuchung auftauchen können
und welche die Kommission für nützlich und erheblich findet, um sie
in Erwägung zu ziehen."
Nun war eine "rechtliche" Basis geschaffen, auf der unsere Feinde weiter operieren
konnten. Jetzt war der Schritt getan, um Deutschland aus "rechtlichen und
moralischen" Gründen mit den drakonischen Bedingungen des Versailler
Diktats bestrafen zu können.
Am 7. Mai 1919 wurden uns im "Hotel du Grand Trianon" in Versailles die
Friedensbedingungen überreicht. Schon in dieser Sitzung bestritt der
deutsche Außenminister, Graf
Brockdorff-Rantzau, energischst vor den versammelten Staatsmännern der
gesamten Entente, daß Deutschland allein schuld am Kriege gewesen sei,
allein in der Art der Kriegführung gefehlt habe:
"Das Maß der Schuld aller Beteiligten kann nur
eine unparteiliche
Untersuchung feststellen, eine neutrale Kommission, vor der alle Hauptpersonen
der Tragödie zu Worte kommen, der alle Archive geöffnet werden.
Wir haben eine solche Untersuchung gefordert. Wir wiederholen diese
Forderung."
Die "Strafbestimmungen" der Entente, durch die Deutschland für ewige
Zeiten an den Pranger gestellt werden sollte, lauteten wörtlich:
Die Alliierten und Assoziierten Mächte stellen
Wilhelm II. von Hohenzollern, ehemaligen Deutschen Kaiser, unter
öffentliche Anklage wegen schwerster Verletzung der internationalen Moral
und der Heiligkeit der Verträge.
Ein besonderer Gerichtshof wird gebildet werden, um den
Angeklagten unter Wahrung der wesentlichen Garantien seines
Verteidigungsrechtes zu richten. Der Gerichtshof wird aus Richtern bestehen, die
von jeder der nachstehenden Mächte ernannt werden, nämlich den
Vereinigten Staaten von Amerika, Großbritannien, Frankreich, Italien und
Japan.
Der Gerichtshof wird sich bei seinem Urteil von den
erhabensten Grundsätzen der internationalen Politik leiten lassen; er wird
besorgt sein, die Achtung der feierlichen Verpflichtungen und der internationalen
Verträge, sowie der internationalen Moral zu sichern. Ihm steht es zu, die
anzuwendende Strafe nach seinem Ermessen zu bestimmen.
Die Alliierten und Assoziierten Mächte werden an
die Niederländische Regierung ein Ersuchen richten, ihnen den ehemaligen
Kaiser zum Zwecke seiner Aburteilung auszuliefern.
Die Deutsche Regierung erkennt die Befugnis der
Alliierten und Assoziierten Mächte an, vor ihre Militärgerichte solche
Personen zu stellen, die wegen einer [18] gegen die Gesetze und Gebräuche des
Krieges verstoßenden Handlung angeklagt sind. Auf die für schuldig
Befundenen finden die in den Militärgesetzen vorgesehenen Strafen
Anwendung. Diese Bestimmung gilt ohne Rücksicht auf irgendein
Verfahren oder eine Verfolgung vor einem Gerichte Deutschlands oder seiner
Verbündeten.
Die Deutsche Regierung hat den Alliierten oder denjenigen
von ihnen, die sie darum ersuchen werden, alle Personen auszuliefern, die
angeklagt sind, eine Handlung gegen die Gesetze und Gebräuche des
Krieges begangen zu haben, und die ihr namentlich oder nach dem Rang, dem Amt
oder der Beschäftigung in deutschen Diensten bezeichnet werden.
Sind die Handlungen gegen die Angehörigen nur
einer der Alliierten Mächte begangen, so werden die Täter vor die
Militärgerichte dieser Macht gestellt.
Sind die Handlungen gegen Angehörige mehrerer
der Alliierten Mächte begangen, so werden die Täter vor
Militärgerichte gestellt, deren Mitglieder Militärgerichten der
beteiligten Mächte angehören.
In allen Fällen hat der Angeklagte das Recht, seinen
Verteidiger selbst zu bestimmen.
Die Deutsche Regierung verpflichtet sich, Urkunden und
Auskünfte jeder Art zu liefern, deren Mitteilung zur vollständigen
Kenntnis der den Gegenstand der Anklage bildenden Handlungen, der Ermittlung
der Schuldigen und der genauen Abwägung der Verantwortlichkeit
für erforderlich erachtet wird."
Die Entente scheute sich also nicht, dem fundamentalsten Rechtsgrundsatz:
"Niemand kann zugleich Kläger und Richter sein," kraß ins Gesicht zu
schlagen. Die Entente klagte uns an und wollte nun gleichzeitig als Richter
über Kaiser und "Kriegsverbrecher" zu Gericht sitzen. Sie wollte beweisen,
daß die Deutschen Verbrecher seien und mit vollstem Recht die
fürchterlichen Versailler Bedingungen aufgezwungen bekämen.
In der holländischen Presse erschien sogleich eine von der
Niederländischen Regierung stammende Stellungnahme gegen die
Forderung der Auslieferung des Deutschen Kaisers:
"...Es steht fest, daß, wenn der Kaiser nicht
freiwillig vor einem
Gerichtshof erscheint, die Holländische Regierung ihn dazu nicht zwingen
wird. Einen Gerichtshof, der ausschließlich aus Feinden des Kaisers
zusammengesetzt wäre, können wir unmöglich als unparteiisch
ansehen..."
Am 12. Mai tagte die deutsche Nationalversammlung in der Berliner
Universität: Der Welt wurde durch den Reichsministerpräsident
Scheidemann, durch den preußischen Ministerpräsidenten Hirsch,
durch den sozialdemokratischen Abgeordneten Müller, den demokratischen
Abgeordneten Haußmann verkündet:
"Die Friedensbedingungen sind unannehmbar. Die
Hand, die dies Dokument unterschreibt, verdorre!"
Unter Hinweis auf die "Strafbestimmungen" stellte der deutschnationale
Abgeordnete Graf Posadowsky fest:
[19] "Keiner, der
Ehrgefühl im Leibe hat, kann diese Forderung annehmen, die uns der
Verachtung der ganzen Welt preisgeben müßte."
Der volksparteiliche Abgeordnete v. Krause ging näher auf die Auslieferung
und geforderte Aburteilung des Kaisers und der "Kriegsverbrecher" ein:
"Eines solchen Rechtsbruches muß sich jeder
rechtlich Denkende
schämen. Unrecht und Gewalt werden in diesem Friedenswerk zum
völkerrechtlichen Prinzip erhoben."
In Versailles wechselte die deutsche Friedensdelegation inzwischen scharfe Noten
mit den Alliierten. Am 29. Mai übergab ich dem Vertreter Frankreichs die
von einer Mantelnote begleiteten Gegenvorschläge, die Graf
Brockdorff-Rantzau namens des Reiches zu den Friedensbedingungen machte.
Unter dem Titel: "Widerspruch zwischen dem Vertragsentwurf und seinen
Rechtsgrundlagen" heißt es:
"Es wird verlangt, daß deutsche
Staatsangehörige den Gerichten
der feindlichen Großmächte ausgeliefert werden, während eine
neue, vom Gedanken des Rechtsfriedens getragene Lösung durch Einsetzung
einer unparteiischen Behörde gesucht werden müßte, die alle in
diesem Kriege vorgekommenen Völkerrechtsverletzungen festzustellen
hätte.
1. Im Artikel
227 erheben die Alliierten und Assoziierten
Mächte gegen den früheren deutschen Kaiser öffentliche
Anklage wegen schwerster Verletzung des internationalen Sittengesetzes und der
geheiligten Macht der Verträge. Ein allein von den Hauptmächten
einzusetzender Ausnahmegerichtshof soll, 'von den erhabensten
Grundsätzen der zwischenstaatlichen Politik geleitet', das Urteil finden, ohne
dabei hinsichtlich der zu verhängenden Strafe an eine Schranke gebunden zu
sein. Die Niederländische Regierung soll um Auslieferung des Kaisers
ersucht werden.
Wenngleich eine Mitwirkung Deutschlands weder bei der
Bildung des Gerichts noch im Verfahren oder bei der Auslieferung vorgesehen ist,
würde die Deutsche Regierung durch Unterzeichnung eines den Artikel 227
enthaltenden Friedensvertrages die Berechtigung einer solchen Strafverfolgung, die
Zuständigkeit des Ausnahmegerichts und die Zulässigkeit der
Auslieferung anerkennen. Das kann nicht geschehen.
Die beabsichtigte Strafverfolgung entbehrt der
Rechtsgrundlage. Das geltende Völkerrecht gibt Geboten und Verboten
keine Strafsanktion; kein Gesetz eines der beteiligten Staaten bedroht die
Verletzung des internationalen Sittengesetzes oder den Bruch von Verträgen
mit Strafe. Es gibt daher nach geltendem Recht auch kein Strafgericht, das zur
Entscheidung über die erhobene Anklage berufen wäre. Der Entwurf
mußte aus diesen Gründen ein Ausnahmegericht vorsehen und er
mußte als Ausnahmegesetz ein Strafgesetz mit rückwirkender Kraft
schaffen, das die Urteilsgrundlage bilden soll. Die Deutsche Regierung kann nicht
zulassen, daß ein Deutscher vor ein fremdes Ausnahmegericht gestellt, auf
Grund eines nur für seine Person von fremden Mächten erlassenen
Ausnahmegesetzes und wegen einer Tat bestraft wird, die zur Zeit ihrer Begehung
nicht mit Strafe bedroht war. Die Deutsche Regierung kann sich auch nicht damit
einverstanden erklären, daß an die Niederländische Regierung
das Ansinnen gerichtet wird, einen Deutschen zum Zwecke eines nicht zu
rechtfertigenden Verfahrens an eine fremde Macht auszuliefern.
Nach Artikel
228 soll Deutschland ferner den Gegnern die
Personen, die von [20] ihnen eines Verstoßes gegen Kriegsgesetz
oder Kriegsbrauch beschuldigt werden, zur militärgerichtlichen Aburteilung
überantworten, und zwar selbst dann, wenn deutsche Gerichte gegen diese
Personen bereits ein Verfahren eingeleitet haben. Deutschland kann nach
geltendem Recht eine solche Verpflichtung nicht übernehmen, weil § 9
seines Strafgesetzbuches die Auslieferung von Deutschen an ausländische
Regierungen verbietet. Die Alliierten und Assoziierten Mächte wollen also
dem Deutschen Reich die Änderung eines Rechtssatzes aufzwingen, der
Gemeingut der meisten Völker ist und überall, wo er gilt, das
Ansehen eines verfassungsmäßig gewährleisteten Grundrechts
genießt. Die Ablehnung dieser Zumutung ist ein selbstverständliches
Gebot der deutschen Ehre.
2. Nach Auffassung der Deutschen Delegation
gehört es zu den vornehmsten Aufgaben des Friedensschlusses, die durch
den gegenseitigen Vorwurf des Völkerrechtsbruchs erregten Leidenschaften
damit zu beruhigen, daß da, wo tatsächlich Unrecht begangen worden
ist, dem gekränkten Rechtsgefühl Genugtuung verschafft wird. Dies
Ziel kann nicht erreicht werden, wenn
man - wie der Entwurf
will - die Forderung nach Sühne begangenen Unrechts zu politischen
Zwecken mit Brandmarkung und Ächtung des Gegners verquickt, dem
Sieger die Rolle des Richters überträgt und damit Gewalt an Stelle des
Rechts setzt. Soll Rechtsbruch gesühnt werden, so muß das Verfahren
selbst rechtmäßig sein. Nach geltendem Völkerrecht ist
für Verstöße gegen Gesetze und Gebräuche des Krieges
nur der Staat als Träger der völkerrechtlichen Verpflichtung
verantwortlich. Ist Genugtuung durch Bestrafung schuldiger Einzelpersonen zu
leisten, so darf der verletzte Staat nicht selbst strafen; er kann nur die Bestrafung
von dem für den Schuldigen verantwortlichen Staat verlangen. Deutschland
hat sich niemals geweigert und erklärt sich auch jetzt bereit, dafür zu
sorgen, daß Verletzungen des Völkerrechts mit der vollen Strenge des
Gesetzes geahndet und daß dabei alle Beschuldigungen, von welcher Seite
sie auch erhoben sein mögen, unparteiisch geprüft werden.
Darüber hinaus ist es bereit, die Entscheidung der völkerrechtlichen
Vorfrage, ob eine im Kriege begangene Handlung als Verletzung der Gesetze und
Gebräuche des Krieges anzusehen ist, einem aus Neutralen
zusammengesetzten internationalen Gerichtshof zu überlassen.
Voraussetzung dafür ist:
1. daß vor den internationalen Gerichtshof die von
Angehörigen aller vertragschließenden Teile begangenen
Verletzungen der Gesetze und Gebräuche des Krieges gebracht werden
können;
2. daß Deutschland an der Bildung des
internationalen Gerichtshofs den gleichen Anteil hat, wie die Alliierten und
Assoziierten Mächte;
3. daß die Zuständigkeit des internationalen
Gerichtshofes auf die Entscheidung der völkerrechtlichen Fragen
beschränkt und die Bestrafung den nationalen Gerichten überlassen
bleibt."
Erst am 16. Juni 1919 wurde in Versailles dem Generalkommissar der deutschen
Friedensdelegation, dem späteren Außenminister und
Reichsgerichtspräsidenten, Dr. Simons, und mir die Antwort der Entente auf
unsere Gegenvorschläge überreicht. In der Mantelnote wurde das
deutsche Volk erneut in unerhörter Weise beschimpft, der bewußten
Urheberschaft am Ausbruch des Krieges beschuldigt und der rohen,
unmenschlichen Kriegführung angeklagt.
Clemenceau schrieb:
[21] "Das Verhalten
Deutschlands ist in der Geschichte der Menschheit fast beispiellos. Die
schreckliche Verantwortlichkeit, die auf ihm lastet, läßt sich in der Tatsache
zusammenfassend zum Ausdruck bringen, daß wenigstens 7 Millionen Tote
in Europa begraben liegen, während mehr als 20 Millionen Lebender durch
ihre Wunden und ihre Leiden von der Tatsache Zeugnis ablegen, daß
Deutschland durch den Krieg seine Leidenschaft für die Tyrannei hat
befriedigen wollen.
Dieser Krieg hat für Millionen von Menschen Tod
und Verstümmelung gebracht und Europa schrecklichen Leiden ausgesetzt.
Hungersnot, Arbeitslosigkeit, Krankheit wüten auf dem ganzen Kontinent,
und noch für Jahrzehnte werden die Völker unter den Lasten und der
durch diesen Krieg verursachten Zerrüttung ächzen. Die Alliierten
und Assoziierten Mächte sehen die Bestrafung derjenigen Personen, die
für das Elend der menschlichen Rasse verantwortlich sind, als im Interesse
der Gerechtigkeit unerläßlich an.
Sie halten diese Bestrafung nicht weniger notwendig als
Abschreckung für andere, welche später vielleicht einmal in
Versuchung geraten sollten, ihrem Beispiel zu folgen. Der gegenwärtige
Vertrag soll in markanter Weise mit den Traditionen und der Praxis früherer
Abkommen brechen, die selten imstande waren, die Erneuerung des Krieges zu
verhüten. Die Alliierten erachten in der Tat die Verfolgung und Bestrafung
derjenigen Personen, die als der Verbrechen und der inhumanen Handlungen in
Beziehung auf einen Angriffskrieg am meisten schuldig sind, als untrennbar von
der Errichtung jener Herrschaft des Rechts unter den Völkern, die als Ziel
dieses Vertrages ins Auge gefaßt sind.
In bezug auf die deutsche Behauptung, daß eine
Verfolgung der Angeklagten durch die von den Alliierten und Assoziierten
Mächten ernannten Gerichte ein einseitiges und unbilliges Verfahren
darstelle, betrachten die Alliierten es als unmöglich, die Rechtsprechung
über solche für die Verbrechen gegen Humanität und
internationales Recht unmittelbar Verantwortlichen den an diesen Verbrechen
Mitschuldigen anzuvertrauen. Fast die ganze Welt hat sich zusammengeschlossen,
um den deutschen Plan der Eroberung und der Herrschaft zunichte zu machen. Die
Gerichtshöfe, die die Alliierten einrichten werden, werden daher die
Meinung des größten Teiles der zivilisierten Welt darstellen. Sie
können dem Vorschlag nicht zustimmen, zu dem Gerichte Vertreter von
Staaten zuzulassen, welche an dem Kriege nicht teilgenommen haben. Die
Alliierten sind bereit, es dem Urteil der Geschichte zu überlassen, daß
die Behandlung der Angeklagten unparteiisch und gerecht erfolgen
wird."
Ein Kommentar dieser Clemenceau-Antwort dürfte sich
erübrigen.
Aus jeder Zeile leuchtet der rote Faden hervor:
Deutschland, - das Verbrecherland, - das deutsche
Volk, - die Verbrechernation, - müssen abgeurteilt und
exemplarisch bestraft werden.
Das Gros der deutschen Friedensdelegation reiste nach Weimar, um dort die
Ablehnung des Versailler Friedensdiktates bei der Nationalversammlung
durchzusetzen. Unserer Friedensdelegation gehörten Vertreter aller Parteien
bis zu den Unabhängigen Sozialdemokraten an. In der Hauptsache bestand
sie aus Sozialdemokraten, Zentrum und Demokraten. Alle Mitglieder der
Delegation hatten sich einstimmig gegen die Annahme des Versailler
Diktats erklärt. Die Nationalversammlung von Weimar machte mittels Note
den [22] Versuch, wenigstens die deutsche Alleinschuld
am Weltkriege und die Auslieferung der Kriegsbeschuldigten aus dem Diktat
auszumerzen. Vergeblich! Nunmehr nahm Weimar am 23. Juni das Diktat
vorbehaltlos an. Wir erhoben schriftlich und mündlich Protest gegen diese
Politik des Nachgebens.
Am 28. Juni 1919 unterzeichneten der neue Minister des Auswärtigen
Müller und der Kolonialminister Dr. Bell das Friedensdokument.
Inzwischen hatte sich der ehemalige Reichskanzler von
Bethmann-Hollweg vor den Deutschen Kaiser gestellt und an Clemenceau die
Forderung gerichtet, das gegen den Kaiser beabsichtigte Verfahren gegen ihn als
den verantwortlichen Reichskanzler stattfinden zu lassen. Feldmarschall von
Hindenburg teilte dem Reichspräsidenten Ebert und dem Marschall Foch
mit:
"Alle mit der Kriegführung der letzten
Kriegsjahre
zusammenhängenden Schlüsse und Befehle des Kaisers sind auf
meinen ausdrücklichen Rat und unter meiner vollen Verantwortung
gefaßt und erlassen. An Stelle meines Kaisers stelle ich mich daher hiermit
den Alliierten mit meiner Person voll und ganz zur Verfügung."
General von Falkenhayn
richtete durch mich eine gleichlautende Erklärung
an die Ententeregierungen für die Jahre, in denen er Chef des Generalstabes
des Feldheeres war.
Das Begehren der Auslieferung des Kaisers wurde von der Niederländischen
Regierung im Laufe der nächsten Monate kategorisch abgelehnt. Holland
hielt an seinem von Anfang an gefaßten Beschlusse fest.
Bald nach meiner Ernennung zum Präsidenten der deutschen
Friedensdelegation von Versailles begannen die Ausführungsverhandlungen
zum Friedensdiktat. Im Oktober 1919 ratifizierte Frankreich den Friedensvertrag
und hierbei wies Clemenceau wiederum besonders scharf auf die gegen Frankreich
begangenen "widerwärtigen deutschen Verbrechen" hin. Ministerialdirektor
von Simson, der Leiter der Friedensabteilung des deutschen Auswärtigen
Amtes, kam Anfang November nach Paris, um mit mir diplomatische Schritte
einzuleiten, welche die Auslieferung unserer "Kriegsverbrecher" verhindern
sollten. Wir begaben uns zu dem Generalsekretär der Friedenskonferenz,
dem französischen Botschafter Dutasta, und zu den Vertretern der
Entente-Großmächte. Wir setzten ihnen auseinander:
"Das ganze deutsche Volk ist ohne Ansehen des Standes und der
Parteizugehörigkeit der Auffassung, daß es unmöglich ist, die
sogenannten 'Kriegsverbrecher' auszuliefern. Wenn die Reichsregierung trotzdem
versuchen will, die Auslieferung in die Wege zu leiten, so wird sie stärksten
Widerständen begegnen. Kein deutscher Beamter wird die Hand dazu
bieten, einen Deutschen festzunehmen, [23] um ihn der Justiz der Entente zu
überliefern. Die Regierung könnte diese Beamten dann entlassen, aber
sie wird keine anderen Beamten finden, die gewillt sind, sich den
Auslieferungsanordnungen zu fügen. Schon das Hervortreten derartiger
Anordnungen wird einen solchen Sturm der Entrüstung entfachen, daß
das ganze Friedenswerk auf das Allerschwerste bedroht sein wird."
Wir wiesen ferner deutlich darauf hin, daß die Gefahr einer Revolution im
Falle des Auslieferungsbegehrens in nächste Nähe gerückt
werde. Ministerialdirektor von Simson machte als Gegenleistung für den
Verzicht auf das Auslieferungsverlangen den Vorschlag, daß alle von den
Gegnern eines Kriegsvergehens Angeschuldigten unverzüglich einem
Strafverfahren in Deutschland unterzogen werden sollten. Hierbei wolle
Deutschland alle erdenklichen Garantien für unparteiische und
unnachsichtige Durchführung des Verfahrens geben, insbesondere durch
Zuziehung amtlicher Vertreter der beteiligten gegnerischen Staaten.
Unsere Darlegungen machten außer auf den Vertreter Englands, Sir E.
Crowe, der sich völlig ablehnend und fast beleidigend verhielt, einen
gewissen Eindruck. Der Vertreter Italiens, Scialoja, erklärte uns
ausdrücklich, Italien denke garnicht daran, die Auslieferung von Deutschen
zu fordern. - Hierbei sei eingeschaltet, daß später Italien entgegen
dieser amtlichen Erklärung leider die Auslieferung einer Reihe von
Deutschen forderte.
Am 15. November 1919 schickte mir Clemenceau eine Note, in der er die Frage
der Befreiung der deutschen Kriegsgefangenen mit der Auslieferung der
"Kriegsverbrecher" in Verbindung brachte. Meine mehrfachen eindringlichen
Forderungen auf Herausgabe unserer Kriegsgefangenen lehnte er kategorisch
ab:
... "Die tiefsten Gefühle des menschlichen
Herzens sind zu grausam
verletzt worden, als daß eine Vergünstigung, wie die von Ihnen
für die Kriegsgefangenen erbetene, zugestanden werden könnte. Doch
damit nicht genug. Deutschland hat durch die Unterzeichnung des Versailler
Vertrages die Herausgabe der Deutschen, die in ihrer Amtstätigkeit Greuel
begangen haben, auf sich genommen und jetzt erklären Sie sich, bevor Sie
noch mit der Frage befaßt werden, außerstande, das gegebene
Versprechen einzulösen, was die schwersten Folgen haben könnte.
Wir schulden Deutschland nichts als die genaue Erfüllung der
Bestimmungen des Vertrages, den es am Ende des erbarmungslosen Krieges
angenommen hat..."
Ob ein Teil unserer Feinde hoffte, Deutschland durch das Auslieferungsbegehren
seiner hervorragendsten Persönlichkeiten in Kampf und neue Revolution zu
stürzen, läßt sich nicht beweisen. Immerhin gibt es zu denken,
daß alle unsere Hinweise auf diese große Gefahr mit völliger
Nichtachtung behandelt wurden. Zur Beurteilung dieses drohenden
Verhängnisses male man sich bloß aus, was heute geschehen
würde, wenn die Entente die Auslieferung Hindenburgs [24] zur Aburteilung an Leib und Leben fordern
würde. Dabei sind jetzt die Zeiten doch wesentlich ruhiger als im Februar
1920, wo sich wohl alle deutschen Kriegsteilnehmer mit bewaffneter Hand vor
ihren verehrten Feldmarschall gestellt hätten, wenn die geforderte
Auslieferung des geliebten Heerführers tatsächlich hätte
erfolgen müssen.
Am 1. Dezember forderte ich als Kompensation dafür, daß Amerika
bis zur Ratifizierung des Vertrages durch die Vereinigten Staaten in den
Kommissionen fehle, den Verzicht auf die Auslieferung der
Kriegsbeschädigten. Am 8. Dezember lehnte Clemenceau diese Forderung
als "unbegründet" ab.
Am 18. Dezember nahm die deutsche Nationalversammlung das Gesetz zur
Verfolgung von Kriegsverbrechen und Kriegsvergehen an, das die vorzeitige und
freiwillige Ausführung des Vorschlages gesetzlich garantierte, den
Ministerialdirektor von Simson im November in Paris gemacht hatte. Auch dieser
weit entgegenkommende deutsche Schritt blieb fruchtlos.
Während der Monate Dezember 1919 und Januar 1920 setzte ich meine
Versuche fort, zu einer Einigung mit der Entente in der Auslieferungsfrage zu
gelangen. Am 25. Januar übersandte ich an Millerand, den Nachfolger
Clemenceaus, nochmals eine Note, in der ich in letzter Stunde den Standpunkt der
Reichsregierung über die Unmöglichkeit der Auslieferung
zusammenfassend darlegte und einen klaren Vorschlag für die Bestrafung
aller Kriegsvergehen auf Grund des Reichsgesetzes vom 18. Dezember machte.
Deutschland fügte das wichtige neue Zugeständnis hinzu, über
eine zweite Instanz verhandeln zu wollen.
In den letzten Tagen des Januar suchte ich persönlich den Botschafter der
Vereinigten Staaten in Paris, ferner den britischen Botschafter Lord Derby, den
japanischen Botschafter Matsui, den italienischen Botschafter Graf
Bonin-Longare, den Präsidenten der
Botschafter-Konferenz, den französischen Botschafter Jules Cambon, in
ihren Palais einzeln auf. Zum letzten Male appellierte ich in eindringlichster Weise
mündlich an sie, auf das Auslieferungsverlangen zu verzichten. Ich
erklärte deutlichst, daß kein Deutscher seine Hand zur Verwirklichung
des Auslieferungsbegehrens bieten könne, ohne ein ehrloser Verräter
an seinem Volke zu werden. Der amerikanische Botschafter sah meinen
Standpunkt als völlig gerechtfertigt an: Amerika werde keine Auslieferung
fordern. Der Italiener
Bonin-Longare wiederholte mir die Mitteilung Scialojas, daß Italien an dem
Auslieferungsverlangen völlig uninteressiert sei. Der japanische Botschafter
Matsui wiederholte ungefähr wörtlich, was sein italienischer und
amerikanischer Kollege gesagt hatte. Der britische Botschafter Lord Derby
erklärte, er verstände und billige
persön- [25] lich meine Auffassung durchaus. Aber er
fürchte, daß Lloyd George nicht für einen Verzicht auf das
Auslieferungsverlangen zu haben sein werde, da er seine Wahlen unter dem Motto
gemacht habe: "Wir hängen den Kaiser und die deutschen Kriegsverbrecher
auf!" Lord Derby versprach mir aber, auf Lloyd George in meinem Sinne wirken
zu wollen. Der mir seit vielen Jahren bekannte französische Botschafter,
Jules Cambon, Präsident der
Botschafter-Konferenz, frug mich bei meinem letzten Besuch:
"Wollen Sie wegen ein paar übler
Kriegsverbrecher denn die ganze Welt in Aufruhr versetzen?"
Diese Frage gab zu denken. Ich erwiderte, daß wir selbstverständlich
jeden nachweisbaren Kriegsverbrecher auf das schärfste an Leib
und Leben bestrafen wollten, aber nicht in der Lage wären, Deutsche, die
ihre Pflicht im Kriege getan hätten, auszuliefern. Hierzu werde ich meine
Hand nicht bieten und ganz Deutschland werde wie ein Mann gegen die
Auslieferung zusammenstehen.
Immerhin hatte ich jetzt den Eindruck, als ob unsere Kriegsgegner von unsern
immer wiederholten Vorstellungen stark beeindruckt seien. Aus Cambons Worten
mußte ich schließen, daß die Auslieferungsforderung von der
Entente umgangen und nur die Bestrafung einiger weniger wirklicher
Kriegsverbrecher oder Gefangenenschinder gefordert würde.
Um so überraschender traf mich die Note der
Entente-Regierungen, die Millerand mir am 3. Februar 1920 spät abends
übersandte und in der die Auslieferung von etwa 900 Deutschen gefordert
wurde.
Ich war sofort entschlossen, die Konsequenz zu ziehen und die Drohung, die ich
den gegnerischen Botschaftern angedeutet hatte, wahr zu machen. Die in Paris
anwesenden Vertreter der Reichsbehörden und Mitglieder der
Friedensdelegation, namentlich den Ministerialdirektor Göppert vom
Auswärtigen Amt, bat ich zu mir. Sie erklärten sich einstimmig mit
meinem beabsichtigten Vorgehen einverstanden. Ich richtete folgende Note an
Millerand:
"Paris, 3. Februar 1920.
Herr Präsident! Euere Exzellenz haben mir heute
abend eine Note überreicht, die die Namen der Deutschen enthält,
deren Auslieferung die Alliierten und Assoziierten Mächte verlangen. Ich
habe den Vertretern der Alliierten und Assoziierten Regierungen im Laufe der
letzten 3 Monate 10mal schriftlich und 13mal mündlich in ernstester Weise
die Gründe dargelegt, die es unmöglich machen, ein solches
Verlangen zu
erfüllen - gleichviel welche Stellung die Beschuldigten einnehmen
und welchen Namen sie tragen.
Ich erinnere Euere Exzellenz an meine ständig
wiederholte Erklärung, daß sich kein deutscher Beamter bereit finden
werde, in irgendeiner Weise an der Ausführung des Auslieferungsverlangens
mitzuwirken. Eine solche Mitwirkung wäre es, wenn ich die Note Euerer
Exzellenz an die Deutsche Regierung weiterleiten wollte. Ich sende sie daher
in der Anlage zurück.
[26] Meiner Regierung habe ich mitgeteilt,
daß ich mein Amt nicht weiterführen kann und mit dem
nächsten Zuge Paris verlassen werde.
Genehmigen Sie, Herr Präsident, den Ausdruck
meiner ausgezeichneten Hochachtung.
(gez.) Freiherr von Lersner."
Der Reichsregierung teilte ich telegraphisch die Abschrift dieser Note am
folgenden Morgen mit und fügte hinzu:
"Ich muß die Folgen meines Schrittes, zu dem
ich mich nach
schwerem Kampfe entschlossen habe, auf mich nehmen und bitte um meine
Entlassung.
Die Geschäfte der Friedensdelegation oder Botschaft
kann ich niemandem übergeben, da ich keinen der in Betracht kommenden
Beamten ersuchen kann, mit der Führung der Geschäfte die
Verpflichtung zu einer Handlung zu übernehmen, die ich selbst als gegen
mein Gewissen verstoßend ablehnen mußte. Ich reise heute abend
ab."
Gleichzeitig berief ich die Vertreter des deutschen Wolffschen
Telegraphen-Büros, des französischen
Havas-Büros, des englischen
Reuter-Büros und der amerikanischen Presse zu mir und teilte ihnen die
ganzen Phasen des Auslieferungsverlangens, meine immer wiederholten
diplomatischen Schritte und die neusten Vorgänge mit. In der Abendpresse
der ganzen Welt waren meine Ausführungen fast wörtlich
abgedruckt.
Die Entente-Regierungen forderten die Auslieferung und Aburteilung unserer
größten und besten Heerführer, Staatsmänner,
Fürsten, Offiziere, Unteroffiziere und Mannschaften. Ihre Verurteilung im
Schlosse von
Vincennes - nach dem berühmten Vorbilde der Erschießung des
Herzogs von Enghien durch
Napoleon I. - stand außer Frage. Trotz aller meiner Bitten und
Vorstellungen hatten unsere Kriegsgegner die Auslieferung gewollt, um zu
beweisen, daß die Deutschen eine Verbrechernation seien. Jetzt wollten sie
mit der Verurteilung unserer Führer das Schlußsiegel auf ihre
Versailler Politik setzen: Die "moralische" Rechtfertigung der drakonischen
Diktatsbestimmungen von Versailles sollte nun vor aller Welt kundgetan und
bewiesen werden. Hiergegen galt es, ohne eine Sekunde zu zögern,
energisch Front zu machen und in die Bresche zu springen.
Mit der Zurücksendung der Auslieferungsforderung an Millerand war das
Signal gegeben. Eine ungeheure Bewegung ergriff ganz Deutschland.
Überall wurden Versammlungen abgehalten, in Kirchen und Domen, auf
Straßen und Plätzen, in Lokalen und Sälen protestierten
Tausende und Abertausende auf das schärfste gegen die
Auslieferungsforderung. Überall wurde einstimmig die Auslieferung der
deutschen "Kriegsverbrecher" verweigert. Einig und einmütig stand das
ganze deutsche Volk, standen alle Parteien wie ein Mann zusammen. Das deutsche
Volk war sich bewußt, daß die Auslieferung unserer sogenannten
"Kriegsverbrecher" die schwersten politischen [27] Folgen für alle Zeiten gehabt hätte:
Versailles hätte seine Rechtfertigung erhalten, Deutschland wäre
rechtlos und ehrlos geworden.
An der Einigkeit des deutschen Volkes zerbrach diese erste große
Forderung, die die
Entente-Regierungen auf Grund des Versailler Diktats an uns stellten, wie Glas an
einem Fels.
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